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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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16 Zum Menschenbild<br />

wurden, sich biologisch, kognitiv <strong>und</strong> sprachlich nicht unterscheiden. Der Prozeß der<br />

natürlichen Zuchtwahl in Darwins (1859) Verständnis liegt weit zurück.<br />

Der Homo sapiens war also biologisch-genetisch „immer schon“ der moderne Mensch<br />

wie es heute alle Menschen sind, sagt uns die Biologie. Nur historisch unterscheiden sich<br />

seine Lebensbedingungen <strong>und</strong> -formen. 1 Er hatte also immer schon die gleiche Kapazität<br />

seines Gehirns, bildete aber entsprechend seiner Zeit <strong>und</strong> alltäglichen Erfahrung seine<br />

geistige Kompetenz aus. Auch seine Geistigkeit entwickelte (!) sich dabei, da er sie nicht<br />

der Natur entnehmen kann, die Sinn oder Geist nicht vorhält. (Dux) Menschen in dieser<br />

Weise auch geistig als historisch geprägt zu sehen hat zur Voraussetzung, den Übergang<br />

des Menschen aus früheren Formen nicht nur biologisch belegen zu können, um den Weg<br />

vom Tier zu ihm auch für die Entwicklung seiner Kognition verständlich zu machen.<br />

Neben der phylogenetischen Entwicklung muß auch die Funktionsweise der Ontogenese<br />

erklärt werden. Beide sind heute verstanden. Deshalb ist davon auszugehen, spätestens der<br />

Homo sapiens habe eine neue autonome <strong>und</strong> reflexive Geistigkeit entwickelt. Das heißt<br />

auch, im Zus<strong>am</strong>menhang mit der Fähigkeit der kognitiven <strong>und</strong> symbolischen Konstruktion<br />

seiner Welt von einer neuen Form komplexer sozialer Kommunikation auszugehen: von<br />

einer Grenzüberschreitung, nicht von einem bloßen Übergang von der tierischen Horde<br />

zur sozialen Gruppe, wenn es oberflächlich auch so aussah. Es veränderte sich weit mehr.<br />

D<strong>am</strong>it ist als erkenntnistheoretischer Ansatz ein empirischer Konstruktivismus<br />

angesprochen, eine Analyse, nach der Menschen beim Aufwachsen sich ihre Umwelt im<br />

Kopf/ Gehirn symbolisch konstruieren (müssen). Jeder Mensch muß das von Geburt an<br />

tun. Die geistige Entwicklung des Homo sapiens ist empirisch belegt <strong>und</strong> rekonstruierbar.<br />

Allerdings geht es nicht um einen Konstruktivismus, bei dem geistige Substanz den<br />

Menschen nativistisch mitgegeben würde, von Gott, dem Weltgeist, der Natur oder<br />

ähnlichem mehr oder weniger fertig ins Gehirn oder die Gene gepflanzt. Zum Verständnis<br />

meiner Argumentation muß klar werden: zwischen der evolutiv verstehbaren Natur auf<br />

der einen Seite, in der es keinen Sinn, keinen Geist oder dergleichen gibt, <strong>und</strong> der geistig<br />

prozessierenden Sozialwelt auf der anderen, gibt es so etwas wie eine Grenze; sie wird<br />

auch zwischen Natur- <strong>und</strong> Gesellschaftswissenschaft deutlich. Sinn <strong>und</strong> Geist entstehen<br />

diesseits, wenn sie auch ihre Wurzel jenseits haben, in der Lernfähigkeit bei Tieren. Im<br />

Übergang vom Tier zum Menschen entsteht jedoch – betone ich noch einmal – etwas ganz<br />

Neues, was es zuvor nicht gab, eine Grenze zwischen erectus/ neanderthalensis <strong>und</strong><br />

sapiens! Das ist eine rein pragmatische Forschungsvorgabe, nicht ein Versuch,<br />

naturwissenschaftliche Kontinuität etwa des Lernvermögens auszublenden; das ist eine<br />

andere Frage. Allerlei Fertigkeit bei Tieren werden nicht nur nicht bestritten, sondern auch<br />

von mir als Vorbedingung menschlichen <strong>Denken</strong>s betont! Wird jedoch in der<br />

Gesellschaftswissenschaft nur ein Übergang gesehen, beispielsweise beginnend bei<br />

Schnecken <strong>und</strong> Ottern, weil beide Steine benutzen können, über die Eirollbewegung der<br />

Graugans oder die Treffsicherheit des Schmutzgeiers beim Bombardieren eines<br />

Straußeneis hin zum Menschen, entsteht allzuleicht eine biologistische Vorstellung.<br />

Naturwissenschaft wird auf das Soziale übertragen, als würden solche <strong>und</strong> weitergehende<br />

Fertigkeiten auch beim Menschen in den Genen stecken. Die Schöninger Speere von<br />

Neandertalern <strong>und</strong> der Dorn, mit dem ein Vogel Maden aus der Rinde holt, trennt Welten.<br />

Andererseits darf selbst beim Bew<strong>und</strong>ern der Fähigkeiten von Schimpansen nicht<br />

vergessen werden, daß unser gemeins<strong>am</strong>er St<strong>am</strong>mbaum vor sechs bis sieben Millionen<br />

Jahren endete. (siehe Haidle, 1999; <strong>und</strong> dort folgende Beiträge)<br />

Das Wissen um die Ontogense verlangt bei der soziologischen (!) Sicht, heute in der<br />

Analyse vom Individuum auszugehen <strong>und</strong> nicht (mehr nur) direkt von Gesellschaft; die<br />

verstehe ich – im Anschluß an Marx/ Engels – als den Prozeß sozialer Verhältnisse. Ich<br />

gehe bei halbwegs ges<strong>und</strong>en Menschen als Typus nicht von einem Nativismus aus,<br />

1 Wenn ich nicht mehr von sozialer (!) Evolution, sondern stets von Prozeß rede , heißt das nicht, es gäbe<br />

nicht immer wieder Tendenzen solcher Art, so etwas wie einen Richtungssinn. Aber die Prozesse verlaufen<br />

differenzierter <strong>und</strong> sollen konkret ausgewiesen werden. Dabei geht es nicht darum, einen Anti-Evolutionismus<br />

zu stützen. Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert war Morgan (1877) recht fortschrittlich. Ebenso ist der Begriff der Fitneß<br />

problematisch. Wer bestimmt denn, was Fitneß ist, das wäre doch wieder nur ein Gott. Der/ das Stärkere, sich<br />

bereits durchgesetzt habende, soll es doch wohl auch nicht sein. Wenn sich die Verfettung in einigen<br />

Bevölkerungen endgültig durchsetzen sollte, sich vielleicht vom sozialen zum biologisch-genetischen Typus<br />

entwickelte, wäre das dann Fitneß? Solche Menschen werden vielleicht durchsetzungsfähiger, schon weil sie<br />

immer zwei Plätze in der U-Bahn verteidigen müssen... Aus Darwins Werk läßt sich eigentlich nur<br />

herauslesen, hinderliche Mutationen hätten relativ geringe Chancen in der Konkurrenz. Entweder Evolution<br />

operiert zufällig/ planlos oder teleologisch. Im sozialen Prozeß (!) wird noch viel deutlicher, daß Fitneß immer<br />

nur eine Wertung sein kann.

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