Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 15<br />
der Natur aufgezwungenen Überlebensstrategien, sondern die durch religiöse<br />
Verhaltensweisen hervorgerufenen gesellschaftlichen Zwänge führten offenbar zur<br />
Entwicklung neuer Subsistenzstrategien. Mag das Ende der Tempel des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>s<br />
als revolutionäres Geschehen oder als Effekt klugen Kalküls bestehender Eliten zu<br />
denken sein – es war wahrhaft eine ‚neolithische Revolution‘, <strong>und</strong> zwar mit einem<br />
bedeutend dr<strong>am</strong>atischeren Verlauf, als es Gordon Childe im Sinn hatte. Der ‚Jäger‘<br />
hatte an Bedeutung verloren, <strong>und</strong> als seine Bedeutung schwand, schwand auch die<br />
Bedeutung seiner religiösen Riten <strong>und</strong> Zwänge, <strong>und</strong> mit ihnen verschwanden auch seine<br />
Kultanlagen. Als die wirtschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen sich d<strong>am</strong>als wandelten, sank auch der<br />
weltanschauliche Überbau in den Staub, so wie wir es an den gewaltigen <strong>und</strong> einstige<br />
Macht demonstrierenden Kultanlagen des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> sehr schön beobachten können“.<br />
(2008: 256) Ob es ein solches Ende gegeben hat? Passen diese Baustrukturen nicht eher in<br />
die neue Zeit? Die Anlage wurde allerdings nach 2.000 Jahren aufgegeben, dem bisher<br />
angenommenen Beginn der neolithischen Revolution. Manches deutet heute darauf hin,<br />
diese Revolution könnte weit früher begonnen haben als von Childe gesehen; dessen<br />
Vorstellung, Landbau habe in Oasen begonnen, überholt ist, sie begann wohl an den<br />
hügeligen Randzonen von Taurus <strong>und</strong> Zagros (Hilly Flanks, Braidwood; Schmidt, 2008).<br />
Bei Roaf ist das Gebiet um den <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> vor den nördlichen Bergen als Nadelwald<br />
bezeichnet. (1998: 22; siehe Uerpmann, 2007) Schmidt spricht für jene Zeit dort von<br />
bestehenden großen Flächen von Wildgetreide mit einzelnen Bäumen <strong>und</strong> Galeriewäldern.<br />
Zum Menschenbild<br />
Nach <strong>Denken</strong> <strong>und</strong> <strong>Glauben</strong> früher Menschen wird hier vor allem gefragt. Gerade der<br />
<strong>Glauben</strong> scheint wichtig dabei, um jene Leute in ihrem <strong>Denken</strong> zu verstehen. Denn wir<br />
werden sehen, wie intensiv sie zwischen Geistwesen lebten, nicht nur an solche glaubten.<br />
Ihr <strong>Glauben</strong> kann – wie der von rezenten Urvölkern – als stets präsenter Teil des Lebens<br />
verstanden werden. Nichts spricht dafür, dies sei in Eis- <strong>und</strong> Steinzeit anders gewesen.<br />
Eher im Gegenteil. Daraus ergaben sich Zwänge der Selbstbeurteilung, (Sippen-) Ehre<br />
zeigt sich im Konflikt als besonders wichtig <strong>und</strong> (Blut-) Rache auch. Nur weil zwar<br />
Schlachtplätze zur Zerlegung von Tieren, aber keine Schlachtfelder unter den<br />
prähistorischen F<strong>und</strong>en sind, keine größeren offenk<strong>und</strong>ig von Menschen zerhackten<br />
menschlichen Knochenhaufen, waren jene Zeiten kaum solche friedlichen Zeiten, in der<br />
Menschen in ihrer Freizeit allein Kultur <strong>und</strong> Kunst, dem Gesang <strong>und</strong> Flötenspiel frönten.<br />
(Ruspoli, 1998: 24) Ich verweise daher in diesem Text intensiv auf jene Analyse, die<br />
Lévy-Bruhl ab 1910 zum <strong>Denken</strong>, der geistigen Welt <strong>und</strong> der Seele rezenter Urvölker<br />
vorgestellt hat. Die Kritik an ihm, unter anderem von Lévi-Strauss, scheint nicht so<br />
tiefgreifend, als daß der Nutzen, noch über von der Zivilisation relativ „unberührten“<br />
Völkern etwas zu erfahren, geschmälert würde, zumal ich vor allem die Fallschilderungen<br />
heranziehe.<br />
Aufbauend auf den archäologischen Kenntnissen über die frühen Menschen im Nahen<br />
Osten <strong>und</strong> in Europa soll also eingeengt werden, um was für Menschen es sich gehandelt<br />
haben mochte, die ein solches Bauwerk schufen. Dazu wird zum einen vom Wissen über<br />
die menschliche Phylogenese ausgegangen, der St<strong>am</strong>mesgeschichte, um die kognitive<br />
Fähigkeit als Prozeß erkennbar zu machen, den die Hominiden durchliefen. Vor allem<br />
komme ich unten zum anderen auf die Ontogenese, die individuelle kindliche<br />
Entwicklung des modernen Menschens zurück, die auch für den <strong>Glauben</strong> so wesentlich<br />
ist. Vor knapp 70.000 Jahren begann Homo sapiens sich von Afrika <strong>und</strong> vielleicht schon<br />
der südlichen Levante aus über die Welt auszubreiten. Aus einer relativ kleinen<br />
Population („Flaschenhals“), auf die unsere Art geschrumpft war, bevor die Wanderungen<br />
begannen. Von St<strong>am</strong>m-Mutter Eva wird neuerdings gesprochen. 1 Aus dieser Gruppe<br />
st<strong>am</strong>men jene, die den Homo erectus vollständig verdrängten beziehungsweise dessen<br />
(wahrscheinliche) Nebenlinien, wie heidelbergensis <strong>und</strong> neanderthalensis, sofern die nicht<br />
alle von allein ausstarben; vielleicht weil sie in den unermeßlichen Weiten zu isoliert<br />
lebten. Daß sie nicht nur verschiedene Sippen, sondern unterscheidbare Arten waren,<br />
erkannten sie ja kaum. Spätestens beim Auszug aus Afrika ist sapiens offenk<strong>und</strong>ig so weit<br />
entwickelt, daß auch jene, die die frühe Wanderung vor 60.000 Jahren in Richtung<br />
Australien unternahmen, bevor ab vor 50.000 Jahren Südwestasien <strong>und</strong> Europa besiedelt<br />
1 Noch wird in einem Katalog des Deutschen Museums München davon gesprochen, Homo sapiens sei eine<br />
Mischung aus weltweiten Entwicklungen. (Alt<strong>am</strong>ira, 1995: 14)