Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 11<br />
Kinnpartie übersteht, weshalb von T-Pfeilern die Rede ist. 1 Die umschreibenden<br />
Rechtecke weisen über Gr<strong>und</strong> etwa ein Verhältnis Eins zu Zwei auf. 2 Die Pfeiler sind<br />
eindeutig als „menschlich“ markiert, sie haben oft als Flachrelief angedeutete Arme <strong>und</strong><br />
Hände, die sich vor dem Bauch schließen. Die großen Pfeiler der Anlage D – sie haben<br />
Köpfe von etwa zweieinhalb Meter Länge im Gr<strong>und</strong>riß – zeigen darüber hinaus Gürtel<br />
<strong>und</strong> einen angedeuteten Fellschurz; sie stehen dadurch für männliche Figuren. (JB, 2009)<br />
Die T-Pfeiler weisen meist Flachreliefs auf, die manchmal von den anschließenden<br />
Mauern überdeckt sind. Verweist das auf gr<strong>und</strong>legende Baustufen? Standen die Pfeiler<br />
zuerst allein? Zumindest in einem Fall (Anlage C) wurde ein bildhauerisch aus dem Stein<br />
des T-Pfeilers fast vollständig ausgearbeitetes Tier als Hochrelief gef<strong>und</strong>en; an anderen<br />
Stellen scheinen solche Arbeiten abgeschlagen zu sein. Das könnte mit der späteren<br />
Verfüllung der ganzen Anlage der Ebene III zu tun haben, die nach einer unbekannten<br />
Nutzungszeit diesen Teil des Kultbaus „beerdigte“, vielleicht mit feindlicher Absicht,<br />
vielleicht um mehr Platz für Tempel des wachsenden St<strong>am</strong>mes zu schaffen. Zu diesem<br />
Ende soll hier nicht mehr gesagt werden, als daß sich im Geröll zur Verfüllung auch<br />
menschliche Knochen finden, vielleicht solche aus aufgelassenen Gräbern; unberührte<br />
Gräber oder Schädelbestattungen fanden sich bislang nicht. Später wurden – zum Teil auf<br />
dieser Verfüllung – neue Anlagen mit deutlich kleineren T-Pfeilern errichtet.<br />
Wer einen solchen Tempel baut, versteht sich offenk<strong>und</strong>ig als seßhaft, markiert ein<br />
bestimmtes Gebiet, 3 selbst wenn das alltägliche Leben noch mit S<strong>am</strong>meln <strong>und</strong> Jagen<br />
verbracht wird <strong>und</strong> temporär wechselnde Lager/ C<strong>am</strong>ps bezogen werden, oder Jagdlager<br />
an Herdenrouten der Region die Hauptsiedlung ergänzen. 4 (Bosinski, 1989) Diese<br />
Menschen waren höchstwahrscheinlich in F<strong>am</strong>ilien gruppiert, wie es bei allen bekannten<br />
rezenten Urvölkern der Fall ist. Ob es bei den früheren Gruppen unter den großen<br />
Felsdächern (Abris), die sich vor allem in Südfrankreich finden, viel anders war, steht<br />
dahin. Wo immer es ging, blieben schon die WildbeuterInnen – wenn wir sie als Typus<br />
beschreiben – an guten Plätzen, nicht zuletzt um auf dem heiligen Boden der Ahnen zu<br />
leben. Das bedeutet: die Erkenntnisse über einzelne Siedlungen seßhafter S<strong>am</strong>mlerInnen<br />
<strong>und</strong> Jäger in der Zeit der Proto-Neolithisierung <strong>und</strong> noch weiter zurück geraten stärker als<br />
bisher in den Vordergr<strong>und</strong> der Überlegungen. Begann dieser Prozeß deutlich früher bereits<br />
flächendeckend oder jedenfalls in vielen regionalen „Inseln“? Muß das Menschenbild<br />
insges<strong>am</strong>t geändert werden, das mit der Eis- <strong>und</strong> Steinzeit noch verb<strong>und</strong>en wird? Heute ist<br />
in der Wissenschaft von „komplexen“ WildbeuterInnen die Rede, wenn die bereits<br />
weitgehend seßhaft lebten. Die Eiszeit endete – <strong>am</strong> Übergang vom Pleistozän zum<br />
Holozän – gerade offiziell, als <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> Baumeister bis weit über zehn Tonnen<br />
schwere Fels-Rohlinge bearbeiten <strong>und</strong> dann die aufwendig verzierten anthropomorphen<br />
GöttInnen-Pfeiler mit angedeuteten Köpfen in T-Form aufstellen ließen. Eine<br />
schlagkräftige Organisation mußte geschaffen sein – geistig vor allem!<br />
Wer über komplexe WildbeuterInnen oder S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jäger nachdenkt, muß sie<br />
von nomadischen Lebensweisen unterscheiden, die sich keineswegs immer decken.<br />
Solche Gruppen ziehen nicht nur alle Tage herum, futtern was sie <strong>am</strong> Wege finden <strong>und</strong><br />
was die Jäger heimbringen, wenn sie etwas heimbringen, zumal Jagd- <strong>und</strong> Kriegsglück<br />
von der Einhaltung bestimmter Tabus der Frauen (!) zu Hause abhängen konnten. (Lévy-<br />
Bruhl, 1910: 59, 207; ähnlich Malinowski, 1979: 244) Oft wird ihr Wirken als Typus zu<br />
einseitig in den hohen Norden verlegt, in die T<strong>und</strong>ren vor dem unermeßlichen Eisschild,<br />
in denen sie Tierherden hinterher rannten <strong>und</strong> sich die Jäger bevorzugt unter das M<strong>am</strong>mut<br />
1 Sie nehmen seitlich gesehen den Gr<strong>und</strong>riß erster sumerischer Tempelhöfe (<strong>und</strong> dann die christliche Kirche,<br />
die mit der Absis noch einen monotheistischen „Kopf“ bek<strong>am</strong>) vorweg; siehe Tempel D im Uruk der altsumerischen<br />
Zeit von 2.900 vC. (Schmökel, 1956: 103)<br />
2 Leider bekomme ich keine Maße; nach dem Plan bei Schmidt sind die großen Pfeiler in Anlage D im Kopf<br />
etwa 2,5 m breit, der Schaft mag dann knapp 2,0 m breit sein, die Dicke sei 0,5 m, der Pfeiler ist 5,65 m lang.<br />
Dann wiegt ein fertiger Pfeiler bei einem Gewicht des Kalksteins von 2,7 t/m 3 um 6 Tonnen. Im Rohzustand<br />
bei einer Plattengröße von 3x6 m <strong>und</strong> 0,6 m Dicke kommen an die 30 Tonnen zus<strong>am</strong>men; dazu unten mehr.<br />
3 Gebel möchte für das Neolithikum Seßhaftigkeit auf Orte beschränken, „bei denen der substanzielle Teil<br />
einer Gemeinschaft seinen Lebensmittelpunkt ganzjahrig ̈ <strong>und</strong> uber ̈ mindestens 10 Generationen hinweg an<br />
einem Standort aufrechterhalt, der die Subsistenz weitgehend allein bestreiten ließ <strong>und</strong> eine ‚kontinuierliche‘<br />
Sozial-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturentwicklung ermoglichte; Seßhaftigkeit sollte auch immer durch<br />
bioarchaologische ̈ <strong>und</strong> archaodemographische ̈ Daten bewiesen sein“. Die Existenzweise von an dauerhaften<br />
Standorten lebenden WildbeuterInnen wird aber für die Levante angenommen. (2002: 28ff) Zehn<br />
Generationen als Maßstab scheint eine zu lange Zeit in unsicherer Lebenslage, wo Konflikte einen St<strong>am</strong>m<br />
auch zum seßhaften Weiterleben an anderem Ort zwingen können, wie es Gebel selbst anspricht.<br />
4 Dietl erkennt aus dem Survey von Freilandf<strong>und</strong>plätzen in der levantinischen Steppen zone Syriens <strong>und</strong><br />
Jordaniens zum Epipaläolithikum hin eine Regionalisierung der vorher größeren Streifgebiete beim Homo<br />
sapiens <strong>und</strong> zuvor schon beim erectus oder neanderthalensis. (2009: 112)