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allem deshalb eine Herausforderung dar, weil die Handlungsroutinen, mit denen die Akteure selbst zur Reproduktion der ‚alten Verhältnisse‘ beitragen, in ihrem Selbstverständnis keinen legitimen Ort mehr haben und über sie deshalb lieber geschwiegen als gesprochen wird. Und dieses Schweigen ist wertvoll, weil es den Handelnden die Möglichkeit gibt, sowohl an der Idee der Gleichheit und ihrem avancierten Selbstverständnis festzuhalten als auch jene Art von Handlungsfähigkeit zu bewahren, ohne die der Alltag zu einer endlosen Abfolge mühsamster Aufgaben wird. die Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis am liebsten zu schweigen und nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, vehement darauf zu insistieren, dass es diese Diskrepanz für sie überhaupt nicht gibt, weil sie sich selbst und selbstbestimmt dafür entschieden haben, das zu tun, was andere früher getan haben, weil sie Rollenbildern verhaftet waren, die inzwischen passé sind. 5. Wissenschaftliches Wissen, feministische Theorie und doing science Mit dem Reden beginnen – wie Jean Claude Kaufmann (1994) eindrucksvoll gezeigt hat – die Zweifel, verlieren die Gesten ihre Selbstverständlichkeit und Evidenz, wird das, was zunächst die einfachste Sache der Welt schien, zu einer Hürde, die immer höher scheint und die mit der Thematisierung der Ungleichheit, zu der die Gleichstellungspädagogik auffordert, nicht schwindet und nicht schrumpft. Eher ist das Gegenteil der Fall, jedenfalls im Alltagshandeln, das auf langfristige Lösungen nicht warten kann, wenn es ins Stolpern kommt oder zu stocken droht. Auch die ‚normalen‘ Gesellschaftsmitglieder sind also, wie hier deutlich wird, durchaus gut beraten, an ihrem inkohärenten Alltagswissen festzuhalten. Sie sind gut beraten, sich im Reden auf die Idee der Gleichheit zu beziehen, die in bestimmten sozialen Milieus heute zur Norm geworden ist. Sie tun gut daran, sich im Handeln auf ihr praktisches Wissen zu verlassen, das in Sekundenschnelle Handlungsfähigkeit und Erwartenssicherheit ermöglicht. Und sie haben einigen Grund, über Beim wissenschaftlichen Wissen, dem ich mich zum Schluss kurz zuwenden möchte, haben wir es in der wissenssoziologischen Perspektive, auf die ich hier rekurriere, mit einem handlungsentlasteten systematischen Wissen zu tun, das sich an disziplinspezifischen Regeln und Problemdefinitionen orientiert. Relevant für diesen Wissenstypus sind die Wirklichkeitskonstruktionen, die sich innerhalb des mehr oder weniger fest etablierten Bezugsrahmens bewegen, der eine Disziplin als Disziplin konstituiert und auf einer Übereinkunft darüber basiert, was relevante Fragen, was gültige Beweisverfahren und akzeptable Problemlösungen sind (vgl. u. a. Sprondel 1972; Hitzler 1994 und 1998). Handlungsentlastet ist dieses Wissen insofern, als die Orientierung an alltagsweltlichen Sinnbezügen oder politischen Zielsetzungen für dessen immanente Logik ohne Relevanz ist. Zugleich stellt die Produktion wissenschaftlichen Wissens aber selbst eine soziale Praxis dar, die der Anerkennung bedarf. Auch wissenschaftliches Wissen ist intersubjektiv geteiltes Wissen VORTRÄGE 57
und muss durch das Nadelöhr der Validierung, um zu wissenschaftlichem Wissen zu werden. Und dieses Nadelöhr finden wir vergegenständlicht in den Verfahren des peer review, die über die Anerkennung von WissenschaftlerInnen entscheiden – und zwar, wie die Anonymität dieser Verfahren signalisiert und verbürgen soll, ausschließlich anhand des von ihr oder ihm präsentierten Wissens und folglich ohne Ansehen der Person. Wissenschaftliches Wissen unterscheidet sich vom ExpertInnenwissen also durch die Orientierung an disziplinspezifischen und vor allem an innerwissenschaftlichen Gütekriterien und durch das Forum, das über die Anerkennung von Wissen entscheidet. Wissenschaftliches Wissen hat sich in der scientific community zu bewähren, die auf einer expliziten Übereinkunft darüber basiert, welche Regeln und Gütekriterien bei der Produktion und Evaluierung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelten sollen, und auf dem Anspruch, dass diese Regeln und Gütekriterien für alle gleichermaßen gelten. Auch feministische TheoretikerInnen haben in den letzten drei Jahrzehnten ziemlich genau das getan, was dem klassischen Bild des Wissenschaftlers entspricht: Als Musterschülerinnen der Aufklärung und Newcomerinnen im wissenschaftlichen Feld haben sie ein handlungsentlastetes systematisches Geschlech- 58
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Und dieses Nadelöhr finden wir vergegenständlicht<br />
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dieser Verfahren signalisiert und verbürgen soll,<br />
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