Blickpunkt - Linksfraktion Bremen
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SEITE 8<br />
Theater zu Gast im Haus des Reichs<br />
Viele werden es mitbekommen haben: Das Theater war zu Gast im Haus des Reichs, und nicht nur<br />
irgendein Theater, nein, es war die Shakespeare Company, die diverse Plätze und Zimmer des Hauses<br />
in Beschlag genommen hatte. Diesmal aber nicht, um alten Geschichten neues Leben einzuhauchen,<br />
sondern um die neueste Geschichte wahrhaft zu erzählen. Ich habe aus zuverlässigster Quelle<br />
gehört, dass ein Besuch unbedingt lohnenswert ist und es nach den Sommerferien mit den Aufführungen<br />
auch noch weitergehen soll. Daher möchte ich es unseren Lesern noch einmal ans Herz legen<br />
diese Veranstaltung zu besuchen:<br />
„Im Lager hat man auch mich zum Verbrecher gemacht“<br />
Freispruch für eine Ausschwitz-Aufseherin?<br />
Die obere Marmorhalle als Theatersaal – ein ungewohnter Anblick für die Kolleginnen und Kollegen,<br />
die nach Büroschluss zum Ausgang eilen. Vor Zimmer 213 drei niedrige Podeste, die als Bühne<br />
dienen. Durch die Tür werden die Schauspieler auf und wieder abtreten. Die Halle verwandelt<br />
sich im Laufe des Abends in einen Verhörraum und die Zuschauer werden dabei zu Zeugen eines<br />
Verfahrens, das schon im Jahr 1948/49 kontrovers diskutiert wurde - der Fall von Margarete Ries,<br />
Aufseherin im Vernichtungslager Auschwitz.<br />
Wie im letzten Jahr der Schwurgerichtssaal im Gerichtshaus, fungiert seit April diesen Jahres das<br />
Haus des Reichs als Spielstätte – Schauplatz eines schon damals umstrittenen Verfahrens, das mit<br />
einer Mordanklage begann und mit einem Freispruch endete.<br />
Das Stück, das kein Theaterstück sein will, aber auch keine Lesung, gehört zu der bundesweit einmaligen<br />
Projektreihe „Aus den Akten auf die Bühne“. Seit 2007 entstehen in Kooperation der Universität<br />
<strong>Bremen</strong> mit der Bremer Shakespeare Company Theaterprojekte zu Themen aus der bremischen<br />
Geschichte.<br />
An Originalschauplätzen wird jeweils ein Fall aufgerollt. Doch die Texte hat niemand erfunden, sie<br />
sind echt: die Schauspieler tragen aus Originaldokumenten vor. Fundort: Bremer Archive. Die<br />
Quellen: Akten, Verhörprotokolle, Zeugenaussagen, Gutachten, Urteilsbegründungen.<br />
Der „Fall“: Bremer Hauptbahnhof im Januar 1948. Feiga Berkmann, Auschwitz-Überlebende, ist<br />
auf der Durchreise in die Vereinigten Staaten. Im Gedränge erkennt sie ihre ehemalige Peinigerin<br />
aus dem KZ und ruft die Polizei. Es kommt zur Verhaftung. Die junge Frau wirft Ries vor, als Kapo<br />
„Gretel“ Häftlinge gequält und erschlagen zu haben, darunter ihre eigene Schwester Rosa.<br />
Im Haus des Reichs, damals Kommandozentrale der amerikanischen Besatzung, werden die Ermittlungen<br />
aufgenommen. Über ein Jahr lang wird Ries verhört. Es ist kein einfacher Fall: Die Kapos,<br />
selbst Häftlinge, bildeten die unterste Stufe des Bewachungssystems der Lager. Da ihr nicht nachgewiesen<br />
werden kann, dass sie „aus politischen Gründen“ gehandelt hat, und Belastungszeugen nicht<br />
mehr persönlich vorgeladen werden können, wird sie am Ende als „nicht belastet“ frei gesprochen.<br />
„Der Fall Margarete Ries zeigt eindringlich das Nebeneinander und die Vermischung von Opfer-<br />
und Täter-Sein eines Kapos“, sagt Eva Schöck-Quinteros, Leiterin des Projekts an der Universität<br />
<strong>Bremen</strong>. „Die Dokumente zeigen ein vielschichtiges Bild von Ries“, sagt Studentin Frederike Buda.<br />
„Die heutige Generation fragt sich, ob sie nicht doch Handlungsspielräume gehabt hätte. Aber<br />
das ist eine Frage, die schwierig zu beantworten ist.“<br />
Nach der Sommerpause sind weitere Vorstellungen im Haus des Reichs geplant! Kartenvorverkauf<br />
über die Shakespeare Company.<br />
Näheres unter http://www.sprechende-akten.de/<br />
AUSGABE JUNI 2012