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Prof. DDr. Wolfgang ROHRBACH1 PATIENTENSICHERHEIT UND ...

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<strong>Prof</strong>. <strong>DDr</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>ROHRBACH1</strong><br />

<strong>PATIENTENSICHERHEIT</strong> <strong>UND</strong> PATIENTENRECHTE IM SPIEGEL DER<br />

PERSONENVERSICHERUNG<br />

Abstract<br />

UDK: 368:616-052<br />

Eingereicht: 8. 3. 2012.<br />

Angenommen: 16. 3. 2012.<br />

Wissenschaftliche Kontroverse<br />

Maximaler Ressourceneinsatz für Krankenbehandlung und Pflege sind nicht<br />

gleichzusetzen mit einem Optimum an Patientensicherheit. Auch die Rechtslage der<br />

Patienten iB auf Versicherungsschutz ist in einer wachsenden Zahl von Fällen<br />

unklar. Es mehren sich die Fälle , dass Menschen mit schwersten<br />

Gesundheitsstörungen keinerlei Rechtsanspruch auf Leistungen aus ihrer<br />

gesetzlichen und (ergänzenden) privaten Kranken- oder Unfallversicherung haben,<br />

weil diese Leiden nicht dem versicherungsrechtlichen Krankheits- oder Unfallbegriff<br />

entsprechen. Wer im Fall schwerer unheilbarer Krankheiten, oder nach Unfällen mit<br />

Dauerinvalidität bzw. bei Pflegebedürftigkeit sowie Berufsunfähigkeit in Sinne von<br />

höchster Patientensicherheit zu Versicherungsleistungen kommen will, muss sich<br />

heute immer öfter auch der Lebensoder Unfallsparte bedienen. Da aber niemand a<br />

priori sagen kann, welche Art von Gesundheitsstörung ihn treffen wird, sollte der<br />

Abschluss von Personenversicherungen für den Kunden/Patienten kein Lotteriespiel<br />

sein. Da die Kranken-, Unfall- und Lebensversicherung artverwandte Sparten sind,<br />

wäre es im Sinne maximaler Patientensicherheit bzw Absicherung der<br />

Patientenrechte sinnvoll, Kombiprodukte aus Lebens-, Kranken- und<br />

Unfallversicherung mit gemeinsamen Versicherungssummen zu entwickeln, die im<br />

Überschneidungsbereich der versicherbaren Gesundheitsstörungen jene Leistungen<br />

bieten, die der Versicherte im Fall des Falles gerade benötigt.<br />

Schlüsselwörter: Behandlungsbedarf, Heilbehandlung, Hilfsbedürftigkeit,<br />

Krankheit, Pflegefall, Sicherheitsmängel<br />

1. EINLEITUNG<br />

Der Titel des vorliegenden Beitrages mag im ersten Augenblick ungewöhnlich<br />

erscheinen. Bei näherer Betrachtung wird jedoch offensichtlich, dass eine Reihe von<br />

Gesundheits-Dienstleistungen, welche die Patienten in Anspruch nehmen, nicht im<br />

Leistungskatalog der Krankenversicherer enthalten sind.<br />

Kunden, die - meist in Ergänzung zur Basisleistung der Sozialversicherung -<br />

Eigenvorsorge betreiben und sich privat krankenversichern lassen, sind der<br />

1 Staatsuniversität Wien, e-mail: consult@uniqa.rs.


Meinung, damit jenes Höchstmaß an Sicherheit gekauft zu haben, die bei jeder<br />

mittleren und größeren Gesundheitsstörung für rasche und beste medizinische Hilfe<br />

aufkommt. Es gibt jedoch drei Gruppen von Fehlsteuerungen und/oder<br />

Unzulänglichkeiten, welche negative Auswirkungen auf die Patientensicherheit<br />

haben:<br />

A) Die im Bereich der Gesundheitsdienstleister (Spitäler, Gesundheitszentren,<br />

Ordinationen, Geriatrische Zentren etc) selbst liegenden Qualitätsmängel,<br />

Fehlverhalten und Fehlsteuerungen.<br />

B) Das dem heutigen Bedarf nicht (ausreichend) entsprechende Netz an<br />

Versicherungskombinationen und Bausteinen.<br />

C) Mangelndes Gespür für Eigenverantwortung und -verantwortlichkeit. Der<br />

Ausweg aus dieser „Sackgasse" läuft über Gesundheitsförderung. Sie beschreibt den<br />

Prozess der Befähigung von Menschen, ihre Kontrolle über Determinanten der<br />

Gesundheit zu erhöhen und somit die eigene Gesundheit zu stärken. Dabei werden<br />

nicht nur das Verhalten des Einzelnen, seine Kenntnisse und Fertigkeiten fokussiert,<br />

sondern auch soziale, ökonomische und ökologische Umweltbedingungen.<br />

Gesundheit wird dabei in einer ganzheitlichen Sichtweise als körperliches,<br />

psychisches und soziales Wohlbefinden definiert. 2 Da mit fortschreitender<br />

demografischer Alterung der europäischen Bevölkerung die Krankheitshäufigkeit,<br />

Altersinvalidität, Pflegebedürftigkeit usw. steigt und damit automatisch der Bedarf<br />

an entsprechenden Versicherungen, stehen die Personenversicherer vor einer großen<br />

Herausforderung.<br />

Der Verfasser des vorliegenden Beitrages ist der Meinung, dass die These des<br />

„Sechsten Kondratiew" Zyklus 3 , wonach im 21. Jh. das meiste Geld für Gesundheit<br />

ausgegeben wird, durch Sparprogramme nicht behoben werden kann. Von größter<br />

Wichtigkeit dürfte vielmehr sein, dass die Ressourcenvergeudung in Form von<br />

Doppel- und Mehrfachbefundungen, unnötigen Operationen usw. eingedämmt<br />

wird.<br />

2. <strong>PATIENTENSICHERHEIT</strong> - PATIENTENRECHT DEFINITION <strong>UND</strong><br />

FUNKTIONEN<br />

Es gibt gesetzlich verankerte Sicherheiten für Patienten und solche, die von<br />

Patientenorganisationen ausgehandelt oder sogar erkämpft wurden, so dass sie als<br />

„Gepflogenheit" oder auf Vereinbarungsbasis existieren.<br />

2.1 Patientensicherheit<br />

Sie umfasst medizinische, pflegerische, diätetische, architektonische,<br />

versicherungstechnische, kommunikationsorientierte, finanzielle und logistische<br />

Maßnahmen zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse, die zum Schaden der<br />

2<br />

Rohrbach, <strong>Wolfgang</strong>. Dreiteiliger Gesundheitsservice statt Krankenversorgung für Senioren, Gesundheits- Oeconomica Herbst 2011/Schriftenreihe<br />

der Österreichischen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, S 82<br />

3<br />

Nefiodow. Leo A. (1999). Der sechste Kondratieff, Rhein-Sieg Verlag,S 5.


Patientin/ des Patienten führen können. In der Literatur existiert der Begriff des<br />

unerwünschten Ereignisses"; eines Vorfalls, der eher durch die Behandlung einer<br />

Erkrankung als durch den Krankheitsverlauf geprägt ist. 4 Eine Untergruppe der<br />

„unerwünschten Ereignisse" sind die „vermeidbaren unerwünschten Ereignisse",<br />

also Schäden, die aufbehebbare oder umgehbare Fehler zurückgehen. Dazu gehören<br />

nicht nur individuelle Fehler eines Arztes, sondern auch Fehler des übrigen<br />

Behandlungsteams und Planungs-, Berechnungs- oder Zuordnungsfehler der<br />

Verwaltungen, Versicherer (z.B. ungerechtfertigte Ablehnung einer<br />

Versicherungsleistung). Ziel aller Aktivitäten im Bereich der Patientensicherheit ist<br />

es, Schäden für Patient/Inn/en und zu verhindern und einen Kulturwandel<br />

herbeizuführen (weg von „blame and shame" hin zu einer neuen Sicherheitskultur).<br />

Leider gibt es in manchen Standesvertretungen der Gesundheitsberufe Widerstand<br />

gegen dringend notwendige Strukturreformen. So wurde im Südwestdeutschen<br />

Rundfunk das Fehlen eines Ärzte-TÜV (gesetzlich vorgeschriebenes technisches<br />

Überprüfungsverfahren) mit folgenden Worten beanstandet: „Jeder Teekessel, jedes<br />

Moped und jedes medizinische Gerät wird bei uns regelmäßig überprüft. Ein Arzt<br />

aber behält ein Leben lang die Lizenz zum Schneiden, Spritzen und Therapieren und<br />

wird nie wieder geprüft. Weiterbildung ist keineswegs selbstverständlich. Viele<br />

Ärzte und Spitalsverwalter halten daher an den alten Methoden fest, die sie kennen,<br />

anstatt neue zu lernen." 5 Man denke etwa an den Einsatz moderner<br />

Kommunikationsmittel und -strategien. Patientensicherheit ist somit das Produkt<br />

aller Maßnahmen in Klinik, Arztpraxis und anderen Einrichtungen der<br />

Gesundheitsversorgung, die darauf gerichtet sind, Patienten vor vermeidbaren<br />

Schäden in Zusammenhang mit der Heilbehandlung zu bewahren. Die<br />

Patientensicherheit ist ein Bestandteil der Qualitätssicherung in der Medizin, im<br />

Krankenhaus- und Versicherungsmanagement. 6<br />

2.2 Patientenrechte<br />

Unter Patientenrechten versteht man die Rechte von Patienten gegenüber Ärzten<br />

und anderen Heilbehandlern im Gesundheitswesen.<br />

In Österreich können sich Patienten im wesentlichen auf folgende<br />

Patientenrechte berufen:<br />

4<br />

Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung/ www.hauptverband.at/../ cms Windows 8.2.2009.<br />

5<br />

SWR Fernsehen vom 17.1. 2008 22h zum Thema Patientensicherheit.<br />

6<br />

Vgl. dazu die österreichische Regelung in § 2 Z 4 Gesundheitsorganisationsgesetz.


Recht<br />

informiert zu werden<br />

gewissenhaft betreut zu werden<br />

vor einer Heilbehandlung bzw.<br />

vor operativen Eingriffen (auch<br />

„kleinen") gefragt zu werden, ob<br />

man damit einverstanden ist<br />

auf menschliche Würde und<br />

Anerkennung der Mündigkeit<br />

dass die behandelnden Personen<br />

bzw. die Verwalter der<br />

Krankendaten anderen gegenüber<br />

verschwiegen bleiben<br />

Gesetzesgrundlage<br />

Ärztegesetz<br />

Ärztegesetz<br />

Zustimmungserklärung,<br />

Strafgesetzbuch, Krankenanstaltengesetz<br />

Staatsgrundgesetz, Allgemeines<br />

Bürgerliches Gesetzbuch<br />

Datenschutzgesetz, Ärztegesetz<br />

auf soziale Hilfeleistung<br />

medizinische Fehlleistungen<br />

anzuzeigen bzw. anzuklagen<br />

medizinische Fehlleistungen<br />

anzuzeigen bzw. anzuklagen<br />

Körperverletzungen, Quälereien,<br />

Vernachlässigungen usw.<br />

anzuzeigen<br />

auf Erste Hilfe<br />

auf soziale Hilfestellung vor<br />

Entlassung aus dem Krankenhaus<br />

auf Hilfe bzw. Rat durch den<br />

Ombudsmann<br />

Aufklärung, vor ärztlicher<br />

Behandlung<br />

das Recht auf eine Zweitmeinung<br />

bei gesetzlicher<br />

Krankenversicherung (außer in<br />

besonderen Versorgungsformen)<br />

das Recht den Arzt zu wechseln<br />

(eingeschränkt in besonderen<br />

Versorgungsformen und bei<br />

Zahnersatz)<br />

Strafgesetz, Ärztegesetz,<br />

Krankenanstaltengesetz<br />

diverse Sozialhilfegesetze der<br />

Bundesländer<br />

Menschenrechtskonvention,<br />

Staatsgrundgesetz<br />

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch,<br />

Menschenrechtskonvention, Ärztegesetz<br />

diverse Sozialhilfegesetze der<br />

Bundesländer<br />

Krankenanstaltengesetz<br />

diverse Sozialhilfegesetze der<br />

Bundesländer<br />

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch,<br />

Menschenrechtskonvention, Ärztegesetz<br />

Arztegesetz<br />

Ärtzegesetz


) In Deutschland haftet der Arzt bei Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflichten<br />

seinem Patienten unter dem Gesichtspunkt der Arzthaftung. 7 In Österreich gibt es in<br />

jedem Bundesland eine unabhängige Patientenvertretung oder<br />

Patientenanwaltschaft, die als Serviceeinrichtung für Fragen und Beschwerden zur<br />

Verfügung steht und bei Verdacht auf Behandlungsfehler (Kunstfehler) rechtliche<br />

Unterstützung bietet. In psychiatrischen Abteilungen haben Betroffene, die gegen<br />

ihren Willen untergebracht werden, einen auf Basis des Unterbringungsgesetzes<br />

tätigen Patientenanwalt, der sie gegenüber der psychiatrischen Abteilung und im<br />

Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz vertritt.<br />

c) In Großbritannien regelt das Gesetz Mental Capacity Act 2005 seit April 2007<br />

diese Fragen. 8<br />

2.2.1 Zustimmung<br />

Ist der Patient nicht in der Lage, über seine Behandlung zu entscheiden,so ist<br />

nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts aus dem Jahre 2009<br />

grundsätzlich ein gesetzlicher Betreuer zu bestellen. Dieser hat sich dabei an eine<br />

eventuell erstellte Patientenverfügung zu halten. Ansonsten ist der mutmaßliche<br />

Wille" des Patienten zu ermitteln. In Ausnahmefällen kann die Behandlung auch<br />

gegen den Willen des Patienten erfolgen, wenn psychisch Kranke eine Gefahr für<br />

sich oder andere darstellen. Diese Zwangsbehandlung ist in Österreich in einem<br />

Bundesgesetz (Unterbringungsgesetz) besonders geregelt.<br />

3. FÖRDERUNG <strong>UND</strong> VERLETZUNG VON <strong>PATIENTENSICHERHEIT</strong><br />

Nur laufende Qualitätskontrollen und Optimierungsprojekte schützen dauerhaft vor<br />

Einbußen des Erreichten und ermöglichen ein Anpassung an den Fortschritt.<br />

3.1 Förderung<br />

Die Tatsache, dass es in Deutschland und Österreich in etlichen Bereichen einen<br />

Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung gibt, wirkt<br />

sich stimulierend auf das Qualitätsniveau aus. Die Krankenversicherer zahlen,<br />

jedoch nicht alles und nicht überall. „Wer zahlt schafft an!" besagt ein altes<br />

Sprichwort. Die Qualitätssicherung der Krankenversicherung (privat und staatlich)<br />

umfasst die Vorgabe qualitätssichernder Maßnahmen in Form sog.<br />

Anforderungsprofile für (Privat)Patienten. Wer sie nicht oder nur teilweise befolgt,<br />

erhält keine oder eine reduzierte Honorierung. In Extremfällen errichten die<br />

Krankenversicherer eigene Gesundheitszentren und Spitäler. Auf diese Weise<br />

7<br />

Ulsenheimer, Klaus. (2008) „Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Stärkung der Patientenrecht"- brauchen wir eine Patientencharta?", Festschrift 10<br />

Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht, Deutscher Anwaltverlag, Bonn, S. 121-135.<br />

8<br />

Pfändler, Kur.t (2007) Die Rechte der Patienten. 3. Auflage. Zürich, S 23.


konnte die private Krankenversicherung im Verbund mit anderen<br />

Interessenvertretungen bannbrechende Erfolge im Kampf um verbesserte<br />

Patientensicherheit und -rechte erzielen. Mit gewissen Anreizen wie kostenloses<br />

oder stark verbilligtes „Schnupperwochenende" in Wellneshotels oder<br />

Gesundheitsfarmen, „Belohnungen für Gesundbleiben" ziehen die Versicherer ihre<br />

Klientel in aktive Gesundheitsförderungsprogramme ein. 9<br />

Sowohl die gesetzliche als auch private Krankenversicherung sind bedeutende<br />

Kostenträger, die sich im Streben nach einer kostengünstigen Gesundheitssicherung<br />

für die Bürger, laufend an die neuesten wirtschaftlichen, medizinisch-technischen<br />

und demografischen Erkenntnisse und Rahmenbedingungen anpassen müssen.<br />

Veranlagung, Umwelt, Arbeit, Medizin und vor allem der individuelle Lebensstil<br />

beeinflussen unsere Gesundheit maßgeblich. In diesem Sinn wurde in Österreich mit<br />

der Gesundheitsreform 2004/05 eine entscheidende Weichenstellung mit folgenden<br />

Grundsätzen vorgenommen:<br />

- Vorsorge vor Behandlung<br />

- ambulant vor stationär<br />

- Rehabilitation vor Pfleg 10<br />

Der Fokus der Qualitätsstrategie liegt primär auf dem Prozess der<br />

Leistungserbringung. Weitere Gebiete wie Health Technology Assessment (HTA) im<br />

Zusammenhang mit dem Zulassungsprozess von wirksamen, zweckmäßigen und<br />

wirtschaftlichen Leistungen und den damit Verbundenen Diskussionen hinsichtlich<br />

HTA-Institut werden verfolgt und deren Entwicklungen in den Umsetzungsarbeiten<br />

berücksichtigt.<br />

3.2 Verletzungen und Verstöße (Statistiken und Beispiele)<br />

Trotz großer Bemühungen bleibt die moderne Medizin stör- und fehleranfällig,<br />

wie deutsche Studien und Statistiken beweisen. Im April 2005 wurde als<br />

gemeinsame Initiative von Vertretern der Gesundheitsberufe, ihrer Verbände und<br />

der Patientenorganisationen das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS)<br />

gegründet, um eine gemeinsame Plattform zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />

in Deutschland aufzubauen. 11 Der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung<br />

der Entwicklung im Gesundheitswesen legte 2007 eine Auswertung von 184 Studien<br />

vor. 12<br />

Diese Auswertung ergab für den Krankenhausbereich eine jährliche Frequenz<br />

von 5 bis 10% unerwünschter Ereignisse, 2 bis 4% Schäden, 1% Behandlungsfehler<br />

und 0,1% Todesfälle, die auf Fehler zurückgehen. Bei jährlich 17 Millionen<br />

Krankenhauspatienten entspricht dies 850.000 bis 1,7 Mio unerwünschten<br />

Ereignissen, 340.000 Schäden, 170.000 Behandlungsfehlern und 17.000 auf<br />

vermeidbare unerwünschte Ereignisse zurückzuführende Todesfälle. Die nationalen<br />

9<br />

siehe MedUNIQA Gesundheitsportal: Gesundheit und Medizin/www.meduniqa.at vom 1.2.2012.<br />

10<br />

Rohrbach, <strong>Wolfgang</strong>. „Die gesetzliche Sozialversicherung im Überblick", BÖV-Versicherungshandbuch, 12. Lieferung, Verlag Österreich, Wien<br />

2011, S 37.<br />

11<br />

www.aktionsbuendnis-patientensicherheit, 7.Sept. 2011.<br />

12<br />

12. Febr. 2010/ www.aerzteblatt.de/archiv/67632.


und internationalen Bemühungen unter dem Stichwort „Patientensicherheit" 13 zielen<br />

darauf hin, die Europäischen Gesundheitssysteme für die PatientInnen, aber auch<br />

für die MitarbeiterInnen in den Einrichtungen sicherer und transparenter zu<br />

machen. Das ist ein großes Plus! Verantwortliche im Gesundheitsbereich begegnen<br />

nämlich zunehmend komplexeren Herausforderungen, bei denen insbesondere die<br />

Themen Sicherheit, Qualität, Führungsund Steuerungswissen sowie<br />

medizinrechtliche und ethische Rahmenbedingungen eine maßgebliche Rolle<br />

spielen.<br />

Für die Gesundheitspolitiker der Schweiz sind Krankenversicherer am ehesten<br />

geeignet, auf Basis einer vernetzt aufgebauten Qualitätsstrategie ein Maximum an<br />

Patientensicherheit im Gesundheitswesen zu bieten. Die Grundlage für die<br />

Umsetzung der Qualitätsstrategie ist in der Schweiz das<br />

Krankenversicherungsgesetz (KVG) und betrifft den Bereich der<br />

Leistungserbringung im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung,<br />

wobei Schnittstellen mit anderen Sozialversicherungen verfolgt und wenn angezeigt<br />

nach Möglichkeit harmonisiert werden. 14 Im Sinne des KVG wird die<br />

Qualitätssicherung grundsätzlich als integraler Bestandteil der Leistungserbringung<br />

erachtet und umfasst alle im Gesetz genannten Leistungserbringer.<br />

3.3 Sicherheitsmängel im Pflegebereich/Gewalt gegen Patienten<br />

Mangelnde Qualität und Qualitätskontrolle im Spital sind die Ursache<br />

alljährlicher verhängnisvoller Fehler in medizinischer Versorgung, Pflege und<br />

Umgang mit Patienten. Ein anderer Sektor der Maßnahmen zur Patientensicherheit<br />

erfordert, betrifft die vielfach kritisierte Überversorgung meist von Privatpatienten<br />

(jung wie alt), denen oft eine Unterversorgung nicht zusatzversicherter Behinderter<br />

bzw geriatrischer Pflegefälle gegenübersteht. Die eine finanzstarke Gruppe sieht sich<br />

einer Kette von kostenintensiven ärztlichen Eingriffen ohne ersichtlichen Nutzen für<br />

Patienten gegenüber, während die zweite Gruppe oft eine tiefgehende<br />

Diskriminierung in Pflegeeinrichtungen erfährt. Sicherheit ist in den allermeisten<br />

Bereichen des Lebens selbstverständlich. Ausgerechnet bei der Versorgung<br />

chronisch kranker und pflegebedürftiger Menschen ist sie es nicht immer und<br />

überall gewährleistet, wie Berichte über schlechte Pflege (Druckgeschwüre,<br />

Unterernährung, Flüssigkeitsmangel, Depressionen), spektakuläre<br />

Behandlungsfehler, kontaminierte Infusionsflaschen und Hygienemängel in<br />

Krankenzimmern zeigen. 15<br />

3.3.1 Die Begriffe Pflegebedürftigkeit" und „Pflegeskandal"<br />

Pflegebedürftigkeit bezeichnet einen Zustand, in dem eine Person durch eine<br />

Krankheit oder Behinderung dauerhaft außertande ist, alltäglichen Aktivitäten und<br />

13<br />

Barbara Hoffmann, Julia Rohe, Patientensicherheit und Fehlermanagement: Ursachen unerwünschter Ereignisse und Maßnahmen zu ihrer<br />

Vermeidung, Dtsch Arztebl Int 2010; 107(6): 92-9; DOI: 10.3238/ arztebl.2010.0092.<br />

14<br />

Schweizerisches Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung /KVG.<br />

15<br />

Ridder, Michael, Interview zum Thema Pflegemängel: „Skandalöse Zustände" 1. Juli 2011, www. gesundheitsberater-berlin.de/pflegemaengel.


Verrichtungen selbstständig nachzugehen und deshalb Hilfe zur Bewältigung der<br />

daraus resultierenden Defizite benötigt. Das können Maßnahmen der Hilfestellung<br />

(Assistenz), hauswirtschaftliche oder pflegerische Unterstützung sein. Diese werden<br />

häufig durch Angehörige übernommen, darüber hinaus erbringen Fachkräfte der<br />

professionellen ambulanten Pflegedienste oder Pflegeheime solche Leistungen. 16<br />

Das Wort Pflegebedürftigkeit ist nicht nur für die Altenpflege wichtig, obwohl<br />

Alter einer der gravierendsten Faktoren ist, die dazu beitragen. Kranke Kinder,<br />

Behinderte oder mehrfach Erkrankte können damit konfrontiert sein. Die Definition<br />

geht von vernachlässigten Berufspflichten des Pflegepersonals und deren<br />

administrativer Leitung gegenüber Patienten und pflegebedürftigen Personen<br />

ebenso aus wie von systematisch herbeigeführten Schädigungen von Patienten in<br />

Kliniken, Altenheimen bzw. von Kunden in der ambulanten Pflege. In Schlagzeilen<br />

der Zeitungen und Medien wird das Wort nicht einheitlich verwendet. Es kann sich<br />

dabei um Einzeltaten oder um einen wiederholt auftretenden gravierenden Mangel<br />

in einer Institution handeln. Dabei wird in vielen Artikeln damit gleichzeitig die<br />

Vorstellung verbunden, dass die jeweilige Institution nicht alles ihr Mögliche getan<br />

hat, um diese massiven Pflegefehler bzw. die Straftaten zu verhindern. 17 Es geht bei<br />

diesem Begriff also um das Zusammentreffen von individuellem und kollektivem<br />

Fehlverhalten, das in der Öffentlichkeit Zweifel auslöst, ob die pflegerische<br />

Einrichtung nicht gerade das Gegenteil der Fürsorglichkeit bewirkt, die von ihr<br />

erwartet und von ihr in der Regel auch geleistet wird. Besonders chronisch Kranke<br />

und Senioren fallen derartigen Missständen leicht zum Opfer, da sie in einem<br />

besonders ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis zum Pflegepersonal stehen. Wenn<br />

sie auf sich allein gestellt sind und keine Angehörigen oder Betreuer für sie aktiv<br />

werden, könnten Vernachlässigung oder gar Straftaten ihnen gegenüber unentdeckt<br />

bleiben. Sie selbst rufen meist nicht die Polizei und klagen nur selten vor Gericht.<br />

An Demenz erkrankte Personen, die seit dem Jahr 2000 über sechzig Prozent der<br />

Bewohnerschaft von Pflegeheimen ausmachen, stehen einem eventuellen<br />

Fehlverhalten der pflegenden Institution und des Personals besonders hilflos<br />

gegenüber. Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass nicht irgendwo in Mitteleuropa über<br />

Fälle von massiven Mängeln oder gar Verbrechen in einem Altenheim, einer Klinik<br />

berichtet wird. Parallel dazu floriert die Spitzenmedizin und lässt oft die Not<br />

unterversorgter Patienten vergessen. Wie kann in hoch entwickelten Kulturstaaten<br />

ein derartig intensiver Abbau bzw. Mangel an menschlicher Zuwendung in<br />

Spitälern, Pflegeheimen etc (neben „perfekter Apparatemedizin") erfolgen?<br />

3.4 Strukturelle Defizite<br />

Es gibt strukturelle Defizite im Gesundheitswesen. Als Hauptursache dafür wird<br />

im Pflegebereich am häufigsten ein chronischer Personalmangel genannt: Während<br />

16<br />

wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition pflegebeduerftigkeit 11.11.2011.<br />

17<br />

40 strukturelle Defizite im Gesundheitswesen. Personalmangel und keine persönliche Zuwendung/www. suite 101.de/content/pflegeskandal<br />

25.3.2010.


es in früheren Jahren zu wenige ausgebildete Pflegekräfte im deutschen Sprachraum<br />

gab („Pflegenotstand"), so werden heute meist zu geringe Personalzuweisungen<br />

(„Personalschlüssel") als Folge einer unzureichenden allgemeinen Finanzierung des<br />

Gesundheitswesens für Mängel in der Pflege verantwortlich gemacht. In diesen<br />

Bereich gehört auch die Diskussion um das Schlagwort Sozialabbau.<br />

Gelegentlich greift die Heimaufsicht bei bereits bekannten Mängeln aber zu spät<br />

ein. 18 Darüber hinaus dürfen laut Heimgesetz in Pflegeheimen bis zur Hälfte der<br />

Mitarbeiter fachlich unausgebildete Pflegepersonen sein. Dies und die häufig geltend<br />

gemachte ungenügende fachliche Anleitung dieser Pflegehelfer durch ausgebildetes<br />

Personal führt nicht selten zu einer Verringerung der Qualität in der Pflege. Wenn<br />

beispielsweise in Pflegeheimen Menschen Druckgeschwüre ertragen müssen, die<br />

fachlich falschen Lagerungen geschuldet sind (Dekubitus), ist dafür möglicherweise<br />

die zeitliche und fachliche Überforderung des Personals die Ursache. Deswegen<br />

werden in der Regel nicht einzelne Pflegekräfte beschuldigt, sondern Juristen<br />

sprechen von einem Organisationsversagen, wenn die Institution zu geringe<br />

Vorsorge gegen derartige Fehlleistungen trifft. Vergleichbar wurde in den<br />

vergangenen Jahren durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherungen in<br />

Berichten zur Pflegequalität bemängelt, dass zu viele Menschen in Pflegeheimen<br />

unterernährt seien oder zu wenige Getränke zugeführt bekämen. 19 Immer wieder<br />

berichten Pflegekräfte oder Angehörige auch von alten Menschen, die mangels<br />

Personal viele Stunden in ihrem Kot und<br />

Urin liegen müssen, oder von Personen, die ohne richterlichen Beschluss in ihren<br />

Betten angebunden („fixiert") werden, eine Handlungsweise, die juristisch gesehen<br />

den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt. Da die jeweilige Heimleitung davon<br />

eigentlich Kenntnis haben muss, kann sie nicht ohne weiteres den einzelnen<br />

Pflegenden hierfür die juristische Schuld zuweisen.<br />

4. VERSICHERUNGSTERMINOLOGIE: DER TEUFEL STECKT IM DETAIL<br />

Die umgangs sprachlichen Begriffe „Krankheit" und „Unfall" weichen stark von<br />

den versicherungsjuristischen Definitionen ab. Meist erfährt dies der Kunde aber<br />

erst im Schadenfall, wenn Versicherungsleistungen abgelehnt werden. Der Mangel<br />

an Detailwissen über diese Zusammenhänge hat mehrere Ursachen:<br />

- Ein großer Teil der Kunden ist mit der Lektüre der versicherungsjuristischen<br />

Formulierungen in Bedingungen und Tarifbeschreibungen überfordert.<br />

- In Beratungsgesprächen wird zu wenig darauf Bezug genommen, „wann kein<br />

Versicherungsschutz gegeben ist".<br />

- Die Produktwerbung vieler Versicherer bedient sich der Umgangssprache und<br />

erweckt damit oft falsche Vorstellungen.<br />

18<br />

„40 strukturelle Defizite im Gesundheitswesen. Personalmangel und keine persönliche Zuwendung, www. suite 101.de/content/pflegeskandal<br />

25.3.2010.<br />

19<br />

Baldia, Patrick, a.a.O K13.


4.1 Zwei markante Unfall-Beispiele<br />

Der rüstige Berufschauffeur und Hobbybergwanderer P. M. war schon 58 Jahre<br />

alt, als er, der bisher keine Eigenvorsorge betrieben hatte, sich entschloss, eine<br />

private Unfallversicherung auf 200.000.-€ abzuschließen. Auf dem färbigen<br />

Unfallversicherungsprospekt stand geschrieben, dass sich auch ältere Personen bis<br />

zum 70.Lebensjahr gegen jede Art von Unfällen in Beruf und Freizeit versichern<br />

lassen können. Die Versicherung gilt weltweit und rund um die Uhr. Ab 50%iger<br />

Invalidität zahlen wir die volle Versicherungssumme.<br />

Bei einer der nächsten Bergwanderungen fühlte sich P.M. nicht wohl, wanderte<br />

aber weiter. An einer steilen Wegkrümmung verspürte er plötzlich einen<br />

krampfartigen Schmerz und Schwindel überfiel in. Er strauchelte, stürzte einen<br />

Hang hinab und zog sich so schwere Verletzungen zu, dass er zu 60% dauerinvalid<br />

blieb. Seinen Beruf konnte er nicht mehr ausüben. Aber er hatte ja seine<br />

Unfallversicherung, welche die volle Summe von 200.000.-€ zahlen sollte. Bloß diese<br />

bezahlte ihm gar nichts. Im Entlassungsbrief des Spitals stand nämlich, dass bei P.M<br />

eine Thrombose aufgetreten war, die er trotz Übelkeit ignorierte und<br />

weiterwanderte. Der Sturz war kein Unfall im versicherungsjuristischen Sinn,<br />

sondern eine Folgewirkung der Thrombose.<br />

4.1.1. Was beim Unfallbegriff zu beachten ist<br />

Der versicherungstechnische Unfallbegriff beinhaltet fünf Merkmale, die rigoros<br />

angewendet werden. Ein Unfall liegt vor, wenn die/der Betroffene durch ein<br />

plötzlich von außen auf ihren/seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis)<br />

unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Diese Definition enthält die fünf<br />

Merkmale des Unfallbegriffes: plötzlich, von außen, unerwünscht, unfreiwillig,<br />

Gesundheitsschädigung,.<br />

Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, so liegt kein Unfall im Sinne der<br />

Allgemeinen Unfallversicherungs- Bedingungen vor. 20<br />

4,1,2 Was ist ein anlagebedingter Bauch- und Unterleibsbruch?<br />

Mit dieser Formulierung kann der Großteil durchschnittlich verständiger<br />

Versicherungsnehmer nichts anfangen. Deshalb veröffentlichte unter diesem Titel<br />

der Leiter des Schadenssausschusses im Österreichischen Versicherungsverband, Dr.<br />

<strong>Wolfgang</strong> Reisinger, einen Artikel, über eine Deckungsablehnung eines<br />

Unfallversicherungsfalls. 21 Sachverhalt: Der Versicherungsnehmer verlor beim<br />

Stapeln schwerer Kisten das Gleichgewicht und stürzte auf einen aus der Kiste<br />

herausragenden Gegenstand. Dadurch erlitt er einen Narbenbruch. Zu dieser<br />

Verletzung wäre es nicht gekommen, wenn dem Versicherungsnehmer nicht im<br />

Jahre 1997 (also vor eineinhalb Dezennien!) nach einen Schiunfall die Milz hätte<br />

20<br />

Unfallbegriff- Finanzen deLexikon/www.finanzen.de/../unfallbegriff.html 8.2.2012.<br />

21<br />

Reisinger, <strong>Wolfgang</strong>. „Was ist ein anlagebedingter Bauch- und Unterleibsbruch?", AssCompact, Nr 02/2012, S 45.


operativ entfernt werden müssen. Durch diese Operation war nämlich das Gewebe<br />

im Bauchbereich über dem Nabel geschwächt. Der Unfallversicherer lehnte die<br />

Deckung unter Bezug auf folgende Bestimmung der Allg.<br />

Unfallversicherungsbedingungen (AVB) ab: „Für Bauch- und Unterleibsbrüche jeder<br />

Art wird eine Leistung erbracht, wenn sie durch eine von außen kommende<br />

mechanische Einwirkung direkt herbeigeführt worden sind und nicht anlagebedingt<br />

waren."<br />

Der Versicherungsnehmer klagte den Versicherer. Das Österreichische<br />

Erstgericht war der Ansicht, die Bestimmung des Ausschlusses sei gemäß § 915<br />

ABGB so zu interpretieren, dass unter anlagebedingten Bauch- und<br />

Unterleibsbrüchen nur angeborene oder genetisch bedingte Defekte zu verstehen<br />

seien. Unter dieser Voraussetzung wäre die Unfallversicherungsleistung zu<br />

erbringen gewesen. Gegen das Urteil erfolgte eine Berufung. Der Oberste<br />

Gerichtshof führte schließlich aus 22 , dass die Bestimmung weder unklar noch<br />

undeutlich formuliert sei und deshalb für die Anwendung des § 915 ABGB kein<br />

Raum bleibe. Die Ablehnung der Versicherungsleistung sei somit gerechtfertigt.<br />

4.2 Versicherungstechnische Unterscheidung zwischen akuten, chronischen und<br />

unheilbaren Krankheiten<br />

Einer der verhängnisvollsten Irrtümer vieler Versicherungsnehmer ohne<br />

Branchenkenntnisse liegt in der Annahme, dass die so genannten Volldeckungstarife<br />

der privaten Krankensparte für die Behandlung jeder gesundheitlichen Störung, ob<br />

akut oder chronisch, heilbar oder nicht, Leistungen erbringen. Die Definition von<br />

Krankheit und der Risikobegriff in der Krankenversicherung (etwa im Vergleich<br />

zum Pflegefall), also der Umstand von dem die Leistungspflicht des Versicherers<br />

abhängig ist, sind für den Laien schwieriger zu erfassen, als man annehmen möchte.<br />

Dieser Sachverhalt ist einerseits wegen der Leistungsausschlüsse unheilbarer bzw.<br />

chronischer Krankheiten bedeutsam, andererseits beeinflusst er in Verbindung mit<br />

dem als „Haftung des Versicherers" definierten Begriff auch die Prämie.<br />

4.2.1 Schwere Gesundheitsstörungen - kein Krankenversicherungsschutz<br />

Krankheit ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen<br />

Wissenschaft ein anomaler körperlicher oder geistiger Zustand. 23 Eine Krankheit<br />

wird aber erst durch den Tatbestand einer erforderlichen Heilbehandlung zum<br />

Krankenversicherungsfall. Heilbehandlung ist eine medizinische Behandlung, die<br />

nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft geeignet<br />

erscheint, die Gesundheit wieder herzustellen, den Zustand zu bessern oder eine<br />

Verschlechterung zu verhindern. 24 Besteht keine Chance auf Heilung oder<br />

Besserung, liegt eine chronische Krankheit oder ein Gebrechen vor. Die klassische<br />

22<br />

OGH-Urteil in 7 Ob 181/11k vom 12.10.2011.<br />

23<br />

Definition in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und KrankenhausTagegeldversicherung.<br />

24<br />

Allg. Vers. Bedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaus-Tagegeldversicherung.


Krankenversicherung erbringt im Fall chronischer Krankheiten (oder Gebrechen)<br />

ohne Chancen auf Besserung keine Leistungen. Gesundheit wird nicht etwa als<br />

Fehlen von Krankheit definiert, sondern „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen<br />

physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und besteht nicht nur im<br />

Fehlen von Krankheit und Gebrechen. 25 Die Gefahr des Eintritts des<br />

Versicherungsereignisses wird in der priv. Krankenversicherung (PKV) auch<br />

Erkrankungsmöglichkeit oder Erkrankungshäufigkeit bezeichnet. Zu beachten ist<br />

insbesondere, dass in der Sozialversicherung der Krankheitsfall bzw<br />

Versicherungsfall anders definiert wird als in der PKV. Der Krankheitsfall bzw.<br />

Versicherungsfall zählt in der Sozialversicherung vom Tag der „Krankschreibung"<br />

bis zum Tag der „Gesundschreibung", d.h. es handelt sich beim Versicherungsfall<br />

um jenen Zeitraum, in welchem der Versicherte krankheitsbedingt erwerbsunfähig<br />

ist.<br />

In der privaten Krankenversicherung (PKV) gilt ein Ereignis erst dann als<br />

Versicherungsfall, wenn Leistungen des Versicherers anfallen. Somit ist in der PKV<br />

die Krankheit nur in dem Zeitraum als Versicherungsfall anzusehen, in welchem<br />

Behandlungsbedarf besteht. In diesem Sinn wurde auch die Definition in den Allg.<br />

Versicherungsbedingungen der PKV verfasst. „Der Versicherungsfall ist die<br />

medizinisch notwendige Heilbehandlung des Versicherten wegen Krankheit oder<br />

Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung. Er endet, wenn<br />

nach medizinischem Befund die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht mehr<br />

besteht. Als Versicherungsfall gilt auch die Entbindung einschließlich der wegen<br />

Schwangerschaft erforderlichen Untersuchungen sowie die damit in<br />

Zusammenhang stehende medizinisch notwendige Heilbehandlung." Als<br />

Versicherungsfall gilt auch der Tod des Versicherten, wenn im Tarif Sterbegeld<br />

vorgesehen ist.<br />

Die meisten Versicherungsnehmer verstehen nicht, warum es für das tägliche<br />

Reinigen und Verbinden nicht heilender Wunden keine<br />

Krankenversicherungsleistung gibt; im Todesfall aber schon.<br />

4,2,2 Pflegebedürftigkeit - das unterschätzte Risiko<br />

Der Fortschritt der Medizin beschert uns nicht nur eine höhere Lebenserwartung,<br />

sondern -so paradox das klingt- auch mehr Pflegefälle. Viele schwere Krankheiten,<br />

die früher rasch zum Tod führten (Krebs, Leukämie, Schlaganfall, schwerste<br />

Unfallschäden etc) können heute in ihren Wirkungen gehemmt werden, sodass die<br />

Betroffenen etliche Jahre länger leben, allerdings als Pflegefälle.<br />

Allj ährlich werden Zehntausende schwer erkrankte oder verunfallte Menschen<br />

nach wochenlangen Spitalsaufenthalten, als unheilbare Pflegefälle entweder nach<br />

Hause entlassen, oder in Pflegeheime überstellt. Der Wirtschaftsredakteur Ronald<br />

Barazon hat die Problematik in Österreich, das als Sozialstaat gilt, analysiert, und<br />

stellt dazu fest: „Die Pfleglinge selbst und ihre Angehörigen werden kräftig zur<br />

25<br />

Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO.


Kasse gebeten. Würde es gelingen, die private Pflegeversicherung breit im Publikum<br />

zu verankern, so wäre die drohende Pflege-Krise leicht zu entschärfen. Eine ständige<br />

professionelle Pflege zu Hause kostet etwa 1500,-€ im Monat. Für einen Platz in<br />

einem Heim muss man mit 2500 bis 4000 € rechnen. Die durchschnittliche Pension<br />

der Sozialversicherung beträgt knapp 1100 € monatlich und ist somit nicht in der<br />

Lage die Pflegekosten zu decken. Bei jungen Unfallopfern fehlt die Pension oft zur<br />

Gänze. Das staatliche Pflegegeld bewegt sich zwischen 150,20 in der Stufe 1 und<br />

1655,80 € in der (höchsten) Stufe 7. Ohne eine private Pflegeversicherung sind somit<br />

die Möglichkeiten der Betroffenen rasch erschöpft." 26 Oft müssen in solchen<br />

Situationen die Angehörigen, in der Regel sind es Frauen, die Pflegebedürftigen<br />

daheim betreuen. Sie werden dadurch an der Ausübung ihres Berufes gehindert<br />

oder eingeschränkt. Sie erwerben für die Zeit der Pflegedienste auch keine<br />

Pensionsansprüche. Das kann im Extremfall (wenn z.B. eine Tochter beide Elternteile<br />

betreut) dazu führen, dass sie später in Altersarmut verfällt.<br />

Die PKV bietet seit einigen Jahren auch Versicherungsschutz für Pflegekosten in<br />

Erweiterung der AVB, wonach als Versicherungsfall die Pflegebedürftigkeit der<br />

versicherten Personen gilt. Auch in der Lebenssparte werden<br />

Pflegerentenversicherungen angeboten. Für dauerhaften Unfallinvalide gibt es in der<br />

privaten Unfallversicherung die Möglichkeit, anstelle der Versicherungssumme eine<br />

Rente zu erhalten.<br />

5. „LÖCHER" IM VERSICHERUNGSNETZ<br />

Wer die verwirrende Vielfalt der Personenversicherungsprodukte mit ihren<br />

unterschiedlichen Deckungsein- und -ausschlüssen analysiert, wird zugeben, dass es<br />

neben Unklarheiten und Unzulänglichkeiten „Löcher im Netz" des<br />

Versicherungsschutzes für Patienten/Versicherte gibt. Es mehren sich die Fälle, in<br />

denen Menschen aller Altersgruppen nach schwereren Krankheiten oder Unfällen<br />

mit irreparablen Folgeschäden weder (ausreichende) Leistungen aus der Krankennoch<br />

Unfallversicherung und auch nicht aus der Pflegeversicherung beziehen<br />

können. Vor allen in den 50+ Altersgruppen schnellte in den letzten Jahren - auch<br />

wieder mitbedingt durch den Fortschritt der Medizin - die Zahl der sog.<br />

Hilfsbedürftigen; ds mit (heute nicht mehr tödlich verlaufenden) Gebrechen<br />

Behaftete, die aber gerade noch nicht pflegebedürftig sind. Im deutschen Sozialrecht<br />

ist Hilfebedürftigkeit ein Begriff der Fachsprache. 27 Hilfsbedürftig ist, wer nicht in<br />

der Lage ist, seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den<br />

Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen aus<br />

eigenen Kräften und Mitteln ganz oder teilweise zu sichern.<br />

5.1 Kombiversicherungen mit Leistungen bei jeder schweren Gesundheitsstörung<br />

26<br />

Barazon, Ronald „Österreich bewegt sich auf eine veritable Pflege-Krise zu, die leicht vermeidbar wäre", Versicherungsrundschau, Dezember<br />

2011, S 17/18.<br />

27<br />

Er wird bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende in § 9 SGB II definiert.


Der durch die demografische Entwicklung verursachte Bedarf an kranken-,<br />

Unfall- und Alters- bzw. Pflegevorsorge erfordert neue Produktkombinationen. Der<br />

Versicherungsnehmer sollte künftig bei der Auswahl seiner<br />

Personenversicherungsprodukte kein „Lotteriespiel" mit dem Schicksal betreiben<br />

müssen und „durch den Rost fallen" , weil er chronisch und nicht akut krank ist; weil<br />

er altersinvalid und nicht unfallinvalid ist.<br />

Leistungen müssten in jedem Fall schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen<br />

erfolgen; vorübergehend oder lebenslänglich. Dazu ist aber u.a. das Ansparen eines<br />

Deckungsstocks und somit eine Kombination der Kranken- mit der Königssparte<br />

Lebensversicherung erforderlich. Die Basis könnte eine Lebensversicherung mit<br />

Berufsunfähigkeits- und Dread Disease- Bausteinen bilden. Eine reine Er-und<br />

Ablebensversicherung reicht nicht aus. Wird nämlich der Versicherungsnehmer<br />

schwer oder gar unheilbar krank, verliert er zumeist auch seinen Job bzw. benötigt<br />

Betreuung. Die klassische Krankenversicherung erbringt im Fall chronischer<br />

Krankheiten ohne Chancen auf Besserung wie erwähnt keine Leistungen. In solchen<br />

Fällen hilft aber auch die Er- und Ablebensversicherung wenig - in den meisten<br />

Fällen wird man diese sogar nicht weiterzahlen können. Die Dread-Disease-<br />

Versicherung hingegen wird sofort nach Eintritt der schweren Krankheit fällig und<br />

hilft existenzielle Sorgen zu lindern.<br />

Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung sind artverwandte Sparten.<br />

Zumindest in einigen Sektoren können sie über eine gestaffelte Versicherungssumme<br />

kombiniert werden. Je nachdem, welche (schwerere) akute oder chronische<br />

Gesundheitsstörung eintritt, leistet eine der Sparten. In manchen Situationen werden<br />

sogar Leistungen aus zwei Sparten anfallen. Aber das stört nicht. Im Gegensatz zur<br />

Schadenversicherung, wo mehrfache Leistungen gegen das vom Gesetzgeber<br />

dezidiert ausgesprochene Bereicherungsverbot verstoßen 28 , können Zahlungen in<br />

der Summenversicherung unabhängig von einem allfälligen Schaden erfolgen,<br />

weshalb es z.B. möglich ist, mehrere Unfall- oder Lebensversicherungen<br />

abzuschließen und auch mehrfach Versicherungsleistungen zu lukrieren.<br />

RESUMEE<br />

Die am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppen Europas sind die<br />

Senioren. Die Menschen - auch solche mit etlichen Krankheiten - werden immer<br />

älter; aber um den Preis steigender Inanspruchnahme medizinischer und<br />

pflegerischer Dienstleistungen. Der russische Ökonom Kondratief prognostizierte<br />

für das 21.Jh maximale Geldaufwendungen für das Gesundheitswesen. Es zeigte<br />

sich einstweilen, dass maximaler Ressourceneinsatz für Krankenbehandlung und<br />

Pflege nicht gleichzusetzen sind mit einem Optimum an Patientensicherheit. Auch<br />

die Rechtslage der Patienten iB auf Versicherungsschutz ist -bei aller Anerkennung<br />

des hohen volkswirtschaftlichen Wertes der (Kranken)Versicherung- in einer<br />

wachsenden Zahl von Fällen unklar. Es mehren sich die Fälle , dass Menschen mit<br />

schwersten Gesundheitsstörungen keinerlei Rechtsanspruch auf Leistungen aus<br />

28<br />

§ 55 des VersVG besagt, dass die Versicherungsleistung im Schadenfall nicht zur Bereicherung des Versicherungsnehmers führen darf.


ihrer gesetzlichen und (ergänzenden) privaten Kranken- oder Unfallversicherung<br />

haben, weil diese Leiden nicht dem versicherungsrechtlichen Krankheits- oder<br />

Unfallbegriff entsprechen.<br />

Wer im Fall schwerer unheilbarer Krankheiten, oder nach Unfällen mit<br />

Dauerinvalidität bzw. bei Pflegebedürftigkeit sowie Berufsunfähigkeit in Sinne von<br />

höchster Patientensicherheit zu Versicherungsleistungen kommen will, muss sich<br />

heute immer öfter auch der Lebens- oder Unfallsparte bedienen. Da aber niemand a<br />

priori sagen kann, welche Art von Gesundheitsstörung ihn treffen wird, sollte der<br />

Abschluss von Personenversicherungen für den Kunden/Patienten kein Lotteriespiel<br />

sein. Da die Kranken-, Unfall- und Lebensversicherung artverwandte Sparten sind,<br />

wäre es im Sinne maximaler Patientensicherheit bzw. Absicherung der<br />

Patientenrechte sinnvoll, Kombiprodukte aus LV, KV und UV mit gemeinsamen<br />

Versicherungssummen zu entwickeln, die im Überschneidungsbereich der<br />

versicherbaren Gesundheitsstörungen jene Leistungen bieten, die der Versicherte im<br />

Fall des Falles gerade benötigt. Auch die Investitionspolitik der Versicherer zielt in<br />

die Richtung, Gesundheitsinstitutionen zu schaffen, die in kleineren überschaubaren<br />

Sektoren (auf einem Gelände) Krankenbehandlung, akutgeriatrische Leistungen,<br />

Pflege, Rehabilitation usw. anbieten.<br />

<strong>Wolfgang</strong> ROHRBACH, PhD<br />

State University of Vienna<br />

PATIENT SAFETY AND RIGHTS IN THE MIRROR OF PERSONAL INSURANCE<br />

SUMMARY<br />

Scientific debate<br />

Medical expenses are rising faster than the costs of any other service. They are<br />

climbing at rates that exceed earlier expectations. One main reason is the increasing<br />

proportion of the elder and old people in the world population. It has to be clear that<br />

the maximum use of resources for medical treatment and care cannot be equated<br />

with an optimum patient safety. Also he legal situation of the patient's insurance<br />

coverage is unclear in a growing number of cases. There is an increasing number of<br />

cases when people with serious health problems have no legal entitlement to<br />

benefits from their legal and (supplementary) private health or accident insurance,<br />

because this disease does not comply with the insurance law term of illness or<br />

accident. If a person needs, for the highest patient safety purpose, in case of serious<br />

incurable illnesses or injuries with permanent disability or long-term care and<br />

disability, to come to insurance benefits, he actually needs to have the life or<br />

accident insurance. Since nobody cannot say what will be the nature of health<br />

problems that may befall him, concluding personal insurances for the client should<br />

not be any lottery game. Thus it is in the maximum patient safety and security of<br />

patients' right to work on developing a reasonable combination of three types of<br />

insurance products - life, health and accident insurance - as related classes of


insurance - with common sums insured, that in their common characteristics in<br />

terms of insurable health conditions provide compensation required for each specific<br />

case.<br />

The investment policy of the insurers also go towards building and creation of<br />

health institutions in smaller and clearer treatment sector (in rural areas) offering<br />

services to the acute geriatrics, nursing, rehabilitation and the like. The investment<br />

policy of the insurer is headed in the direction of creating health institutions, which<br />

offer smaller manageable sectors (on land) medical treatment, acute geriatric,<br />

nursing, services and rehabilitation.

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