Sedierung und Anästhesie bei Kindern Einleitung von Prof ... - Spitta
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<strong>Sedierung</strong> <strong>und</strong> Anästhesie <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong><br />
<strong>Einleitung</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. Dr. med. H. Hagemann, Hannover<br />
Die aus dem Ges<strong>und</strong>heitsstrukturgesetz (GSG) resultierende Aufforderung zu einer vermehrt ambulanten<br />
Versorgung, hat in der Tat die Anzahl der klinisch versorgten Patienten der "kleinen Chirurgie" drastisch reduziert.<br />
Die resultierende ambivalente Situation Kosten vs. Sicherheit muss besser bedacht werden: zwar bieten die<br />
modernen Anästhetika mit klar definierter Pharmakokinetik <strong>und</strong> -dynamik die besten Voraussetzungen für den<br />
ambulanten Einsatz, die Anwendung <strong>und</strong> Besonderheiten <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> müssen aber erlernt werden. Im ambulanten<br />
Bereich gehen angestrebte Kosteneinsparungen oft zu Lasten der Sicherheitsstandards, weil der "unbekannte"<br />
Patient versorgt wird. Einsparungspotentiale liegen weniger im medizinischen Prozedere, eher in der Optimierung<br />
der Ablauforganisation.<br />
Die spezielle Problematik - vor allem <strong>bei</strong> den ganz kleinen Patienten - wurde da<strong>bei</strong> oft übersehen <strong>und</strong>/oder<br />
ignoriert: mangelnde Sorgfalt <strong>bei</strong> der klinischen Bef<strong>und</strong>erhebung, Verzicht auf Voruntersuchungen <strong>und</strong><br />
Labordaten, Unkenntnis der Physiologie der kleinen Patienten, resultierende Besonderheiten in der<br />
Pharmakokinetik <strong>und</strong> Pharmakodynamik der Medikamente (u. a. Anästhetika), die Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der<br />
Koordination operativer <strong>und</strong> anästhesiologischer Interessen <strong>und</strong> die Einbindung in neue europäische Vorschriften<br />
führten zu unerwarteten Ereignissen <strong>bei</strong> ges<strong>und</strong>en <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> schweren Zwischenfällen <strong>bei</strong> (oft unerkannten)<br />
Risikopatienten. Aktuelle nationale <strong>und</strong> internationale Erhebungen zeigen die zunehmende "Fehlversorgung" <strong>bei</strong><br />
<strong>Kindern</strong>.<br />
Aus dieser sinkenden Qualität <strong>bei</strong> der anästhesiologischen Versorgung der Kinder - unter den Aspekten<br />
perioperative Analgesie, (objektiv) Komfort <strong>und</strong> (subjektiv) Befindlichkeit, ganz besonders unter dem Aspekt<br />
Sicherheit - haben andere europäische Gesellschaften längst Schlussfolgerungen gezogen: die ganz kleinen Kinder<br />
(FG, NG) <strong>und</strong> Risikopatienten werden ausschließlich in Zentren versorgt (1, 11). Der Zwang zu ökonomischen<br />
Gesichtspunkten ging <strong>bei</strong> uns leider vorwiegend zu Lasten der kleinen Patienten.<br />
Da<strong>bei</strong> sind die modernen Anästhetika (i.v. <strong>und</strong> volatil), das nicht-invasive Monitoring <strong>und</strong> der heutige<br />
Ausbildungsstand der Anästhesie <strong>und</strong> Chirurgie hervorragend geeignet, um die Forderung nach ambulantem<br />
Operieren zu unterstützen. Man muss nur stärker bewusst machen, dass <strong>bei</strong> der Logistik mehr einzusparen ist als<br />
<strong>bei</strong> den Patienten: es liegen reichlich Ressourcen in Ablauforganisation, Datenübermittlung <strong>und</strong> Kooperation (vor<br />
allem Kommunikation) der verschiedenen Fachbereiche, in einer umsichtigen Nutzung teurer Technik<br />
(Standardar<strong>bei</strong>tsplatz Anästhesie nach EN 740 seit 98 Pflicht) <strong>und</strong> in der Prophylaxe zur Ar<strong>bei</strong>tsplatzbelastung<br />
(Erstellung einer Ar<strong>bei</strong>tsbereichsanalyse schützt vor BG-Auflagen <strong>und</strong> damit Kosten). Ein konsequentes<br />
Qualitätssicherungssystem muss in Zukunft die geforderten <strong>und</strong> möglichen (bislang nicht f<strong>und</strong>iert belegten)<br />
Kosteneinsparungen umsetzen, aber die Gefährdung der Kinder vermeiden.<br />
Die Besonderheiten <strong>bei</strong> den Prämedikations-, <strong>Sedierung</strong>s- <strong>und</strong> Anästhesiemethoden im Kindesalter ergeben sich<br />
aus einem Problemkreis, der Logistik, Kind, Eltern, Chirurg <strong>und</strong> Anästhesisten einbindet (Abb. 1): Das Kind darf<br />
nie "der unbekannte Patient" sein; sowohl Anästhesist als auch Chirurg müssen erfahren <strong>und</strong> geduldig sein, Eltern<br />
<strong>und</strong> Kind (nach Alter) müssen aufgeklärt werden; die unterschiedlichen Verfahren (operativ/ anästhesiologisch)<br />
müssen explizit auf das Alter (Physiologie) des Kindes abgestimmt werden. Die Probleme beginnen aber bereits in<br />
der präoperativen bzw. präanästhesiologischen Phase.<br />
1
Abb. 1: <strong>Sedierung</strong> <strong>und</strong> Anästhesie <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong><br />
Präoperatives Vorgehen<br />
Bei unseren kleinen Patienten ist das präoperative Vorgehen selten Routine, da nur sehr wenige Kinder in<br />
Deutschland in pädiatrischen Zentren versorgt werden. In vielen Praxen <strong>und</strong> Ambulanzen sind Kinder daher oft der<br />
"unbekannte Patient"; es stellt sich die Frage warum?<br />
Die Untersuchung der Kinder ist zeitaufwendig <strong>und</strong> schwierig, erfordert Erfahrung <strong>und</strong> Sensibilität. Es gibt<br />
lediglich eine Fremdanamnese, die körperliche Untersuchung ist nur am kooperativen Kind möglich, Bef<strong>und</strong>e wie<br />
Rö-Thorax <strong>und</strong> EKG sind besonders <strong>bei</strong>m uneinsichtigen, unruhigen Kind oft nicht verwertbar, Labordaten sind<br />
mangels einheitlich gültiger Standards in den verschiedenen Altersklassen kaum einzuordnen, oft wird generell auf<br />
Laboruntersuchungen verzichtet (Venenpunktion = Vergewaltigung). Dieser Verzicht ist legitim, erfordert aber<br />
wiederum die suffiziente klinische Untersuchung <strong>und</strong> eine sorgfältige Anamnese. Diesen "circulus vitiosus" gilt es<br />
zu durchbrechen (Tab. 1), da die Problematik des präoperativen Vorgehens automatisch zu Problemen der<br />
Bewertung führt.<br />
Probleme der Morbiditäts-Bewertung<br />
1. Anamnese:<br />
a) ausschließlich Fremd-Anamnese<br />
b) kurz <strong>und</strong>/oder oftmals leer<br />
2. Klinische Untersuchung: schwierig<br />
→ Kontaktaufnahme<br />
→ Vertrauensbasis<br />
→ Zeit/Sensibilität<br />
3. Bef<strong>und</strong>e:<br />
Labor → fehlende päd. Normwerte<br />
Bild-Technik, EKG → unruhige Patienten, Consile → päd. anästh. Erfahrung ??<br />
Tab. 1: Problematik des präoperativen Vorgehens<br />
Mit dem bestmöglichen Stand an Information aus Anamnese, Untersuchung, Bef<strong>und</strong>ung wird der Morbiditätsgrad<br />
des Kindes eingeschätzt, interdisziplinär überlegt, ob weitere Bef<strong>und</strong>ungen erforderlich/verzichtbar sind <strong>und</strong><br />
ambulant oder stationär versorgt wird.<br />
Danach erfolgt die endgültige Aufklärung mit Schilderung der geplanten Prämedikation, nötigen Nüchternheit,<br />
Anästhesiemethoden <strong>und</strong> möglichen Risiken (Tab. 2).<br />
2
• Anamnese: eigen/fremd<br />
• Klinische Untersuchung<br />
• Bef<strong>und</strong>e + Bef<strong>und</strong>ung<br />
• Risikoeinschätzung<br />
• Aufklärung<br />
• Koordination: Nüchternheit, Bezugsperson<br />
• Prämedikation: verbal <strong>und</strong> pharmakologisch<br />
Tab. 2: Präoperatives Vorgehen<br />
↓<br />
Prämedikation<br />
Eine rein verbale Prämedikation ist <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> nur selten erfolgreich, da sie nicht in der Lage sind, das zumeist<br />
unbekannte Umfeld <strong>und</strong> Procedere einzuschätzen. Für die Wahl des Pharmakons sind eine Reihe <strong>von</strong><br />
Überlegungen wichtig (Tab. 3).<br />
Prämedikation:<br />
A. verbal?? B. pharmakologisch<br />
Wahl des Pharmakons nach:<br />
Akzeptanz<br />
Zielgebung<br />
Pharmokokinetik<br />
Pharmakodynamik<br />
Akzeptanz: oral > rektal > nasal > i.m.<br />
Ziele: <strong>Sedierung</strong>, Anxiolyse, Analgesie Vagusdämpfung, Antihistaminwirkung<br />
Möglichkeit:<br />
Midazolam auf Station → oral 0,3 mg/kg*<br />
OP-Bereich → rektal 0,5 mg/kg Pr?<br />
Brevi rektal 20 mg/kg<br />
Pr?<br />
Tab. 3: Überlegungen zur Wahl des Pharmakons<br />
*Zeit > Dosis<br />
Resultierend aus der klinischen Erfahrung <strong>und</strong> wissenschaftlichen Studien (2) bevorzugen wir ein "anxiolytisches"<br />
Kind; die Akzeptanz <strong>bei</strong>m Kind (oral > rectal > nasal > i.m.) ist <strong>von</strong> der Applikationsart abhängig. Wir haben<br />
gelernt, wie da<strong>von</strong> Pharmakokinetik <strong>und</strong> -dynamik einer Substanz beeinflusst werden, dass eine orale<br />
Prämedikation das Nüchternheitsgebot nicht aufhebt, sondern Magensaftsekretion <strong>und</strong> Säuregehalt mindert <strong>und</strong> für<br />
die Qualität der Prämedikation mit Midazolam Anschlagszeit <strong>und</strong> Wirkoptimum (oral ca. 30-45 min.) wichtiger ist<br />
als die Dosis (0,3 mg/kg bis 25 kg KG, darüber generell 7,5 mg als Tablette).<br />
Physiologie<br />
Spätestens zum Zeitpunkt der Überlegungen zu einer adäquaten Anästhesieführung inklusive An- <strong>und</strong><br />
Abflutkinetik der Medikamente, zur Volumentherapie, Beatmungsstrategie <strong>und</strong> Thermoregulation muss man sich<br />
über die "physiologischen Besonderheiten" der kleinen Patienten Klarheit verschaffen (Tab. 4).<br />
3
Tab. 4: Physiologische Besonderheiten <strong>bei</strong>m NG, Sgl, KK<br />
Die altersabhängige Größe des Extrazellulärraums (EZR) bedingt differente Verteilungen der (i.v.-) Anästhetika;<br />
in Verbindung mit der relativen Niereninsuffizienz (bis 1 1/2 Jahre), der problematischen Thermoregulation <strong>und</strong><br />
dem erhöhten Gr<strong>und</strong>umsatz resultiert daraus ein deutlich erhöhter Wasserbedarf, der perioperativ zu decken ist.<br />
Bei den Kleinsten (NG <strong>und</strong> kleine Sgl.) ist die Körpertemperatur nur über eine "aktive" Atemgasklimatisierung zu<br />
erhalten. Der "circulus vitiosus" aus Hypothermie, Hypoxie, Hypoglykämie, Acidose kann mehrere<br />
Einstiegsmöglichkeiten haben <strong>und</strong> ist sicher zu vermeiden (3).<br />
Narkoseventilatoren für die kleinen Patienten sind selten oder wenig kompatibel, obwohl gerade im Bereich der<br />
Atemphysiologie [Resistance (r 4 ), Compliance, Atemfrequenz (hohe AF = hohe Totraumventilation)] erhebliche<br />
Probleme zu erwarten sind. Das belegt auch die Literatur; anästhesierelevante Mortalität resultiert, ganz im<br />
Gegensatz zum Erwachsenen, zu über 80 Prozent aus ventilatorischen Ursachen (4). Eine längere Spontanatmung<br />
unter Bedingungen der <strong>Sedierung</strong> bzw. Anästhesie (additiv atemdepressorisch?) ist <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> deshalb auf jeden<br />
Fall zu vermeiden. Eine volatile Anästhesie-Induktion ist wesentlich <strong>von</strong> ventilatorischen Parametern abhängig<br />
(Totraumventilation, alveoläre Ventilation, Atemsteuerung).<br />
Indikationen <strong>und</strong> Konzepte<br />
Die Indikationen zur Lokal-/Leitungsanästhesie, <strong>Sedierung</strong>, Analgosedierung, Anästhesie sind aus mehreren<br />
Gründen sorgfältig - am besten interdisziplinär - zu bedenken:<br />
1. Nicht immer ist die "geringste" Einflussnahme auf vitale Parameter mit einer LA zu erzielen; <strong>bei</strong><br />
ungenügender Analgesie oder Stressexposition kommt es zur Adrenalin-Liberation des Patienten; <strong>bei</strong><br />
Risikopatienten kann das eine bedrohliche Wirkung haben.<br />
2. Die Übergänge <strong>von</strong> <strong>Sedierung</strong> ↔ Analgosedierung ↔ Anästhesie sind fließend; das liegt an einer<br />
mangelnden Definition <strong>und</strong> überlappenden Pharmakawirkungen.<br />
Beispiel Opioide: das in unterschiedlichen Hirnarealen nicht enddifferenzierte Opiat-rezeptorsystem <strong>bei</strong> den<br />
<strong>Kindern</strong> kann dazu führen, dass Atemdepression <strong>und</strong> negativ chronothrope Wirkungen vor einer Analgesie<br />
auftreten oder im Verlauf überwiegen (5).<br />
Indikationen zur Prämedikation (Anxiolyse >> <strong>Sedierung</strong>) sind in der zahnärztlichen <strong>und</strong> kieferchirurgischen<br />
Praxis/Ambulanz die zunehmend "behandlungsunwilligen" Kinder, oft nur vegetativ dystone Patienten<br />
(mangelnder Umgang mit Schmerz <strong>und</strong> Stress), oftmals auch resultierend aus "behandlungsunfähigen<br />
4
Partnerschaften": Kind-Bezugsperson-Arzt <strong>und</strong> die Basis für eine LA. Risikopatienten sind nicht unbedingt die<br />
Zielgruppe, weil diese Patienten sicher vor der eigenen Katecholaminliberation (aus Angst <strong>und</strong> Schmerz) bewahrt<br />
werden müssen, <strong>und</strong> das geht oft nur in Allgemeinnarkose.<br />
Für kurze, schmerzarme Procedere genügt die rechtzeitige (> 30 min.) Prämedikation mit 0,3 mg/kg Midazolam<br />
oral; <strong>bei</strong> stärkerer Algesie kann sie im gleichen Verfahren Basis für eine (nun tolerierte) LA sein.<br />
Indikationen zur Analgosedierung<br />
sind vor allem mittellange <strong>und</strong> nicht zu schmerzhafte Procedere oder erneut die Basis für eine additive LA:<br />
Zahnextraktionen, -sanierungen, Fäden ex, Verbandwechsel, Distraktor-Korrekturen, Modellanpassungen,<br />
Repositionen.<br />
Cave: a) Übergang in Anästhesie, b) Handhabung des Patienten, c) Verbot der Personalunion, d)<br />
polypragmatischer Einsatz <strong>von</strong> Pharmaka mit überlappenden Wirkungen <strong>bei</strong> Analgesie, <strong>Sedierung</strong>, Atmung,<br />
Kreislauf, Elimination.<br />
Das Verbot der Personalunion bedeutet nicht, dass der 2. Arzt Anästhesist sein muss. Er unterliegt aber den<br />
Ansprüchen des europäischen Rechts, er muss also "ausgebildet <strong>und</strong> erfahren im Umgang mit Notfallsituationen"<br />
sein.<br />
Bewährt für dieses Procedere hat sich das Verfahren der "Ataranalgesie": Midazolam plus Ketamin. Die<br />
Applikation erfolgt routinemäßig langsam i.v.: 0,03 mg/kg Midazolam plus 0,5. 1,5 mg/kg Ketanest.<br />
Erfahrungsgemäß ist die vegetative Beeinflussung gering, d. h. Atmung <strong>und</strong> Kreislauf sind stabil; intramuskulär<br />
appliziert führt Ketamin (Analgesie) zu st<strong>und</strong>enlangem Nachschlaf, ist also ambulant eher ungeeignet. Eine auch<br />
für schmerzhaftes Procedere geeignete Möglichkeit ist die Kombination <strong>von</strong> Midazolam mit einem extrem<br />
kurzwirksamen, hochpotenten Opioid (Remifentanil = Ultiva ® ). Da die Substanz als Bolus stark negativ<br />
chronotrop ist (besonders <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong>), empfiehlt es sich, sie permanent über einen Perfusor zu applizieren: 0,2<br />
µg/kg x min.<br />
Zwar gelten <strong>bei</strong>de Verfahren medikolegal als Analgosedierung, die Bedenken bezüglich Personalunion <strong>und</strong> der<br />
Besonderheiten der Opiatwirkungen <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> (s. o.) sollte man aber sehr ernst nehmen. Unter den heutigen<br />
Aspekten der nötigen Qualitätssicherung/-sicherheit <strong>und</strong> der zunehmenden "Klagebereitschaft" <strong>von</strong> Patienten (es<br />
wird ein Verlauf eher als "schuldhaft" <strong>und</strong> weniger als "schicksalhaft" angesehen) soll man das Logo eines<br />
Pharmakonzerns ruhig anstreben: "Am besten schlafen Sie <strong>bei</strong> einem Anästhesisten".<br />
Indikationen zur Anästhesie<br />
sind <strong>bei</strong>m heutigen Stand der Technik (Monitoring, Ventilation), Einsatz der modernen Anästhetika (volatil <strong>und</strong><br />
TIVA) <strong>und</strong> den Möglichkeiten der perioperativen Analgesie (<strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> allerdings viel zu selten umgesetzt) in<br />
allen Stufen der Morbidität <strong>und</strong> jeglichem Umfang an operativen Eingriffen denkbar (Tab. 5).<br />
1. längere schmerzhafte Procedere<br />
2. nicht nüchterne Patienten<br />
3. Kontraindikationen für Lokalanästhesie<br />
4. Risikoeinschätzung ASA III +><br />
5
5. unbedingte Stressminimierung<br />
6. spastische, epileptische Kinder<br />
7. behandlungsunfähige Patienten<br />
8. in dubio pro anaesthesia<br />
Tab. 5: Indikationen zur Anästhesie<br />
Die Ansichten über Vor- <strong>und</strong> Nachteile der volatilen bzw. intravenösen Anästhesiearten <strong>bei</strong>m Kind gehen<br />
erstaunlich weit auseinander, aber seit der Einführung der modernen volatilen Substanzen (Desfluran, <strong>und</strong> vor<br />
allem Sevofluran als Induktionsnarkotikum) ist ein Trend zu Gunsten der "Dampfnarkose" festzustellen. Dazu<br />
kommt die Problematik des "nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs" <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> <strong>von</strong> an sich zugelassenen<br />
Medikamenten wie: Propofol (nicht unter 3 Jahren), die meisten Opioide - mit unterschiedlichen Altersangaben -<br />
<strong>und</strong> selbst Midazolam <strong>und</strong> diverse Lokalanästhetika.<br />
Die Entscheidung über Art der Narkoseinduktion (volatil, i.v.) <strong>und</strong> Führung (balanciert i.v. oder volatil; Einsatz<br />
<strong>von</strong> depolarisationshemmenden Muskelrelaxanzien <strong>und</strong> Opiaten) trifft der Anästhesist <strong>und</strong> soll hier nicht näher<br />
dargestellt werden.<br />
Die für alle Beteiligten (Kind, Eltern, Operateur, Anästhesist) eleganteste <strong>und</strong> schonendste Narkoseeinleitung ist<br />
derzeit sicher per Maske mit Sevofluran. Ein intravenöser Zugang wird erst <strong>bei</strong>m "schlafenden" Kind - das ist nach<br />
drei bis fünf spontanen Atemzügen der Fall - angelegt. In den Händen erfahrener Kinderanästhesisten ist diese<br />
Methode sicher (6).<br />
Probleme der Verfahren<br />
Die modernen Anästhetika haben eine klar definierte Pharmakokinetik <strong>und</strong> eine zumeist dosisrelevante<br />
überschaubare Pharmakodynamik <strong>und</strong> sind damit auch für die kleinsten Patienten geeignet <strong>und</strong> risikoarm. Die<br />
Problematik basiert mehr auf einigen nicht direkt erkennbaren Phänomenen:<br />
a. Die größte Anzahl <strong>von</strong> <strong>Kindern</strong> wird in Deutschland nicht <strong>von</strong> in Kinderanästhesie ausgebildeten<br />
Fachärzten betreut.<br />
b. Eine Reihe <strong>von</strong> Medikamenten sind <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> - in ganz unterschiedlichen Altersbereichen - nur<br />
eingeschränkt einsetzbar <strong>und</strong> werden damit "medikolegal" nicht mehr "bestimmungsgemäß" benutzt; nicht<br />
in allen Fällen ist die Einschränkung zum Gebrauch "aufklärungsfähig."<br />
c. Die meisten Probleme resultieren aber aus physiologischen Besonderheiten der Kinder<br />
(Niereninsuffizienz/Elimination der meisten Anästhetika; cerebrale Differenzierung/Opiatwirkungen;<br />
Atemphysiologie/Wirkung volatiler Anästhetika <strong>und</strong> Ventilation → Acidose, Hypoxie <strong>und</strong> deren Folgen.<br />
d. Interindividuelle Schwankungen der Anästhetikawirkungen sind <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> deutlich ausgeprägter als <strong>bei</strong><br />
Erwachsenen.<br />
e. Die Wirkungen der verschiedenen Medikamente sind nicht klar zu differenzieren, sondern überlappen sich<br />
gegenseitig: <strong>Sedierung</strong> ↔ Anxiolyse ↔ Analgesie ↔ Anästhesie.<br />
f. Dementsprechend sind "Nebenwirkungen/Risiken" fließend <strong>und</strong> nicht ad hoc zu erkennen: Relaxierung,<br />
Atemdepression.<br />
g. "Externe" Parameter haben <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> größeren Einfluss als <strong>bei</strong> Erwachsenen, z. B. Thermoregulation →<br />
Hypothermie; Nüchternheit → Hypovolämie, Hypoglykämie, Acidose; Ventilation → Hypoxie,<br />
Hyperkapnie, Acidose, Atelektase.<br />
h. Größtes Risiko bleibt der "unbekannte" Patient, wenn aus ökonomischen Zwängen notwendige<br />
Untersuchungen fehlen.<br />
6
Aufwachphase<br />
Die Diskussion über Aufwachverhalten nach differenten Anästhesien ist nicht endgültig abgeschlossen, da keine<br />
harten Kriterien vorliegen, wonach man Ökonomie, Qualität, Sicherheit <strong>und</strong> Entlassung beurteilen kann. Neue<br />
Studien mithilfe neurophysiologischen Monitorings sind <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> noch nicht umgesetzt worden (7).<br />
Wichtig für die Zufriedenheit <strong>von</strong> <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> Eltern (kommen wieder!) ist das Befinden nach der Operation <strong>und</strong><br />
Anästhesie: dazu zählen rein "subjektive" Aspekte der kleinen Patienten wie Übelkeit, Erbrechen <strong>und</strong><br />
Schmerzempfinden einerseits <strong>und</strong> mehr objektive Gesichtspunkte (<strong>von</strong> Eltern, Operateur, Anästhesist) wie Unruhe,<br />
Orientierung, Reaktionsvermögen, Vigilanz <strong>und</strong> letztlich indifferente Meinungen (u. a. zu Umgang, Umfeld,<br />
Ablauforganisation). Das peri-operative Schmerzmanagement spielt in diesem Zusammenhang eine übergeordnete<br />
Rolle <strong>und</strong> ist leider Stiefkind <strong>bei</strong> der Behandlung <strong>von</strong> <strong>Kindern</strong>. Gründe dafür gibt es reichlich: mangelnde<br />
Kenntnisse über Schmerzperzeption, Angst vor dem Einsatz wirksamer Analgetika (Opioide . Atem-,<br />
cardiozirculatorische Depression, Suchtpotenzial, Verhaltensauffälligkeiten), Unkenntnis der pharmakologischen<br />
Probleme aus Unkenntnis der kindlichen Physiologie (hier schließt sich wieder der Kreis), dazu die<br />
bekanntermaßen großen interindividuellen <strong>und</strong> altersrelevanten Wirkvarianten mehrerer Anästhetikagruppen<br />
(Muskelrelaxanzien, volatile Anästhetika) mit teilweise bekannten gegenseitigen Wirkverstärkungen in den<br />
kindlichen Altersgruppen (FG, NG, Sgl, KK).<br />
Perioperative Analgesie<br />
Um konsequent eine für die kleinen Patienten befriedigende postoperative Analgesie zu erreichen, müssen die<br />
Überlegungen in der Prämedikation beginnen (8). Eine für das Kind gelungene Prämedikation mit überwiegend<br />
anxiolytischer Komponente kann eine Venenpunktion als schmerzfrei erscheinen lassen, hat aber keinerlei<br />
Anspruch auf die postoperativ notwendige Analgesie.<br />
Paracetamol zum Ende einer Operation als Suppositorium appliziert wird auch mit einer modernen<br />
"High-dose"-Anwendung dem Kind in der (frühen) postoperativen Phase keine Schmerzlinderung gönnen, weil<br />
der Wirkungseintritt zu spät erfolgt (9).<br />
Der "gezielte" Überhang <strong>von</strong> mittellang wirksamen Opioiden ist <strong>bei</strong> kleinen <strong>Kindern</strong> aus den o.g. Gründen<br />
(mögliche Atemdepression vor Analgesie, etc.) nicht zu empfehlen. Eine Antagonisierung würde den Patienten<br />
abrupt ein Schmerzempfinden vermitteln. Die <strong>bei</strong> ambulant versorgten <strong>Kindern</strong> bevorzugten extrem<br />
kurzwirksamen Opiode haben am Ende der (zumeist kontinuierlichen) Applikation (über Perfusor) einen ähnlichen<br />
Effekt.<br />
Die Vorteile der modernen volatilen Anästhetika mit ihrer schnellen An- <strong>und</strong> Abflutung zeigen in diesem<br />
Zusammenhang auch ihre Schwächen. In der kurzen Aufwachphase (z. B. nach Sevofluran <strong>und</strong> Desfluran in 4. 7<br />
min.) werden die Kinder oft unruhig. Unbekannte Umgebung, fehlende Bezugsperson <strong>und</strong> früh einsetzende<br />
Schmerzen führen zu diesem für alle unbefriedigenden Verhalten.<br />
Man muss also konsequent alle Möglichkeiten der perioperativen Analgesie nutzen, was derzeit leider eher selten<br />
ist (10). Eine postoperativ beginnende Schmerztherapie kommt fast immer zu spät. Es ist in der Zahn- <strong>und</strong><br />
Kieferheilk<strong>und</strong>e deshalb <strong>von</strong> Vorteil, die genannten Verfahren der Prämedikation/Analgosedierung/Anästhesie vor<br />
allem in Hinblick auf eine adäquate postoperative Analgesie mit einer Lokal- bzw. Leitungsanästhesie zu<br />
komplettieren.<br />
Zusammenfassung<br />
Obwohl die Einschätzung der Morbidität <strong>bei</strong> unseren kleinen Patienten einige Probleme bereitet (Anamnese,<br />
7
klinische Untersuchung, Bef<strong>und</strong>ung), darf niemals ein "unbekannter Patient" ambulant versorgt werden. Unter<br />
dem heutigen Anspruch der Qualitätssicherheit ist eine f<strong>und</strong>ierte "individuelle" Aufklärung obligat <strong>und</strong><br />
dokumentationspflichtig.<br />
Kinder haben in den unterschiedlichen Altersklassen physiologische Besonderheiten, die <strong>bei</strong>m Einsatz<br />
verschiedener Medikamente, <strong>bei</strong> der Entscheidung zu ambulanter oder eher stationärer Behandlung, zur Auswahl<br />
einzelner Verfahren (Prämedikation → <strong>Sedierung</strong> → Analgosedierung → Anästhesie) <strong>und</strong> <strong>bei</strong>m Umfang des<br />
Monitorings bedeutsam sind.<br />
Die Abwägung, welches der o. g. Verfahren <strong>bei</strong>m Kind angewandt wird, muss unter klar definierten Vorgaben<br />
erfolgen:<br />
1. Qualifikation der Anwender <strong>und</strong> Personalunion regeln europäische Gesetzgebung.<br />
2. Ausstattung des Ar<strong>bei</strong>tsplatzes ist nach EN 740 inzwischen bindend.<br />
3. Priorität sollte immer die Sicherheit des Patienten haben.<br />
Die Probleme der einzelnen Methoden resultieren aus ganz unterschiedlichen Aspekten, die nicht immer ad hoc<br />
erkennbar sind:<br />
1. Physiologische Besonderheiten in den verschiedenen Altersklassen<br />
2. Pharmakokinetik <strong>und</strong> -dynamik der Medikamente (auch resultierend aus 1)<br />
3. Morbidität des Kindes vs. Erfahrung <strong>und</strong> Ausbildung des jeweiligen Anwenders<br />
In der Aufwachphase sind <strong>bei</strong> der Anwendung moderner Anästhestika Aspekte des postoperativen<br />
Schmerzverhaltens zu berücksichtigen. Das vielzitierte "schnelle Erwachen" korreliert eher selten mit<br />
Wohlbefinden <strong>und</strong> Zufriedenheit der kleinen Patienten.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
<strong>Prof</strong>. Dr. med. H. Hagemann<br />
Abteilung Anästhesie III im<br />
Zentrum Anaesthesiologie<br />
Medizinische Hochschule<br />
Carl-Neuberg-Straße 1<br />
30625 Hannover<br />
8