Lebenswertes Zusammenleben mit schwerstbehinderten Menschen

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Der Bereich Wohnen 30 darüber hinaus gibt es unzählige weitere Kriterien in der Fülle, wie es verschiedene Vorlieben und Abneigungen gibt. Ebenso subjektiv ist die Setzung der Prioritäten: ein für mich sehr wichtiges Kriterium kann für jemand anderen eher unbedeutend sein. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß Menschenleben wesenhaft gekennzeichnet ist „durch permanente selbstbestimmte Einflußnahme auf das eigene Wohlbefinden.“ (HAHN 1998, 63), und daß diesem die Befriedigung von Bedürfnissen zugrunde liegt (vgl. ebd.). Diese werden entweder in „größtmöglicher Unabhängigkeit selbstverwirklicht“ (ebd.) oder „müssen selbstbestimmt in Abhängigkeit von anderen Menschen realisiert werden [...], wobei dies assistierendes Helfen voraussetzt“ (ebd.). Bei Menschen mit einer schwer(st)en geistigen Behinderung ist der Anteil der in Abhängigkeit zu realisierenden Bedürfnisse nach HAHN (ebd.) wesentlich größer (vgl. Kapitel 5.1.3). Die Wahrnehmung von Verhalten als Ausdruck von Wohlbefinden wird häufig aus unterschiedlichen Gründen erschwert. Oft äußert sich Wohlbefinden in einem „bizarren paradoxen Ausdrucksverhalten“ (ebd., 57), das gewöhnlich nicht mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird, wie beispielsweise selbstverletzendes Verhalten (vgl. ebd.). Darüber hinaus stellen diese und andere Äußerungsformen oft ein „Störmoment in der sozialen Umwelt“ (ebd.) dar. Da diese Umwelt, zum Beispiel das Personal in einer Wohngruppe, in der Wahrnehmung oftmals fixiert ist auf nicht übliche Verhaltensweisen wie etwa Stereotypien, wird die Möglichkeit, dieses Verhalten als Ausdruck von Wohlbefinden zu verstehen, häufig gar nicht erst in Erwägung gezogen (vgl. ebd.). Auch wird das Denken über Menschen mit schwer(st)er geistiger Behinderung häufig beherrscht von defektorientierten Gedanken wie Belastung, die von diesem Personenkreis ausgehe, Pflegeaufwand, (Mit-) Leid und anderen (wie dies zum Beispiel in der Pflegeversicherung zum Ausdruck kommt); aus dieser Perspektive erscheint der Aspekt des Wohlbefindens in

Der Bereich Wohnen 31 Zusammenhang mit einer Behinderung, zumal einer schwer(st)en geistigen, als nahezu ausgeschlossen (vgl. ebd.). Wenn man sich Wohlbefinden somit nicht vorstellen kann, kann man es auch nicht als Ziel dem eigenen „Handeln zugrunde legen. Seine Realisierung ist deshalb [...] grundsätzlich gefährdet“ (HAHN 1998, 59), zumindest insofern, wie es vom Handeln anderer abhängig gemacht wird. Die Mißachtung des Wohlbefindens von Menschen mit einer geistigen Behinderung bedeutet nach HAHN zugleich eine „Mißachtung ihrer Menschenwürde und eine Deklassierung zum Menschsein zweiten Grades“ (ebd., 61), da Wohlbefinden als größte Gemeinsamkeit mit Nichtbehinderten nicht mehr gesehen und damit Empathie verweigert werde (ebd.). Der Begriff der ‘Lebensqualität’ wird von SEIFERT - wie bereits in Kapitel 4.3 erläutert - definiert als „Grad der Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse durch die ökologischen Gegebenheiten seiner Umwelt“ (SEIFERT 1997b, 8). Es handelt sich dabei um ein subjektives Empfinden, das von außen nur dann bewertet werden kann, wenn man Einblicke in das ‘Innenleben’ einer Person bekommt (vgl. Kapitel 4.3). Wenn von ‘lebenswertem Zusammenleben’ die Rede ist, so ist damit also ein Zusammenleben unter menschenwürdigen Bedingungen im Sinn von möglichst hoher Lebensqualität gemeint. Das Gegenstück ist demnach nicht ‘lebensunwertes Leben’, sondern Leben unter entwürdigenden Bedingungen und niedriger Lebensqualität. Die Verwendung des Begriffs ‘Lebensqualität’ zielt in erster Linie darauf ab, „neben der Förderung von Kompetenzen und der Verwirklichung normaler Lebensbedingungen die Respektierung von Bedürfnissen und die Verwirklichung eigener Perspektiven von einem sinnvollen Leben als Ziel auf der personalen Ebene umzusetzen“ (BECK zit. n. SEIFERT 1997a, 80, Hervorh. d. Verf.). Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa) hat daher Anfang der 70er Jahre einige Grundbedürfnisse aufgelistet, deren

Der Bereich Wohnen 30<br />

darüber hinaus gibt es unzählige weitere Kriterien in der Fülle, wie es verschiedene<br />

Vorlieben und Abneigungen gibt. Ebenso subjektiv ist die Setzung der Prioritäten:<br />

ein für mich sehr wichtiges Kriterium kann für jemand anderen eher unbedeutend<br />

sein.<br />

Ganz allgemein kann gesagt werden, daß <strong>Menschen</strong>leben wesenhaft gekennzeichnet<br />

ist „durch permanente selbstbestimmte Einflußnahme auf das eigene Wohlbefinden.“<br />

(HAHN 1998, 63), und daß diesem die Befriedigung von Bedürfnissen zugrunde liegt<br />

(vgl. ebd.). Diese werden entweder in „größtmöglicher Unabhängigkeit selbstverwirklicht“<br />

(ebd.) oder „müssen selbstbestimmt in Abhängigkeit von anderen<br />

<strong>Menschen</strong> realisiert werden [...], wobei dies assistierendes Helfen voraussetzt“ (ebd.).<br />

Bei <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> einer schwer(st)en geistigen Behinderung ist der Anteil der in<br />

Abhängigkeit zu realisierenden Bedürfnisse nach HAHN (ebd.) wesentlich größer<br />

(vgl. Kapitel 5.1.3).<br />

Die Wahrnehmung von Verhalten als Ausdruck von Wohlbefinden wird häufig aus<br />

unterschiedlichen Gründen erschwert. Oft äußert sich Wohlbefinden in einem<br />

„bizarren paradoxen Ausdrucksverhalten“ (ebd., 57), das gewöhnlich nicht <strong>mit</strong><br />

Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird, wie beispielsweise selbstverletzendes<br />

Verhalten (vgl. ebd.). Darüber hinaus stellen diese und andere Äußerungsformen oft<br />

ein „Störmoment in der sozialen Umwelt“ (ebd.) dar. Da diese Umwelt, zum Beispiel<br />

das Personal in einer Wohngruppe, in der Wahrnehmung oftmals fixiert ist auf nicht<br />

übliche Verhaltensweisen wie etwa Stereotypien, wird die Möglichkeit, dieses<br />

Verhalten als Ausdruck von Wohlbefinden zu verstehen, häufig gar nicht erst in<br />

Erwägung gezogen (vgl. ebd.). Auch wird das Denken über <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />

schwer(st)er geistiger Behinderung häufig beherrscht von defektorientierten<br />

Gedanken wie Belastung, die von diesem Personenkreis ausgehe, Pflegeaufwand,<br />

(Mit-) Leid und anderen (wie dies zum Beispiel in der Pflegeversicherung zum<br />

Ausdruck kommt); aus dieser Perspektive erscheint der Aspekt des Wohlbefindens in

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