Heilpädagogik online 01/06

Heilpädagogik online 01/06 Heilpädagogik online 01/06

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Leserbriefe hinderten - auch und gerade zwischen (erwachsenen) Behinderten und Behindertenpädagogen - geführt hat und weil sie Illusionen über eine Leben „ohne Behinderung“ schafft, die in die gesellschaftliche (Selbst)Isolation führen wird. Denn während sich „Armut, Krankheit und Häßlichkeit“ ja durchaus (gesellschaftlich oder individuell) beseitigen lassen (resp. beseitigen ließen) - ist dies bei einer Behinderung, wie Kai Felkendorff sie definiert - und ich stimme da völlig mit ihm überein - per se nicht möglich. Integration: Heilpädagogik und die Schule für alle Nur für eine gereifte und gefestigte Persönlichkeit, so meine These, ist die Konfrontation mit einer Behinderung (egal ob in der Schule oder in der persönlichen Beziehung) ein Gewinn. Kommt sie zum falschen Zeitpunkt - oder wird sie einem Jugendlichen, wie es Georg FEUSER (noch) 1989 vorschwebte, gar per Lehrplan und Gemüsesuppe nahe gebracht, so führt dies in einer Gesellschaft in der Freiheit, Schönheit und Reichtum die (wie auch immer zu bewerteten) Leitlinien bilden, zu Angst und Ablehnung. „Gemeinsames Lernen“ über einen gemeinsamen Gegenstand - kann, ja muss, wenn die Grundlagen keine (annähernd) gemeinsamen sind, zu einer Farce verkommen. Ganz anders ist dies meiner Erfahrung nach mit dem gemeinsamen Erleben, z.B. eines Sonnenuntergangs - das kann für beide Seiten authentisch und ein Gewinn sein. Dass die Sonderpädagogen so auf dem Dogma des „gemeinsamen Lernens“ bestehen, liegt m.E. daran, dass sie, wie einst auch die Berufspädagogen (ich habe meine Staatsexamensarbeit 1975 über die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung geschrieben, und bin noch heute von der Richtigkeit des Konzepts überzeugt) meinten, „gemeinsames Lernen“ von Behinderten und Gymnasiasten (wie Pädagogik überhaupt) sei ein Vehikel gesellschaftlicher Veränderung. Das mag sogar bis zu einem gewissen - 91 - Heilpädagogik online 01/ 06

Leserbriefe Grade stimmen. Der Haupt-Denkfehler, den wir Linken aber machten, war der, dass wir „das Subjekt von gesellschaftlicher Veränderung“ ganz unten suchten - je nach pädagogischer Profession beim Proletariat der eben bei denen, zu denen die Studentenbewegung und die Bildungsreform als letzte gekommen war, den Behinderten. Pädagogik der S-Klasse: „Heilpädagogik zwischen Wissenschaft und Glaubenssätzen“ „Heilpädagogik zwischen Wissenschaft und Glaubenssätzen“. Schon die Überschrift des vierten Beispiels des Redaktionsteams (BARSCH/BENDOKAT/BRÜCK 2005) bringt das ganze Dilemma zum Ausdruck: Noch ist die Heilpädagogik (wie große Teile der Pädagogik überhaupt) in der Tat keine Wissenschaft. Und aus der Sicht der mehrfach-behinderten Kinder scheint einiges dafür zu sprechen, dass die Heilpädagogik (wie die Theologie, oder pathetisch gesagt: die Menschenliebe) auch ihre Basis in der Unwissenschaftlichkeit behalten sollte. Da das gesellschaftliche Ansehen (und die Vergütung) einer Profession (nicht allein im öffentlichen Dienst) aber von der Wissenschaftlichkeit (der Ausbildung) abhängig ist, wird man wohl nicht umhin kommen, sich auf die (harten Fakten der) Hirn- und Genforschung zu werfen oder aber auf die „Hochbegabtenförderung“ (SCHLENZ 2004). Man muss ja nicht der Meinung sein, dass jegliche Abweichung von der „Normalität“ inhaltsabstinent ein Arbeitsfeld für die Sonderpädagogik darstellt. Doch diskutieren sollte man schon darüber, ob und warum die Abweichung in die pädagogische „S-Klasse“ hinein - gewissermaßen die Sonderklasse von Mercedes, die nach wie vor das Lebensgefühl der deutschen Oberschicht spiegelt (MOLITOR 2005), in Zeiten der massiven Eli­ - 92 - Heilpädagogik online 01/ 06

Leserbriefe<br />

Grade stimmen. Der Haupt-Denkfehler, den wir Linken aber machten,<br />

war der, dass wir „das Subjekt von gesellschaftlicher Veränderung“<br />

ganz unten suchten - je nach pädagogischer Profession<br />

beim Proletariat der eben bei denen, zu denen die Studentenbewegung<br />

und die Bildungsreform als letzte gekommen war, den Behinderten.<br />

Pädagogik der S-Klasse: „Heilpädagogik zwischen<br />

Wissenschaft und Glaubenssätzen“<br />

„Heilpädagogik zwischen Wissenschaft und Glaubenssätzen“. Schon<br />

die Überschrift des vierten Beispiels des Redaktionsteams<br />

(BARSCH/BENDOKAT/BRÜCK 2005) bringt das ganze Dilemma zum<br />

Ausdruck: Noch ist die Heilpädagogik (wie große Teile der Pädagogik<br />

überhaupt) in der Tat keine Wissenschaft. Und aus der Sicht der<br />

mehrfach-behinderten Kinder scheint einiges dafür zu sprechen,<br />

dass die Heilpädagogik (wie die Theologie, oder pathetisch gesagt:<br />

die Menschenliebe) auch ihre Basis in der Unwissenschaftlichkeit<br />

behalten sollte.<br />

Da das gesellschaftliche Ansehen (und die Vergütung) einer<br />

Profession (nicht allein im öffentlichen Dienst) aber von der<br />

Wissenschaftlichkeit (der Ausbildung) abhängig ist, wird man wohl<br />

nicht umhin kommen, sich auf die (harten Fakten der) Hirn- und<br />

Genforschung zu werfen oder aber auf die „Hochbegabtenförderung“<br />

(SCHLENZ 2004). Man muss ja nicht der Meinung sein,<br />

dass jegliche Abweichung von der „Normalität“ inhaltsabstinent ein<br />

Arbeitsfeld für die Sonderpädagogik darstellt. Doch diskutieren<br />

sollte man schon darüber, ob und warum die Abweichung in die<br />

pädagogische „S-Klasse“ hinein - gewissermaßen die Sonderklasse<br />

von Mercedes, die nach wie vor das Lebensgefühl der deutschen<br />

Oberschicht spiegelt (MOLITOR 2005), in Zeiten der massiven Eli­<br />

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