Heilpädagogik online 01/06
Heilpädagogik online 01/06 Heilpädagogik online 01/06
Lernen für das Leben 3. Zur Komplementarität von Berufsbildung und Freizeitbildung Es ist nun allerdings fraglich, ob sich im Sinne der Nachhaltigkeit die ökonomische Maxime ‚mehr in kürzer Zeit’ unter dem obwaltenden Prinzip ‚time is money’ auf Erziehungs- und Bildungsprozesse übertragen lässt. Brauchen doch Bildungsverläufe hinreichend Zeit und Muße. Schließlich bedeutet das Wort ‚Schule’ - im Griechischen: σχολή - ursprünglich Muße und bezeichnete den Ort, an dem die Mußezeit fruchtbar und produktiv wurde. Warum also diese Hektik mit einem Turbo-Abitur nach acht Jahren Gymnasium und eine Schulbildung, die in einer unpädagogischen Verengung vornehmlich auf Berufs- und Studierfähigkeit zielt? Ein Vorgang übrigens, der sich mit der Einführung von Bachelor- Studiengängen auf Hochschulebene wiederfindet. Auch sie sollen in kürzestmöglicher Zeit polyvalente Berufseinstiegsqualifikationen vermitteln. Aber eine zukunftsfähige berufliche Disponibilität ist auf ein breit fundiertes und anschlussfähiges Wissen und Können angewiesen. Dazu zählen neben einem Basiswissen aus den klassischen natur-, gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern auch Grundkenntnisse aus den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie eine reflektierte pragmatische Lebensführungskompetenz. Es gilt also eher mehr als weniger zu lernen! Die Herausforderung für die jeweilige Schulform besteht darin, dies in Hinblick auf die unterschiedlichen Lernausgangslagen der Schüler, didaktisch-methodisch angemessen zu realisieren. Eine weitere Reduzierung von Unterrichtsfächern und Unterrichtsinhalten und eine Verkürzung der Schulzeit kann dabei nicht zielführend sein. Auch wenn der Einzelne heute und in Zukunft gehalten ist, über die Schulzeit hinaus lebenslang weiterzulernen, so darf dies nicht zum - 11 - Heilpädagogik online 01/ 06
Lernen für das Leben Anlass genommen werden, die allgemeinbildende Aufgabe der Schule zu begrenzen. Anders nämlich als im Erwachsenenalter organisiert sich das in Kindheit und Jugend Gelernte in generalisierender Weise und hat dann eine starke Nachhaltigkeit, wenn zu seiner Verarbeitung Zeit, Muße und die Möglichkeit zu originärer Begegnung zur Verfügung standen, die Neugier und Wissbegierde befriedigen konnten. Durch die forcierte Engführung der schulischen Bildung auf eine unmittelbare Verwertbarkeit in Studium und Beruf verliert nicht nur das Abitur - auch an einem Fachgymnasium - seinen ursprünglichen Befähigungsanspruch, zur allgemeinen Hochschulreife zu führen, sondern es wird auch die Tatsache vernachlässigt, dass die längste Zeit des Lebens von Nichterwerbstätigkeit bestimmt ist, und dass zukünftig „die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung noch nicht, nicht mehr oder nie mehr im Erwerbsprozess steht“ (OPASCHOWSKI 2004, 339). Eine zukunftsorientierte Erziehung und Bildung muss deshalb eine komplementäre und reziproke Befähigung sowohl für das Berufsleben als auch für das Leben in der von Berufstätigkeit freien Zeit im Blick haben. Dies gilt nicht zuletzt für Menschen mit prekären Lebensläufen und diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen. Gehen wir mit Peter ZELLMANN (2002, 113 f.) von einem Lebenszeitbudget von 660.000 Stunden (100%) aus, ziehen davon für Schlaf 220.000 Stunden (33%) ab, für Ausbildung 30.000 Stunden (5%) und für den Beruf weitere 60.000 Stunden (9%), so bleibt ein ‚Freizeitanteil’ von 350.000 Stunden (53%) übrig. Diesen Freizeitanteil zu gestalten – das freilich will gelernt sein! Deshalb bedarf es einer expliziten Erziehung und Bildung zur Freizeitfähigkeit. - 12 - Heilpädagogik online 01/ 06
- Seite 1 und 2: Ausgabe 01|06 ISSN 1610-613X / Jg.
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Lernen für das Leben<br />
Anlass genommen werden, die allgemeinbildende Aufgabe der<br />
Schule zu begrenzen.<br />
Anders nämlich als im Erwachsenenalter organisiert sich das in<br />
Kindheit und Jugend Gelernte in generalisierender Weise und hat<br />
dann eine starke Nachhaltigkeit, wenn zu seiner Verarbeitung Zeit,<br />
Muße und die Möglichkeit zu originärer Begegnung zur Verfügung<br />
standen, die Neugier und Wissbegierde befriedigen konnten.<br />
Durch die forcierte Engführung der schulischen Bildung auf eine unmittelbare<br />
Verwertbarkeit in Studium und Beruf verliert nicht nur<br />
das Abitur - auch an einem Fachgymnasium - seinen ursprünglichen<br />
Befähigungsanspruch, zur allgemeinen Hochschulreife zu führen,<br />
sondern es wird auch die Tatsache vernachlässigt, dass die<br />
längste Zeit des Lebens von Nichterwerbstätigkeit bestimmt ist,<br />
und dass zukünftig „die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung<br />
noch nicht, nicht mehr oder nie mehr im Erwerbsprozess steht“<br />
(OPASCHOWSKI 2004, 339).<br />
Eine zukunftsorientierte Erziehung und Bildung muss deshalb eine<br />
komplementäre und reziproke Befähigung sowohl für das Berufsleben<br />
als auch für das Leben in der von Berufstätigkeit freien Zeit<br />
im Blick haben.<br />
Dies gilt nicht zuletzt für Menschen mit prekären Lebensläufen und<br />
diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen.<br />
Gehen wir mit Peter ZELLMANN (2002, 113 f.) von einem Lebenszeitbudget<br />
von 660.000 Stunden (100%) aus, ziehen davon für<br />
Schlaf 220.000 Stunden (33%) ab, für Ausbildung 30.000 Stunden<br />
(5%) und für den Beruf weitere 60.000 Stunden (9%), so bleibt ein<br />
‚Freizeitanteil’ von 350.000 Stunden (53%) übrig. Diesen Freizeitanteil<br />
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Deshalb bedarf es einer expliziten Erziehung und Bildung zur Freizeitfähigkeit.<br />
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