Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn

Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn

13.07.2014 Aufrufe

Fallbeispiel Malik Aufgrund der Kompetenzlücken von Malik liegt ein Schwerpunkt der Unterstützung im Anleiten. Seine geringen Deutschkompetenzen beeinträchtigen das Schreiben von Bewerbungen. Wie das folgende Zitat zeigt, setzt sein Case Manager genau dort an: „Es läuft oft gleich ab. Lehrstellen suchen, Bewerbungen schreiben. Ich schicke sie dem Case Manager per E-Mail und er korrigiert sie. Dann schicke ich sie dem Betrieb.“ Dadurch, dass der Case Manager die Bewerbungen gegenliest und Korrekturen anbringt, verbessert sich einerseits die Qualität der Bewerbungen, und andererseits erwirbt der Jugendliche zusätzliche Kompetenzen. Im Beispiel von Malik wird zudem der verpflichtende Charakter des Anleitens ersichtlich. Der Case Manager erwartet von Malik, dass er ihn darüber informiert, wie ihm eine Schnupperlehre gefallen hat, ob er Antwort auf eine Bewerbung erhalten hat oder wie ein Bewerbungsgespräch verlaufen ist. Wenn dies nicht geschieht, hakt er nach: „Ja, er erwartet den Anruf. Dann muss ich ihn zurückrufen. Wenn ich manchmal nicht angerufen habe, hat er mich zurückgerufen und gefragt, wie es gewesen ist.“ Arbeiten am beruflichen Entwurf Eine weitere Kategorie, die die Unterstützung durch die Case Managerinnen und Case Manager auszeichnet, ist das gemeinsame Arbeiten am beruflichen Entwurf der Jugendlichen. Zwar werden vereinzelt auch Zukunftsvorstellungen in anderen Lebensbereichen – z.B. Familie – thematisiert, doch liegt der Fokus des CM BB klar auf der Berufsbildung. In den Gesprächen geht es zunächst um die aktuelle Situation der Jugendlichen und um ihre Berufsvorstellungen. Entwurfsarbeit ist einerseits dann gefragt, wenn Jugendliche keine oder unrealistische Berufsvorstellungen haben, und andererseits, wenn sie eine Ausbildung abbrechen mussten und einen neuen Weg finden müssen. Oft ist Entwurfsarbeit pragmatisch, weil es darum geht, die Wünsche und Potentiale der Jugendlichen mit den Anforderungen der Berufe und der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt abzustimmen. Dabei werden die Berufsvorstellungen teilweise stark angepasst. Ein Jugendlicher spricht etwa davon, dass er „auf den Boden geholt wurde“. Im Prozess des Abstimmens und Anpassens werden einerseits die Interessen eingegrenzt, andererseits werden realistische Wege gesucht. Je nach Ressourcenlage der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bieten sich unterschiedliche Lösungen an. Dazu gehören Praktika, Haushaltslehrjahre, Motivationssemester, IV-Ausbildungen und andere. Das Pragmatische an der Entwurfsarbeit äussert sich weiter in der Umsetzung des entwickelten Entwurfs. In den Gesprächen werden Ziele vereinbart und die Schritte zur Zielerreichung festgelegt. Ein Jugendlicher erwähnt, dass sein Case Manager symbolisch das Bild des „Treppenhaus“ verwendet. In einigen Fällen wird zudem ein „Plan B“ entwickelt, falls es mit dem eingeschlagenen Weg nicht klappen sollte. Beziehungsarbeit Der Aufbau einer Vertrauensbeziehung ist in vielen Fällen die Basis für einen wirkungsvollen Unterstützungsprozess. Beziehungsarbeit zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass die Case Managerinnen und Case Manager in den Gesprächen auf die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der Jugendlichen eingehen. Sie hören ihnen aufmerksam zu und zeigen Interesse an ihrer Lebensgeschichte. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehen sich dadurch als Personen und Menschen respektiert. Ein Jugendlicher hat besonders geschätzt, dass seine „Ticks“ und „Macken“ akzeptiert wurden. Allgemein werden die Case Managerinnen und Case Manager als „nett“ und „freundlich“ wahrgenommen. Sie versuchen die Jugendlichen in ihren Bemühungen zu bestärken und ihnen Mut zuzusprechen. Die Beziehung wird durch die Niederschwelligkeit des CM BB zusätzlich gestärkt. Die Case Managerinnen und Case Manager stellen sich für Fragen zur Verfügung 22

und sind gut erreichbar. Dieses Angebot wird von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch genutzt. Sie melden sich nicht nur bei beruflichen, sondern auch bei persönlichen Problemen. So werden das CM BB zu einer wichtigen Anlaufstelle und die Case Managerinnen und Case Manager zu wichtigen Vertrauenspersonen. Bspw. begleitet eine Case Managerin ihre Klientin gar stellvertretend zu einem Elterngespräch. Da Beziehungsarbeit sehr persönlich und eng sein kann, hat sie auch eine emotionale Komponente. Die Case Managerinnen und Case Manager werden als Personen wahrgenommen, die „stützen“ und „hinter einem“ stehen. Die Jugendlichen bringen ihren Betreuerinnen und Betreuern im Gegenzug Dankbarkeit entgegen. Strukturieren Die Kategorie des Strukturierens ist für die Unterstützung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in instabilen und mehrfachproblematischen Situationen typisch. Entsprechend oft kommt sie bei den „zurückgezogenen Jugendlichen“ und den „Jugendlichen mit inneren Konflikten“ vor. Um das Durcheinander, die Konflikte und die Krisen zu stabilisieren, erfolgt zunächst eine umfassende Situationsanalyse. Typische Themen sind neben den Berufsvorstellungen das psychische Befinden, das Verhältnis zu den Eltern und Geschwistern sowie die Zufriedenheit mit der aktuellen Wohnsituation. Auch sind zu Beginn kurzfristige Interventionen nötig. Nach Aussage der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden zunächst „Dinge aus dem Weg geräumt“ und „das Leben geregelt“. Gemeint ist insbesondere das Erledigen von administrativen Aufgaben (z.B. Steuererklärung, Rechnungen). Ein weiterer wichtiger Schritt ist der Aufbau einer Tagesstruktur. Einige Personen – im Besonderen die „zurückgezogenen Jugendlichen“ – verbringen einen Grossteil ihres Lebens vor dem Fernseher oder dem Computer. Ein Jugendlicher verlässt das Haus bspw. nur für die Termine beim CM BB. Ziel der Case Managerinnen und Case Manager ist es, die Jugendlichen für eine Beschäftigung ausserhalb der eigenen vier Wände zu motivieren. Erst wenn dieses „Fundament“ gelegt ist – wie es eine Jugendliche ausdrückt – wird auf weite Sicht geplant und unterstützt. Ziele wie das Finden der idealen Wohnform und des idealen Berufs können erst jetzt angegangen werden. Auch beim Strukturieren verläuft das Planen und Umsetzen in kleinen Schritten. Es werden Abmachungen getroffen und Aufgaben vereinbart (z.B. frühes Aufstehen). Die Case Managerinnen und Case Manager begleiten und kontrollieren die Jugendlichen bei der Umsetzung der Ziele. Die meisten von ihnen sind froh darüber, weil sie dadurch einen wichtigen Rahmen erhalten. Es hilft ihnen, „sich zu fokussieren“ und „sich durchzubeissen“. Lotsen Oft übernehmen die Case Managerinnen und Case Manager auch eine Lotsenfunktion. Sie begleiten und führen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf dem Weg in die Berufswelt. In den Interviewdaten aus dem Kanton Solothurn kommt das Lotsen weniger deutlich zum Ausdruck als im Kanton Zürich. In Solothurn hat das CM BB vor allem eine Vermittlungsfunktion. Das Vermitteln kann als erster Schritt des Lotsens bezeichnet werden. Die Case Managerinnen und Case Manager geben den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Adressen von Unterstützungsangeboten im Bereich der Berufsbildung (Motivationssemester, Schnupperangebote, Haushaltslehrjahr, Praktika etc.) und informieren sie über Sinn und Zweck dieser Angebote. Bei Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen füllen sie gemeinsam mit ihnen die Anmeldeunterlagen aus. Zudem nehmen die Case Managerinnen und Case Manager Kontakt mit den betreffenden Institutionen auf, erkundigen sich nach freien Plätzen und setzen sich dafür ein, dass die Jugendlichen aufgenommen werden. Die Breite der Lotsenfunktion zeigt sich vor allem in den Fällen aus Zürich. Dies hat unterschiedliche Gründe: erstens scheinen Zürcher Jugendliche häufiger von Mehrfachproblematiken (insb. mit psychischen Erkrankungen) betroffen; zweitens ist das Unterstützungsnetz in Zürich grösser und ausdifferenzierter; drittens sind die befragten Jugendlichen aus Zürich länger im CM BB als die Jugendlichen aus Solothurn. Dadurch steigt der Bedarf an einer längerfristigen, alle Lebensbereiche umfassenden Unterstützung, die die Jugendlichen 23

Fallbeispiel Malik<br />

Aufgrund der Kompetenzlücken von Malik liegt ein Schwerpunkt der Unterstützung im Anleiten. Seine geringen<br />

Deutschkompetenzen beeinträchtigen das Schreiben von Bewerbungen. Wie das folgende Zitat zeigt,<br />

setzt sein Case Manager genau dort an:<br />

„Es läuft oft gleich ab. Lehrstellen suchen, Bewerbungen schreiben. Ich schicke sie dem Case Manager per<br />

E-Mail und er korrigiert sie. Dann schicke ich sie dem Betrieb.“<br />

Dadurch, dass der Case Manager die Bewerbungen gegenliest und Korrekturen anbringt, verbessert sich<br />

einerseits die Qualität der Bewerbungen, und andererseits erwirbt der Jugendliche zusätzliche Kompetenzen.<br />

Im Beispiel von Malik wird zudem der verpflichtende Charakter des Anleitens ersichtlich. Der Case Manager<br />

erwartet von Malik, dass er ihn darüber informiert, wie ihm eine Schnupperlehre gefallen hat, ob er Antwort<br />

auf eine Bewerbung erhalten hat oder wie ein Bewerbungsgespräch verlaufen ist. Wenn dies nicht geschieht,<br />

hakt er nach:<br />

„Ja, er erwartet den Anruf. Dann muss ich ihn zurückrufen. Wenn ich manchmal nicht angerufen habe, hat er<br />

mich zurückgerufen und gefragt, wie es gewesen ist.“<br />

Arbeiten am beruflichen Entwurf<br />

Eine weitere Kategorie, die die Unterstützung durch die Case Managerinnen und Case Manager auszeichnet,<br />

ist das gemeinsame Arbeiten am beruflichen Entwurf der Jugendlichen. Zwar werden vereinzelt auch Zukunftsvorstellungen<br />

in anderen Lebensbereichen – z.B. Familie – thematisiert, doch liegt der Fokus des CM<br />

BB klar auf der Berufsbildung. In den Gesprächen geht es zunächst um die aktuelle Situation der Jugendlichen<br />

und um ihre Berufsvorstellungen. Entwurfsarbeit ist einerseits dann gefragt, wenn Jugendliche keine<br />

oder unrealistische Berufsvorstellungen haben, und andererseits, wenn sie eine Ausbildung abbrechen mussten<br />

und einen neuen Weg finden müssen. Oft ist Entwurfsarbeit pragmatisch, weil es darum geht, die Wünsche<br />

und Potentiale der Jugendlichen mit den Anforderungen der Berufe und der aktuellen Situation auf dem<br />

Arbeitsmarkt abzustimmen. Dabei werden die Berufsvorstellungen teilweise stark angepasst. Ein Jugendlicher<br />

spricht etwa davon, dass er „auf den Boden geholt wurde“. Im Prozess des Abstimmens und Anpassens<br />

werden einerseits die Interessen eingegrenzt, andererseits werden realistische Wege gesucht. Je nach Ressourcenlage<br />

der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bieten sich unterschiedliche Lösungen an. Dazu<br />

gehören Praktika, Haushaltslehrjahre, Motivationssemester, IV-Ausbildungen und andere. Das Pragmatische<br />

an der Entwurfsarbeit äussert sich weiter in der Umsetzung des entwickelten Entwurfs. In den Gesprächen<br />

werden Ziele vereinbart und die Schritte zur Zielerreichung festgelegt. Ein Jugendlicher erwähnt, dass sein<br />

Case Manager symbolisch das Bild des „Treppenhaus“ verwendet. In einigen Fällen wird zudem ein „Plan B“<br />

entwickelt, falls es mit dem eingeschlagenen Weg nicht klappen sollte.<br />

Beziehungsarbeit<br />

Der Aufbau einer Vertrauensbeziehung ist in vielen Fällen die Basis für einen wirkungsvollen Unterstützungsprozess.<br />

Beziehungsarbeit zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass die Case Managerinnen und Case Manager<br />

in den Gesprächen auf die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der Jugendlichen eingehen. Sie<br />

hören ihnen aufmerksam zu und zeigen Interesse an ihrer Lebensgeschichte. Die Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen sehen sich dadurch als Personen und Menschen respektiert. Ein Jugendlicher hat besonders<br />

geschätzt, dass seine „Ticks“ und „Macken“ akzeptiert wurden. Allgemein werden die Case Managerinnen<br />

und Case Manager als „nett“ und „freundlich“ wahrgenommen. Sie versuchen die Jugendlichen in ihren Bemühungen<br />

zu bestärken und ihnen Mut zuzusprechen. Die Beziehung wird durch die Niederschwelligkeit des<br />

CM BB zusätzlich gestärkt. Die Case Managerinnen und Case Manager stellen sich für Fragen zur Verfügung<br />

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!