Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn

Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn Zwischenbericht Evaluation - Kanton Solothurn

13.07.2014 Aufrufe

dem Durchschnitt und entsprechend oft besuchten sie einen niedrigen Schultypus. Eine Ursache für diese Defizite liegt oftmals in der Bildungsferne des Elternhauses. Viele Jugendliche stammen aus Migrantenfamilien, die erst spät – oft in der Phase der Berufsfindung – in die Schweiz kamen. Die Betroffenen beklagen sich zudem darüber, dass sie aufgrund ihres Migrationshintergrunds, ihres niedrigen Schultypus und der durchlaufenen Integrationskurse diskriminiert werden. So haben sich die genannten Kompetenzlücken häufig während des Werdegangs der Jugendlichen und jungen Erwachsenen verfestigt und im Übergang in eine Berufsausbildung ein hinderliches Ausmass angenommen. Fallbeispiel Malik Die Kompetenzlücken von Malik sind während der Migrationsodyssee entstanden, die ihn und seine Familie nach der Emigration aus einem arabischen Staat durch verschiedene europäische Länder führte. Weil er erst als Jugendlicher in die Schweiz kam, kann er sich auf Deutsch weniger gut ausdrücken als seine gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen. Auch fehlen ihm Wissen und Kompetenzen, um sich auf dem Lehrstellenmarkt zurechtzufinden. Insbesondere das Schreiben von Bewerbungen und das Führen von Telefon- und Bewerbungsgesprächen bereiten ihm Schwierigkeiten. Diese Kompetenzlücken kommen beispielhaft in einem Zitat des Jugendlichen zum Ausdruck: „Wenn ich spreche, merken sie, dass ich nicht so lange hier bin. Wenn ich per Telefon anrufe, versuche ich manchmal, Schweizerdeutsch zu reden. Ich rede doch Schweizerdeutsch, aber dann reden die mit mir Hochdeutsch.“ Dass ihn seine Eltern im Bereich der Berufsbildung nicht unterstützen können, kommt erschwerend hinzu. Und so sind seine Versuche, eine Lehrstelle zu finden, bisher gescheitert. Die vielen Misserfolgserlebnisse und die damit verbundenen Enttäuschungen haben bei Malik zu einer gewissen Resignation geführt. Auch fühlt er sich aufgrund seines Migrationshintergrunds diskriminiert. Jugendliche mit inneren Konflikten Dass die Berufsfindung bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen des zweiten Typus wenig fortgeschritten ist, hat mit ihren „inneren Konflikten“ zu tun. Diese entstehen aus dem Zusammenspiel verschiedener Lebensbereiche. In erster Linie fehlen ihnen bestimmte emotionale und kognitive Kompetenzen. So haben die Betroffenen zwar gewisse Vorstellungen davon, welchen Beruf sie ergreifen und was sie in ihrem Leben erreichen möchten, doch fällt es ihnen schwer, sich zu fokussieren und diese Vorstellungen umzusetzen. Ein junger Erwachsener erzählt bspw., dass er oft mit „sich selbst zu kämpfen“ habe und sich „durchbeissen“ müsse. Die Umsetzungsschwierigkeiten und der fehlende Durchhaltewille sind auch dafür verantwortlich, dass die betreffenden Jugendlichen bestimmte Wissens- und Kompetenzlücken aufweisen. Hinzu kommen psychosomatische Symptome, die ihren Ursprung möglicherweise in ihrer wechselhaften Vergangenheit haben. Bei der Bewältigung der Probleme können sie dabei nicht auf die Unterstützung der Eltern zählen. Oft sind die Eltern-Kind-Beziehungen von Konflikten oder Distanz gekennzeichnet. Deutlich mehr Halt finden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Gruppe der Gleichaltrigen, d.h. bei ihren Peers und ihren Partnerinnen und Partner. Die starke Freizeit- und Peer-Orientierung kann im Berufsbildungsprozess aber auch zum Problem werden. Es ist zu vermuten, dass die inneren Konflikte und die Krisenhaftigkeit dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine biographische Komponente haben. Zahlreiche Brüche charakterisieren ihren Lebenslauf. Dazu gehören Wechsel der Wohnform und des Wohnortes – von Heim zu Heim, vom Heim zu den Eltern und wieder zurück – sowie Schulwechsel und Schulabbrüche. Typisch ist gleichzeitig, dass sie ihre Erfahrungen auch als Ressourcen nutzen können. Einerseits sind sie persönlich gereift, andererseits haben sie ein starkes Unabhängigkeitsstreben entwickelt. 10

Fallbeispiel Laura Die 16jährige Laura zählt zu den Jugendlichen mit inneren Konflikten. Wie die anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen dieser Gruppe, blickt auch sie auf eine wechselhafte Vergangenheit zurück. Brüche und Konflikte kennzeichnen insbesondere die Familiengeschichte und die Wohnsituation. Nach der Trennung ihrer Eltern lebte sie zeitweise bei der Mutter und zeitweise bei einer Pflegefamilie. Heute wohnt sie in einem Jugendheim. Auch die Schulzeit verlief unglücklich. Sie berichtet von Konflikten mit Lehrpersonen und Mobbingerfahrungen. Dass sie von ihren Eltern kaum Unterstützung erhält, macht die Situation nicht einfacher. Während sie vom Vater Ablehnung erfährt, kann sie von ihrer Mutter keine Hilfe erwarten, weil diese psychisch krank ist. Die aktuelle Situation von Laura ist kritisch. Sie steht kurz vor Abschluss des 9. Schuljahres und es ist keine Anschlusslösung in Sicht. Diese Situation führt sie einerseits auf ihre schwierige Kindheit und ihre schwierige Jugend zurück, andererseits auf ihre Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Diese hindern sie daran, ihre Vorstellungen und Ziele umzusetzen. Trotz dieser Belastungen verfügt sie über bestimmte Ressourcen: sie hat ein intaktes soziales Netz (Freund, Kollegen), vielfältige Interessen (z.B. Malen) und ein starkes Streben nach Unabhängigkeit. Im folgenden Zitat kommen die Unsicherheiten von Laura zum Ausdruck, aber auch ihr Wille, diese zu überwinden: „Was soll ich sagen, ich habe momentan recht zu kämpfen. Nicht zu wissen, was, wie, wo. Ich versuche es irgendwie. Ich sehe das Ziel, das ich habe und ich versuche es zu erreichen. Dafür stehe ich halt jeden Tag wieder auf und fange wieder von vorne an.“ Wie die folgende Passage zeigt, kann sie ihre Stärke auch aus schwierigen Lebenserfahrungen ziehen. Sie helfen ihr, einen realistischen Blick auf das Leben zu werfen: „Ja, ich versuche, positiv zu sein, aber ich versuche auch, realistisch zu sein. Es ist nicht so, dass ich einfach nur Blümchen sehe (Lachen) […] Ich habe genug in meinem Leben erlebt, dass ich mein Leben nicht nur blümchenhaft sehe.“ Jugendliche mit zerbrochenem Lebensentwurf Bei diesen Jugendlichen ist der Lebensentwurf die prägende Ressourcen- bzw. Defizitdimension. Der Lebensentwurf, den sie sich erarbeitet und über längere Zeit verfolgt haben, ist bei Eintritt ins CM BB gescheitert. Das Scheitern ist typischerweise mit dem Abbruch der Berufsausbildung verbunden. Zurückzuführen ist es in erster Linie auf körperliche Probleme (z.B. Rückenbeschwerden, Fussverletzung), die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen daran hindern, den Anforderungen ihrer Ausbildung gerecht zu werden. Die Betroffenen sind dadurch verunsichert und ihre Psyche ist angeschlagen. Zudem stehen sie vor der Herausforderung, einen neuen Lebensentwurf zu entwickeln oder ihren bestehenden Lebensentwurf anzupassen. Das stabile soziale Netz (insb. Freundschaftsbeziehungen) und aktive Freizeitbeschäftigungen helfen ihnen und strukturieren ihren Alltag. Vom zweiten Ressourcentyp – Jugendliche mit inneren Konflikten – unterscheiden sie sich insofern, als dass ihr Leben zuvor kaum von Brüchen gekennzeichnet war. Ihre Biographie und der Berufsfindungsprozess verliefen bis zum Auftreten der geschilderten Probleme und dem Abbruch der Ausbildung relativ konstant. Zurückgezogene Jugendliche Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen des letzten Typus verfügen über geringe Ressourcen bei gleichzeitiger Mehrfachproblematik. Im Zentrum stehen schwere psychische Beeinträchtigungen (u.a. Depressionen, Angststörungen) und damit verbundene Einschränkungen (z.B. Antriebslosigkeit). Diese wirken sich negativ auf die übrigen Lebensbereiche aus – und die übrigen Lebensbereiche wirken sich wiederum negativ auf die psychische Gesundheit aus. Wie die Bezeichnung des Typus bereits andeutet, ist der soziale Rückzug 11

dem Durchschnitt und entsprechend oft besuchten sie einen niedrigen Schultypus. Eine Ursache für diese<br />

Defizite liegt oftmals in der Bildungsferne des Elternhauses. Viele Jugendliche stammen aus Migrantenfamilien,<br />

die erst spät – oft in der Phase der Berufsfindung – in die Schweiz kamen. Die Betroffenen beklagen sich<br />

zudem darüber, dass sie aufgrund ihres Migrationshintergrunds, ihres niedrigen Schultypus und der durchlaufenen<br />

Integrationskurse diskriminiert werden. So haben sich die genannten Kompetenzlücken häufig während<br />

des Werdegangs der Jugendlichen und jungen Erwachsenen verfestigt und im Übergang in eine Berufsausbildung<br />

ein hinderliches Ausmass angenommen.<br />

Fallbeispiel Malik<br />

Die Kompetenzlücken von Malik sind während der Migrationsodyssee entstanden, die ihn und seine Familie<br />

nach der Emigration aus einem arabischen Staat durch verschiedene europäische Länder führte. Weil er erst<br />

als Jugendlicher in die Schweiz kam, kann er sich auf Deutsch weniger gut ausdrücken als seine gleichaltrigen<br />

Kolleginnen und Kollegen. Auch fehlen ihm Wissen und Kompetenzen, um sich auf dem Lehrstellenmarkt<br />

zurechtzufinden. Insbesondere das Schreiben von Bewerbungen und das Führen von Telefon- und Bewerbungsgesprächen<br />

bereiten ihm Schwierigkeiten. Diese Kompetenzlücken kommen beispielhaft in einem Zitat<br />

des Jugendlichen zum Ausdruck:<br />

„Wenn ich spreche, merken sie, dass ich nicht so lange hier bin. Wenn ich per Telefon anrufe, versuche ich<br />

manchmal, Schweizerdeutsch zu reden. Ich rede doch Schweizerdeutsch, aber dann reden die mit mir<br />

Hochdeutsch.“<br />

Dass ihn seine Eltern im Bereich der Berufsbildung nicht unterstützen können, kommt erschwerend hinzu.<br />

Und so sind seine Versuche, eine Lehrstelle zu finden, bisher gescheitert. Die vielen Misserfolgserlebnisse und<br />

die damit verbundenen Enttäuschungen haben bei Malik zu einer gewissen Resignation geführt. Auch fühlt er<br />

sich aufgrund seines Migrationshintergrunds diskriminiert.<br />

Jugendliche mit inneren Konflikten<br />

Dass die Berufsfindung bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen des zweiten Typus wenig fortgeschritten<br />

ist, hat mit ihren „inneren Konflikten“ zu tun. Diese entstehen aus dem Zusammenspiel verschiedener<br />

Lebensbereiche. In erster Linie fehlen ihnen bestimmte emotionale und kognitive Kompetenzen. So haben<br />

die Betroffenen zwar gewisse Vorstellungen davon, welchen Beruf sie ergreifen und was sie in ihrem Leben<br />

erreichen möchten, doch fällt es ihnen schwer, sich zu fokussieren und diese Vorstellungen umzusetzen. Ein<br />

junger Erwachsener erzählt bspw., dass er oft mit „sich selbst zu kämpfen“ habe und sich „durchbeissen“<br />

müsse. Die Umsetzungsschwierigkeiten und der fehlende Durchhaltewille sind auch dafür verantwortlich,<br />

dass die betreffenden Jugendlichen bestimmte Wissens- und Kompetenzlücken aufweisen. Hinzu kommen<br />

psychosomatische Symptome, die ihren Ursprung möglicherweise in ihrer wechselhaften Vergangenheit haben.<br />

Bei der Bewältigung der Probleme können sie dabei nicht auf die Unterstützung der Eltern zählen. Oft<br />

sind die Eltern-Kind-Beziehungen von Konflikten oder Distanz gekennzeichnet. Deutlich mehr Halt finden die<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Gruppe der Gleichaltrigen, d.h. bei ihren Peers und ihren Partnerinnen<br />

und Partner. Die starke Freizeit- und Peer-Orientierung kann im Berufsbildungsprozess aber auch<br />

zum Problem werden.<br />

Es ist zu vermuten, dass die inneren Konflikte und die Krisenhaftigkeit dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

eine biographische Komponente haben. Zahlreiche Brüche charakterisieren ihren Lebenslauf.<br />

Dazu gehören Wechsel der Wohnform und des Wohnortes – von Heim zu Heim, vom Heim zu den Eltern und<br />

wieder zurück – sowie Schulwechsel und Schulabbrüche. Typisch ist gleichzeitig, dass sie ihre Erfahrungen<br />

auch als Ressourcen nutzen können. Einerseits sind sie persönlich gereift, andererseits haben sie ein starkes<br />

Unabhängigkeitsstreben entwickelt.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!