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Verbrennungstrauma –<br />

Verbrennungserkrankung<br />

Martin Brüesch, Institut für Anästhesiologie, UniversitätsSpital,<br />

Rämistrasse 100, 8091 Zürich


Inhalt<br />

1. Einleitung 3<br />

2. Initiale Behandlung 3<br />

3. Sekundäre Behandlung 4<br />

3.1. Anamnese 4<br />

3.2. Tiefe der Verbrennung 5<br />

3.2.1. Anatomische und pathophysiologische Überlegungen 5<br />

3.2.2. Aussehen und Charakteristik der Verbrennung 7<br />

3.3. Ausdehnung der Verbrennung 8<br />

3.4. Begleitverletzungen 10<br />

4. Beurteilung der Prognose 11<br />

4.1. Zentrum für Brandverletzte 11<br />

5. Kühlung 13<br />

6. Zusätzliche Aufgaben des Rettungsteams 14<br />

7. Schocktherapie in den ersten 24 Stunden 15<br />

8. Inhalationstrauma 17<br />

9. Spezielle Verbrennungen 19<br />

9.1. Elektroverbrennungen 19<br />

9.1.1. Schwachstromverletzungen (< 1000 Volt), auch Niedervoltunfälle<br />

20<br />

9.1.2. Starkstromverletzungen (> 1000 Volt), auch Hochvoltunfälle 20<br />

9.2. Chemische Verletzungen 22<br />

9.2.1. Säuren 24<br />

9.2.2. Laugen 25<br />

9.2.3. Lösungsmittel 25<br />

9.2.4. Phosphor 26<br />

9.2.5. Elementares Natrium, Kalium und Lithium 27<br />

10. Schlussbemerkung 27<br />

11. Quellennachweis 28<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 2


1. Einleitung<br />

Das Verbrennungstrauma entsteht durch thermische, elektrische oder<br />

chemische Unfälle und der damit entstehenden Schädigung der Haut.<br />

Ist der Hautschaden ausgedehnt, d.h. über 10% der Körperoberfläche,<br />

kommt es nebst lokalen Problemen auch noch zu allgemeinen<br />

Problemen, welche sämtliche Organsysteme betreffen, dies nennt man<br />

die Verbrennungserkrankung. Die Verbrennungserkrankung entsteht erst<br />

nach einigen Tagen, das Ausmass wird jedoch durch die Behandlung am<br />

Unfallort beeinflusst.<br />

In Europa gibt es ungefähr eine schwere Brandverletzung pro 20'000<br />

Einwohner pro Jahr, in den Vereinigten Staaten von Amerika schätzt<br />

man einen hospitalisierten Brandverletzten pro 5'000 Einwohner pro<br />

Jahr.<br />

Am Häufigsten sind Verbrennungen durch Feuer (50%) gefolgt von<br />

Verbrühungen (25 – 30%), Explosionen (10%), Elektroverbrennungen (8<br />

– 12%) und Kontaktverbrennungen (ca. 10%). Chemische Verletzungen<br />

sind sehr selten. Die Verteilung hängt aber von den geografisch<br />

verschiedenen Lebensgewohnheiten und den sozialökonomischen<br />

Strukturen ab.<br />

2. Initiale Behandlung<br />

Die initiale Behandlung richtet sich nach dem ABCDE-Algorithmus und<br />

unterscheidet sich nicht von der Behandlung anderer Verletzungsmuster.<br />

Ohne Zusatzverletzungen gibt es kurz nach dem Trauma selten ein Airway-<br />

Problem (Atemwegs-Problem). Schwellungen und damit verbundene<br />

Einengung der Atemwege treten erst mit der Behandlung und der<br />

intravenösen Flüssigkeitsgabe bei erhöhter Durchlässigkeit der kleinen<br />

Blutgefässe auf. Da jeder Traumapatient, unabhängig von der<br />

pulsoximetrisch gemessenen Sauerstoffsättigung, während der initialen<br />

Behandlung Sauerstoff über Maske erhält, wird der potentiell erhöhte<br />

Kohlenmonoxid-Hämoglobinspiegel damit bereits therapeutisch<br />

angegangen.<br />

Beim Inhalations- oder Explosions-Trauma kann ein Breathing-Problem<br />

(Atmungs-Problem) leicht erkannt und mit Maskenbeatmung, ggf.<br />

endotrachealer Intubation oder Drainage eines Pneumothorax beherrscht<br />

werden.<br />

Bei der Circulation ist man häufig etwas verunsichert, aber auch hier gibt es<br />

keine Besonderheiten. Der Patient wird nach klinischen Kriterien<br />

behandelt, diese beinhalten Blutdruck, Pulsfrequenz, später<br />

Urinausscheidung und Laborparameter, z.B. Milchsäurespiegel im Blut. Die<br />

bekannten Formeln zum Errechnen des Flüssigkeitsbedarfs gelten dabei nur<br />

<strong>als</strong> grobe Abschätzung und sollen verhindern, dass der sehr grosse Bedarf<br />

unterschätzt wird.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 3


Die Disability (Neurologie / Bewusstsein) ist häufig normal, ein<br />

eingeschränkter Bewusstseinszustand deutet bei Fehlen von<br />

Zusatzverletzungen auf eine zelluläre Sauerstoffunterversorgung hin und ist<br />

primär <strong>als</strong> Breathing-Problem zu werten.<br />

Die Events und das Environment, <strong>als</strong>o was ist wo passiert, sind auch beim<br />

Verbrennungstrauma sehr wichtig und geben Aufschluss über das mögliche<br />

Verletzungsmuster.<br />

Erst nachdem dieses primäre ABCDE abgeschlossen ist, und damit<br />

lebensbedrohliche Zustände erkannt und behandelt worden sind, geht<br />

man zur erweiterten Diagnostik und Behandlung über. Dazu gehört:<br />

3. Sekundäre Behandlung<br />

3.1. Anamnese<br />

Das Erheben der Anamnese (Krankengeschichte) ist fast immer möglich,<br />

da Brandverletzte auch bei ausgedehnten Verbrennungen wach und<br />

orientiert sind. Verwirrt oder gar komatös sind nur Verletzte nach<br />

Starkstromunfällen (> 1000 Volt), bei Begleitverletzungen mit<br />

Schädelhirntraumen oder bei einer Kohlenmonoxid-Vergiftung. Viele<br />

Befunde können erst durch die anamnestischen Angaben gewertet und<br />

gewisse spezifische Komplikationen erst nach der Anamnese gezielt<br />

gesucht werden.<br />

Die Anamnese muss die Frage nach dem «wie» und mit «was», dem «wo»,<br />

dem «warum» und dem «wer» beantworten.<br />

Wie hat sich der Unfall ereignet?<br />

Verbrühung, Feuer, Verkehrsunfall, Explosion, Strom oder Blitz,<br />

chemische Verletzung? Verbrühungen werden in der Tiefe meist<br />

unterschätzt, Verbrennungen nach Explosionen dagegen überschätzt.<br />

Chemische Verletzungen sehen lokal oft harmlos aus, können aber je nach<br />

Substanz lebensgefährlich verlaufen.<br />

Stromunfälle unterscheiden sich von den übrigen Unfällen in fast jeder<br />

Hinsicht und werden darum speziell besprochen.<br />

Wo hat der Unfall stattgefunden und was hat gebrannt? Im geschlossenen<br />

Raum, im Freien?<br />

Alle Brandverletzungen in geschlossenen Räumen bergen die Gefahr eines<br />

Inhalationstraumas und der Vergiftung mit Kohlenmonoxid in sich.<br />

Besonders gefährlich sind Verletzungen in Räumen, wo es zum Brand von<br />

Kunststoffen kommt. Brennende Kunststoffe entwickeln Säuredämpfe,<br />

Halogene, Phosgene und viele andere Gifte, die zu einem toxischen<br />

Lungenschaden führen.<br />

Warum ist es zum Unfall gekommen?<br />

Absenz oder epileptischer Anfall, Fremdeinwirkung, Suizidversuch?<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 4


Auf den ersten Blick mag es irrelevant erscheinen, ob die Ursache der<br />

Verbrennung ein Suizidversuch oder Unfall war. Erfahrungsgemäss ist aber<br />

die Prognose nach Suizidversuchen deutlich schlechter. Die Gründe dafür<br />

sind unklar, ebenso wie die schlechtere Prognose bei psychiatrischen<br />

Erkrankungen eine bekannte Tatsache ohne medizinische Erklärung ist.<br />

Etwa 5 % der Verbrennungsunfälle ereignen sich während einer kurzen<br />

Bewusstlosigkeit (Absenz) oder bei einem epileptischen Anfall. Diese<br />

Erkrankungen haben im Gegensatz zu den Suizidversuchen und<br />

psychiatrischen Vorerkrankungen keinen negativen Einfluss auf die<br />

Heilung von Brandwunden.<br />

Wer hat sich verbrannt?<br />

Alter (Säuglinge, Kinder, Greise), gesunder Patient oder vorbestehende<br />

Erkrankung? Die schlechtere Prognose bei alten Menschen hat ihre Gründe<br />

in vorbestehenden Herz-Kreislauf-Problemen, in generell langsameren<br />

Heilungsabläufen und in der dünneren und somit für Hitzeschäden<br />

anfälligeren Haut.<br />

Eine schlechtere Prognose haben Patienten mit Alkoholmissbrauch,<br />

Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Immunschwächen oder Krankheiten,<br />

welche chemotherapeutisch oder immunsuppressiv behandelt werden<br />

müssen. Bei den genannten Vorerkrankungen ist das Blutvergiftungsrisiko<br />

und damit die Sterblichkeit erhöht.<br />

3.2. Tiefe der Verbrennung<br />

Die Tiefe der Verbrennung ist für die Wundheilung und die chirurgische<br />

Behandlung entscheidend. Bis heute ist es mit keinem physikalischen<br />

oder chemischen Verfahren gelungen, die Verbrennungstiefe verlässlich<br />

zu messen. Auch die Untersuchung mit dem Mikroskop ist nicht<br />

konklusiv: Eindeutig zerstörte Zellen sind zwar erkennbar, aber ein<br />

Grossteil der toten oder biochemisch geschädigten Zellen ist unmittelbar<br />

nach dem Unfall vom Aussehen her unauffällig. Es bleiben zur<br />

Beurteilung nur die mit den Sinnen erfassbaren Befunde, die subjektiv<br />

beeinflusst sind. Die sichere Klassifizierung in die bekannte prognoseund<br />

therapiebestimmende Gradeinteilung I°, oberflächlich II°, tief II°<br />

und III° bleibt <strong>als</strong>o unsicher und entscheidend abhängig von der<br />

Erfahrung des Untersuchers. Der Unerfahrene wird sich trotz der mehr<br />

oder weniger klaren Definitionen in der Gradeinteilung häufig täuschen.<br />

3.2.1. Anatomische und pathophysiologische Überlegungen<br />

Anatomisch gliedert sich die Haut in Epidermis, Dermis und Subkutis.<br />

Die Epidermis, bestehend aus Schichten von Hornhautzellen, die in der<br />

Dermis fest verankert sind, schützt den Körper vor Wasserverlust und<br />

bakterieller Besiedelung. Die Dermis verleiht der Haut Geschmeidigkeit<br />

und Widerstandsfähigkeit und ist für die Temperaturregulation und<br />

Sensibilität verantwortlich. In die Subkutis ragen die Haarwurzeln und<br />

die Schweissdrüsen.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 5


Die Verbrennungsgrade können diesen Schichten der Haut zugeordnet<br />

werden.<br />

I° Verbrennungen setzen den Schaden rein epidermal, <strong>als</strong>o ganz<br />

oberflächlich.<br />

II° Verbrennungen liegen in der Epidermis und - namensgebend - bei den<br />

oberflächlich II° eben im oberen Anteil der Dermis («oberflächlich<br />

dermale Verbrennung») und bei tief II° im tieferen, der Subkutis nahen<br />

Schicht der Dermis (tief dermale Verbrennung»).<br />

III° Verbrennungen betreffen alle Hautschichten, auch die Subkutis. Im<br />

Angelsächsischen werden sie darum «full thickness burns» genannt.<br />

Die Tiefe der Läsion ist abhängig von:<br />

• der einwirkenden Noxe,<br />

• der Dauer der Einwirkung,<br />

• der Höhe der Temperatur,<br />

• der Lokalisation,<br />

• dem Alter des Patienten.<br />

Temperaturen von über 52 °C schädigen die Zellen abhängig von der<br />

Expositionszeit. Es kommt zur Denaturierung von Eiweissen und zur<br />

Störung der Gefässdurchlässigkeit mit pathophysiologischen Problemen<br />

lokaler und allgemeiner Art. Kurzzeitig kann sich die Haut zwar durch<br />

Verdampfen von Zell- und Zwischenzellwasser schützen, aber bei einer<br />

Einwirkung von mehr <strong>als</strong> etwa 10 bis 20 Sekunden kommt es zum Zelltod.<br />

Die Zone des Zelltodes im Zentrum der Hitzeeinwirkung wird auch die<br />

Zone der Koagulation (Koagulation der Eiweisse) genannt. Entsprechend<br />

der Tiefe der Verbrennung ist der Zellschaden auf die Epidermis oder auf<br />

die Epidermis und die oberflächlichen Dermisanteile begrenzt oder betrifft<br />

bei III° Verbrennungen die gesamte Hautdicke. An die Zone der<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 6


Koagulation grenzt die Zone der Stase, gekennzeichnet durch<br />

eingeschränkte Gefässzirkulation. Ursache dafür sind die Vasokonstriktion<br />

(Zusammenziehen der Gefässe) und die Schwellung der Endothelzellen<br />

(innere Auskleidung der Gefässe). Das zeitliche Auftreten der<br />

Zirkulationsstörung in den kleinen Gefässen (Mikrozirkulation) ist<br />

abhängig von der Stärke des thermischen Schadens und kann bis 48<br />

Stunden nach dem Trauma anhalten. Eine zusätzliche Einschränkung der<br />

Mikrozirkulation durch prolongiertes Ödem, überschiessende entzündliche<br />

Reaktion oder ungenügende Kühlung führt zum «Nachbrennen». das heisst<br />

zum Tod der primär lebenden Zellen der Stasezone, zur Konversion in die<br />

Koagulationszone. Unmittelbar am Übergang der verletzten zur gesunden<br />

Haut liegt die Zone der Hyperämie (verstärkte Blutzirkulation). Im Sinne<br />

einer entzündlichen Reaktion ist hier der Blutfluss bei Vasodilatation<br />

(Vergrösserung der Gefässe) gesteigert. Es finden sich keine Zellschäden,<br />

und die Regenerationsfähigkeit in dieser Zone ist optimal. Die Haut zeigt<br />

zwar überall am Körper den gleichen Aufbau, jedoch ist ihre Dicke unterschiedlich<br />

und reicht von 0,5 mm (Augenlider) bis 4 mm (Rücken, Gesäss).<br />

Zudem ist die Dicke der Haut altersabhängig: Kinder und alte Menschen<br />

haben dünnere Haut <strong>als</strong> junge Erwachsene. Entsprechend der Lokalisation<br />

und dem Alter treten darum, trotz gleicher Noxe und Zeiteinwirkung,<br />

verschieden tiefe Läsionen auf.<br />

3.2.2. Aussehen und Charakteristik der Verbrennung<br />

Zur Beurteilung der Brandwunden stü tzt man sich auf folgende<br />

Angaben und Beobachtungen:<br />

• Farbe,<br />

• Feucht (Blase) oder trocken,<br />

• Konsistenz,<br />

• Schmerz,<br />

• Anhangsgebilde.<br />

Im Verlauf kommt <strong>als</strong> Beurteilungskriterium die Heilungsdauer<br />

hinzu: I° Verbrennungen heilen in sechs und oberflä chlich II° in<br />

zehn Tagen. Alle Verbrennungen, die nach elf Tagen nicht heilen,<br />

sind tief II° oder III° .<br />

Die Farbe der Verbrennung ist klar ersichtlich und bietet auch dem<br />

Ungeü bten kaum Schwierigkeiten.<br />

Ein nicht allen Untersuchern bekanntes Phä nomen ist, dass die<br />

R ö tung bei oberflä chlich II° Verbrennungen wegdrü ckbar ist, ein<br />

Zeichen, dass die in der tieferen Dermis liegenden Kapillaren (kleine<br />

Blutgefä sse) intakt sind. Die Rö tung bei tief II° Verbrennungen ist<br />

kaum noch wegdrü ckbar, wegen Stase oder Gefä ss- Verschlü ssen der<br />

in der tieferen Dermis liegenden Kapillaren. Auch bei den seltenen<br />

III° Verbrennungen roter Farbe ist die Rö tung nicht mehr<br />

wegdrü ckbar.<br />

Ist der Wundgrund feucht oder zeigt sich eine Blase, ist die<br />

Verbrennung immer II°. Danach muss differenziert werden zwischen<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 7


oberflächlich oder tief II°. I° und III° Verbrennungen sind dagegen<br />

immer trocken.<br />

Oberflächlich und tief II° Verbrennungen sind von normaler, weicher<br />

Hautkonsistenz. Hart dagegen sind III° Verbrennungen wegen<br />

Eiweissdenaturierungen in der Dermis und der subkutanen Fettschicht.<br />

Wegen der unmittelbaren Exposition der Nervenendigungen sind die<br />

oberflächlich II° Verbrennungen die schmerzhaftesten. Bei zunehmender<br />

Tiefe nimmt der Schmerz ab und fehlt bei III° vollständig.<br />

Die tiefer wurzelnden Haare halten bei oberflächlich II° Verletzungen.<br />

Bei der tief II° Verbrennung fallen die Haare, die in der tieferen Dermis<br />

wurzeln, aus. Bei III° Verbrennungen fallen alle Haare und letztlich<br />

auch Nägel aus.<br />

Klar und unmissverständlich sind die I° und III° Verbrennungen<br />

charakterisiert. Erfahrungsgemäss bieten diese auch kaum diagnostische<br />

Probleme.<br />

Unklar und schwammig ist die Definition der oberflächlich und tief II°<br />

Verbrennungen. Dort <strong>als</strong>o, wo der entscheidende Schnitt zwischen<br />

Spontanheilung in zehn Tagen ohne Narbenbildung und Spontanheilung in<br />

drei bis fünf Wochen mit Narbenbildung, die Grenze auch zwischen<br />

konservativer und chirurgischer Therapie liegt, wird die Diagnose am<br />

schwierigsten. Fehldiagnosen sind häufig und können folgenschwere<br />

Auswirkungen haben: Wird beispielsweise fälschlicherweise eine <strong>als</strong><br />

oberflächlich II° beurteilte Verbrennung operiert, resultiert statt einer<br />

narbenlosen Abheilung unter konservativer Therapie eine sichtbare Narbe.<br />

Umgekehrt führt die F<strong>als</strong>chinterpretation einer tief II° Verbrennung <strong>als</strong><br />

oberflächlich II° zu Zeitverlust durch konservative Therapie, zu erhöhtem<br />

Risiko der Wundinfektion mit Gefahr der Blutvergiftung und lokal zu<br />

einem funktionell sowie ästhetisch schlechteren Resultat, <strong>als</strong> bei einer<br />

zeitgerechten, frühen tangentialen Exzision (chirurgische<br />

Operationstechnik: die verbrannte Haut wird tangential mit einem<br />

speziellen Messer bis zur Zone der Hyperämie abgetragen) zu erwarten<br />

wäre.<br />

Verbrennungen mit unklarer Tiefendiagnostik im Gesicht, an Händen,<br />

Decollete, Schulter und über Gelenken gehören in spezialärztliche<br />

Behandlung.<br />

Am einfachsten ist die Beurteilung direkt nach dem Unfall ohne<br />

Vorbehandlung mit farbigen Desinfektionsmitteln.<br />

Alle Brandwunden, die nach zehn Tagen nicht geheilt sind, müssen spezialärztlich<br />

abgeklärt werden.<br />

3.3. Ausdehnung der Verbrennung<br />

Die Mehrzahl der Verbrennungsunfälle hat eine minimale Ausdehnung<br />

und lässt sich, bezogen auf die gesamte Körperoberfläche (KOF), in<br />

Prozenten kaum ausdrücken. Selbst in Zentren für Brandverletzte ist<br />

die Verbrennungsausdehnung nicht so gross wie vielfach angenommen:<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 8


Von 1968 bis 1999 wurden im Zentrum am Universitätsspital Zürich<br />

2'314 Verletzte betreut, zwei Drittel (67 %) davon hatten<br />

Verbrennungen kleiner <strong>als</strong> 30 % der KOF und nur ein Sechstel (16,5<br />

%) solche von über 50 % der KOF. Diese Beobachtung gilt für alle<br />

Zentren.<br />

Die therapeutischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten sind<br />

entscheidend von der Ausdehnung der Verbrennung abhängig. Bei<br />

Verletzungen unter 10% stehen therapeutisch die Funktion und<br />

Ästhetik im Vordergrund, da der Patient bei kleinen Ausdehnungen<br />

selten «verbrennungskrank» wird. Die Resultate sind - oder sollten es<br />

zumindest sein - bezüglich Ästhetik und Funktion besser <strong>als</strong> bei<br />

ausgedehnten Verbrennungen gleicher Tiefe.<br />

Übersteigt die Ausdehnung 30 %, wird die Verletzung, stark abhängig<br />

vom Alter des Verletzten, lebensbedrohlich. Therapeutisch steht in<br />

diesen Fällen das Überleben im Vordergrund, Funktionalität und<br />

Ästhetik treten in den Hintergrund. Die Ausdehnung bestimmt jetzt<br />

das therapeutische Vorgehen, weniger die Tiefe der Verbrennung, und<br />

intensivmedizinische Überlegungen müssen mit den chirurgischen in<br />

Einklang gebracht werden.<br />

Die KOF eines Mannes liegt zwischen 1,8 und 2 m 2 , die der Frauen<br />

zwischen 1,5 und 1.8 m 2 . Eine Verbrennung von 50 % der KOF<br />

bedeutet <strong>als</strong>o eine Wundfläche von 0,75 bis 1 m 2 ! Zum Verständnis des<br />

Verbrennungstraumas ist es wichtig, die nackten Prozentangaben mit<br />

der tatsächlichen Wundfläche zu vergleichen, nur so kann man sich ein<br />

Bild der immensen Wundinfektionsgefahr machen.<br />

Um sich in der Notfallsituation einen raschen Überblick zu<br />

verschaffen, genügt zur Beurteilung der Verbrennungsausdehnung die<br />

9er-Regel. Ausser den I°- Verbrennungen, die nicht gezählt werden,<br />

werden alle anderen Grade gleich gewichtet zur Gesamtausdehnung<br />

zusammengezählt.<br />

Die Handinnenfläche des Patienten entspricht 1 % der KOF, dies zu<br />

wissen ist bei der Berechnung kleinflächiger Verbrennungen hilfreich. Die<br />

Handfläche des Kleinkindes inklusive Finger entspricht etwa 1% der<br />

Körperoberfläche, beim erwachsenen Mann ist es 0.8%, bei der Frau 0.7%,<br />

allerdings nur bis zu einem Body Mass Index von 31. Die Handfläche ohne<br />

Finger entspricht etwa 0.5% der Körperoberfläche, dieses Mass wäre<br />

weniger altersabhängig und damit zuverlässiger für die Schätzung.<br />

Die 9er-Regel gilt nur für Erwachsene. Kinder haben andere Körperproportionen<br />

mit viel grösserem Kopf im Verhältnis zu den Beinen.<br />

Das genaue Errechnen der Ausdehnung erfolgt über Tabellen. Die Befunde<br />

werden dann in einem Verbrennungsdiagramm festgehalten.<br />

Eine korrekte Beurteilung der Ausdehnung ist nur beim völlig entkleideten<br />

Patienten möglich. Oft ist es auch schwierig, die Ausdehnung vor dem<br />

Debridement (Entfernen von totem Gewebe) zu berechnen. Für die<br />

Erstellung des Behandlungsplanes und der Schocktherapie ist letztlich<br />

darum nur die Beurteilung nach dem Debridement gültig.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 9


3.4. Begleitverletzungen<br />

Anhaltspunkte über die Wahrscheinlichkeit von Nebenverletzungen<br />

ergeben sich durch die Anamnese. Nach Autokollisionen, Starkstrom- und<br />

Blitzverletzungen finden sie sich am häufigsten. Vorhandene<br />

Begleitverletzungen werden gemäss den Regeln der Unfallchirurgie<br />

behandelt.<br />

Frakturen (Knochenbrüche) müssen am Unfalltag endgültig, wenn immer<br />

möglich übungsstabil, versorgt werden, speziell dann, wenn sie unter<br />

Verbrennungswunden liegen. Eine spätere operative Versorgung ist sonst<br />

kaum mehr möglich: Wegen der schon nach Stunden mit Keimen<br />

besiedelten Brandwunde oder im späteren Verlauf auftretenden<br />

Wundinfektionen wäre das Risiko eines Knocheninfektes bei<br />

Sekundärversorgung zu gross. Das minim<strong>als</strong>te Risiko einer Infektion<br />

besteht am Unfalltag. Weitere Gründe für die Akutversorgung sind die<br />

Schmerzen und die «Mobilisation»: Bei stabil versorgten Frakturen sind<br />

die Schmerzen geringer, und die Lagerung und Mobilisation des Verletzten<br />

ist einfacher.<br />

Ungünstig ist die Kombination eines Schädelhirntraumas (SHT) und einer<br />

Verbrennung: Jedes SHT birgt die Gefahr eines Hirnödems in sich, und<br />

dieses wird durch die Verbrennungsproblematik mit seiner zusätzlichen<br />

Ödemneigung noch verstärkt. Daraus folgt, dass bei Brandverletzten, die<br />

nicht ansprechbar sind und deren Bewusstsein nach einem SHT wegen<br />

maschineller Beatmung klinisch nicht überwacht werden kann, der<br />

Hirndruck über eine Sonde gemessen werden muss, um mögliche<br />

Hirndruckspitzen behandeln zu können. Alle Starkstrom- und<br />

Blitzverletzten haben ein kurzes, im Extremfall bis zu 24 Stunden<br />

anhaltendes Koma. Ist ein solcher Patient nach Einweisung ins Spital nicht<br />

wach und ansprechbar oder wegen Intubation nicht beurteilbar, stellt sich<br />

die Differentialdiagnose «strominduziertes» oder «traumabedingtes» Koma<br />

(Druckerhöhung im Schädel, wie Bluterguss oder Hirnödem). Eine<br />

Abklärung mittels Computertomographie ist dann zum Ausschluss eines<br />

Blutergusses im Schädel, welcher eine sofortige Operation erfordert,<br />

unumgänglich.<br />

Gesucht und bei Verdacht immer dem H<strong>als</strong>-Nasen-Ohren-Spezialisten<br />

vorgestellt werden müssen Trommelfellrisse oder Innenohrverletzungen<br />

nach Explosionstraumen.<br />

Selten kommt es zu Verletzungen des Auges. Grund für den guten Schutz<br />

des Auges bei Brand- und Explosionsverletzungen ist der sofortige<br />

Lidschluss. Gefürchtet allerdings ist die Schwarzpulverexplosion, die zur<br />

Erblindung führen kann. Gelegentlich sieht man Hornhautverletzungen,<br />

wenn heisser Wasserdampf durch den Lidspalt dringt. Die Hornhaut ist<br />

dann milchig trüb, die Heilung erfolgt aber rasch. Schwierig bis<br />

unmöglich kann die Beurteilung des Auges bei tief III° Verbrennungen<br />

werden: Die Augenlider werden hart und ödematös und können kaum noch<br />

geöffnet werden.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 10


4. Beurteilung der Prognose<br />

Nach der Wundbeurteilung sind prognostische Aussagen bezüglich des<br />

Überlebens aufgrund statistischer Angaben möglich. Die «American<br />

Burn Association» veröffentlichte 1995 die Daten von 28<br />

Verbrennungszentren mit insgesamt 6'417 Patienten, die im Zeitraum<br />

von 1991 bis 1993 behandelt wurden. Daraus geht hervor, dass die<br />

Prognose hauptsächlich durch die Verbrennungsausdehnung, das Alter<br />

und das Fehlen oder Vorliegen eines Inhalationstraumas beeinflusst<br />

wird. Diese statistischen Daten sind verlässlicher <strong>als</strong> alle verfügbaren<br />

Verbrennungsindices.<br />

In gewissen Lehrbüchern wird noch die Faustregel «Summe aus Alter in<br />

Jahren plus Prozent verbrannte KOF» erwähnt: ein Ergebnis grösser 100<br />

entspreche dem sicheren Tod, zwischen 80 bis 100 bedeute Lebensgefahr<br />

und bei unter 80 sei das Überleben wahrscheinlich. Diese alte Regel ist<br />

unbrauchbar, da sie weder den Unfallmechanismus noch<br />

Vorerkrankungen, Zusatzverletzungen, ein eventuell bestehendes<br />

Inhalationstrauma oder die Fortschritte in der Behandlung<br />

Brandverletzer der letzten Jahre berücksichtigt.<br />

Mehrere Autoren haben versucht, die Prognose unter der<br />

Berücksichtigung «aller» Parameter zu errechnen. Der gebräuchlichste<br />

dieser Indices ist der «Abbreviated Burn Severity Index», ABSI-Score,<br />

der das Geschlecht, das Alter, das Inhalationstrauma, die Tiefe und die<br />

Ausdehnung der Verbrennung berücksichtigt. Die meisten<br />

deutschsprachigen Zentren arbeiten mit dem ABSI-Score. Dies hat den<br />

Vorteil, dass neben den demographischen Daten das Patientengut der<br />

verschiedenen Zentren verglichen werden kann, was eine<br />

Qualitätskontrolle erst möglich macht. Auch gewisse prognostische<br />

Aussagen bezüglich der Sterblichkeit sind mit dem ABSI-Score möglich:<br />

Unter 6 Punkten liegt die Sterblichkeit unter 5%. zwischen 7 und 9 bei<br />

etwa 20%, zwischen 10 und 11 um 50%, zwischen 12 und 13 um 60-80%<br />

und über 14 bei praktisch 100%.<br />

Anhand der Befunde muss am Unfallort entschieden werden, ob die<br />

Behandlung ambulant oder stationär erfolgt. «Kleine Verbrennungen»<br />

werden ambulant behandelt. Bei diesen Patienten muss die definitive<br />

Wundtherapie festgelegt und eingeleitet werden. Patienten mit «grossen<br />

Verbrennungen» müssen entweder in das nächste Spital verlegt werden, wo<br />

dann entschieden wird, ob ein Transport in ein Zentrum für<br />

Brandverletzte notwendig ist oder direkt einem Zentrum für<br />

Brandverletzte zugeführt werden.<br />

4.1. Zentrum für Brandverletzte<br />

Welche Bedingungen müssen an die Infrastruktur eines Zentrums für<br />

Brandverletzte gestellt werden?<br />

Die baulichen Vorgaben zielen darauf, die Transportwege kurz zu halten<br />

und damit die Gefahr einer zusätzlichen Keimakquisition und/oder<br />

Keimverschleppung zu reduzieren. Das bedingt Einzelzimmer,<br />

Aufnahmeschleuse, in die Station integriertes Bad und Operationssaal.<br />

Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung müssen über spezielle<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 11


Klimaanlagen (heizbar bis 32 °C) in allen Räumen individuell gesteuert<br />

werden können. Wie wichtig die Raumwärme ist, zeigt, dass bei einem<br />

Absinken der Kerntemperatur um 0,3 °C der Sauerstoffverbrauch<br />

Brandverletzter um bis zu 50 % ansteigt und dass bei einer<br />

Raumtemperatur von 22 °C der Energieverbrauch beim Verbandswechsel<br />

bei Patienten mit über 50 % Verbrennung der KOF massiv ansteigt. Die<br />

Luftfeuchtigkeit sollte idealerweise zwischen 40 und 60 % liegen.<br />

Sechs Intensivbetten müssen minimal betrieben werden können, um eine<br />

ausreichende jährliche Fallzahl von etwa 80 bis 100 Patienten zu<br />

erreichen. Bei einer Patientenzahl unter dieser kritischen Grösse sinkt die<br />

Behandlungsqualität aufgrund mangelnder Erfahrung und Routine des<br />

Teams.<br />

Entscheidend für das Überleben Schwerbrandverletzter ist das<br />

Behandlungsteam, bestehend aus plastischen Chirurgen, Anästhesisten,<br />

Intensivmedizinern und Pflegepersonal. Die grossen Wundflächen und die<br />

daraus resultierenden intensivmedizinischen Probleme wie Schock,<br />

Nierenversagen, Stoffwechselstörungen; Wundinfekte; Blutvergiftung und<br />

Lungenprobleme verlangen nach einem sich ergänzenden Team von<br />

plastischen Chirurgen und Intensivmedizinern. Da chirurgische und<br />

intensivmedizinische Probleme eng miteinander verknüpft sind, wird der<br />

Therapieplan zwischen diesen Fachrichtungen täglich am Krankenbett<br />

diskutiert. Weitere Spezialisten werden vom Intensivmediziner oder<br />

plastischen Chirurgen je nach Bedarf unterstützend zugezogen.<br />

Die Hauptlast der Behandlung liegt beim Pflegepersonal, das anlässlich der<br />

Verbandswechsel, der Überwachung medizinischer Apparate, der Ernährung<br />

und der Mobilisation viele Stunden direkt beim Patienten verbringt.<br />

Unterstützt wird es durch Ergo- und Physiotherapeuten sowie<br />

Diätassistenten.<br />

Neue Erkenntnisse der Immunologen und Biochemiker haben zum besseren<br />

Verständnis der Verbrennungskrankheit geführt. Den Zellbiologen ist es zu<br />

verdanken, dass patienteneigene Haut im Labor gezüchtet werden kann und<br />

Dermisäquivalente überhaupt zur Verfügung stehen. Mit diesen Neuerungen<br />

wurden erst die Möglichkeiten geschaffen, Patienten mit<br />

Verbrennungsausdehnungen von über 60 % der KOF mit hoher Aussicht auf<br />

Erfolg zu behandeln. Da chirurgisch in den nächsten Jahren kaum mehr<br />

wesentliche Neuerungen zu erwarten sind, können Fortschritte in der<br />

Behandlung Schwerbrandverletzter nur durch neue Forschungsergebnisse<br />

auf pathophysiologischen, immunologischen und zellbiologischen Gebieten<br />

erwartet werden. Die Vision der Chirurgen ist die sofortige Verfügbarkeit<br />

von Haut, die nicht nur Keratinozyten, sondern auch Dermis beinhaltet.<br />

Damit würden die Überlebenschancen Brandverletzter erhöht und die<br />

funktionellen und ästhetischen Resultate nach tiefen Verbrennungen<br />

revolutionär verbessert werden.<br />

All dies zeigt, dass nur die Zusammenarbeit zwischen Klinikern und<br />

Forschern zu neuen Möglichkeiten in der Behandlung Brandverletzter<br />

führen wird.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 12


5. Kühlung<br />

Die erste Notfallmassnahme nach einem Verbrennungsunfall ist das Kühlen<br />

der verbrannten Hautareale. Solange das Gewebe über 52 °C erwärmt ist,<br />

wird es geschädigt. Je rascher die Kühlung erfolgt, desto weniger wird das<br />

Gewebe durch das so genannte «Nachbrennen» geschädigt, was ein<br />

Tieferwerden der Verbrennung im Sinne eines Sekundärschadens bewirkt.<br />

Die Kühlung ist nach jedem Verbrennungsunfall sinnvoll. Eine Ausnahme<br />

bilden lediglich die seltenst vorkommenden chemischen Verletzungen mit<br />

elementarem Natrium, Kalium oder Lithium. Nach solchen Unfällen<br />

sollten die Wunden nicht mit Wasser in Kontakt kommen. Sorgfalt mit<br />

Wasser ist bei Elektrounfällen angezeigt: Man muss sich vergewissern, dass<br />

keine beschädigten elektrischen Leitungen in der Umgebung liegen und<br />

der Stromkreis zum Verletzten unterbrochen ist.<br />

Das Kühlen verhindert nicht nur das «Nachbrennen», es lindert auch<br />

nachhaltig die Schmerzen.<br />

Nach chemischen Verletzungen kommt zu der kühlenden Funktion des<br />

Wassers noch der positive Effekt der mechanischen Dekontamination der<br />

Noxe dazu.<br />

Gekühlt wird mit Leitungswasser, welches eine Temperatur von ca. 12 bis<br />

16 °C hat. Steriles Wasser ist nicht notwendig. Die Gefahr einer<br />

Wundkontamination mit Leitungswasser ist minimal, sicher aber das<br />

kleinere Übel gegenüber einer Zunahme der Verbrennungstiefe.<br />

Dringlichste Notfallmassnahme für Laien, Notfallärzte oder<br />

Verbrennungsspezialisten ist das Kühlen der Verbrennungswunden über 15<br />

bis 20 Minuten mit Leitungswasser.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 13


ACHTUNG:<br />

Bei Säuglingen, Kleinkindern und anästhesierten Patienten kann zu<br />

langes, unkontrolliertes Kühlen zur Unterkühlung mit der Gefahr von<br />

Herzrhythmusstörungen führen.<br />

Das Kühlen mit Eis ist verboten, weil dadurch die Wunde zusätzlich im<br />

Sinne einer Erfrierung geschädigt wird.<br />

6. Zusätzliche Aufgaben des Rettungsteams<br />

Das Rettungsteam hat bei Verbrennungsunfällen eine zentrale Funktion: Es<br />

beginnt mit der Therapie und entscheidet, ob die Behandlung ambulant<br />

oder stationär fortgeführt wird. Diese Entscheidung ist schwierig, da es<br />

selten aus Verbrennungsspezialisten besteht. Zusätzlich erschweren<br />

panikartige Situationen an der Unfallstelle und die Unmöglichkeit, den<br />

Patienten zu entkleiden und damit korrekt zu beurteilen, seine Arbeit.<br />

Oberflächlich und tief II° Verbrennungen sind äusserst schmerzhaft. Das<br />

Kühlen mit Wasser genügt allein oft nicht zur Schmerzlinderung.<br />

Schmerzmittel müssen oral oder intravenös verabreicht werden. Tilidin<br />

(Valoron") (beginnend mit 40 Tropfen), mit Wirkungseintritt nach fünf<br />

bis zehn Minuten, ist peroral bei kleinflächigen Verbrennungen eine wirksame<br />

Hilfe. Bei ausgedehnten Verbrennungen werden intravenös Opiate,<br />

abhängig vom Körpergewicht des Patienten, eingesetzt, z. B. 20-35 mg<br />

Pethidin oder 2-10 mg Morphin langsam intravenös. Injektionen in die<br />

Haut oder die Muskulatur helfen bei ausgedehnten Verbrennungen mit<br />

bekannter Schocktendenz nicht, da die Engerstellung der Gefässe und das<br />

generalisierte Ödem die Aufnahme des Medikamentes in den Blutkreislauf<br />

praktisch verunmöglicht.<br />

Bei einer Ausdehnung von über 20 % Verbrennung der KOF muss mit der<br />

Schocktherapie begonnen werden. Dazu sind ein oder mehrere periphere<br />

venöse Zugänge nötig. Zentrale Punktionen sollten wegen den bekannten<br />

Komplikationen am Unfallort nicht durchgeführt werden. Die klassischen<br />

Punktionsstellen (H<strong>als</strong>, Arme, Hände) sind häufig verbrannt. Es ist<br />

sinnvoll, durch diese verbrannten Hautareale, die durch die Hitze<br />

praktisch steril sind, zu punktieren. Später, wenn die<br />

Verbrennungswunden infiziert sind, kann dort nicht mehr punktiert<br />

werden, und man kann dann auf gesunde Hautareale ohne<br />

Keimbesiedelung ausweichen.<br />

Die ideale Infusionslösung ist Ringerlactat. Alternativ dazu kann eine<br />

Mischung von physiologischer Kochsalzlösung mit 30-50 mval<br />

Natriumbikarbonat pro Liter infundiert werden, keinesfalls Kolloide.<br />

Schon in der ersten Stunde nach dem Unfall verliert der Patient eine<br />

beträchtliche Menge an Flüssigkeit in den Zwischenzellraum (aufgrund<br />

einer Permeabilitätsstörung), <strong>als</strong> Wundwasser (über die Brandblase) und<br />

<strong>als</strong> Verdampfung (über die durch die Verbrennung zerstörten Hautareale).<br />

Bis der Notarzt am Platz ist, die Beurteilung erfolgt und die intravenöse<br />

Leitung gelegt ist, vergeht nicht selten eine halbe Stunde oder mehr. Nach<br />

dieser Zeit besteht bereits ein massives Defizit in der Flüssigkeitsbilanz,<br />

das aufgeholt werden muss. Deshalb lässt man das Ringerlactat unge-<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 14


drosselt laufen. Die peripheren Katheter lassen ohne Druck nicht mehr <strong>als</strong><br />

1 Liter pro Stunde passieren, was bei einer Ausdehnung von bis zu 50 %<br />

Verbrennung der KOF in den ersten Stunden fast der idealen Menge<br />

entspricht.<br />

Bei schwersten Verbrennung von über 50 % der KOF, tief II° und III°<br />

Brandwunden im Gesicht und zirkulär am H<strong>als</strong>, bei Verdacht auf<br />

Rauchinhalation oder Inhalation toxischer Gase, nach<br />

Elektroverbrennungen mit Koma und bei Patienten mit wesentlichen<br />

Nebenverletzungen stellt sich die Frage der notfallmässigen Intubation.<br />

Der Entscheid muss dem für den Transport verantwortlichen Arzt<br />

überlassen werden. Zu bedenken ist allerdings, dass eine Extubation in<br />

den folgenden 72 Stunden, <strong>als</strong>o vor Abklingen des generalisierten<br />

Verbrennungsödems, unmöglich ist.<br />

Nach der Notfallbehandlung am Unfallort erfolgt der Transport in einer<br />

möglichst sterilen, wärmeisolierenden Decke (Silberfolie), um eine<br />

Unterkühlung bei grosser Wundfläche zu vermeiden.<br />

In der Notfallsituation ist für ambulante wie für stationäre Patienten<br />

verboten:<br />

• Die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika.<br />

Patienten mit bis zu 30% Verbrennungen können in zwei Dritteln aller<br />

Fälle ohne Gabe von Antibiotika behandelt werden. Eine ungezielte<br />

Antibiotikatherapie führt zu Keimresistenzen und Superinfektion mit<br />

Pilzen, welche bei Verbrennungspatienten häufig tödlich verlaufen.<br />

• Unerwünscht sind Kolloide zur Schocktherapie.<br />

Sie können wegen der Permeabilitätsstörung nicht wirken und führen zu<br />

verstärktem und verlängertem Ödem.<br />

• Verboten sind farbige und gerbende Desinfektionsmittel. Sie<br />

verunmöglichen eine korrekte Tiefenbeurteilung.<br />

7. Schocktherapie in den ersten 24 Stunden<br />

Diese Therapie beginnt auf der Unfallstelle und wird im Spital<br />

weitergeführt.<br />

Über die Verbrennungswunden verliert der Körper Flüssigkeit, davon ca.<br />

3 l/m2 Verbrennungswunde <strong>als</strong> Wundwasser und ca. 4 l/m2<br />

Verbrennungswunde über Verdampfung.<br />

Das im Volksmund «Brandwasser» oder «Brandblase» genannte Exsudat<br />

passiert die zerstörte Epidermis und entspricht in seiner<br />

Zusammensetzung dem Blutplasma. Oberflächlich II° Verbrennungen<br />

mit ihrem gut durchbluteten Kapillarnetz exsudieren mehr Flüssigkeit<br />

<strong>als</strong> tiefere Läsionen, wo Koagulationsnekrosen die Durchblutung<br />

drosseln.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 15


Verbrannte Haut wird wasserdampfdurchlässig, weil schützende<br />

Fettproteine zerstört werden, was zu gesteigerter Verdampfung führt. Es<br />

verdunstet nur Wasser, die auskristallisierten Salze und Proteine bleiben<br />

auf dem Verbrennungsschorf zurück, wirken dort wasseranziehend und<br />

führen über das so entstandene osmotische Gefälle zu weiterem<br />

Flüssigkeitsverlust. Die Verdunstung ist abhängig vom<br />

Feuchtigkeitsgrad der Umgebung, der Wärme und den Lufbewegungen.<br />

Zu diesen Flüssigkeitsverlusten nach aussen kommt der<br />

Flüssigkeitsverlust ins Zwischenzellgewebe, sichtbar <strong>als</strong> Ödem, welches<br />

bis zu 15 % des Körpergewichts ausmachen kann. Durch Zerstörung von<br />

Hautzellen freigesetzte Botenstoffe (Histamin, Serotonin, Thromboxan,<br />

Interleukine, Eicosanoide, Sauerstoffradikale, Prostaglandine, u.a.)<br />

bewirken eine Vergrösserung der Blutgefässe und verursachen einen<br />

Kapillarschaden. Durch dieses «kapilläre Leck» können Substanzen bis<br />

zu einem Molekulargewicht von 350'000 Dalton (alle Proteine haben ein<br />

tieferes Molekulargewicht, <strong>als</strong>o auch Eiweisslösungen, die therapeutisch<br />

eingesetzt werden!) ins Zwischenzellgewebe gelangen, erhöhen dort den<br />

onkotischen Druck und ziehen damit Flüssigkeit aus den Gefässen in<br />

den Zwischenzellraum. Dieser Mechanismus erklärt das generalisierte<br />

Ödem, das auch das Gehirn, die Lunge, den Darm etc. befällt, <strong>als</strong>o nicht<br />

lokal auf die Verbrennungsareale beschränkt ist.<br />

Der Flüssigkeitsverlust ist entscheidend von der Ausdehnung und<br />

weniger von der Tiefe der Verbrennung abhängig und führt unbehandelt<br />

zum Schock. Die Notwendigkeit des sofortigen Flüssigkeitsersatzes ist<br />

darum unumstritten. Umstritten ist, wie viel und welche Flüssigkeiten,<br />

nur Elektrolytlösungen oder Elektrolytlösungen und Kolloide<br />

kombiniert, infundiert werden sollen.<br />

Der Einsatz von Kolloiden (Albumine, Hydroxyäthylstärke = HÄS) in<br />

den ersten 24 Stunden ist umstritten, da sie durch das Kapillarleck ins<br />

Zwischenzellgewebe gelangen. Dadurch wird das Ödem verstärkt und in<br />

den Gefässen nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Die Behandlung mit<br />

reinen Elektrolytlösungen haben sich darum weitgehend durchgesetzt.<br />

Die Schockbekämpfung wird heute in den meisten Zentren gemäss der<br />

Parkland- oder Baxter-Formel durchgeführt. Sie hat sich <strong>als</strong> sicher und<br />

effizient erwiesen. Die in der Formel angegebene Konstante von 4ml ist<br />

lediglich eine Richtlinie, die häufig überschritten, selten unterschritten<br />

wird. Die patientengerechte Flüssigkeitsmenge wird über die stündliche<br />

Urinausscheidung und die Messung der Blutdicke gesteuert.<br />

Die Urinausscheidung ist der sicherste Steuerungsparameter: Gefordert<br />

ist eine stündliche Urinmenge von 1 ml / kg KG. Liegt eine<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 16


Myoglobinurie (Ausscheidung von Muskeleiweissen) vor, sollten<br />

mindestens 1.5 ml / kg KG pro Stunde gefördert werden. Werden diese<br />

Zielmengen nicht erreicht, droht ein Nierenversagen mit hoher<br />

Sterblichkeit: 73 % der Patienten mit Niereninsuffizienz verstarben<br />

gegenüber nur 17,5 % von solchen ohne Niereninsuffizienz [Daten aus<br />

einer Studie des Zentrums für Brandverletzte des Universitätsspitales<br />

Zürich].<br />

8. Inhalationstrauma<br />

Neben der Ausdehnung und dem Alter beeinflusst das Inhalationstrauma<br />

die Prognose am eindrücklichsten. Beim Vorliegen eines<br />

Inhalationstraumas erhöht sich die Letalität um 20 %. Das Auftreten<br />

einer Pneumonie <strong>als</strong> zusätzliche Komplikation steigert die Letalität<br />

dann um weitere 40 %!<br />

Pathophysiologisch führt die Inhalation von Russ, Kohlendioxid und<br />

Kohlenmonoxid, von Säuredämpfen, Aldehyden und Stickoxiden, die<br />

beim Verbrennen von Kunststoffen entstehen, zu lokalen entzündlichen<br />

Veränderungen von Luftröhre, Bronchien und Lungenbläschen mit<br />

daraus folgendem Ödem und damit Einschränkung des<br />

Atemgasaustausches und schlussendlich zum ARDS (Acute Respiratory<br />

Distress Syndrom = Lungenversagen). Andere Substanzen wie Blausäure<br />

oder Kohlenmonoxid wirken systemisch durch Blockierung des<br />

Sauerstofftransportes auf verschiedenen Ebenen des Organismus.<br />

Klinische Hinweise für das Vorliegen eines Inhalationstraumas sind:<br />

• Verletzung in geschlossenen Räumen<br />

• Gesichtsverbrennungen<br />

• Versengte Nasenhaare<br />

• Husten mit russigem Auswurf<br />

• Heiserkeit<br />

• Erhöhte Atemfrequenz<br />

• Verwirrungszustände bis zur Bewusstlosigkeit<br />

Bei der Verdachtsdiagnose ist eine Atemwegsspiegelung zur Diagnose<br />

und Festlegung des Schweregrades angezeigt. Gemäss den in der<br />

Luftröhre und Bronchien vorliegenden Veränderungen kann das<br />

Inhalationstrauma in drei Schweregrade eingeteilt werden:<br />

• Grad I: Rötung, Ödem<br />

• Grad II: zusätzlich Minderdurchblutungen, Blutungen, Blasenbildung<br />

• Grad III: zusätzlich offene Stellen, Gewebezerfall<br />

Die Therapie besteht in der sofortigen Gabe von Sauerstoff und<br />

gegebenenfalls Intubation und Beatmung. Da Kolloide die Ödemneigung<br />

erhöhen, sollte die Schocktherapie nur mit Ringerlactat durchgeführt<br />

werden. In der Akutphase kann die Gabe von Cortison <strong>als</strong> Aerosol die<br />

Ödemtendenz der Lunge reduzieren und Luftwegsverengungen lösen.<br />

Spätere Gabe von Cortison beeinflusst den Verlauf eher negativ.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 17


Die Vergiftung mit Kohlenmonoxid (CO) ist eine<br />

Sauerstoffmangelerscheinung. Bei 220-fach grösserer Affinität des CO<br />

zum Hämoglobin gegenüber dem Sauerstoff genügen schon kleinste<br />

Konzentrationen von 0,05 % in der Einatmungsluft, um den CO-Gehalt<br />

des Hämoglobins auf 20-25 % zu erhöhen und die ersten Symptome der<br />

Vergiftung einzuleiten.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 18


Klinische Zeichen der Vergiftung mit Kohlenmonoxid sind<br />

• Kopfschmerzen (Initial)<br />

• Atemnot (Initial)<br />

• Übelkeit (Initial)<br />

• Deliröse Zustände und Benommenheit (Spätsymptom)<br />

• Koma (Spätsymptom)<br />

• Schock (Spätsymptom)<br />

Die Diagnose wird über die Messung des CO-Gehaltes des Hämoglobins<br />

im Labor bestimmt. Die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung<br />

sagt ebenso wenig über den Zustand des Patienten aus wie sein rosig<br />

gesundes Aussehen.<br />

Als Therapie muss Sauerstoff in möglichst hoher Konzentration<br />

verabreicht werden, da die Ablösung des CO vom Hämoglobin von der<br />

Sauerstoffspannung im Blut abhängig ist. Bei normaler Atmung beträgt<br />

die Halbwertszeit für CO-Hämoglobin etwa vier Stunden, bei Inhalation<br />

von 100% Sauerstoff reduziert sie sich etwa auf eine Stunde und bei<br />

Behandlung mit Sauerstoff in einer Druckkammer auf etwa 30 bis 40<br />

Minuten.<br />

9. Spezielle Verbrennungen<br />

9.1. Elektroverbrennungen<br />

8-12 % aller Verbrennungen, die in einem Zentrum für Brandverletzte<br />

behandelt werden, sind Elektroverbrennungen und Blitzverletzungen.<br />

Stromverletzungen sind in der Schockphase, der Wundbehandlung der<br />

Strommarken und bezüglich möglicher Komplikationen anders <strong>als</strong> alle<br />

anderen Verbrennungen und werden darum speziell besprochen.<br />

Das Ausmass der Stromschädigung für Haut und andere Organe wird von<br />

folgenden Faktoren beeinflusst:<br />

• der Stromstärke (Ampere),<br />

• der Dauer des Stromflusses,<br />

• der Stromart (Wechselstrom, Gleichstrom),<br />

• der Kontaktfläche,<br />

• dem Stromweg durch den Körper.<br />

Gemäss dem Ohm'schen Gesetz ergibt sich die Stromstärke (I), wenn<br />

man die Spannung (U) durch den Widerstand (R) dividiert. Da der<br />

Widerstand des menschlichen Körpers keine Konstante ist (der<br />

Hautwiderstand variiert zwischen 1'000'000 Ohm und 5'000 Ohm, die<br />

Innenwiderstände je nach Stromweg zwischen 1'400 Ohm und 650<br />

Ohm), kann die geflossene Strommenge nie genau berechnet werden. Die<br />

zum Unfall führende Spannung ist aber meist bekannt. Man würde <strong>als</strong>o<br />

genauer von «Niederspannungs-» und «Hochspannungsunfall» sprechen,<br />

wohl wissend, dass der geflossene Strom den Schaden setzt.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 19


9.1.1. Schwachstromverletzungen (< 1000 Volt), auch Niedervoltunfälle<br />

Schwachstromverletzungen ereignen sich meist im Haushalt mit<br />

Wechselstrom einer Frequenz von 50 Hz und einer Spannung von 230 V<br />

(«Haushaltsstrom»).<br />

Zwischen 1967 und 1976 wurden in der Schweiz 2'038<br />

Schwachstromverletzte erfasst, von denen 205 verstarben (10,1 %).<br />

Verantwortlich für die hohe Sterblichkeit sind Herzrhythmusstörungen<br />

bis zum Kammerflimmern oder Herzstillstand. Ursache dafür ist die<br />

ungünstige Stromfrequenz von 50 Hz, die nahe am Ruhepuls von 50 bis<br />

80 pro Minute liegt. Das Herz ist nur während der kurzen vulnerablen<br />

Phase zum Flimmern zu bringen. Dies ist während des Druckmaximums<br />

und etwa 60 ms vor Beendigung der mechanischen Systole der Fall. Bei<br />

einer Herzfrequenz von 60 Schlägen pro Minute beträgt die vulnerable<br />

Phase etwa 50 ms. Dies bedeutet, dass bei Einfall eines Stromstosses die<br />

Wahrscheinlichkeit, das Herz in einer elektrophysiologisch vulnerablen<br />

Phase zu treffen, bei etwa 5 % liegt.<br />

Bei direktem Kontakt verursachen Schwachstromverletzungen, wenn<br />

überhaupt, nur kleinflächige III° Verbrennungen, die spontan unter<br />

Narbenbildung ausheilen.<br />

Elektrophysiologisch kann der Strom Muskelkrämpfe auslösen, die in<br />

Extremfällen zu Gelenksausrenkungen und Knochenbrüchen führen.<br />

Das Opfer kann beim Auftreten von Muskelkrämpfen die Stromquelle<br />

nicht loslassen. Durch die längere Zeit des Stromflusses vergrössert sich<br />

der Gewebeschaden in Ausdehnung und Tiefe. So entstandene<br />

ausgedehntere III° Verbrennungen müssen chirurgisch versorgt werden.<br />

9.1.2. Starkstromverletzungen (> 1000 Volt), auch Hochvoltunfälle<br />

in einer Untersuchung des Universitätsspit<strong>als</strong> Zürich fanden sich <strong>als</strong><br />

Ursache der Starkstromverletzung in 79 % Arbeitsunfälle. Besonders<br />

tragisch sind weitere 12 % der Unfälle, die ihre Ursache in übermütigem<br />

Spiel oder Mutproben beim Besteigen von Eisenbahnwagen und<br />

Berühren der Bahnleitung haben. Es handelte sich dabei ausnahmslos<br />

um Männer im Alter zwischen 13 und 20 Jahren (Durchschnittsalter<br />

17,5 Jahre), und der Unfall ereignete sich immer im Zeitraum von<br />

23.00-03.00 Uhr am Freitag oder Samstag. Nur 2 % aller Unfälle hatten<br />

ihre Ursache in Blitzschlägen. Suizidversuche, Militär-, Sport- und<br />

Autounfälle fanden sich in 1-2 %.<br />

Zwischen 1967 und 1976 wurden in der Schweiz 346 Starkstromverletzte<br />

mit einer Letalität von 20,5 % registriert. Gemäss Literaturangaben<br />

versterben in etwa 10 % der Fälle die Patienten am Unfallort. Die<br />

Todesursachen sind fast ausschliesslich das Kammerflimmern und die<br />

Asystolie. Der Tod durch direkte Einwirkung auf das<br />

Zentralnervensystem ist bei technischer Elektrizität nie zu beobachten<br />

und tritt nur beim Blitzunfall auf.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 20


Drei Verletzungsmechanismen bei Starkstromverletzungen sind möglich:<br />

1. Direkter Stromkontakt (68 % der Fälle)<br />

Man findet die typischen Stromeintritts- und Stromaustrittsstellen und<br />

<strong>als</strong> Zeichen des Stromflusses durch den Körper Muskelzerstörung, die<br />

zur Ausscheidung von Muskeleiweissen in Urin führt.<br />

2. Flammenbogenverletzungen (21 % der Fälle)<br />

Bei sehr hohen Spannungen von über 15'000 Volt kann Strom auf den<br />

Körper «überspringen» und fliessen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />

Flammenbogen überspringt, ist abhängig von der Masse der Person, der<br />

Höhe der Spannung, der Entfernung zur Stromquelle (weniger <strong>als</strong> 1 m)<br />

und der Luftfeuchtigkeit. Man findet meist nur eine<br />

Stromeintrittsmarke, typischerweise an Hand-, Ellbogengelenk oder in<br />

der Axilla, wo der Widerstand wegen dünner, meist feuchter Haut und<br />

darunter liegender Gelenksflüssigkeit niedrig ist.<br />

3. Thermale Verbrennung durch die Hitze des Lichtbogens (11 % der<br />

Fälle)<br />

Die Verbrennung kommt durch die enorme Hitze von 4'000 bis 10'000<br />

°C im Lichtbogen zu Stande. Strom fliesst in diesen Fällen nicht durch<br />

den Körper, man findet keine Ein- oder Austrittsstellen. Daher treten<br />

auch keine stromspezifischen Komplikationen auf, es handelt sich um<br />

«gewöhnliche» thermale Verbrennungen.<br />

Mit typischen stromspezifischen Komplikationen ist nach direktem<br />

Stromkontakt und Flammenbogenverletzungen zu rechnen:<br />

• Als Ausdruck des Stromflusses im Körper und damit Abgabe von<br />

Joule'scher Energie <strong>als</strong> Wärme kommt es zu Muskelzerstörung.<br />

Zeichen dafür sind die Muskeleiweisse im Urin und die massiv<br />

erhöhten Muskelenzymwerte im Blut. Die Muskeleiweisse im Urin<br />

sind verantwortlich für das gehäuft auftretende Nierenversagen.<br />

Ausgeprägte Muskelzerstörungen sind auch der Grund für die hohe<br />

Amputationsrate. Im eigenen Krankheitsgut lag sie bei 28 %.<br />

• Neurologische Ausfälle treten bei 65 % der Fälle auf. Am häufigsten<br />

beobachtet man Amnesie, epileptische Anfälle,<br />

Rückenmarkssymptome bis hin zur Para- oder Tetraplegie,<br />

vorübergehende Harn- und Stuhlinkontinenzen und bei 10 % der<br />

Patienten Ausfälle peripherer Nerven.<br />

• Der Strom schädigt die Gefässe: Während Thrombosen (2 %) innert<br />

24 Stunden nach Unfall auftreten, kommt es typischerweise erst etwa<br />

fünf bis sechs Tage nach Trauma zur Blutungen (5 %), auch aus<br />

grossen Gefässen.<br />

• Gewisse stromspezifische Komplikationen nach<br />

Starkstromverbrennung treten erst Monate nach dem Unfall auf.<br />

Dazu gehört der seltene elektrische Katarakt (Augenkrankheit, Star),<br />

bei unseren Patienten in 1 % der Fälle.<br />

Wie oben beschrieben sind Herzprobleme verantwortlich für den Tod am<br />

Unfallort. Überlebt der Patient, spielen nach der Einweisung ins<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 21


Zentrum für Brandverletzte herzbedingte Komplikationen kaum eine<br />

Rolle. Man findet zwar in 10-30 % der Fälle EKG-Veränderungen<br />

(Tachykardes Vorhofflimmern, Sinustachykardien, ventrikuläre<br />

Extrasystolen, Repolarisationsstörungen), die aber innerhalb von<br />

Stunden rückgängig sind und kaum einer Therapie bedürfen. Schwer<br />

wiegende Komplikationen werden in der Literatur nur vereinzelt<br />

beschrieben, am häufigsten Herzinfarkte, bedingt durch<br />

Herzkranzgefässverschlüsse bei strombedingten Schädigungen der<br />

innersten Gefässschicht. Herzzerreissungen und Verletzungen der<br />

Klappen sind absolut aussergewöhnlich.<br />

Nach Blitzunfällen ist mit ähnlichen Komplikationen wie nach<br />

Starkstromverbrennungen zur rechnen. Neben den typischen<br />

Stromeintritts- und Stromaustrittsmarken können auch farnkrautartige<br />

Verbrennungsmuster in den Bereichen der Schweissrinnen vorliegen.<br />

Diese Verbrennungen heilen lokal problemlos, sind aber für den<br />

Notfallarzt der sichere Hinweis darauf, dass eine Blitzverletzung<br />

vorliegt und eine Hospitalisation zur Überwachung für 24 Stunden<br />

angezeigt ist, um neurologische Komplikationen auszuschliessen.<br />

Die Therapie der Starkstromverletzung unterscheidet sich wesentlich<br />

von der Behandlung üblicher thermischer Verbrennungen, was die<br />

Schockphase, die Chirurgie der Stromeintritts- und<br />

Stromaustrittsstellen und die Komplikationen anbelangt.<br />

Elektroverletzte benötigen in der Schockphase mehr Flüssigkeit <strong>als</strong> alle<br />

anderen Brandverletzten. Erfahrungsgemäss müssen über 6 ml<br />

Ringerlactat pro Kilogramm Körpergewicht und pro Prozent<br />

Verbrennung über 24 Stunden infundiert werden. Bei Vorliegen von<br />

Muskeleiweissen im Urin sollte die stündliche Urinmenge 1.5ml / kg KG<br />

oder mehr betragen, zudem muss der Urin alkalinisiert werden. Dies ist<br />

die beste Prophylaxe des drohenden Nierenversagens.<br />

9.2. Chemische Verletzungen<br />

Chemische Verletzungen machen lediglich etwa 2-5 % der stationär<br />

behandelten Patienten an einem Verbrennungszentrum aus. Meist<br />

handelt es sich um Arbeitsunfälle in chemischen Fabriken, in der<br />

Metallverarbeitenden Industrie, in Reinigungsbetrieben und in der<br />

Landwirtschaft.<br />

Chemische Stoffe «verbrennen» die Haut nicht durch Hitze (Ausnahme:<br />

Phosphor), sondern schädigen sie durch eine chemische Reaktion<br />

entweder durch Ausfällen der Proteine, genannt Koagulationsnekrose,<br />

oder durch Verflüssigen der Proteine und Lipide, genannt<br />

Kolliquationsnekrose. Im Gegensatz zu thermischen Verbrennungen<br />

kann die Gewebezerstörung noch lange nach der Exposition<br />

fortschreiten.<br />

Die Schädigung ist abhängig von<br />

• der Art des Agens,<br />

• der Menge,<br />

• der Konzentration,<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 22


• der Kontaktdauer.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 23


Die Abhängigkeit von der Art des Agens bedingt angesichts der Vielfalt<br />

chemischer Stoffe eine nach Stoffklassen getrennte Betrachtung:<br />

9.2.1. Säuren<br />

Bei PH-Werten von 2,5 oder kleiner zerstören Säuren das Gewebe<br />

irreversibel über eine Koagulationsnekrose und bilden einen ledrigderben<br />

Eschar, der dann die weitere Ausbreitung der Säure verhindert.<br />

Gewisse Säuren führen zu typischen Hautverfärbungen: grünlich nach<br />

Ameisensäure, anfänglich bronzefarben, später schwarz nach<br />

Schwefelsäure.<br />

Die Notfalltherapie besteht in langer (bis zu einer Stunde) Irrigation<br />

mit Wasser zur Elimination und Neutralisierung des Agens.<br />

Flusssäure<br />

Flusssäureverletzungen sind äusserst gefährlich, da neben den lokalen<br />

Gewebezerstörungen auch lebensbedrohliche systemische<br />

Komplikationen auftreten können.<br />

Flusssäure wird unter anderem zur Glasätzung, in der Produktion von<br />

Kühlmitteln und Teflon, <strong>als</strong> Silikonreiniger in der Halbleiterindustrie<br />

und <strong>als</strong> Katalysator in der Alkylierung zu Hochoktan-Brennstoffen<br />

verwendet.<br />

Anders <strong>als</strong> alle anderen Miner<strong>als</strong>äuren hat sie eine hoch korrosive und<br />

penetrierende Wirkung auf organisches Gewebe. Die Wasserstoffionen<br />

denaturieren das Gewebe, während die Fluoridionen <strong>als</strong> Zellgift wirken,<br />

indem sie Kalzium binden und damit eine Hypokalzämie verursachen.<br />

Über ihre hohe Affinität zum Magnesium kommt es zusätzlich zu einer<br />

Enzymblockade. Es ist vor allem die nichtionisierte Form der Säure, die<br />

tief ins Gewebe (bis in die Knochen) eindringt. Die besondere<br />

Gefährlichkeit der Flusssäure liegt darin, dass der sonst bei<br />

Säureverletzungen typische, gewissermassen schützende Eschar nicht<br />

gebildet wird.<br />

Die Klinik zeigt folgendes Bild:<br />

• Abfolge von Rötung zu weisslich blauer Verfärbung, dann<br />

Blasenbildung und grünlich schwarze Verfärbung.<br />

• Bei Konzentration über 50 % treten sofort massive Schmerzen auf.<br />

• Bei Konzentrationen unter 20 % können die Schmerzen mit einer<br />

Verzögerung von bis zu 20 Stunden auftreten.<br />

• Elektrolytverschiebungen im Sinne von Hyponatriämie und<br />

Hyperkaliämie.<br />

• Hypokalzämie und Hypomagnesämie mit Sinusbradykardien und<br />

Arrhytmien bis zum Kammerflimmern.<br />

• Toxisch blutiges Lungenödem.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 24


Die Notfalltherapie muss berücksichtigen, dass lokale und<br />

lebensbedrohliche systemische Schädigungen vorliegen können:<br />

• Achtung: Hilfeleistung nur mit Handschuhen und Schutzbekleidung,<br />

da sonst ebenfalls eine schwerwiegende Verletzung droht.<br />

• Entfernung kontaminierter Kleider.<br />

• Lang dauernde Irrigation mit Wasser.<br />

• Präzipitierung und Neutralisierung der absorbierten Fluoridionen<br />

mit Kalziumglukonat durch lokale Applikation im Bereich der<br />

Hautveränderungen, in lebensbedrohlichen Situationen über<br />

intravenöse Infusionen, in Extremfällen sogar über intraarterielle<br />

Infusionen.<br />

• EKG-Monitorisierung und Elektrolytkorrekturen.<br />

• Eventuell intravenöse Kalziumsubstitution.<br />

• in kritischen Situationen Ausschneiden der betroffenen Hautareale.<br />

9.2.2. Laugen<br />

Verätzungen der Speiseröhre oder der Augen finden sich am häufigsten,<br />

seltener oder klinisch weniger relevant sind Hautverletzungen mit<br />

Laugen.<br />

Der kritische pH-Wert, ab welchem irreversible Hautschäden auftreten,<br />

liegt bei 11,5 bis 12,5. Über eine Verseifung von Lipiden und die<br />

Denaturierung von Proteinen kommt es zur Kolliquationsnekrose. Da<br />

der für die Koagulationsnekrose typische Eschar nicht zu Stande kommt,<br />

dringt die Noxe tief ins Gewebe ein.<br />

Folgende Symptome können gefunden werden:<br />

• Rötung der Haut, selten Blasenbildung.<br />

• Die Haut fühlt sich seifig und glitschig an.<br />

• Fortschreiten der Tiefenausdehnung im Verlauf.<br />

• Bei niedrig konzentrierten Laugen treten kaum oder verzögert<br />

Schmerzen auf, bei hoch konzentrierten hingegen sofort.<br />

• Keine systemischen Komplikationen<br />

Die Notfalltherapie besteht in langer Irrigation der Wunde mit Wasser<br />

9.2.3. Lösungsmittel<br />

Hautverletzungen durch Lösungsmittel entstehen nach längerem Kontakt<br />

mit dieser Stoffgruppe.<br />

Die lokale Symptomatik ist in etwa dieselbe wie bei der<br />

Laugenverletzung und entspricht der der Kolliquationsnekrose.<br />

Im Gegensatz zu den Laugenverletzungen treten aber häufig systemische<br />

Manifestationen auf, die sich in zwei Phasen unterteilen lassen: In der<br />

ersten Phase kommt es zu neurologischen Symptomen wie Verwirrung,<br />

Euphorie bis zu toxischen Enzephalopathien mit generalisierten Anfällen<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 25


oder medullärer Atemdepression. In der zweiten Phase können<br />

Organschädigungen wie Leberzellzerstörung, Herzrhythmusstörungen<br />

oder Nierenschäden auftreten, bedingt durch Verletzungen der inneren<br />

Gefässwand.<br />

Phenol<br />

Phenol ist ein schwach saurer aromatischer Alkohol, der in<br />

Desinfektionsmitteln, Deodorantien sowie in der Herstellung von<br />

Kunststoffen, Farben oder Düngemitteln verwendet wird.<br />

Phenol ist äusserst korrosiv. Wegen seiner Fettlöslichkeit zerstört es die<br />

Zellmembranen und dringt rasch ins Gewebe ein, wo es Proteine<br />

koaguliert.<br />

Auf der Haut kommt es nach anfänglichem Erythem und<br />

Blasenbildungen im Verlauf zu bräunlichen Flecken, gefolgt von einem<br />

dunklen Schorf. Das absorbierte Phenol zerstört Nervenendigungen und<br />

demyelinisiert Nervenfasern, deswegen klagen die Verletzten kaum über<br />

Schmerzen. Die Gefahr von toxischen Komplikationen des zentralen<br />

Nervensystems, des Herzens und der Gefässe sowie der Nieren sind<br />

gross.<br />

Die Notfalltherapie ist speziell:<br />

• Phenol wird mit Polyethylen-Glykol, in welchem es gut löslich ist,<br />

entfernt. Das Polyethylen-Glykol selbst wird dann mit Wasser<br />

abgespült.<br />

• Alleiniges Spülen mit Wasser kann die Absorption verstärken und ist<br />

nur indiziert, wenn Polyethylen-Glykol nicht verfügbar ist.<br />

9.2.4. Phosphor<br />

Phosphor wird ausser bei der Herstellung von Waffen (Brandbomben,<br />

Explosivstoffe. Nebelmunition) und Feuerwerkskörpern auch zur<br />

Produktion von Insektiziden, Düngemitteln und Rostschutzfarben<br />

verwendet.<br />

Bei Kontakt mit Luft entzündet sich Phosphor spontan über eine<br />

schnelle Oxidation (= exotherme Reaktion) zu Phosphorpentoxid, unter<br />

Entwicklung eines weissen Rauches mit knoblauchähnlichem Geruch.<br />

Die Lagerung erfolgt deshalb unter Luftabschluss, meist unter Wasser.<br />

Die Haut wird thermisch über brennende Partikel und chemisch im<br />

Sinne einer Koagulationsnekrose geschädigt.<br />

Phosphorverätzungen sind äusserst schmerzhaft. Dazu kommt<br />

erschwerend, dass einzelne Phosphorpartikel bei Luftkontakt immer<br />

wieder zünden können. Phosphor kann auch absorbiert werden und zu<br />

systemischen Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen führen,<br />

wahrscheinlich aufgrund von Elektrolytverschiebungen.<br />

Die Notfalltherapie ist speziell:<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 26


• Phosphorverbrennungen werden unter Wasser behandelt. Die<br />

involvierten Hautareale werden gespült und alle Partikel entfernt.<br />

Abschliessend wird die Wunde mit einer Kupfersulfatlösung<br />

gewaschen, wobei sich ein blauschwarzer Kupfer-Phosphat-Film bildet,<br />

der die Entfernung von Restpartikeln des Phosphors erleichtert.<br />

Bei ausgedehnten Verletzungen muss die notfallmässige Entfernung<br />

der Haut bis auf die Muskeln erwogen werden.<br />

9.2.5. Elementares Natrium, Kalium und Lithium<br />

Die Elemente Natrium, Kalium und Lithium gehören in die Gruppe der<br />

Alkalimetalle. Sie kommen in der Natur nicht in metallischer Form vor,<br />

sondern nur in Verbindungen. Natrium und Lithium werden unter<br />

anderem <strong>als</strong> Aktivatoren chemischer Reaktionen, zur Härtung von<br />

Legierungen sowie <strong>als</strong> Katalysatoren eingesetzt; metallisches Kalium hat<br />

technisch keine Bedeutung.<br />

Diese Metalle in elementarer Form zünden bei Kontakt mit Wasser und<br />

Wasserdampf spontan, und dabei entstehen starke Basen (NaOH, KOH,<br />

LiOH). Selten kommt es zu explosionsartigen Unfällen mit diesen<br />

Stoffen, bei denen es dann zu thermischen und durch die entstehenden<br />

Laugen zu chemischen Verletzungen im Sinne einer<br />

Kolliquationsnekrose kommt.<br />

Die Notfalltherapie erfolgt in zwei Schritten:<br />

• Zur Isolation gegen Wasser wird die Wunde mit Öl abgedeckt, und<br />

alle Restpartikel werden entfernt.<br />

• Erst abschliessend erfolgt dann die Irrigation mit Wasser zur<br />

Therapie der Laugenverletzung.<br />

10. Schlussbemerkung<br />

Sowohl das Verbrennunstrauma <strong>als</strong> auch die Verbrennungserkrankung<br />

hinterlassen lebenslang Spuren. Das Verbrennungstrauma bedarf sowohl<br />

psychisch wie auch physisch lebenslanger Therapie. Nebst aufwändiger<br />

Pflege der gethierschten Körperoberfläche sind regelmässig<br />

Folgeoperationen infolge von Narbensträngen und anderer funktioneller<br />

Defizite durchzuführen.<br />

Die chronische Verbrennungskrankheit beinhaltet Residuen der akuten<br />

Verbrennungskrankheit, im Sinne von eingeschränkten<br />

Organfunktionen. Der Patient ist von seinem Schicksal gezeichnet und<br />

bedarf einfühlsamer Betreuung ohne Zeitdruck.<br />

Die Behandlung von Schwerverbrannten ist teuer. Einerseits handelt es<br />

sich um eine chronische, lebenslange Krankheit mit Einschränkung der<br />

Erwerbsfähigkeit, andererseits ist die monatelange Akuttherapie sehr<br />

kostenintensiv. Der Intensivstationsaufenthalt beträgt in der Regel<br />

mehrere Wochen bis Monate. Kunsthaut und Zellkulturen verursachen<br />

hohe Kosten.<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 27


Eine konsequente und zielgerichtete primäre Versorgung dieser<br />

Patienten verbessert für den Betroffenen die Überlebenschance und das<br />

ästhetische Ergebnis und reduziert gleichzeitig die Kosten einer sehr<br />

teuren Behandlung.<br />

11. Quellennachweis<br />

Dieses Script gibt die Meinung des Zentrums für Schwerstbrandverletzte<br />

der Klinik für Wiederherstellungschirurgie am Universitätsspital Zürich<br />

zur Behandlung von Verbrennungspatienten wieder. Dieses Zentrum hat<br />

eine mehr <strong>als</strong> dreissigjährige Tradition und grosses internationales<br />

Ansehen. Es ist neben Lausanne das einzige Zentrum dieser Art in der<br />

Schweiz.<br />

Auch in diesem Bereich der Medizin gibt es verschiedene Ansichten, weil<br />

die Wirksamkeit von verschiedenen Behandlungsmethoden nicht immer<br />

eindeutig bewiesen werden kann. Es ist <strong>als</strong>o durchaus möglich, dass<br />

gewisse Punkte in anderen Schulen anders beurteilt oder anders<br />

gewichtet werden. Die Grundsätze bleiben jedoch gleich.<br />

Das Script und der Vortrag lehnen sich sehr stark an das Buch:<br />

Wegweiser Verbrennungen, Beurteilung und Behandlung von<br />

Verbrennungen bei Erwachsenen von Walter Künzi und Volker Wedler<br />

an.<br />

Das Buch kann bei:<br />

IBSA, Institut Biochimique SA, CH-6915 Pambio-Noranco<br />

bestellt werden.<br />

Dieses Buch kann allen, welche mit Verbrennungsunfällen konfrontiert<br />

werden könnten, sehr empfohlen werden.<br />

mailto:martin.brueesch@usz.ch August 05 / September 09<br />

Zusammengefasst und Ergänzt aus „Wegweiser Verbrennung“, Quellennachweis auf Seite 25 28

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