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Heinz Sahner (Hrsg.) Zur Leistungsfähigkeit telefonischer ... - SFB 580

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<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Mitteilungen<br />

Heft 4 (2002)<br />

CATI-Labor<br />

am Zentrum<br />

für Sozialforschung<br />

Halle e.V.<br />

<strong>Heinz</strong> <strong>Sahner</strong> (<strong>Hrsg</strong>.)<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Leistungsfähigkeit</strong><br />

<strong>telefonischer</strong> Befragungen<br />

Gesellschaftliche<br />

Entwicklungen<br />

nach dem<br />

Systemumbruch<br />

Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> -<br />

zwischen Methodenentwicklung und Dienstleistung


Heft 4, September 2002<br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />

“Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch.<br />

Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung”<br />

Sprecher: Prof. Dr. Rudi Schmidt<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena<br />

Telefon: (49-3641)945050<br />

Fax: (49-3641)945052<br />

E-Mail:<br />

schmidt@soziologie.uni-jena.de<br />

Internet: www.sfb<strong>580</strong>.uni-halle.de<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de<br />

Verantwortlich für dieses Heft:<br />

Dipl.-Soz. Christian Koll<br />

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />

an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />

Emil-Abderhalden-Str. 6, 06108 Halle/Saale<br />

Telefon: (49-345)5526622<br />

Fax: (49-345)5526601<br />

E-Mail:<br />

koll@zsh.uni-halle.de<br />

Satz: Yvonne Müller<br />

Logo: Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />

Druck: Art Publicity Promotion GmbH Halle<br />

ISSN: 1619-6171<br />

Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> “Gesellschaftliche Entwicklungen<br />

nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung” entstanden<br />

und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung des Landeszuschusses<br />

Sachsen-Anhalt zur Grundausstattung des Teilprojektes M gedruckt.<br />

Alle Rechte vorbehalten.


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Inhalt des Heftes 4<br />

Vorwort ......................................................................................Seite 5<br />

HEINZ SAHNER<br />

Teil 1<br />

Das telefonische Interview ............................................................Seite 7<br />

MICHAEL BAYER<br />

Methodeneffekte in telefonischen Interviews ....................................Seite 19<br />

CHRISTIAN KOLL<br />

Anmerkungen zur Zusammenarbeit unterschiedlicher<br />

Forschungstraditionen .................................................................. Seite 27<br />

GERALD PREIN<br />

Diskussion ...................................................................................Seite 33<br />

Teil 2<br />

Das CATI-System......................................................................... Seite 35<br />

CHRISTINA BUCHWALD<br />

Diskussion ...................................................................................Seite 43<br />

Die Autoren .................................................................................Seite 47


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Vorwort<br />

HEINZ SAHNER<br />

Stellung und Bedeutung des M-Projektes im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Dem M-Projekt kommt innerhalb des <strong>SFB</strong> eine ganz besondere Bedeutung zu. Warum? Zumindest<br />

drei Gründe sind aufzuführen:<br />

(1) Als Teilprojekt mit einem eigenständigen Profil dient das M-Projekt der Methodenentwicklung.<br />

Insbesondere im Bereich der Qualitätssicherung sowie der methodischen<br />

Weiterentwicklung der Möglichkeiten der Integration von quantitativen und qualitativen<br />

Methodologien existiert ein nachgerade hoher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.<br />

(2) Zweitens hat das M-Projekt eine integrative Funktion. Es ist projektübergreifend und<br />

es nötigt die an den Universitäten Halle und Jena tätigen Wissenschaftler, vor und während<br />

der Erhebung in einen Diskurs zu treten: Aus inhaltlichen, aus methodischen und aus<br />

organisatorischen Gründen. Telefonische Befragungen setzen andere Standards als paper<br />

and pencil interviews (PAPI). Notwendig werden beim Entwurf des elektronischen Fragebogens<br />

auch inhaltliche Fragen berührt. Zusammen mit der Notwendigkeit der Abstimmung<br />

der Fülle der Erhebungen wird also ein reger Austausch zwischen den Beteiligten erforderlich<br />

sein.<br />

(3) Drittens hat das Projekt Dienstleistungsfunktion, wie sich unschwer aus dem Projektantrag<br />

und an der Zahl der computergestützten telefonischen Befragungen (CATI) ablesen<br />

lässt (vgl. Tab. 1).<br />

Alle diese Aspekte haben auch die Gutachter betont und diese Sicht der Dinge, diese Erwartung,<br />

ist auch in die Genehmigung des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> durch die DFG eingegangen:<br />

“Durch gemeinsame Entwicklung der Methoden (v. a. Telefoninterviews) und die Überwindung<br />

der in diesem Fachgebiet manchmal sehr hohen disziplinären Schranken ist ein in sich<br />

kohärentes Vorhaben gewachsen. (...) Um den methodischen Austausch weiter zu intensivieren<br />

und alle Teilprojekte von dem im Sonderforschungsbereich vorhandenen Methoden-Know-how<br />

profitieren zu lassen, wird empfohlen, im methodischen Bereich gemeinsame<br />

Workshops oder Sommerschulen durchzuführen. Auch über ein eigenes Projekt zur<br />

Methodenentwicklung sollte mittelfristig nachgedacht werden” (DFG-Bewilligung vom 6.<br />

Juni 2001, Abschnitt III).<br />

Mit dem Workshop am 12. März 2002 sollte begonnen werden, dieses Programm zu realisieren.<br />

Funktionen des Workshops:<br />

1. Präsentation des Instrumentes: CATI-Labor,<br />

2. Einführung in die Möglichkeiten und Probleme <strong>telefonischer</strong> Befragungen,<br />

3. Möglichkeit für die Cooperanten zur Diskussion und zur Abstimmung von Fragen.<br />

Vor allem ging es auch darum, Vorurteile gegenüber der telefonischen Befragung abzubauen.<br />

Immer noch wird dem Instrument mit großer Skepsis begegnet. Der Einschätzung als “quick<br />

and dirty” in den siebziger und achtziger Jahren ist längst einer Neubewertung gewichen,<br />

die selbst zwar schon in Lehrbüchern ihren Niederschlag gefunden hat 1 , aber in der Profession<br />

noch nicht verankert ist, und weder in der Lehre noch in der Forschung angemessenen<br />

Niederschlag findet.<br />

5


Teil 1<br />

H. <strong>Sahner</strong>: Vorwort<br />

So wurden nach dem Jahresbericht 2000 des Arbeitskreises Deutscher Markt- und<br />

Sozialforschungsinstitute e. V. Frankfurt (ADM) schon 1996 im privatwirtschaftlich<br />

verfassten Bereich der Markt- und Sozialforschung bereits 44% der Befragungen mit dem<br />

Telefon (CATI) durchgeführt und über 10% der persönlichen Interviews mit dem Laptop<br />

gewonnen, während der akademische Bereich weit hinterherhinkt. Recherchen in den Datenbanken<br />

des Informationszentrums Sozialforschung Bonn (IZ) ergeben, dass in den<br />

Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen, in denen auf Befragungen<br />

zurückgegriffen wurde, Telefonumfragen nur eine geringe Rolle spielen. Für den Zeitraum<br />

von 1992 bis 1997 ist das in der Literaturdatei SOLIS nur in 0,5% der Fälle und in der<br />

Forschungsdatei FORIS nur in 1,5% der Fälle geschehen. Während in den etwa 40 Mitgliedsinstituten<br />

des ADM 1996 1.738 CATI-Plätze installiert waren, waren es an den deutschen<br />

Universitäten nur etwa 100 2 . Wie können unter diesen Umständen Studenten adäquat auf<br />

die Praxis vorbereitet werden?<br />

Auch vor diesem Hintergrund ist die Initiative der Gutachter und der DFG zu begrüßen.<br />

Packen wir’s an!<br />

Tabelle 1:<br />

Arbeitsprogramm des Teilprojektes M des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>:<br />

Geplante CATI-Erhebungen von 2002 bis 2013<br />

<strong>SFB</strong>-<br />

Antragsphase<br />

Teilprojekt A2 Teilprojekt A3 Teilprojekt A4 Teilprojekt B2<br />

Elitenpanel:<br />

Quantitatives<br />

Betriebspanel:<br />

Führungskräftebefragung<br />

Abgeordnetenbefragung<br />

Bevölkerungsbefragung<br />

Elitenpanel<br />

Betriebspanel<br />

Erste<br />

Antragsphase:<br />

2001-2004<br />

1. Welle:<br />

N ca. 700<br />

1. Welle:<br />

N=1500<br />

1. Welle:<br />

N=2000<br />

1. Welle:<br />

N ca. 200<br />

1. Welle:<br />

N=800<br />

Zweite<br />

Antragsphase:<br />

2004-2007<br />

2. Welle 2. Welle:<br />

N=2000<br />

2. Welle:<br />

N ca. 200<br />

2. Welle<br />

Dritte<br />

Antragsphase:<br />

2007-2010<br />

3. Welle 3. Welle:<br />

N=2000<br />

3. Welle:<br />

N ca. 200<br />

3. Welle<br />

Vierte<br />

Antragsphase:<br />

2010-2013<br />

4. Welle 2. Welle 4. Welle:<br />

N=2000<br />

4. Welle:<br />

N ca. 200<br />

4. Welle<br />

1<br />

Rainer Schnell / Paul Hill / Elke Esser, 1999: Methoden der empirischen Sozialforschung. München, S.<br />

340ff. Selbst die befürchteten Methodeneffekte scheinen weit übertrieben. Vgl. hierzu: E.D. de Leeuwe,<br />

1993: Data quality in mail, telephone and face-to-face surveys. Amsterdam. Oder: Band 15 der Schriftenreihe<br />

“Spektrum Bundesstatistik”: Neue Erhebungsinstrumente und Methodeneffekte. Stuttgart 2000.<br />

2<br />

Vgl. hierzu: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1999: Qualitätskriterien der Umfrageforschung. Denkschrift.<br />

Herausgegeben von Max Kaase. Bonn, S. 71 und S. 145 f.<br />

6


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Das telefonische Interview<br />

MICHAEL BAYER<br />

1. Methodologische Voraussetzungen<br />

empirischer Sozialforschung<br />

Das telefonische Interview, als ein Sonderfall des<br />

Interviews in Bezug auf das benutzte Instrument<br />

und als ein mittlerweile gängiges Verfahren der<br />

Erhebung quantitativer Daten (vgl. Bayer 2001,<br />

S. 2 f.), erscheint auf den ersten Blick als methodologisch<br />

wenig erklärungsbedürftig. Betrachtet<br />

man jedoch die vorhandene Literatur<br />

zur allgemeinen Interviewthematik 1 , so zeigt<br />

sich, dass diese Methodik bzw. dieses Instrument<br />

theoretisch meist unterreflektiert geblieben<br />

ist.<br />

Unter Theorien verstehen wir, in Anlehnung an<br />

Habermas, ”Ordnungsschemata, die wir in einem<br />

syntaktisch verbindlichen Rahmen beliebig konstruieren.<br />

Sie erwiesen sich für einen speziellen<br />

Gegenstandsbereich dann als brauchbar, wenn<br />

sich ihnen die reale Mannigfaltigkeit fügt.”<br />

(Habermas 1982, S. 17). Insoweit grenzen wir<br />

uns an dieser Stelle explizit von der Popperschen<br />

Definition von Theorien ab, der sie als eine Art<br />

Netz betrachtet, ”das wir auswerfen, um die<br />

”Welt” einzufangen, – sie zu rationalisieren, zu<br />

erklären und zu beherrschen.” (Popper 1989, S.<br />

31). Der Unterschied liegt hierbei weniger im<br />

Verfahren selbst, als vielmehr in den damit verbundenen<br />

Absichten. Die bei Habermas explizite<br />

Abhängigkeit oder auch <strong>Zur</strong>ückgenommenheit<br />

der Theoriekonstruktion wird bei Popper zu einem<br />

zielgerichteten Prozess, dessen Endpunkt<br />

in der Beherrschung der ”Welt” liegt.<br />

Die Sozialwissenschaften sind immer bereits mit<br />

der Rache des Objekts bedroht, ”wenn das noch<br />

im Erkennen befangene Subjekt den Zwängen<br />

eben der Sphäre verhaftet bleibt, die es doch<br />

analysieren will.”(Habermas 1982, S. 18). Im<br />

Hinblick auf die Methode des (telefonischen)<br />

1<br />

Vgl. hierzu grundlegend Scheuch (1967) für den<br />

deutschsprachigen und Hyman, Feldman & Stemper<br />

(1954) für den angloamerikanischen Bereich.<br />

2<br />

An dieser Stelle kann man insoweit Soeffner zustimmen,<br />

wenn er sagt: ”jede Form von Sozialforschung<br />

[ist] in einem sehr allgemeinen Sinn interpretativ.[...]<br />

Sozialforschung basiert auf Akten der Deutung, erarbeitet<br />

und bezieht sich auf verstehensmäßig konstituierte<br />

Daten und gewinnt ihre Erklärungen durch<br />

Dateninterpretation. Aus dieser Perspektive ergibt<br />

sich kein Fundament für eine Konfrontation zwischen<br />

quantitativer und qualitativer Sozialforschung.”<br />

(Soeffner 1989, S. 53).<br />

Interviews zeigt sich eine grundsätzliche Problematik<br />

empirisch-analytischer Handlungswissenschaften,<br />

wie wiederum Habermas treffend<br />

anmerkt: im fehlenden Kontinuum ”zwischen<br />

kategorialem Rahmen, Meßstandards und<br />

Erfahrungsbasis [...] Hier wählen wir die Meßinstrumente<br />

ad hoc, ohne zu wissen, ob die darin<br />

implizierten Annahmen mit den Theorien, die<br />

überprüft werden sollen, überhaupt eine systematische<br />

Beziehung haben.” (ebd., S. 215).<br />

Im Interview – zumal im telefonischen – stellt die<br />

gesprochene Sprache den einzigen Träger von<br />

Information und gegenseitigem Verständnis dar.<br />

Die Wissenschaft insgesamt setzt, wie Apel treffend<br />

ausführt, ”als Bedingung der Möglichkeit<br />

ihrer eigenen Sätze die Intersubjektivität der<br />

Sprache bereits als hergestellt voraus – und<br />

zwar nicht nur im Sinne einer schlecht und recht<br />

funktionierenden Verständigung, sondern im Sinne<br />

von Eindeutigkeit möglicher Tatsachenbeschreibung...<br />

.” (Apel 1976, S. 42).<br />

Verstehen und Tatsachenbeschreibung bis hin<br />

zur Erklärung von Tatsachenzusammenhängen<br />

basieren letzten Endes immer auf Vorgängen der<br />

Interpretation. 2 Entscheidend für den Charakter<br />

dieser Interpretationsprozesse ist für Soeffner<br />

weniger die Unterscheidung in qualitativ und<br />

quantitativ Forschende, als vielmehr die<br />

wissenschaftstheoretische Qualität des<br />

Untersuchungsansatzes. Es geht um Unterschiede<br />

in der Beantwortung der Frage nach dem<br />

Status des Subjekts in der Welt als entweder<br />

immer schon intersubjektives in der Welt sein<br />

oder als der (objektiven) Welt gegenüber stehendes<br />

Subjekt. 3<br />

3<br />

Für Soeffner unterscheiden sich standardisierte und<br />

nicht-standardisierte Verfahren der Datengewinnung<br />

vor allem dadurch, dass die ersten ihre Erhebungsstandards<br />

künstlich erarbeiten, während letztere sich<br />

in ihren Erhebungen auf die vorhandenen natürlichen<br />

Standards und Routinen innerhalb der Kommunikation<br />

beziehen. ”Und schon auf dieser ersten Ebene<br />

scheitert eine ganze Anzahl der qualitativen Untersuchungen,<br />

deren zweifelhafte Qualitäten entweder in<br />

naivem Intuitionismus und Empathie sowie in der unkontrollierten<br />

Anwendung alltäglicher Deutungsroutinen<br />

und Plausibilitätsmaximen bestehen...”<br />

(ebd., S. 59).<br />

7


Teil 1<br />

M. Bayer: Das telefonische Interview<br />

Für das (telefonische) Interview bedeutet dies<br />

nunmehr, dass es jenseits der anvisierten und<br />

prinzipiell asymmetrischen Kommunikationssituation<br />

zwischen Interviewer und Befragten<br />

eine Verständlichkeit und Möglichkeit zur Verständigung<br />

geben muss, auf der das Interview<br />

als Methode insgesamt aufliegt. Der Interviewer<br />

steht in der anforderungsreichen Position eines<br />

Übersetzers von wissenschaftlichem Code<br />

in alltagsweltlich verstehbare Kommunikation. Die<br />

standardisierte Befragung muss sich hierbei vor<br />

allem in Bezug auf die zur Anwendung kommenden<br />

(sozialwissenschaftlichen) Standards Rechenschaft<br />

geben; nur so kann gewährleistet<br />

werden, dass die darin angelegte Kontrollbasis<br />

tatsächlich als eine solche fungieren kann. 4<br />

Grundsätzlich arbeitet die standardisierte Befragung<br />

mit der Idee, die Übersetzungsleistung –<br />

im Sinne einer Verständlichmachung – bereits in<br />

der Fragebogenkonstruktion zu bewerkstelligen.<br />

Der beste standardisierte Fragebogen macht<br />

eben keinen ”Sinn”, wenn er von den Befragten<br />

nicht verstanden wird. Zudem sind die Sozialwissenschaften<br />

immer bereits mit dem Problem<br />

konfrontiert, dass ihre wissenschaftlichen Codes<br />

auf vermeintliches Verständnis treffen, was es<br />

um so schwieriger macht, mögliche ”Fehlverständnisse”<br />

als solche zu identifizieren. 5<br />

An dieser Stelle muss unter Bezug auf das soeben<br />

angemerkte ein kurzer thematischer Exkurs<br />

angefügt werden, der sich mit der Frage nach<br />

dem kritisch-emanzipatorischen Potenzial von<br />

empirischer Sozialforschung auseinandersetzt.<br />

Soziologisch relevante und oftmals hoch abstrakte<br />

Konzepte, wie beispielsweise ”Demokratie”,<br />

”Macht” oder ”Gerechtigkeit”, finden sich in der<br />

Alltagskommunikation in ausgeprägtem Maße<br />

wieder. 6 In verschiedenen Studien wurde immer<br />

wieder festgestellt, dass man jedoch bei näherem<br />

Hinterfragen auf keine klare Vorstellung trifft.<br />

4<br />

Wenn der oder die Forschenden in der Konstruktion<br />

und der Anwendung von Standards Wissen einfließen<br />

lassen, welches nicht expliziert wird, dann steht die<br />

Interpretation der gewonnenen Daten immer bereits<br />

unter Annahmeverdacht.<br />

5<br />

Letzten Endes versucht das Interview in Bezug auf<br />

den Interviewer, das zu vermeiden, was bereits Mead<br />

als Spezifikum vokaler Kommunikation bezeichnet:<br />

”sie ist einer jener gesellschaftlichen Reize, der das<br />

sie gebrauchende Wesen auf die gleiche Weise beeinflussen<br />

würde, wenn er von einem anderen Wesen<br />

käme.” (Mead 1973, S. 101 f.). In Bezug auf den Fragebogen<br />

merken Bourdieu u.a. jedoch an: ”Auch ein<br />

Fragebogen ausschließlich mit geschlossenen Fragen<br />

garantiert nicht schon deshalb Eindeutigkeit der Antworten,<br />

weil er alle Untersuchungspersonen formal<br />

gleichen Fragen unterwirft.” (Bourdieu,<br />

Chamboredon, Passeron 1991, S. 49).<br />

An diesem Punkt zeigt sich die soziale<br />

Veränderungs- bzw. Einwirkungsmächtigkeit<br />

empirischer Sozialforschung in besonderem<br />

Maße. Die vorgenommenen Operationalisierungen<br />

bzw. die für spezifische Fragen angebotenen<br />

Antwortkategorien vermitteln dem Befragten<br />

eine Art von allgemein vorherrschender<br />

Interpretation des je spezifischen Begriffes. 7<br />

Insoweit dient die empirische Sozialforschung<br />

den Befragten auch als eine Möglichkeit der<br />

Wahrnehmung von gesellschaftlich akzeptierten<br />

Einstellungen und Verhaltensweisen. 8<br />

Das heißt zusammenfassend, dass die empirische<br />

Sozialforschung in einer besonderen Verantwortung<br />

im Hinblick auf das eigene Handeln steht,<br />

und das gerade, weil sie durch ihre<br />

Untersuchungsmethoden immer auch den untersuchten<br />

Gegenstand verändert, und weil mit<br />

dieser Veränderung immer auch ein spezifischer<br />

Kommunikations- und Handlungstyp einhergeht.<br />

Die grundsätzliche Frage, die jede Wissenschaft<br />

aber auch jede spezifische Methodik zu beantworten<br />

hat, ist die nach dem ihr zugrundeliegenden<br />

Erkenntnisinteresse. Welche Art von Antwort<br />

bzw. welche Qualität von Information soll<br />

mittels des (telefonischen) Interviews erhoben<br />

werden? Oder anders formuliert: Was ist denn<br />

eigentlich – um ein Anwendungsbeispiel zu nutzen<br />

– der ”wahre” Wert der persönlichen Einstellung<br />

zu Demokratie? Genau an dieser Stelle zeigt<br />

sich sehr deutlich die Wichtigkeit, über die<br />

Grundannahmen methodischer Arbeit zu reflektieren.<br />

So könnte die Frage ebenso lauten: Gibt es jenseits<br />

einer intersubjektiven Kommunikationssituation<br />

– wozu auch ein Interview zählt –<br />

überhaupt so etwas wie eine Einstellung zur<br />

Demokratie? Gesetzt den Fall, die zugrundelie-<br />

6<br />

”Die Alltagssprache, diese ”Hinterlassenschaft von<br />

Wörtern. Hinterlassenschaft von Ideen” wie<br />

Brunschvigs Titel lautet, die, weil alltäglich, nicht<br />

mehr wahrgenommen wird, birgt in ihrem Wortschatz<br />

wie ihrer Syntax eine gleichsam versteinerte Philosophie<br />

des Sozialen, die aus den umgangssprachlichen<br />

Wörtern oder den damit gebildeten komplexen Ausdrücken,<br />

die der Soziologe zwangsläufig benutzt,<br />

immer wieder zum Leben erweckt werden kann.”<br />

(Bourdieu, Chamboredon, Passeron 1991, S. 24).<br />

7<br />

Befragte nehmen Antwortkategorien oder auch<br />

Antwortskalen als sinnvoll an, wie sich in verschiedenen<br />

Teststudien immer wieder nachweisen ließ.<br />

8<br />

So zeigt sich, dass unterschiedliche Skalen bei derselben<br />

Frage zu unterschiedlichen Antwortmustern führten,<br />

was von Porst (1998) als Wahrnehmungseffekt<br />

im Hinblick auf die in der Antwortskala vermutete<br />

Bevölkerungsverteilung interpretiert wurde.<br />

8


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

genden subjekttheoretischen Annahmen sprächen<br />

dem entgegen, dann würde eine Standardisierung,<br />

die auf Ausschaltung von Intersubjektivität<br />

setzt, etwas messen, was für die<br />

soziale Welt ausschließlich Artefaktcharakter<br />

hätte.<br />

Es geht hierbei nicht darum, bestimmte Informationen<br />

in Frage zu stellen, sondern vielmehr um<br />

eine Einortbarkeit erhobener Daten in Relevanzordnungen,<br />

die es dem Forschenden ermöglichen,<br />

eine Unterscheidung zwischen: (1) durch<br />

die Befragung artifiziell erzeugten Stimuli, (2)<br />

verhaltens- und handlungsrelevanten Momenten<br />

von subjektiven Äußerungen und (3) durch die<br />

Subjektivierung und die Schematisierung erzeugte,<br />

sozial irrelevante Äußerungen vorzunehmen,<br />

die jedoch nichtsdestotrotz folgenreich werden<br />

können.<br />

Bevor in den nachfolgenden Überlegungen die<br />

vorhandenen Ansätze zur Methodik des Interviews<br />

– insbesondere des telefonischen Interviews<br />

– angeführt und diskutiert werden, soll in<br />

einer vertiefenden Darstellung auf die besondere<br />

Form der Kommunikationssituation eines (standardisierten)<br />

Interviews als Frage-Antwort-Interaktion<br />

eingegangen werden. Nicht zuletzt,<br />

weil in dieser außeralltäglichen Form der Kommunikation<br />

alltagsrelevante Informationen erhoben<br />

werden sollen, was diese Erhebungsmethode<br />

mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert.<br />

2. Menschliche Kommunikation in<br />

der Spezifik eines Frage-<br />

Antwort-Spiels<br />

9<br />

Dasselbe gilt in etwas anderer Zielrichtung für den<br />

Einsatz von Forscher-Interviewern. Hier verlagert<br />

sich die Problematik in stärkerem Maße in den Bereich<br />

der Replizierbarkeit von Studien.<br />

10<br />

In dieser Vorgabe drückt sich zweifelsohne eine<br />

Machtasymmetrie aus, derer sich jeder Sozialforscher<br />

bewusst sein muss. Diskurstheoretisch gewendet<br />

kann man im Interview auch eine Methodik<br />

des Aufzwingens eines spezifisch wissenschaftlichen<br />

Diskurses sehen. Hierbei werden Antwortmöglichkeiten<br />

vorgegeben, was gleichzeitig den<br />

Ausschluss anderer bedeutet. Dass in den meisten<br />

Fällen eine sogenannte ”Sonstiges”-Kategorie vorgesehen<br />

ist, reduziert diese Asymmetrie nicht wirklich,<br />

da dem Befragten im Gegensatz zum Forscher kein<br />

adäquater Zeitraum zur Verfügung steht, um regelmäßigen<br />

Gebrauch von dieser Möglichkeit zu machen.<br />

Anders und, wenn man Habermas folgen will,<br />

Telefonische Interviews arbeiten im Gegensatz<br />

zu ”Face-to-face”-Interviews ausschließlich mit<br />

dem Medium der gesprochenen Sprache; zudem<br />

soll Sprache in der Interviewsituation zuvorderst<br />

zum Transport von Informationen genutzt werden,<br />

deren Reihenfolge ausschließlich der Interviewer<br />

weiß bzw. bestimmt. Das heißt, der Befragte<br />

befindet sich in einer Situation von<br />

Ungewissheit über die jeweils nächste Frage,<br />

was ihm meist die Möglichkeit nimmt, einen Gesamteindruck<br />

in Bezug auf die Frageninhalte zu<br />

erzeugen bzw. zu gewinnen.<br />

Die Kommunikationssituation im Interview sollte<br />

im Regelfall problem- bzw. Frage-Antwort-orientiert<br />

strukturiert sein. Zwischen dem Interviewer<br />

und dem Befragten soll es hingegen – so die<br />

Auffassung der meisten quantitativ Forschenden<br />

– keine soziale Interaktion geben. Eine derartige<br />

Form von Interaktion und Kommunikation<br />

hätte im Sinne einer empirisch-analytisch arbeitenden<br />

Soziologie einerseits enormen Einfluss<br />

auf die Befragungsinhalte und kann andererseits<br />

durch den Forscher nicht reflektiert werden. 9<br />

Die am jeweiligen Interview Beteiligten verfügen<br />

im Regelfall über je spezifische Sprach- bzw.<br />

Sprechkompetenzen, die in manchen Fällen erheblich<br />

divergieren können. Diese Unterschiede<br />

beziehen sich hierbei sowohl auf die syntaktisch/<br />

semantische, aber vor allem auf die pragmatische<br />

Ebene. Über die verwendete Sprache, mithin<br />

über die verwendeten Sätze, wird die jeweilige<br />

Frage- bzw. Antwortbedeutung transportiert.<br />

Wenn es sich um eine ”geschlossene” Frage<br />

handelt, also um eine Frage die feste Antwortkategorien<br />

vorsieht und diese dem Befragten<br />

übermittelt, dann wird der gesamte Antwortbzw.<br />

Ausdrucksraum durch den Befrager vorgegeben.<br />

10 Gleich den Antwortmöglichkeiten, besitzen<br />

die je spezifischen Fragen einen<br />

Objektivierungscharakter, der jenseits aller<br />

lebensweltlichen Relevanz einen Gegenstand<br />

konstruiert, dem der Befragte möglicherweise<br />

vollkommen indifferent gegenübersteht. 11 Soziale<br />

Relevanz gewinnt eine solche Gegenstandskonstruktion<br />

dann, wenn der diskursiv erzeugte<br />

beispielhaft verfährt in dieser Hinsicht der psychoanalytische<br />

Diskurs zwischen Analytiker und Patient.<br />

”Die analytische Grundregel formuliert die Bedingungen<br />

eines repressionsfreien Reservats, in dem für die<br />

Dauer der Kommunikation zwischen Arzt und Patient<br />

die Ernstsituation, also der Druck der gesellschaftlichen<br />

Sanktionen, so glaubhaft als möglich außer<br />

Kraft gesetzt ist.” (Habermas 1991, S. 305 f.). Der<br />

Aufhebung gesellschaftlicher Sanktionsinstanzen<br />

dient im Interview vor allem die Versicherung der<br />

Anonymität der Angaben, was jedoch wiederum die<br />

Rolle des Befragten als relevantes Individuum außer<br />

Kraft setzt.<br />

11<br />

Das Interview ist insoweit ebenfalls ein spezifischer<br />

Diskurs, für den die Beschreibung von Diskursen bei<br />

Foucault zutrifft, der diese als Praktiken ansieht, ”die<br />

systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie<br />

sprechen.” (Foucault 1981, S. 74).<br />

9


Teil 1<br />

M. Bayer: Das telefonische Interview<br />

Gegenstand soziale Auswirkungen nach sich<br />

zieht, die ohne das Interview nicht erzeugt<br />

worden wären. 12<br />

Das Interview als eine alltagsferne oder außeralltägliche<br />

Form der Kommunikation trifft im Regelfall<br />

auf einen Befragten, der zwar – wenn es<br />

zu keiner Interviewverweigerung kommt – prinzipiell<br />

kommunikationsbereit ist, der jedoch über<br />

die im Interview behandelten Phänomene und Gegenstände<br />

in einer auch nicht annähernd ähnlichen<br />

Art und Weise reflektiert. Insoweit ist er<br />

mit ständigen Übersetzungs- und<br />

Interpretationsleistungen während des Interviews<br />

beschäftigt; vorausgesetzt die angesprochenen<br />

Fragen erzeugen in ihm irgendeine Motivation,<br />

derartige Übersetzungen überhaupt<br />

vorzunehmen. Auf der anderen Seite befindet<br />

sich – im Regelfall – ein Interviewer, der immer<br />

zwischen einer sozialisatorisch erworbenen Fähigkeit<br />

und Präferenz zu sozialer Interaktion und<br />

Kommunikation und den (extern formulierten)<br />

Anforderungen der Ausschaltung von sozialen<br />

Interaktionskompetenzen während des Interviews<br />

steht.<br />

Für standardisierte Sozialforscher besteht die<br />

erste (mit)entscheidende Hürde in einer<br />

Interviewsituation aus dem Interpretationsprozess,<br />

den der Interviewer in Bezug auf den<br />

ihm vorliegenden Text unternimmt. 13 Diese Interpretation<br />

wirkt sich direkt auf die Interaktion<br />

bzw. Kommunikation zwischen Interviewer und<br />

Befragtem aus. Die Interpretationsmöglichkeiten<br />

– im Sinne eines sprachlich aufgespannten und<br />

an den Befragten übermittelten Interpretationsraumes<br />

– werden insoweit durch den Interviewer<br />

erstselektiert. Der entscheidende Interpretationsprozess<br />

findet dann auf Seiten des Befragten<br />

statt. Dieser muss die sprachlichen Signale<br />

bzw. die vokalen Gesten, die ihm durch den Interviewer<br />

zukommen, in ihrem Bedeutungsgehalt<br />

im Rahmen seiner eigenen lebensweltlichen Verankerung<br />

interpretieren, um danach eine entsprechende<br />

Antwort zu formulieren.<br />

An dieser Stelle setzen die meisten Konzepte der<br />

Standardisierung von Fragen an. Standardisierung<br />

meint insoweit nichts anderes, als der Versuch,<br />

die Kette: Forscher-Interviewer-Befragter<br />

an den jeweiligen Übergangspunkten möglichst<br />

interpretationsinvariant zu halten. 14<br />

Wie bereits angesprochen, weiß der Befragte in<br />

den meisten Fällen nicht, wie die nächste Frage<br />

lauten wird. Er ist insoweit nicht in der Lage,<br />

eine, wie Goffman sagen würde, Strategie der<br />

Imagepflege zu verfolgen, welche in ”normalen”<br />

Gesprächssituationen der Präsentation seiner<br />

selbst dient. (vgl. Goffman 1986) Nichtsdestotrotz<br />

ist davon auszugehen, dass der Befragte<br />

während jeder Frage eine solche Zuordnung zu<br />

einer gewünschten Gesamtpräsentation bzw.<br />

eine Selbstverortung innerhalb der Bevölkerung<br />

versucht. Wie oben bereits angeführt, zeigte<br />

sich in Methodenstudien immer wieder das Phänomen,<br />

dass Befragte die angebotenen Antwortkategorien<br />

unter der Annahme, dass diese (sozial)<br />

sinnvoll seien, für diesen Prozess einer Präsentation<br />

im Sinne einer Einordnung nutzen und<br />

das unabhängig vom tatsächlichen Verhalten. 15<br />

Auf Seiten des Interviewers lassen sich Effekte<br />

festmachen, die unter anderem mit dem Einsatz<br />

der spezifischen Technologie (Telefon und Computer)<br />

zusammenhängen. So konstatiert Fuchs:<br />

”...dass die Gestaltung des Bildschirminterfaces<br />

die Verhaltensweisen der beteiligten Akteure beeinflussen<br />

kann, was u.a. auch Konsequenzen<br />

für die Interviewdauer hat.” (Fuchs 2000, S. 87).<br />

Im Folgenden sei eine erste (Zwischen-)Graphik<br />

dargestellt, die den Fokus vor allem auf die<br />

Kommunikationssituation zwischen den beiden<br />

Personen legt, die direkt am Interview beteiligt<br />

sind.<br />

Die Interviewsituation ist – wie an der Graphik<br />

deutlich ablesbar – eine eminent komplexe Interaktions-<br />

bzw. Kommunikationssituation. Sowohl<br />

12<br />

Jenseits aller Frageformulierung mit der bereits eine<br />

spezifische Relevanzordnung bestimmter Gegenstände<br />

erzeugt werden kann, verändert die Befragung<br />

immer bereits die soziale Welt durch ihren fragenden<br />

Eintritt, gerade wenn Befragte zu Überlegungen angehalten<br />

werden, die sie ohne ein/das Interview aktuell<br />

nicht vollzogen hätten. Diese Überlegungen können<br />

jedoch wiederum Handlungsfolgen nach sich ziehen,<br />

deren eigentliche Ursache dann jedoch im Interview<br />

als solchem liegt.<br />

13<br />

Es wäre naiv davon auszugehen, dass es selbst bei<br />

gleich realisierter Textvorlage nicht erhebliche Unterschiede<br />

in Bezug auf Textbetonung oder textbegleitende<br />

vokale Signale gäbe.<br />

14<br />

Das trifft zumindest für die eigentliche Feldphase zu,<br />

der jedoch im Regelfall eine sogenannte Pretestphase<br />

vorgeschaltet ist. Dass die Einbindung der prinzipiell<br />

erklärenden Methodik des standardisierten Interviews<br />

genau an dieser Pretestphase ansetzen muss,<br />

wird im Weiteren noch entwickelt werden (s.u.).<br />

15<br />

Bei Studien zum Fernsehkonsum zeigte sich dies<br />

sehr prägnant, was im Endeffekt zu vollkommen unterschiedlichen<br />

Gesamtverteilungen und Mittelwerten<br />

führte.<br />

10


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

der Interviewer als auch der Befragte besitzen<br />

eine sowohl tätigkeitsspezifische als auch<br />

lebensweltliche Einbettung, die zum größten Teil<br />

im Interview selbst keine Thematisierung findet<br />

bzw. finden soll; die jedoch die Interviewsituation<br />

in hohem Maße mitbeeinflusst. Hierbei<br />

zeigt sich aus der Perspektive des Interviewenden<br />

eine ”Pfadabhängigkeit” in Bezug auf das<br />

vorherige bzw. die vorherigen Interviews (sowohl<br />

die erfolgreichen als auch die nicht-erfolgreichen),<br />

während beim Befragten ein Ausstrahlungseffekt<br />

der bereits gestellten bzw.<br />

noch nicht gestellten Fragen angenommen werden<br />

kann.<br />

Abbildung 1:<br />

Interview als soziale Kommunikationssituation<br />

mit Vergangenheit und Zukunft<br />

GR<br />

Ein nicht zu unterschätzendes Moment der<br />

Befragungssituation ist die oben bereits angesprochene<br />

Sprachkompetenz oder zumindest die<br />

vom Befragten subjektiv wahrgenommene und<br />

dem Interviewer zugeschriebene Sprachkompetenz.<br />

16 Wie Reuband aus einer empirischen<br />

Teststudie zu berichten weiß, zeichnen sich<br />

mittlere Bildungsabschlüsse durch Distinguiertheit<br />

in der Sprachverwendung im Interview aus,<br />

was signifikante Effekte bezüglich der Befragungsinhalte<br />

erzeugte. 17 Was sich also hier<br />

manifestiert, ist nichts anderes, als ein Effekt,<br />

der zuvorderst durch den sozialen Interaktionskontext<br />

des Interviews erzeugt wurde. Bleibt<br />

man konsequent in der Perspektive einer notwendigen<br />

Kontrolle derartiger Kontexteffekte,<br />

dann müsste das Interview letztlich in einer<br />

lebensweltlich neutralen Sprache stattfinden.<br />

Eine solche Sprache hätte jedoch zur Folge,<br />

dass es überhaupt nicht mehr zu einer Verständigung<br />

kommen könnte. Sprache und Sprachverwendung<br />

sind immer bereits Ausdruck unserer<br />

je eigenen Lebensform, und wenn wir ein prinzipielles<br />

Interesse an Verständigung besitzen,<br />

müssen wir das Sprechen (respektive das Antworten)<br />

des anderen als einen Ausdruck einer<br />

noch zu erschließenden Lebensform akzeptieren.<br />

Einbettungskontext<br />

Folgende<br />

Frage<br />

Einbettungskontext<br />

Wissen<br />

Erwartung/Unsicherheit<br />

Konkurrenz<br />

Alter/Geschlecht<br />

Supervisorkontrolle<br />

Interesse/Zeit<br />

Inhaltliches<br />

Interesse/<br />

Desinteresse<br />

Sprachliche<br />

Kompetenz<br />

Interviewer/in<br />

Kommunikations-<br />

situation<br />

Befragte/r<br />

Soziale Einbettung<br />

Sprachliche<br />

Kompetenz<br />

Erinnerung<br />

Erwartung<br />

Vorheriges<br />

Interview<br />

16<br />

Fowler & Mangione (1990) referieren verschiedene<br />

Befunde, die jedoch alle zeigen, dass es signifikante<br />

Intervieweinflüsse bezüglich vorhandener Sprachkompetenz<br />

bei allen beteiligten Personen gibt.<br />

17<br />

Reuband vermutet eine Dimension, die möglicherweise<br />

bisher unterschätzt wurde: ”die der demonstrativen<br />

Kompetenz im Kontakt mit dem<br />

Fassen wir das Gesagte bis zu dieser Stelle zusammen,<br />

so zeigen sich grundsätzliche Problematiken<br />

im Hinblick auf das Interview als methodisches<br />

Instrumentarium. Einerseits gilt der Befragte<br />

nicht als interessierendes Subjekt, sondern<br />

immer bereits als (austauschbarer) Typus,<br />

der jedoch andererseits im Sprechen seine Individualität<br />

bewahrt und ausdrückt, deren Typik<br />

jedoch außerhalb des Untersuchungsziels<br />

liegt. 18<br />

Interviewer.” (Reuband 2001, S. 53).<br />

18<br />

Das heißt, wir wissen einerseits, dass Sprache fundamental<br />

für soziale Phänomene ist; andererseits<br />

unterstellen wir in der Anwendung von (standardisierten)<br />

Interviews eine sprachliche Gleichförmigkeit,<br />

die, wenn vorhanden, soziale Ungleichförmigkeiten<br />

abermals erklärungsbedürftig machen würde.<br />

11


Teil 1<br />

M. Bayer: Das telefonische Interview<br />

3. Standardisierung von Fragen –<br />

Frageformulierung und Pretest<br />

Ein grundsätzliches Problem bei der Konzeption<br />

von Fragebögen ist die Art und Weise der Frageformulierung.<br />

Hierbei werden im Regelfall Annahmen<br />

getroffen, die der sozialen Realität nicht<br />

ohne weiteres unterstellt werden können. ”Insbesondere<br />

wird vorausgesetzt, dass zumindest<br />

eine einheitliche Sprache mit gleichartigem<br />

Stimuluscharakter für die Empfänger von Mitteilungen<br />

existiert.” (Scheuch 1967, S. 141). 19 Dieser<br />

berechtigte Hinweis von Scheuch bezieht<br />

sich nicht nur auf interkulturelle Sprach- und<br />

Verständigungsschwierigkeiten, sondern auch<br />

und gerade auf signifikante Unterschiede in der<br />

Alltagssprache innerhalb einer (Sprach-) Kultur.<br />

Während der entsprechende Interpretationsvorgang<br />

beispielsweise in narrativen Interviews auf<br />

Seiten des Befragers liegt, findet dies im vollstandardisierten<br />

Interview meist unbeeinflussbar<br />

vom Interviewer beim Befragten statt. 20<br />

In Anlehnung an Sudman, Bradburn und Schwarz<br />

kann die Befragung bzw. das Interview in zwei<br />

Elemente unterteilt werden: (1) die soziale Begegnung<br />

(zwischen Interviewer und Befragtem)<br />

und (2) die kognitiven Anforderungen an den Befragten<br />

bei der Beantwortung von Fragen. Zentral<br />

hierbei ist – wie bereits mehrfach angedeutet<br />

– die sprachliche Interaktion zwischen den<br />

beiden beteiligten Personen. 21 Der Bedeutungstransport<br />

aus dem Fragebogen über den Interviewer<br />

hin zum Befragten und wieder zurück ist<br />

ein Indiz für die Wichtigkeit, die der Fragekonstruktion<br />

im Erhebungsprozess zukommt.<br />

Dass unterschiedliche Formulierungen für den –<br />

zumindest vermeintlich – gleichen Inhalt (also<br />

syntaktische Änderung bei semantischer Konstanz)<br />

ergebnisrelevant sind, zeigen sowohl<br />

klassische als auch neuere Untersuchungen (vgl.<br />

hierzu Reuband 2001).<br />

Aus diesem Grund sollten Sozialwissenschaftler<br />

sehr sorgfältig bei der Fragebogenkonstruktion<br />

vorgehen, um zumindest vermeidbare Fehler aus<br />

den jeweiligen Erhebungskonzepten auszuschließen.<br />

Zweifelsohne gab und gibt es keine perfekten<br />

Fragebögen; zumindest jedoch gibt es mittlerweile<br />

standardisierte Methodiken der Evaluation<br />

von Surveyfragen, die eine Identifikation<br />

bestimmter Fehlerarten ermöglichen.<br />

Ein wichtiger Bestandteil jeder Fragebogenkonstruktion<br />

ist zweifelsohne das Pretesting von<br />

Fragen bzw. Fragekonstrukten. Prüfer und<br />

Rexroth benennen diverse Verfahren, mit denen<br />

in Pretest-Interviews die Fragen- und<br />

Fragebogenqualität ermittelt werden kann. Unter<br />

Bezugnahme auf die entsprechenden Analysen<br />

bei Sudman, Bradburn & Schwarz sollen im<br />

Folgenden drei verschiedene Verfahren näher<br />

vorgestellt und untersucht werden: das<br />

Behavioural Coding, die Retrospective-Think-<br />

Aloud-Methode und die Expertenbeurteilung.<br />

Oksenberg, Cannell & Kalton verwenden ein<br />

Codeschema für das ”Behavioural Coding”, welches<br />

drei dem Interviewer zugeordnete Codes<br />

und sieben Befragtencodes umfasst (Oksenberg,<br />

Cannell & Kalton 1991). 22 Eine derartige Form der<br />

Fragen-Überprüfung eignet sich für die Anwendung<br />

bei telefonischen Befragungen. Mit dieser<br />

Methodik kann zwar ein prinzipiell mögliches Fehlverständnis<br />

der Frage nicht expliziert werden;<br />

jedoch ist die notwendige Bandaufnahme des<br />

Interviews problemlos möglich, die für entsprechende<br />

Analysen des Interviews verwendet<br />

werden kann. Insgesamt ist das Behavioural<br />

Coding, wie Prüfer und Rexroth im Vergleich zu<br />

anderen Pretesttechniken anmerken, ”diejenige<br />

Technik, deren Pretesterkenntnisse am<br />

reliabelsten sind.” (Prüfer, Rexroth 1996, S. 11).<br />

Die zweite Technik der Fragebogenevaluation ist<br />

die sogenannte ”Retrospective-think-aloud”-Methode.<br />

Vor allem Sudman, Bradburn & Schwarz<br />

plädieren aus Erfahrungen heraus für diese retrospektive<br />

Variante in Abgrenzung von antwortbegleitenden<br />

Versionen (Concurrent-Think-<br />

Aloud) derselben Methodik. Im Pretestinterview<br />

wird der Befragte nach erfolgter Antwort gebeten,<br />

den Prozess der eigenen Antwortfindung zu<br />

beschreiben bzw. darzustellen. Auf diesem Wege<br />

lassen sich Informationen über die kognitiven<br />

Prozesse gewinnen, welche durch spezifische<br />

Stimuli beim Befragten angestoßen werden. Insgesamt<br />

lässt sich – bei nicht zu unterschätzen-<br />

19<br />

Vergleiche hierzu auch die ausführliche Besprechung<br />

methodischer Aspekte in der ALLBUS Befragung<br />

1998 bei Wüst (1998).<br />

20<br />

Insgesamt kann man Scholl zustimmen, dass eine<br />

”sozialwissenschaftliche Erhebung [...] eine Gleichung<br />

mit zwei Unbekannten [ist].” (Scholl 1993, S. 14).<br />

21<br />

”Language comprehension is based not only on formal<br />

structures like syntax, but more importantly, on<br />

pragmatic factors that may deeply affect meaning.”<br />

(Sudman, Bradburn & Schwarz, S. 2).<br />

22<br />

Das Codeschema findet sich in einer tabellarischen<br />

Variante bei Prüfer, Rexroth (1996, S. 8).<br />

12


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

der Komplexität der Anforderung an die Befragten<br />

– sagen, dass sich mit dieser Methode vor<br />

allem Befunde über die Operationalisierung von<br />

Konzepten sammeln lassen.<br />

Abbildung 2:<br />

Chronologischer Ablauf der Fragebogenevaluation<br />

(Idealtypisch)<br />

Fragebogen<br />

konstruktion<br />

Expert<br />

Evaluation<br />

Fragebogen<br />

überarbeitung<br />

Restrospective<br />

Think-Aloud<br />

Fragebogen<br />

überarbeitung<br />

Als letzte Methode im Bereich des Pretesting sei<br />

auf die Expertenevaluation verwiesen, die darüber<br />

hinaus auch bei der Erstellung von Stichproben<br />

zur Anwendung kommt. Sudman,<br />

Bradburn & Schwarz kommen zu folgender<br />

Schlusseinteilung der drei Methoden: ”Ideally,<br />

they should be used in combination, with the<br />

experts‘ evaluation first, the retrospective think<br />

alouds second, and the evaluation of taperecorded<br />

pretests third.” (Sudman, Bradburn &<br />

Schwarz 1996, S. 30). In Abbildung 2 ist die entsprechende<br />

Pretest-Chronologie graphisch dargestellt.<br />

Wie aus der Vielzahl an Zwischenstationen<br />

deutlich wird, benötigt der gesamte<br />

Pretestprozess einen nicht zu unterschätzenden<br />

zeitlichen Aufwand.<br />

Wie jedoch gezeigt werden konnte und was in<br />

der entsprechenden Literatur auch deutlich wird,<br />

ist der Pretest als Instrument empirischer Befragungen<br />

nicht nur wichtig und unerlässlich, sondern<br />

stellt m. E. den zentralen Anknüpfungspunkt<br />

von Verstehens- und Erklärensprozessen<br />

dar. Die Expertenevaluation und die<br />

Retrospective-Think-Aloud-Methode stellen zwei<br />

Instrumente dar, die in zwei Richtungen die<br />

Möglichkeit des Verstehens erst eröffnen. Einerseits<br />

findet damit eine Anbindung an Diskurse<br />

der ”scientific community” statt und stellt andererseits<br />

einen Versuch dar, die Lebenswelten<br />

der Befragtenpopulation und damit auch die<br />

sprachlichen Äußerungen der zukünftig zu Befragenden<br />

tatsächlich verstehen zu können. Ob<br />

Behaviour<br />

Coding<br />

Fragebogen<br />

Endversion<br />

Erhebung<br />

man nunmehr<br />

der von<br />

Sudman,<br />

Bradburn, &<br />

Schwarz<br />

vorgeschlagenen<br />

Reihenfolge<br />

der<br />

drei Pretestinstrumentarien<br />

folgt,<br />

ist letzten<br />

Endes eine<br />

sekundäre<br />

Gewichtungsfrage.<br />

Die<br />

Anbindung an innerwissenschaftliche Diskurse<br />

und an zu erschließende Lebenswelten der Befragten<br />

bewegen sich jedoch auf zwei unterscheidbaren<br />

Dimensionen, die manchmal eben<br />

auch gegenläufig sein können. 23<br />

Abbildung 3 versucht einige der soeben vorgenommenen<br />

Überlegungen in eine graphische<br />

Übersicht zu bringen.<br />

Zweifelsohne stellt das Schaubild eine grobe<br />

Vereinfachung der tatsächlichen Restriktionen<br />

und Dimensionalitäten eines Forschungsprozesses<br />

dar. 24 Nichtsdestotrotz ist es<br />

sinnvoll, die beiden als getrennt visualisierten Dimensionen<br />

im tatsächlichen Forschungsprozess<br />

auch als getrennte zu behandeln. Inwieweit die<br />

so gewonnenen Ergebnisse und Befunde in die<br />

Befragungskonzeption Eingang finden sollten<br />

bzw. welche Spezifika der telefonischen<br />

Befragungssituation auch in diesen Abläufen und<br />

Verläufen eine Rolle spielen, wird in den nachfolgenden<br />

Abschnitten behandelt werden.<br />

23<br />

Selbstredend ist der innerwissenschaftliche Diskurs<br />

kein Diskurs, der ohne Machtasymmetrien funktioniert.<br />

Insofern stellt jede Anbindung an diesen<br />

Diskursraum auch ein Sich-Unterwerfen unter den<br />

herrschenden wissenschaftlichen Diskurs dar. Solange<br />

dies – wovon jedoch in den meisten Fällen nicht<br />

ausgegangen werden kann – keine Auswirkungen auf<br />

den Forschungsprozess im engeren Sinne hat, stellt<br />

dies ein nicht zu vermeidendes Faktum eigener Natur<br />

dar.<br />

24<br />

Hierbei sei nur beispielhaft auf die prinzipiell finanziellen<br />

und zeitlichen Restriktionen eines jeden Forschungsprojektes<br />

verwiesen. Diese Formen von Restriktionen wirken<br />

sich entsprechend auf die vorhandenen Zusammenhänge<br />

aus, die im oben dargestellten Schaubild eingezeichnet<br />

sind. Prinzipiell kann die Hypothese formuliert werden:<br />

Je geringer die vorhandenen zeitlichen und finanziellen Ressourcen<br />

der Projektdurchführenden sind, desto größer ist<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass die Expertenevaluation<br />

13


Teil 1<br />

M. Bayer: Das telefonische Interview<br />

Abbildung 3:<br />

Dimensionen von Verstehen im Forschungsprozess<br />

„scientific<br />

community”<br />

Anbindung<br />

hoch<br />

Experten-<br />

Evaluation<br />

Interessen ( wissenschaftiche<br />

u. nicht-wissenschaftliche)<br />

Idealposition<br />

nach Pretest<br />

Innerwissenschaftlicher<br />

Diskurs mit Vergangenheit<br />

und spezifischen Machtressourcen<br />

Vorhandene<br />

Erfahrungen<br />

niedrig<br />

Ausgangsposition<br />

niedrig<br />

Erfahrungen u. Erwartungen<br />

„ retrospectivethink-aloud”<br />

hoch<br />

Verstehen der<br />

Lebenswelt der<br />

Befragten<br />

4. Notwendigkeiten der<br />

Operationalisierung<br />

Ein mitentscheidender Aspekt im Hinblick auf die<br />

Validität, aber auch Reliabilität zu erhebender<br />

Daten, ist die ”gelungene” Umsetzung theoretischer<br />

Konzepte in konkrete Fragen. Dabei geht<br />

es in diesem Teil weniger um die bereits oben angesprochene<br />

Problematik des Zusammenhangs<br />

von syntaktischer Beschreibung und entsprechenden<br />

Effekten in der Befragung selbst, als<br />

vielmehr um die ”Kunst” 25 der Formulierung von<br />

Fragen, die das messen, was sie letztendlich<br />

messen sollen, mithin um die Operationalisierung<br />

von theoretischen Konstrukten.<br />

Gallhofer und Saris (2000) unterscheiden hierbei<br />

zwischen ”intuitiven” und ”postulierten” Konzepten,<br />

was nichts anderes meint, als dass aus<br />

einem postulierten Konzept eine Frage nicht direkt<br />

generiert werden kann. Postulierte Konzepte,<br />

wie etwa Demokratievorstellungen oder<br />

Machtbegrifflichkeiten sind – selbstredend –<br />

nicht direkt in Frageformulierungen umsetzbar 26 ,<br />

sondern müssen an intuitive Konzepte geknüpft<br />

werden, die dann in je spezifische Fragestellungen<br />

übersetzbar sind. Bevor diese theorieorientierte<br />

Problematik weiter ausgeführt werden<br />

kann, ist es sinnvoll sich mit einem grundlegenden<br />

und immer wiederkehrenden ”Streit” der<br />

Frageformulierung auseinander zu setzen: offene<br />

oder geschlossene Fragen. Converse und<br />

Presser konstatieren in diesem Zusammenhang:<br />

”when not enough is known to write appropriate<br />

response categories, open questions are to be<br />

prefered.” (Converse, Presser 1986, S. 34). Unklar<br />

bleibt in dieser Stellungnahme jedoch, wann<br />

genug an Informationen vorliegt, um entsprechend<br />

geschlossene Antwortkategorien im Interview<br />

zu nutzen. Bradburn argumentiert ähnlich<br />

und proklamiert eine zwar moderate, aber im<br />

Prinzip unproblematische Verwendung von offenen<br />

Fragen, insbesondere wenn es sich um Erhebungskonzepte<br />

und inhaltliche Fragestellun-<br />

durch eine indirekte Evaluation ersetzt wird; was nichts<br />

anderes heißt, als dass sich diejenigen innerwissenschaftlichen<br />

Standpunkte innerhalb des<br />

Forschungsprojektes durchsetzen werden, die am stärksten<br />

den ”common sense” repräsentieren, was jedoch die<br />

Falsifikations- bzw. Überprüfungspotenziale der Soziologie<br />

als solche reduziert. Problematisch ist dies m. E. vor<br />

allem, weil Befragungen und den darin verwendeten Konzepten<br />

immer auch eine Wirklichkeit verändernde Kraft innewohnt.<br />

Das heißt mit anderen Worten: Stetiges Fragen<br />

nach der Wichtigkeit eines spezifischen Themas führt über<br />

kurz oder lang dazu, dass dieses Thema auch wichtig werden<br />

wird.<br />

25<br />

Die Bezeichnung der Fragebogenkonstruktion als eine<br />

Kunst geht auf das Grundlagenwerk zur Fragenformulierung<br />

von Payne (1951) zurück. Es kann jedoch nicht oft genug<br />

wiederholt werden, dass Fragenformulierung gerade<br />

keine Kunst sein sollte, sondern vielmehr ein Prozess stetiger<br />

Reflexion und Interpretation.<br />

26<br />

Man kann entsprechend eben nicht fragen: ”Wie zufrieden<br />

sind Sie mit der Demokratie in der Bundesrepublik?”.<br />

14


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

gen handelt, über die es wenig oder keine<br />

Forschungs- bzw. Befragungserfahrung gibt<br />

(vgl. Bradburn 1983). 27<br />

Anschließend an die oben formulierten Überlegungen<br />

zur Rolle und Stellung des Pretest im<br />

Erhebungsprozess insgesamt, lässt sich zweierlei<br />

konstatieren. Zum Einen stellt die offene Frage<br />

eine Möglichkeit der Annäherung an tatsächliche<br />

Befragten-Lebenswelten dar, zum Anderen<br />

erfordert sie jedoch im Interview sowohl auf Seiten<br />

des Befragten als auch auf Seiten des Interviewenden<br />

ein Mehr an Konzentration und Motivation.<br />

Zudem sind die Forschenden bei offenen<br />

Fragen immer mit der Problematik konfrontiert,<br />

dass sie den Befragten bereits ”verstanden”<br />

haben müssen, um seine Antworten auf<br />

offene Fragen zu verstehen, die jedoch gerade<br />

für einen solchen Verstehensprozess fundamental<br />

sein sollen.<br />

Abbildung 4:<br />

Der Befragungsprozess in seiner<br />

Zusammenhangslogik<br />

Forscher/in<br />

Methodik<br />

Erkenntnisinteresse<br />

des<br />

Erkenntnisinteresses<br />

Befragte/r<br />

Möglichkeiten/Restriktionen<br />

Vorannahmen<br />

Möglichkeiten der<br />

Individualisierung<br />

Kommunikationssituation als Frage-<br />

Antwort-Spiel u. als soziale Interaktion<br />

Festzuhalten ist, dass auch vorhandene Antwortskalen<br />

und vor allem Antwortmöglichkeitsräume<br />

zwar einerseits als Ausgangspunkt – auch<br />

im Sinne einer Forschungskontinuität und<br />

Ergebnisvergleichbarkeit – genutzt werden können,<br />

dies jedoch andererseits nicht unhinterfragt<br />

geschehen sollte. 28 Ein damit zusammenhängendes,<br />

jedoch instrumentenspezifisches<br />

Phänomen von telefonischen Befragungen stellt<br />

das Ausmaß an möglichen Antwortvorgaben und<br />

die Präsentation dieser Vorgaben dar. Im Gegensatz<br />

zu schriftlichen Befragungen ist die Anzahl<br />

an möglichen Antwortvorgaben im telefonischen<br />

Interview durch das verwendete Instrument eingeschränkt.<br />

Es gibt Möglichkeiten im Rahmen<br />

computergestützter Interviews Antwortalternativen<br />

in jedem Interview randomisiert anzubieten,<br />

um die Begünstigung von Randkategorien<br />

nicht als systematische Verzerrungen<br />

in die gewonnen Daten einzuschreiben. Diese<br />

Möglichkeiten finden jedoch innerhalb eines immer<br />

schon durch die kognitiven Kapazitäten der<br />

Befragten begrenzten Antwortmöglichkeitsraumes<br />

ihre Anwendbarkeit. Zwar lassen sich<br />

Antworthierarchien formulieren, die es ermöglichen,<br />

über Ober- und Untergruppen eine Vielzahl<br />

an Antwortmöglichkeiten als gefilterte Pfade<br />

durchzuarbeiten; diese Möglichkeit bleibt jedoch<br />

entweder auf unproblematische<br />

Fragekonzepte<br />

Elektronischer<br />

Fragebogen<br />

Möglichkeiten/<br />

Restriktionen<br />

Interviewer/in<br />

beschränkt oder muss in<br />

Pretests auf ihre<br />

Passungsfähigkeit hin<br />

geprüft werden. Das<br />

nutzt die besprochenen<br />

Zusammenhänge zu einer<br />

Darstellung der<br />

Prozesslogik, welche einer<br />

Befragung zu Grunde<br />

liegt.<br />

Der gesamte rechte Bereich<br />

der Graphik (gestricheltes<br />

Rechteck)<br />

dient letzten Endes dem<br />

Erkenntnisinteresse,<br />

welches der oder die<br />

Forscher/in dem Befragten<br />

entgegenbringt. Das<br />

heißt jedoch, dass der gesamte Prozess der<br />

Fragenformulierung, der Operationalisierung etc.<br />

immer an das zugrundeliegende Erkenntnisinteresse<br />

rückgebunden werden muss.<br />

27<br />

Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass<br />

die Interpretation von Antworten auf offene Fragen eine<br />

Problematik eigener Natur darstellt, die in der einschlägigen<br />

Literatur wenig oder überhaupt keine Beachtung findet.<br />

Selbst ein Forscher wie Charles Ragin, der immer<br />

schon auf die Verknüpfung von qualitativen und quantitativen<br />

Methodiken hinarbeitete, verbleibt in dieser Frage<br />

ebenfalls im Nebulösen. (vgl. Ragin 1994, S. 57 f.)<br />

28<br />

Forschungs- und erhebungspraktisch bieten sich sogenannte<br />

”split-ballot”-Verfahren an, wobei die Befragten-<br />

population in Subpopulationen unterteilt wird, denen das<br />

gleiche inhaltliche Fragekonzept in unterschiedlichen<br />

Operationalisierungen vorgelegt wird. Fowler fasst dieses<br />

Verfahren folgendermaßen zusammen: ”Small split-ballot<br />

field tests, with samples of 150 to 200 interviews<br />

randomized to alternative forms of a survey instrument<br />

can provide information on these and many more topics<br />

in a cost-effective manner.” (Fowler 2001, S. 62).<br />

15


Teil 1<br />

M. Bayer: Das telefonische Interview<br />

Ein wichtiges Moment in der Konstruktionsphase<br />

eines Befragungsinstrumentes und hier insbesondere<br />

eines computergestützten Instrumentes<br />

sind die Vorannahmen des Forschers, die<br />

beispielsweise Eingang in zu implementierende<br />

Filterungen finden. Derartige Filterführungen<br />

stellen einerseits ein sehr mächtiges und<br />

situationsentlastendes Moment computergestützter<br />

Befragungsinstrumente dar, erzeugen<br />

jedoch andererseits verstärkte Reflexionsanforderungen<br />

im Vorfeld der Befragung. Die in der<br />

Graphik als ”Möglichkeiten der Individualisierung”<br />

bezeichneten Filterführungskapazitäten elektronischer<br />

Fragebögen dienen in der Intention dem<br />

Zweck, den Interviewer einerseits zu entlasten<br />

und andererseits den Befragten nur mit Fragen<br />

zu konfrontieren, die ”sinnhaften” Charakter bezüglich<br />

ihrer je individuellen Situation besitzen.<br />

Das heißt aber auch, dass in eine derartige<br />

Filterführung Vorannahmen über Kombinationsmöglichkeiten<br />

bzw. soziale Muster Eingang finden.<br />

Verknüpft man diese Überlegung mit den oben<br />

angeführten Befunden zur unterstellten<br />

Sinnhaftigkeit der Fragen und Antwortkategorien<br />

durch die Befragten, dann werden Inkonsistenzen<br />

möglicherweise einfach nicht entdeckt.<br />

Darüber hinaus stellt eine ausgeprägte Filterführung<br />

immer auch eine Form der veröffentlichten<br />

”Normalisierung” von möglichen Zusammenhängen<br />

dar. Insgesamt kann man festhalten,<br />

dass mit dieser Möglichkeit der sehr komplexen<br />

Filterführung gleichzeitig immer eine Erhöhung<br />

der Reflexionsanforderungen an die Forschenden<br />

einhergeht.<br />

5. Abschließende Anmerkungen<br />

Insgesamt kann festgehalten werden, dass mit<br />

der Methodik des (telefonischen) Interviews und<br />

der Spezifik eines computergestützten telefonischen<br />

Erhebungsinstrumentes eine Fülle an<br />

Möglichkeiten verbunden sind, die jedoch weder<br />

von wissenschafts- noch substanztheoretischen<br />

Überlegungen entlasten. Die Verwendung der Methode<br />

des telefonischen Interviews in der Soziologie<br />

kommt nicht an der Beantwortung<br />

grundsätzlicher Fragen nach Erkenntnisinteresse,<br />

Verstehenspotenzial und Erklärungsabsicht<br />

vorbei. Mit dem Einsatz von Pretests ist<br />

der Versuch verbunden, sowohl Frageformulierungen<br />

als auch Fragenkonstrukte als<br />

solche zu testen bzw. in Explorationen erst zu<br />

entwickeln. Gerade der Einsatz von offenen Fragen<br />

dient einer solchen Exploration von Antworträumen;<br />

wobei die Methodiken des Zugangs zu<br />

und des Umgangs mit entsprechenden Antworten<br />

nach wie vor theoretisch unterreflektiert ist.<br />

In der Forschungspraxis laufen hier oftmals<br />

intuitionistische und subsumptionstheoretische<br />

Verfahrensweisen ineinander, ohne dass diese<br />

tatsächlich expliziert werden. Der Einsatz moderner<br />

Kommunikationstechnologien entlastet<br />

die Forschenden nicht von derartigen Überlegungen,<br />

vielmehr erhöht dies die Gefahr, dass<br />

durch die vermeintlich professionelleren Zugangsmöglichkeiten<br />

zu den jeweiligen<br />

Untersuchungsfeldern die wissenschaftstheoretische<br />

und methodische Reflexion vernachlässigt<br />

wird.<br />

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17


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Methodeneffekte in telefonischen Interviews<br />

CHRISTIAN KOLL<br />

1. Einleitung<br />

Seit relativ kurzer Zeit erst sind telefonische<br />

Interviews eine anerkannte sozialwissenschaftliche<br />

Methode der Datenerhebung, obwohl sie<br />

seit über 30 Jahren vor allem im angelsächsischen<br />

Raum als Forschungsinstrument bekannt<br />

sind und genutzt werden. Die technische Verfeinerung<br />

der Telefonbefragung hin zur CATI-<br />

Befragung (Computer-Assisted-Telephone-<br />

Interviewing) begann etwa um das Jahr 1980.<br />

Zu dieser Zeit fanden telefonische Interviews in<br />

der deutschen Sozialforschung verstärkt Berücksichtigung.<br />

Und auch hier wurden sie zunächst<br />

für marktforschungsorientierte und professionelle<br />

Umfrageinstitute nutzbar gemacht, bevor sich<br />

die universitäre Forschung ihnen zuwandt, was<br />

hauptsächlich methodische Bedenken zur Ursache<br />

hatte. (vgl. Fuchs 1994, S. 33)<br />

Mittlerweile konnte methodischen Problemen und<br />

Mängeln weitgehend begegnet werden. Strategien,<br />

die entwickelt wurden, rankten sich wie<br />

die methodische Diskussion anfangs um<br />

Stichprobenziehungen sowie Ausschöpfungsund<br />

Verweigerungsquoten. Seit relativ kurzer<br />

Zeit erst wurden Methodeneffekte und ihr<br />

Einfluss auf die Validität von Daten, auf Antwortmuster<br />

und Verzerrungen sowie auf das Verhalten<br />

und auf die Akzeptanz dieser Befragungsvariante<br />

bei den Beteiligten zum Gegenstand von<br />

Untersuchungen.<br />

2. Besonderheiten der Interaktion<br />

in telefonischen Interviews<br />

Befragungen gelten als der Königsweg in der<br />

empirischen Sozialforschung. Das Interview bzw.<br />

die standardisierte Befragung schließt an ein<br />

alltagsweltliches Verfahren an, d.h. eine sozialwissenschaftliche<br />

Befragung funktioniert zunächst<br />

nicht grundlegend anders als eine alltägliche<br />

Kommunikation. Als Besonderheit standardisierter<br />

Interviews wird jedoch meist angenommen,<br />

dass infolge der besonderen<br />

Strukturiertheit der Kommunikation der Stimulus<br />

der Fragen bei allen Untersuchungsobjekten<br />

gleichartige Reizwirkungen entfaltet. Computergestützte<br />

telefonische Befragungen werden für<br />

gewöhnlich als eine gut geeignete Methode<br />

standardisierter Datenerhebung beschrieben.<br />

Nicht selten wird jedoch vergessen, dass sich<br />

verbales Verhalten – und dieses ist in der telefonischen<br />

Kommunikation zweifellos von maßgeblicher<br />

Bedeutung – immer im Kontext einer sozialen<br />

Interaktion bzw. Situation entäußert, an<br />

deren Definition und Ausdeutung mindestens<br />

zwei Akteure einen entscheidenden Anteil haben:<br />

der Befragte und der Interviewer. Jede<br />

Verhaltensweise ruft Reaktionen bei Mitmenschen<br />

hervor. Die Interviewsituation unterliegt<br />

folglich auch am Telefon einer nicht zu vernachlässigenden<br />

sozialen Dynamik. (vgl. dazu auch<br />

den Beitrag von M. Bayer in diesem Band)<br />

Im Unterschied zu postalischen oder face-toface-Befragungen<br />

lassen sich zwei ganz zentrale<br />

Elemente bestimmen, die typisch für die CATI-<br />

Methode sind: telefonische Interviews sind auf<br />

den auditiven Kanal beschränkt, und der Computer<br />

greift als eine Art zusätzlicher ”Akteur” in<br />

die Interaktion ein. Dem Interviewer, der grundsätzlich<br />

in jeder Form des Interviews wesentliche<br />

Aufgaben übernimmt, die beispielsweise von<br />

der Motivationsarbeit bis hin zur Vermittlung der<br />

Befragtenrolle reichen, wird in diesem Fall zusätzlich<br />

abverlangt, mit dem Computer zu kommunizieren,<br />

da dieser unmittelbar mit der Problemlösung<br />

verknüpft ist (vgl. Abb. 1).<br />

CATI-spezifische Effekte und Fehlerquellen können<br />

demzufolge unter zwei Gesichtspunkten<br />

analysiert werden: Modeeffekte resultieren aus<br />

der spezifischen Kommunikationssituation, die in<br />

diesem Fall durch die physische Abwesenheit des<br />

Interviewers während der Befragung charakterisiert<br />

ist. Darüber hinaus beeinflusst die Technologie<br />

– also der Computer – das Verhalten der<br />

beteiligten Akteure, indem sie unmittelbar in die<br />

Fragebogenadministrierung einbezogen ist. Hier<br />

erweisen sich Technologieeffekte als wirksam.<br />

Im folgenden wird insbesondere auf einige Modeeffekte<br />

näher eingegangen, denn als ein entscheidender<br />

Faktor bei der Situationsdefinition<br />

in der Interaktion können Merkmale des Interviewers<br />

angesehen werden (vgl. Steinert 1984,<br />

S. 20). Hierin liegt eine potentielle Fehlerquelle.<br />

Anhand einiger Beispiele soll aufgezeigt werden,<br />

in welcher Weise telefonische computergestützte<br />

Erhebungen von Merkmalen des Interviewers<br />

– und hier insbesondere durch das Geschlecht<br />

des Interviewers – beeinflusst werden können.<br />

Darüber hinaus ergeben sich aber auch Effekte,<br />

19


Teil 1<br />

Ch. Koll: Methodeneffekte in telefonischen Interviews<br />

die zwar weniger in Zusammenhang mit<br />

Interviewermerkmalen gebracht werden können,<br />

aber trotzdem auf Spezifika der Kommunikationssituation<br />

zurückführbar sind. Es soll gezeigt<br />

werden, dass sich verändertes Antwortverhalten<br />

und Fehlertendenzen auch auf die Erhebungsmethode<br />

zurückführen lassen. Am Beispiel<br />

von ”Unentschieden”-Antworten in telefonischen<br />

und face-to-face-Befragungen wird dieser<br />

Effekt näher erläutert werden.<br />

Abbildung 1:<br />

Interviewer-Befragten-Interaktion im<br />

computergestützten Interview<br />

CATI-Instrument<br />

Frage/Item<br />

Interface<br />

Interview<br />

Quelle: Fuchs 2000, S. 73<br />

3. Geschlechtsspezifische Effekte in<br />

telefonischen Interviews<br />

Häufig wird davon ausgegangen, dass in standardisierten<br />

Befragungen der Interviewer zwar<br />

Einfluss auf die Qualität der Antworten nehmen<br />

kann, doch ist eine ebenfalls weit verbreitete Annahme,<br />

durch Training und Schulungsmaßnahmen<br />

könne dieser Einfluss derart neutralisiert<br />

werden, so dass er letztlich vernachlässigbar<br />

sei. Als potenziell problematisch erweisen<br />

sich jedoch solche Merkmale einer Person,<br />

die der Kontrolle weitgehend entzogen sind. Diese<br />

Charakteristika des Fragenden können über<br />

beabsichtigte Stimuli hinaus Wirkungen entfalten,<br />

obwohl oder gerade weil sie ungewollt und<br />

unbewusst sind. Die im Kommunikationsprozess<br />

wirksamen Eigenschaften der Interaktionspartner<br />

sind in Abbildung 2 überblicksartig dargestellt.<br />

Als die offensichtlichsten Merkmale in der telefonischen<br />

Kommunikation können das Geschlecht<br />

oder auch das Alter des Interviewers betrachtet<br />

werden. Auch ohne visuellen Kontakt mögen<br />

sie – vor allem in Kopplung mit Stimmeigenschaften<br />

und rhetorischen Fähigkeiten – dem<br />

Befragten als Hinweise beispielsweise auf den<br />

sozialen Status des Fragestellers, dessen Persönlichkeit<br />

und andere das Antwortverhalten beeinflussende<br />

Faktoren dienen. Gerade weil in telefonischen<br />

Interviews im Gegensatz zur normalen<br />

Interaktion weniger Merkmale über die Person<br />

des Gegenübers Aufschluss geben, werden<br />

diese wenigen Charakteristika um so bedeutsamer,<br />

da sie als Anhaltspunkte<br />

für die<br />

Situationsdefinition<br />

herangezogen werden<br />

und einer Be-<br />

Interviewer<br />

wertung unterliegen<br />

(vgl. z.B. Friedrichs<br />

1990).<br />

Befragter<br />

Besonders evident<br />

ist in diesem Zusammenhang<br />

das<br />

Geschlecht des Interviewers.<br />

Die Erkenntnis,<br />

dass<br />

Untersuchungsergebnisse<br />

auch bei<br />

telefonischen Interviews<br />

durch Interviewer<br />

beeinflusst<br />

werden können, existieren<br />

beinahe solange telefonische Befragungen<br />

durchgeführt werden. Obwohl es in einer<br />

Reihe von Studien gelang, verschiedenartige<br />

Wirkungen von Interviewermerkmalen sichtbar<br />

zu machen, wird dieser Problematik bislang noch<br />

zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. In einer telefonisch<br />

durchgeführten Befragung zu Rechten<br />

und zur Rolle von Frauen fand Landis bereits<br />

1973 heraus, dass Studentinnen, wenn sie von<br />

Männern interviewt wurden, zu feministischeren<br />

Antworten tendierten, als wenn sie von Frauen<br />

befragt worden waren. Thematisch ähnlich gelagerte<br />

Untersuchungen zeigten ähnliche Befunde<br />

und konnten deutlich machen, dass Männer<br />

gegenüber männlichen Interviewern eher geneigt<br />

waren, konservative Antworten zu geben (z.B.<br />

Ballou & DelBocca 1980). Eine detaillierte Analyse<br />

des im telefonischen Panelstudiendesign<br />

angelegten Survey of Consumer Attitudes des<br />

Survey Research Center ergab, dass männliche<br />

Interviewer von den Befragten eine positivere<br />

Einschätzung der allgemeinen, noch stärker aber<br />

der persönlichen wirtschaftlichen Lage erhielten.<br />

20


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Es bestand eine Tendenz, sich Männern gegenüber<br />

optimistischer und erfolgsorientierter zu<br />

äußern. (Groves & Fultz 1985) In dem als<br />

Telefonstudie angelegten Farm Women´s Survey<br />

aus dem Jahre 1980 erhielten männliche Interviewer<br />

höhere Verweigerungsraten vor allem bei<br />

weiblichen Befragten. In Bezug auf die Interviewdauer<br />

fand man, dass männliche Interviewer im<br />

Durchschnitt mehr Zeit für eine Befragung benötigten<br />

(Naelon 1983).<br />

Abbildung 2:<br />

Das Interview als sozialer Prozess<br />

Befragter:<br />

Demographische<br />

Merkmale<br />

Persönlichkeit<br />

Information /<br />

Erfahrung<br />

Einstellungen<br />

Erwartungen<br />

Motive<br />

Wahrnehmungen<br />

Verhalten<br />

Quelle: Cannell & Kahn 1968<br />

Meinungslosigkeit und unentschiedene Einstellungen<br />

zu Sachverhalten stellen für die Sozialforschung<br />

immer ein Problem dar. Einerseits<br />

möchte der Forscher ausreichende Angaben von<br />

Respondenten erhalten, um entsprechende Aus-<br />

Interviewergebnis<br />

Interviewer:<br />

Demographische<br />

Merkmale<br />

Persönlichkeit<br />

Information /<br />

Erfahrung<br />

Einstellungen<br />

Erwartungen<br />

Motive<br />

Wahrnehmungen<br />

Verhalten<br />

Diese Ergebnisse mögen zunächst als Hinweise<br />

dafür genügen, wie in unterschiedlichen Weisen<br />

das Antwortverhalten von Befragten durch das<br />

Geschlecht von Interviewern unbewusst und<br />

ungewollt beeinflusst werden kann. Deutlich wird<br />

mithin, dass die Datenqualität und folglich auch<br />

Ergebnisse von Befragungen dadurch tangiert<br />

werden. Unklar bleibt jedoch, worin letztlich die<br />

Ursachen für die geschlechtsspezifischen<br />

Interviewerwirkungen liegen. Insgesamt betrachtet<br />

existieren relativ wenige Erklärungsansätze<br />

für derartige Phänomene, die zudem als<br />

weitgehend unbewiesen oder nur partiell bestätigt<br />

angesehen werden können. Eine Annahme<br />

geht davon aus, dass sich das Geschlecht des<br />

Interviewers nur in Befragungen als relevant herausstellt,<br />

wenn das Befragungsthema unbedingt<br />

einen unmittelbaren Bezug zu geschlechts- und<br />

rollenspezifischen Verhaltensweisen aufweist<br />

(vgl. Reinecke 1991, S. 119). Ein ähnlicher Erklärungsansatz<br />

beruht auf spezifischen Erwartungshaltungen:<br />

unterschiedliche soziale Erwartungen<br />

an den Interaktionspartner können<br />

das Antwortverhalten derart beeinflussen, dass<br />

Männern gegenüber eher Stärke und Optimismus<br />

gezeigt werden. Dies steht mit generellen Einstellungen<br />

gegenüber Männern und Frauen sowie<br />

den ihnen zugeschriebenen Merkmalen im<br />

Zusammenhang. So kann beispielsweise in Bezug<br />

auf Fragen nach ökonomischen Merkmalen<br />

oder bei Einschätzungen aus der Perspektive eines<br />

Befragten eine Situation entstehen, welche<br />

er als Wettbewerb interpretiert oder in der er<br />

Konkurrenzdruck empfindet. Das Bemühen nach<br />

der Vermittlung eines positiven Bildes gegenüber<br />

dem vermeintlichen Konkurrenten führt zu einer<br />

Betonung positiver Aspekte. Eine weitere Vermutung<br />

basiert auf der Zuschreibung unterschiedlicher<br />

Kompetenzen von Männern und<br />

Frauen in Bezug auf unterschiedliche Frageinhalte.<br />

Das bedeutet, sie werden auf bestimmten<br />

Gebieten als Experten oder Laien wahrgenommen.<br />

Diese Wahrnehmung bewirkt insbesondere<br />

dann eine Antwortverzerrung, wenn beim<br />

Befragten noch keine festen Einstellungen oder<br />

Meinungen zu einem Gegenstand herausgebildet<br />

sind. (vgl. Groves & Fultz 1985, S. 49 f.)<br />

Nun muss aber in Bezug auf die genannten Studien<br />

einschränkend bemerkt werden, dass mit<br />

Ausnahme der letztgenannten verschiedene<br />

Grundvoraussetzungen nicht oder nur unzureichend<br />

geprüft wurden: Zunächst muss berücksichtigt<br />

werden, dass jeder Interviewer potentiell<br />

bestimmte Cluster von Interviews generiert.<br />

Demzufolge können Interviews nicht ohne weiteres<br />

als voneinander unabhängige Fälle betrachtet<br />

werden, was bedeuten kann, dass verzerrte<br />

Schätzungen von Standardfehlern der<br />

Effektstärken des Geschlechtseinflusses auftreten<br />

(vgl. Dijkstra 1983). Hinzu kommt, dass in<br />

Interviewerstäben meist nur wenige männliche<br />

Interviewer vertreten sind und dass insbesondere<br />

in der universitären Forschung Interviewer<br />

meist aus der Gruppe der Studierenden rekrutiert<br />

werden. Infolge dessen sind Unterschiede<br />

in Antwortmustern mit einer höheren Wahrscheinlichkeit<br />

auch auf andere Persönlichkeitseigenschaften<br />

zurückführbar.<br />

4. Meinungslosigkeit und unentschiedene<br />

Meinungen in telefonischen<br />

Interviews<br />

21


Teil 1<br />

Ch. Koll: Methodeneffekte in telefonischen Interviews<br />

wertungen, denen häufig statistische Methoden<br />

und multivariate Schätzverfahren zu Grunde liegen,<br />

durchführen zu können. Auf der anderen<br />

Seite ist eine geäußerte Meinungslosigkeit, eine<br />

Antwortverweigerung oder eine unentschiedene<br />

Haltung zu einem Sachverhalt immer auch ein<br />

inhaltliches Problem. Versucht man Antworten<br />

wie ”teils/teils” oder ”unentschieden” inhaltlich<br />

näher zu bestimmen, stößt man leicht an Grenzen,<br />

da mit diesen Kategorien verschiedene Dimensionen<br />

angesprochen werden können, die<br />

nicht zwangsläufig einen unmittelbaren Bezug<br />

auf einen Stimulus in Form einer Frage haben.<br />

Befragte können diese Antwort aus verschiedenen<br />

Gründen wählen:<br />

Der wünschenswerte Fall liegt vor, wenn eine<br />

unentschiedene Antwort tatsächlich Ausdruck<br />

eines Zweifels über die inhaltliche Richtigkeit<br />

einer Frage ist. Die Antwort ist dann das Resultat<br />

eines gedanklichen Abwägungsprozesses;<br />

der Befragte ist in solch einem Fall tatsächlich<br />

unentschieden – was nicht gleichbedeutend mit<br />

meinungslos ist.<br />

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass gar<br />

keine Meinung vorliegt, aber trotzdem eine Antwort<br />

gegeben wird. Beispielsweise um sich selbst<br />

und/oder dem Fragenden Unsicherheiten oder<br />

Unwissenheit nicht einzugestehen, wird auf eine<br />

Frage geantwortet, obwohl kein Abwägungsprozess<br />

und keine Entscheidungsfindung stattgefunden<br />

hat. Unentschieden wird eine solche<br />

produzierte Meinung tendenziell dann ausfallen,<br />

wenn dem Befragten zudem keine Anhaltspunkte<br />

vorliegen, welche Meinung die richtige oder<br />

was erwünscht sei. Die Kategorie dient in diesem<br />

Fall als Fluchtmöglichkeit. Ebenfalls zu einer<br />

Fluchtkategorie kann eine Unentschieden-<br />

Kategorie werden, wenn ein Befragter aus irgendeinem<br />

Grund Angst hat, eine Meinung zu äußern,<br />

sei es als Folge sozialen Drucks, antizipierter<br />

Konsequenzen oder aus einem Zweifel an der<br />

Anonymität einer Befragung heraus. Nicht zuletzt<br />

besteht die Möglichkeit, dass jemand meinungslos<br />

ist oder sich unentschieden äußert, weil in<br />

der Befragungssituation eine Entscheidungsfindung<br />

als zu mühsam erachtet wird und die angebotene<br />

Kategorie die psychologisch<br />

naheliegendste und am leichtesten erreichbare<br />

ist. (vgl. Petersen 2000, S. 26; auch Reuband<br />

1990, S. 428 f.)<br />

Man hat es alles in allem mit verschiedenartig<br />

zustande gekommenen Problemlagen und Antworten<br />

zu tun. Die genannten Schwierigkeiten<br />

sind nicht neu und treten ganz allgemein bei jeder<br />

Form von Befragungen auf. In Bezug auf die<br />

CATI-Methode ergibt sich hingegen noch ein<br />

weiterer Gesichtspunkt, den es zu beachten gilt:<br />

Nachdem das Gallup-Institut zu Beginn des Jahres<br />

1997 seine Wahlumfrage von face-to-faceauf<br />

Telefonbefragung umstellte, zeigte sich, dass<br />

bei telefonischen Befragungen der Anteil von<br />

”Unentschieden”-Antworten zurückging. Was<br />

nun auf den ersten Blick als vorteilhaft und positiv<br />

erachtet werden kann, erweist sich bei genauerem<br />

Hinsehen als Problem. Der Effekt trat<br />

lediglich zugunsten der damals unter öffentlichem<br />

Druck stehenden konservativen Partei auf.<br />

Eine telefonische Befragung bringt eine spezifische<br />

Kommunikationssituation mit sich, in der<br />

sozialer Druck potentiell weniger stark ausgeprägt<br />

ist; die Situation ist eher flüchtig, sie ist<br />

tendenziell anonymer und möglicherweise wird<br />

sie auch als störend oder lästig empfunden. Diese<br />

Umstände können nun zur Folge haben, dass<br />

es dem Befragten einerseits leichter fällt, zu bestimmten<br />

Themen eine bestimmte Meinung zu<br />

äußern. Gleichzeitig bewirken sie aber auch,<br />

dass Befragte eigene Einstellungen entweder beharrlicher<br />

vertreten oder aber auch verbal<br />

schneller negieren und infrage stellen können.<br />

(vgl. Petersen 2000, S. 34 ff.)<br />

In der Praxis bedeutet dies folgendes: Wird jemand<br />

nach seiner Einstellung oder Meinung zu<br />

einem Sachverhalt gefragt, wenn dieser beispielsweise<br />

in der Öffentlichkeit stark kritisiert<br />

oder als sozial unerwünscht wahrgenommen<br />

wird, so fällt es dem Befragten am Telefon leichter,<br />

auf der unter moralischem Druck stehenden<br />

Position zu verharren.<br />

Ausgehend von einer Situation, in der ein<br />

Respondent bereits eine eigene Meinung hat, so<br />

kann zunächst angenommen werden, dass diese<br />

relativ stabil und resistent gegen externe Einflüsse<br />

ist. Auch wenn ab einem bestimmten<br />

Punkt Zweifel an der Richtigkeit der eigenen<br />

Position als Folge äußerer Einflüsse oder Ereignisse<br />

auftreten, hat dies i.d.R. nicht sofort eine<br />

Einstellungsänderung zur Folge. Einstellungsoder<br />

Meinungswandel findet erst dann statt,<br />

wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht und<br />

überschritten werden. Naheliegend ist in diesem<br />

Zusammenhang überdies die Annahme, dass<br />

auch der Interviewer in diesem Prozess der Meinungsbildung<br />

und –äußerung keine unerhebliche<br />

Rolle spielt. Der Prozess der Meinungsbildung<br />

und Meinungsänderung wird durch ein vereinfachtes<br />

Schema in Abbildung 3 verdeutlicht.<br />

22


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Abbildung 3:<br />

Meinungsbildung und Meinungsänderung<br />

als rekursiver Prozess<br />

Meinung A<br />

Bewertungsprozess<br />

Zustand der<br />

Ambivalenz<br />

(„Unentschieden”)<br />

Beibehaltung<br />

(Meinung A)<br />

vs.<br />

Meinungsänderung<br />

(Meinung B)<br />

externe Ereignisse<br />

Die CATI-Methode tut sich nun etwas schwerer<br />

damit, die ambivalenten Zustände abzubilden,<br />

weil Befragte dazu neigen, länger die vermeintlich<br />

oder tatsächlich negativer bewertete<br />

Meinung zu vertreten und sich dafür in einem<br />

späteren Stadium schneller einer Gegenmeinung<br />

anzuschließen. Als bedeutsam erweist sich dieser<br />

Effekt insbesondere bei der Analyse von Einstellungswandel<br />

und Einstellungsänderungen<br />

sowie in der Panelforschung. Dort kommt es<br />

möglicherweise zu abrupteren Seitenwechseln<br />

von einem zum anderen Ende eines Meinungsspektrums,<br />

die Trends schwanken stärker und es<br />

besteht die Gefahr, dass Effekte überschätzt<br />

werden. (Tennstedt 1997) Unsicherheiten sowie<br />

Phasen und Prozesse der Um- und Neuorientierung<br />

bei Befragten lassen sich schwerer erfassen.<br />

5. Zusammenfassende<br />

Überlegungen<br />

Anhand der beispielhaft erörterten Effekte sollte<br />

deutlich geworden sein, dass die am Telefon<br />

durchgeführten standardisierten Befragungen mit<br />

spezifischen methodischen Problemen behaftet<br />

sind. Wirkungen, die aus Interviewermerkmalen<br />

und aus der Befragungssituation resultieren und<br />

das Antwortverhalten mit beeinflussen können,<br />

erweisen sich auch in CATI-Befragungen als<br />

bedeutsam. Doch auch wenn methodischen Fragestellungen<br />

in den vergangenen Jahren verstärkt<br />

Aufmerksamkeit gewidmet wurde, sind<br />

sowohl Datenlage als auch Erkenntnisstand bislang<br />

recht spärlich. Es gilt folglich, derartige<br />

Probleme stärker in den Mittelpunkt zu rücken.<br />

Die Handhabung des Phänomens der Äußerung<br />

von unentschiedenen, ablehnenden oder zustimmenden<br />

Antwortmustern speziell in CATI-Befragungen<br />

gestaltet sich zunächst verhältnismäßig<br />

schwierig. Zumindest liegt es nahe, dass ein<br />

vorsichtiger Umgang mit Ergebnissen von Befragungen<br />

erforderlich ist. So sollte man externen<br />

Einflüssen auf das Antwortverhalten bei der<br />

Ergebnisinterpretation stärker Rechnung tragen,<br />

sofern systematische Zusammenhänge begründet<br />

vermutet werden. Bereits geringe Änderungen<br />

im Antwortverhalten sind dann möglicherweise<br />

als Indizien für größere Zusammenhänge<br />

bzw. stärkere Veränderungen externer Bedingungen<br />

zu werten.<br />

Darüber hinaus ist es sinnvoll, auf die Konstruktion<br />

von Fragen und auf Antwortformulierungen<br />

und –vorgaben stärkeres Augenmerk zu richten.<br />

Ein Ansatz könnte z.B. in der sogen. ”Unfolding”-<br />

Taktik bestehen, d.h. man bittet Befragte erst<br />

relativ eindeutig zu einem Sachverhalt Stellung<br />

zu beziehen (im Sinne einer einfachen Ja-Nein-<br />

Antwort), anschließend wird dann in einer Nachfrage<br />

differenziert erhoben, wie stark eine Meinung<br />

ausgeprägt ist. (vgl. Fuchs 1994, S. 105<br />

f.) Man splittet hierbei den Prozess des Nachdenkens<br />

bzw. Antwortens quasi in mehrere<br />

Schritte, was mit höherer Wahrscheinlichkeit zu<br />

valideren Antworten führt. Diese Annahme bedürfte<br />

allerdings noch der Überprüfung.<br />

Eine weitere Lösungsmöglichkeit bestünde darin,<br />

differenziertere Antwortskalen und Antwortspektren<br />

vorzugeben; man könnte darüber hinaus<br />

breiter streuende mit weniger stark differenzierten<br />

Skalen und ihre Wirkungen vergleichen.<br />

Ebenso könnten Effekte wahrscheinlich besser<br />

differenziert werden, indem geeignetere<br />

Antwortvorgaben präsentiert werden, die beispielsweise<br />

explizite Möglichkeiten der Antwortverweigerung<br />

oder Stimmenthaltung wie ”weiß<br />

nicht” oder ”kenne ich nicht” oder ”möchte mich<br />

nicht äußern” o.ä. anbieten.<br />

Um wiederum unentschiedene von meinungslosen<br />

Befragten besser zu unterscheiden, und bei die-<br />

23


Teil 1<br />

Ch. Koll: Methodeneffekte in telefonischen Interviews<br />

sen wiederum angemessener differenzieren zu<br />

können zwischen Indifferenten als Folge von<br />

Gleichgültigkeit oder Uninformiertheit und Ambivalenten<br />

resultierend aus einem Meinungszwiespalt,<br />

bietet es sich an, verschiedene Fragen<br />

zum Wissensvorrat sowie zum Interesse des<br />

Befragten am Befragungsgegenstand einzubauen<br />

(vgl. Reuband, 1990, S. 432 f.). Ein weiteres<br />

Validitätskriterium könnte zusätzlich noch die<br />

Einschätzung des Befragten sein, ob er die Befragung<br />

bzw. die Fragen als interessant und<br />

relevant bzw. wie nützlich er sie hinsichtlich<br />

bestimmter Problemstellungen oder für einen<br />

Bereich einschätzt.<br />

Die Identifikation von Interviewereffekten erweist<br />

sich dagegen auf den ersten Blick offenbar als<br />

weit weniger schwierig. Wenn jedoch Einstellungen,<br />

Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und<br />

Bewertungen als wesentlich für das Antwortverhalten<br />

angenommen werden, stellt sich die<br />

Frage, wie diesem Problem begegnet werden<br />

kann. Unklar bleibt nach wie vor, in welcher Art<br />

und Weise weibliche und männliche Interviewer<br />

unterschiedliche Reaktionen provozieren und<br />

welche Rolle andere Kontextvariablen und<br />

Einflussfaktoren spielen können. Es ist anzunehmen,<br />

dass eine Vielzahl von Interviewermerkmalen<br />

existieren, die zusätzlich wirksam<br />

werden. Über die offensichtlichen sozialen Merkmale<br />

wie Geschlecht und Alter hinaus bietet es<br />

sich an, die Analysen auf Stimmeigenschaften<br />

von Interviewern, aber auch ihre kognitiven und<br />

sprachlichen Kompetenzen sowie auf<br />

Persönlichkeitsmerkmale, aber auch auf das<br />

Wissen und die Einstellungen zu Befragungen, zu<br />

Befragten und zu Befragungsthemen auszudehnen.<br />

All diesen Variablen gemeinsam ist letztlich<br />

der Vorteil, dass sie infolge der zentral durchgeführten<br />

Erhebungen bei der CATI-Methode<br />

sehr gut erfasst werden können, ohne wesentlichen<br />

zusätzlichen Aufwand zu verursachen.<br />

CATI bietet mithin der sozialwissenschaftlichen<br />

Forschung außergewöhnliche Möglichkeiten,<br />

wenn schon nicht bestimmte Wirkfaktoren zu<br />

unterbinden, so doch zumindest ihre Einflüsse in<br />

konkreten Befragungssituationen systematischer<br />

zu untersuchen und zu kontrollieren.<br />

Literatur<br />

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survey measures in telephone interviews.<br />

Presented at the 35 th annual conference, American<br />

Association for Public Opinion Research,<br />

Mason, Ohio, May 29 – June 1.<br />

Cannell, C. F.; Kahn, L. R. (1968): Interviewing.<br />

In: Lindzey, G., Aronson, E. (<strong>Hrsg</strong>.): Handbook<br />

of Social Psychology. Vol. 2 Reading, Mass.<br />

Dijkstra, W. (1983): How interviewer variance<br />

can bias the results of research on interviewer<br />

effects. In: Quality and Quantity 17, pp. 179-<br />

187.<br />

Friedrichs, J. (1990): Gesprächsführung im telefonischen<br />

Interview. In: Forschungsgruppe Telekommunikation<br />

(<strong>Hrsg</strong>.): Telefon und Gesellschaft,<br />

Bd. 2, Internationaler Vergleich – Sprache<br />

und Telefon – Telefonseelsorge und Beratungsdienste<br />

– Telefoninterview. Spiess, Berlin,<br />

S. 413-425.<br />

Fuchs, M. (1994): Umfrageforschung mit Telefon<br />

und Computer. Einführung in die computergestützte<br />

Befragung. Psychologie Verlags Union,<br />

Weinheim.<br />

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Neue Erhebungsinstrumente und<br />

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among telephone interviewers in a Survey of<br />

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31-52.<br />

Meulemann, H.; Reuband, K.-H. (<strong>Hrsg</strong>.) (1984) :<br />

Soziale Realität im Interview. Campus Verlag,<br />

Frankfurt am Main/New York.<br />

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telephone interviewers. In: Proceedings of the<br />

Section on Survey Research Methods, American<br />

Statistical Association, pp. 139-141.<br />

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und Face-to-Face-Umfragen. In: Statistisches<br />

Bundesamt: Neue Erhebungsinstrumente<br />

und Methodeneffekte. Wiesbaden, S. 22-41.<br />

24


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Reinecke, H. (1991): Interviewer und Befragtenverhalten.<br />

Theoretische Ansätze und methodische<br />

Konzepte. Studien zur Sozialwissenschaft,<br />

Bd. 106, Westdeutscher Verlag, Opladen.<br />

Reuband, K.-H. (1990): Meinungslosigkeit im<br />

Interview – Erscheinungsformen und Folgen<br />

unterschiedlicher Befragungsstrategien. In:<br />

Zeitschrift für Soziologie, Jg. 19, Heft 6, Dezember<br />

1990, S. 428-443.<br />

Steinert, H. (1984): Das Interview als soziale<br />

Interaktion. In: Meulemann, H., Reuband, K.-H.<br />

(<strong>Hrsg</strong>.): Soziale Realität im Interview, Campus<br />

Verlag, Frankfurt am Main/New York, S. 17-59.<br />

Tennstädt, F. (1997): General Election von 1.<br />

Mai in Great Britain. Ein Rückblick auf die Opinion<br />

Polls. Manuskript im Allensbacher Archiv.<br />

25


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Anmerkungen zur Zusammenarbeit unterschiedlicher<br />

Forschungstraditionen<br />

GERALD PREIN<br />

Während die vorangegangenen Beiträge den<br />

Fokus auf Möglichkeiten und Probleme<br />

computerunterstützter Telefonerhebungen gelegt<br />

haben, dies aber nur einen der methodologischen<br />

Fragen des Sonderforschungsbereichs<br />

ausmacht, möchte ich in diesem Beitrag einige<br />

allgemeinere Fragestellungen angehen.<br />

Zunächst will ich auf die Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />

von Forscherinnen und Forschern<br />

eingehen, die aus unterschiedlichen methodischen<br />

Traditionen stammen. Da eine Vielzahl von<br />

Publikationen zu den hierbei aufgeworfenen<br />

methodologischen Fragen vorliegt, 1 will ich an<br />

dieser Stelle eher praktisch und alltäglich über<br />

meine Erfahrungen aus dem jetzt ausgelaufenen<br />

Bremer Sonderforschungsbereich 186 ”Statuspassagen<br />

und Risikolagen im Lebensverlauf”<br />

berichten. Im Anschluss daran will ich einige Fragen<br />

aufwerfen, die mir im Rahmen dieses Sonderforschungsbereichs<br />

als methodisch interessant<br />

erscheinen und einige Vorschläge machen,<br />

wie wir uns mit diesen Fragen beschäftigen<br />

könnten.<br />

Der Bremer Sonderforschungsbereich 186 bestand<br />

– ebenso wie der Sonderforschungsbereich<br />

<strong>580</strong> – aus Projekten, die aus unterschiedlichen<br />

methodologischen Traditionen stammten und die<br />

auch projektintern mit unterschiedlichen – ”qualitativen”<br />

und ”quantitativen” 2 – Daten und Verfahren<br />

arbeiteten. Ich habe dort in zwei unterschiedlichen<br />

Projekten gearbeitet:<br />

Zunächst von Ende 1991 bis Mitte 1997 im Bereich<br />

Methodenentwicklung und EDV des Teilprojekts<br />

Z, dann bis November 2001 im Teilprojekt<br />

A3 ”Berufsverlauf und Delinquenz<br />

1<br />

Eine sehr gute Literaturübersicht gibt Erzberger<br />

(1998).<br />

2<br />

Die Begriffe ”qualitative” bzw. ”quantitative” Sozialforschung<br />

erscheinen mir eher als Etiketten, die einen<br />

Forschungsansatz forschungspolitisch verorten sollen,<br />

denn als taugliche Beschreibungen verschiedener<br />

Formen des Forschungshandelns. Im weiteren Verlauf<br />

dieses Textes sollen diese Begriffe daher eher<br />

vermieden werden.<br />

bildungsbenachteiligter Jugendlicher”, in dem auf<br />

der Basis verbaler und standardisierter<br />

Längsschnittdaten gearbeitet wurde.<br />

Eine solche Kombination verschiedener<br />

Forschungsansätze war in der damaligen Zeit<br />

keineswegs selbstverständlich, verwiesen doch<br />

Schnell, Hill und Esser damals noch in ihrem<br />

Methodenlehrbuch die Ergebnisse ”qualitativer”<br />

Sozialforschung in den Bereich ”subjektiver<br />

Evidenzerlebnisse” (Schnell, Hill, Esser 1992, S.<br />

118).<br />

Innerhalb des Sonderforschungsbereichs 186<br />

wurde hingegen die ”Integration quantitativer<br />

und qualitativer Methoden” als neues Paradigma<br />

für die Erforschung von Lebensverläufen und<br />

Biographien gehandelt (vgl. Kluge und Kelle<br />

2001), es fiel dabei gar das Wort vom ”Bremer<br />

Ansatz”. Eine Verbindung unterschiedlicher<br />

Forschungsansätze ist jedoch weder neu 3 , noch<br />

für die Beantwortung aller Fragen zwingend notwendig<br />

oder überhaupt durchführbar. Der<br />

”nomologisch-deduktiven” und ”interpretativen”<br />

Orthodoxie eine weitere hinzuzufügen, erscheint<br />

mir daher eher fragwürdig. Trotzdem gibt und gab<br />

es – nicht nur aus dem Sonderforschungsbereich<br />

186 – zahlreiche Projekte, in denen eine Kombination<br />

unstandardisierter und standardisierter<br />

Daten, interpretativer und statistisch orientierter<br />

Auswertungsverfahren im Forschungsprozess erfolgreich<br />

war. Auf einige dieser Beispiele will ich<br />

hier eingehen, um zur Nachahmung zu ermuntern<br />

– sofern die Forschungsfrage passt und die<br />

Bedingungen gegeben sind.<br />

3<br />

Bereits im Jahre 1927 schrieb Burgess, zwischen statistischen<br />

Methoden und Fallstudien bestünde kein<br />

Konflikt, da beide Methoden in Wirklichkeit komplementär<br />

seien. Einerseits könnten auf der Grundlage<br />

statistischer Vergleiche und Korrelationen Orientierungen<br />

für Fallstudien entwickelt werden; andererseits<br />

trügen dokumentarische Materialien, die eher<br />

soziale Prozesse beleuchteten, zur Entwicklung angemessenerer<br />

sozialer Indikatoren bei. Wolle man,<br />

dass sowohl die Statistik als auch die Fallstudien ihren<br />

vollen Beitrag als Werkzeuge soziologischer Forschung<br />

leisteten, müsse man ihnen die gleiche Anerkennung<br />

garantieren und beiden Methoden erlauben,<br />

die jeweils eigene Technik zu perfektionieren. Im<br />

übrigen sei die Interaktion der beiden Methoden unbestreitbar<br />

fruchtbar (vgl. Burgess 1927, S. 120).<br />

Auch anderen Pionierinnen der Sozialforschung wie<br />

Jahoda oder Lazarsfeld scheint eine Einteilung der<br />

sozialwissenschaftlichen Welt in ”quantitativ” und<br />

”qualitativ” eher fremd gewesen zu sein.<br />

27


Teil 1<br />

G. Prein: Anmerkungen zur Zusammenarbeit unterschiedlicher Forschungstraditionen<br />

Weitgehend akzeptiert sind Vorgehensweisen,<br />

bei denen unstandardisiertes Material zur Generierung<br />

und Spezifizierung von Hypothesen genutzt<br />

wird, die in einem folgenden Schritt dann<br />

auf der Grundlage standardisierter Erhebungen<br />

geprüft werden (vgl. Barton/Lazarsfeld, 1984).<br />

Über die Notwendigkeit des Einsatzes solcher<br />

explorativer Vorstudien besteht allerdings – wie<br />

man angesichts der Debatte zwischen Kelle/<br />

Lüdemann und Lindenberg in der Kölner Zeitschrift<br />

für Soziologie und Sozialpsychologie (vgl.<br />

Kelle und Lüdemann, 1995, 1996; Lindenberg,<br />

1996) feststellen muss – keineswegs ein Konsens.<br />

Noch weniger selbstverständlich, wenngleich<br />

ebenso produktiv sind Vorgehensweisen,<br />

bei denen Ergebnisse statistischer Berechnungen<br />

zum Ausgangspunkt für interpretative Analysen<br />

gemacht werden, die interpretative Analyse<br />

damit zur ”Hauptstudie” wird.<br />

Dies wird etwa dann interessant, wenn empirische<br />

Verteilungen, die deutlich den Erwartungen<br />

widersprechen, zum Ausgangspunkt für<br />

Intensiverhebungen gemacht werden: So standen<br />

beispielsweise im oben genannten Bremer<br />

Teilprojekt A3 die Ergebnisse einer<br />

Delinquenzerhebung bei Bremer Haupt- und<br />

Sonderschulabsolventen nicht nur im Widerspruch<br />

zu den einschlägigen Theorien der<br />

Kriminalsoziologie, sondern auch zu den ursprünglichen<br />

Hypothesen des Projekts: Nicht<br />

etwa erwerbslose oder gescheiterte Jugendliche<br />

zeigten in den ersten Panelerhebungen die höchsten<br />

Delinquenzbelastungen, sondern gerade die<br />

erfolgreichen, in qualifizierenden Berufsausbildungen<br />

etablierten (vgl. Schumann, 1995; Dietz<br />

et al., 1997). Ein solcher Befund war erklärungsbedürftig,<br />

denn er stellte einen Topos der<br />

Kriminalsoziologie auf den Kopf: Dass Armut und<br />

Ausgrenzung Kriminalität produzieren. Auf der<br />

Grundlage von biographischen Interviewmaterialien<br />

wurde ausgehend von diesem Befund<br />

gefragt, ob eine solche Konstellation ein statistisches<br />

Artefakt darstellt oder ob Jugendliche<br />

selbst über Lebensarrangements berichten können,<br />

in denen ein solches Ergebnis plausibel erscheint.<br />

Effektiv zeigte sich in der erarbeiteten<br />

Typologie eine Gruppe, der es hinreichend gut<br />

gelang, die Sphären ”Ausbildung/Arbeit” und<br />

”Freizeit” zu trennen, um in ersterer als wohl<br />

angepasster Lehrling zu erscheinen, in letzterer<br />

aber zusammen mit der peer group über<br />

delinquentes Verhalten ”thrill” und ”action” zu<br />

suchen. 4<br />

Dies verweist auf eine zweite Funktion, die eine<br />

Kombination unterschiedlicher Methoden und/<br />

oder Forschungstraditionen haben kann und die<br />

häufig unter dem Begriff der Triangulation (vgl.<br />

Campbell/Fiske, 1959; Denzin, 1977) diskutiert<br />

wird. Wird ein Gegenstand mit unterschiedlichen,<br />

unabhängigen Verfahren untersucht, steigt die<br />

Chance, methodenspezifische Artefakte zu identifizieren.<br />

Auch hierzu zwei Beispiele:<br />

So stach im gleichen Projekt bei ersten<br />

interpretativen Analysen von Gerichtsakten ins<br />

Auge, dass im Rahmen von Jugendgerichtsverfahren<br />

Erwerbslosigkeit und Scheitern in<br />

Schule und Ausbildung keinesfalls durchgängig<br />

zum Nachteil der Jugendlichen gewertet wurde,<br />

sondern teilweise sogar in Gerichtsentscheidungen<br />

angeführt wurde, um Strafaussetzung<br />

oder Verfahrenseinstellung zu begründen.<br />

Erst eine standardisierte Analyse von<br />

Gerichtsentscheidungen machte deutlich, dass<br />

dieses Ergebnis zwar zutreffend ist, dass die<br />

Chancen beruflich etablierter Jugendlicher, ungeschoren<br />

davonzukommen, allerdings um ein<br />

Vielfaches höher waren. Dadurch wird das erste<br />

Ergebnis nicht falsch, nur muss es anders<br />

interpretiert werden, wenn Verteilungen bekannt<br />

sind (vgl. Prein und Seus, 1999; Panter, Prein,<br />

Seus, 2001).<br />

Dass die Probleme bestimmter Erhebungs- und<br />

Auswertungstechniken nicht erst in der Phase<br />

der Datenanalyse auftreten können und dass<br />

keine der Forschungstraditionen, sei ihre Fehlertheorie<br />

noch so ausgearbeitet, unfehlbar ist,<br />

zeigt aber auch die bekannte Studie von Kurz,<br />

Prüfer und Rexroth in den ZUMA Nachrichten Nr.<br />

44 (1999). Im Rahmen des Pretests für den ALL-<br />

BUS 1998 wurde bei bestimmten Items nachgefragt,<br />

was die Befragten überhaupt unter der<br />

Frage verstanden hatten. So wurde in Bezug auf<br />

das geplante Item ”Volksbegehren und Volksentscheide<br />

sind eine notwendige Ergänzung der repräsentativen<br />

Demokratie.” u.a. die Nachfrage<br />

gestellt: ”Und was verstehen Sie unter ‚repräsentativer<br />

Demokratie‘?” Der überwiegende Teil<br />

der Befragten wusste keine Artwort bzw. antwortete<br />

eindeutig in einem anderen Sinne als<br />

dem in der Frage intendierten. So zum Beispiel:<br />

”Schwierig, was soll ich sagen, wenn man sie<br />

vorzeigen kann, wenn andere Länder sagen: Da<br />

schau mal her!” (Kurz/Prüfer/Rexroth, 1999, S.<br />

93).<br />

4<br />

Damit ist allerdings noch nicht alles geklärt, denn es<br />

bleiben die Fragen, wie die Jugendlichen dies bewerkstelligen,<br />

obwohl sie der Kontrolle von Justiz und<br />

Arbeitgebern ausgesetzt sind, und wie sich dies über<br />

den weiteren Lebenslauf entwickelt.<br />

28


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Wir sehen also, dass weder standardisiert-statistische<br />

noch hermeneutisch-interpretative<br />

Methoden davor gefeit sind, Artefakte zu produzieren<br />

und eine parallele Verwendung unterschiedlicher<br />

Verfahren die Aufdeckung solcher<br />

Probleme begünstigt.<br />

Eine dritte Funktion hat die Verzahnung von statistischen<br />

Verfahren mit interpretativen Herangehensweisen<br />

in den Fällen, in denen beide spezifische<br />

Teilaspekte des Untersuchungsfelds zu<br />

erfassen vermögen, erst aber deren – mehr oder<br />

weniger passgenaue – Kombination ein einigermaßen<br />

vollständiges Bild des Gegenstandes ergibt.<br />

Eine solche Komplementarität verschiedener<br />

Herangehensweise zeigte sich wiederum im<br />

Rahmen der oben genannten Analyse der Gerichtsakten,<br />

bei der mittels der statistischen<br />

Analysen zwar wichtige Verteilungsaussagen gemacht,<br />

nicht aber der ”Mechanismus” identifiziert<br />

werden konnte, der dazu führte, dass –<br />

abgesehen von der ”Deliktschwere” – bestimmte<br />

erwerbslose Jugendliche sanktioniert wurden<br />

und andere nicht. Hier zeigten erst interpretative<br />

Textanalysen, dass die zentrale Kategorie der<br />

Justiz gar nicht der Erwerbsstatus, sondern das<br />

Akzeptieren der ”Arbeitsmoral” der Gesellschaft<br />

war, d.h. dass auch Nicht-Erwerbstätigkeit unter<br />

bestimmten Bedingungen als ”unverschuldet”<br />

akzeptiert wurde, wenn die Jugendlichen etwa<br />

deutlich machen konnten, dass sie sich um Arbeit<br />

bemühten (vgl. Panter, Prein, Seus, 2001).<br />

Die hier dargestellten Beispiele sind natürlich<br />

stark verkürzt und aus dem Zusammenhang<br />

genommen. Ich hoffe dennoch, dass deutlich<br />

geworden ist, dass methodologische Offenheit<br />

sich lohnen kann, unabhängig davon, ob nun<br />

Theoriegenerierung oder Hypothesenprüfung im<br />

Zentrum des Projektinteresses steht: In beiden<br />

Fällen erhöhen multiple Sichtweisen auf ein Thema<br />

und einen Gegenstand die Chancen, Neues<br />

zu entdecken bzw. scheinbar Sicheres in Frage<br />

zu stellen. Kurzum: Die Zusammenarbeit von Forschern,<br />

die auf der Grundlage unterschiedlicher<br />

Methoden in einem Forschungszusammenhang<br />

arbeiten, ist nicht per se ein Garant für bessere<br />

Daten und Ergebnisse, wohl aber dafür, dass sich<br />

Blickwinkel im Forschungsprozess verändern und<br />

dass Gegenevidenz nicht zur Bedrohung wird,<br />

5<br />

In Bremen war es häufig schwer zu vermitteln, dass<br />

die Doppelbelastung die methodischen Arbeiten erschwerte,<br />

denn der Erfolg des Projekts wurde in der<br />

Begutachtung nicht daran gemessen, ob die Computer<br />

liefen oder die Sekretärinnen mit der Textverarbeitung<br />

zurechtkamen, sondern daran, ob im Bereich<br />

der Methodenentwicklung neue Ansätze erkennbar<br />

waren, Publikationen erstellt worden waren,<br />

die Präsenz auf Tagungen da war etc. Der Bremer<br />

sondern zum Ausgangspunkt der Theorieentwicklung.<br />

Eine solche Zusammenarbeit setzt allerdings<br />

voraus, dass Qualitätskriterien grundsätzlich<br />

geteilt werden und die Existenz von Validitätsbedrohungen<br />

für die eigene Methode überhaupt<br />

anerkannt werden. Dabei können Diskussionen<br />

im Zusammenhang mit Sfb-übergreifenden<br />

Methodenprojekten an konkreten gemeinsamen<br />

methodologischen Fragen weiterführend sein.<br />

Dies allerdings nur unter der Bedingung, dass<br />

solche Projekte an konkreten Problem- und Fragestellungen<br />

der Teilprojekte ansetzen und nicht<br />

abstrakte Methodologie betreiben. Auch hier –<br />

denke ich – gibt es sowohl positive wie negative<br />

Vorerfahrungen aus Bremen.<br />

In Bremen wie in Halle war das Methodenprojekt<br />

zunächst kein genuines Sfb-Projekt - in Bremen<br />

hat es bis zum Schluss diesen Status nicht erlangt<br />

und ist ”Bereich” der zentralen Geschäftsstelle<br />

geblieben. Entstanden ist der Bereich –<br />

wie auch das M-Projekt – aus einer Service<br />

Abteilung, in Bremen EDV-Betreuung, hier in Halle<br />

und Jena standardisierte Befragungen. Eine solche<br />

Konstellation beinhaltet Probleme, wenn das<br />

Verhältnis zwischen Service und Methodenentwicklung<br />

ungeklärt ist. 5 Wenn ein Methodenprojekt<br />

erfolgreich sein will, muss es als solches<br />

ernst genommen werden – und in dieser Richtung<br />

scheint ja auch das Monitum der Gutachter<br />

zu gehen. Dies mit den derzeit vorhandenen<br />

Ressourcen zu bewerkstelligen erscheint mir allerdings<br />

nicht möglich.<br />

Nun mag das anfängliche Unbehagen mit einem<br />

Methoden-Projekt auch noch andere Gründe<br />

gehabt haben, denn Methodiker gelten als unangenehme<br />

”backseat driver”, die – ohne selbst<br />

fahren zu müssen, dem Autofahrer gute Ratschläge<br />

geben und ihm permanent vorhalten,<br />

was er alles hätte besser machen können. Wir<br />

haben deshalb versucht, im Bremer Sonderforschungsbereich<br />

ein Konzept umzusetzen, das wir<br />

”forschungsbegleitende Methodenentwicklung”<br />

genannt haben: Dies bedeutet, konkrete methodische<br />

Problemstellungen aus der Forschungspraxis<br />

der Projekte aufzunehmen, zu generalisieren<br />

und zu lösen. Damit wurden die Arbeits-<br />

Sfb hat lange gebraucht, um diese Schizophrenie zu<br />

erkennen und durch entsprechende Professionalisierung<br />

des EDV-Bereichs durch die Einstellung eines<br />

Technikers eine notwendige Entlastung der Wissenschaftler<br />

zu schaffen.<br />

29


Teil 1<br />

G. Prein: Anmerkungen zur Zusammenarbeit unterschiedlicher Forschungstraditionen<br />

schwerpunkte recht heterogen, wenn gleichzeitig<br />

Fragen nach Inferenzstrategien für kleine<br />

Stichproben, Software zur Verwaltung von Textdaten<br />

aus Panelerhebungen oder nach statistischen<br />

Verfahren zur Exploration von Lebensverlaufsdaten<br />

formuliert werden. Eine solche<br />

Anbindung hat es allerdings ermöglicht, mit sehr<br />

unterschiedlichen Forschungsansätzen kommunizieren<br />

zu können, denn im Vordergrund standen<br />

nicht abstrakte wissenschaftstheoretische<br />

Überlegungen, sondern reale Probleme vor Ort.<br />

Zu deren Regulierung hatte sich in Bremen –<br />

zumindest in der ersten Zeit – die Einrichtung<br />

projektübergreifender Arbeitsgruppen bewährt,<br />

in denen Probleme überhaupt erst formuliert und<br />

spezifiziert werden konnten.<br />

Doch bislang besteht das Methodenprojekt hier<br />

vor allem aus CATI. Aufgrund der Personalausstattung<br />

ist zumindest derzeit ein umfassender<br />

Methodenservice kaum zu leisten. Aber CATI<br />

– oder allgemeiner: Datenerhebung – erscheint<br />

mir als eines der vielversprechendsten Felder<br />

methodischer Innovation. Viel Energie wird derzeit<br />

in den Methoden – seien sie nun eher<br />

interpretativ oder statistisch orientiert – in Kontroversen<br />

um Auswertungs- und<br />

Schätzverfahren vergeudet. All diese Diskussionen<br />

vergessen, dass das Material, das den Analysen<br />

zugrunde liegt, in den Sozialwissenschaften<br />

eine weit größere Fehlerquelle darstellt als<br />

Interpretationsfehler oder Fehlspezifikationen<br />

von Modellen. Dass gerade in diesem Bereich die<br />

Zusammenarbeit von Forschern aus unterschiedlichen<br />

Traditionen weiterführend sein kann, ist<br />

vielleicht aus den hier gegebenen Beispielen<br />

deutlich geworden. Dies spitzt sich noch einmal<br />

zu, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es in<br />

diesem Sonderforschungsbereich darum geht,<br />

längerfristige gesellschaftliche Wandlungsprozesse<br />

zu verstehen und wir dabei immer mehr mit<br />

Daten über Prozesse zu tun haben werden.<br />

Ich denke, ein erster Ansatzpunkt könnte hier<br />

im Bereich des CATI-Labors liegen, denn im Gegensatz<br />

zum schriftlichen Interview stellt ein<br />

Telefonat eine Gesprächssituation dar – und ist<br />

damit nicht nur zur Erhebung standardisierter<br />

Daten nutzbar. Das Teilprojekt B2 diskutiert etwa<br />

die Einschaltung offener Frageblöcke weit über<br />

das Maß hinaus, das allgemein üblich ist. Inwieweit<br />

dies durchführbar ist, welchen Nutzen dies<br />

hat, ob und wie dies auf andere Erhebungen<br />

übertragen werden kann, welche Auswertungsmethoden<br />

man bei solchen ”unstandardisierten<br />

Breitenerhebungen” noch anwenden kann – all<br />

dies sind Fragen, die mir interessant und wichtig<br />

erscheinen – zu wichtig, um sie nur im Rahmen<br />

dieses Projektes zu diskutieren.<br />

Mein Vorschlag wäre daher zu versuchen, eine<br />

methodenorientierte Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern<br />

verschiedener Projekte zu implementieren,<br />

in der solche Fragen diskutiert und ein<br />

methodenorientierter Austauschprozess innerhalb<br />

des Sonderforschungsbereichs vorbereitet<br />

werden kann.<br />

Literatur<br />

Barton, A. H.; Lazarsfeld, P. F. (1984): Einige<br />

Funktionen von qualitativer Analyse in der Sozialforschung.<br />

In: Hopf, C.; Weingarten, E.<br />

(<strong>Hrsg</strong>.): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart:<br />

Klett-Cotta, S. 41-89 (engl. Original von 1955).<br />

Burgess, E. W. (1927): Statistics and Case<br />

Studies as Methods of Sociological Research. In:<br />

Sociology and Social Research, 12, S. 120 ff.<br />

Campbell, D. T.; Fiske, D. W. (1959): Convergent<br />

and Discriminant Validation by the Multitrait-<br />

Multimethod Matrix. In: Psychological Bulletin,<br />

Vol. 56, Nr. 2, März 1959. S. 81-105.<br />

Denzin, N. K. (1977): The Research Act. A<br />

Theoretical Introduction to Sociological<br />

Methods. New York etc.: McGraw Hill Book Company.<br />

Dietz, G.-U.; Mariak, V.; Matt, E.; Seus, L.;<br />

Schumann, K. F. (1997): Lehre tut viel ... Münster:<br />

Votum.<br />

Erzberger, C. (1998): Zahlen und Wörter. Die<br />

Verbindung quantitativer Daten und Methoden<br />

im Forschungsprozess. Vol. XI. Weinheim: Deutscher<br />

Studien Verlag.<br />

Kelle, U.; Lüdemann, C. (1995): ”Grau, teurer<br />

Freund ist alle Theorie...” Rational Choice und das<br />

Problem der Brückenannahmen. In: Kölner Zeitschrift<br />

für Soziologie und Sozialpsychologie, 47,<br />

Köln. S. 249-267.<br />

Kelle, U.; Lüdemann, C. (1996): Theoriereiche<br />

Brückenannahmen? Eine Erwiderung auf Siegwart<br />

Lindenberg. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie<br />

und Sozialpsychologie 48, Köln.<br />

S. 542-545.<br />

Kluge, S.; Kelle, U. (<strong>Hrsg</strong>.) (2001): Methodeninnovation<br />

in der Lebenslaufforschung. Integration<br />

qualitativer und quantitativer Verfahren in<br />

der Lebenslauf- und Biographieforschung.<br />

Statuspassagen und Lebenslauf, Band 4. Weinheim<br />

und München: Juventa.<br />

30


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Kurz, K.; Prüfer, P.; Rexroth, M. (1999): <strong>Zur</strong><br />

Validität von Fragen in standardisierten Erhebungen.<br />

Ergebnisse des Einsatzes eines kognitiven<br />

Pretestinterviews. In: ZUMA Nachrichten,<br />

Nr. 44, Mai 1999, S. 83-108.<br />

Lazarsfeld, P.; Jahoda, M.; Zeisel, H. (1997): Die<br />

Arbeitslosen von Marienthal. Ein<br />

soziographischer Versuch über die Wirkungen<br />

langdauernder Arbeitslosigkeit. Mit einem Anhang<br />

zur Geschichte der Soziographie. Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp (13. Auflage, Erstauflage<br />

1933).<br />

Lindenberg, S. (1996): Theoriegesteuerte Konkretisierung<br />

der Nutzentheorie. Eine Replik auf<br />

Kelle/Lüdemann und Opp/Friedrichs. In: Kölner<br />

Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie<br />

48, Köln. S. 560-565.<br />

Panter, R.; Prein, G.; Seus, L. (2001): Per<br />

Doppelpass ins Abseits! <strong>Zur</strong> Kontinuität von<br />

Interpretations- und Handlungsmustern in Arbeitsmarkt<br />

und Strafjustiz und deren Konsequenzen.<br />

In: Leisering, L.; Müller, R.; Schumann, K.<br />

F. (<strong>Hrsg</strong>.) (2001): Institutionen und Lebensläufe<br />

im Wandel. Institutionelle Regulierungen von<br />

Lebensläufen. Statuspassagen und Lebenslauf<br />

Band 2. Weinheim/München: Juventa, S. 157-<br />

185.<br />

Prein, G.; Seus, L. (1999): ”Müßiggang ist aller<br />

Laster Anfang?” – Beziehungen zwischen Erwerbslosigkeit<br />

und Delinquenz bei Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen. In: Soziale Probleme,<br />

10. Jahrgang, Heft 1, S. 43-73.<br />

Schnell, R.; Hill, P. B.; Esser, E. (1992): Methoden<br />

der empirischen Sozialforschung. München,<br />

Wien: Oldenbourg (3. Aufl.).<br />

Schumann, K. F. (1995): The Deviant<br />

Apprentice. The Impact of the German Dual<br />

System of Vocational Training on Juvenile<br />

Delinquency. In: Hagan, J. (ed.): Delinquency<br />

and Disrepute in the Life Course. Greenwich/<br />

Connecticut: Jai Press Inc. S. 91-195.<br />

31


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Diskussion zum Teil 1<br />

<strong>Heinz</strong> <strong>Sahner</strong> informiert zu Beginn der Diskussionsrunde<br />

die Anwesenden darüber, dass die<br />

Betriebsführung des CATI-Labors an das zsh<br />

übergeben wurde. Bis zum Herbst vergangenen<br />

Jahres war das Telefonlabor in der Regie des<br />

Instituts für Soziologie, also an der MLU angegliedert.<br />

In dieser Zeit konnte eine Vielzahl von<br />

Untersuchungen durchgeführt werden, so dass<br />

auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden<br />

kann. Außerdem existiert bereits ein Stab von<br />

Interviewern und Interviewerinnen, die gut geschult<br />

sind und ebenfalls Erfahrungen aufweisen<br />

können.<br />

Im Anschluss daran eröffnet er die Diskussion.<br />

Infolge der thematisch ähnlich gelagerten beiden<br />

ersten Vorträge, rankten sich Fragen, Kritikpunkte<br />

und Anregungen hauptsächlich um die<br />

Interviewsituation und die Bedeutung des Interviewers<br />

im Interviewprozess. Zwei wesentliche<br />

Schwerpunkte kristallisierten sich heraus. Zunächst<br />

wurde hinsichtlich der Interviewereinflüsse<br />

die Bedeutung des Alters von Interviewern<br />

thematisiert. Es wurden davon ausgehend<br />

Überlegungen angestellt, inwiefern sich unterschiedliche<br />

Kompetenzen infolge von Statusunterschieden<br />

zwischen den Befragten und den<br />

Interviewern systematisch auf den Interviewverlauf<br />

und auf die Bereitschaft der<br />

Respondenten, an Befragungen mitzuwirken,<br />

vorteilhaft oder nachteilig auswirken können.<br />

Zunächst äußert Ursula Rabe-Kleberg, dass das<br />

Thema Geschlechtseffekte von Interviewern<br />

unmittelbar einsichtig sei. Sie interessiert sich<br />

ausgehend von der Annahme, dass die Stimme<br />

eines Interviewers auch dessen Alter transportiert,<br />

weiterführend dafür, welche Wirkungen dies<br />

für die Kommunikation im Interview haben könnte.<br />

Es sei bedenkenswert, dass für bestimmte<br />

Studien eher ältere Interviewer herangezogen<br />

würden.<br />

Rudi Schmidt greift die Frage auf und verweist<br />

auf frühere Erfahrungen mit Befragungen von<br />

Managern. Gerade die High Potentials legten<br />

demnach besonderen Wert auf die Gleichrangigkeit<br />

der Gesprächspartner. Er gibt zu bedenken,<br />

dass die Reziprozität wesentlich ist, da nur in<br />

dieser Konstellation für den Befragten eine Art<br />

Nutzeneffekt erkennbar sei. Erfahrungsgemäß<br />

würden demnach Interviews mit jüngeren bzw.<br />

unerfahreneren Interviewern eher abgebrochen<br />

und insgesamt von kürzerer Dauer sein.<br />

Brigitte Geißel wendet ein, dass auch in Konstellationen,<br />

in denen der Fragende jünger oder unerfahrener<br />

als der zu Befragende ist, ein Nutzen<br />

für den Interviewten sich ergeben könnte. Ihrer<br />

Erfahrung zufolge ist eine Gleichrangigkeit<br />

zwischen den Beteiligten keine unbedingte Voraussetzung<br />

für ein gelungenes Interview.<br />

Rudi Schmidt zeigt sich trotzdem skeptisch. Zu<br />

unsicher sei es, mit Interviewern zu arbeiten, die<br />

nur teilweise das notwendige Fachwissen für<br />

eine annähernd symmetrische Kommunikation<br />

besitzen. Jedoch räumt er ein, dass er sich vorstellen<br />

könne, Studenten höherer Semester und<br />

mit einer relevanten Studienfachrichtung die<br />

Durchführung von Interviews anzuvertrauen.<br />

Hier sei die Wissensdifferenz möglicherweise<br />

nicht zu stark ausgeprägt.<br />

Christian Koll entgegnet, dass gerade in der<br />

universitären Forschung es üblich sei, Interviewer<br />

aus studentischen Kreisen zu rekrutieren.<br />

Fragen nach dem Effekt von Altersunterschieden<br />

nachzugehen, sei aus diesem Grunde nicht<br />

sehr einfach. <strong>Heinz</strong> <strong>Sahner</strong> beklagt in diesem<br />

Zusammenhang Defizite der universitären Forschung.<br />

Insbesondere privatwirtschaftlich organisierte<br />

Forschungsinstitute seien in diesem<br />

Punkt wesentlich weiter. Dort würden bereits<br />

seit längerer Zeit Erfahrungen bestehen, welche<br />

Eigenschaften und Qualitäten von Interviewern<br />

in unterschiedlichen Feldstudien besonders positive<br />

Effekte hervorrufen. Bedauerlicherweise<br />

sind die dort durchgeführten methodischen Studien<br />

der Öffentlichkeit nur zum Teil zugänglich.<br />

Brigitte Geißel äußert ihre Zustimmung und zeigt<br />

sich optimistisch, dass im Rahmen der<br />

Methodenentwicklung des M-Projektes zumindest<br />

einige der offenen Fragen einer Antwort<br />

zugeführt werden können. Auch Burkart Lutz<br />

sieht erhebliche Möglichkeiten, mit relativ wenig<br />

Aufwand Interviewer je nach deren Eigenschaften<br />

und Fähigkeiten für verschiedene<br />

CATI-Befragungen einzusetzen und Material zu<br />

sammeln, welche Effekte sich für die Qualität<br />

von Befragungsergebnissen ergeben können.<br />

Diese – sozusagen Forschung über die Forschung<br />

– sei gerade deswegen interessant, weil<br />

sie fast keine zusätzlichen Ressourcen benöti-<br />

33


Teil 1<br />

Diskussion<br />

ge. Perspektivisch zeigt er sich hoffnungsvoll,<br />

dass in Bezug auf CATI gerade im Rahmen des<br />

Sonderforschungsbereiches eine außerordentlich<br />

gute Chance besteht, Lernprozesse systematisch<br />

in Gang zu setzen.<br />

An die letzten Gedanken anknüpfend regt Michael<br />

Hofmann an, die Methodenerfahrungen der einzelnen<br />

Teilprojekte in Forschungstagebüchern<br />

festzuhalten, um somit Probleme,<br />

Problemlösungsstrategien und Erkenntnisse später<br />

verdichten zu können. Nicht zuletzt im Hinblick<br />

auf zukünftige Publikationen und Veröffentlichungen<br />

erweise sich ein solches Vorgehen als<br />

nützlich. Bezugnehmend auf den Vortrag von<br />

Gerald Prein lenkt er die Aufmerksamkeit darauf,<br />

dass innerhalb des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> noch viele weitere<br />

methodische und forschungspraktische Fragen<br />

offen seien. Er erinnert die Anwesenden noch<br />

einmal daran, dass häufig eine retrospektive Dokumentation<br />

aufgetretener Schwierigkeiten sich<br />

als zu ungenau erweist. Zustimmend ist <strong>Heinz</strong><br />

<strong>Sahner</strong> der Meinung, dass mit dieser Veranstaltung<br />

bereits ein Schritt in diese Richtung gemacht<br />

worden ist. Die Diskussion vorerst beendend<br />

zeigt er sich optimistisch, dass ungeklärte<br />

Fragen – insbesondere die Problematik der<br />

Verknüpfung quantitativer und qualitativer Methoden<br />

der empirischen Sozialforschung – auf<br />

dem nächsten Methoden-Workshop in Jena weiter<br />

in der Diskussion stehen werden.<br />

34


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Das CATI-System<br />

CHRISTINA BUCHWALD<br />

1. Einführung in das CATI-System<br />

Ein kostenminimierendes und schnelles Erhebungsverfahren<br />

in allen Gesellschaften mit<br />

einem entwickelten Fernmeldesystem stellt die<br />

telefonische Befragung dar. Aufgrund einer überwiegend<br />

anwendungsorientierten Forschung<br />

entwickelte sich die Telefonbefragung zu einer<br />

fortschrittlichen Erhebungstechnik. In der Bundesrepublik<br />

Deutschland gelangten Telefoninterviews<br />

nach Erreichen einer akzeptablen<br />

Telefondichte zu Beginn der 80er Jahre zunächst<br />

in der Marktforschung zum Einsatz (vgl. Schenk<br />

1990, S. 379f.; Fuchs 1990, S. 55). Kurze Zeit<br />

später bediente sich auch die wissenschaftliche<br />

Forschung des computergestützten Telefoninterviews.<br />

Heutzutage sind CATI-Erhebungen<br />

sowohl aus der kommerziellen Forschung wie auch<br />

aus dem wissenschaftlichen Bereich immer weniger<br />

wegzudenken. In Ostdeutschland war die<br />

Telefonanschlussdichte nach dem Systemumbruch<br />

sehr gering. Seit Mitte der 90er Jahre jedoch<br />

sind die Anschlusszahlen in Ostdeutschland<br />

denen im Westen Deutschlands angeglichen.<br />

Durch die Einbeziehung der Computertechnologie<br />

in den Interviewprozess eröffneten sich neue<br />

Dimensionen für die Datengewinnung. Die Diskussion<br />

über methodische Fragen der Datenerhebung<br />

mittels Telefon und die Entwicklung bzw.<br />

der Einsatz dieses Umfrageverfahrens ist von einer<br />

Dynamik geprägt, die nicht nur umwälzende<br />

Entdeckungen technischer Möglichkeiten, sondern<br />

auch methodische Herausforderungen im<br />

Hinblick auf grundlegende theoretische Probleme<br />

der Umfrageforschung beinhaltet.<br />

Durch den Einsatz von CATI eröffneten sich bei<br />

der telefonischen Befragung nicht nur neue<br />

Möglichkeiten sondern auch eine Vielzahl von<br />

Vorteilen (vgl. Porst 2000, S. 125; Frey/ Kunz/<br />

Lüschen 1990, S. 181 ff.).<br />

1. CATI erlaubt Sozialforschern sehr komplexe<br />

Umfragen durchzuführen. Der Vorteil<br />

eines computergesteuerten Fragebogens<br />

liegt in der automatisierten Filterführung.<br />

Durch differenzierte, automatisierte<br />

Filterführungen (beispielsweise muss<br />

ein Betrieb, der keine Azubis hat, nicht nach<br />

dem Erhalt von Fördermitteln für Auszubildende<br />

befragt werden) wird der Interviewer<br />

1 und auch der Befragte von dieser Aufgabe<br />

entlastet. Zugleich ist die Möglichkeit<br />

eines individualisierten Befragungsablaufs<br />

gegeben.<br />

2. CATI ermöglicht die Steuerung von<br />

Fragefolgen. Auswahllisten und Fragerotationen<br />

werden durch den Computer erledigt.<br />

Dies erspart dem Interviewer die Aufgabe<br />

der Auswahl eines Zufallstarts oder die<br />

spezielle Beschäftigung mit verschiedenen<br />

Designs des Fragebogens.<br />

3. Der programmierte Fragebogen kann eine<br />

vorangehende Antwort oder Stichpunkte<br />

in eine spätere Frage wieder<br />

einbauen. Das heißt, CATI-Systeme sind in<br />

der Lage, Kommentare festzuhalten und<br />

diese mit bestimmten Fragen zu verbinden.<br />

4. Konsistenzprüfungen im Laufe des Interviews,<br />

die Antwortmuster oder Widersprüche<br />

in den Antworten festhalten, können<br />

programmiert werden.<br />

Beispiel aus der ”Befragung ausbildender<br />

Betriebe in Sachsen-Anhalt”:<br />

Frage 1: ”Wie viele Auszubildende bilden<br />

Sie aus?”<br />

1a: ”Wie viele davon sind<br />

männlich?”<br />

und/oder<br />

1b: ”Wie viele sind weiblich?”<br />

Die Summe der männlichen und weiblichen<br />

Lehrlinge muss mit der angegebenen<br />

Gesamtanzahl übereinstimmen, sonst erhält<br />

der Interviewer ein Signal.<br />

5. Die Anruflisten werden durch das System<br />

auf den neuesten Stand gebracht und<br />

sind dadurch eine ausgezeichnete Unterstützung<br />

für die Verwaltung der Stichprobe<br />

1<br />

Aus Gründen der Lesbarkeit beschränke ich mich<br />

im Text auf die maskulinen Formen. Ich verzichte<br />

darauf, die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer<br />

Aspekte stets durch Wortschöpfungen wie<br />

InterviewerInnen oder Interviewer/innen zu unterstreichen.<br />

35


Teil 2<br />

Ch. Buchwald: Das CATI-System<br />

und die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer,<br />

welche nach Priorität vorgelegt<br />

werden. Das heißt Rückrufe, erneute<br />

Anrufversuche und vereinbarte Termine<br />

werden automatisch mitgeteilt.<br />

6. CATI hilft dem Interviewer beim Teilnehmerrückruf.<br />

Die Interviewer brauchen<br />

sich nichts aus vorangegangenen Interviews<br />

zu merken, da das Programm die notwendigen<br />

Aufschlüsselungen und Fragefolgen berücksichtigt.<br />

Bei Fortführung eines Interviews<br />

startet es den Fragebogen an der<br />

Stelle, an der das Interview unterbrochen<br />

wurde.<br />

7. Sofortige Rückkopplungen zur zeitbezogenen<br />

Realisierung von Stichproben<br />

sind durch die Überprüfung der<br />

Abschlussraten, der optimalen Zeit für Anrufe<br />

je nach Zielgruppe und der Rate von Abschlüssen<br />

je Interviewer möglich. Diese Informationen<br />

können für eine effiziente Planung<br />

weiterer Anrufe benutzt werden.<br />

8. Die Daten werden unmittelbar nach der<br />

Erfassung gespeichert.<br />

9. Begrenzungen in der Stichprobengröße<br />

nach Reichweite und Umfang sind nicht notwendig.<br />

10. CATI garantiert die Anonymität der Befragung<br />

bzw. der Befragungsperson.<br />

Abbildung 1:<br />

Organisation eines CATI-Labors<br />

Supervisor - PC<br />

Überwachung<br />

Datenpflege<br />

Polling<br />

Abfrage von Terminen<br />

Überprüfung von<br />

Interviewstatistiken<br />

Zuordnung von Samples<br />

Verteilung von<br />

Termininterviews<br />

Daten - Server<br />

Datenspeicherung<br />

Samplespeicherung<br />

Hauptprogramme<br />

Stationsdaten<br />

Quelle: M. Bayer: Der Hallesche Graureiher 98-1<br />

An die Nutzung des CATI-Systems sind bestimmte<br />

Voraussetzungen gebunden. CATI-Programme<br />

verlangen eine hohe Funktionstüchtigkeit der<br />

Technik und stellen hohe Anforderungen an die<br />

Datensicherheit. Die Programmierung der Eingabemasken<br />

muss erlernt und ständig angewendet<br />

werden.<br />

2. Technische Realisierung von<br />

CATI-Befragungen<br />

Die Organisation eines CATI-Labors kann folgendermaßen<br />

veranschaulicht werden:<br />

Die Datenbank, welche die Telefonnummern,<br />

Namen u. a. enthält sowie der programmierte<br />

Fragebogen werden zentral und vom<br />

Supervisor-PC bereitgestellt. Das CATI-System<br />

ermöglicht eine zugriffsgesteuerte Verteilung von<br />

Interviews an die einzelnen PC-Stationen. Jedem<br />

Interviewer wird eine spezielle Kennung zugewiesen,<br />

so dass die Produktivität einzelner Interviewer<br />

kontrolliert werden kann.<br />

Nach Beendigung eines Interviews werden die<br />

gewonnenen Daten zentral auf dem Server in<br />

eine Datei geschrieben. Diese Datei sollte zudem<br />

regelmäßig gesichert werden; hierzu wird ein<br />

DAT-Streamer oder ein Wechselplattenlaufwerk<br />

für die externe Sicherung der Telefonstichproben<br />

und der erhobenen Daten benötigt. Durch die<br />

unmittelbare Dateneingabe am Bildschirm verringert<br />

sich der Aufwand für die Datenaufbereitung,<br />

so dass Ergebnisse von Telefonumfragen<br />

mit CATI schneller zur Verfügung stehen.<br />

(vgl. Abb. 1)<br />

Die Möglichkeit,<br />

Zwischenauswertungen<br />

vorzu-<br />

Interview - Station nehmen, ist mittels<br />

Interview<br />

CATI gegeben, da<br />

Dateneingabe<br />

die Rohdaten direkt<br />

nach Abschluss des<br />

Interviews vorliegen.<br />

Die Exportfunktion<br />

Rückführung absolvierter<br />

Interviews<br />

des Programms er-<br />

Temporäres Zwischenlagern<br />

von Termininterviews<br />

möglicht eine leichte<br />

Integration in ein<br />

Statistikprogramm<br />

(bspw. SPSS). Im<br />

CATI-Programm<br />

selbst sind grundlegende<br />

Auswertungsmodule<br />

implementiert,<br />

so dass eine direkte<br />

Datenkontrolle<br />

möglich ist.<br />

36


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

3. Kontaktaufnahme<br />

Der Interviewer loggt sich mit seiner persönlicher<br />

Nummernkennung (ID) an seinem Arbeitsplatz in<br />

die entsprechende Studie ein. Jeder<br />

Interviewerstation werden dann per Zufallsverfahren<br />

aus der Stichprobe Adressen bzw. Telefonnummern<br />

zugewiesen. Vor jedem Interview<br />

zeigt CATI am Bildschirm die wichtigsten Informationen<br />

an - wie die zugewiesene Record-<br />

Nummer, die Telefonnummer, die Firma bzw. den<br />

Namen der Zielperson. Aus dieser Tafel ist die bevorstehende<br />

Situation im Vorfeld ersichtlich, z.<br />

B. wie viele Kontaktversuche bereits vorangegangen<br />

sind, wann diese erfolgten und mit welchem<br />

Ergebnis sowie ggf. eine notierte Nachricht.<br />

Über die ebenfalls angezeigte Interviewer-ID<br />

lassen sich die Interviewer den einzelnen<br />

Interviews zuordnen. Somit erhält der Interviewer<br />

zu Beginn der Kontaktaufnahme alle relevanten<br />

Informationen. Startet der Interviewer den<br />

Fragebogen und wählt dann die angezeigte Telefonnummer,<br />

so findet er auf dem Eröffnungsbildschirm<br />

neben dem Einleitungsstatement die<br />

drei möglichen Varianten vor:<br />

1. Das Interview kommt zustande.<br />

2. Die Kontaktaufnahme soll zu einem späteren<br />

Zeitpunkt erfolgen.<br />

3. Das Interview kommt nicht zustande.<br />

Abbildung 2:<br />

Kontaktaufnahme<br />

Einloggen<br />

mit pers. ID<br />

Stichprobe<br />

Tel.-Nr. an<br />

Interview-Station<br />

abgeschlossenes<br />

Interview<br />

Zufallsauswahl<br />

Infos auf<br />

Bildschirm<br />

Kontaktversuch<br />

Terminvereinbarung<br />

Interview<br />

durchführen<br />

ja später nein<br />

Dispositionscode<br />

angeben<br />

Kommt ein Interview zustande, so werden die<br />

Fragen in der vom Forscher gewünschten Reihenfolge<br />

einschließlich der automatisierten Filterführung<br />

am Bildschirm angezeigt. Der Interviewer<br />

gibt die Antworten in das Terminal ein. Die erhobenen<br />

Daten werden geprüft und Fehler<br />

(z. B. Eingabefehler) dem Interviewer signalisiert.<br />

Abgeschlossene Interviews werden vom<br />

2<br />

Der Export der erhobenen Daten sollte im Normalfall<br />

erst durchgeführt werden, wenn die Erhebung abgeschlossen<br />

ist. Zwischenanalysen sind möglich, aber<br />

Server gespeichert und stehen sofort zur Durchsicht<br />

und ersten Analysen zur Verfügung 2 .<br />

Soll eine erneute Kontaktaufnahme zu einem<br />

späteren Zeitpunkt erfolgen oder handelt es sich<br />

um eine Terminabsprache, öffnet sich ein entsprechendes<br />

Fenster, in das der vereinbarte<br />

Termin und evtl. eine Bemerkung eingetragen<br />

werden. Terminvereinbarungen werden vom<br />

System zentral verwaltet und zur vereinbarten<br />

Zeit automatisch mit der entsprechenden Priorität<br />

an der Interviewerstation vorgelegt. (vgl.<br />

Abb. 2)<br />

Kommt das Interview nicht zustande, so erscheint<br />

nach Eingabe des dafür vorgesehenen<br />

Antwortcodes auf dem nächsten Bildschirm eine<br />

Reihe von möglichen Gründen für das Nicht-Zustande-Kommen<br />

(z. B. ”besetzt” oder ”Verweigerung”).<br />

Für diesen Zweck werden vor jeder<br />

Untersuchung sog. Dispositionscodes zur Verwaltung<br />

und Einordnung der Interviews definiert.<br />

(vgl. Abb. 3) Diese entscheiden dann, ob ein Interview<br />

wieder vorgelegt wird (z. B. wenn besetzt<br />

war) oder nicht (z. B. bei Verweigerung).<br />

Abbildung 3:<br />

Beispiel für die Vergabe von Dispositionscodes<br />

Code Disposition<br />

1 kein Anschluss<br />

2 besetzt<br />

3 kein Kontakt/ Anrufbeantworter<br />

keine Firma oder kein Privathaushalt<br />

4<br />

5 kein Interesse<br />

6 FAX<br />

7 Abbruch/ Verweigerung<br />

15 Terminvereinbarung<br />

99 komplettes Interview<br />

Der Supervisor hat die Möglichkeit, den Prozess<br />

der Feldphase in allen Punkten zu überwachen<br />

und zu dokumentieren, d. h. konkret, dass die<br />

Nummerndatenbank (z. B. die Anzahl der Nummern<br />

im Sample, die Anzahl der Terminvereinbarungen<br />

usw.) jederzeit überprüft werden kann.<br />

sehr aufwendig und sollten nur vorgenommen werden,<br />

wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich<br />

ist.<br />

37


Teil 2<br />

Ch. Buchwald: Das CATI-System<br />

4. Struktur des Fragebogens<br />

4.1 Einleitungsstatement<br />

In der Einleitungsphase des Interviews ist es<br />

wichtig, das Vertrauen des Befragten zu gewinnen<br />

und seine Teilnahmebereitschaft zu fördern,<br />

da ein Interviewabbruch erfahrungsgemäß zumeist<br />

nach der Einleitungsphase und vor der<br />

ersten Frage erfolgt. Der Erfolg einer telefonischen<br />

Erhebung hängt somit entscheidend von<br />

den ersten Minuten des Kontaktversuches ab.<br />

Eine erfolgreiche Kontaktphase liegt zwar in den<br />

Händen (oder besser in den Stimmen) der Interviewer,<br />

sie kann jedoch durch bestimmte Vorgaben<br />

erleichtert wie auch erschwert werden (vgl.<br />

ZUMA 98/04, S. 15; Friedrichs 1990, S. 416 f.).<br />

Je nach Art der Stichprobe ist es möglich, den<br />

zu Befragenden vorab schriftlich über die geplante<br />

Umfrage in Kenntnis zu setzen. Die Bereitschaft,<br />

an der Erhebung teilzunehmen, steigt<br />

durch ein Anschreiben nachweislich. Bei Zufallsstichproben<br />

auf der Grundlage von Telefonverzeichnissen<br />

ist eine öffentliche Bekanntgabe der<br />

geplanten Untersuchung, z. B. durch die Presse,<br />

eine Möglichkeit der Information im Vorfeld.<br />

Das Einleitungsstatement sollte folgende Informationen<br />

enthalten:<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

4.<br />

5.<br />

6.<br />

7.<br />

8.<br />

9.<br />

Den vollständigen Namen des Interviewers<br />

Die Quelle des Anrufes (Universität, Fakultät, Institut)<br />

und ggf. das Angebot eines Rückrufs zur<br />

Identifizierbarkeit<br />

Informationen über den Auftraggeber<br />

Das verwendete Auswahlverfahren<br />

Thema der Untersuchung<br />

Verweis auf die Anonymitätszusicherung<br />

Hinweis auf die Freiwilligkeit des Interviews<br />

Angabe über die voraussichtliche Länge<br />

des Interviews<br />

Möglichkeit, Fragen zu stellen<br />

Im Einleitungsstatement muss ggf. die<br />

Haushaltsgröße und die Zielperson ermittelt<br />

werden. Die Interviewer müssen auf Rückfragen<br />

der Zielperson vorbereitet sein.<br />

Den ersten Fragen eines beginnenden Telefoninterviews<br />

kommt eine entscheidende Bedeutung<br />

zu, da diese das geweckte Interesse des Befragten<br />

an der Themenstellung aufrechterhalten<br />

sollen. Folgende Strategie wird für die ersten<br />

Fragen vorgeschlagen (vgl. Dillmann 1978):<br />

Die erste Frage sollte<br />

1. themenbezogen,<br />

2. interessant und<br />

3. als geschlossene Frage leicht zu beantworten<br />

sein, damit der Befragte mit der Fragetechnik<br />

der vorgegebenen Antwortkategorien<br />

vertraut gemacht wird.<br />

Zudem ist es wichtig einen inhaltlichen Bezug<br />

zum Thema der Befragung herzustellen (vgl.<br />

Schnell/ Hill/ Esser 1992, S. 382).<br />

Die zweite Frage hingegen sollte mit offenen<br />

Antwortmöglichkeiten formuliert sein, um den<br />

Befragten gleich zu Beginn des Interviews in eine<br />

natürliche Gesprächssituation einzubinden und<br />

ihm somit die Möglichkeit zu geben, seine Meinung<br />

frei zu äußern. Außerdem kann der Interviewpartner<br />

im Rahmen einer offenen Frage mit<br />

eigenen Worten ins Gespräch kommen und seine<br />

eigene ”Telefonstimme” finden (vgl. Frey/<br />

Kunz/ Lüschen 1990, S. 139). Die Platzierung der<br />

demographischen Fragen zu Beginn des Interviews<br />

führt erfahrungsgemäß zu einer erhöhten<br />

Abbruchwahrscheinlichkeit. Die sozialstatistischen<br />

Fragen sollten deshalb an das Ende des<br />

Fragebogens gelegt werden.<br />

4.2 Konstruktion von CATI-Fragebögen<br />

Bei der Konstruktion eines standardisierten Fragebogens<br />

für ein computergestütztes telefonisches<br />

Interview müssen folgende Gesichtspunkte<br />

berücksichtigt werden (vgl. Fuchs 1994,<br />

S. 63 f.):<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

4.<br />

Im Prozess der Operationalisierung müssen<br />

Forschungsfragen in kommunizierbare Erhebungsfragen<br />

für ein standardisiertes Interview<br />

übersetzt werden.<br />

Der Fragebogen muss die Bereitschaft des Befragten<br />

zur Teilnahme am Telefoninterview<br />

wecken. Im Interesse der Umfrage sollte der<br />

Untersuchungsteilnehmer vor allem in zweierlei<br />

Hinsicht motiviert werden: teilzunehmen und<br />

”wahre” Antworten zu geben.<br />

Mit dem Fragebogen soll der Interviewer befähigt<br />

werden, die Aufmerksamkeit des Befragten<br />

für die Gesamtdauer des Interviews auf sich zu<br />

ziehen.<br />

Der Befragte soll dem gesamten Interview<br />

leicht folgen können.<br />

Die Planung und Konstruktion des CATI-Fragebogens<br />

stellt besondere Ansprüche an den Programmierer<br />

und den Interviewer. Insgesamt<br />

hängt die Antwortqualität weitgehend vom Vertrauen<br />

des Befragten gegenüber dem Umfrage-<br />

38


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

institut, dem Befragungsthema, dem Interviewer<br />

und auch der Art und Weise ab, wie die Fragen<br />

angeordnet und gestellt werden.<br />

Für das standardisierte Telefoninterview eignen<br />

sich in erster Linie geschlossene Fragen. Dabei<br />

ermöglicht die computergestützte Datenerfassung<br />

sowohl die vollkommen freie Erfassung gegebener<br />

Antworten als auch die Zuordnung der<br />

Antwort zu bereits festgelegten Antwortkategorien<br />

(Feldvercodung). Neben den<br />

Antwortkategorien ”weiß nicht” bzw. ”keine<br />

Angabe” ist es mit CATI möglich, für die Kategorie<br />

”Sonstiges” oder ”Anderes” ein sich öffnendes<br />

Fenster zu programmieren, um kurze Antworten<br />

offen einzutragen.<br />

Ist es bei geschlossenen Fragen nicht möglich,<br />

kurz und bündig zu formulieren, so werden zunächst<br />

alle Elemente der Frage im Detail dargestellt<br />

und in der eigentlichen Frage dann jedoch<br />

nur die Schlüsselbegriffe der einzelnen Teile<br />

aufgegriffen (vgl. Dillmann 1978, S. 206 f.).<br />

Häufig ist es von Vorteil, zweistufige oder mehrstufige<br />

Fragen zu formulieren (vgl. ZUMA 98/ 04,<br />

S. 23).<br />

Eine Beispielfrage aus der ”Befragung ausbildender<br />

Betriebe in Sachsen-Anhalt” soll dies verdeutlichen.<br />

Die Frage: ”Falls Ihr Betrieb Auszubildende<br />

hat, für wie viele Lehrlinge haben Sie<br />

Fördermittel beantragt und nach welchen Kriterien?”<br />

lässt sich mittels CATI in folgender<br />

Stufenabfrage realisieren:<br />

Frage 1:<br />

Sind bei Ihnen derzeit Auszubildende im Betrieb,<br />

für die Sie Fördermittel beantragt<br />

haben?<br />

ja ............. 1<br />

nein .......... 2 (weiter mit Frage ....)<br />

weiß nicht.. 3 (weiter mit Frage ....)<br />

k. A. .......... 4 (weiter mit Frage ....)<br />

Frage 2:<br />

Für wie viele Lehrlinge trifft dies zu? ...........<br />

Frage 3:<br />

Nach welchem Förderkriterium wurden diese<br />

Mittel beantragt? (Mehrfachnennung möglich)<br />

• Erstmalige Ausbildung<br />

• Übernahme von Konkurslehrlingen<br />

• Übernahme aus einer überbetrieblichen Einrichtung<br />

• Förderung von Mädchen in männlich dominierten<br />

Berufen usw.<br />

Sollen längere Antwortlisten abgefragt werden,<br />

so bietet sich eine Einzelabfrage der Items an.<br />

Die Struktur, in der geantwortet werden soll<br />

(z. B. fünf Antwortkategorien oder eine Skala)<br />

ist meistens nach dem zweiten Item eingeübt<br />

und kann bei einem anderen Frageblock wieder<br />

gut Verwendung finden.<br />

Bei der Verwendung von Antwortskalen ist zwar<br />

im Telefoninterview eine optische Unterstützung<br />

nicht möglich, jedoch kann bei Einsatz einer<br />

überschaubaren Skala, bspw. der 5er Skala von<br />

”sehr gut” bis ”sehr schlecht” oder einer<br />

Thermometerskala das gleiche Resultat wie bei<br />

der Verwendung von optisch unterstützten<br />

Antwortskalen im persönlich-mündlichen Interview<br />

erreicht werden.<br />

Auch Rankings sind einsetzbar. Dazu wird die<br />

Liste aller Items (in einer vom Rechner gesteuerten<br />

Zufallsreihenfolge) vorgelegt und zunächst<br />

nach dem wichtigsten Item gefragt, in der Folge<br />

wird dann nach dem wichtigsten unter den<br />

jeweils verbliebenen Items gefragt.<br />

Offene Fragen können im Telefoninterview gestellt<br />

werden, jedoch sollte sich die Anzahl in<br />

Grenzen halten. Es ist darauf zu achten, dass<br />

die Antworten telefonisch meist kürzer als im<br />

face-to-face-Interview sind. Offene Fragen lassen<br />

sich mittels CATI gut praktizieren, wenn<br />

kurze und konkrete Antworten erwünscht sind<br />

wie bspw. die Frage nach dem Beruf des Befragten<br />

oder nach den Ausbildungsrichtungen eines<br />

Betriebes. Andernfalls sollten offene Fragen so<br />

angelegt sein, dass sich die Antworten in einen<br />

Schlüsselbegriff fassen lassen, der dann vom Interviewer<br />

eingetragen werden kann. Möglich ist<br />

auch, dass der Interviewer die offene Antwort<br />

selbst in ein bereits vorgegebenes Schema einordnet.<br />

Besteht die Notwendigkeit offene Fragen<br />

zu stellen, die einer ausführlicheren Antwort<br />

bedürfen, so sollte dies im Vorfeld abgesprochen<br />

werden, um evtl. ein Aufnahmegerät einzuschalten<br />

und längere Statements mitschneiden zu<br />

können.<br />

Grundsätzlich ist es von Vorteil, im inhaltlichen<br />

Teil die wichtigsten Fragen im zweiten Drittel des<br />

Fragebogens zu platzieren, während die sozialstatistischen<br />

Fragen an den Schluss gehören.<br />

39


Teil 2<br />

Ch. Buchwald: Das CATI-System<br />

4.3 Formulierung der Fragen<br />

Für die Formulierung von Fragen haben sich eine<br />

Reihe von Regeln als günstig erwiesen:<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

4.<br />

5.<br />

6.<br />

Die Fragen sollten nach Möglichkeit kurz und<br />

einfach formuliert sein.<br />

Sie sollten jeweils am Ende eine Aufzählung<br />

der zulässigen Antwortalternativen enthalten,<br />

wobei die Möglichkeit der Antwortverweigerung<br />

oder ”weiß nicht” bzw. ”keine<br />

Meinung” nicht vorgelesen werden.<br />

Wichtig ist, dass zu viele Antwortmöglichkeiten<br />

vermieden werden, da dies<br />

die Erinnerungsleistung des Befragten überfordern<br />

könnte und der Interviewte verstärkt<br />

dazu neigt, die erste oder letzte Kategorie<br />

zu nennen (”Response-Order-Effekt”).<br />

Die Verwendung von 5 Antwortkategorien<br />

sollte nicht überschritten werden.<br />

Numerische Skalen mit wechselnden, verbalisierten<br />

Extrempunkten und Zahlwerten<br />

innerhalb eines leicht überschaubaren Vorstellungsraumes<br />

wie ein Kontinuum von 0<br />

bis 10, Thermometerfragen von –5 bis +5<br />

oder Schulnoten sind einsetzbar.<br />

Ein häufiger Wechsel der Antwortformate<br />

eines Fragebogens kann zu Verwirrungen<br />

bei den Befragten führen und die Qualität<br />

der Daten senken. Jedoch ist es ratsam,<br />

aufgrund möglicher Ermüdungseffekte den<br />

Fragebogen abwechslungsreich zu gestalten.<br />

Fragen sollten inhaltlich gruppiert werden<br />

und die Fragekomplexe mit überleitenden<br />

Formulierungen eingeleitet werden.<br />

4.4 Pretest<br />

Bevor der entwickelte Fragebogen ins Feld geht,<br />

bevor also die ersten telefonischen Interviews<br />

mit Hilfe des Instruments durchgeführt werden,<br />

muss der Fragebogen (wie bei allen anderen<br />

Erhebungstypen auch) hinsichtlich seiner Funktionstüchtigkeit<br />

getestet werden.<br />

Beim Pretest finden zwei Aspekte Beachtung:<br />

1. Der Fragebogen muss auf seine Kommunizierbarkeit<br />

mittels CATI getestet werden.<br />

Folgende Aspekte sollten dabei Berücksichtigung<br />

finden:<br />

• Der Fragebogen sollte von Seiten der Interviewer<br />

als ein flüssiges und nicht stockendes<br />

Erhebungsgespräch handhabbar sein, d. h.<br />

auf einen durchgängigen Fluss des Interviews<br />

ist zu achten, um Pausen, Brücken u.<br />

ä. zu vermeiden, da diese Anlass für einen<br />

Abbruch des Interviews bieten könnten.<br />

• Die Einzelfragen müssen für ein telefonisches<br />

Interview geeignet und insbesondere telefonisch<br />

kommunikabel sein und in der vom Forscher<br />

intendierten Weise vom Befragten verstanden<br />

werden (Bedeutungsäquivalenz).<br />

(vgl. Fuchs 1994, S. 125 ff.)<br />

2. Der Fragebogen muss auf seine Filterführung<br />

hin getestet werden.<br />

• Die Filterführung und die Gabelstruktur des<br />

Fragebogens müssen geprüft werden, damit<br />

alle antizipierten Interviewvarianten vollständig<br />

erfasst sind.<br />

• Im Pretest des Erhebungsbogens sollte die<br />

zeitliche Dauer abgeschätzt und ggf. der Fragebogen<br />

gekürzt werden. Die Angaben über<br />

die optimale Länge eines Telefoninterviews<br />

variieren in der Literatur – es finden sich Angaben<br />

von 20 bis 30 Minuten, aber auch bis<br />

zu 60 und mehr Minuten bspw. für Unternehmens-<br />

oder Expertenbefragungen. Dabei ist<br />

allerdings zu berücksichtigen, dass ein inhaltlich<br />

identisches Telefoninterview ein Zehntel<br />

bis ein Fünftel oder sogar noch kürzer ausfällt<br />

als das entsprechende face-to-face-Interview<br />

(vgl. Groves 1990, S. 234; Fuchs<br />

1994, S. 56).<br />

Für die Fragebogenkonstruktion und den Pretest<br />

muss genügend Zeit veranschlagt werden, da im<br />

Fragebogen enthaltene Fehler nach Abschluss<br />

der Feldzeit nur schwer zu beheben sind.<br />

5. Interviewerschulung<br />

Der Erfolg einer Befragung ist neben der Konstruktion<br />

des Fragebogens, der Verlässlichkeit<br />

der Antworten, der Ausschöpfung der Stichprobe<br />

usw. auch von der Qualität der Interviewerschulung<br />

abhängig. Beim Einsatz von Interviewern<br />

soll nach Möglichkeit das inhaltliche Interesse<br />

für eine bestimmte Studie oder ein bestimmtes<br />

Thema und auch die Eignung für bestimmte<br />

Umfragetypen berücksichtigt werden.<br />

Die Vorbereitung der Interviewer umfasst folgende<br />

zwei Bereiche:<br />

40


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

1. Grundschulung, dazu gehört:<br />

• Vermittlung von Grundlagen bezüglich der<br />

Rolle des Interviewers in der Erhebungssituation<br />

sowie Besonderheiten der telefonischen<br />

Befragung;<br />

• Sprechtechniken;<br />

• Umgang mit der Interviewersoftware;<br />

• Umgang mit der Telefonanlage;<br />

• Richtlinien bezüglich des Datenschutzes und<br />

des Persönlichkeitsrechts der Befragten.<br />

2. Umfragespezifische Schulung:<br />

• Einführung in das Thema der Befragung;<br />

• Vorstellung des Fragebogens (inklusive der zur<br />

Anwendung kommenden Filterführung bzw.<br />

Besonderheiten);<br />

• Übungsinterviews.<br />

Der Aufbau und Erhalt eines festen Interviewerstammes<br />

hat sich als sinnvoll erwiesen. Das zsh<br />

arbeitet derzeit mit ca. 100 Studenten und Studentinnen<br />

zusammen, welche teilweise von der<br />

Universität übernommen werden konnten und<br />

zum Teil neu angeworben wurden und dem<br />

Interviewerstamm zugerechnet werden können.<br />

Es gibt gute Gründe, einen permanenten<br />

Interviewerstamm aufzubauen und zu erhalten.<br />

Beispielsweise muss dann nicht mehr vor jeder<br />

neuen Studie eine Grundschulung durchgeführt<br />

werden, sondern nur noch die jeweilige umfragespezifische<br />

Schulung. Des weiteren können die<br />

spezifischen Fähigkeiten der Interviewer zum<br />

Einsatz in unterschiedlichen Umfragearten besser<br />

Berücksichtigung finden.<br />

Eine Schulung sollte nicht in einem zu kurzen<br />

Zeitraum vor der tatsächlichen Feldphase liegen,<br />

damit eine gründliche Einarbeitung in die jeweilige<br />

Thematik erfolgen kann. Die Übungsphase<br />

mit dem fertigen Fragebogen sollte nicht zu kurz<br />

gehalten werden, um Einarbeitungsverzerrungen<br />

während der ersten Feldtage zu vermeiden.<br />

Aufgrund ihres Erfahrungsschatzes ist zukünftig<br />

geplant, Interviewer des Interviewerstammes<br />

an der Ausarbeitung eines Fragebogens zu beteiligen,<br />

damit sie ihre aus vielen Untersuchungen<br />

gewonnenen Erfahrungen konstruktiv einbringen<br />

können.<br />

der Literatur wird immer wieder davon berichtet,<br />

dass es eine spezifische Interviewerpersönlichkeit<br />

gibt, die tatsächlich auch nicht erlernt<br />

werden kann. Wiederum gibt es für je spezifische<br />

Umfragetypen (Managerbefragungen,<br />

Bevölkerungsbefragungen, Experteninterviews)<br />

unterschiedliche Befähigungen. Aus sprechtheoretischer<br />

Perspektive lässt sich sagen, dass<br />

häufig Frauen mit mittlerer Stimmlage und mittlerer<br />

Sprechgeschwindigkeit die besten Ausschöpfungsraten<br />

produzieren.<br />

Auch im Rahmen von Telefoninterviews sind<br />

Interviewereinflüsse zu verzeichnen. Allerdings<br />

können diese aufgrund des zentral geführten<br />

Interviewereinsatzes vom Supervisor besser<br />

kontrolliert werden (vgl. Schenk 1990, S. 381).<br />

6. Abschließende Bemerkungen<br />

Die Vorteile einer Erhebung mittels CATI lassen<br />

sich folgendermaßen stichpunktartig zusammenfassen<br />

(vgl. Schnell/ Hill/ Esser 1999, S. 353):<br />

1. Computergeleitete Befragung per Telefon auch<br />

für komplexere Fragebogendesigns mit komplizierten<br />

Filterführungen möglich<br />

2. Höhere Ausschöpfungsquoten als bei schriftlichen<br />

Befragungen<br />

3. Realisierung größerer Stichproben in kürzerer<br />

Zeit und mit weniger Interviewern<br />

4. Verkürzung der Feld- und Bearbeitungsphase<br />

5. Schnellere Datenerfassung<br />

6. Hohe Qualität der Daten bei gleichzeitig komplexeren<br />

Befragungsmöglichkeiten<br />

7. Verwaltung der Anrufwiederholungen bei Nicht-<br />

Erreichen eines Anschlusses<br />

8. Aktuelle Informationen über die Zahl abgeschlossener<br />

Interviews bzw. über Abschlussraten<br />

(sind laufend präsent)<br />

9. Computergestützte Kontrolle der Interviewer<br />

durch einen Supervisor (Dadurch ist ein reduzierter<br />

bzw. besser kontrollierter Interviewereinfluss<br />

gegeben.)<br />

10. Ständige Überwachung des gesamten<br />

Interviewprozesses<br />

11. Erstellung von Zwischenergebnissen möglich<br />

12. Kostenreduzierung<br />

Erfahrungen haben gezeigt, dass es erhebliche<br />

Varianzen in Bezug auf Qualität und Quantität<br />

der Arbeit gibt. Diesem Problem muss durch<br />

Schulungsanstrengungen begegnet werden. In<br />

41


Teil 2<br />

Ch. Buchwald: Das CATI-System<br />

Im Bereich der kommerziellen Umfrageforschung<br />

wie auch in der Wissenschaft gewinnt die<br />

Telefonbefragung immer mehr an Bedeutung.<br />

Untersuchungen mittels CATI können für verschieden<br />

Umfrageformen (z. B. Unternehmensoder<br />

Bevölkerungsbefragungen) eingesetzt werden<br />

und sind besonders effektiv bei Befragungen<br />

mit großen Fallzahlen und standardisierten<br />

Fragestellungen.<br />

Telefoninterviews sind auch bei Wiederholungsbefragungen,<br />

z. B. in Panelstudien, entweder<br />

allein oder in Kombination mit anderen Erhebungsverfahren<br />

nützlich. Es besteht zudem die Möglichkeit,<br />

im Rahmen repräsentativer Telefonumfragen<br />

besondere Zielgruppen herauszufiltern,<br />

die später nachbefragt werden (sog.<br />

”screening”). Wird die computergestützte<br />

Telefonbefragung mit anderen Alternativen verglichen,<br />

so muss gesagt werden, dass es eine<br />

Vielzahl von Vorteilen dieser Befragungsform<br />

gibt; jedoch besitzt jede Umfrageform in je spezifischen<br />

Feldern ihre Berechtigung.<br />

Literatur<br />

Anders, M. (1990): Praxis der Telefonbefragung.<br />

In: Forschungsgruppe Telekommunikation<br />

(<strong>Hrsg</strong>.): Telefon und Gesellschaft. Band 2: Internationaler<br />

Vergleich, Sprache und Telefon,<br />

Telefonseelsorge und Beratungsdienste, Telefoninterview.<br />

Berlin: Spiess, S. 426-436.<br />

Bayer, M. (1998): Computer Assisted Telephone<br />

Interviewing. Methodik und praktische Umsetzung.<br />

Halle: Institut für Soziologie 1998 (Der<br />

Hallesche Graureiher 98-1).<br />

Friedrichs, J. (1990): Gesprächsführung im telefonischen<br />

Interview. In: Forschungsgruppe<br />

Telekommunikation (<strong>Hrsg</strong>.): Telefon und Gesellschaft.<br />

Band 2: Internationaler Vergleich, Sprache<br />

und Telefon, Telefonseelsorge und Beratungsdienste,<br />

Telefoninterview. Berlin: Spiess,<br />

S. 413-425.<br />

Fuchs, Marek (1994): Umfrageforschung mit<br />

Telefon und Computer. Einführung in die computergestützte<br />

telefonische Befragung. Weinheim:<br />

Psychologie-Verl.-Union.<br />

Groves, Robert (1990): Theories And Methodes<br />

Of Telephone Survey. Annual Review of<br />

Sociology, 16, S. 221-240.<br />

Porst, Rolf (2000): Praxis der Umfrageforschung.<br />

Wiesbaden: Teubner.<br />

Schenk, Michael (1990): Das Telefon als Instrument<br />

der Sozialforschung. In: Forschungsgruppe<br />

Telekommunikation (<strong>Hrsg</strong>.): Telefon und Gesellschaft.<br />

Band 2: Internationaler Vergleich,<br />

Sprache und Telefon, Telefonseelsorge und Beratungsdienste,<br />

Telefoninterview. Berlin: Spiess,<br />

S. 379-385.<br />

Schnell, R.; Hill, P. B.; Esser, E. (1999): Methoden<br />

der empirischen Sozialforschung. 5. Aufl.,<br />

München u. a.: Oldenbourg.<br />

Wüst, Andreas (1989): Die Allgemeine<br />

Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften<br />

als Telefonumfrage. ZUMA-Arbeitsbericht 89/04.<br />

Dillmann, D. A. (1978): Mail and Telephone<br />

Surveys: The Total Design Method. New York:<br />

John Wiley & Sons.<br />

Forschungsgruppe Telekommunikation (<strong>Hrsg</strong>.):<br />

Telefon und Gesellschaft. Band 2: Internationaler<br />

Vergleich, Sprache und Telefon, Telefonseelsorge<br />

und Beratungsdienste, Telefoninterview. Berlin:<br />

Spiess.<br />

Frey, J. H. (1989): Survey Research by Telephone.<br />

Beverly Hills: SAGE Publications.<br />

Frey, J. H.; Kunz, G.; Lueschen, G. (1990):<br />

Telefonumfragen in der Sozialforschung : Methoden,<br />

Techniken, Befragungspraxis. Opladen:<br />

Westdt. Verl.<br />

42


Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Diskussion zum Teil 2<br />

Nach der ”Einführung in das CATI-System” folgte<br />

erneut eine lebhafte Diskussion. Die Fragen,<br />

Kommentare, Ergänzungen und kritischen Hinweise<br />

der Teilnehmer des Kolloquiums lassen sich<br />

folgenden Themenbereichen zuordnen:<br />

• Nachteile von CATI-Befragungen bei qualitativen<br />

Interviews,<br />

• Datenqualität und Fehleranfälligkeit,<br />

• Grenzen der CATI-Untersuchung in Bezug auf<br />

die Zielgruppen.<br />

Im folgenden werden die Diskussionsbeiträge<br />

zusammenfassend dargestellt.<br />

1. Nachteile von CATI-Befragungen<br />

bei qualitativen Interviews<br />

Karl Schmitt findet die Vorteile von CATI-Befragungen<br />

sehr überzeugend. Da jedoch jede Befragung<br />

ihr eigenes Instrument braucht, stellt<br />

sich die Frage, wann der Einsatz von CATI nicht<br />

von Vorteil ist. Christina Buchwald antwortete<br />

dazu, dass es schwierig ist, einen Fragebogen<br />

mit vielen offenen Fragen, deren Antwort nicht<br />

in wenige Worte oder kurze Statements gefasst<br />

werden kann, mit dem CATI-Instrument zu realisieren.<br />

Das heißt bei der Durchführung von<br />

qualitativen Interviews mittels CATI oder<br />

narrativen Passagen innerhalb einer Telefonbefragung<br />

ist es sinnvoll, ein Aufnahmegerät<br />

einzuschalten. Die Möglichkeit des Mitschneidens<br />

während einer telefonischen Befragung wird im<br />

CATI-Labor des zsh in Kürze gegeben sein. Acht<br />

Interviewerplätze des Telefonlabors werden mit<br />

Aufnahmegeräten ausgestattet.<br />

Burkart Lutz ergänzt zu dieser Aussage, dass<br />

Telefoninterviews durchstrukturiert sein müssen,<br />

das heißt die möglichen Fragen und Antworten<br />

müssen in ihrer Grundstruktur vorher festgelegt<br />

sein. Bei narrativen Interviews beispielsweise, in<br />

denen der Befragte selber die Themenfolge, den<br />

Thematisierungsprozess steuern muss entsprechend<br />

der Logik des Interviews, sollte die<br />

Befragungsart im Vorfeld geprüft werden. Was<br />

aber nicht ausschließt, dass man angesichts der<br />

Vorteile, die das Telefoninterview bietet, prüfen<br />

sollte, inwieweit ein Fragebogen, den man als<br />

unstrukturiert annehmen würde, nicht doch in<br />

größeren Teilen strukturierbar ist ohne einen<br />

nennenswerten Verlust an Inhalten. Burkart Lutz<br />

vertritt die Ansicht, dass nicht aufgrund der<br />

Untersuchung bzw. des Fragebogens entschieden<br />

werden muss, welches Instrument angewandt<br />

wird, sondern auch zu diskutieren ist, wie<br />

eine Fragestellung soweit verändert werden<br />

kann, dass der Einsatz eines entsprechenden Instrumentes<br />

möglich wird.<br />

Rudi Schmidt bemerkt zu dieser Thematik, dass<br />

die Grenze bei computergestützten telefonischen<br />

Interviews in der Durchführung qualitativer Interviews<br />

zu sehen ist, da der Befragte am Telefon<br />

nicht warten kann, bis der Text vom Interviewer<br />

eingegeben wurde. Der Interviewfluss<br />

wäre in dieser Situation extrem gestört. Aus diesem<br />

Grund ist die Möglichkeit des Aufnehmens<br />

offener Antworten mit einem Tonbandgerät eine<br />

gute Alternative, da somit auch narrative Passagen<br />

eines Interviews mittels CATI realisiert<br />

werden können.<br />

Sören Petermann spricht nochmals den Vorteil<br />

von CATI-Untersuchungen an, dass entsprechend<br />

mehr Fragen im Telefoninterview realisiert<br />

und quantitativ bearbeitet werden können, als<br />

es in gleicher Zeit im Rahmen von face-to-face-<br />

Interviews möglich ist.<br />

2. Datenqualität und Fehleranfälligkeit<br />

Michael Bayer macht auf die höhere Datenqualität<br />

bei CATI-Erhebungen aufmerksam, welche<br />

sich auf die Anzahl an Fehlerquellen im gesamten<br />

Interviewprozess bis hin zu den vorliegenden<br />

maschinenlesbaren Daten bezieht. Faceto-face-Interviews<br />

beinhalten den Nachteil,<br />

dass die erhobenen Daten im Nachgang eingegeben<br />

werden müssen, das heißt die Interviewergebnisse<br />

werden nach der Feldphase in maschinenlesbare<br />

Formen übertragen. Im computergestützten<br />

Telefoninterview werden diese<br />

beiden Prozesse gekoppelt, was prinzipiell eine<br />

höhere Datenqualität impliziert. Fehler sind natürlich<br />

auch während des Interviewprozess bei<br />

CATI-Befragungen möglich, jedoch bei einmaliger<br />

Vercodung immer noch niedriger als bei faceto-face-Interviews,<br />

bei denen die Daten doppelt<br />

aufgenommen werden müssen, einmal bei<br />

der Durchführung des Interviews und zum zweiten<br />

mal bei der Dateneingabe.<br />

43


Teil 2<br />

Diskussion<br />

Rüdiger Stutz stellt die Frage nach der Fehleranfälligkeit,<br />

die bei CATI registriert wird. Gibt es<br />

typische Verzerrungen, bspw. wenn beim<br />

Antwortcode statt ”4” eine ”5” eingegeben wird?<br />

Außerdem ist auch hin und wieder die Meinung<br />

zu hören, dass Daten bei telefonischen Interviews<br />

eingegeben werden, obwohl kein Interviewpartner<br />

am Telefon war und das Gespräch<br />

nicht stattgefunden hat. In diesem Fall ist ein<br />

großer Aufwand an Überwachung und Supervision<br />

notwendig. Inwieweit ist die Interviewerschulung<br />

für die Qualität der Befragung bzw. für<br />

die Qualität der Interviewer ausschlaggebend?<br />

Aus eigener Erfahrung kann gesagt werden, dass<br />

Eingabefehler durch Vertippen relativ gering<br />

sind. Bei bestimmten Frageformen sind nur<br />

Antwortcodes zugelassen, die auch realistisch<br />

(zum Beispiel bei Jahreszahlen) bzw. gefordert<br />

sind (bspw. bei Antwortskalen von 1 bis 5).<br />

Wenn Interviewer einen Eingabefehler feststellen,<br />

kann dieser im Nachgang im System korrigiert<br />

werden.<br />

Von der Loyalität der Interviewer kann man im<br />

allgemeinen ausgehen. Die Supervisoren sind<br />

während der gesamten Interviewerzeit anwesend.<br />

Außerdem wurde eine neue Telefonanlage<br />

in das CATI-Labor integriert, welche das Einschalten<br />

in die Gespräche erlaubt. Somit kann<br />

der Supervisor bei komplizierten Gesprächssituationen<br />

sofort in den Prozess eingreifen.<br />

Christina Buchwald weist in diesem Zusammenhang<br />

darauf hin, dass die Interviewerschulung<br />

– die Grundschulung genauso wie die inhaltliche<br />

Schulung – eine wichtige Rolle für die Qualität<br />

der Untersuchung spielt. Eine inhaltliche Schulung<br />

wird vor jeder neuen Studie durchgeführt,<br />

um<br />

1. in die Thematik einzuleiten, damit inhaltliche<br />

Rückfragen der Interviewten beantwortet<br />

werden können,<br />

2. auf Besonderheiten hinzuweisen, zum Beispiel<br />

in der Struktur des Fragebogens oder<br />

der Antwortmöglichkeiten,<br />

3. den Fragebogen am Computer zu üben,<br />

damit die Interviewer in der Handhabung<br />

des relevanten Bogens versiert sind.<br />

Rudi Schmidt merkt zum Ende dieses Themenfeldes<br />

an, dass das CATI-System im Vergleich<br />

zu Data Entry einen Rückschritt darstellt. Es wird<br />

davon ausgegangen, dass die Interviewer genau<br />

arbeiten, aber eine hundertprozentige Kontrolle<br />

kann nicht zugesichert werden. Bei Data<br />

Entry lag die Fehlerquote bei 1%, beim Telefoninterview<br />

können diese genauen Angaben jedoch<br />

nicht bereitgestellt werden.<br />

3. Grenzen von CATI-Befragungen<br />

und Zielgruppen<br />

Hinsichtlich der Fehlerquellen und eingeschränkten<br />

Nutzbarkeit von telefonischen Interviews<br />

wird selbstverständlich auch auf die Erreichbarkeit<br />

von Befragungspopulationen eingegangen.<br />

Auf die Frage von Hale Decdeli-Holzwarth, ob<br />

denn die telefonische mit einer face-to-face-Befragung<br />

hinsichtlich der Qualität vergleichbar sei,<br />

nimmt Holle Grünert Bezug. Zunächst berichtet<br />

sie von Erfahrungen mit einer früheren Befragung<br />

zur Ausbildungssituation in Betrieben. Demzufolge<br />

wirke es sich äußerst positiv auf die Antwortbereitschaft<br />

aus, wenn ein entsprechendes Anschreiben<br />

an die zu befragenden Betriebe gerichtet<br />

werde. Mit einer gezielten und gut durchdachten<br />

Strategie bei der Kontaktaufnahme<br />

könne man die Ausschöpfungsquoten auf ein<br />

recht hohes und akzeptables Niveau heben. Zum<br />

Vergleich beruft sie sich auf postalisch durchgeführte<br />

Untersuchungen, in denen sogar mit einer<br />

telefonischen Nachfassaktion gearbeitet<br />

wurde, und die trotzdem weit geringere Ausschöpfungen<br />

erzielen konnten. Mit Abstrichen<br />

rechnet sie jedoch bei der Genauigkeit und<br />

Detailliertheit einiger Antworten auf bestimmte<br />

Fragen. Man müsse sich bei komplizierten Fragen<br />

unter Umständen auf kleinere Ungenauigkeiten<br />

und Schwankungen einstellen. Die Phase der<br />

Kontaktaufnahme sieht auch Karl Schmitt als<br />

problematisch an. Gerade für das Teilprojekt A<br />

3 des <strong>SFB</strong>, in welchem politische Eliten interviewt<br />

werden sollen, erweisen sich vertrauensbildende<br />

Maßnahmen bereits im Vorfeld der Untersuchung<br />

als wesentlich. Er zweifelt daran,<br />

dass sich beispielsweise der Erstkontakt zu einem<br />

Bürgermeister über das Telefon herstellen<br />

ließe. Vermutlich erweist sich eine persönliche<br />

Kontaktaufnahme bei heiklen Befragungspopulationen<br />

als notwendig, um eine<br />

Kooperationsbereitschaft herzustellen. Rudi<br />

Schmidt problematisiert darüber hinaus die Verwertbarkeit<br />

von Interviews. Es bedürfe einer<br />

genaueren Untersuchung darüber, welche systematischen<br />

Unterschiede durch bestimmte<br />

Befragungsmethoden bei unterschiedliche Zielgruppen<br />

sich ergäben. So sei es denkbar, dass<br />

neben bestimmten Personengruppen auch verschiedene<br />

Institutionen es ablehnen würden,<br />

Auskünfte über das Telefon zu geben. Michael<br />

Bayer merkt jedoch dazu an, dass einerseits<br />

bereits einige Studien zu dieser Problematik vor-<br />

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Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

liegen würden. Zum anderen verweist er auf seine<br />

persönlichen Erfahrungen mit telefonischen Interviews,<br />

wonach vor allem Berufsgruppen, die<br />

grundsätzlich viel über das Medium Telefon kommunizieren,<br />

eher geringe Berührungsängste zeigen<br />

würden. Er räumt jedoch ein, dass Fälle<br />

auftreten, in denen eine telefonische Befragung<br />

kaum angebracht sei.<br />

Rudi Schmidt ergänzt schließlich diesen Gesichtspunkt<br />

um einige Anmerkungen auch zur<br />

technischen Erreichbarkeit von Personen. Gerade<br />

sehr mobile und flexibel agierende Akteure seien<br />

häufig nur schwer über einen<br />

Festnetzanschluss zu kontaktieren. Vermutlich<br />

würde diese Problematik zukünftig sogar an Bedeutung<br />

gewinnen. <strong>Heinz</strong> <strong>Sahner</strong> und Michael<br />

Bayer äußern ihr Verständnis für diese Bedenken.<br />

Allerdings bestünde kein Anlass, die Problematik<br />

generell überzubewerten. Unterschiedliche<br />

Erreichbarkeiten ergäben sich eben bei spezifischen<br />

Gruppen auch bei anderen Erhebungsdesigns.<br />

Burkart Lutz verweist in diesem Zusammenhang<br />

auf eine Befragung von Jugendlichen.<br />

Gerade hier seien Mobiltelefone sehr stark verbreitet.<br />

Trotzdem könne davon ausgegangen<br />

werden, dass insgesamt gerade in dieser Teilpopulation<br />

eine sehr hohe Akzeptanz gegenüber<br />

telefonischen Befragungen bestehe, die Erreichbarkeit<br />

im Sinne einer Kontaktierung indes sei im<br />

wesentlichen über die in den Haushalten bestehenden<br />

Telefonanschlüsse gewährleistet. In dieser<br />

Hinsicht müsse eben auch bedacht werden,<br />

dass gerade die CATI-Methode nicht nur Möglichkeiten<br />

begrenzt oder einschränkt, sondern<br />

neue Wege für die Sozialforschung eröffnet.<br />

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Nr. 4 2002 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen<br />

Die Autoren<br />

Michael Bayer, Dr. phil., geb. 1970, Studium der Sozialwissenschaften,<br />

Politikwissenschaften und Psychologie an der Heinrich-Heine-<br />

Universität in Düsseldorf. Seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />

Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.<br />

Von 1997 bis 2001 wissenschaftliche Betreuung des CATI-Labors.<br />

Christina Buchwald, geb. 1964, Diplomsoziologin, Studium der Soziologie<br />

an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2001<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin des zsh. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche<br />

und organisatorische Betreuung des CATI-Labors.<br />

Christian Koll, geb. 1972, Diplomsoziologe, Studium der Soziologie an<br />

der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2001 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter des zsh. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche<br />

und organisatorische Betreuung des CATI-Labors.<br />

Gerald Prein, Dr. phil., geb. 1956, Studium der Erziehungswissenschaften<br />

und Soziologie an den Universitäten Paris VIII und Dortmund. 1986<br />

Promotion im Fach Soziologie. Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

an der Universität Dortmund sowie an der Universität-GHS<br />

Essen. 1991-2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich<br />

186 „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“.<br />

Seit 2001 Mitarbeiter des Zentrums für Sozialforschung in<br />

Halle. Arbeitsschwerpunkte: Methodenberatung und -entwicklung,<br />

Längsschnittanalysen, Arbeitsmarkt.<br />

<strong>Heinz</strong> <strong>Sahner</strong>, Dr. rer. pol. ,geb. 1938. 1957 Gesellenprüfung (Elektromechaniker),<br />

1959 Technikerprüfung (Hochfrequenz).<br />

1969 Dipl.-Volkswirt sozialwissenschaftliche Richtung in Köln, 1973<br />

Promotion in Köln bei Erwin K. Scheuch und René König. 1981 Habilitation<br />

in Kiel. 1982 – 1992 Professor in Lüneburg. Seit 1992<br />

Gründungsprofessor für allgemeine Soziologie an der Martin-Luther-<br />

Universität Halle-Wittenberg.<br />

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