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Vorwort „ Sonderforschungsbereiche beschäftigen sich mit Grundlagenforschung, nicht mit der Lösung praktischer Fragen und Probleme“ - Wer so urteilt, erliegt einem profunden Missverständnis. Eine solche Einschätzung, welche die Praxisbedeutung des wissenschaftlich generierten Wissenserwerbs und der wissenschaftlich angeleiteten Weitergabe dieses Wissens a priori ausblendet, geht offenkundig von einem Praxisverständnis aus, das die Relation zwischen der Erforschung grundlegender Fragestellungen und gesellschaftlicher Praxis als im Grunde fernliegend und allenfalls kontingent begreift. Seite page 6 Gr u n d l a g e n f o r s c h u n g u n d Pr a x i s- b e z u g - k e i n w i d e r s p r u c h s v o l l e s Ve r h ä lt n i s Everhard Holtmann Dass es sich hierbei um ein szientistisches Vorurteil handelt (das freilich in einem theorieaversen Abwehrreflex so mancher „Praktiker“ gespiegelt wird), wird deutlich, wenn das mit „Praxis“ Gemeinte auf einen angemessenen Begriff gebracht wird. Praxis meint nicht die Banalität des Normalen. Im aristotelischen Sinne benennt Praxis Vorgänge eines zielgerichteten Lebensvollzugs. Die damit bereits angedeutete handlungstheoretische Dimension lässt sich übertragen in eine auf die Gegenwartsanalyse bezogene sozialwissenschaftliche Begriffsdeutung, derzufolge Praxis für die gesamte Wirklichkeit sozialer Handlungszusammenhänge steht. Handeln bedarf im einzelnen Anwendungsfall der Orientierung. Diese kommt jedoch, erhebt sie den Anspruch, für die Bewältigung des Alltags praktisch verwendbar zu sein, ohne hinreichende Kenntnisse der Bedingungen und Hintergründe situativen Handelns nicht aus. An diesem Punkt nun kommt wissenschaftliche Grundlagenforschung ins Spiel: In einem sozialwissenschaftlichen Forschungsverbund wie dem unseren geht es darum, den - von Max Weber so apostrophier-
Vorwort ten - generellen Regeln sozialen Geschehens systematisch nachzuspüren. Die dabei gewonnenen generalisierenden Aussagen können nur dann allgemeine Geltung beanspruchen, wenn sie sich in der Anwendung auf konkrete Problemlagen „praktisch“ bewähren sowie, darüber hinaus, in mittel- und langfristiger Perspektive als „soziale Wirklichkeit verändernd“ (Sahner 1989, S. 502) sich auswirken. So betrachtet, ist Grundlagenforschung also nachweislich praxisbezogen. Diesem prinzipiellen Anwendungsbezug seiner Untersuchungsgegenstände weiß sich auch der SFB 580 verpflichtet. Anders allerdings, als von Jürgen Habermas (1974, S. 9) zu einem früheren Zeitpunkt entfaltet, geht es nicht um die „Idee einer in praktischer Absicht entworfenen Theorie der Gesellschaft“ (Hervorhebung E. H.). Vielmehr tragen wir Bausteine zur Beschreibung und Erklärung des sozialen, politischen und kulturellen Wandels zusammen, der sich entlang der großen Entwicklungslinie Transition - Transformation - Posttransformation bewegt. Ohne dass dies durchgängig in der Form förmlich vereinbarter Politikberatung geschieht, bieten wir den Akteuren, die als verantwortlich Entscheidende wie als Betroffene an diesem Lebens- und Handlungszusammenhang beteiligt sind, mit unseren Befunden über Struktur- und Prozesswissen sowie mit darauf bezogenen, empirisch belastbaren Deutungen ein orientierendes Wissen an, das dazu beitragen kann, bei der Bewältigung transformationsbedingter Herausforderungen auftretende Unsicherheit und Ungewissheit zu reduzieren. gewiss hatten wir über das Verhältnis von Grundlagenforschung und Praxistransfer bisher jedenfalls nicht systematisch nachgedacht. Den Anstoß zur Selbstthematisierung des Praxisbezugs verdanken wir dem von Bruno Hildenbrand geleiteten Team des Teilprojekts C3 „Individuelle Ressourcen und professionelle Unterstützung bei der Bewältigung von Systemumbrüchen in kontrastierenden ländlichen Milieus in Ost- und Westdeutschland“, das, finanziell unterstützt mit Innovationsmitteln des SFB, den nachstehend abgedruckten Bericht über die Beziehungen zwischen den Teilprojekten des SFB und der untersuchten gesellschaftlichen Praxis erarbeitet hat. Dabei zeigt sich, nicht überraschend, eine reiche Varietät der Praxisbezüge, aber auch eine bemerkenswert große Dichte und Intensität von praxisgerichteter „Einwirkung“ und praktisch verwertbarer Publizität. Angesichts dieses unerwartet hohen Ausmaßes von „unerklärter“ Praxisrelevanz sehen wir unseren Versuch, diese Variante von Science on Science ( J. Habermas) an uns selbst auszuprobieren, durch das Ergebnis überzeugend bestätigt. Seite page 7 Indes: So selbstverständlich wir gewiss die Verwendungstauglichkeit unserer Untersuchungen implizite von vornherein unterstellten, so
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