wissenstransfer als balanceakt sfb 580 - SFB 580 - Friedrich-Schiller ...
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Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
wurden aufgenommen, ihr Aufenthalt dauerte<br />
im Schnitt drei Wochen, es wurden ihnen<br />
2.100 Tabletten verabreicht, und alle wurden<br />
mit einer psychiatrischen Diagnose entlassen.<br />
Die einzigen, die bemerkten, dass es sich um<br />
Pseudo-Kranke handelte, waren die anderen<br />
Patienten (35 von 118). Rosenhan berichtete<br />
über diese Studie in der Zeitschrift Science<br />
und kündigte in einer Klinik an, er würde sie<br />
demnächst wiederholen. Dies tat er jedoch<br />
nicht, sondern er zählte die Ablehnungen von<br />
Patienten in dieser Klinik und stellte fest, dass<br />
nach seiner Ankündigung in einem Zeitraum<br />
von drei Monaten 42 von 193 Patienten <strong>als</strong><br />
Pseudo-Patienten zurückgewiesen worden<br />
waren.<br />
Im Mittelpunkt der medizinischen Diagnostik<br />
steht, anders <strong>als</strong> <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer<br />
dies annehmen, nicht die Subsumtion unter<br />
eine Kategorie, sondern die Behandlung eines<br />
Kranken. Diagnostik in der Medizin ist ein<br />
praktisches Geschehen und wird von diesem<br />
bestimmt. Sie ist eine<br />
„zeitgebundene Singuläraussage, mit der einem<br />
bestimmten Patienten für einen bestimmten<br />
Zeitraum ein bestimmter Begriff zugesprochen<br />
wird (…) Sie enthalt keine theoretische<br />
Erkenntnis, sondern eine Beurteilung im Horizont<br />
praktischer Ziele. Insofern ist sie immer<br />
in einen Handlungszusammenhang eingefügt“<br />
(Wieland 2004, S. 210).<br />
Seite page 18 Nur die erste der in diesem Zitat enthaltenen<br />
Bestimmung von Diagnostik<br />
deckt sich mit der soziologischen<br />
Forschung (für „Patient“ wäre „Gesellschaft“<br />
einzutragen). Die andere Bestimmung, die<br />
Orientierung auf praktische Ziele, gilt für die<br />
Soziologie insofern, <strong>als</strong> sie Grundlagenforschung<br />
betreibt, nicht.<br />
Es geht bei der medizinischen Diagnostik,<br />
sofern sie nicht zu Forschungszwecken, sondern<br />
zur Behandlung betrieben wird, nicht um<br />
Subsumtion, sondern um die Konfrontation<br />
eines beobachtbaren Geschehens bei einem<br />
konkreten Patienten mit möglichen diagnostischen<br />
Zuordnungen unter zu Hilfenahme von<br />
Kategorien, es handelt sich <strong>als</strong>o nicht um ein<br />
„nomothetisches, subsumtionslogisches Vorgehen“<br />
(Matthiessen 1998, S. 60).<br />
In der Soziologie sei eine dem medizinischen<br />
Vorgehen entsprechende Diagnostik nicht<br />
möglich, da „die etablierten Krankheitsbilder<br />
fehlen“. Die entsprechende Einheit sei stattdessen<br />
„eine hohe Korrelation von Merkmalen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 19).<br />
An die Stelle von Krankheitsbildern trete jeweils<br />
ein „neues Konzept, das fast immer unzureichend<br />
bestimmt ist“ (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer 1998, S. 19). Dem liegt die Auffassung<br />
zugrunde, dass medizinische Krankheitsbilder<br />
ahistorisch seien. Dies sind sie aber nicht, wie<br />
ein Blick in die Medizingeschichte zeigt:<br />
Es ist noch nicht lange her, <strong>als</strong> der Sitz der Seele<br />
in der Milz vermutet wurde. Die Hysterie war<br />
eine am Ende des 19. Jhs. gängige Krankheit,<br />
heute ist dieser Begriff aus den diagnostischen<br />
Manualen verschwunden, sie heißt jetzt „dissoziative<br />
Störung“ oder Konversionsstörung.<br />
„Borderline“ ist eine Diagnose, die Mitte der<br />
80er Jahre größere Verbreitung gewann. „Multiple<br />
Persönlichkeit“, eine von Soziologen rasch<br />
und begierig aufgenommene Diagnose, kam sie<br />
doch eigenen „Diagnosen“ der postmodernen<br />
Persönlichkeit entgegen (Wenzel 1995), ist in