Generation als zeitdynamische Strukturierung von ... - SFB 580
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1.2 Geschichts- oder Gesellschaftsgeneration<br />
Ein bis heute maßgeblichen Markenstein einer solchen zeitdiagnostischen Anpassung der Begriffsbedeutung<br />
setzten Wilhelm Dilthey (1957) sowie vor allem Karl Mannheim (1964) in den<br />
zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, womit wir zur zweiten Verwendungsgruppe des<br />
Begriffs <strong>Generation</strong> kommen: <strong>Generation</strong> <strong>als</strong> Geschichts- oder Gesellschaftsgeneration.<br />
Hier treten beide Komponenten, d.h. Beziehung zwischen Neuem und Bestehendem einerseits<br />
und gesellschaftstheoretischer Zugang anderseits, besonders deutlich in den Vordergrund.<br />
Erstmalig haben wir es mit einer eigenständigen <strong>Generation</strong>stheoriebildung zu tun. Dabei<br />
tritt bei ihnen zunächst der Aspekt der Neuerung besonders deutlich hervor. <strong>Generation</strong> wird<br />
– in Übereinstimmung mit der nunmehr gebräuchlichen Verwendung den Begriffs – vor allem<br />
<strong>als</strong> Jugendgeneration verstanden. Ausgegangen wird <strong>von</strong> einer Jugendprägungsphase in einem<br />
Altersabschnitt, ich zitiere Karl Mannheim: „wo das selbstexperimentierende Leben beginnt“<br />
und „die Möglichkeit des In-Frage-Stellens“ entsteht (1964: 539). Hier <strong>als</strong>o entkeimen<br />
selbsterworbene und neuartige Zugänge zum akkumulierten Kulturgut, die formbildend auf<br />
die weitere Erlebnisschichtung einwirken (ebd.: 529ff.). Ein Neueintreten derart generierter<br />
neuer Kulturträger und der Abgang früherer <strong>Generation</strong>en erzeugt und trägt sozialen Wandel.<br />
So verstanden, erhält der <strong>Generation</strong>sbegriff durch den sinnhaften Aspekt der Neuerung eine<br />
Konnotation, die über bloße Abstammungsfolgen und über sozial-historisch unterschiedlich<br />
gelagerte Kohorten hinausweist.<br />
Doch wie ist Neuerung zu verstehen? Bliebe es bei diesem Eindruck, dass Neuerung <strong>als</strong> Überwindung<br />
des Bestehenden das zentrale Merkmal <strong>von</strong> <strong>Generation</strong>en sei, dann bestünde ein<br />
erhebliches Analyseproblem. <strong>Generation</strong>sbeziehungen und -verhältnisse könnten nur eingeschränkt<br />
in ihrer jeweiligen Verarbeitung des Trennenden analysiert werden. Dies reicht aus,<br />
um Aufmerksamkeit heischend »Konflikte« und gar »Kriege« zwischen <strong>Generation</strong>en zu bestimmen<br />
oder eine »<strong>Generation</strong> X« <strong>von</strong> einer »<strong>Generation</strong> @« zu unterscheiden, doch generative<br />
Handlungsmuster im Sinne Pierre Bourdieus (1982), Ambivalenzen im Sinne Kurt<br />
Lüschers (2000) oder reziproke Austausche, um nur einige Beispiel zu nennen, würden definitorisch<br />
ausgegrenzt.<br />
Doch ganz so beengt ist schon Mannheims Deutungsrahmen nicht. Sein Bild einer Aufschichtung<br />
des Erlebniswissens (ebd. 535ff.), das wir theoretisch ausgearbeitet etwa bei Alfred<br />
Schütz (1974) oder in der Psychologie <strong>als</strong> Aufschichtung <strong>von</strong> Erfahrungswissen und in Schemata-Modellen<br />
(zusammenfassend Struck 1998: 29ff.) wiederfinden, bezieht die prägende<br />
Zeit im Familienkontext ein. Karl Mannheim spricht <strong>von</strong> „»Milieuwirkung«“, „ungewollt vererbt“<br />
und „übertragen“ (Mannheim 1964: 538). Diese, wie er sagt, „ererbten Lebenshaltungen,<br />
Gefühlsgehalte, Einstellungen“ (ebd.) können dann allerdings mit dem Eintritt ins Jugendalter,<br />
d.h. mit Beginn der wirklich selbsterlebten Zeit, in reflexive Deutungen des aktuell<br />
erlebten Stromes des gesellschaftlichen Geschehens münden. Hier kann es zu <strong>Generation</strong>s-