gPDF - SFB 580
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<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Beschäftigungssysteme,<br />
<strong>SFB</strong> Gesellschaftliche<br />
<strong>580</strong><br />
Diskontinuität<br />
Unsicherheit und<br />
Entwicklungen<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Tradition<br />
Strukturbildung<br />
Erwerbsorientierungen.<br />
Theoretische und empirische Befunde<br />
Dieser Band dokumentiert die Ergebnisse der qualitativen Analysen zu betrieblichen Beschäftigungssystemen<br />
und Erwerbsorientierungen der Beschäftigten.<br />
Christoph Köhler<br />
Kai Loudovici<br />
(Hrsg.)<br />
Der erste Beitrag - „Arbeitsmarktsegmentation und betriebliche Beschäftigungssysteme“ -<br />
stellt die Frage, ob die in der Soziologie fast vergessenen Segmentationsansätze dazu geeignet<br />
sind, eine neue Sichtweise auf die Debatten zur Generalisierung von Beschäftigungsrisiken<br />
und die dahinter stehenden Veränderungstendenzen der Arbeitsmarktstruktur in Deutschland<br />
zu gewähren. Hierfür entwickeln wir mit dem Konzept des Betrieblichen Beschäftigungs-<br />
Sub-Systems (BBSS) eine eigenständige Perspektive. Ergebnis der materialen Analysen ist,<br />
dass der deutsche Arbeitsmarkt sich von einer Hegemonie Interner Arbeitsmärkte zu einer<br />
spannungsgeladenen und instabilen Koexistenz von Internen und Externen Arbeitsmärkten<br />
entwickelt, wobei Ostdeutschland eine Vorreiterposition übernommen hat. Es zeigt sich also<br />
weder eine Generalisierung von Beschäftigungsrisiken oder gar von Prekarität, noch eine<br />
stabile Arbeitmarktspaltung. Wir gehen vielmehr von einer dynamischen Segmentation aus,<br />
in der sich Marktgrenzverschiebungen zwischen Internen und Externen, aber auch endogene<br />
Transformationen innerhalb von Teilarbeitsmärkten vollziehen.<br />
Während der erste Beitrag die Perspektive der Beschäftiger in den Vordergrund der Analysen<br />
stellt, interessiert sich der zweite Beitrag - „Generalisierung von Unsicherheit? Ergebnisse einer<br />
qualitativen Beschäftigtenbefragung“ - vor dem Hintergrund der Diskussion über die Generalisierung<br />
von „objektiver“ und „gefühlter“ Unsicherheit vor allem für die Wahrnehmungen,<br />
Interessen und Orientierungen der Beschäftigten. Ein überraschendes Ergebnis ist, dass die<br />
große Mehrheit der Befragten ihre Arbeitplatzsicherheit als hoch oder sehr hoch einschätzt.<br />
Die neuen post-fordistischen Sicherheitskonstruktionen berufen sich allerdings nicht mehr<br />
auf ökonomisch oder politisch basierte Garantien, wie sie etwa in der DDR selbstverständlich<br />
waren, aber auch im alten westdeutschen Normalarbeitsverhältnis über ökonomische Stabilität<br />
und Senioritätsrechte aufgebaut wurden. Vielmehr spielt die individuelle Arbeitsleistung als<br />
Basis für Sicherheit eine zentrale Rolle.<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> - Geschäftsführung (2007) ISSN 1619-6171<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen 2007<br />
22
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Beschäftigungssysteme,<br />
Unsicherheit<br />
und Erwerbsorientierungen<br />
Theoretische und empirische<br />
Befunde
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Christoph Köhler, Kai Loudovici ( Jena / Gera) ............8<br />
1<br />
Arbeitsmarktsegmentation und betriebliche Beschäftigungssysteme 1<br />
Christoph Köhler, Kai Loudovici, Olaf Struck ..........14<br />
1<br />
Vorbemerkung ..........14<br />
2<br />
Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte<br />
des Segmentationsansatzes ..........15<br />
3<br />
Das Konzept des Betrieblichen<br />
Beschäftigungs-Sub-Systems (BBSS) ..........19<br />
4<br />
BBSS – Operationalisierung und Untersuchungsansatz ..........24<br />
Seite <br />
5<br />
6<br />
Ergebnisse: Betriebe und Beschäftigungsdauern ..........28<br />
Grundmuster – Geschlossene BBSS ..........30
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
7<br />
Grundmuster – Offene BBSS ..........36<br />
8<br />
Varianten Geschlossener und Offener BBSS ..........40<br />
9<br />
Erklärungsprobleme und -ansätze ..........44<br />
10<br />
BBSS – Entwicklungslinien ..........51<br />
11<br />
Challenge and Response – Schub- und<br />
Ziehkräfte des Wandels ..........58<br />
12<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ..........67<br />
13<br />
Literatur ..........77<br />
14<br />
Anhang ..........85<br />
Seite
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
2<br />
Generalisierung von Unsicherheit?<br />
Ergebnisse einer qualitativen Beschäftigtenbefragung<br />
Janine Bernhardt, Christoph Köhler, Kai Loudovici,<br />
Simon Dittrich, Marcela Pineda de Castro,<br />
Christina Sittig, Sandra Spiller ..........96<br />
1<br />
Einleitung<br />
(Christoph Köhler, Janine Bernhardt, Kai Loudovici) ..........96<br />
1.1 stand der Forschung ..........96<br />
1.2 Fragen und Hypothesen ..........98<br />
2<br />
Der Untersuchungsasatz<br />
(Christoph Köhler, Janine Bernhardt, Kai Loudovici) ..........99<br />
2.1 Methoden und Instrumente ..........99<br />
2.2 Auswertung und Berichtskonzept ........102<br />
3<br />
Arbeitsplatzrisiken – das betriebliche Umfeld<br />
(Simon Dittrich, Kai Loudovici, Sandra Spiller) ........104<br />
3.1 vorbemerkung ........104<br />
3.2 Personalpolitische Strategien und Muster ........105<br />
3.3 Randbelegschaften ........111<br />
3.4 Wirtschaftliche Lage und<br />
Beschäftigungsentwicklung ........113<br />
3.5 Fazit ........118<br />
Seite <br />
4<br />
Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit<br />
( Janine Bernhardt) ........119<br />
4.1 vorbemerkung ........119<br />
4.2 Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit ........121
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
4.3 Ursachen von Arbeitsplatz(un)sicherheit –<br />
Begründungszusammenhänge ........129<br />
4.4 Relevanz von Arbeitsplatzsicherheit ........138<br />
4.5 Exkurs: Auswirkungen von Arbeitsplatz(un)sicherheit<br />
auf das Privatleben ........142<br />
4.6 Fazit ........145<br />
5<br />
Unsicherheit und Erwerbsorientierungen<br />
(Marcela Pineda de Castro, Christina Sittig) .........147<br />
5.1 vorbemerkung ........147<br />
5.2 arbeitsmarkt- und Konfliktorientierungen<br />
– eine Übersicht ........149<br />
5.3 Leistungsorientierungen ........153<br />
5.4 Fazit ........162<br />
6<br />
Erwerbsorientierungen – Begründungszusammenhänge<br />
(Marcela Pineda de Castro, Christina Sittig) ........166<br />
6.1 arbeitsplatzunsicherheit und<br />
erwerbsorientierungen ........166<br />
6.2 ressourcen und Arbeitsmarktorientierungen ........168<br />
6.3 Fazit ........176<br />
7<br />
Zusammenfassung und Fazit<br />
(Christoph Köhler, Janine Bernhardt, Kai Loudovici) ........178<br />
7.1 ergebnisse ........178<br />
7.2 thesen ........181<br />
7.3 Offene Fragen ........183<br />
Fussnoten ........185<br />
Literatur ........188<br />
Abbildungsverzeichnis ........192<br />
Tabellenverzeichnis ........193<br />
Appendix I: Leitfaden LF 05/ 06 ........195<br />
Appendix II: Transkriptionsregeln ........205<br />
Vitae ........208<br />
Seite
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Vorwort<br />
von Christoph Köhler, Kai Loudovici<br />
Die Frage nach einer<br />
grundlegenden Strukturveränderung<br />
von Arbeits-<br />
Seite märkten im sich globalisierenden<br />
post-industriellen Kapitalismus wird<br />
unter den Stichworten von „Flexible Labour“,<br />
„Non-Standard Employment“ oder „Erosion<br />
of Internal Labour Markets“ weltweit diskutiert.<br />
Gemessen an der Reichhaltigkeit der<br />
hier erarbeiteten empirischen Materialien und<br />
theoretischen Konzepte blieb die deutsche<br />
soziologische Diskussion um die „Erosion des<br />
Normalarbeitsverhältnisses“ und der „Normalbiografie“<br />
lange Zeit relativ blass. Einmal<br />
wurde weitgehend darauf verzichtet, die äußerst<br />
fruchtbare wirtschaftswissenschaftliche<br />
Forschung zu Arbeitsmarktstrukturen und<br />
-theorien zur Kenntnis zu nehmen. Zum anderen<br />
wurden nach einer starken, aber kurzen<br />
Welle der Aufmerksamkeit für die neuen<br />
Bundesländer im Rahmen der KSPW Anfang<br />
der 90er Jahre die forschungsstrategischen<br />
Chancen eines „internationalen“ Vergleichs im<br />
eigenen Land über den systematischen Ost-<br />
West-Vergleich verschenkt.<br />
Diese Situation bildete den Hintergrund für<br />
den Aufbau des Arbeitsmarktschwerpunktes im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>. Gemeinsames Ziel der Antragsteller<br />
der Gründerprojekte B1 (Grünert, Kothe,<br />
Lutz) und B2 (Köhler, Struck) war es, Empirie<br />
und Theorie zu Arbeitsmarkt und Betrieb im<br />
ost-west-deutschen Vergleich voranzutreiben<br />
und wieder in die sozialwissenschaftliche<br />
Diskussion hineinzutragen. Die übergreifende<br />
Fragestellung richtet sich auf Strukturveränderungen<br />
des ost- und westdeutschen<br />
Arbeitsmarktes im intra- und internationalen<br />
Vergleich, wobei das Thema der Erosion Interner<br />
Arbeitsmärkte bzw. der Externalisierung<br />
von Allokationsprozessen im Vordergrund<br />
steht. Mittlerweile arbeiten insgesamt sechs<br />
Projekte und ein Neuantragsteller im Arbeitsmarktschwerpunkt<br />
des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> (www.sfb<strong>580</strong>.<br />
uni-jena.de).<br />
Zwischenergebnis unseres Teilprojektes B2 ist,<br />
dass auf den ost- und westdeutschen Arbeitsmärkten<br />
in je spezifischer Weise Schritte der
Vorwort<br />
Externalisierung, Sekundarisierung und Re-<br />
Kommodifizierung zu beobachten sind (Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007a; Struck u.a. 2007).<br />
Die Analysen zu dieser Thematik wurden und<br />
werden in einem komplexen Design auf vier<br />
Analyseebenen (1. Beschäftigungsstabilität<br />
und -sicherheit; 2. Erklärungsansätze; 3. Betriebliche<br />
Beschäftigungssysteme; 4. Erwerbsorientierungen)<br />
und mit drei methodischen<br />
Zugängen durchgeführt (Sekundäranalysen<br />
von Massendaten; <strong>SFB</strong>-B2-Betriebspanel;<br />
qualitative Beschäftiger- und Beschäftigtenbefragung).<br />
Dieser Band dokumentiert die<br />
Ergebnisse der qualitativen Analysen zu<br />
betrieblichen Beschäftigungssystemen und<br />
Erwerbsorientierungen der Beschäftigten.<br />
Der erste Beitrag stellt die Frage, ob die in der<br />
Soziologie fast vergessenen Segmentationsansätze<br />
dazu geeignet sind, eine neue Sichtweise<br />
auf die Debatten zur Generalisierung von Beschäftigungsrisiken<br />
und die dahinter stehenden<br />
Veränderungstendenzen der Arbeitsmarktstruktur<br />
in Deutschland zu gewähren. Hierfür<br />
entwickeln wir mit dem Konzept des Betrieblichen<br />
Beschäftigungs-Sub-Systems (BBSS)<br />
eine eigenständige Perspektive. Ergebnis der<br />
materialen Analysen ist, dass der deutsche Arbeitsmarkt<br />
sich von einer Hegemonie Interner<br />
Arbeitsmärkte zu einer spannungsgeladenen<br />
und instabilen Koexistenz von Internen und<br />
Externen Arbeitsmärkten entwickelt, wobei<br />
Ostdeutschland eine Vorreiterposition übernommen<br />
hat. Es zeigt sich also weder eine<br />
Generalisierung von Beschäftigungsrisiken<br />
oder gar von Prekarität, noch eine stabile<br />
Arbeitmarktspaltung. Wir gehen vielmehr<br />
von einer dynamischen Segmentation aus, in<br />
der sich Marktgrenzverschiebungen zwischen<br />
Internen und Externen, aber auch endogene<br />
Transformationen innerhalb von Teilarbeitsmärkten<br />
vollziehen.<br />
Eine Synthese der Analysen zur Arbeitsmarktsegmentation<br />
und Betrieblichen<br />
Beschäftigungssystemen wurde im Berliner<br />
Journal veröffentlicht (Köhler/Loudovici/<br />
Struck 2007a). Der Beitrag in diesem Band<br />
stellt die konzeptuellen Vorarbeiten und Ergebnisse<br />
ausführlich vor und dokumentiert<br />
die umfangreiche Empirie des Projektes, die<br />
durch insgesamt drei zweisemestrige Lehrforschungen<br />
arrondiert wurde.<br />
Während der erste Beitrag die Perspektive der<br />
Beschäftiger in den Vordergrund der Analysen<br />
stellt, interessiert sich der zweite Beitrag<br />
vor dem Hintergrund der Diskussion über die<br />
Generalisierung von „objektiver“ und „gefühlter“<br />
Unsicherheit vor allem für die Wahrnehmungen,<br />
Interessen und Orientierungen der<br />
Beschäftigten. Ein überraschendes Ergebnis<br />
ist, dass die große Mehrheit der Befragten in<br />
unserem Sample ihre Arbeitplatzsicherheit als<br />
hoch oder sehr hoch einschätzt. Die neuen<br />
post-fordistischen Sicherheitskonstruktionen<br />
berufen sich allerdings nicht mehr auf ökonomisch<br />
oder politisch basierte Garantien, wie<br />
sie etwa in der DDR selbstverständlich waren,<br />
aber auch im alten westdeutschen Normalarbeitsverhältnis<br />
über ökonomische Stabilität<br />
und Senioritätsrechte aufgebaut wurden. Vielmehr<br />
spielt die individuelle Arbeitsleistung<br />
als Basis für Sicherheit eine<br />
zentrale Rolle.<br />
Hintergrund dieser Untersuchungen zum<br />
Thema Unsicherheit und Erwerbsorientierungen<br />
sind die Arbeiten von Anja Bultemeier<br />
und Alexandra und Ina Krause (Bultemeier<br />
Seite
Vorwort<br />
u.a. 2007; Krause u.a. 2007) aus dem Teilprojekt<br />
B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>. Diese Arbeiten wurden<br />
in einer zweisemestrigen Lehrforschung im<br />
WS 2005/06 und SS 2006 vertieft und im<br />
hier vorgelegten Beitrag dokumentiert. Ein<br />
sich daran anschließendes Forschungsseminar<br />
(WS06/SS07) diente in Kooperation mit dem<br />
<strong>SFB</strong> Projekt C3 von Bohler und Hildenbrand<br />
einer allgemeinen Diskussion des Forschungsstandes<br />
sowie der vertiefenden Auswertung<br />
und Interpretation der Interviews mit dem<br />
Ansatz der objektiven Hermeneutik. Durch<br />
Karl Friedrich Bohler gewannen wir einen<br />
neuen Zugang zum Verhältnis von Arbeitsmarktstruktur<br />
und Akteur im sozialen Wandel<br />
(vgl. Bohler 1995). Die Ergebnisse und Hypothesen<br />
dieser Lehrforschungen gehen mit<br />
neuen Ideen und Befunden über den aktuellen<br />
Forschungsstand hinaus und werden deshalb<br />
in diesem Band ausführlich dokumentiert.<br />
Die insgesamt sechs zweisemestrigen Lehrforschungen,<br />
deren Ergebnisse in die beiden<br />
Beiträge dieses Bandes eingehen, dienten<br />
einem doppelten Zwecke. Einerseits sollen<br />
Sie die Ausbildung der Studierenden in der<br />
Anwendung empirischer Forschungsmethoden<br />
fördern. Andererseits ging es darum, die<br />
Hypothesen aus dem <strong>SFB</strong>-Projekt zu prüfen<br />
und weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen mit<br />
den Lehrforschungen sind aus der Sicht des<br />
Lehrenden ambivalent. Der Aufwand für diesen<br />
Seminartyp ist außerordentlich<br />
hoch und nur mit der Unterstützung<br />
Seite 10 von eingearbeiteten studentischen<br />
Projektassistenten zu bewältigen.<br />
Einige unserer Studierenden betrachteten die<br />
aufwendige Forschungsarbeit als notwendiges<br />
Übel und leisteten Dienst nach Vorschrift;<br />
viele waren aber auch hoch motiviert und<br />
trugen erheblich zum Erfolg der Arbeit bei, die<br />
dann wiederum in das <strong>SFB</strong>-Forschungsprojekt<br />
einging.<br />
Der Erfolg einer Lehrforschung ist zu einem<br />
großen Teil vom Seminarkonzept und dem<br />
Engagement des Dozenten abhängig. Ist das<br />
Seminar zu offen angelegt, gibt es zwar spannende<br />
Diskussionen, aber am Schluss fehlt<br />
die Zeit für die vergleichende Auswertung.<br />
Im Ergebnis liegt dann ein „Fruchtsalat“<br />
mit einer Mischung aus langweiligen und<br />
unstrukturierten Hausarbeiten einerseits und<br />
einigen brillanten Papieren andererseits vor.<br />
Wird dagegen zuviel vorgegeben, fühlen sich<br />
die Studierenden als Zulieferanten für ein<br />
Forschungsprojekt, das andere betreiben. Aus<br />
meiner Sicht geht es darum, eine relativ kleine<br />
Frage möglichst offen, aber mit einem klaren<br />
Zeitplan zu bearbeiten, so dass die Studierenden<br />
alle Schritte eines Forschungsprojektes<br />
selber durchführen können.<br />
Aus unserer Sicht dokumentieren die hier vorgelegten<br />
Beiträge die Stärke des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, der<br />
sowohl eine intensive interdisziplinäre Kooperation<br />
als auch die Verbindung von Forschung und<br />
Lehre ermöglicht. So haben wir vielfältige Anregungen<br />
aus der Kooperation mit den anderen<br />
Projekten des Arbeitsmarktschwerpunktes und<br />
den anderen Arbeitsbereichen des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
bekommen, die sich über die Jahre verdichten<br />
und in Publikationen materialisieren. Unser<br />
besonderer Dank gilt Karl Friedrich Bohler<br />
vom Teilprojekt C3, der uns dabei geholfen hat<br />
die Perspektive der Beschäftigten im Arbeitsmarktgeschehen<br />
zu verstehen.<br />
Die studentischen Projektassistenten Franziska<br />
Blazejewski, Robert Schneider und Steffen<br />
Schönfelder haben die Endredaktion und Ge-
Vorwort<br />
staltung des Berichtes übernommen und durch<br />
großes Engagement zu einem erfolgreichen<br />
Ende geführt.<br />
Christoph Köhler; Kai Loudovici<br />
Jena und Gera im August 2007<br />
Seite 11
Seite 12
Arbeitsmarktsegmentation<br />
und Betriebliche<br />
Beschäftigungssysteme<br />
Seite 13
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Arbeitsmarktsegmentation und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
von Christoph Köhler, Kai Loudovici, Olaf<br />
Struck<br />
1. Vorbemerkung<br />
1<br />
Seit Mitte der 80er Jahre mehren sich<br />
Umbruchdiagnosen für die Arbeitsmärkte<br />
der hoch entwickelten kapitalistischen<br />
Nationen. Dabei werden<br />
Diskussionen über „Standard-“ und<br />
Seite 14 „Non-Standard Employment“ weltweit<br />
geführt. Für Deutschland werden<br />
seit den 80er Jahren die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />
und die Herausbildung einer<br />
Risikogesellschaft mit einem System pluraler<br />
Unterbeschäftigung diagnostiziert (Beck 1986,<br />
1999; Beck/Bonß/Lau 2001). In den 90er Jahren<br />
formulieren französische Soziologen die<br />
These der Generalisierung von Unsicherheit<br />
oder gar der Prekarität (Bourdieu 2000; Castel<br />
2000), die auch für Deutschland vertreten und<br />
weiterentwickelt wird (Frey/Hüning/Nickel<br />
2005; Dörre 2005). Zur gleichen Zeit haben<br />
sich auf der Basis von makrostatistischen Analysen<br />
in einer Vielzahl von Ländern Positionen<br />
herausgebildet, die eher die Kontinuität von<br />
Arbeitsmarktstrukturen oder moderate Veränderungen<br />
betonen (Auer/Cazes 2002; Erlinghagen<br />
2004, 2005, 2006; Blossfeld 2005, 2006;<br />
Keller/Seifert 2006; Struck/Köhler 2005). Im<br />
Begründungszusammenhang wird hier u.a.<br />
auf Qualifikations-, Kooperations- und Motivationspotenziale<br />
verwiesen, die nicht über<br />
zeitlich begrenzte Beschäftigungsbeziehungen<br />
aufgebaut oder erhalten werden können. 2<br />
Diese Großthesen haben eine Welle empirischer<br />
Forschung ausgelöst, die zu einer<br />
Differenzierung und Relativierung der Umbruchsthesen<br />
geführt haben, ohne dass von<br />
einer wirklichen Aufklärung des Sachverhalts<br />
gesprochen werden kann. Dies hängt aus<br />
unserer Sicht auch damit zusammen, dass<br />
viele der soziologischen Risikoanalysen weitgehend<br />
auf Arbeitsmarkttheorie verzichten.<br />
Dabei liegt seit der Entdeckung Interner und<br />
Externer Arbeitsmärkte in den USA der 50er<br />
und 60er Jahre eine empirisch und theoretisch<br />
reichhaltige Forschungslinie innerhalb der<br />
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor,<br />
an die anzuknüpfen sich anbietet. Besonders<br />
interessant für unsere Fragestellung sind die<br />
so genannten Segmentationsansätze, denen<br />
zufolge der Arbeitsmarkt in Teilarbeitsmärkte<br />
mit unterschiedlichen Funktionslogiken und<br />
Beschäftigungsrisiken zerfällt. Diese Ansätze
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
gehen also eher von Heterogenität und Spaltung<br />
als von generellen Umbruchstendenzen<br />
am Arbeitsmarkt aus und können insofern als<br />
Gegenentwurf zu den anhaltenden Debatten<br />
gelesen werden.<br />
Ziel dieses Beitrags ist es, die Validität und<br />
Brauchbarkeit der in der Soziologie fast vergessenen<br />
Segmentationsansätze zu prüfen und<br />
daraus eine neue Sichtweise auf die großen<br />
Erosionsdebatten zu entwickeln. Wir beginnen<br />
daher mit einer kurzen Darstellung der<br />
Rezeptionsgeschichte des Segmentationsansatzes<br />
und entwickeln daraus mit dem Konzept<br />
Betrieblicher Beschäftigungs-Sub-Systeme<br />
(BBSS) einen eigenen Untersuchungsansatz.<br />
Als Ergebnis von Betriebsfallstudien und Expertengesprächen<br />
in verschiedenen Branchen<br />
konstruieren wir eine erweiterte Typologie<br />
von betrieblichen Beschäftigungssystemen,<br />
beschreiben Entwicklungslinien und diskutieren<br />
Erklärungsansätze. Abschließend fassen<br />
wir unsere Befunde zusammen und benennen<br />
offene Fragen.<br />
2. Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte<br />
des Segmentationsansatzes<br />
Die Grundgedanken des Segmentationskonzepts<br />
wurden in den USA bereits in den 1950er<br />
Jahren entwickelt und in einem viel zitierten,<br />
aber wenig gelesenen Aufsatz von C. Kerr mit<br />
dem Titel „Die Balkanisierung des Arbeitsmarktes“<br />
veröffentlicht (Kerr 1954). Vor dem<br />
Hintergrund der jahrhundertealten ethnischen<br />
und nationalen Konflikte sowie der damit<br />
einhergehenden Grenzziehungen auf dem<br />
Balkan, verweist er auf eine Aufspaltung des<br />
US-amerikanischen Gesamtarbeitsmarktes<br />
in Teilarbeitsmärkte mit Mobilitätsbarrieren.<br />
Doeringer und Piore haben diesen Ansatz<br />
in ihrem berühmten Buch „Internal Labour<br />
Markets“ von 1971 aufgegriffen, weiterentwickelt<br />
und mit dem Konzept des dualen<br />
Arbeitsmarktes generalisiert (Doeringer/Piore<br />
1971). Diesem zufolge unterteilt sich der<br />
US-amerikanische Arbeitsmarkt nach dem<br />
dominanten Steuerungsprinzip (Firma oder<br />
Markt) in „Interne“ und „Externe“ Arbeitsmärkte<br />
sowie nach den Beschäftigungsrisiken<br />
in Primäre und Sekundäre Teilarbeitsmärkte<br />
(„good jobs“ oder „bad jobs“). Erstere gewähren<br />
hohe Beschäftigungssicherheit und gute<br />
Löhne, letztere überwiegend geringe Beschäftigungssicherheit<br />
und schlechte Löhne. Bereits<br />
hier ist die klassische Vier-Felder-Matrix<br />
angelegt, wobei für die USA mit dem Konzept<br />
des dualen Arbeitsmarktes zwei Felder in den<br />
Vordergrund gestellt werden: gute Interne und<br />
schlechte Externe Arbeitsmärkte.<br />
In den 70er Jahren wurden in Deutschland<br />
an verschiedenen Orten Segmentationskonzepte<br />
aufgegriffen, weiterentwickelt und im<br />
„Arbeitskreis sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung“<br />
(SAMF) diskutiert: z.B.<br />
Dombois/Pfau-Effinger in Bremen; Bosch/<br />
Lichte in Dortmund; Hildebrandt/Dohse/<br />
Jürgens in Berlin; Brandes/Buttler/Gerlach<br />
in Paderborn; Gensior/Lappe in Berlin; Lutz/<br />
Maase/Mendius/Schultz-Wild/<br />
Sengenberger/Köhler in München;<br />
Deutschmann/Schmiede/Schudlich<br />
Seite 15<br />
in Frankfurt (Vgl. zusammenfassend<br />
Blien 1986; Gensior u.a. 2004; Neuendorff<br />
1983; Sesselmeier/Blauermel 1998). Am<br />
Münchner ISF entstand unter Federführung<br />
von Lutz und Sengenberger aus der Verbin-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Teilarbeitsmärkte Intern Extern<br />
Primär<br />
„Good Jobs“<br />
Interner Arbeitsmarkt<br />
(betriebsspezifische<br />
Qualifikationen)<br />
Berufsfachlicher Arbeitsmarkt<br />
(berufsfachliche<br />
Qualifikationen)<br />
Sekundär<br />
„Bad Jobs“<br />
bei Piore und Lutz<br />
nicht besetzt<br />
Jedermanns-Arbeitsmarkt<br />
(allgemeine, unspezifische<br />
Qualifikationen)<br />
Abb. 2.1: Segmente des „dualen“ bzw. des „dreigeteilten“ Arbeitsmarktes<br />
dung der Konzepte des dualen Arbeitsmarktes<br />
mit den Konzepten der deutschen Arbeitsmarkt-<br />
und Berufsforschung der Ansatz des<br />
dreigeteilten Arbeitsmarktes (Lutz/Sengenberger<br />
1974). In diesem spielen neben den<br />
„guten“ Betriebsinternen und „schlechten“<br />
Externen („Jedermann-“) Arbeitsmärkten, die<br />
berufsfachlichen Strukturen mit hoher zwischenbetrieblicher<br />
Mobilität eine große Rolle,<br />
die das Feld der „guten“ Externen Märkte<br />
besetzen (vgl. Abb. 2.1).<br />
Die drei „Segmente“ werden dann über eine<br />
industriesoziologisch und institutionentheoretisch<br />
erweiterte Fassung der Humankapitaltheorie<br />
über die jeweils vorherrschenden<br />
Qualifikationsprobleme näher bestimmt.<br />
Interne Märkte zeichnen sich durch<br />
eine feste Bindung von Betrieb<br />
Seite 16 und betriebspezifisch qualifizierten<br />
Beschäftigten aus. Auf „Jedermannsmärkten“<br />
(allgemeine und unspezifische zivilisatorische<br />
Basisqualifikationen) gibt es keine<br />
Beschäftigungsstabilität, d.h. ein struktureller<br />
Überschuss an gering qualifizierten und entlohnten<br />
Arbeitskräften bewegt sich zwischen<br />
Arbeitplätzen auf Externen Märkten mit hohen<br />
Einkommens- und Beschäftigungsrisiken.<br />
Das Modell für das dritte Segment mit vorherrschend<br />
berufsfachlichen Qualifikationen<br />
bilden Arbeitsmarktstrukturen im deutschen<br />
Handwerk, in dem Qualifikationen normiert,<br />
zertifiziert und standardisiert werden, was wiederum<br />
mit weitgehend strukturierten Arbeitplatzprofilen<br />
korrespondiert. Hier können Betriebe<br />
ohne große Transaktionskosten Personal<br />
auf- und abbauen. Die Beschäftigten wechseln<br />
ihren Arbeitsplatz ohne Verluste an Einkommen<br />
und Reputation. Allokative Effizienz und<br />
Beschäftigungssicherheit werden nicht über<br />
die Bindung von Betrieb und Arbeitskraft,<br />
sondern über einen überbetrieblich strukturierten<br />
Arbeitsmarkt gewährleistet. Dieser<br />
„berufsfachliche Arbeitsmarkt“ war und ist für<br />
Lutz und Sengenberger nicht nur Instrument<br />
wissenschaftlicher Analyse, sondern ebenso<br />
normativer Bezugspunkt in Diskussionen um<br />
die Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik<br />
(vgl. Lutz 1998). Damit können sie in gewisser
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Weise als Pioniere der Flexicurity-Idee (Kronauer/Linne<br />
2005) gelten.<br />
Die Grundgedanken des Segmentationsansatzes<br />
diffundierten mit großer Geschwindigkeit<br />
in verschiedene Subdisziplinen der<br />
Soziologie. So werden sie am Frankfurter Institut<br />
für Sozialforschung u.a. zur Analyse der<br />
industriellen Beziehungen in Deutschland und<br />
zur Erklärung des „konservativen Moments“<br />
in der Gewerkschaftsbewegung herangezogen<br />
(z.B. Deutschmann 1981). ForscherInnen aus<br />
der im Aufschwung befindlichen Geschlechterforschung<br />
nutzen Segmentationsansätze zur<br />
Beschreibung und Erklärung geschlechtspezifischer<br />
Risiken am Arbeitsmarkt (vgl. zusammenfassend<br />
Becker-Schmidt/Knapp 1995;<br />
Lappe 1981; Pfau-Effinger 2004). Zudem<br />
wird das Segmentationskonzept in der Sozialstrukturanalyse<br />
und Lebenslaufforschung<br />
aufgegriffen (z.B. von Blossfeld/Mayer 1988).<br />
Und nicht zuletzt entstehen an der Universität<br />
Bremen Forschungsschwerpunkte über regionale<br />
Arbeitsmärkte, „Arbeit in der Grauzone“<br />
(Dombois 1999; Osterland 1990; Pfau-Effinger<br />
2004) und Statuspassagen im Lebenslauf<br />
(Behrens 1984; Behrens/Heinz 1991; Sackmann/Struck<br />
1997; Sackmann 1998; Struck<br />
1999).<br />
Auf der Basis einer großen Welle empirischer<br />
Folgestudien und konzeptueller Arbeiten werden<br />
dann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre<br />
Grenzen des Ansatzes sichtbar; er verliert in<br />
vielen der oben benannten Teildisziplinen der<br />
Soziologie an forschungsstrategischer Attraktivität<br />
und die explizite und implizite Kritik<br />
nimmt zu (vgl. Pfau-Effinger 2004). Mit den<br />
sich durchsetzenden Großthesen zur Entstrukturierung<br />
der Klassengesellschaft sowie<br />
zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />
und der Normalbiografie wird der Segmentationsansatz<br />
in der Soziologie weitgehend ad<br />
acta gelegt. Wenn Beschäftigungsverhältnisse<br />
auf breiter Front flexibilisiert und soziale Risiken<br />
generalisiert werden, verliert der Bezug<br />
auf konturierte Arbeitsmarktsegmente seine<br />
Bedeutung.<br />
Diese Entwicklung zeigt, dass der Segmentationsansatz<br />
kein Generalschlüssel zur<br />
Erforschung von Arbeitsmarkt- und Sozialstrukturen<br />
ist und mit seinen Schablonen weder<br />
die Konturen der geschlechtspezifischen<br />
Segregation am Arbeitsmarkt noch die von<br />
Lebens- und Erwerbsverläufen zu verstehen<br />
sind. Bezieht man sich jedoch auf das Feld<br />
der sozioökonomischen Positionen auf dem<br />
Arbeitsmarkt und die damit verbundenen<br />
Beschäftigungschancen und -risiken, so zeigt<br />
sich ein hoher Bedarf an Konzepten mittlerer<br />
Reichweite zur Arbeitsmarktstrukturanalyse:<br />
- Die neuere Sozialstruktur- und Lebenslaufforschung<br />
belegt, dass von einer Generalisierung<br />
sozialer Risiken keine Rede sein kann<br />
und dass diese nur über den Kontext von<br />
Betrieben und Teilarbeitsmärkten verständlich<br />
werden – im Sinne der Forderung nach<br />
„bringing the firms back in“ (Baron/Bielby<br />
1980; Struck 2005, 2006).<br />
- Die Debatten um die Erosion des<br />
Normalarbeitsverhältnisses bleiben<br />
häufig bei einem auf und ab von<br />
Seite 17<br />
Beschäftigungsdauern und Arbeitsvertragsformen<br />
stehen und rufen geradezu<br />
nach konzeptueller Interpretation. Entscheidend<br />
für die Erklärung des Strukturwandels<br />
ist aber die spezifische Funktion, die Dauern
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
und Verträge in betrieblichen Beschäftigungssystemen<br />
und auf Teilarbeitsmärkten<br />
wahrnehmen.<br />
- Gleiches gilt für weite Teile der neueren<br />
Forschung über Entberuflichung, neue Berufsbilder,<br />
Weiterbildung und lebenslanges<br />
Lernen. Diese fällt häufig auf deterministische<br />
Annahmen aus den 60 Jahren zurück.<br />
Dabei wird vergessen, dass Bildungsinvestitionen<br />
in ganz verschiedenen Funktionszusammenhängen<br />
stehen, je nachdem ob sie<br />
in Internen oder Externen Arbeitsmärkten<br />
verwertet werden.<br />
- Viele Protagonisten der arbeits- und industriesoziologischen<br />
Diskussionen um den<br />
Arbeitskraftunternehmer und die Subjektivierung<br />
der Arbeit haben übersehen, dass<br />
es „Vermarktlichung“ von abhängiger Arbeit<br />
sowohl innerhalb gesicherter Beschäftigungsverhältnisse<br />
(also im Internen Markt)<br />
als auch über eine Öffnung der Grenzen<br />
zum Externen Arbeitsmarkt geben kann.<br />
Voraussetzungen und Folgen beider Formen<br />
von „Re-Kommodifizierung“ sind ganz unterschiedlich.<br />
- Erstaunlich ist auch, dass viele AutorInnen<br />
der Employability- und Flexicurity-Debatten<br />
eher an bildungs- und sozialpolitische<br />
Forschungslinien, denn an einschlägige<br />
arbeitsmarkttheoretische<br />
Seite 18 Traditionen anschließen. Employability<br />
ist aber mehr als ein Bündel<br />
an Kompetenzen, wenn man Wiederbeschäftigungschancen<br />
im Blick hat. Die Frage<br />
nach Flexibilität und Sicherheit verweist auf<br />
sozialpolitische Sicherung, aber auch und<br />
zuallererst auf Fragen der Funktionsfähigkeit<br />
Externer Arbeitsmärkte.<br />
Es ist daher nicht überraschend, dass aus<br />
verschiedenen Forschungslinien der Ruf nach<br />
Analysen und Begriffen der Arbeitsmarktstruktur<br />
wieder lauter wird. Günter Schmid<br />
hat mit dem Konzept der Übergangs-Arbeitsmärkte<br />
(Schmid 2002; Schmid/Gazier 2002)<br />
einen Ansatz entwickelt, der einen ganz neuen<br />
Blick auf die Strukturierung des Arbeitsmarktes<br />
und auch auf Segmentationstheorien<br />
erlaubt. H.G. Brose u.a. haben im Rückgriff<br />
unter anderem auf Parsons mit dem Konzept<br />
des Tauscharrangements zwischen Betrieben<br />
und Haushalten neue Horizonte für die Analyse<br />
der Beschäftigungsbeziehung erschlossen<br />
(Brose u.a. 2005). Schließlich werden Segmentationsansätze<br />
in neueren Lehrbüchern und<br />
Aufsätzen aufgegriffen und thematisiert (z.B.<br />
Deutschmann 2002; Hirsch-Kreinsen 2005).<br />
Für unsere Frage nach der Entwicklung von<br />
Beschäftigungsstabilität und -sicherheit macht<br />
es Sinn, an Segmentationsansätze anzuknüpfen,<br />
da sie sich auf die Binnenstrukturen des<br />
Beschäftigungssystems konzentrieren. Wir<br />
lesen den Ansatz als Analyse des Feldes von<br />
sozioökonomischen Positionen im Beschäftigungssystem,<br />
das nicht mit dem Feld der<br />
Erwerbsverläufe von Personen zu verwechseln<br />
ist. Arbeitsmarktsegmente sind zunächst im<br />
Sinne der Erfinder Teilmengen von Arbeitsplätzen<br />
und Arbeitskräften, die sich mehr oder<br />
weniger stark gegen den überbetrieblichen<br />
Arbeitsmarkt schließen. Damit entwickeln<br />
sich Mobilitätsbarrieren unterschiedlicher Art,<br />
die jedoch Erwerbspersonen nicht auf Dauer<br />
fixieren müssen. Der Segmentationsforschung<br />
geht es in erster Linie um die Funktionslogik
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
offener und geschlossener Positionssysteme<br />
(Sørensen 1983) und nicht um Erwerbsverläufe.<br />
Unsere Frage ist daher, ob die basalen<br />
Annahmen zur Differenz von Internen und<br />
Externen sowie Primären und Sekundären<br />
Arbeitsmärkten heute noch tragfähig und für<br />
die Analyse aktueller Entwicklungstendenzen<br />
der Arbeitsmärkte nutzbar sind.<br />
3. Das Konzept des Betrieblichen Beschäftigungs-Sub-Systems<br />
(BBSS)<br />
Um die mit dem Segmentationsbegriff verbundenen<br />
Fragen einer empirischen Untersuchung<br />
zugänglich zu machen, müssen wir von der<br />
Ebene der Idealtypen in die Welt der inner- und<br />
überbetrieblichen Allokationsprozesse hinabsteigen<br />
und präzise Definitionen von Internen<br />
und Externen Märkten entwickeln. Hierfür<br />
bieten sich zwei Zugänge an, die im Rahmen<br />
des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> umgesetzt werden. Einmal geht<br />
es um die Analyse zwischenbetrieblicher Mobilität,<br />
wobei methodisch die Verknüpfung von<br />
Betriebs- und Personaldaten im Längsschnitt<br />
im Vordergrund steht (Grotheer 2007; Lutz<br />
u.a. 2000). Ein zweiter forschungsstrategisch<br />
sinnvoller Weg besteht darin, das betriebliche<br />
Substrat von Arbeitsmarktsegmenten zu<br />
erfassen, also gewissermaßen auf die kleinste<br />
strukturierte Einheit des Arbeitsmarktgeschehens<br />
zurückzugehen, um von dort aus wieder<br />
zur Meso- und Makroperspektive zurückzukehren.<br />
Betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme (BBSS)<br />
Empirische und theoretische Analysen von<br />
betrieblicher Personal- und Beschäftigungspolitik<br />
machen deutlich, dass Erwerbsorganisationen<br />
ganz unterschiedliche Muster<br />
an Arbeitsplatz- und Personalstrukturen<br />
aufweisen, dass deren Elemente im Sinne von<br />
Wahlverwandtschaften miteinander zusammenhängen<br />
und nicht beliebig variier- und<br />
kombinierbar sind. Dieses Phänomen wird in<br />
der arbeits- und industriesoziologische Tradition<br />
(Altmann/Bechtle/Lutz 1978; Brussig<br />
2000; Pries 1998) ebenso wie in der Personalökonomik<br />
(Alewell 1993; Baron/Kreps 1999;<br />
Lazear 2003; Nienhüser 2004; Sadowski 2002)<br />
und der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung<br />
(Baden u.a. 1996; Dombois<br />
1999; Mendius/Sengenberger 1976; Marsden<br />
1999; Osterman 1987) aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven diskutiert.<br />
Wir interessieren uns für eine kritische Prüfung<br />
und Weiterentwicklung von Segmentationsansätzen<br />
und beziehen uns daher auf<br />
die arbeitsmarktrelevanten Funktionen von<br />
betrieblichen Beschäftigungssystemen. Zu deren<br />
Bestimmung entwickeln wir im kritischen<br />
Anschluss an Analysen betrieblicher Beschäftigungspolitik<br />
im Rahmen des Münchner<br />
Segmentationsansatzes (Köhler/Sengenberger<br />
1983; Köhler/Preisendörfer 1989) und neuere<br />
Ansätze aus der Arbeits- und Personalökonomik<br />
(Alewell 1993; Baden u.a. 1996; Baron u.<br />
a. 1996; Osterman 1987) mit dem Konzept des<br />
Betrieblichen Beschäftigungs-Sub-<br />
Systems (BBSS) eine eigenständige<br />
Perspektive auf das Arbeitsmarktgeschehen.<br />
Folgt man der arbeits- und industriesoziologischen<br />
Tradition einerseits (Altmann/<br />
Bechtle/Lutz 1978; Deutschmann 2002;<br />
Seite 19
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Seite 20<br />
Hirsch-Kreinsen 2005) und der neueren<br />
Arbeits- und Personalökonomik andererseits<br />
(Baron/Kreps 1999; Sadowski 2002), so kann<br />
betriebliche Personal- und Beschäftigungspolitik<br />
auf zwei Grundprobleme zurückgeführt<br />
werden: Einmal geht es um die Verfügbarkeit<br />
von Arbeitskraft in einer bestimmten Menge<br />
und Qualifikation (bzw. um deren Abbau<br />
bei Personalüberhang), zum anderen um die<br />
Arbeitsmotivation und Leistung (häufig als<br />
Transformationsproblem thematisiert). Diese<br />
zwei Grundprobleme betrieblicher Personalund<br />
Beschäftigungspolitik werden über Allokations-<br />
und Qualifizierungsprozesse sowie<br />
über materielle und immaterielle Gratifikationen<br />
(Anreize und Sanktionen) bearbeitet.<br />
Unser BBSS-Konzept fokussiert damit auf die<br />
personal- und arbeitsmarktrelevanten Vorgänge<br />
in den Unternehmen. BBSS bezeichnen in<br />
Abgrenzung zu Produktions- und Arbeitssystemen<br />
3 die Gesamtheit der auf die Bearbeitung<br />
des Verfügbarkeits- und Leistungsproblems<br />
gerichteten Strukturen und Prozesse der<br />
Allokation, Qualifikation und Gratifikation in<br />
Erwerbsorganisationen. Bezogen auf die Frage<br />
nach dem dominanten Steuerungsprinzip und<br />
der Beschäftigungssicherheit unterscheiden<br />
wir BBSS nach folgenden Merkmalen:<br />
- BBSS sind Teilmengen von Arbeitplätzen<br />
und Arbeitskräften innerhalb von<br />
Erwerbsorganisationen, die über<br />
Eintritts- und Austrittspositionen<br />
und Austauschvolumina in unterschiedlichem<br />
Maße nach außen zum<br />
überbetrieblichen Arbeitsmarkt<br />
geöffnet sind und damit unterschiedliche<br />
Niveaus von betrieblicher Beschäftigungsstabilität<br />
und -sicherheit reproduzieren.<br />
- Erwerbsorganisationen umfassen in der Regel<br />
mehrere BBSS, die sich nach innen durch<br />
den Substitutions- und Mobilitätsbereich<br />
ihrer Mitglieder abgrenzen. Innerhalb dieses<br />
Allokationsraumes konkurrieren die Arbeitskräfte<br />
um die privilegierten Positionen beim<br />
Personalaufbau und -abbau.<br />
- Für BBSS gelten einheitliche Regeln der Allokation<br />
(Personalauswahl bei der Besetzung<br />
und Räumung von Stellen), Qualifikation<br />
(Aus- und Weiterbildung im Betrieb) und<br />
Gratifikation (materielle und immaterielle<br />
Anreize). Diese sind im Sinne von Wahlverwandtschaften<br />
aufeinander bezogen.<br />
Für eine zusammenfassende Definition können<br />
wir demnach festhalten: BBSS sind sozioökonomische<br />
Räume der Nutzung von Arbeitskraft<br />
innerhalb von Erwerbsorganisationen, die sich<br />
nach innen (gegenüber anderen Arbeitsbereichen<br />
im Betrieb) und außen (gegenüber den<br />
überbetrieblichen Arbeitsmärkten) abgrenzen.<br />
Sie zeichnen sich im Sinne der Unterscheidung<br />
von Internen und Externen Arbeitsmärkten<br />
durch unterschiedliche Niveaus der Schließung<br />
und distinkte Regeln der Allokation, Qualifikation<br />
und Gratifikation aus. Erwerbsorganisationen<br />
operieren in der Regel mit mehreren<br />
und verschiedenen BBSS, welche an verschiedene<br />
überbetriebliche Märkte angeschlossen<br />
sind. BBSS sind also betriebliche Bausteine<br />
überbetrieblicher Teilarbeitsmärkte bzw. von<br />
Arbeitsmarktsegmenten.<br />
Zentraler Indikator für den Grad der Schließung<br />
gegenüber den überbetrieblichen Teilarbeitsmärkten<br />
ist die in den innerbetrieblichen<br />
Allokationsräumen dominante Dauer der<br />
Beschäftigung. Langfristige Beschäftigung in-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
diziert Schließung: Beschäftiger und Beschäftigte<br />
verzichten auf die Nutzung des Externen<br />
Marktes. Bei zeitlich begrenzter Beschäftigung<br />
beobachten beide Seiten den Externen Markt<br />
und nutzen Alternativen, wenn sich daraus<br />
Vorteile ergeben.<br />
Teilarbeitsmärkte und BBSS<br />
Mit dieser Definition von BBSS greifen wir auf<br />
zentrale Begriffe der Arbeitsmarktforschung<br />
zur Analyse von Teilarbeitsmärkten zurück<br />
(Baron/Bielby 1980; Franz 1999; Osterman<br />
1987; Struck 2005). Die Arbeitsmarktforschung<br />
rekurriert auf die Grundfunktionen von<br />
Märkten (Allokation über Preisbildung), die<br />
für den Arbeitsmarkt näher bestimmt werden:<br />
1. Allokation bezeichnet die Zuordnung von<br />
Arbeitsplätzen und Arbeitskräften. 2. Diese ist<br />
auf den Arbeitsmärkten immer mit einer mehr<br />
oder weniger umfangreichen Qualifizierung<br />
für die jeweiligen Arbeitsaufgaben verbunden.<br />
3. Der Preisbildung entspricht die Gratifikation<br />
der Arbeitskraft über monetäre und nichtmonetäre<br />
Anreize.<br />
Diese Bestimmungen lassen sich problemlos in<br />
Analysen und Definitionen der Arbeits- und<br />
Personalökonomie (Alewell 1993) einerseits<br />
und der Arbeits- und Industriesoziologie<br />
andererseits (Altmann/Bechtle/Lutz 1978)<br />
übersetzen. Der Allokations- und Qualifikationsfunktion<br />
des Arbeitsmarktes entspricht auf<br />
der betrieblichen Ebene das Verfügbarkeitsproblem<br />
(Besetzung und Räumung von Arbeitsplätzen)<br />
und die Anpassungs- bzw. Qualifikationsfunktion<br />
(Ausbildung und Anlernung für<br />
Arbeitsaufgaben), der Gratifikationsfunktion<br />
entspricht das Leistungs- bzw. Transformationsproblem<br />
(Motivation bzw. Kontrolle zur<br />
Sicherung der Leistungsbereitschaft).<br />
Teilarbeitsmärkte werden definiert als „eine<br />
durch bestimmte Merkmale von Arbeitskräften<br />
und Arbeitplätzen abgegrenzte Struktureinheit<br />
des Gesamtarbeitsmarktes, innerhalb<br />
derer die Allokation, Gratifizierung und Qualifizierung<br />
der Arbeitskräfte einer besonderen<br />
und mehr oder weniger stark institutionalisierten<br />
Regelung unterliegt.“ (Sengenberger 1975:<br />
S.29 ff.; ders. 1987: S.52 ff.). Sie sind nach<br />
Sengenberger durch drei Strukturelemente<br />
geprägt: 1. Die Geschlossenheit/Offenheit gegenüber<br />
anderen Teilarbeitsmärkten (definiert<br />
durch Zugangs- und Abgangspositionen,<br />
Selektionsregeln und Austauschvolumina); 2.<br />
die räumliche und fachliche Ausdehnung (definiert<br />
durch den maximalen Mobilitäts- und<br />
Substitutionsbereich); 3. die Binnenstruktur<br />
(Regeln der Allokation, Qualifikation und<br />
Gratifikation).<br />
Für unsere Frage nach BBSS innerhalb von<br />
Erwerbsorganisationen haben wir diese Definition<br />
von Teilarbeitsmärkten „übersetzt“.<br />
Daraus ergaben sich die bereits eingeführten<br />
zentralen Dimensionen und Definitionsmerkmale<br />
von BBSS:<br />
1.) Entsprechend den Grundfragen des Segmentationsansatzes<br />
steht für uns die Frage<br />
nach der Steuerung von Arbeitsmarktprozessen<br />
über den Markt oder<br />
die Organisation im Vordergrund. Es<br />
Seite 21<br />
geht also zunächst um die Dimension<br />
der Schließung. Sind die Allokationsprozesse<br />
innerhalb des BBSS an die Logik des überbetrieblichen<br />
Marktes angeschlossen oder eher<br />
abgeschottet, so dass die Regeln der Organi-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
sation greifen? Gibt es langfristige Beschäftigungssicherheit<br />
in der Organisation oder<br />
müssen sich die Arbeitskräfte die Sicherheit<br />
auf dem Markt suchen?<br />
Unter welchen Bedingungen kann man von<br />
marktgesteuerten oder organisationsgesteuerten<br />
Beschäftigungsbeziehungen sprechen?<br />
Trotz des umfangreichen Oeuvres zu Internen<br />
Arbeitsmärkten liegen bislang keine eindeutigen<br />
Definitionen vor. Grundsätzlich gilt, dass<br />
Arbeitplätze und Arbeitsverträge innerhalb der<br />
Grenzen von Erwerbsorganisationen angesiedelt<br />
und durch Mitgliedschaftsrollen definiert<br />
sind. Auch zeitlich begrenzte Beschäftigungsverhältnisse<br />
sind in Erwerbsorganisationen<br />
eingebunden und genießen für den Zeitraum<br />
des Arbeitsvertrages einen gewissen Schutz.<br />
Umgekehrt sind langfristige Beschäftigungsverhältnisse<br />
in Internen Arbeitsmärkten über<br />
Eintritts- und Austrittspositionen immer auch<br />
an Externe Arbeitsmärkte und deren Steuerungsmechanismen<br />
angeschlossen.<br />
BBSS sind also strukturell etwas anderes als<br />
Märkte und Kaufverträge, aber immer mehr<br />
oder weniger stark durch Marktkräfte bestimmt.<br />
Es handelt sich um ein Kontinuum<br />
zwischen weitgehend Geschlossenen und<br />
weitgehend Offenen Systemen, die innerhalb<br />
der Grenzen der Organisation angesiedelt sind<br />
und damit immer sowohl Organisationsregeln<br />
als auch Marktkräften unterliegen.<br />
Entscheidend ist das Mischungs-<br />
Seite 22 verhältnis. Im Anschluss an die<br />
Definition von Teilarbeitsmärkten<br />
lässt sich der Grad der Offenheit zu anderen<br />
Teilarbeitsmärkten durch die Zahl der Eintritts-<br />
und Austrittspositionen im BBSS und<br />
das Volumen des Austauschs zwischen BBSS<br />
und Externem Arbeitsmarkt bestimmen.<br />
Das erste Definitionsmerkmal ergibt sich unmittelbar<br />
aus unserer Fragestellung nach Steuerungsprinzipien<br />
von BBSS und betrieblicher<br />
Beschäftigungssicherheit: BBSS sind Teilmengen<br />
von Arbeitplätzen und Arbeitskräften innerhalb<br />
von Erwerbsorganisationen, die über Zugangsbzw.<br />
Austrittspositionen und Selektionsregeln<br />
mehr oder weniger stark an überbetriebliche<br />
Märkte angeschlossen, also in unterschiedlichem<br />
Maße durch Marktkräfte gesteuert sind, und<br />
damit unterschiedliche Niveaus betriebsbasierter<br />
Beschäftigungsstabilität und -sicherheit bieten.<br />
Wir unterscheiden dabei grundlegend zwischen<br />
Geschlossen und Offenen BBSS.<br />
2.) Erwerbsorganisationen umfassen also<br />
in der Regel verschiedene Teilmengen von<br />
Arbeitskräften und Arbeitsplätzen mit unterschiedlichen<br />
Niveaus der Abschottung<br />
vom Externen Arbeitsmarkt. So stehen z.B.<br />
in Softwareunternehmen Arbeitsbereiche mit<br />
geringer Fluktuation und langfristig gesicherter<br />
Beschäftigung solchen mit hohem Personalaustausch<br />
gegenüber. Deutlich wird dies<br />
auch in Unternehmen mit großen Internen<br />
Arbeitsmärkten, wo gleichzeitig viele Arbeitsbereiche<br />
und Tätigkeiten mit eher kurzfristig<br />
Beschäftigten besetzt werden. Wie sind diese<br />
durch Teilmengen von Arbeitplätzen und<br />
Arbeitskräften definierten sozioökonomischen<br />
Räume voneinander abzugrenzen?<br />
Im Anschluss an die Definition von überbetrieblichen<br />
Teilarbeitsmärkten gehen wir davon<br />
aus, dass die Grenzen der Substituierbarkeit<br />
und Mobilität von Arbeitskräften innerhalb<br />
der Erwerbsorganisation die Grenzen des<br />
BBSS bestimmen. In diesem „innerbetrieb-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
lichen Allokationsraum“ konkurrieren die<br />
Beschäftigten bei der Besetzung von Vakanzen<br />
und beim Personalaufbau um die attraktiveren<br />
Positionen nach Einkommen und Arbeitsbedingungen.<br />
Beim Personalabbau geht die Konkurrenz<br />
um die Arbeitsplatzsicherheit: Wer<br />
muss gehen und wer darf bleiben. Die Grenzziehungen<br />
dieses Allokationsraums sind nicht<br />
alleine von fachlichen Kriterien bestimmt, sie<br />
sind vielmehr Gegenstand von hochkomplexen<br />
Interessenskonflikten zwischen Management<br />
und Belegschaften, aber auch innerhalb beider<br />
Gruppierungen. In Deutschland wird dies etwa<br />
im Zusammenhang mit der Differenzierung<br />
von Stamm- und Randbelegschaften und der<br />
Analyse von Personalabbauaktionen thematisiert<br />
(Köhler/Preisendörfer 1989; Kronauer/<br />
Vogel 1998; Dörre 2005). In den gewerkschaftlich<br />
organisierten Betrieben und Sektoren der<br />
USA und Englands sind die Allokationsräume<br />
und -regeln direkter Gegenstand von Verhandlungen<br />
und Kollektivverträgen, so dass hier die<br />
Interessenskonflikte besonders deutlich werden<br />
(Herding 1980; Köhler 1981; Köhler/Sengenberger<br />
1983; Marsden 1999). Das Management<br />
stellt bei Personalbewegungen in der Regel<br />
Qualifikationskriterien in den Vordergrund,<br />
um Folgemobilität und Qualifizierungskosten<br />
zu begrenzen, während die Beschäftigten in<br />
erster Linie Aufstiegsmöglichkeiten und Beschäftigungssicherheit<br />
anstreben.<br />
Das zweite Definitionsmerkmal lautet damit:<br />
BBSS sind Allokationsräume, deren Grenzen nach<br />
innen durch den Substitutions- und Mobilitätsbereich<br />
bei Umsetzungen sowie beim Personalaufbau<br />
und -abbau bestimmt sind und innerhalb derer die<br />
Beschäftigten um privilegierte Positionen konkurrieren.<br />
3.) Mehr oder weniger institutionalisierte<br />
Allokationsregeln entscheiden nun darüber,<br />
nach welchen Kriterien das Personal für die<br />
Besetzung oder Räumung von Stellen ausgewählt<br />
wird. Dabei geht es einmal um die<br />
oben beschriebene Frage nach dem Verhältnis<br />
von innerbetrieblichem Allokationsraum zum<br />
überbetrieblichen Arbeitsmarkt. In weitgehend<br />
Geschlossenen BBSS, die eine relativ<br />
hohe Abschottung zu anderen Teilarbeitsmärkten<br />
und Arbeitsbereichen aufweisen, lautet<br />
die Allokationsregel: Innen vor außen, so dass<br />
nur unbeliebte Arbeitsplätze extern besetzt<br />
werden. In weitgehend Offenen BBSS konkurriert<br />
das Personal des innerbetrieblichen<br />
Allokationsraums bei jeder Personalbewegung<br />
und zu jedem Zeitpunkt mit dem Personal des<br />
überbetrieblichen Teilarbeitsmarktes, da das<br />
BBSS relativ stark an Externe Teilarbeitsmärkte<br />
angeschlossen ist, also eine hohe Zahl an<br />
Eintritts- und Austrittspositionen aufweist.<br />
Zum Zweiten geht es um die Frage nach den<br />
Auswahlkriterien in Bezug auf die Arbeitskraftmerkmale.<br />
Hier kann man zwischen<br />
partikularistischen und universalistischen Regeln<br />
unterscheiden. Bei Ersteren geht es um<br />
Verwandtschafts- oder Klientelbeziehungen,<br />
Nationalität, Ethnizität und Geschlecht. Universale<br />
Regeln können sich auf Qualifikation<br />
und Leistung, aber auch auf soziale Kriterien<br />
der Bedürftigkeit beziehen (entsprechend<br />
unterschiedlicher Gerechtigkeitsnormen:<br />
Struck/Stephan u.a. 2006).<br />
Auf der Basis einer Vielzahl von wirt-<br />
Seite 23<br />
schaftssoziologischen Arbeiten gehen<br />
wir davon aus, dass mit der Durchsetzung der<br />
kapitalistischen Industriegesellschaften in der<br />
Prosperitätskonstellation nach dem zweiten<br />
Weltkrieg universale Allokationsregeln an
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Bedeutung gewonnen haben, wobei in unterschiedlichem<br />
Ausmaß partikulare Kriterien<br />
(z.B. Diskriminierung nach Geschlecht und<br />
Ethnizität) erhalten geblieben sind. Die<br />
Befunde aus der Vermarktlichungsdebatte<br />
legen nahe, dass in post-fordistischen Wirtschaftssystemen<br />
Leistungskriterien gegenüber<br />
sozialen Kriterien weiter an Bedeutung<br />
gewinnen (Frey/Hüning/Nickel 2005; siehe<br />
dazu Abschnitt 10).<br />
Weiterhin gibt es einen engen Zusammenhang<br />
der nach außen und innen gerichteten<br />
Regeln der Allokation mit denen der Qualifikation<br />
und Gratifikation (vgl. Alewell 1997;<br />
Lutz 1987). Bei Geschlossenen BBSS kann viel<br />
on- und off-the-job Qualifizierung betrieben<br />
werden, weil die Humankapitalinvestitionen<br />
im Betrieb bleiben. Bei Offenen Systemen<br />
muss man die Arbeitsplatzstruktur dequalifizieren<br />
und dadurch das Qualifikationsproblem<br />
entschärfen oder darauf achten, dass die Lasten<br />
der Humankapitalinvestitionen verteilt werden.<br />
Bei Geschlossenen Systemen werden die<br />
Gratifikationssysteme so gebaut, dass sie bei<br />
Abwesenheit von externer Konkurrenz interne<br />
Anreize aufbauen, z.B. durch starke vertikale<br />
Spreizung. Bei Offenen BBSS orientiert man<br />
sich eher an Marktpreisen und es finden sich<br />
in der Regel engmaschigere Kontrollsysteme<br />
als bei Geschlossenen BBSS.<br />
Das dritte Definitionsmerkmal lautet:<br />
BBSS sind innerbetriebliche Räume der<br />
Seite 24 Allokation, für die einheitliche Allokationsregeln<br />
bei der Personalauswahl für<br />
die Besetzung oder Räumung von Stellen gelten.<br />
Diese stehen im Sinne von Wahlverwandtschaften<br />
in einem engen Zusammenhang zu Regeln der<br />
Qualifizierung und Gratifizierung.<br />
4. BBSS – Operationalisierung und Untersuchungsansatz<br />
Wir definieren BBSS im Anschluss an die<br />
Analyse von Teilarbeitsmärkten als innerbetriebliche<br />
Allokationsräume, die sich durch<br />
das Niveau der Schließung zum Externen Arbeitsmarkt,<br />
durch die Abgrenzung zu anderen<br />
Arbeitsbereichen in der Erwerbsorganisation<br />
und durch einheitliche Regeln der Allokation,<br />
Qualifikation und Gratifikation auszeichnen.<br />
Die Frage ist, wie diese Definition unseres<br />
BBSS-Konzeptes operationalisiert und für<br />
empirische Analysen nutzbar gemacht werden<br />
kann. Zur Beantwortung können wir auf<br />
eine lange Forschungstradition der Analyse<br />
betrieblicher Beschäftigungssysteme zurückgreifen.<br />
Innerbetriebliche Allokationsräume<br />
konstituieren sich über eine Vielzahl von<br />
Anpassungsprozessen von Arbeitsplatz- und<br />
Organisationsstrukturen einerseits und Mobilitätsverläufe<br />
von Personen andererseits. Die<br />
Zahl der Eintritts- und Austrittspositionen,<br />
das Austauschvolumen sowie die innerbetrieblichen<br />
Mobilitätsströme sind nur über aufwendige<br />
qualitative und quantitative Analysen<br />
von Verweildauern auf Arbeitsplätzen sowie<br />
Übergängen und Verläufen (Betriebseintritte,<br />
Austritte, innerbetriebliche Umsetzungen) zu<br />
erfassen.<br />
Dieser Typus von Analysen wurde in den USA<br />
in der wissenschaftlichen und politischen<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema der<br />
Diskriminierung und den dort dominierenden<br />
senioritätsgesteuerten Beschäftigungssystemen<br />
begründet und später unter der Devise des<br />
„Bringing the Firm back in“ (Baron/Bielby<br />
1980; Struck 2005) in der Sozialstrukturanalyse<br />
fortgeführt. Hier wurden zunächst detail-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
lierte und eher qualitativ orientierte Betriebsfallstudien<br />
durchgeführt. Später wurden dann<br />
quantitative und datentechnisch aufwendige<br />
Methoden wie die Markov Chain-Analyse<br />
oder der Vakanzketten-Ansatz genutzt (zur<br />
Übersicht vgl. Grüner 1992; Grotheer 2007;<br />
Köhler 1981; Köhler/Sengenberger 1983).<br />
In den 70er und 80er Jahren wurden diese<br />
Ansätze auch in Deutschland rezipiert und<br />
genutzt (u.a von Bosch 1978; Dombois 1976;<br />
Lichte 1978). Beispielhaft sind hier immer<br />
noch die Analysen des „Südwerk“ mit einem<br />
wohl weltweit einmaligen Employer-Employee-Datensatz,<br />
aus dem vier Buchpublikationen<br />
und unzählige Aufsätze hervorgegangen<br />
sind (Brüderl 1991; Grüner 1992; Köhler/Preisendörfer<br />
1989; Schultz-Wild u.a. 1986). Für<br />
diesen Typus von Analysen braucht man einen<br />
klassischen Fallstudienansatz, in dem Betriebe<br />
und einzelne Arbeitsbereiche intensiv und über<br />
einen längeren Zeitraum untersucht werden.<br />
Diese Analysen sind dann über Betriebs- und<br />
Individualdaten zu ergänzen.<br />
Unser Ziel bestand darin, einen Überblick<br />
über die Vielfalt an Beschäftigungsmustern<br />
im Industrie- und Dienstleistungssektor zu<br />
bekommen, um so über die Mikroperspektive<br />
einen Anschluss an die Makroperspektive der<br />
Arbeitsmarktsegmentation herzustellen. Konsequenterweise<br />
haben wir einfache Indikatoren<br />
für das Niveau der Schließung sowie für die<br />
Binnenstruktur der Allokation, Qualifikation<br />
und Gratifikation genutzt, die in ein bis zwei<br />
Betriebsbesuchen sowie kurzen Nachrecherchen<br />
zu erheben waren.<br />
Indikatoren für die Offenheit bzw. Geschlossenheit<br />
von BBSS<br />
Für unsere Zwecke vergleichender Mikro- und<br />
Makrostatistischer Analysen von Beschäftigungssystemen<br />
mussten einfach zu erhebende<br />
Indikatoren für „Intern“ und „Extern“ gebildet<br />
werden. Im Anschluss an eine lange Tradition<br />
der quantitativen Arbeitsmarktforschung<br />
lag es nahe, auf die Beschäftigungsdauern in<br />
Erwerbsorganisationen zu fokussieren. Diese<br />
indizieren den Zeitraum, in dem Beschäftiger<br />
und Beschäftigte auf die Nutzung des Externen<br />
Arbeitsmarktes zur Verbesserung ihrer<br />
Position verzichten. Bei langfristiger Beschäftigung,<br />
die im Extremfall bis zur Rente reicht,<br />
konkurriert der Beschäftigte nach den Regeln<br />
der Organisation nur mit den Arbeitskräften<br />
des internen Allokationsraums, der Externe<br />
Markt ist ausgeschlossen. Bei zeitlich befristeter,<br />
kurz- oder mittelfristiger Beschäftigung<br />
dagegen orientieren sich beide Seiten immer<br />
auch an den Alternativen, die der Externe<br />
Markt bietet.<br />
Indikator für die Zuordnung zu Internen<br />
oder Externen Systemen sind dann die<br />
Anteile der kurz-, mittel- und langfristigen<br />
Beschäftigungsdauern innerhalb von innerbetrieblichen<br />
Allokationsräumen. Die Anteile<br />
zeitlich begrenzter Beschäftigung indizieren<br />
die Zahl der Austrittspositionen und das<br />
Austauschvolumen. Wir unterscheiden<br />
dann Geschlossene und Offene<br />
Beschäftigungssysteme nach der<br />
Seite 25<br />
Dominanz langfristiger oder zeitlich<br />
begrenzter Beschäftigung. Schließung von<br />
Beschäftigungssystemen heißt im Extremfall<br />
Langfristbeschäftigung bis zur Rente;<br />
Öffnung zeitlich begrenzte, also kurz- und
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
mittelfristige Beschäftigung und Austausch<br />
mit dem Externen Arbeitsmarkt. Diese Zuordnung<br />
erfolgt zunächst unabhängig davon,<br />
wessen Initiative zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses<br />
geführt hat. Dahinter<br />
stehen empirische und theoretische Befunde,<br />
die deutlich machen, dass Austritte aus Beschäftigung<br />
sich immer aus einer Interaktion<br />
von Angebots- und Nachfrageseite ergeben,<br />
wobei dem Beschäftiger aufgrund einer strukturellen<br />
Machtasymmetrie in der Regel die<br />
hegemoniale Position im Interaktionsprozess<br />
zukommt.<br />
Indikatoren für den Allokationsraum und die<br />
Allokationsregel<br />
Die räumliche und fachliche Ausdehnung von<br />
BBSS ist dort am einfachsten zu bestimmen,<br />
wo sie Gegenstand formeller Regeln ist, wie<br />
z.B. in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes.<br />
Hier werden Laufbahnen und Regeln der<br />
Beförderung im Dienstrecht festgelegt. Der<br />
Allokationsraum ergibt sich aus den Stellen<br />
und Personen, die sich für spezifische, frei<br />
werdende Positionen bewerben können. Ähnliches<br />
galt und gilt für Bereiche der privaten<br />
Wirtschaft, in denen Gewerkschaften Regeln<br />
für die Besetzung und Räumung von Stellen<br />
aushandeln, wie dies früher in der Teilen der<br />
Stahl- und Chemieindustrie der Fall war.<br />
Besonderns ausgeprägt waren und sind solche<br />
Regelungen bei den so genannten Senioritätssystemen<br />
in Großbritannien<br />
Seite 26 und den USA, wo für den Personalaufbau<br />
und -abbau Auswahlbereiche<br />
festgelegt werden, innerhalb derer nach dem<br />
Kriterium der Betriebszugehörigkeitsdauer bei<br />
Personalbewegungen entschieden wird (vgl.<br />
Köhler 1981; Köhler/Sengenberger 1983).<br />
Dort, wo keine formellen Regelungen vorgegeben<br />
sind, entfalten sich komplizierte informelle<br />
Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse,<br />
deren Ergebnisse nur über die Analyse von<br />
Personalbewegungen zu ermitteln sind. Dies<br />
kann, wie oben gezeigt, über die qualitative<br />
Beschreibung von Personalströmen in Erwerbsorganisationen<br />
und/oder über Beschäftiger-Beschäftigten-Datensätze<br />
erfolgen (vgl.<br />
Köhler/Preisendörfer 1989; Bellmann/Bender/<br />
Kölling 2002).<br />
Für die hier vorgestellten qualitativen Analysen<br />
wurden Personalverantwortliche nach<br />
Ihren Erfahrungen mit Mobilitätsströmen<br />
befragt, wobei die wichtigsten Abteilungen der<br />
Erwerbsorganisation nach Eintrittspositionen,<br />
innerbetrieblicher Mobilität und Regeln des<br />
Personalabbaus erfasst wurden. Häufig decken<br />
sich die innerbetrieblichen Allokationsräume<br />
mit den organisatorischen Grenzen von funktional<br />
definierten Arbeitsbereichen und qualifikatorisch<br />
definierten Tätigkeitsgruppen (z.B.<br />
Instandhaltung/Elektriker). So bilden etwa in<br />
Maschinenbaubetrieben die Maschinenbedienung<br />
in der Teilefertigung und die Montage<br />
der häufig komplizierten Aggregate eigene<br />
Mobilitätsbereiche bei Personalaufbau und<br />
-abbau sowie bei kurzfristigen Umsetzungen<br />
(vgl. Schultz-Wild u.a. 1986).<br />
Für diese Bereiche gelten dann auch einheitliche<br />
Regeln der Allokation, Qualifikation und<br />
Gratifikation. Da alle potenziellen Kandidaten<br />
des Allokationsraums die Neubesetzung freier<br />
Stellen beobachten, ruft die Verletzung von<br />
eingeführten Regeln der Personalauswahl Konflikte<br />
hervor und zwingt zur Vereinheitlichung.<br />
Ähnliches gilt für die Entlohnung und sonstige<br />
Gratifikationen sowie für die Finanzierung der
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Qualifizierung.<br />
Indikatoren für Qualifikation und Gratifikation<br />
Die Zuordnung zum Qualifikationstypus<br />
erfolgt nach der Dauer und Art des Qualifizierungsprozesses:<br />
Wir unterscheiden Jederperson-Qualifikationen,<br />
tätigkeitsbasierte Qualifikationen<br />
und berufsfachliche Qualifikationen.<br />
Bei Jederperson-Qualifikationen handelt es<br />
sich um unspezifische Basisqualifikationen,<br />
die für einfache Tätigkeiten geschärft werden.<br />
Sie werden nach unserer Definition in einem<br />
Zeitraum von bis zu zwei Monaten erworben.<br />
Tätigkeitsbasierte Qualifikationen erfordern<br />
einen längeren Qualifizierungsprozess und<br />
werden über Anlernung und Weiterbildung<br />
erworben. Berufsfachliche Qualifikationen<br />
setzen eine formalisierte und institutionalisierte<br />
berufliche Ausbildung von mindestens zwei<br />
Jahren voraus. Der Begriff umfasst hier auch<br />
akademische Abschlüsse mit beruflicher Spezialisierung<br />
(wie bei den sog. Professionen).<br />
Der Begriff der Gratifikation bezieht sich<br />
auf das zweite Bezugsproblem von BBSS: die<br />
Sicherstellung der Leistungsbereitschaft. Es<br />
geht einerseits um verschiedene Anreize und<br />
Sanktionen (Sicherheit, Arbeitsbedingungen<br />
und -inhalte, Einkommen) und andererseits<br />
um Kontrollsysteme, die prozess- und ergebnisorientiert<br />
angelegt sein können.<br />
Untersuchungsdesign<br />
Für die folgenden Analysen stützen wir uns<br />
auf Expertengespräche mit Personalverantwortlichen<br />
(1. Erhebungswelle; N=41; vgl.<br />
Anhang) und in ausgewählten Fällen auch auf<br />
Beschäftigte (2. Erhebungswelle; N=10) in<br />
Betrieben aus sechs Branchen, die für unsere<br />
Zwecke systematisch ausgewertet wurden.<br />
Diese 51 Fallstudien bilden unser Kernsample.<br />
Über 100 Fallrekonstruktionen aus vier<br />
Lehrforschungen der Jahre 2002 bis 2006,<br />
begleiteten den Forschungsprozess im Teilprojekt<br />
B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> (siehe Vorwort). Sie<br />
bilden das „erweiterte Sample“ unserer Analysen<br />
Betrieblicher Beschäftigungssysteme und<br />
ergänzen das Kernsample um erstens fünf zusätzliche<br />
Branchen (Handel, Medien, Chemie,<br />
Gesundheit, Dienstleistungen) sowie zweitens<br />
insbesondere um die Beschäftigtenperspektive<br />
(vgl. Bernhardt u.a. 2007, in diesem Heft).<br />
Die wesentlichen Kriterien für die Auswahl<br />
der Betriebe im Kernsample (1. Erhebungswelle)<br />
wurden im Sinne des „dimensionalen<br />
Samplings“ (Arnold 1970; Flick 1999) vorab<br />
festgelegt. Hierzu wurden in einem ersten<br />
Schritt sechs Wirtschaftszweige ausgewählt,<br />
die hinsichtlich der Situation auf den (Arbeits-)<br />
Märkten sowie des Qualifikationsniveaus<br />
und der Fluktuation der Beschäftigten<br />
möglichst heterogen waren. 4 Die Auswahl fiel<br />
– auch vor dem Hintergrund abgeschlossener<br />
und laufender Arbeiten sowie des vorhandenen<br />
Know-hows – auf die ambulante Pflege, den<br />
Maschinenbau, die Softwareentwicklung, das<br />
Bauhauptgewerbe, Kreditinstitute und den<br />
Weiterbildungsbereich.<br />
Hieran schloss sich die Wahl einer<br />
jeweils west- und ostdeutschen<br />
Untersuchungsregion an (Nord-<br />
Niedersachsen/Bremen; Mittel-<br />
Thüringen). Beide Regionen haben einen<br />
je spezifischen De-Industrialisierungsschub<br />
durchlaufen und weisen für West- bzw. Ostdeutschland<br />
mittlere Arbeitslosenquoten auf.<br />
Seite 27
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Innerhalb dieser so durch die Wirtschaftszweige<br />
und Regionen definierten Fallgruppen<br />
wurde schließlich in einem dritten Schritt<br />
mit Hilfe von Experten vor Ort zwischen<br />
Betrieben mit einer relativ stabilen bzw. mit<br />
einer eher instabilen Beschäftigungssituation<br />
differenziert.<br />
Die leitfadengestützten Experteninterviews<br />
mit Personalleitern bzw. Geschäftsführern<br />
und z.T. Betriebsräten wurden in den Jahren<br />
2002 bis 2003 geführt (1. Erhebungswelle). In<br />
den Folgejahren rückten die Beschäftigten in<br />
den Mittelpunkt unserer Befragungen (2. Erhebungswelle<br />
und Lehrforschungen). Mittels<br />
Problemzentrierter Interviews (Witzel 1989,<br />
1996, 2000) wurde die Wahrnehmung sowie<br />
die Auswirkungen stabiler und instabiler Beschäftigungsverhältnisse<br />
auf das Handeln der<br />
Arbeitnehmer erhoben (vgl. Bultemeier u.a.<br />
2007).<br />
Schon in der Ausarbeitung des jeweiligen<br />
Interviewleitfadens (Beschäftiger bzw. Beschäftigte)<br />
wurde Wert darauf gelegt, die<br />
jeweils spezifischen Beschäftigungsformen im<br />
Kontext ihrer Rahmenbedingungen erfassen<br />
zu können sowie Raum für die Artikulation<br />
von Deutungsmustern und Handlungsstrategien<br />
der personalverantwortlichen Akteure<br />
bzw. Beschäftigten zu lassen. Es war nicht<br />
das Ziel der einzelnen Erhebungen, quantifizierbare<br />
Strukturdaten zu erhalten,<br />
sondern vielmehr durch ein offenes,<br />
Seite 28 aber dennoch problemzentriertes und<br />
halbstandardisiertes Vorgehen den<br />
Befragten Zeit für eigene Relevanzsetzungen<br />
zu geben. Auf diese Weise konnte die Bandbreite<br />
der einbezogenen Entscheidungsmuster<br />
der personalverantwortlichen Akteure bzw.<br />
Beschäftigten sowie Kombinationen betrieblicher<br />
und überbetrieblicher Einflussfaktoren<br />
ermittelt werden.<br />
Die rund 150 Interviews wurden aufgezeichnet<br />
und transkribiert. Die Fälle des Kernsamples<br />
der ersten Welle (N= 41) wurden textnah und<br />
mit Hilfe des Textdatenanalyseprogramms<br />
MaxQDA computergestützt codiert. Die<br />
Analyse erfolgte sowohl als Fallanalyse zur<br />
Ermittlung von Beschäftigungsstrategien im<br />
jeweiligen betrieblichen Kontext als auch im<br />
Fallvergleich, um thematische Ähnlichkeiten<br />
bzw. Differenzen zu analysieren. Die Fallstudien<br />
der zweiten Erhebungswelle und des erweiterten<br />
Samples dienten der Kontrastierung<br />
und für diesen Artikel als illustratives Hintergrundmaterial.<br />
5. Ergebnisse: Betriebe und Beschäftigungsdauern<br />
In einem ersten Schritt betrachten wir die<br />
im Kernsample (1. Erhebungswelle; N=41)<br />
erfassten Untersuchungsbetriebe (Betriebsstätten)<br />
nach dem Anteil der Kurz- und<br />
Mittelfristbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung.<br />
Wie oben ausgeführt, ist die Beschäftigungsdauer<br />
ein guter Indikator für das<br />
Niveau der Schließung von BBSS gegenüber<br />
dem überbetrieblichen Arbeitsmarkt. Kurzund<br />
Mittelfristbeschäftigung indizieren, dass<br />
Beschäftiger oder Beschäftigte Gelegenheiten<br />
des überbetrieblichen Marktes nutzen. Die<br />
BBSS sind relativ offen und damit Bestandteil<br />
Externer Teilarbeitsmärkte. Langfristbeschäftigung<br />
indiziert Schließung und Interne<br />
Arbeitsmärkte.
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Abb. 5.1: Anteile kurz- und mittelfristiger Beschäftigung; ausgewählte Fälle N=33<br />
Legende:<br />
MaBau =Maschinenbau;<br />
Weiterbildung 1 =ohne Honorarkräfte;<br />
Weiterbildung 2 =mit Honorarkräften<br />
Die Daten basieren auf detaillierten Angaben<br />
der Personalverantwortlichen zur Struktur<br />
der Beschäftigungsdauern in den<br />
einzelnen Arbeitsbereichen ihrer<br />
Seite 29<br />
Organisation, die unter Rückgriff auf<br />
eine Vielzahl anderer Variablen (Fluktuation,<br />
Beschäftigungsentwicklung, Vertragsformen,<br />
Altersstruktur, Erfahrungen der Beschäftiger<br />
etc.) kontrolliert wurden. Kurzfristige
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Beschäftigung wurde durch eine betriebliche<br />
Verweildauer von bis zu zwei Jahren definiert,<br />
als mittelfristig gelten Beschäftigungsverhältnisse<br />
von zwei bis zehn Jahren und als<br />
langfristig solche mit zehn und mehr Jahren,<br />
im Extremfall bis zur Rente. Dieser Ansatz hat<br />
sich auch in unserem Betriebspanel bewährt<br />
(Struck/Schröder 2006).<br />
Da wir sowohl bei der Branchenauswahl als<br />
auch bei der Betriebsauswahl innerhalb der<br />
Branchen nach dem Prinzip des maximalen<br />
Kontrastes vorgegangen sind, finden wir eine<br />
geradezu extreme Streuung: Die Betriebstätten<br />
(im folgenden Betriebe) weisen die gesamte<br />
Bandbreite von nur 5% bis 95% kurz- und<br />
mittelfristiger Beschäftigung auf (siehe Abb.<br />
5.1).<br />
Im Maschinenbau konzentrieren sich die Untersuchungsfälle<br />
auf den Bereich mit hohen<br />
Anteilen der Langfristbeschäftigung. Ebenso<br />
lassen sich in Teilen der Bankenbranche<br />
Unternehmen mit relativ hohen Anteilen<br />
langfristiger Beschäftigung finden. In der<br />
Weiterbildung zeigen sich dagegen vor allem<br />
Fälle mit hohen Anteilen von Mittel- und<br />
Kurzfristbeschäftigung, wenn man die Arbeitsplätze<br />
der Dozenten in die Kalkulation<br />
einbezieht (Weiterbildung 2). In den anderen<br />
Branchen liegt eher eine breite Streuung über<br />
alle Felder vor.<br />
Schon der erste Blick auf die Aus-<br />
Seite 30 wahlfälle innerhalb der Branchen<br />
lässt vermuten, dass die unterschiedliche<br />
Ausprägung der Dauervariablen mit<br />
verschiedenen Faktoren kovariiert. In Maschinenbau<br />
und Softwareindustrie spielen die<br />
Produktkomplexität und die Seriengröße (im<br />
Sinne des alten situativen Ansatzes) eine Rolle.<br />
Bei Pflegediensten, Baubetrieben, Weiterbildungseinrichtungen<br />
und Banken geht es eher<br />
um die Marktmacht auf den Absatzmärkten<br />
oder die institutionelle Absicherung als funktionales<br />
Äquivalent. Im Vergleich zwischen den<br />
Branchen spielt das Arbeitskräfteangebot eine<br />
große Rolle.<br />
6. Grundmuster – Geschlossene BBSS<br />
Die vorangestellten Analysen betrieblicher<br />
Beschäftigungspolitik in zehn Branchen des<br />
Industrie- und Dienstleistungssektors zeigen,<br />
dass Erwerbsorganisationen verschiedene Beschäftigungsverhältnisse<br />
in unterschiedlichen<br />
Mischungsverhältnissen nutzen. Die Frage<br />
war, ob die für die Prosperitätskonstellation des<br />
Fordismus entwickelte Unterscheidung von<br />
Internen und Externen sowie Primären und<br />
Sekundären Teilarbeitsmärkten heute noch<br />
Sinn macht. Die detaillierten empirischen<br />
Analysen einzelner Arbeits- und Tätigkeitsbereiche<br />
innerhalb der Unternehmen und<br />
Betriebe bestätigen unsere konzeptuellen<br />
Überlegungen zu BBSS und die Grundgedanken<br />
des Segmentationsansatzes. Es finden sich<br />
in verschiedenen Abteilungen und Arbeitsbereichen<br />
ganz unterschiedliche Allokationsräume,<br />
die sich durch unterschiedliche Maße der<br />
Schließung gegenüber dem Externen Arbeitsmarkt<br />
(indiziert durch die jeweils dominanten<br />
Beschäftigungsdauern) auszeichnen.<br />
So finden sich nach außen und innen abgegrenzte<br />
Arbeitsplatzbereiche in den Unternehmen,<br />
die mit langfristiger Beschäftigung<br />
und einheitlichen Regeln der Allokation,
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Interne Arbeitsmärkte<br />
Externe Arbeitsmärkte<br />
Primär Primäre Geschlossene BBSS Primäre Offene BBSS<br />
Sekundär Sekundäre Geschlossene BBSS Sekundäre Offene BBSS<br />
Abb. 6.1: Arbeitsmarktsegmente und BBSS<br />
Qualifikation und Gratifikation gefahren,<br />
dadurch von den unmittelbaren Schub- und<br />
Ziehkräften des Externen Marktes abgekoppelt<br />
werden (Geschlossene BBSS) und damit<br />
eher durch Strukturbildungsprozesse der<br />
Organisation bestimmt sind. In einer anderen<br />
Gruppe von Arbeitsbereichen dominiert die<br />
zeitlich begrenzte Beschäftigung. Allokation,<br />
Qualifikation und Gratifikation werden stärker<br />
von den Externen Märkten beeinflusst (Offene<br />
BBSS). Über die jeweilige Beschäftigungsdauer<br />
und damit die relative Zahl von Eintritts- und<br />
Austrittspositionen sind die jeweiligen BBSS<br />
an Arbeitsmarktsegmente angeschlossen.<br />
Geschlossene BBSS bilden den betrieblichen<br />
Baustein des Arbeitsmarktsegments Interner<br />
Märkte, Offene BBSS den Baustein Externer<br />
Märkte.<br />
Geschlossene und Offene BBSS unterscheiden<br />
sich ferner in einer vertikalen Dimension nach<br />
dem Lohnniveau und den Beschäftigungsrisiken<br />
(siehe Abb. 6.1). Primäre BBSS zeichnen<br />
sich durch durchschnittliche bis überdurchschnittliche<br />
Einkommen und betriebliche oder<br />
überbetriebliche Beschäftigungssicherheit aus.<br />
Sekundäre BBSS durch geringe Einkommen<br />
und/oder hohe Beschäftigungsrisiken. Die<br />
unterschiedlichen sozialen Risiken für die<br />
Beschäftigten haben Handlungsfolgen für<br />
beide Arbeitsmarktparteien und generieren<br />
distinkte Muster der Allokation, Qualifikation<br />
und Gratifikation.<br />
Im Ergebnis zeigen sich vier Grundmuster<br />
von BBSS, die der Logik der Segmentationsmatrix<br />
entsprechen. Dabei sind<br />
BBSS nicht mit überbetrieblichen<br />
Teilarbeitsmärkten zu verwechseln.<br />
Seite 31<br />
Sie umfassen innerbetriebliche<br />
Allokationsräume, die in unterschiedliche<br />
Weise an zwischenbetriebliche Arbeitsmärkte<br />
und Institutionen angeschlossen sind und<br />
bilden damit den betrieblichen Baustein von
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Arbeitsmarktsegmenten. Geschlossene BBSS<br />
korrespondieren also mit Teilarbeitsmärkten<br />
auf der Basis Interner Märkte und Offene<br />
BBSS mit Externen Teilarbeitsmärkten.<br />
Diese vier Grundmuster von BBSS (Offen/Geschlossen;<br />
Primär/Sekundär) sollen<br />
im Folgenden kurz beschrieben werden. Die<br />
Darstellung der Grundtypen erfolgt nach<br />
deren drei Grundfunktionen: Allokation,<br />
Qualifikation und Gratifikation. Innerhalb<br />
der vier Grundmuster zeigt sich eine hohe<br />
Variantenvielfalt in der Allokations-, Qualifikations-<br />
und Gratifikationsfunktion, sowohl<br />
innerhalb der Erwerbsorganisationen als auch<br />
im zwischenbetrieblichen Vergleich. Diese<br />
Vielfalt soll dokumentiert und durch die Beschreibung<br />
einzelner Beschäftigungssysteme<br />
illustriert werden. Dabei konzentrieren wir<br />
uns auf jene Beschäftigungssysteme, die in den<br />
alten Segmentationsansätzen unterbelichtet<br />
oder ignoriert wurden.<br />
Gemeinsames Merkmal Geschlossener BBSS<br />
sind langfristige Beschäftigungsverhältnisse.<br />
Beide Arbeitsmarktparteien verzichten aus<br />
unterschiedlichen Gründen darauf, Alternativen<br />
des Externen Marktes zu nutzen. Der<br />
implizite und explizite Arbeitsvertrag lautet:<br />
Wir bleiben zusammen, bis dass die Rente<br />
oder ein externes Ereignis (z.B. eine ökonomische<br />
oder individuelle Krise) uns trennen.<br />
Durch die damit verbundene starke<br />
wechselseitige Bindung von Betrieb<br />
Seite 32 und Arbeitskraft verzichtet der<br />
Beschäftiger darauf, das vorhandene<br />
Personal gegen andere Personen auf den<br />
überbetrieblichen Arbeitsmärkten mit höherer<br />
Leistung und/oder geringeren Löhnen auszutauschen:<br />
„Die beste Beschäftigungsform ist<br />
eine langfristige Perspektive, Stammpersonal<br />
ist das Beste von der Qualität, von der Mitarbeiterzufriedenheit,<br />
der Kundenzufriedenheit,<br />
der Kundenorientierung, können Sie nehmen<br />
was Sie wollen.“ (P:O3). Konsequenterweise<br />
schlagen Veränderungen der Externen Arbeitsmärkte<br />
nicht direkt, sondern nur vermittelt<br />
über die zentralen Akteure der Erwerbsorganisation<br />
auf die Binnenstruktur der Allokation,<br />
Qualifikation und Gratifikation durch.<br />
Primäre Geschlossene BBSS<br />
Primäre Geschlossene BBSS zeichnen sich<br />
nach unserer Definition durch Langfristbeschäftigung<br />
und Existenz sichernde Einkommen<br />
aus (indiziert durch durchschnittliche bis<br />
überdurchschnittliche Einkommen).<br />
Qualifikation: Den Erwartungen des Humankapitalansatzes<br />
für „firm specific skills“ entsprechend,<br />
organisieren „Primäre Geschlossene<br />
BBSS“ Qualifikationen, die über längere Anlernung<br />
erzeugt werden und die traditionell als<br />
betriebsspezifisch charakterisiert werden, dies<br />
jedoch häufig nicht sind, da sie für ähnliche<br />
Tätigkeiten in anderen Betrieben ebenso nutzbar<br />
sind. In unserem Sample sind wir etwa im<br />
Maschinenbau (M:O1, M:O3, M:O4) in den<br />
Arbeitsbereichen der Serienfertigung (Produktion<br />
und Montage) auf Tätigkeiten mit solchen<br />
Anlernqualifikationen gestoßen.<br />
Abweichend von den Erwartungen des Humankapitalansatzes<br />
für „general skills“ finden sich<br />
aber in „Primären Geschlossenen BBSS“ auch<br />
berufsfachliche Qualifikationen, die klassisch<br />
eher Offenen Beschäftigungssystemen zugerechnet<br />
wurden (siehe Abschnitt 2). Berufsfachliche<br />
Qualifikationen sind in Deutschland
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
aber vielfach mit Geschlossenen Systemen<br />
gekoppelt, so etwa in der Kleinserienfertigung<br />
im Maschinenbau (M:O2, M:O4, M:W2), in<br />
der Kundenberatung vieler Banken (Bk:O1-3,<br />
Bk:W1) und bei komplexen Bautätigkeiten<br />
in großen und mittleren Baufirmen (B:O1,<br />
B:O2, B:W1). Im Bereich hoch qualifizierter<br />
Tätigkeiten haben wir „Primär Geschlossene<br />
BBSS“ mit berufsfachlich/akademischen<br />
Qualifikationen etwa in der Softwarebranche<br />
bei der Entwicklung komplexer Programme<br />
(S:O1, S:O2, S:W1) gefunden. Hier scheint<br />
die enge Verbindung zwischen dem Wissen<br />
der Mitarbeiter und dem komplexen Produkt<br />
langfristige Beschäftigungsbeziehungen zu begünstigen:<br />
„Das Hauptkapital sind die Köpfe,<br />
die kann ich mir auch mit noch so viel Geld<br />
nicht irgendwo backen“ (S:O2).<br />
Allokation: Merkmal der „Primären Geschlossenen<br />
Systeme“ ist eine im Verhältnis zu „Offenen<br />
BBSS“ hohe Binnenmobilität, die von<br />
den weniger attraktiven Eintrittspositionen<br />
auf die nach Arbeits- und Entlohnungsbedingungen<br />
bevorzugten Arbeitsaufgaben und<br />
Stellen führt. Weiterhin fungiert das Personal<br />
auf den Eintrittspositionen typischerweise als<br />
Selektionsvorrat und Puffer für die attraktiven<br />
Positionen. Im Rahmen dieser Merkmale zeigt<br />
sich auch in der Allokationsdimension eine<br />
erhebliche Varianz.<br />
So finden sich in unserem Sample „Primär<br />
Geschlossene BBSS“ mit vertikalen Mobilitätsketten,<br />
in denen tätigkeitsbasierte, aber<br />
durchaus komplexe Qualifikationen Schritt<br />
für Schritt erzeugt werden. Hier sind die Arbeitsplätze<br />
nach Qualifikationsanforderungen<br />
und Einkommen gestuft (entsprechend der<br />
Logik der in den Segmentationsansätzen<br />
beschriebenen „Internen Märkte“). Beispiele<br />
für solche betrieblichen Strukturen haben<br />
wir auf verschiedenen Qualifikationsniveaus<br />
gefunden. Ein klassisches Beispiel bilden<br />
die „Angelernten“ in den Industriebranchen,<br />
die auf der Basis einer für die neue Tätigkeit<br />
nicht einschlägigen Ausbildung im Handwerk<br />
eingesetzt und über Anlernketten Schritt für<br />
Schritt qualifiziert werden (z.B. M:W1, M:<br />
O4).<br />
„Primäre Geschlossene Beschäftigungssysteme“<br />
können jedoch auch nach Qualifikationen<br />
und Entlohnungsbedingungen flachere<br />
Hierarchien, also nur wenige Aufstiegspositionen<br />
aufweisen. Hier vollzieht sich die<br />
Binnenmobilität in Richtung auf die nicht<br />
notwendigerweise besser bezahlten, aber nach<br />
Arbeitsinhalten und -bedingungen attraktiveren<br />
Arbeitsplätze. Solche Allokationsmuster<br />
mit flacheren Hierarchien und überwiegend<br />
horizontaler Mobilität finden sich<br />
häufig in Kombination mit berufsfachlichen<br />
Qualifikationen. Zum anderen aber auch für<br />
Akademiker, etwa im institutionalisierten<br />
Weiterbildungsbereich (W:W3). Die dort<br />
tätigen „Weiterbildungsplaner“ oder „Weiterbildungsmanager“<br />
bringen überwiegend ein<br />
sozial- oder kulturwissenschaftliches Studium<br />
als Basisqualifikation mit, während die tätigkeitsbasierten<br />
Kompetenzen – Erfahrungen<br />
in der Erwachsenenpädagogik, „Akquise“ und<br />
Auswahl geeigneter Kursleiter, Pflege<br />
der Dozentenkontakte, Erarbeitung<br />
von Weiterbildungskonzepten<br />
Seite 33<br />
– durch betriebliche und überbetriebliche<br />
Anlernprozesse erworben werden: „Wir<br />
können auch keine Leute von der Uni nehmen,<br />
die gerade ihr Examen gemacht haben, die haben<br />
soviel Ahnung von Weiterbildung wie ich
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
vom Kühlschrankbau.“ ... „Weil Weiterbildung<br />
unabhängig von den Ausgangsqualifikationen<br />
ist, die jemand mitbringt. Es beruht sehr viel<br />
darauf, dass Erfahrungswissen angesammelt<br />
wird.“ (W:W3).<br />
Gratifikation: Die Gratifikationsfunktion zielt<br />
auf die Sicherstellung der Arbeitsmotivation<br />
und operiert mit Anreizen (Beschäftigungssicherheit,<br />
Arbeitsbedingungen, Einkommen)<br />
und Kontrollen bzw. Sanktionen. In Bezug<br />
auf den Anreiz ‚Beschäftigungssicherheit’<br />
weisen „Primär Geschlossene Systeme“ ein<br />
Alleinstellungsmerkmal auf. Sie versprechen<br />
langfristige Beschäftigungsperspektiven, wenn<br />
Mindestbedingungen an Leistung und Loyalität<br />
eingehalten werden und nicht gewichtige<br />
betriebliche Gründe dazwischentreten. Diese<br />
Mindestbedingungen können im zwischenbetrieblichen,<br />
interregionalen und historischen<br />
Vergleich unterschiedlich ausfallen: Einmal<br />
in Bezug auf individuelle Leistungen und Betriebszugehörigkeitsdauern<br />
und zum anderen<br />
in Bezug auf die Produktivität und Profitabilität<br />
des Betriebes. So haben etwa Banken und<br />
große Industrieunternehmen noch vor zwanzig<br />
Jahren sehr hohe und an Alter und Betriebszugehörigkeitsdauer<br />
gebundene Sicherheiten<br />
geboten, während diese heute immer stärker<br />
an Mindestbedingungen individueller und<br />
kollektiver Performanz gekoppelt werden: „Ja,<br />
das ist ganz normal: Die Leistung kontrollieren<br />
Sie also beim Gewerblichen, indem<br />
er die Leistungsvorgaben einhält,<br />
Seite 34 und beim Angestellten, indem er das<br />
erfüllt, was er machen muss; wenn er<br />
es nicht macht, muss er gehen.“ (B:O1).<br />
Neben der – immer relativen – Beschäftigungssicherheit<br />
bieten „Primär Geschlossene<br />
Systeme“ im Sinne des Turniermodells von Lazear<br />
(Lazear 2003) Aufstiegsmöglichkeiten in<br />
nach Arbeitsbedingungen und -inhalten sowie<br />
Einkommen attraktive Positionen im innerbetrieblichen<br />
Allokationsraum. Die Lohn- und<br />
Gehaltssysteme weisen dabei Komponenten<br />
auf, die mehr oder weniger stark an Betriebszugehörigkeitsdauer<br />
und Alter gebunden sind<br />
(Senioritätslöhne). Den Extremfall bilden<br />
Einrichtungen, die nach dem alten Bundesangestellten-Tarif<br />
(BAT) zahlen, wie einige an<br />
den öffentlichen Dienst angelehnten Betriebe<br />
in der Weiterbildung und Pflege. Hier wurden<br />
und werden bei der Einstufung Betriebszugehörigkeitsdauern<br />
im öffentlichen Dienst sowie<br />
das Alter angerechnet – diese Kriterien bestimmen<br />
einen erheblichen Teil des Gehalts. In der<br />
Mehrheit unserer nicht an den öffentlichen<br />
Dienst „angelehnten“ Untersuchungsbetriebe<br />
wird formal nach Qualifikation und Leistung<br />
bezahlt. Faktisch spielen jedoch unabhängig<br />
von Tarifbindung und Betriebsgröße „Bewährung“<br />
und „Loyalität“ in langfristiger Beschäftigung<br />
eine gewichtige Rolle (z.B. Bk:W2, Bk:<br />
O2, Bk:O4).<br />
Da in „Primären Geschlossenen BBSS“ langfristige<br />
Beschäftigungsperspektiven sowie<br />
durchschnittliche bis überdurchschnittliche<br />
Einkommen gegeben sind, findet sich auf<br />
der Basis von Interessenskongruenzen sowie<br />
von sozialmoralischen Orientierungen in der<br />
Regel auch eine gewisse Betriebsbindung, die<br />
„opportunistisches“ Verhalten einschränkt.<br />
Konsequenterweise sind die Kontrollsysteme<br />
weniger engmaschig gestrickt als in Offenen<br />
Beschäftigungssystemen, wo der zeitlich<br />
begrenzte Austausch von Leistung gegen Einkommen<br />
im Vordergrund steht. Dies kann sich<br />
ebenso auf prozess- wie auf ergebnisorientierte
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Kontrollen beziehen. So arbeiten etwa Stammbelegschaften<br />
in großen und kleinen Baubetrieben<br />
weitgehend selbständig. In den größeren<br />
Betrieben zeichnet sich eine Zunahme der<br />
ergebnisorientierten „indirekten Steuerung“<br />
(Sauer 2005) u.a. über Zielvereinbarungen ab,<br />
besonders deutlich zeigt sich dies in der Bankbranche<br />
(vgl. Bultemeier u.a. 2007).<br />
Sekundäre Geschlossene BBSS<br />
Der Niedriglohnsektor wird in Segmentationsansätzen<br />
traditionell durch hohe Beschäftigungsrisiken<br />
und kurze Beschäftigungsdauern<br />
charakterisiert und Externen Teilarbeitsmärkten<br />
zugeordnet. Die Empirie zeigt aber, dass<br />
Niedriglöhne relativ häufig auch in der Kombination<br />
mit langfristigen Beschäftigungsbeziehungen<br />
in „Geschlossenen BBSS“ auftreten<br />
(vgl. Baden u.a. 1996). Häufig handelt es sich<br />
um Hilfstätigkeiten in Unternehmen, die für<br />
die Mehrheit der besser bezahlten Arbeitsplätze<br />
mit „Geschlossenen BBSS“ operieren und<br />
wo Betriebsräte oder Personalräte einheitliche<br />
Regeln auch für die Erwerbsorganisation favorisieren<br />
und durchsetzen.<br />
Für die Beschäftigten ist entscheidend, dass sie<br />
keine Existenz sichernden Einkommen verdienen,<br />
also auf zusätzliche Einkommensquellen<br />
aus Zusatzjobs, staatlicher Unterstützung oder<br />
der Familie angewiesen sind. Die Beschäftiger<br />
ziehen aus der Schließung dieser BBSS wenig<br />
Vorteile, da im Niedriglohnsektor strukturell<br />
Arbeitskräfteüberschüsse vorhanden und damit<br />
die Transaktionskosten des Personalaustauschs<br />
gering sind. Konsequenterweise sind diese<br />
BBSS bei Veränderungen der betrieblichen<br />
Arbeitsbeziehungen oder des überbetrieblichen<br />
Institutionengefüges besonders schnell von<br />
einem Umbau in Richtung Offener Systeme<br />
betroffen (siehe Abschnitt 10). Es spricht<br />
daher vieles dafür, einen Typus Sekundärer<br />
Geschlossener BBSS einzuführen.<br />
Qualifikation: In der Regel handelt es sich um<br />
einfache Basisqualifikationen („Jederperson-<br />
Qualifikationen“). Die Arbeitsplätze sind<br />
häufig als Hilfstätigkeiten für direkt produktive<br />
Prozesse angelegt (M:O1). Auch Arbeitsplätze<br />
im Dienstleistungssektor, etwa in der<br />
Pflege (P:O4, P:W3), aber auch Servicefunktionen<br />
innerhalb von Erwerbsorganisationen<br />
in Lager, Küche, Reinigung, Wachdiensten<br />
usw. lassen sich diesem BBSS zuordnen.<br />
Allokation: In Bezug auf die Allokationsdimension<br />
findet sich – wie in den Primären<br />
Geschlossenen Systemen – ein geringes<br />
Austauschvolumen mit dem Externen Markt,<br />
dafür aber mehr Ein- und Austrittspositionen,<br />
weil weniger interne Mobilität zu verzeichnen<br />
ist. Hier rekrutierte Personen müssen ihre<br />
Tätigkeiten langjährig ausüben und haben nur<br />
geringe Aufstiegschancen in besser bezahlte<br />
Tätigkeiten. Die innerbetrieblichen Mobilitätsketten<br />
sind kurz und flach (M:O1, P:O4,<br />
P:W3).<br />
Gratifikation: In Bezug auf die Gratifikationsdimension<br />
fällt auf, dass neben einer<br />
längeren Beschäftigungsdauer kaum Anreize<br />
geschaffen werden. Es gibt so gut wie<br />
keine Aufstiegsmöglichkeiten und<br />
Entwicklungsperspektiven innerhalb<br />
Seite 35<br />
des BBSS. Gleichwohl gibt es die für<br />
Geschlossene Systeme typische Konkurrenz<br />
um die attraktiveren Arbeitsplätze des Allokationsraums.<br />
Hier geht es weniger um Geld<br />
als um Arbeitsbedingungen und -inhalte:
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Seite 36<br />
Betriebsältere und durchsetzungsfähige Beschäftigte<br />
versuchen physische und psychische<br />
Belastungen zu verringern (z.B. Pflege: Kampf<br />
um die besten Patienten und Wege). Aufgrund<br />
der geringen Einkommen und in der Regel<br />
hohen Arbeitsbelastungen ist die Identifikation<br />
mit Betrieb und Beschäftiger eher<br />
gering, konsequenterweise finden sich stark<br />
ausgebaute prozess- und ergebnisbezogene<br />
Steuerungs- und Kontrollsysteme, wie sie etwa<br />
von der Bandarbeit bekannt sind (z.B. M:O1,<br />
P:O4, P:W3).<br />
7. Grundmuster – Offene BBSS<br />
Während in Geschlossenen Systemen langfristige<br />
Beschäftigung die Regel bildet, zeichnen<br />
sich Offene BBSS durch mittelfristige<br />
und kurzfristige Beschäftigung aus. Betrieb<br />
und Beschäftigte gehen davon aus, dass die<br />
Beschäftigungsbeziehung in einem häufig<br />
vertraglich nicht definierten, aber begrenzten<br />
Zeithorizont aufgelöst wird, wenn eine der<br />
beiden Seiten eine bessere Alternative findet.<br />
Der implizite Arbeitsvertrag lautet: Wir<br />
bleiben solange zusammen wie es für beide<br />
Seiten von Vorteil ist. Konsequenterweise<br />
müssen sich die Beschäftigten immer auch an<br />
Löhnen und Leistungsniveaus auf den überbetrieblichen<br />
Arbeitsmärkten messen lassen,<br />
die Binnenstrukturen der „Offenen<br />
BBSS“ sind an die Allokations- und<br />
Lohnbildungsprozesse dieser Märkte<br />
angeschlossen.<br />
Primäre Offene BBSS<br />
Primäre Offene BBSS zeichnen sich durch<br />
Existenz sichernde Einkommen und überbetriebliche<br />
Beschäftigungssicherheit aus. Die<br />
hier Beschäftigten wechseln in mehr oder weniger<br />
großen Abständen den Betrieb, haben im<br />
Einzelbetrieb also eine mittel- bzw. kurzfristige<br />
Beschäftigungsdauer, gewinnen aber Einkommens-<br />
und Beschäftigungssicherheit dadurch,<br />
dass ihr Qualifikations- und Leistungsprofil in<br />
einer Vielzahl von Betrieben nachgefragt wird<br />
und damit häufige Betriebswechsel ermöglicht<br />
werden.<br />
Qualifikation: In BBSS diesen Typs finden sich<br />
erwartungsgemäß vor allem die in der alten<br />
Segmentationstheorie identifizierten Strukturen<br />
berufsfachlicher Arbeitsmärkte. Dies<br />
gilt besonders für die Bauwirtschaft, für Teile<br />
der Softwareindustrie, des Gesundheitswesens<br />
(P:W2, P:O1, P:O2) und im Maschinenbau.<br />
Hier hat sich in einem langen und voraussetzungsvollen<br />
historischen Prozess (auch in<br />
den großen Internen Märkten der ehemaligen<br />
DDR) eine Standardisierung und Normierung<br />
von Arbeitsplatz- und Qualifikationsprofilen<br />
durchgesetzt, die die zwischenbetriebliche<br />
Mobilität erleichtert.<br />
Entgegen den Erwartungen des Humankapitalansatzes<br />
und der alten Segmentationstheorie<br />
organisieren „Primär Offene BBSS“<br />
auch tätigkeitsbasierte Qualifikationen und<br />
Kompetenzen, die über betrieblich gesteuerte<br />
Anlernung erworben wurden und daher traditionell<br />
als stark betriebsspezifisch galten, mit<br />
der Folge einer hohen Betriebsbindung. Es<br />
handelt sich um nicht beruflich erzeugte und<br />
strukturierte, aber durchaus anspruchsvolle
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Qualifikationen, die häufig nach einer nicht<br />
einschlägigen allgemeinen, beruflichen oder<br />
akademischen Ausbildung im Rahmen innerund<br />
überbetriebliche Mobilitätsketten erworben<br />
werden. In unserem Sample sind wir vor<br />
allem in der Industrie bei Anlerntätigkeiten<br />
nach Berufswechsel (M:O3), in der Softwarebranche<br />
bei so genannten Quereinsteigern (S:<br />
W1) und teilweise im Weiterbildungssektor<br />
bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern aller<br />
Fachrichtungen auf Beschäftigungssysteme<br />
dieses Typs gestoßen. Bei Weiterbildungsplanern<br />
und Dozenten sowie bei Journalisten<br />
scheinen metafachliche Kompetenzen (etwa<br />
pädagogische oder Schreibkompetenzen) eine<br />
große Rolle zu spielen.<br />
Allokationsstruktur: Viele Stellen werden direkt<br />
vom Externen Arbeitsmarkt besetzt, aber auch<br />
– bei Bedarf – direkt zum Externen Arbeitsmarkt<br />
geräumt. Das Austauschvolumen mit<br />
dem Externen Arbeitsmarkt ist groß: Einmal<br />
erfolgt die Anpassung des Personals an das<br />
Personalvolumen beim Personalaufbau und<br />
-abbau relativ schnell und eher proportional.<br />
Zum anderen werden wahrgenommene,<br />
bessere Alternativen auf dem Arbeitsmarkt<br />
durch die Betriebe über den Austausch von<br />
Personal (Churning) und durch die Beschäftigten<br />
über den Wechsel des Beschäftigers<br />
realisiert. Aufstiegsmöglichkeiten auf besser<br />
bezahlte Arbeitsplätze bleiben in Offenen<br />
Systemen aufgrund des kurzen oder mittleren<br />
Zeithorizontes der Beschäftigungsbeziehung<br />
und der Kosten der Einarbeitung begrenzt.<br />
Die internen Mobilitätsketten sind relativ<br />
kurz und verlaufen eher horizontal. Beim Auswahlprinzip<br />
für Einstellungen, Umsetzungen<br />
und Entlassungen geht es in erster Linie um<br />
Qualifikation und Leistung.<br />
Gratifikation: Hinter der großen Vielfalt an<br />
Anreiz- und Kontrollsystemen lassen sich<br />
einige für alle Varianten Offener Systeme gemeinsame<br />
Merkmale identifizieren. So gehen<br />
Beschäftiger und Beschäftigte davon aus, dass<br />
der explizite oder implizite Arbeitsvertrag auf<br />
Zeit geschlossen wird, damit entfällt langfristige<br />
Beschäftigungssicherheit im Betrieb als<br />
Leistungsanreiz. Zentrale Voraussetzung der<br />
Verfügbarkeit und Leistungsbereitschaft der<br />
Beschäftigten sind Anschlussmöglichkeiten<br />
auf den Externen Arbeitsmärkten, also überbetriebliche<br />
Beschäftigungssicherheit. Hierbei<br />
handelt es sich um einzelbetrieblich nicht<br />
erzeugbare Voraussetzungen Offener BBSS<br />
(vgl. Lutz 1987; Marsden 1999). Auf dieser<br />
Basis können dann monetäre Leistungen und<br />
Reputationsangebote als zusätzliche Anreize<br />
wirken. Dabei kann es sich um Qualifizierungszertifikate<br />
sowie um dokumentierbare<br />
Leistungen (etwa bei abgeschlossenen Projekten<br />
oder Publikationen) und sonstige Signale<br />
(etwa die Reputation des Betriebes oder<br />
Vorgesetzten) handeln (vgl. Struck 2006).<br />
Aufgrund der zeitlichen Begrenzung der<br />
Beschäftigungsbeziehung, sind prozess- und<br />
ergebnisbezogene Kontrollsysteme in der Regel<br />
engmaschiger gestrickt als in den Primären<br />
Geschlossenen Systemen, weil Nettoerträge<br />
kurzfristig erwirtschaftet werden müssen (P:<br />
W2, P:O1, P:O2, M:O3, S:W1).<br />
„Sekundäre Offene BBSS“<br />
Seite 37<br />
Diese Systeme weisen definitionsgemäß<br />
hohe Beschäftigungsrisiken, indiziert<br />
durch zeitlich begrenzte Beschäftigungsdauern<br />
und Niedriglöhne, auf. Die begrenzten<br />
Beschäftigungsdauern ergeben sich dabei
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
teilweise aus Beschäftigerinteressen der<br />
schnellen Anpassung an Schwankungen des<br />
Arbeitsvolumens und der Marktsteuerung<br />
von Lohn und Leistung. Allerdings findet<br />
sich in BBSS dieses Typs auch eine überproportional<br />
hohe Rate der Eigenkündigungen<br />
aufgrund der unterdurchschnittlichen Löhne<br />
und teilweise schlechten Arbeitsbedingungen.<br />
Viele Beschäftigte nutzen „Sekundäre Offene<br />
BBSS“ als Durchgangsstation in das Primäre<br />
Segment oder als Zusatzverdienst bei Alternativrollen<br />
(bei Studenten (W:W3), Ehefrauen,<br />
Rentnern). Auch die hier mangels Alternative<br />
dauerhaft prekär beschäftigten Personen<br />
wechseln häufig den Arbeitsplatz, da sie nichts<br />
verlieren können und sich in dem begrenzten<br />
Rahmen zu verbessern suchen.<br />
Qualifikation: Entgegen den Erwartungen<br />
des Humankapital- und alten Segmentationsansatzes<br />
sind alle Qualifikationstypen in<br />
„Sekundären Offenen BBSS“ vertreten: unspezifische<br />
Jederperson-Basisqualifikationen,<br />
tätigkeitsbasierte sowie berufsfachliche und<br />
akademische Qualifikationen. Die klassischen<br />
„Jedermanns-Arbeitsmärkte“ für Niedrigqualifikationen<br />
sind gut dokumentiert (vgl. Brinkmann<br />
u.a. 2006). Ihnen werden abhängige<br />
Randbelegschaftspositionen in der Industrie<br />
mit ansonsten stabilen Unternehmen (M:W1,<br />
M:W2, M:O1, M:O3, M:O4) ebenso zugerechnet<br />
wie alleinstehende BBSS im Niedriglohnsektor<br />
bei polnischen Verputzerkolonnen<br />
in der Bauindustrie (B:<br />
Seite 38 W5). Diese Systeme „alimentieren“<br />
sich in West- und Ostdeutschland<br />
aus einer „Reservearmee“ von Personen ohne<br />
Ausbildungszertifikate oder mit nicht-marktgängigen<br />
Berufsabschlüssen (Bäcker, Tischler,<br />
FriseurInnen, FloristInnen usw.). Auch in<br />
diesen BBSS finden Anlernprozesse statt und<br />
die Übergänge von Niedrigqualifikationen zu<br />
tätigkeitsbasierten Anlernqualifikationen sind<br />
fließend.<br />
Interessant ist aber, dass sich vergleichbare<br />
Strukturen mittlerweile auch für berufsfachliche<br />
und akademische Qualifikationen ausbreiten.<br />
In unserem Sample arbeiten etwa in<br />
der Weiterbildung (W:O3, W:O4, W:W1-3,<br />
W:W5) viele Dozenten mit Niedriglöhnen<br />
unterhalb des Einkommensmedians und mit<br />
zeitlich begrenzten Verträgen (dies gilt insbesondere<br />
für viele Praktikanten). Auch hinter<br />
diesem System steht ein Arbeitskräfteüberschuss<br />
auf den Externen Arbeitsmärkten, der<br />
sich in Westdeutschland aus den Absolventen<br />
der geburtenstarken Jahrgänge und den hohen<br />
Studierquoten für Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen<br />
alimentiert. In Ostdeutschland<br />
bildet die strukturell hohe Unterbeschäftigung<br />
verbunden mit einer öffentlich finanzierten<br />
„Weiterbildungsindustrie“ den Hintergrund.<br />
Allokation: Bei diesem Grundmuster an BBSS<br />
findet sich ähnlich wie bei den „Primären<br />
Offenen BBSS“ ein hohes Austauschvolumen<br />
mit dem Externen Markt. Die Arbeitsplätze<br />
werden in der Regel direkt von außen besetzt<br />
und nach außen geräumt, so dass eine hohe<br />
Zahl an Ein- und Austrittspositionen vorliegt.<br />
Innerbetriebliche Personalströme sind kaum<br />
vorhanden.<br />
Gratifikation: Diese Systeme bieten weder attraktive<br />
Löhne noch Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
Der Vorteil für die Beschäftigten besteht in der<br />
aufgrund des hohen Austauschvolumens hohen<br />
Zahl an Arbeitsmöglichkeiten ohne spezifische<br />
Qualifikationsvoraussetzungen. Für Personen
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Beschäftigungssicherheit<br />
mittlere und<br />
hohe Einkommen<br />
Allokation-<br />
Extern<br />
Aufbau<br />
Abbau<br />
Allokation Intern<br />
Geschlossen<br />
Langfristperspektiven<br />
innen vor außen<br />
wenig Ein-Austrittspositionen<br />
wenig Abbau nach<br />
Seniorität und Leistung<br />
lange Mobilitätsketten nach<br />
Seniorität und Leistung<br />
Offen<br />
Kurz-, Mittelfristperspektiven<br />
außen vor innen<br />
viele Ein- Austrittspositionen<br />
viel Austausch<br />
nach Leistung<br />
kurze Mobilitätsketten<br />
nach Leistung<br />
Qualifizierung<br />
Typus<br />
Betriebl.<br />
Weiterbildung<br />
Finanzierung<br />
Gratifikation<br />
Anreiz<br />
Kontrolldichte<br />
tätigkeitsbasiert,<br />
berufsfachlich<br />
viel<br />
eher Beschäftiger<br />
betriebsbasierte Sicherheit,<br />
Aufstiege, Senioritätslöhne<br />
gering<br />
eher berufsfachlich,<br />
aber auch tätigkeitsbasiert<br />
mittel/gering<br />
eher Beschäftigte/geteilt<br />
Zwischenbetriebliche<br />
Anschlüsse, Marktlöhne<br />
hoch<br />
Abb. 7.1: Merkmale Primärer Geschlossener und Offener BBSS<br />
mit Alternativrollen in der Familie oder der<br />
Ausbildung kann der Vorteil in der zeitlichen<br />
Flexibilität liegen, sowohl im Hinblick auf<br />
den Umfang als auch die Lage der Arbeitszeit.<br />
Wie bei den „Sekundären Geschlossenen<br />
BBSS“ wird wenig verdient und die<br />
Arbeitsbedingungen werden häufig als negativ<br />
bewertet. Konsequenterweise findet sich eine<br />
hohe Kontrolldichte (W:O4, W:W1, W:W5).<br />
Seite 39
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
8. Varianten Geschlossener und Offener<br />
BBSS<br />
Die oben beschriebene Typologie von Beschäftigungssystemen<br />
(Zusammenfassung<br />
siehe Abb. 7.1) bestätigt Grundannahmen der<br />
Segmentationsansätze, so wie sie bereits in<br />
den 70er Jahren für die alte Bundesrepublik<br />
entwickelt wurden. Unsere Befunde legen<br />
jedoch ebenso wie empirische Analysen zu<br />
Entwicklungstrends der letzten 20 Jahre und<br />
neuere konzeptuelle Überlegungen (z.B. zum<br />
Arbeitskraftunternehmer und zur Subjektivierung<br />
der Arbeit) nahe, die Typologie zu<br />
vertiefen. Wir schlagen vor, sowohl Geschlossene<br />
als auch Offene BBSS zusätzlich in einer<br />
horizontalen Dimension zu untergliedern.<br />
Varianten Geschlossener BBSS<br />
Gemeinsames Merkmal Geschlossener BBSS<br />
ist das Versprechen und die reale Chance einer<br />
langfristigen Beschäftigung bis zur Verrentung.<br />
Es liegen jedoch Welten zwischen den<br />
traditionellen gewerkschaftlich kontrollierten<br />
und institutionalisierten, großen Internen Arbeitsmärkten,<br />
etwa im klassischen öffentlichen<br />
Dienst oder der großen Industrie, einerseits<br />
und den auch Geschlossenen, aber viel weniger<br />
regulierten und flexibleren Beschäftigungssystemen,<br />
etwa in den kleinen und mittleren<br />
Betrieben der Softwareindustrie, andererseits.<br />
Erstere bieten eine hohe und an die<br />
Betriebszugehörigkeit gebundene<br />
Seite 40 Beschäftigungssicherheit (senioritätsbasierte<br />
Systeme). Bei Letzteren<br />
finden sich eher qualifikations- und leistungsbezogene<br />
Allokationsregeln und Sicherheiten<br />
(leistungsbasierte Systeme).<br />
Die internen Allokationsregeln fallen unterschiedlich<br />
aus. In senioritätsbasierten Geschlossenen<br />
Systemen werden vakante Stellen nach<br />
Betriebserfahrung und Betriebsalter besetzt,<br />
in leistungsbasierten nach Qualifikations- und<br />
Leistungskriterien. Im ersten Fall kommen die<br />
Betriebsälteren auf die besseren Positionen:<br />
Eintrittspositionen in das BBSS sind die<br />
niedriger qualifizierten und entlohnten Jobs.<br />
Wenn der Stellenkegel wächst, gibt es eine<br />
Aufwärtsmobilität; bei einer Schrumpfung<br />
eine Abwärtsmobilität bzw. einen Verdrängungsprozess<br />
von oben nach unten. Auf diese<br />
Weise können auch schwankungsempfindliche<br />
Organisationen den Betriebsälteren im Zeitverlauf<br />
eine hohe Sicherheit bieten. Beispiele<br />
für solche senioritätsbasierten Primären Systeme<br />
finden sich in unserem Sample bei institutionalisierten<br />
sozialen Diensten (z.B. P:O4,<br />
W:W3) sowie bei Sparkassen (z.B. Bk:W2; vgl.<br />
Bernhardt u.a. 2007, in diesem Heft).<br />
Auch in leistungsbasierten Geschlossenen BBSS<br />
sind langfristige Beschäftigungsperspektiven<br />
gegeben, diese werden aber an individuelle<br />
Leistungsstandards und die kollektive Produktivität<br />
und Profitabilität von Unternehmensbereichen<br />
und Betriebsstätten gebunden. Auch<br />
hier konkurrieren beim Personalaufbau und interner<br />
Stellenbesetzung Insider um die attraktiven<br />
Positionen in der Organisation. Sie werden<br />
im Gegensatz zu den senioritätsbasierten<br />
Systemen eher mit den durchsetzungsfähigen<br />
sowie qualifikations- und leistungsstarken Personen<br />
besetzt; dies können, aber müssen nicht<br />
die Betriebsälteren sein. Statistisch findet man<br />
einen weniger starken Zusammenhang von<br />
Betriebsalter und Position mit Einkommen,<br />
Status etc. als bei eher senioritätsbezogenen Allokationsregeln.<br />
Auch beim Personalabbau geht<br />
man eher nach Qualifikation und Leistung vor:
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Entlassen werden die eher qualifikations- und<br />
leistungsschwachen Personen auf den unteren<br />
Ebenen der Arbeitsplatzhierarchie. Auch hier<br />
gibt es Verdrängungsprozesses von „oben“ nach<br />
„unten“, aber sie folgen anderen Regeln (vgl.<br />
Köhler/Preisendörfer 1989).<br />
Beispiele für Primäre und Sekundäre leistungsbasierte<br />
Systeme finden sich zunächst einmal<br />
in einer Vielzahl an Klein- und Kleinstbetrieben<br />
quer zur Branchenauswahl. Die Aufnahme<br />
in die „Betriebsfamilie“ ist an ein hohes Maß<br />
an Leistung und Loyalität gebunden (z.B. W:<br />
O1, B:W2, B:O3, M:W2, M:O1, M:O2). Bei<br />
den größeren Betriebsstätten haben in unserem<br />
Sample insbesondere die Privatbanken und<br />
teilweise Sparkassen auf Leistungssysteme<br />
umgestellt (Bk:W3-2. Welle), wobei die ostdeutschen<br />
Niederlassungen häufig das Experimentierfeld<br />
abgegeben haben (Bk:O3). Im erweiterten<br />
Sample (Fälle der Lehrforschungen<br />
2004/2005; 2005/2006) finden sich Primäre<br />
leistungsbasierte Systeme ebenso bei Banken,<br />
im Bau, in der Chemie- sowie Gesundheitsbranche<br />
und besonders in der Metallbranche<br />
(vgl. Bernhardt u.a. 2007, in diesem Heft).<br />
Varianten Offener BBSS<br />
Auf der Basis der neueren Diskussion um<br />
Randbelegschaften, Scheinselbstständige, Arbeitskraftunternehmer<br />
etc. sowie der eigenen<br />
Empirie ist es sinnvoll, auch die „Offenen<br />
BBSS“ nach dem Grad der Schließung weiter<br />
zu differenzieren. Es macht einen Unterschied,<br />
ob Beschäftiger und Beschäftigte in einem<br />
klassischen berufsfachlichen Markt für mehrere<br />
Jahre zusammenbleiben, bis eine der beiden<br />
Seiten Vorteile aus einer Kündigung zieht,<br />
oder ob für beide Seiten das baldige Ende der<br />
Beschäftigung bereits beim Betriebseintritt<br />
feststeht.<br />
Deshalb haben wir im Anschluss an die angelsächsische<br />
Diskussion zwischen betriebsförmigen<br />
Offenen BBSS (mit mittelfristiger<br />
Beschäftigung von zwei bis zehn Jahren) und<br />
marktförmigen Offenen BBSS (mit kurzfristiger<br />
Beschäftigung von bis zu zwei Jahren)<br />
unterschieden (Abb. 8.1). Beschäftigungsbeziehungen<br />
mit marktförmigen BBSS sind<br />
kurzfristiger Natur und nähern sich Kaufverträgen<br />
über Arbeitsleistung an. Sie sind aber<br />
damit nicht identisch, da die Personen für eine<br />
begrenzte Zeit in die Organisation hineintreten,<br />
also Mitgliedschaftsrollen annehmen<br />
und sich der Weisungsbefugnis des Managements<br />
unterwerfen. Die Beziehung ist daher<br />
nicht marktlich im Sinne von Kaufverträgen,<br />
sondern marktförmig. Mittelfristige Beschäftigungsbeziehungen<br />
sind stärker durch die<br />
Organisation geprägt, daher betriebsförmig.<br />
Betriebsförmige Offene BBSS mit mittelfristiger<br />
Beschäftigung finden sich sowohl im<br />
Primären als auch im Sekundären Segment<br />
des Arbeitsmarktes. Im Primären Segment<br />
handelt es sich zunächst um die in der alten<br />
Segmentationstheorie identifizierten<br />
Strukturen berufsfachlicher Arbeitsmärkte.<br />
Im berufsfachlichen Typus sind in unserem<br />
Sample Systeme für Baufacharbeiter (B:O1)<br />
und Pflegekräfte (P:W2) stark vertreten.<br />
Bei einer Minderheit der Fälle<br />
gilt dies auch für Bankkaufleute und<br />
Seite 41<br />
Betriebswirte (Bk:W1, Bk:O2). Im<br />
Sekundären Segment finden sich betriebsförmige<br />
Offene BBSS ebenso im Bauwesen.(B:<br />
O4, B:O1, B:W2).
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Die marktförmigen Offenen Systeme zeichnen<br />
sich durch kurzfristige Beschäftigung aus, die<br />
häufig mit atypischen Verträgen (Befristung,<br />
Leiharbeit, Geringfügigkeit, freie Mitarbeit)<br />
verbunden wird. Für die große Mehrheit der<br />
Beschäftigten endet das Arbeitsverhältnis im<br />
Betrieb nach einer kurzen und absehbaren<br />
Zeitspanne, d.h. es besteht keine mittel- und<br />
Interne Arbeitsmärkte<br />
Geschlossene BBSS<br />
Externe Arbeitsmärkte<br />
Offene BBSS<br />
Primär<br />
senioritätsbasiert<br />
leistungsbasiert<br />
betriebsförmig<br />
marktförmig<br />
Sekundär<br />
senioritätsbasiert<br />
leistungsbasiert<br />
betriebsförmig marktförmig<br />
Abb. 8 .1 Arbeitsmarktsegmentation und BBSS – eine erweiterte Typologie<br />
längerfristige Anschluss- bzw. Übernahmeperspektive.<br />
Die erforderlichen Qualifikationen<br />
werden über kurze Anlernprozesse erworben.<br />
Arbeitsplätze werden hier zumeist direkt vom<br />
Externen Arbeitsmarkt besetzt.<br />
Seite 42 Auch marktförmige Offene BBSS<br />
sind sowohl im Primären als auch<br />
im Sekundären Segment zu finden. Im Primären<br />
Segment gilt dies für berufsfachliche<br />
Qualifikationen in der Zeitarbeit in der<br />
Produktion (M:O3, M:O4, M:W1) aber auch<br />
für Free Lancer, die hochverantwortungsvolle<br />
Tätigkeiten der Projektleitung in der Bau- und<br />
Softwareindustrie (B:W1) übernehmen. Entsprechende<br />
Beschäftigungssysteme fungieren<br />
als Ergänzung zu anderen Systemen innerhalb<br />
des Unternehmens als – gewissermaßen – abgeschottete<br />
Randbelegschaft, können aber auch<br />
Geschäftsprozesse und Arbeitssysteme alleinstehend<br />
tragen. Im Sekundären Segment sind<br />
marktförmige Offene BBSS weit verbreitet. So<br />
lassen sich in BBSS diesen Typs tätigkeitsbasierte<br />
Qualifikationen bei freien Dozenten in<br />
der Weiterbildung finden (z.B. W:O4, W:W1).<br />
Weitere Beispiele sind Verputzkolonnen (B:<br />
W5) und Saisonkräfte im Bau (B:O2).
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Offene BBSS – Qualifizierung für den Arbeitsmarkt<br />
Das empirische Material verweist schließlich<br />
auf eine Vielzahl an zeitlich begrenzten<br />
Beschäftigungsverhältnissen, die produktive<br />
Arbeit mit formalisierten Qualifizierungselementen<br />
verbinden (wie etwa in Praktika, aber<br />
auch in der Ausbildung im dualen System)<br />
und nach deren Abschluss enden. Es könnte<br />
sich hier um das Grundmuster einer neuen<br />
Beschäftigungsbeziehung handeln, in der keine<br />
betriebliche Arbeitsplatzsicherheit, wohl aber<br />
über Qualifizierung Beschäftigungsfähigkeit<br />
für die Externen Märkte garantiert wird.<br />
Bei zeitlich begrenzten Beschäftigungsverhältnissen<br />
diesen Typs handelt es sich einmal um<br />
Aus- und Weiterbildung mit arbeitsmarktgängiger<br />
Zertifizierung, andererseits aber auch um<br />
Beschäftigung mit geringer Bezahlung und<br />
Qualifizierungselementen ohne anerkannten<br />
Abschluss. Letzteres nimmt immer mehr zu<br />
und findet sich für alle Qualifikationsniveaus<br />
und -typen (Praktikanten in Arbeitsamtskursen,<br />
Studenten-Praktika, Trainees verschiedenster<br />
Art). Publizisten sprechen von der<br />
„Generation Praktikum“ oder der „Génération<br />
Précair“. Da die Kombination von produktiver<br />
Arbeit mit mehr oder weniger ausgeprägten<br />
Qualifizierungselementen und geringer Bezahlung<br />
stark zugenommen hat, darf diese Art der<br />
Beschäftigungsbeziehung in einer Typologie<br />
von Beschäftigungssystemen nicht vergessen<br />
werden.<br />
Zum Typus Offener BBSS gehören diese „Qualifizierungssysteme“<br />
nach unseren Definitionen<br />
dann, wenn die Wahrscheinlichkeit eines langfristigen<br />
Verbleibs in der Organisation nach<br />
Beendigung des Vertrags gering ist. Die hier<br />
Beschäftigten müssen also den Betrieb nach<br />
Abschluss der Qualifizierung verlassen. Die<br />
BBSS funktionieren unter diesen Voraussetzungen<br />
nur dann, wenn die Beschäftiger durch<br />
den produktiven Einsatz einen Nettoertrag<br />
einfahren und die Beschäftigten sich durch<br />
den Erwerb von Qualifikationen, Zertifikaten<br />
und Reputationen einen höheren Marktwert<br />
versprechen. Theoretisch interessant sind<br />
diese Beschäftigungsverhältnisse, weil sie auf<br />
eine besondere Lösung des Grundproblems<br />
Offener BBSS verweisen (vgl. Struck 2006):<br />
Wie können Beschäftigte motiviert werden,<br />
wenn das Ende der Beschäftigungsbeziehung<br />
absehbar ist?<br />
Wir ordnen solche Beschäftigungsverhältnisse<br />
dann dem Primären Segment zu, wenn Nachwuchskräfte<br />
verschiedener Bildungsniveaus<br />
innerhalb und außerhalb des Arbeitsprozesses<br />
einschlägige Qualifikationen erwerben und<br />
den Betrieb nach Abschluss der Qualifizierungsphase<br />
mit einem arbeitsmarktgängigen<br />
Zertifikat verlassen. Sekundär sind zeitlich<br />
begrenzte Beschäftigungsverhältnisse mit<br />
Qualifizierungsanteilen dann, wenn sie ohne<br />
anerkannte und arbeitsmarktgängige Zertifikate<br />
abgeschlossen werden. Hier macht die<br />
Rede von der „Génération Précair“ Sinn. Wir<br />
definieren arbeitsmarktgängige Zertifikate<br />
im Anschluss an die Regelungen für berufsfachliche<br />
Qualifikationen durch eine<br />
Ausbildungszeit von mindestens zwei<br />
Jahren und eine überbetrieblich an-<br />
Seite 43<br />
erkannte Prüfung. In diese Kategorie<br />
fallen sowohl klassische Ausbildungsverhältnisse<br />
als auch Abschlüsse für Steuerberater<br />
und Zertifikate auf der Basis von Hochschulabschlüssen<br />
(z.B. für Fachärzte).
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Seite 44<br />
Im Rahmen der dualen Berufsausbildung sind<br />
solche Qualifizierungssysteme in Primären<br />
Offenen BBSS in Teilen des Handwerks weit<br />
verbreitet. In unserem Kernsample betraf<br />
dies insbesondere Ausbildungsverhältnisse<br />
im ostdeutschen Bau (z.B. B:O2), wobei die<br />
Übernahmechancen strukturell schlecht sind.<br />
Geringe betriebliche Verbleibsquoten nach<br />
der Qualifizierung zeigten sich auch in großstädtischen<br />
Sparkassen (Bk:O3) und Teilen<br />
der Privatbanken (Bk:W1) – hier erfolgte<br />
der Austritt allerdings eher auf Initiative der<br />
Ausgebildeten. Für sie boten sich in den Ausbildungsunternehmen<br />
kaum Karrieremöglichkeiten,<br />
so dass oft ein Wechsel an die<br />
Universität oder zu anderen Banken mit dem<br />
Zweck der Weiterqualifizierung erfolgte. Da<br />
die Ausbildungsinstitution jedoch eine solide<br />
Ausbildung bietet, einen guten Ruf genießt<br />
und sich damit berufliche Anschlussmöglichkeiten<br />
eröffnen, bewerben sich immer wieder<br />
Auszubildende. Dies stabilisiert die Qualifizierung<br />
in Offenen BBSS (Bk:W1).<br />
Die Arbeitskräftegruppen des Offenen BBSS<br />
mit Qualifizierung tragen einen erheblichen<br />
Teil der produktiven Geschäftsprozesse,<br />
verlassen aber nach Erhalt des arbeitsmarktgängigen<br />
Zertifikats das Unternehmen. Voraussetzung<br />
für diese Systeme sind strukturelle<br />
und überzyklische Arbeitskräfteüberschüsse<br />
für den Nachwuchs der jeweiligen Tätigkeiten<br />
und Berufe – andernfalls würde das<br />
qualifizierte Personal übernommen;<br />
die Ausbildung wäre in die jeweiligen<br />
Beschäftigungssysteme integriert.<br />
Qualifizierung in Sekundären Offenen BBSS der<br />
„Génération Précair“ auf der Basis befristeter<br />
Verträge, geringer Bezahlung und geringer<br />
Qualifizierungsanteile ohne anerkannte und<br />
arbeitsmarktgängige Zertifikate ist mittlerweile<br />
gut dokumentiert (unter anderem Brinkmann<br />
u.a. 2006). Viele Unternehmen nutzen hier<br />
billige Arbeitskräfte für einfache Aufgaben. In<br />
unserem Sample betrifft dies etwa Firmen der<br />
Weiterbildung und der Softwareindustrie. Für<br />
die jungen Nachwuchskräfte bieten sich hier<br />
auch ohne signifikante Qualifizierungsanteile<br />
Überbrückungsmöglichkeiten und Reputationsgewinne<br />
als Anreiz (S:O3, S:W1, W:W5,<br />
W:O1).<br />
9. Erklärungsprobleme und –ansätze<br />
Als Ergebnis unserer vorangestellten Überlegungen<br />
unterscheiden wir nach dem Niveau<br />
der Schließung zwischen Geschlossenen<br />
und Offenen Systemen sowie nach dem<br />
Beschäftigungs- und Einkommensrisiko zwischen<br />
Primären und Sekundären BBSS. Die<br />
entsprechenden Fallanalysen bestätigen die<br />
klassische Segmentationsmatrix mit ihren vier<br />
Grundvarianten an Teilarbeitsmärkten. Unsere<br />
eigenen Untersuchungen legen es jedoch<br />
ebenso wie die neuere Arbeitsmarktforschung<br />
nahe, die Typologie zu erweitern. Wir bilden<br />
sowohl für Geschlossene als auch für Offene<br />
BBSS – wiederum nach dem Grad der Schließung<br />
– jeweils zwei Varianten: Geschlossene<br />
Systeme sind entweder „senioritätsbasiert“ oder<br />
„leistungsbasiert“. Offene BBSS unterscheiden<br />
sich in „betriebsförmige“ und „marktförmige“<br />
Systeme.<br />
Wir haben in den vorangestellten empirischen<br />
Analysen bewusst auf schnelle und<br />
übergreifende Erklärungslinien verzichtet.
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Konzepte Interner und Externer Arbeitsmärkte<br />
wurden in den vergangenen Jahrzehnten<br />
derart mit mikro- und makrosoziologischen<br />
und -ökonomischen Ansätzen aufgeladen<br />
und überladen, dass es zunächst darum ging,<br />
sich der Grundannahmen und empirischer<br />
Entwicklungslinien zu versichern. In diesem<br />
Abschnitt unternehmen wir den Versuch, die<br />
vorliegenden Erklärungsansätze zu sichten und<br />
eine Forschungsstrategie im Umgang mit den<br />
Erklärungsproblemen zu formulieren.<br />
Für die Analyse betrieblicher Beschäftigungspolitik<br />
und BBSS müssen wir zeigen, aufgrund<br />
welcher Interessen, Orientierungen und Constraints<br />
betriebliche Entscheider handeln – also<br />
eine Mikro-Perspektive einnehmen. Hier hat<br />
die neoinstitutionalistische Arbeits- und<br />
Personalökonomik die soziologische Arbeitsmarkt-<br />
und Organisationsforschung seit den<br />
80er Jahren weit überholt (vgl. Alewell 1993;<br />
Baron/Kreps 1999; Sadowski 2002; Sesselmeier/Blauermel<br />
1997) und die Vielfalt und<br />
Komplexität der Ansätze ist für den Außenstehenden<br />
kaum noch überschaubar.<br />
Klassische Kausalitätsannahmen – Erklärungsprobleme<br />
Ausgangspunkt vieler Ansätze ist immer noch<br />
die Humankapitaltheorie (Becker 1975), die<br />
zwischen „specific skills“ und „general skills“<br />
unterscheidet. Betriebsspezifische Qualifikationen<br />
sind nicht zwischen Betrieben<br />
transferierbar. Investitionen in diesen Qualifikationstypus<br />
führen zur Betriebsbindung, also<br />
zur Schließung von BBSS, da beide Arbeitsmarktparteien<br />
die Erträge sichern wollen.<br />
Die Stärke des Transaktionskostenansatzes<br />
(Williamson 1985, 1996) besteht in der Ausweitung<br />
des mikroökonomischen Blicks auf<br />
Markttransaktionen und Informationsasymmetrien,<br />
Letztere stehen im Prinzipal-Agent-<br />
Ansatz im Vordergrund. Er thematisiert das<br />
sog. Transformationsproblem der Arbeit und<br />
stellt damit das Bezugsproblem der Kontrolle<br />
und Leistung gleichrangig neben das Qualifikationsproblem.<br />
Im Rahmen des Transaktionskostenansatzes<br />
sind in den letzten 20 Jahren<br />
eine Vielzahl an bahnbrechenden Studien<br />
entstanden. Nienhüser plädiert dafür, diesen<br />
Ansatz gegen sich selbst bzw. gegen Engführungen<br />
zu schützen und ihn kritisch zu nutzen<br />
(vgl. Alewell/Hackert 1998; Nienhüser 2004).<br />
Die eher soziologisch inspirierten Vertrauensansätze<br />
stellen das Transformationsproblem<br />
von Arbeitskraft in den Vordergrund ihrer<br />
Analysen, thematisieren allerdings im Gegensatz<br />
zu den meisten ökonomischen Ansätzen<br />
nicht nur die instrumentellen, sondern auch<br />
die normativen und sozialmoralischen Voraussetzungen<br />
von Motivation und Kooperation<br />
(Behrens 1984; Behrens/Heinz 1991; Seifert/<br />
Pawlowski 1998). Diese Fragen werden neuerdings<br />
in einem anerkennungstheoretischen<br />
Bezugsrahmen reformuliert und erweitert<br />
(Deutschmann 2002; Brose/Diewald/Goedicke<br />
2005; Holtgrewe/Voswinkel/Wagner<br />
2000).<br />
Den Ausgangspunkt der Arbeit an<br />
einem Erklärungsmodell Betrieb-<br />
Seite 45<br />
licher Beschäftigungssubsysteme<br />
bildete die Auseinandersetzung mit dem<br />
Humankapitalansatz und dessen Derivaten,<br />
denen zufolge Investitionen in betriebsspezifische<br />
Qualifikationen zur Betriebsbindung,
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
also zur Schließung von BBSS führen, da beide<br />
Arbeitsmarktparteien die Erträge sichern<br />
wollen. Dieses Argument ist aufgrund seiner<br />
Eleganz und Plausibilität auch in die späteren<br />
und komplexeren Theorieansätze der Arbeitsund<br />
Personalökonomik eingegangen und<br />
noch heute aktuell (Lazear 2003; Sadowski<br />
2002). Aus unserer Sicht ist das Argument der<br />
„betriebsspezifischen Qualifikation“ jedoch<br />
nicht mehr als Allzweckwaffe der Arbeitsmarktforschung<br />
brauchbar, wofür begriffliche<br />
Unschärfen und die begrenzte empirische Erklärungskraft<br />
ausschlaggebend sind (Alewell<br />
1993; Struck 2006).<br />
Jede Tätigkeit weist einen Anteil von Aufgaben<br />
und Aufgabenkombinationen auf, die für den<br />
Betrieb einmalig sind. Die entsprechenden<br />
betriebsspezifischen Qualifikationskomponenten<br />
können sich aus Produktmerkmalen<br />
bzw. Kundenbeziehungen sowie aus den<br />
Prozesstechnologien, Organisationsformen<br />
und Kooperationsbeziehungen ergeben. Jede<br />
Tätigkeit zeichnet sich damit durch eine<br />
Mischung aus betriebsspezifischen und nichtbetriebsspezifischen<br />
Qualifikationen aus<br />
(Lazear 2003). Die Frage ist, ob Unterschiede<br />
im Mischungsverhältnis unterschiedliche Beschäftigungsdauern<br />
erklären.<br />
Ein Blick auf unsere Fälle und Beschäftigungssysteme<br />
zeigt, dass die Erklärungskraft<br />
des Spezifitätsargumentes für unterschiedliche<br />
Beschäftigungsperspek-<br />
Seite 46 tiven begrenzt bleibt. CNC-Maschinenbediener<br />
im Maschinenbau weisen<br />
ebenso wie BuchhalterInnen in verschiedenen<br />
Branchen lange Beschäftigungsperspektiven<br />
auf, ohne dass wir es mit besonders hohen Anteilen<br />
an betriebsspezifischen Qualifikationen<br />
zu tun haben (vgl. Abschnitt 6). Es handelt sich<br />
vielmehr um stark berufsfachlich strukturierte<br />
Tätigkeitsfelder mit hohen arbeitsplatz- und<br />
betriebsübergreifenden Qualifikationsanteilen.<br />
CNC-Maschinenbediener übersetzen komplizierte<br />
geometrische Vorgaben in mechanische<br />
Teile mit hohen Genauigkeitsanforderungen.<br />
Für welche Endprodukte welcher Hersteller<br />
die Teile genutzt werden, ist dabei unerheblich.<br />
Buchhaltungssysteme sind betriebswirtschaftlich,<br />
rechtlich und softwaretechnisch hochgradig<br />
normiert, so dass auch hier hohe Anteile<br />
nicht betriebsspezifischer Qualifikationen<br />
gefordert sind. Statistische Analysen unseres<br />
<strong>SFB</strong>-Betriebspanels stützen Zweifel an der<br />
Stärke des Spezifitätsargumentes (Struck u.a.<br />
2007).<br />
Ähnliche Argumente lassen sich für Geschlossene<br />
Beschäftigungssysteme mit langen<br />
Beschäftigungsperspektiven bei Hochqualifizierten<br />
geltend machen. Das Spezifitätsargument<br />
dürfte z.B. nicht erklären können, warum<br />
Maschinenbau-Ingenieure und Betriebswirte<br />
in der Buchhaltung überwiegend lange und<br />
Software-Ingenieure teilweise nur begrenzte<br />
Beschäftigungsperspektiven haben. Ingenieure<br />
in Maschinenbau und Chemie weisen durch<br />
die Verwissenschaftlichung des Wissens einen<br />
hohen Anteil allgemeiner Qualifikationen auf.<br />
Software-Engineering hat durch Standardisierung<br />
von Programmiersprachen, -werkzeugen<br />
und Ausbildungsgängen einen Professionalisierungsschub<br />
durchlaufen und dürfte sich in dieser<br />
Hinsicht heute kaum noch den technischen<br />
Ingenieurwissenschaften unterscheiden.<br />
Ebenso problematisch sind Annahmen über<br />
einen pauschalen Zusammenhang von Qualifikationsniveau<br />
und Beschäftigungsdauern, wie
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
sie teilweise aus den soziologisch inspirierten<br />
Vertrauens- und Anerkennungsansätzen<br />
hergeleitet werden (Seifert/Pawlowski 1998;<br />
Deutschmann 2002) und sich teilweise auf<br />
mikro-ökonomische Prinzipal-Agent-Ansätze<br />
beziehen (Baron/Kreps 1999). Zugespitzt<br />
könnte man diese Hypothese wie folgt zusammenfassen:<br />
Je höher die Komplexität der<br />
Arbeitsaufgabe und die der Qualifikation der<br />
Arbeitskraft, desto schwieriger ist die Kontrolle<br />
durch den „Prinzipal“ und desto eher muss der<br />
Beschäftiger auf die Sicherheitserwartungen<br />
der Beschäftigten eingehen, langfristige Beschäftigungsperspektiven<br />
bieten und Vertrauen<br />
schaffen. Auch hier legen unsere qualitativen<br />
und quantitativen Analysen erhebliche Zweifel<br />
nahe. So finden sich in unserem Sample eine<br />
Vielzahl von Offenen BBSS für Hochqualifizierte<br />
(z.B. für Software-Ingenieure, Ärzte,<br />
Journalisten, Dozenten in der Weiterbildung;<br />
vgl. Abschnitt 7). Auch diese Überlegungen<br />
werden durch multivariate Analysen unseres<br />
Betriebspanels gestützt (Struck u.a. 2007).<br />
Spezifität und Niveau von Qualifikationen mögen<br />
Ausschnitte des Rätsels erläutern, können<br />
jedoch das Gesamtbild nicht plausibel erklären.<br />
Unsere These ist, dass sich die Bedeutung des<br />
Arbeitsmarktes für die Strukturierung von<br />
betrieblichen Beschäftigungsperspektiven erst<br />
erschließt, wenn strukturelle Relationen von<br />
Angebot und Nachfrage unabhängig von der<br />
Frage nach der Betriebsspezifität von Qualifikationen<br />
betrachtet werden. Es geht also<br />
um die Verfügbarkeit von Arbeitskraft. Wenn<br />
einschlägige Qualifikationen nicht auf dem<br />
Arbeitsmarkt verfügbar sind, müssen sie unter<br />
hohem Aufwand und mit hohem Zeitverlust<br />
selber generiert werden. Dies bildet dann auch<br />
bei nicht betriebsspezifischen Qualifikationen<br />
einen massiven Anreiz, die Arbeitskräfte über<br />
Einkommens- und Beschäftigungsanreize zu<br />
binden. Umgekehrt können Betriebe auf feste<br />
Bindung verzichten, wenn die Arbeitskräfte<br />
ohne großen Aufwand ersetzbar sind. Es<br />
spricht also vieles dafür, das Qualifikationsproblem<br />
abstrakter als Problem der Verfügbarkeit<br />
einschlägig qualifizierter Arbeitskraft<br />
zu thematisieren.<br />
Vier Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme<br />
Als Folge der Auseinandersetzung mit diesen<br />
Ansätzen und Kausalitätsannahmen galt es,<br />
die Bezugsprobleme offener zu fassen, so dass<br />
die im Rahmen der Segmentations-, Transaktions-<br />
und Anerkennungsansätze entwickelte<br />
Reichhaltigkeit an empirischem Material<br />
sowie die Vielfalt und Komplexität der Erklärungsangebote<br />
für unsere Analysen fruchtbar<br />
gemacht werden konnten. Dafür greifen wir<br />
die im Anschluss an industriesoziologische<br />
und personalökonomische Traditionen zur<br />
Bestimmung des Konzepts BBSS eingeführten<br />
zwei Grundprobleme betrieblicher Personalund<br />
Beschäftigungspolitik auf (Abschnitt 3)<br />
und differenzieren diese aus.<br />
Seite 47
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Seite 48<br />
Das Verfügbarkeitsproblem bezeichnet Probleme<br />
der Beschaffung, Qualifizierung und<br />
Bindung (bzw. Entlassung) von Personal. Dabei<br />
ist die zeitliche Dimension im Sinne des<br />
Beginns und der Dauer des Personalbedarfs<br />
von großer Bedeutung. Wir differenzieren<br />
deshalb in zwei Unterprobleme:<br />
- Das Rekrutierungs- und Qualifizierungsproblem<br />
bezieht sich auf die Sicherung<br />
ausreichend qualifizierten Personals zu möglichst<br />
geringen Kosten, wobei Interne und<br />
Externe Märkte genutzt werden können. Je<br />
stärker die benannten Probleme, desto eher<br />
erwarten wir Schließungsstrategien.<br />
- Das Kontinuitätsproblem bezieht sich im<br />
Sinne der Frequency-Variable des Transaktionskostenansatzes<br />
auf die Dauer und<br />
Häufigkeit des Personalbedarfs. Je dauerhafter<br />
und kontinuierlicher der Bedarf an<br />
bestimmten Qualifikationen, desto eher<br />
ist eine langfristige Bindung des Personals<br />
möglich. Umgekehrt erschweren starke<br />
Schwankungen in Auftrags- und Arbeitsvolumina<br />
stabile Beschäftigungsverhältnisse.<br />
Das Leistungsproblem thematisiert Folgeprobleme<br />
des so genannten „Transformationsproblems<br />
von Arbeitskraft“ bei nicht spezifizierten<br />
Arbeitsverträgen (Deutschmann 2002;<br />
Sadowski 2002), es geht um die Sicherstellung<br />
der Leistungsbereitschaft des Personals.<br />
Auch hier differenzieren wir in<br />
zwei Unterprobleme:<br />
- Das Kontrollproblem bezieht sich auf<br />
Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle<br />
der Arbeit bei Informationsasymmetrien<br />
zwischen Beschäftiger (Prinzipal) und<br />
Beschäftigten (Agent). Je höher die Komplexität<br />
der Arbeitsaufgabe und je geringer die<br />
Zurechenbarkeit zur einzelnen Person, desto<br />
schwieriger die Kontrolle.<br />
- Das Herrschaftsproblem bezieht sich auf<br />
die Möglichkeiten und Grenzen der Durchsetzung<br />
von Leistungszielen, die von den<br />
Machtpotenzialen und der Legitimität der<br />
Personal- und Beschäftigungspolitik gegenüber<br />
den Beschäftigten abhängig sind. Bei<br />
starker Gegenmacht erwarten wir, dass die<br />
Beschäftiger auf die Präferenzen der Beschäftigten<br />
eingehen und Langfristperspektiven<br />
bieten.<br />
Dieser sehr offene Ansatz mit der Zusammenführung<br />
der Bezugsprobleme betrieblicher<br />
Beschäftigungspolitik erlaubt eine plausible<br />
Deutung der in unseren qualitativen Studien<br />
identifizierten Beschäftigungssysteme. Abbildung<br />
9.1 sortiert unsere BBSS-Fälle nach den<br />
vier Varianten der erweiterten Typologie und<br />
fragt nach der Ausprägung der vier Bezugsprobleme.<br />
Wir schauen dabei auf die Primären<br />
Teilarbeitsmärkte.<br />
Wie die Abbildung zeigt, setzen alle Geschlossenen<br />
BBSS unseres Samples ein hohes Kontinuitätsniveau<br />
durch die Stabilisierung der Arbeitsvolumina<br />
voraus. Dies gelingt über stabile<br />
Marktsegmente und Netzwerke (B:W2), über<br />
institutionelle Förderung (W:W3) oder über<br />
Randbelegschaften mit Pufferfunktion (S:O2).<br />
Für die Mehrheit der Geschlossenen Systeme<br />
gilt, dass ein zweites Problem hinzukommen<br />
muss, um die Schließung zu erzeugen. Dies<br />
kann das Verfügbarkeitsproblem, indiziert<br />
durch überzyklischen Fachkräftemangel (B:<br />
W1, B:O2, S:O1), das Leistungs- und Kon-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Geschlossene BBSS<br />
Offene BBSS<br />
Senioritätsbasiert<br />
Leistungsbasiert<br />
Betriebsförmig<br />
Marktförmig<br />
Verfügbarkeit:<br />
- Rekrutierungs-/<br />
Qualifizierungsproblem<br />
Teilweise Teilweise Selten Nein<br />
- Kontinuitätsproblem Ja Ja Teilweise Nein<br />
Leistung:<br />
- Kontrollproblem Teilweise Teilweise Teilweise Nein<br />
- Herrschaftsproblem Ja Nein Nein Nein<br />
Abb. 9.1: Betriebliche Problemlagen und Primäre BBSS<br />
trollproblem, indiziert durch geringe Zurechenbarkeit<br />
und hohe Verantwortung (Bk:O3),<br />
aber auch das Herrschaftsproblem sein. Leistungsbasierte<br />
BBSS folgen derselben Logik,<br />
zeichnen sich aber durch interessenspolitisch<br />
schwach organisierte Belegschaften aus. Hier<br />
kann das Management Leistungskriterien bei<br />
Allokations- und Gratifikationsprozessen stärker<br />
durchsetzen.<br />
In der überwiegenden Mehrheit der betriebsförmigen<br />
Offenen BBSS mit mittelfristigen<br />
Beschäftigungsperspektiven ist eine ausreichende<br />
Verfügbarkeit des Arbeitskräfteangebots<br />
und -nachwuchses auf den Internen<br />
und/oder Externen Arbeitsmärkten gegeben<br />
(besonders ausgeprägt im Journalismus und<br />
bei Weiterbildungsplanern, hier können die<br />
„Reservearmeen“ des Arbeitsmarktes genutzt<br />
werden). Die Ausnahme bilden die Pflegedienste<br />
und die Softwareindustrie in der<br />
Phase des schnellen Wachstums der „New<br />
Economy“. Pflegedienste können aufgrund<br />
der vorgegebenen Tarife keine marktgerechten<br />
Löhne zahlen – die Öffnung ergibt<br />
sich hier aus der freiwilligen Fluktuation<br />
(P:O1, P:O2, P:W1). In der<br />
Seite 49<br />
Softwareindustrie entwickelte sich<br />
durch den starken Boom vorübergehend eine<br />
komplette Räumung der Externen Märkte. In<br />
beiden Branchen erklärt sich also die Öffnung<br />
von Beschäftigungssystemen aus einer starken
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Marktposition der Beschäftigten und freiwilligem<br />
Betriebswechsel.<br />
Bei einem Teil der betriebsförmigen Offenen<br />
BBSS kommt eine ausgeprägte Diskontinuität<br />
der Auftragslagen und Arbeitsvolumina als<br />
zusätzliches Motiv für die Öffnung der Beschäftigungssysteme<br />
hinzu. Kontrollprobleme<br />
liegen bei einer Reihe von Offenen Systemen<br />
vor, sie wirken offensichtlich nur bei starker<br />
Ausprägung prohibitiv. BBSS mit zeitlich<br />
begrenzten Beschäftigungsperspektiven zeichnen<br />
sich generell durch interessenpolitisch<br />
schwache Belegschaften aus. Dort wo zeitlich<br />
begrenzte Beschäftigung mit zertifizierter<br />
Qualifizierung verbunden wird, findet sich ein<br />
strukturell hoher Nachwuchsüberschuss (z.B.<br />
Journalisten in Printmedien) oder es bestehen<br />
attraktive Anschlussmöglichkeiten nach<br />
Abschluss der Aus- oder Weiterbildung (z.B.<br />
Ärzte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer).<br />
Die Übersicht (Abb. 9.1) zeigt, dass Offene<br />
und marktförmige Systeme mit kurzfristiger<br />
Beschäftigung hoch voraussetzungsvoll<br />
sind, da weder die Verfügbarkeit noch die<br />
Leistungsbereitschaft der Arbeitskraft problematisch<br />
sein dürfen. In der Regel findet<br />
sich eine hohe Diskontinuität bei Aufträgen<br />
oder Arbeitsvolumina. Dies gilt für die klassischen<br />
Randbelegschaften im Bau (B:O1), in<br />
der Serienfertigung (z.B. M:O3, M:O4) und<br />
im Handel bei starken saisonalen<br />
und/oder konjunkturellen Auftrags-<br />
Seite 50 schwankungen, aber auch teilweise<br />
bei den hoch qualifizierten Dozenten<br />
in der Weiterbildung (W:O1, W:O2, W:O4,<br />
W:W1, W:W5), in der Software-Beratung<br />
von Unternehmen (S:O3) und in der Projektleitung<br />
großer Bauvorhaben. Voraussetzung<br />
für den schnellen Auf- und Abbau von<br />
Personal ist eine ausreichende Verfügbarkeit<br />
auf den Arbeitsmärkten, wobei diese im Falle<br />
Hochqualifizierter in bestimmten Berufsgruppen<br />
nur durch hohe finanzielle Anreize zu<br />
gewährleisten ist (B:W1). Die meisten dieser<br />
Tätigkeiten sind durch eine gute Zurechenbarkeit<br />
der Arbeitsleistung und damit einfache<br />
Kontrollierbarkeit gekennzeichnet. Dies gilt<br />
auch für komplexe Tätigkeiten von freien<br />
Mitarbeitern in der Software-Beratung, der<br />
Projektleitung im Bau und für die Erstellung<br />
von Aufsätzen und Büchern in den Printmedien.<br />
Die Ergebnisse des Arbeitsprozesses sind<br />
eindeutig zurechenbar und für die Reputation<br />
auf dem Arbeitsmarkt und den nächsten Vertragsabschluss<br />
entscheidend.<br />
Anders als in einfachen Kausalitätsannahmen<br />
aus der Humankapital-, Prinzipal-Agent- oder<br />
der Transaktionskostentheorie unterstellt,<br />
können also von ihrer Grundstruktur identische<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
unterschiedliche Problemlagen und Strategien<br />
reflektieren. Dabei scheint es für Geschlossene<br />
und Offene Beschäftigungssysteme jeweils<br />
eine notwendige, aber nicht hinreichende<br />
Bedingung zu geben (Stabilität der Arbeitsvolumina<br />
bzw. Arbeitskräfteüberschüsse). Die<br />
Schließung oder Öffnung kann dann durch<br />
jeweils unterschiedliche Zusatzbedingungen<br />
ausgelöst werden.<br />
Dieser sehr offene und heuristisch ausgerichtete<br />
Erklärungsansatz ermöglicht ein Verständnis für<br />
personalpolitische Differenzen in der Betriebsund<br />
Arbeitsmarktlandschaft. Eine Schließung<br />
von BBSS ist vor allem dort zu erwarten, wo<br />
mindestens zwei der folgenden Bedingungen<br />
vorliegen: überzyklische Arbeitskräftedefizite,
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Stabilität der Arbeitsvolumina im Zeitablauf<br />
(Verfügbarkeitsprobleme), komplexe Arbeitsaufgaben<br />
und hohe Kontrollkosten, individuelle<br />
und kollektive Gegenmacht der Beschäftigten<br />
(Leistungsprobleme). Eine Öffnung von BBSS<br />
ist dort möglich, wo Verfügbarkeits- und/oder<br />
Leistungsprobleme schwächer ausgeprägt<br />
sind. 5 Marktförmige Offene Beschäftigungssysteme<br />
mit kurzfristiger Beschäftigung sind<br />
am voraussetzungsvollsten, hier dürfen weder<br />
Verfügbarkeits- noch Leistungsprobleme vorliegen.<br />
Damit sind der Expansion dieses Typus<br />
hohe Barrieren gesetzt.<br />
10. BBSS – Entwicklungslinien<br />
Unsere BBSS-Typologie erlaubt eine systematische<br />
Prüfung von Erklärungsansätzen<br />
ebenso wie eine differenzierte Beschreibung<br />
der Arbeitsmarkt- und Betriebslandschaft<br />
im Quer- und Längsschnitt. Im Folgenden<br />
versuchen wir auf der Basis unseres Fallstudienmaterials<br />
Hypothesen zur aktuellen Struktur<br />
und zu Verschiebungen zwischen Typen von<br />
BBSS und Teilarbeitsmärkten zu entwickeln.<br />
Die große Mehrzahl der Untersuchungsbetriebe<br />
bestand im Untersuchungszeitraum<br />
2002 bis 2006 seit mindestens zehn Jahren und<br />
schaute auf die Transformationsphase Anfang<br />
der 90er Jahre und den sich anschließenden<br />
Konjunkturzyklus zurück. Die beschäftigungspolitischen<br />
Erfahrungen und Lernprozesse aus<br />
dieser Zeit waren Bestandteil unserer Befragung.<br />
Dementsprechend liegen eine Vielzahl<br />
von Textpassagen und Daten über Veränderungen<br />
der beschäftigungspolitischen Muster<br />
im Zeitablauf und im Ost-West-Vergleich vor.<br />
Darüber hinaus wurden von den Befragten auf<br />
Basis der aktuellen betrieblichen Altersstrukturen<br />
sowie der absehbaren demografischen<br />
Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt Erwartungen<br />
für die nächsten Jahre formuliert. Die<br />
Aussagen der personalpolitischen Entscheider<br />
zu Vergangenheit und Zukunft wurden einer<br />
Reihe von Plausibilitätsprüfungen unterzogen<br />
und dann in die Hypothesenbildung einbezogen.<br />
Westdeutschland – von der Hegemonie Interner<br />
zur Koexistenz mit Externen Märkten<br />
Westdeutschland wurde im internationalen<br />
Vergleich durch eine lange Tradition stark<br />
institutionalisierter Interner Arbeitsmärkte<br />
und durch relativ schwache Sekundäre<br />
Teilarbeitsmärkte sowie eine durchgängige<br />
berufliche Strukturierung des Bildungs- und<br />
Beschäftigungssystems gekennzeichnet (vgl.<br />
Lutz 1987; Lutz u.a. 2007; Köhler u.a. 2006;<br />
Sengenberger 1987). Wir konnten also hier<br />
von einer Hegemonie Geschlossener BBSS<br />
und von Beruflichkeit ausgehen. Vor diesem<br />
Hintergrund zeichnen sich auf der Basis unseres<br />
Fallstudienmaterials für die 90er Jahre<br />
im Hinblick auf die Verteilung und Dynamik<br />
von BBSS vier Entwicklungstendenzen ab<br />
(siehe Abb. 10.1).<br />
1. Externalisierung: Die in der These um die<br />
Erosion Interner Arbeitsmärkte und des Normalarbeitsverhältnisses<br />
am stärksten<br />
beschworene Tendenz ist die der<br />
Substitution Geschlossener durch<br />
Seite 51<br />
Offene BBSS, auch und gerade im<br />
Primären Segment des Arbeitsmarktes für gut<br />
qualifizierte und gut bezahlte Beschäftigte.<br />
Für diese These finden sich in unseren empirischen<br />
Analysen Belege, aber auch Hinweise
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
auf Gegenbewegungen. Ohne Zweifel vollzieht<br />
sich in den mittel- und großbetrieblich<br />
organisierten Betriebsstätten der Industriebranchen<br />
(M:W1) unseres Samples und des<br />
Dienstleistungssektors (Bk:W1, Bk:W3) ein<br />
weit reichender Restrukturierungsprozess, der<br />
in vielen Fällen zur Zunahme des Anteils von<br />
innerbetrieblichen Arbeitsplatzbereichen mit<br />
zeitlich begrenzter Beschäftigung gegenüber<br />
solchen mit langfristiger Beschäftigung, also<br />
zur Substitution Geschlossener durch Offene<br />
BBSS führt: „Deswegen wird der hohe<br />
Preis für die Arbeitsstunde, der draußen bei<br />
der Leiharbeitsfirma verlangt wird, gezahlt,<br />
ohne dass man das Risiko einer langfristigen<br />
Beschäftigung eingeht. … denn die ganzen<br />
Abfindungsregelungen haben natürlich viele<br />
geschockt…“ (M:W1). Diese Entwicklung<br />
ist dann in der Regel mit geringen Übergangschancen<br />
in die Geschlossenen BBSS<br />
verbunden.<br />
Ein weiteres Beispiel hierfür ist die organisatorische<br />
Verselbstständigung der Finanzberatung<br />
von Privat- und Geschäftskunden in<br />
Banken, Bausparkassen und Versicherungen.<br />
Auch in Teilen der Weiterbildungsbranche<br />
unseres Samples zeigen sich Substitutionsprozesse:<br />
„Wir haben einen hohen Stamm an<br />
– sie nennen es hier – Stammmitarbeitern, also<br />
unbefristeten Beschäftigten; äh in der Verwaltung<br />
ohnehin, da geht das gar nicht anders;<br />
in den anderen Overheadbereichen,<br />
auch im pädagogischen Bereich auch,<br />
Seite 52 allerdings mit einer zunehmenden<br />
Tendenz, dass wir dort, wo wir unbefristete<br />
Stellen abbauen, nur noch mit<br />
befristeten ergänzen.“ (W:W5).<br />
Gerade bei technischen Funktionen zeigen sich<br />
aber auch Gegenbewegungen. So führte die<br />
schon fast strukturelle Knappheit bei Informatikern<br />
und Ingenieuren in den letzten zehn Jahren<br />
zu einer Verfestigung der Betriebsbindung<br />
dieser Arbeitskräftegruppen und damit zu einer<br />
Zunahme des Anteils Geschlossener BBSS (S:<br />
W1). Auch dort, wo Funktionen ausgelagert<br />
werden, bedeutet dies nicht notwendigerweise<br />
eine Erosion Geschlossener zugunsten Offener<br />
BBSS, da viele dieser Funktionen in spezialisierten<br />
Firmen wiederum mit langfristiger<br />
Beschäftigung gefahren werden (S:W2; vgl.<br />
Hinze 2004). Wie insgesamt nach dem „New<br />
Economy“ Boom zu beobachten, kommt es in<br />
vielen Fällen zu einer Retraditionalisierung der<br />
Beschäftigungspolitik (vgl. Boes 2005). Dahinter<br />
stehen häufig Rekrutierungsprobleme:<br />
Funktionierende Externe Arbeitsmärkte für<br />
qualifizierte Arbeitskraft sind hoch voraussetzungsvoll.<br />
2. Sekundarisierung: Ein eindeutiger Trend der<br />
Substitution von Geschlossenen durch Offene<br />
BBSS zeichnet sich bei vielen unserer Untersuchungsfälle<br />
dagegen im Sekundären Segment<br />
auf der Basis von Niedrigqualifikationen und<br />
Niedriglöhnen ab. In vielen direkt produktiven<br />
Arbeitsbereichen, aber auch Serviceabteilungen<br />
wird die Betriebsbindung für die Beschäftigten<br />
aufgelöst. Aus Sekundären Geschlossenen<br />
Systemen werden Sekundäre Offene Systeme<br />
mit mittelfristigen, aber häufig auch kurzfristigen<br />
Beschäftigungsperspektiven. Besonders<br />
deutlich und in verschiedenen Studien gut dokumentiert<br />
ist die Einführung von Leiharbeit<br />
für einfache und repetitive Teilarbeiten, etwa<br />
am Band (M:W1). Stark betroffen sind auch<br />
Arbeitsbereiche mit Servicefunktionen für<br />
Beschäftigte im Wachdienst, in der Cafeteria
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
und der Reinigung, die ehemals fest beschäftigt<br />
und tarifvertraglich gesichert waren. Diese<br />
Arbeiten werden zunehmend ausgelagert und<br />
von spezialisierten Firmen mit Offenen und<br />
teilweise marktförmigen BBSS ausgeführt, die<br />
nicht tarifvertraglich gebunden sind.<br />
3. Re-Kommodifizierung Interner Märkte:<br />
Die am meisten verbreiteten Veränderungen<br />
betreffen endogene Modifikationen Geschlossener<br />
BBSS, werden aber in der Diskussion um<br />
die Erosion Interner Arbeitsmärkte am wenigsten<br />
beachtet. In unserem Sample können<br />
wir bei vielen Mittel- und Großbetrieben eine<br />
Transformation von senioritätsbasierten zu<br />
leistungbasierten Systemen beobachten (z.B.:<br />
M:W1, M:W2, B:W2, S:W1, Bk:W3-2. Welle,<br />
LF 04/05- Bk:W7, LF05/06_M:W9). Dabei<br />
verändern sich die Binnenstrukturen, ohne<br />
die relative Abschottung vom Externen Markt<br />
aufzuheben. Die klassischen aufwärtsgerichteten<br />
und senioritätsbasierten Mobilitäts- und<br />
Qualifizierungsketten werden in Richtung<br />
horizontal strukturierter leistungsbasierter<br />
Systeme modifiziert. Die „Internen Märkte“<br />
nehmen mehr Markt und weniger Hierarchie<br />
auf: Zum einen nimmt die Zahl der Eintrittspositionen<br />
auf allen Ebenen der Arbeitsplatzstruktur<br />
zu, zum anderen wird die interne<br />
Konkurrenz um sichere und privilegierte Positionen<br />
intensiviert, ohne die Dominanz der<br />
Langfristbeschäftigung und damit das zentrale<br />
Merkmal Geschlossener BBSS aufzugeben.<br />
Beim Personalabbau treten Qualifikationsund<br />
Leistungskriterien gegenüber sozialen<br />
Auswahlkriterien (Seniorität, Alter, Familie) in<br />
den Vordergrund.<br />
Das Versprechen und die reale Chance einer<br />
langfristigen Beschäftigung bis zur Verrentung<br />
gelten auch für die neuen leistungsbasierten<br />
BBSS. Dieses Versprechen ist jedoch nicht<br />
mehr an die Betriebszugehörigkeitsdauer,<br />
sondern an individuelle Leistungsstandards<br />
und die Produktivität von Betriebsteilen gebunden<br />
und wird damit relativiert. Damit verändert<br />
sich die Selektivität innerbetrieblicher<br />
Personalströme. Dies muss aber keine Auswirkungen<br />
auf durchschnittliche betriebliche<br />
Verweildauern zeitigen und mag erklären,<br />
warum sich auf der makrostatistischen Ebene<br />
trotz der weit reichenden Transformation der<br />
Binnenstrukturen von BBSS nach wie vor<br />
wenig Veränderung zeigt.<br />
Diese endogenen Modifikationen Geschlossener<br />
BBSS werden in der industriesoziologischen<br />
und personalwirtschaftlichen Literatur<br />
unter Stichworten wie „Intra-Preneur“ und<br />
„Subjektivierung der Arbeit“ dokumentiert<br />
(Moldaschl 2002; Kratzer 2003; Pongratz/Voß<br />
2003; Voß/Pongratz 1998). Wir teilen diese<br />
Beobachtungen, können hier aber keine Aufweichung<br />
oder sogar Auflösung Geschlossener<br />
BBSS erkennen. Im Gegenteil: Leistungsorientierte<br />
Personalpolitik und „Subjektivierung“<br />
stärken den „Markt“ im Internen Markt und<br />
oft auch die ökonomische Leistungsfähigkeit<br />
und Stabilität Geschlossener BBSS.<br />
Ein Umschalten auf Offene Systeme und<br />
externe Arbeitskräfteversorgung fällt schwer,<br />
da funktionierende Externe Arbeitsmärkte<br />
für qualifizierte Arbeitskraft hoch<br />
voraussetzungsvoll sind (Abschnitt 9;<br />
Lutz 1987).<br />
4. Re-Kommodifizierung Externer Märkte:<br />
Auch bei den Offenen BBSS finden sich<br />
endogene Veränderungen. Diese betreffen den<br />
Übergang von betriebförmigen zu marktför-<br />
Seite 53
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
migen Systemen. Eine Reihe von Betrieben<br />
berichtet über einen deutlichen Rückgang<br />
der mittelfristigen Beschäftigungsdauern von<br />
mehreren Jahren und eine Zunahme der kurzfristigen<br />
Dauern, etwa im Zusammenhang mit<br />
der Nutzung von Leiharbeit (M:W1, M:W2),<br />
aber auch unabhängig davon (P:W1, P:W2, B:<br />
W3, B:W5). Wie bereits ausgeführt (Abschnitt<br />
8) macht es einen großen Unterschied für die<br />
Binnenstrukturen des BBSS, ob Beschäftiger<br />
und Beschäftigte etwa in einem klassischen<br />
berufsfachlichen Markt (z.B. in der Bauwirtschaft)<br />
für mehre Jahre zusammenbleiben<br />
oder ob für beide Seiten das baldige Ende der<br />
Beschäftigung bereits beim Betriebseintritt<br />
feststeht: Die Betriebe verzichten weitgehend<br />
auf Binnenmobilität und Qualifizierung und<br />
sie arbeiten mit engmaschigen Kontroll- und<br />
Gratifikationssystemen. Die Beschäftigten<br />
suchen nach Alternativen auf dem überbetrieblichen<br />
Arbeitsmarkt.<br />
Entberuflichung: In Bezug auf die berufliche<br />
Strukturierung des Arbeitsmarktes zeigen<br />
sich Entberuflichungs- aber auch Re-Professionalisierungstendenzen.<br />
Eine Durchsicht<br />
der Betriebsfälle unseres Kernsamples macht<br />
deutlich, dass Deutschland nach wie vor das<br />
Paradies der berufsfachlichen Qualifikation<br />
ist. Wo immer möglich und machbar, werden<br />
Personen mit für die jeweiligen Tätigkeiten<br />
einschlägigen Berufsabschlüssen eingesetzt<br />
und auch ausgebildet. An den Rändern<br />
dieses berufsfachlichen Systems<br />
Seite 54 zeichnen sich jedoch Tendenzen<br />
der Entberuflichung ab. Wie in<br />
Abschnitt 7 gezeigt, organisieren z.B. Offene<br />
Beschäftigungssysteme auch nicht-beruflich<br />
erzeugte, sondern eher tätigkeits- und anlernbasierte,<br />
durchaus anspruchsvolle Qualifikationen<br />
und Kompetenzen, die häufig nach einer<br />
nicht einschlägigen allgemeinen, beruflichen<br />
oder akademischen Ausbildung im Rahmen<br />
inner- und überbetriebliche Mobilitätsketten<br />
erworben werden.<br />
Interessanterweise sind solche Phänomene<br />
dort zu beobachten, wo Branchen eher<br />
metafachliche Kompetenzen nachfragen<br />
und sich die strukturell hohen Überschüsse<br />
Hochqualifizierter aus den Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
zunutze machen (W:W3, W:<br />
W5). Eine solche „Entberuflichung“ ist aber<br />
auch bei qualifizierten bis hoch qualifizierten<br />
technischen Berufen zu beobachten, wo immer<br />
wieder in starken Expansionsphasen und bei<br />
geringen Absolventenzahlen (im Tal der studentischen<br />
„Schweinezyklen“) massive Rekrutierungsprobleme<br />
auftreten. Dies gilt etwa für<br />
Produktionsfacharbeiter in der Metallindustrie<br />
sowie Informatiker und Ingenieure. Für Maschinenbediener<br />
in der Metallindustrie setzt<br />
man in alter Tradition auf mehr oder weniger<br />
verwandte Handwerksberufe. In einigen Fällen<br />
entwickeln sich aber auch feste Präferenzen für<br />
„berufsfremde“ Qualifikationen, z.B. werden<br />
in der Softwareindustrie für ausgewählte Tätigkeiten<br />
Absolventen der Betriebswirtschaftslehre<br />
anstelle von Informatikern eingestellt<br />
(S:W1) und in der Weiterbildung beruflich<br />
qualifizierte Fachkräfte anstelle von Pädagogen<br />
(W:W5).<br />
Das Umschalten von Beruflichkeit auf Anlernung<br />
und Weiterbildung ist mit einer Vertiefung<br />
der Arbeitsteilung und Vereinfachung der<br />
Arbeitsaufgaben im Sinne eines „downgrading“<br />
der Arbeitsplatzstruktur verbunden. Interessant<br />
ist, dass die betroffenen Unternehmen im<br />
Sinne des deutschen berufsfachlichen Systems
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Dieser Blick auf Prozesse der Modifikation<br />
und Substitution von BBSS in unseren Untersuchungsbetrieben<br />
legt eine Reihe von<br />
Hypothesen über die Strukturveränderungen<br />
des westdeutschen Arbeitsmarktes nahe. Überraschender<br />
Befund ist, dass, gemessen an den<br />
weitreichenden globalen und regionalen, wirtschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Veränderungen,<br />
Geschlossene BBSS und das Segment<br />
Interner Arbeitsmärkte insgesamt relativ stabil<br />
sind. Deutlich werden allerdings endogene<br />
Modifikationen Geschlossener BBSS in Rich-<br />
Teil-Arbeitsmärkte<br />
und BBSS<br />
Interne Arbeitsmärkte<br />
Geschlossene BBSS<br />
Externe Arbeitsmärkte<br />
Offene BBSS<br />
Senioritätsbasiert<br />
Leistungsbasiert<br />
Betriebsförmig<br />
Marktförmig<br />
Primär<br />
3<br />
1<br />
1<br />
4<br />
Sekundär<br />
2<br />
Abb. 10.1: Entwicklungstendenzen BBSS<br />
immer wieder auf Re-Professionalisierung setzen<br />
wenn sich die Versorgung mit einschlägig<br />
qualifiziertem Personal verbessert (Biehler u.a.<br />
2003; Boes/Trinks 2006).<br />
tung einer Re-Kommodifizierung Interner<br />
Märkte, wobei die Grenzen zum Externen<br />
Arbeitsmarkt erhalten bleiben.<br />
Marktgrenzverschiebungen (Dörre/Brinkmann<br />
2005) im Sinne einer Externalisierung<br />
von Allokationsprozessen zeichnen sich vor<br />
allem an den Rändern des Segments Interner<br />
Arbeitsmärkte über die Substitution Geschlossener<br />
durch Offene BBSS ab. Diese<br />
gewinnen nicht nur, aber besonders<br />
deutlich in Sekundären Teilarbeitsmär-<br />
Seite 55<br />
kten mit Niedriglöhnen an Gewicht.<br />
Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus,<br />
dass sich der westdeutsche Arbeitsmarkt von<br />
einer „Hegemonie“ Interner Arbeitsmärkte<br />
und langfristiger Beschäftigung auf eine eher
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
spannungsgeladene und dynamische, denn<br />
„friedliche“ und stabile Koexistenz von Internen<br />
und Externen Arbeitsmärkten zu bewegt,<br />
wobei diese geopolitischen Metaphern sowohl<br />
die objektiven Beschäftigungsmuster als auch<br />
die diskursive und normative Verarbeitung der<br />
Thematik bezeichnen sollen.<br />
Ostdeutschland – Überholen ohne Einzuholen<br />
Während wir für die alte Bundesrepublik von<br />
einer Hegemonie Interner Arbeitsmärkte<br />
sprechen können, zeichnete sich die DDR<br />
durch eine durchgängige Verallgemeinerung<br />
Interner Arbeitsmärkte auf der Basis Geschlossener<br />
BBSS in großen Betrieben und<br />
Kombinaten aus (Grünert/Lutz 1996). Der<br />
Systemumbruch und der Anschluss an den<br />
„nicht-sozialistischen“ Weltmarkt führten<br />
zunächst zu einem, auch gegenüber den anderen<br />
Transformationsländern, einmaligen<br />
Arbeitsplatzverlust von etwa zwei Fünfteln<br />
des Beschäftigungsvolumens und zu einer<br />
anhaltenden Unterbeschäftigung von etwa<br />
einem Viertel des nach der kollektiven Vorzeitverrentung<br />
verbleibenden Arbeitskräftepotenzials<br />
(Köhler u.a. 2006: S.168ff )<br />
Als erste Reaktion auf diese historisch singuläre<br />
Strukturtransformation können wir<br />
eine weitgehende Zerstörung dieser großen<br />
Internen Märkte Anfang der 90er Jahre beobachten.<br />
Es vollzieht sich ein massiver<br />
Prozess der Externalisierung von<br />
Seite 56 Allokationsprozessen auf dem Arbeitsmarkt,<br />
womit in der Regel auch<br />
eine Externalisierung von sozialpolitischen<br />
Funktionen (Kindergärten, Reha-Zentren,<br />
Jugendhilfe, Berufsbildung etc.) verbunden ist.<br />
Auf dieser Basis zeichnet sich dann im Verlauf<br />
der 90er Jahren eine schrittweise Annäherung<br />
an die westdeutschen Muster von Offenen und<br />
Geschlossenen BBSS ab. Bei betriebsökonomisch<br />
ähnlichen Betrieben bildeten sich in den<br />
Kernbereichen ähnlich strukturierte Beschäftigungssysteme<br />
heraus. Die Ubiquität Interner<br />
Arbeitsmärkte in der DDR weicht einer Struktur<br />
der Koexistenz von Internen und Externen<br />
Märkten auf der Basis Geschlossener und<br />
Offener BBSS. In diesem Prozess bilden sich<br />
neue und signifikante Differenzen gegenüber<br />
Westdeutschland heraus, die im Kontrast zu<br />
den oben für Westdeutschland beschriebenen<br />
vier Entwicklungslinien verdeutlicht werden<br />
sollen.<br />
1. Externalisierung und Polarisierung: In Bezug<br />
auf die Substitution Geschlossener durch Offene<br />
BBSS im Primären Arbeitsmarktsegment<br />
zeigt sich in den ersten Jahren nach dem Systemumbruch<br />
vor allem in der Industrie eine<br />
kurze Phase der Renaissance hoher Betriebsbindung<br />
und Geschlossener Beschäftigungssysteme.<br />
Im Verlauf der 90er Jahre entwickelt sich<br />
dann ein rascher und schmerzhafter Prozess<br />
der Annäherung an das westdeutsche Niveau<br />
von stabiler und instabiler Beschäftigung (Bk:<br />
O4, Bk:O4-2. Welle), wobei sich neue Differenzen<br />
herausbilden: Aufgrund der anhaltend<br />
hohen Arbeitslosigkeit sowie des Transformationsschocks<br />
und tradierter sozialmoralischen<br />
Gemeinschaftsnormen entwickelt sich bei den<br />
Beschäftigten eine starke Betriebsbindung.<br />
Diese führt zu einer stärkeren Abschottung der<br />
Geschlossenen BBSS gegenüber dem Externen<br />
Arbeitsmarkt. Dies gilt aber auch gegenüber den<br />
Offenen BBSS in den weniger qualifizierten<br />
und attraktiven Arbeitsbereichen der Erwerbsorganisationen.<br />
Besonders deutlich kann diese<br />
ausgeprägte Insider-Outsider-Struktur dort
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
beobachtet werden, wo Belegschaftsgruppen<br />
aus DDR-Betrieben in restrukturierten Unternehmen<br />
zusammenbleiben. Die Geschäftsführerin<br />
eines kleinen Baubetriebs fasst ihre<br />
Aussagen zu diesem Thema zusammen: „Nee,<br />
da sind die, das kann man sich gar nicht mehr<br />
vorstellen, wie die Hyänen, die lassen keinen in<br />
ihr Revier, schlimm auch, ich mein, solange das<br />
dem Geschäft nicht schadet… .“ (B:O3).<br />
2. Sekundarisierung: Unter dem ökonomischen<br />
Druck des Transformationsprozesses einerseits<br />
und der hohen Arbeitskräfteüberschüsse<br />
andererseits bildet sich ein starkes Sekundäres<br />
Segment des Arbeitsmarktes auf der Basis von<br />
Niedriglöhnen heraus, wobei hier wiederum<br />
Offene BBSS mit atypischen Verträgen und<br />
teilweise subventionierter Beschäftigung eine<br />
große Rolle spielen (z.B. M:O1). Hier überholt<br />
der ostdeutsche den westdeutschen Arbeitsmarkt.<br />
In unserem Sample betrifft dies BBSS<br />
für Hilfstätigkeiten in allen 6 Branchen, aber<br />
auch Dozenten in Weiterbildungsfirmen: „Man<br />
versucht sich mit einem kleinen begrenzten<br />
Grundstamm stabil zu halten ... und die Flexibilität<br />
ist ja bei den Honorarkräften eigentlich<br />
am größten, das ist ja nun das spezifische eines<br />
Bildungs-Projektträgers.“ (W:O1).<br />
3. Re-Kommodifizierung Interner Märkte: In<br />
Bezug auf die endogenen Modifikationen Geschlossener<br />
Systeme von senioritätsbestimmten<br />
zu leistungsorientierten Regeln bildet der<br />
ostdeutsche Arbeitsmarkt zweifellos eine<br />
Vorreiterfunktion. Westliche Unternehmen<br />
nutzen für ihre ostdeutschen Niederlassungen<br />
die sich aus der hohen Arbeitslosigkeit und<br />
Unsicherheit der Belegschaften ergebenden<br />
neuen Spielräume aus, um westdeutsche Standards<br />
zu unterlaufen. Die Zugehörigkeit zur<br />
Stammbelegschaft wird an hohe Leistungsstandards<br />
gebunden, beim Personalabbau<br />
wird stark nach Leistung selektiert (B:O1, Bk:<br />
O3, LF05/06_Bk:O10; vgl. auch Bultemeier<br />
u.a. 2007). Stammbelegschaften und viele<br />
Betriebsräte tragen diese Leistungs- und Beschäftigungspolitik<br />
angesichts der Angst vor<br />
roten Zahlen und Arbeitplatzverlust mit.<br />
4. Re-Kommodifizierung Externer Märkte:<br />
Auch in Bezug auf die endogene Transformation<br />
Offener Systeme von betriebsförmigen zu<br />
marktförmigen BBSS, also von mittelfristiger<br />
zu kurzfristiger Beschäftigung, spielen die<br />
ostdeutschen Betriebe eine Vorreiterrolle (M:<br />
O1, M:O3, M:O4, P:O1-3). Der Anreiz der<br />
Beschäftigungsförderung über Subventionen<br />
für neu rekrutiertes Personal der damaligen<br />
Bundesanstalt für Arbeit hat zu einem im<br />
Verhältnis zu Westdeutschland starken Personalumschlag<br />
in den Offenen BBSS geführt.<br />
Ein Großteil der Beschäftigungsverhältnisse<br />
endet nach einem Jahr. Dies wird auch in den<br />
quantitativen Analysen der Beschäftigtenstatistik<br />
deutlich (vgl. Grotheer 2007).<br />
Entberuflichung: Im Hinblick auf die Frage<br />
nach der Erosion berufsfachlicher Qualifikationen,<br />
z.B. in „Offenen BBSS“, ist zunächst<br />
festzuhalten, dass das ostdeutsche Beschäftigungssystem<br />
noch stärker als Westdeutschland<br />
vom Beruflichkeitsprinzip durchdrungen war<br />
und ist. Die Restrukturierungsprozesse<br />
der ersten fünf bis zehn Jahre<br />
nach dem Systemumbruch haben<br />
Seite 57<br />
jedoch gerade hier zur massenhaften<br />
Entwertung von Qualifikationen und Umbrüchen<br />
in Erwerbs- und Berufsbiografien<br />
geführt. So wurde etwa ein Teil des restrukturierungsbedingten<br />
Arbeitskräfteüberschusses
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
in naturwissenschaftlich-technischen Berufen<br />
aus dem ehemals großen Industriesektor in<br />
betriebswirtschaftlich-kaufmännische Berufe<br />
umqualifiziert und angelernt. In unserem<br />
Sample betraf dies vor allen den Banken- und<br />
Versicherungssektor, wo in vielen Funktionen,<br />
auch in Kundenbetreuung und Verkauf, sehr<br />
viele Naturwissenschaftler aufgenommen und<br />
umgeschult wurden (z.B. Bk:O2).<br />
In der Weiterbildung setzen auch heute noch<br />
einige Unternehmen auf „Berufsfremde“: „Nee.<br />
Das sind auch nicht unbedingt Pädagogen, …<br />
also es gibt wirklich zwei explizite Pädagogen<br />
und der Rest sind Geistes- oder Kulturwissenschaftler<br />
oder wie man das auch nennen will.<br />
Das liegt ein bisschen daran, dass das Profil<br />
der Pädagogenausbildung inhaltsleer ist und…<br />
seitdem ich einstellen darf, werden keine<br />
Pädagogen mehr eingestellt, auf gut Deutsch<br />
gesagt. Meine Kollegin vorher, die war selber<br />
Pädagogin, die hat gerne Pädagogen eingestellt,<br />
aber weil wir müssen Bildungsplanung<br />
machen und jetzt nicht Lehrkräfte, das ist eine<br />
völlige Fehlqualifikation. Wir brauchen Leute,<br />
die von Inhalten Ahnung haben und nicht von<br />
pädagogischem Schnickschnack.“ (W:O4).<br />
Zusammenfassend lässt sich für Ostdeutschland<br />
festhalten, dass nach der weitgehenden<br />
Zerstörung der großen Internen Arbeitsmärkte<br />
der Kombinate ein Prozess der schrittweisen<br />
Annäherung und des selektiven<br />
Überholens der westdeutschen<br />
Seite 58 Strukturen einsetzt. Für die Mehrzahl<br />
der ostdeutschen Untersuchungsfälle<br />
gilt, dass über die Krisenerfahrungen der 90er<br />
Jahre und korrespondierende Lernprozesse<br />
und Umorientierungen die ehemals betriebsdeckenden<br />
Geschlossenen BBSS innerhalb<br />
der Betriebe zusehends kleiner werden.<br />
Konsequenterweise nehmen die Anteile an<br />
Beschäftigten mit Langfristperspektiven an<br />
den Belegschaften ab, kurz- und mittelfristige<br />
Beschäftigung in Offenen BBSS nimmt zu, so<br />
dass sich auch hier eine Koexistenz von Internen<br />
und Externen Märkten herausbildet. Im<br />
Untersuchungszeitraum in der ersten Hälfte<br />
dieses Jahrzehnts haben die ostdeutschen<br />
Betriebe das westdeutsche Sample im Hinblick<br />
auf Externalisierung und Polarisierung,<br />
Sekundarisierung und Re-Kommodifizierung<br />
überholt. Die hohe Arbeitslosigkeit und die<br />
starke Betriebsbindung der Beschäftigten<br />
führen zu einer – im Vergleich – stärkeren<br />
Abschottung der Geschlossenen BBSS gegenüber<br />
dem Externen Arbeitsmarkt, aber auch<br />
gegenüber den Randbelegschaften im eigenen<br />
Betrieb; sie generieren also eine starke Polarisierung.<br />
Senioritäts- und statusbasierte Regeln<br />
für Geschlossene BBSS wurden von vornherein<br />
vermieden oder unterlaufen, so dass hier in der<br />
Tat von einem „Überholen ohne Einzuholen“<br />
gesprochen werden kann.<br />
11. Challenge and Response – Schub- und<br />
Ziehkräfte des Wandels<br />
Will man die Triebkräfte der Dynamik des<br />
west- und ostdeutschen Arbeitsmarktes verstehen<br />
und erklären, so muss man in einem ersten<br />
Schritt auf die Erwerbsorganisationen schauen,<br />
in die die BBSS eingebettet sind. Wir haben<br />
dafür im Anschluss an neuere mikrosozio/<br />
ökonomische Ansätze das Konzept der personalpolitischen<br />
Bezugsprobleme betrieblichen<br />
Handelns entwickelt und das Verfügbarkeitsund<br />
Leistungsproblem in den Vordergrund ge-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
stellt (Abschnitt 9). Das Verfügbarkeitsproblem<br />
gliedert sich in Probleme der Rekrutierung und<br />
der Kontinuität von Auftrags- und Arbeitsvolumina;<br />
das Leistungsproblem in Probleme<br />
der Kontrolle und Legitimation. Über diesen<br />
Ansatz können wir einmal betriebliche Problemlagen<br />
in den Zusammenhang mit mikro-,<br />
meso- und makrostrukturellen Rahmenbedingungen<br />
stellen. Zum anderen können wir die<br />
Handlungen der betrieblichen Entscheider im<br />
Sinne des Ansatzes von Best u.a. (Best 2007;<br />
Lutz 2007) als Challenge-Response-Ketten<br />
modellieren.<br />
Westdeutschland<br />
Anfang der neunziger Jahre sahen sich die<br />
personalverantwortlichen Entscheider international<br />
agierender mittlerer und großer Unternehmen<br />
vor eine doppelte Herausforderung<br />
gestellt: Einerseits nahm der Kostendruck und<br />
die Volatilität auf den internationalen Märkten<br />
zu, womit in der Sprache unseres Erklärungsansatzes<br />
„Diskontinuitätsprobleme“ stärker<br />
zunehmen und starke Schubkräfte in Richtung<br />
auf die Reduzierung der Personalfixkosten und<br />
Strategien der Personalanpassung entstehen.<br />
Andererseits nehmen aufgrund der langfristigen<br />
Zunahme des Arbeitskräftepotenzials<br />
(geburtenstarke Jahrgänge, Wiedervereinigung)<br />
und der wachsenden Massenarbeitslosigkeit<br />
„Verfügbarkeitsprobleme“ für die meisten Berufsgruppen<br />
ab. Im Zusammenhang damit und<br />
auf der Basis der Internationalisierung des Kapitals<br />
verlieren die Interessenvertretungsorgane<br />
auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene<br />
an Macht. Durch die Machtverschiebung<br />
zwischen Kapital und Arbeit nehmen „Herrschaftsprobleme“<br />
und damit Widerstände<br />
gegen flexible Personalstrategien ab.<br />
In den Interviews mit den Personalverantwortlichen<br />
werden immer wieder die Veränderungen<br />
der Absatzmärkte sowie die Strategien<br />
der Unternehmenszerlegung und Marksteuerung<br />
von Geschäftsprozessen (vgl. auch Bultemeier<br />
u.a. 2007; Dörre/Brinkmann 2005; Sauer<br />
2005; Windolf 2005) hervorgehoben. Die<br />
Organisationen werden nach Geschäftsfeldern<br />
zerlegt, parallel erfolgt eine Konzentration<br />
auf das Kerngeschäft und eine Zunahme des<br />
Outsourcing (Verkleinbetrieblichung). Die<br />
ehemals in Unternehmen oder Non-Profit-Großorganisationen<br />
eingebetteten und<br />
geschützten Wirtschaftseinheiten sind stark<br />
auf einzelne Geschäftsfelder fokussiert und<br />
direkt dem Markt ausgesetzt (Vermarktlichung).<br />
Die verbliebenen Reste sind häufig<br />
so stark auf Kernfunktionen reduziert, dass<br />
eine Stabilisierung der Beschäftigung durch<br />
die Rücknahme von Unteraufträgen nicht<br />
mehr möglich ist, es fehlt das erforderliche<br />
Sach- und Humankapital. Damit reduzieren<br />
sich in vielen Fällen die beschäftigungs- und<br />
betriebswirtschaftlichen Spielräume für Beschäftigungssicherung.<br />
Die internen Puffer<br />
zur Bewältigung von Absatz- und Profitabilitätsschwankungen<br />
nehmen ab: In der<br />
Sprache unseres Erklärungsansatzes nehmen<br />
Diskontinuitätsprobleme zu – das Personal<br />
muss schneller dem Arbeitsvolumen angepasst<br />
werden. Geschlossene Beschäftigungssysteme<br />
werden abgebaut, Offene und marktförmige<br />
Beschäftigungssysteme gewinnen an<br />
Bedeutung. Das Austauschvolumen<br />
zwischen den Erwerbsorganisationen<br />
Seite 59<br />
und dem Externen Arbeitsmarkt<br />
nimmt zu. Exemplarisch hierfür steht ein<br />
traditionsreiches mittelständisches Unternehmen<br />
(M:W1), das komplexe Aggregate<br />
und Apparate in kleinen Serien fertigt und
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
weltweit vertreibt.<br />
Das Unternehmen entwickelte in den 60er<br />
und 70er Jahren eine typische „funktionale<br />
Organisationsstruktur“. Alle benötigten<br />
Funktionen und damit Qualifikationen<br />
waren „in einem Haus einbettet“. Doch<br />
bereits Ende der 70er Jahre, „als es praktisch<br />
um Ideologie ging und nicht mehr<br />
um Betrieb und Betriebszukunft“, werden<br />
die Kosten derartiger Strukturen immer<br />
deutlicher. Um der Unflexibilität der<br />
Tarifverträge entgegen zu wirken, führte<br />
man bereits in den 70er Jahren gleitende<br />
Arbeitszeiten ein. Als „Pionierarbeit“ wird<br />
die Einführung von Leiharbeit in den 80er<br />
Jahren gesehen. Weiterhin gründete man<br />
Niederlassungen im europäischen Ausland.<br />
Zu Beginn der 90er Jahre (1993) wurde ein<br />
Grossteil der Belegschaft (180 Mitarbeiter)<br />
in Deutschland bedingt durch einen<br />
Konjunkturknick entlassen. Auch Büros in<br />
den neuen Bundesländern wurden (wieder)<br />
geschlossen.<br />
In den Jahren 1995/96 erfährt die Organisation<br />
den größten Strukturwandel der Firmengeschichte.<br />
Das Gesamtunternehmen<br />
wurde nach Geschäftsfeldern zerlegt, so<br />
dass 6 Geschäftsbereiche entstanden. Die<br />
Geschäftsfelder 1 bis 4 stellen „Profitcenter“<br />
dar. Diesen Feldern werden klare Vorgabezielsetzungen<br />
gemacht, so dass „ganz<br />
bestimmte Renditen erzielt werden“.<br />
Seite 60 Die Produktion (Geschäftsfeld 6) ist<br />
berechtigt, Leistungen extern zu verkaufen.<br />
Das Unternehmen wiederum<br />
holt Angebote von der eigenen Produktion<br />
ein, aber orientiert sich auch am Markt.<br />
Die Produktion steht damit „praktisch<br />
im Wettbewerb zum eigenen Haus“. Das<br />
fünfte Geschäftsfeld (Service) wurde im<br />
Jahre 2000 gänzlich aus der Organisation<br />
als eigenständige GmbH ausgegründet. Am<br />
Standort der Mutterfirma bleiben vor allem<br />
die Konstruktion nach kundenspezifischen<br />
Anforderungen und die Montage der komplexen<br />
Aggregate erhalten.<br />
Eine enge Führungsriege aus 7 Leuten<br />
leitet das Unternehmen. Die „absolute<br />
Unstetigkeit in den Geschäftsbeziehungen“<br />
und die starke Abhängigkeit vom Kunden-<br />
und Lieferantenmarkt bekräftigten<br />
die Personalentscheider in ihrem Kalkül,<br />
„alles was benötigt wird, kauft man sich<br />
draußen ein“. So werden heute die starken<br />
saisonalen Auftragsschwankungen vor<br />
allem über Leiharbeiter aufgefangen. Rund<br />
70 Leiharbeiter werden jährlich zusätzlich<br />
zur Stammbelegschaft für mehrere Monate<br />
zum Zweck einfacher Monatearbeiten<br />
beschäftigt. Für die derzeitige Kernmannschaft<br />
wird eine langfristige Beschäftigungsdauer<br />
postuliert, wobei jedoch weitere<br />
quantitative Reduzierungen denkbar<br />
sind. Die Leiharbeiter stellten und stellen<br />
zudem für das Unternehmen „ein tolles<br />
Nachwuchsbecken dar“, dennoch bestehen<br />
nur selten Übernahmemöglichkeiten. Die<br />
Stammbelegschaft oder Kernmannschaft ist<br />
der „Träger des betrieblichen Know-hows“.<br />
Und weiter: „Es ist auch so, dass sicherlich<br />
auch von außen der Eine oder Andere<br />
mal in diesen Topf mit reinkommt, aber<br />
befristet“. Die Beschäftiger wissen um die<br />
Risiken langfristiger Bindungen und haben<br />
ihre Präferenzen marktgerecht moduliert:<br />
„Deswegen wird der Preis, der draußen<br />
verlangt wird, wahrscheinlich gezahlt, ohne
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
dass man das Risiko einer langfristigen Beschäftigung<br />
eingeht. Denn alle rechnen aus<br />
... denn die ganzen Abfindungsregelungen<br />
haben natürlich viele geschockt. Und die<br />
sind natürlich bei allen Einstellungen verdammt<br />
vorsichtig geworden.“<br />
Laut Personalentscheider kann das Wissen,<br />
das im Unternehmen benötigt wird, nicht<br />
mehr ausschließlich intern erzeugt werden.<br />
Er erwartet, dass die Entwicklung hin „zu<br />
einer Kernmannschaft“ führt, die von einer<br />
„außen liegenden Zuarbeitermannschaft“<br />
und einer „noch weiter außen liegenden<br />
freien Mitarbeit“ unterstützt wird. Die<br />
Kernmannschaft werde jedoch auch in<br />
Zukunft ein wesentliches Element der Beschäftigtenstruktur<br />
darstellen.<br />
Im Ergebnis tritt bereits jetzt neben das<br />
Geschlossene Beschäftigungssystem für<br />
die geschrumpfte Stammbelegschaft ein<br />
marktförmiges System für die Leiharbeiter.<br />
Es gibt zwar Überlappungen in den Arbeitsaufgaben<br />
und Tätigkeiten, aber wenig<br />
Übergangsmöglichkeiten.<br />
Vergleichbare Tendenzen zeigen sich bei der<br />
Mehrzahl der groß- und mittelbetrieblichen<br />
Unternehmen unseres eigenen (S:W1, Bk:<br />
W3-2. Welle) und des erweiterten Samples<br />
im Maschinenbau und in der Chemie, bei<br />
Banken und Versicherungen und größeren<br />
Softwareunternehmen (Fälle der Lehrforschungen).<br />
Bei den großen öffentlich geförderten<br />
Institutionen der Weiterbildung und<br />
der Pflege ergeben sich Veränderungen aus der<br />
Finanzkrise der öffentlichen Hand. Zuschüsse<br />
werden reduziert und stärker von politischen<br />
Konjunkturen abhängig.<br />
Marktveränderungen sowie Strategien der<br />
Vermarktlichung und Verkleinbetrieblichung<br />
können aber auch – wie aus der Literatur<br />
bekannt – zu einer Stabilisierung und Schließung<br />
der Beschäftigung in den fokalen Unternehmen<br />
auf Kosten der Unterauftragnehmer<br />
führen. In unserem Sample haben sich entsprechende<br />
Strukturen bei Niederlassungen<br />
der großen Bauunternehmer herausgebildet,<br />
die als Generalunternehmer Großbaustellen<br />
leiten.<br />
Die Niederlassung eines großen Unternehmens<br />
(B:W1) führte bereits in den 80er<br />
Jahren Strukturanpassungen des Personals<br />
im gewerblichen Bereich durch. Die zweite<br />
Welle dieser Maßnahmen erfolgte in den<br />
90er Jahren, wobei knapp 70 gewerbliche<br />
Mitarbeiter meist über Verrentungen den<br />
Betrieb verließen und nur noch 34 Mitarbeiter<br />
in diesem Bereich verblieben. Der<br />
Personalverantwortliche geht von einer<br />
weiteren Reduzierung des Personalbestandes<br />
bis auf einen stabilen Kern von ca.<br />
20 Mitarbeitern aus. Da der Altersdurchschnitt<br />
sehr hoch ist – der Anteil der über<br />
50-Jährigen liegt bei 45% – wird dies über<br />
Verrentungen geschehen. Ein Stamm von<br />
gewerblichen Mitarbeitern mit langfristiger<br />
Perspektive soll jedoch im Unternehmen<br />
verbleiben. Dies stehe einerseits in<br />
der Tradition der Organisation und sichere<br />
andererseits die notwendige Flexibilität.<br />
Denn durch ihre Erfahrung<br />
seien die Facharbeiter Spezialisten<br />
und Allrounder zugleich.<br />
Der Personalabbau wird seitens des Personalverantwortlichen<br />
mit der seit Jahren<br />
anhaltenden Rezession sowie dem mas-<br />
Seite 61
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
siven Verdrängungswettbewerb im Baubereich<br />
begründet. Zudem erfolgte eine<br />
Konzentration des Angebots auf die Projektierung<br />
und das Management größerer<br />
Bauvorhaben, deren Realisierung über die<br />
Zusammenarbeit mit Nachunternehmen<br />
abgesichert wird. Bei solchen Projekten<br />
sind oft 40 bis 50 Nachtunternehmen<br />
beteiligt. Die daraus gezogenen Kostenvorteile<br />
– „jede Stunde, die ich extern einkaufe,<br />
ist billiger“ – subventionieren den eigenen<br />
gewerblichen Bereich. Weiterhin wird auf<br />
freie Mitarbeiter und „Leiharbeiter“ aus anderen<br />
Niederlassungen des Unternehmens<br />
zurückgegriffen. Die Vorteile einer solchen<br />
Konstellation werden in der Aufrechterhaltung<br />
eines stabilen Personalbestandes und<br />
in der Sicherstellung der Handlungsfähigkeit<br />
des Betriebes bei Auftragsspitzen oder<br />
-engpässen gesehen. „…für die tägliche<br />
Arbeit macht das wirklich … den Rücken<br />
frei, weil ich habe meinen festen Stamm,<br />
da weiß ich, was das im Jahr kostet. …<br />
Das kann ich genau ausrechnen, das sind<br />
meine Fixkosten und die müssen gedeckt<br />
werden. Und wenn ich darüber hinaus die<br />
anderen einsetze, sind das variable Kosten.<br />
Das macht es mir möglich, mit… vielleicht<br />
mit der Hälfte des Umsatzes für dieses Jahr<br />
über die Runden zu kommen.“<br />
Im Ergebnis erfolgt durch die Vergabe bzw.<br />
Rücknahme von Unteraufträgen eine<br />
Stabilisierung der Beschäftigung bei<br />
Seite 62 diskontinuierlichen Auftrags- und Arbeitsvolumina.<br />
Man vermeidet große<br />
Belegschaften, die „bei Engpässen nicht zu<br />
beschäftigen, aber zu bezahlen sind“. Im<br />
Längsschnitt hat sich somit die langfristige<br />
Beschäftigung im Unternehmen erhalten,<br />
jedoch auf einem quantitativ niedrigeren<br />
Niveau.<br />
Während bei mittel- und großbetrieblichen<br />
Organisationen deutliche Restrukturierungsprozesse<br />
zu erkennen sind, wird aus<br />
dem Fallstudienmaterial bei den Klein- und<br />
Kleinstbetrieben kein grundlegender Wandel<br />
in der Struktur und im Mischungsverhältnis<br />
der BBSS sichtbar. Die von uns befragten Erwerbsorganisationen<br />
bestanden mehrheitlich<br />
seit mindestens zehn Jahren, stellen in der<br />
kleinbetrieblichen Betriebspopulation (mit<br />
hohen Sterbequoten nach der Gründung) als<br />
Überlebende eine Positivauswahl dar und haben<br />
es frühzeitig gelernt, mit begrenzten finanzund<br />
beschäftigungspolitischen Spielräumen zu<br />
agieren. Sie weisen – wie bei der Breite unseres<br />
Samples zu erwarten – die verschiedensten<br />
Mischungen von Beschäftigungssystemen auf;<br />
deren Struktur bleibt aber im Beobachtungszeitraum<br />
relativ stabil.<br />
Die Ausnahme in unserem qualitativen Sample<br />
bilden die Pflegedienste, die nach der Einführung<br />
der Pflegeversicherung (1997) expandierten<br />
und aufgrund des stark zunehmenden<br />
Arbeitskräftebedarfs und der korrespondierenden<br />
Fachkräfteknappheit einerseits, der harten<br />
Arbeitsbedingungen und geringen Gehälter<br />
andererseits eine hohe Fluktuation aufweisen.<br />
In vielen Fällen werden bei Pflegediensten<br />
Offene BBSS mit mittleren Beschäftigungsdauern<br />
von zwei bis zehn Jahren gefahren.<br />
Hier nimmt das Austauschvolumen mit dem<br />
Externen Arbeitsmarkt zu – meist auf Initiative<br />
der Beschäftigten (P:W2, P:W3). Die durchschnittlichen<br />
Verweildauern verkürzen sich. In<br />
einzelnen Fällen finden Strukturwechsel von<br />
Geschlossenen zu Offenen Beschäftigungs-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
systemen statt: Immer mehr Pflegepositionen<br />
werden von nur mittelfristig verbleibenden<br />
Kräften besetzt. Die Fachkräfteknappheit<br />
bildet ein zentrales Thema der Interviews: „Es<br />
wäre schöner, wenn die Personalbeschaffung<br />
einfacher wäre – dass ich die Kohle, die ich<br />
in den ganzen Anzeigen schalte, lieber den<br />
Mitarbeitern zukommen lassen würde.“ (P:<br />
W1) oder „Ich könnte aber auf einen Schlag<br />
zehn einstellen oder zwanzig, wenn sie denn da<br />
wären.“ (P:W3).<br />
Zusammenfassend lassen sich auf der Basis<br />
unseres Fallstudienmaterials eine Reihe von<br />
Hypothesen festhalten. Bei den mittel- und<br />
großbetrieblichen Erwerbsorganisationen<br />
führen teilweise weitreichende Restrukturierungsprozesse<br />
der Verkleinbetrieblichung<br />
und Vermarktlichung zu einer Zunahme von<br />
Diskontinuitätsproblemen, während gleichzeitig<br />
Verfügbarkeits- und Herrschaftsprobleme<br />
abnehmen. Auf dieser Basis schrumpft der<br />
Raum für Geschlossene BBSS, während die<br />
Anteile Offener BBSS zunehmen. Bei der<br />
Mehrheit der Klein- und Kleinstbetriebe sind<br />
dagegen keine grundlegenden Veränderungen<br />
in der Struktur der Beschäftigungssysteme<br />
auszumachen.<br />
Ostdeutschland<br />
Mit einer Vernichtung fast der Hälfte des<br />
gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens<br />
innerhalb von drei Jahren wurde der ostdeutsche<br />
Arbeitsmarkt dem härtesten Schock<br />
aller Transformationsländer ausgesetzt. Erste<br />
Reaktion war die weitgehende Zerstörung<br />
der flächendeckenden großen Internen Arbeitsmärkte<br />
der Kombinate, womit in der<br />
Regel auch ein Verlust ihrer sozialpolitischen<br />
Funktionen verbunden war (vgl. Kaelble<br />
1994). Nach dieser historisch singulären<br />
Strukturtransformation des sozialistischen<br />
Wirtschaftssystems nahm die neu konstituierte<br />
Betriebslandschaft eine weitgehend verkleinbetrieblichte<br />
und vermarktlichte Struktur<br />
an, deren durchschnittliche Produktivität weit<br />
unter der Westdeutschlands lag. Insbesondere<br />
für die überregional agierenden Niederlassungen<br />
und Betriebe bestand der Challenge<br />
darin, Personalfixkosten einzusparen. Sowohl<br />
das fast unbegrenzte Arbeitskräfteangebot<br />
auf den überbetrieblichen Arbeitsmärkten<br />
als auch die inner- und überbetrieblichen<br />
Machtverhältnisse setzten Externalisierungsprozessen<br />
keine Schranken. Konsequenterweise<br />
diagnostizierten und prognostizierten<br />
viele Journalisten, Politiker aber auch Wissenschaftler<br />
einen „wilden Osten“ mit hoher<br />
Beschäftigungsinstabilität.<br />
Umso erstaunlicher war nach dem Transformationssturm<br />
der ersten Jahre die in der<br />
Mehrheit der ostdeutschen Untersuchungsbetriebe<br />
erreichte hohe Beschäftigungsstabilität.<br />
Die ganz überwiegende Zahl der überlebenden<br />
oder neu gegründeten Ost-Betriebe begann<br />
mit personalpolitischen Stabilisierungs- und<br />
Sicherheitsstrategien. Damit wurde unter<br />
gänzlich neuen Rahmenbedingungen an die<br />
Tradition Interner Arbeitsmärkte in der DDR<br />
angeknüpft (Grünert/Lutz 1996). Dies wurde<br />
durch besondere ökonomische und<br />
institutionelle Rahmenbedingungen<br />
ermöglicht und gefördert und ent-<br />
Seite 63<br />
sprach den dominanten sozialmoralischen<br />
Orientierungen von Beschäftigern<br />
und Beschäftigten, deren Verletzung massive<br />
Probleme der Legitimation betrieblicher<br />
Herrschaft nach sich gezogen hätte.
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Die Mehrheit unserer ostdeutschen Untersuchungsfälle<br />
erlebte nach Abschluss der<br />
„blutigen“ Transformation als überlebende<br />
Positivauswahl zunächst eine mehr oder<br />
weniger starke Wachstumsphase, so dass<br />
das Konzept langfristiger Beschäftigung in<br />
Internen Arbeitsmärkten nicht in Frage gestellt<br />
werden musste. Dies betrifft aufgrund<br />
des ökonomischen Strukturwandels sowie<br />
des großen West-Ost-Finanztransfers Banken<br />
und Versicherungen, die Bauindustrie<br />
und den Weiterbildungssektor (B:O1-3, W:<br />
O1-3). Dort, wo – wie in Teilen der Industrie<br />
– die ökonomische Sanierung schwierig<br />
war, sorgten zunächst die wirtschafts- und<br />
arbeitsmarktpolitischen Institutionen wie die<br />
Treuhand und die Bundesanstalt für Arbeit<br />
(BA) für eine Stabilisierung der Beschäftigung<br />
auch bei unsicheren wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen. Bei von der Treuhand<br />
übernommenen Betrieben galt es, Beschäftigungsgarantien<br />
einzuhalten. Die BA gewährte<br />
großzügig Kurzarbeitergeld, so dass auch in<br />
Betrieben und Branchen mit schwierigen<br />
ökonomischen Rahmenbedingungen zunächst<br />
eine relative Stabilität erreicht wurde (M:O1,<br />
M:O2). Dies gilt nicht flächendeckend, wie<br />
krisenhafte Betriebsbiografien belegen; hier<br />
wird Beschäftigungsstabilität erst nach Jahren<br />
und mannigfaltigen Anpassungsprozessen<br />
erreicht (M:O3, M:O4).<br />
Diese relative Kontinuität von Auftragslagen<br />
und Beschäftigung in den<br />
Seite 64 überlebenden Betrieben unseres Samples<br />
in der ersten Hälfte der 90er Jahre<br />
wird durch die bereits erwähnte dominante<br />
sozialmoralische Orientierung von Beschäftigern<br />
und Beschäftigten gestützt. Sie bestand<br />
darin, den „Zwängen des Kapitalismus“ durch<br />
niedrige Löhne, hohe Leistungsbereitschaft<br />
und lange Arbeitzeiten entgegenzukommen,<br />
aber dieses mit einem Schutz der Beschäftigten<br />
gegen die Unbill der Arbeitsmärkte zu<br />
verbinden. Dies stand zunächst durchaus in der<br />
Tradition der sozialistisch-paternalistischen<br />
Betriebsgemeinschaft (vgl. Behr u.a. 2006).<br />
Aus unseren Fallstudien gibt es eine Vielzahl<br />
an Hinweisen darauf, dass und wie Sicherheit<br />
auch gegen ökonomische Kalküle geboten<br />
und akzeptiert wurde. Unübertroffen bleibt<br />
das Beispiel eines Thüringer Metallbetriebes<br />
aus dem erweiterten Sample, in dem an einer<br />
Montagelinie die – eigentlich überflüssige<br />
– Stelle der Qualitätskontrolle mit Wissen aller<br />
Beschäftigten mit einer halbblinden Person besetzt<br />
war. Personalverantwortliche Entscheider<br />
haben Kündigungen auch gegen ökonomische<br />
Kalküle zu vermeiden versucht. In vielen Industriebetrieben<br />
haben Beschäftigte immer<br />
wieder wochenlang auf ihren Lohn gewartet<br />
und teilweise sogar darauf verzichtet, um das<br />
Überleben der Firma und ihren Arbeitplatz zu<br />
sichern (LF 02/03-M:O1).<br />
Eine Ausnahme bilden die neu gegründeten<br />
Privatbanken, die offensichtlich die ostdeutschen<br />
Niederlassungen als Experimentierfeld<br />
für neue personalpolitische Strategien nutzen,<br />
häufige Umsetzungen auch in entfernte Zweigstellen<br />
vornehmen (Bk:O2, Bk:O4) und auch<br />
schnell Kündigungen aus betriebsbedingten<br />
oder leistungsbedingten Gründen vornehmen.<br />
Im Verlauf der 90er Jahre verändern sich die<br />
ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen<br />
ebenso wie die dominanten<br />
sozialmoralischen Orientierungen der Entscheider.<br />
Die neuen Dienstleistungssektoren<br />
sind aufgebaut (Banken, Software, etc.), die
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Phase schnellen Wachstums ist vorbei. Die<br />
staatliche und institutionelle Förderung wird<br />
zurückgefahren (besonders betroffen sind<br />
die Weiterbildungs- sowie die Baubranche),<br />
besondere Beschäftigungsgarantien und Fördermaßnahmen<br />
in der Industrie laufen aus.<br />
Mit zunehmender Instabilität der Auftragslagen<br />
lernen die personalverantwortlichen<br />
Entscheider die Probleme und Kosten von<br />
Geschlossenen Beschäftigungssystemen und<br />
Beschäftigungssicherheit kennen. Häufig sind<br />
sie gezwungen, mit hohen Kosten Personal<br />
abzubauen. Dies führt zur Verunsicherung der<br />
Weiterbeschäftigten und zu Gegenreaktionen<br />
der Entlassenen. In einzelnen Fällen werden<br />
Betriebsräte aktiv, die Gewerkschaften bieten<br />
Rechtsschutz, viele individuelle Widerspruchsklagen<br />
werden initiiert (Sadowski/Schneider<br />
2000; Schneider 1999). In der Folge halten<br />
sich die personalverantwortlichen Entscheider<br />
mit vertraglichen Angeboten langfristiger<br />
Beschäftigung zurück: „ … also nur, dass<br />
ich jemanden beschäftige, weil ich ein guter<br />
Arbeitgeber bin; das geht heute nicht mehr.“<br />
(B:O3). Ausgewählte Arbeitsbereiche und<br />
Tätigkeiten werden nur noch mit kurz- und<br />
mittelfristigen Beschäftigungsdauern und über<br />
unterschiedliche zeitlich begrenzte Vertragsformen<br />
gefahren.<br />
Nach den Krisenerfahrungen schrumpft der<br />
gesicherte Allokationsraum sukzessive auf die<br />
attraktiveren und häufig höher qualifizierten<br />
Tätigkeiten des Bereichs zusammen, das Geschlossene<br />
Beschäftigungssystem wird kleiner:<br />
„Also wir werden versuchen gut qualifizierte<br />
Mitarbeiter längerfristig ans Haus zu binden.<br />
Wobei aber die Tendenz dahin gehen wird,<br />
dass der Mitarbeiter im Laufe seines Berufslebens<br />
öfter den Arbeitsplatz wechseln wird.“<br />
(Bk:O4). Die restlichen Tätigkeiten werden<br />
mit Personal mit kurz- und mittelfristigen<br />
Beschäftigungsperspektiven besetzt. Es<br />
entstehen separate Allokationsräume mit<br />
vielen Eintritts- und Austrittspositionen und<br />
einem hohen Austauschvolumen mit dem<br />
Externen Arbeitsmarkt, die wir als Offene<br />
BBSS charakterisieren. Die Beendigung des<br />
Beschäftigungsverhältnisses erfolgt hier in der<br />
Regel auf Initiative des Arbeitgebers. Neben<br />
den Geschlossenen BBSS konstituieren sich<br />
also in den Grenzen der Erwerbsorganisation<br />
Offene BBSS mit geringen Übergangsmöglichkeiten<br />
in den Geschlossenen „Sektor“.<br />
Selbst in Branchen mit hoher Personalfluktuation<br />
finden sich die – inzwischen<br />
geschrumpften – Schicksalsgemeinschaften,<br />
die sich seit der Unternehmensgründung nach<br />
dem Umbruch und teilweise schon vorher<br />
kannten. Diese je nach Betriebsbiografie<br />
altershomogenen, aber auch häufig altersheterogenen<br />
Belegschaften konstituieren ihre Gemeinschaft<br />
gegen neu eingestellte Kollegen.<br />
Die Lasten der Diskontinuitäten werden auf<br />
betriebsjüngere abgewälzt – es entstehen ausgeprägte<br />
Randbelegschaften. Entsprechende<br />
Unterscheidungen von „Kern“ bzw. „Stamm“<br />
und „Rand“ werden bei den befragten<br />
Entscheidern, aber auch bei Betriebsräten<br />
und Beschäftigten immer häufiger genannt.<br />
Bezeichnend für derartige Entwicklungen ist<br />
das Beispiel eines kleinen Thüringer<br />
Bauunternehmens in einer Kleinstadt<br />
(B:O3):<br />
Nach dem Ende der DDR wurde der Betrieb<br />
1991 mit 2 Beschäftigten gegründet.<br />
Durch die tradierten Beziehungen fiel es<br />
nicht schwer, einen geeigneten Mitarbei-<br />
Seite 65
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
terstamm aufzubauen, denn man „kennt<br />
sich von früher und wir haben ja alle im<br />
VEB gearbeitet“, so die Aussage des Interviewpartners.<br />
Über die Jahre (bis 1997)<br />
wuchs die Mitarbeiterzahl auf 27 an. In<br />
dieser Zeit mussten die Geschäftsführer<br />
viele leidvolle Erfahrungen sammeln und<br />
mannigfaltige Lernprozesse durchlaufen.<br />
So trennte man sich recht bald von Subunternehmerfunktionen.<br />
Die Zahlungsunfähigkeit<br />
von Auftraggebern führte im Jahr<br />
1997 an den Rand des Konkurses. Man sah<br />
sich gezwungen, aus Kostengründen und<br />
auf Anraten der Bank 17 der 27 Arbeiter<br />
zu entlassen. Mit 10 Beschäftigten sollte<br />
weiter gearbeitet werden. Doch auch der<br />
Markt veränderte sich schnell weiter: „Ja,<br />
früher hatten wir gesagt, dass pro Beschäftigter<br />
der uns zehntausend Mark im Monat<br />
bringt, reiner Umsatz, dass ungefähr so<br />
zwischen 15 und 20% Gewinn rauskommen.<br />
Das ist ja totale Illusion! Heute ist im<br />
Bau 5 bis 6% Gewinn“.<br />
Die Auftragslage zwang zu einer weiteren<br />
Reduzierung der Mitarbeiterzahl: „Und<br />
heute ist es nicht mehr so auf dem Bau,<br />
dass du einen Handlanger hast. Irgendwo<br />
musst du ja Mindestlohn zahlen und da<br />
müssen sie durch. Einer der die Schubkarre<br />
fährt und nicht so ausgebildet ist, der kostet<br />
mich ja inzwischen 16,89, was soll´s, es geht<br />
nicht mehr.“ Selbst ein reduzierter<br />
Grundstamm aus 8 Mitarbeitern<br />
Seite 66 konnte nicht dauerhaft im Unternehmen<br />
verbleiben. Flexibilisierung<br />
wurde angedacht: „Da hatten wir nur einen,<br />
der befristet war und da haben wir gesagt,<br />
es ist ja gang und gebe, ich mein, man kann<br />
es sich nicht mehr leisten, weil wenn nicht<br />
mehr genügend Aufträge da sind.“ Zum<br />
Interviewzeitpunkt arbeiteten 8 Mitarbeiter<br />
im Unternehmen, 4 von ihnen befristet.<br />
Nach Ablauf der Befristung werden die<br />
Mitarbeiter bei guter Auftragslage befristet<br />
weiterbeschäftigt, bei schlechter jedoch<br />
nicht. Das Unternehmen hat sich über die<br />
Jahre bis auf einen kleinen Grundstamm<br />
reduzieren müssen: Es entstehen „stinkige<br />
Familien“, so die Gesprächspartnerin.<br />
Die Interviews mit den Personalverantwortlichen<br />
zeigen einen Umbruch in den sozialmoralischen<br />
Orientierungen. War „Kapitalismus<br />
pur“ zunächst etwas Anrüchiges, so werden<br />
„Marktzwänge“ jetzt ungebrochen zu einem<br />
für das Überleben notwenigen Imperativ<br />
hochstilisiert. Im Osten arbeiten die härteren<br />
Kapitalisten und Arbeiter: „Ich habe da einen<br />
Verwandten in Darmstadt, die im Westen arbeiten<br />
wie zu DDR-Zeiten.“ (M:O3). So betonen<br />
die ostdeutschen Entscheider die Notwendigkeit<br />
der schnellen Personalanpassung auch<br />
bei Leistungsdefiziten, um das Überleben der<br />
Organisation im Kapitalismus zu sichern.<br />
Die Abkehr von der Strategie einer generellen<br />
Langfristbeschäftigung wird durch die<br />
arbeitsmarktpolitischen Institutionen und<br />
Leiharbeitsfirmen nun massiv gestützt. Die<br />
Arbeitsämter versuchen, die geschlossenen<br />
Betriebsgemeinschaften und die Risikoaversion<br />
der gebrannten Kinder bzw. Entscheider<br />
durch „Sonderangebote“ mit Lohn- und<br />
Qualifizierungssubventionen sowie mit dem<br />
Hinweis auf den Instrumentenkasten zeitlich<br />
begrenzter Beschäftigung aufzubrechen.<br />
Leiharbeitsfirmen bemühen sich, die Entscheider<br />
von den Vorteilen ihres Systems zu<br />
überzeugen. Die sozialmoralischen Konzepte
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
von Beschäftiger und Beschäftigten verändern<br />
sich. Die „Überlebensgemeinschaften“ von Beschäftiger<br />
und Beschäftigten legitimieren ihre<br />
Beschäftigungssicherheit über marktgerechte<br />
Leistungen und nicht mehr über die soziale<br />
Verantwortung des Beschäftigers.<br />
Liest man die im Zeitraffer verlaufende<br />
Annäherung und das Überholen der westdeutschen<br />
Muster als Lehrstück für das Verhältnis<br />
von Akteuren und Institutionen im<br />
Prozess sozialen Wandels, so zeigt sich, dass<br />
die ostdeutschen Personalverantwortlichen<br />
die neuen Institutionen zunächst von „links“<br />
interpretieren (hohe Beschäftigungssicherheit<br />
für möglichst viele), um sie dann im Zeitablauf<br />
von „rechts“ zu überholen (durch extensive<br />
Nutzung personalpolitischer Flexibilisierungsmöglichkeiten).<br />
Ohne Zweifel spielen die<br />
Anpassung an das importierte Arbeitsrecht<br />
und die entsprechenden Leitbilder im Sinne<br />
des neuen soziologischen Institutionalismus<br />
in diesem Prozess eine große Rolle. Die praktische<br />
Abkehr von den alten Leitbildern der<br />
Betriebsgemeinschaft erfolgt jedoch erst mit<br />
schmerzhaften und teilweise traumatischen<br />
ökonomischen Krisenerfahrungen sowie auf<br />
Basis der anhaltenden Arbeitskräfteüberschüsse<br />
auf den ostdeutschen Arbeitsmärkten.<br />
Dies spricht eher für die Erklärungskraft der<br />
alten soziologischen und neuen ökonomischen<br />
Institutionentheorien, die ökonomische und<br />
politische Constraints und Gelegenheitsstrukturen<br />
in den Vordergrund stellen (vgl. zu dieser<br />
Debatte Brussig 2000; Schmid/Maurer 2003).<br />
In der zweiten Hälfte diesen Jahrzehnts<br />
zeichnet sich auf Basis der geringen Wachstumsraten<br />
und der Arbeitsmarktsituation eine<br />
Fortführung der Flexibilisierungstendenz ab<br />
(z.B. Bk:O3, B:O2, M:O3, W:O1, W:O3).<br />
Die anstehende organisationsdemografisch<br />
bedingte Verrentungswelle wird zur Auflösung<br />
der Bindekraft der „kohäsiven Schicksalsgemeinschaften“<br />
führen. Die anhaltenden<br />
Arbeitskräfteüberschüsse sowie die schwache<br />
Marktposition großer Teile der ostdeutschen<br />
Betriebslandschaft fördern Anpassungs- und<br />
Austauschstrategien der Betriebe, ein breiter<br />
und wirksamer Widerstand der betrieblichen<br />
oder überbetrieblicher Interessenvertretungsstrukturen<br />
ist kaum zu erwarten.<br />
12. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />
Vor dem Hintergrund der Strukturveränderungen<br />
des deutschen Arbeitsmarktes<br />
sowie der anhaltenden Diskussion über die<br />
Generalisierung von Beschäftigungs- und<br />
Prekaritätsrisiken stellt sich dieser Aufsatz<br />
die Frage, ob die in der Soziologie fast vergessenen<br />
Segmentationsansätze dazu geeignet<br />
sind, eine neue Sichtweise auf die großen Erosionsdebatten<br />
zu entwickeln. Die Ergebnisse<br />
unserer Analysen möchten wir hiermit in vier<br />
Schritten zusammenfassen.<br />
Betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme (BBSS)<br />
und Arbeitsmarktsegmentation<br />
In einem ersten und entscheidenden<br />
Schritt ging es darum, ein geeig-<br />
Seite 67<br />
netes Analyse-Instrumentarium<br />
zu entwickeln und die Brauchbarkeit des<br />
Segmentationsansatzes zu prüfen. Die auf<br />
Individualdaten und einzelne Indikatoren<br />
wie Beschäftigungsdauern, Arbeitsverträge,
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
und Erwerbsverläufe beschränkten Analysen<br />
bleiben in der Regel bei Beschreibungen des<br />
„Hoch und Runter“ von einzelnen Variablen<br />
und Determinanten stehen. Die innere Logik<br />
von Positionssystemen auf dem Arbeitsmarkt<br />
erschließt sich aber erst, wenn man einzelne<br />
Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang<br />
betrachtet und in den Kontext von Betrieben<br />
und Märkten einordnet.<br />
Die hier vorgelegten Analysen zeigen, dass<br />
wir nicht auf Arbeitsmarkttheorien verzichten<br />
können, die relativ dauerhafte Strukturen von<br />
Preisbildungs- und Allokationsprozessen in<br />
Teilarbeitsmärkten abbilden und erklären<br />
können. Dabei bietet die dem Segmentationsansatz<br />
zugrunde liegende Matrix mit der<br />
Unterscheidung von Internen und Externen<br />
sowie von Primären und Sekundären Arbeitsmärkten<br />
nach wie vor einen gutes heuristisches<br />
Analyseinstrument. Die Typologie<br />
des dreigeteilten Arbeitsmarktes – entwickelt<br />
und bewährt an der Arbeitsmarktkonstellation<br />
der Prosperitätsphase – erwies sich jedoch<br />
für die differenzierte Betrachtung der Veränderungsprozesse<br />
als zu grob und in ihrem<br />
Erklärungsgehalt unterkomplex.<br />
Wir betrachten deshalb Betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme<br />
(BBSS) innerhalb von<br />
Erwerbsorganisationen als kleinste strukturierte<br />
Einheiten des Arbeitsmarktgeschehens,<br />
um damit die Heterogenität angemessen<br />
zu erfassen und nach deren<br />
Seite 68 Analyse wieder zur Makroebene zurückkehren<br />
zu können. Im Ergebnis<br />
der Analysen steht eine Typologie von BBSS,<br />
die die Segmentationsmatrix ergänzt und<br />
differenziert. Wir unterscheiden nach den Beschäftigungsdauern<br />
zwischen Geschlossenen<br />
und Offenen und nach Einkommens- und<br />
Beschäftigungsrisiken in Primäre und Sekundäre<br />
Systeme. BBSS bilden die Bausteine<br />
überbetrieblicher Teilarbeitsmärkte.<br />
Fokussiert man auf Geschlossene BBSS als<br />
Bausteine des Segments Interner Arbeitsmärkte,<br />
so wird nach der Selektivität der vorherrschenden<br />
Allokationsregeln eine weitere Differenzierung<br />
zwischen senioritätsbasierten und<br />
leitungsbasierten Systemen erforderlich. Erstere<br />
gewähren eine hohe Arbeitplatzsicherheit mit<br />
zunehmenden Betriebszugehörigkeitsdauern<br />
und standardisierten Leistungen. In letzteren<br />
gewinnen individualisierte Qualifikations- und<br />
Leistungsprofile ein hohes Gewicht beim Aufund<br />
Abbau des Personals.<br />
Die materialen Analysen zeigen, dass die den<br />
Segmentationsansätzen zugrunde liegende<br />
Matrix mit der Unterscheidung von Internen<br />
und Externen sowie Primären und Sekundären<br />
Arbeitsmärkten nach wie vor aktuell ist. Jedoch<br />
sind gegenüber der alten Münchner Typologie<br />
des dreigeteilten Arbeitsmarktes Ergänzungen<br />
und Revisionen vorzunehmen. Die empirischen<br />
und konzeptuellen Analysen zeigen: Erstens,<br />
dass Betriebe nicht als Ganzes Teilarbeitsmärkten<br />
zugeschlagen werden können, da sie mit<br />
verschiedenen innerbetrieblichen Allokationsräumen<br />
an unterschiedliche überbetriebliche<br />
Teilarbeitsmärkte angeschlossen sind; zweitens,<br />
dass aufgrund von Restrukturierungsprozessen<br />
am Arbeitsmarkt Sekundäre Geschlossene<br />
BBSS sowie weitere Differenzierungen eingeführt<br />
werden müssen.<br />
Besonders auffällig ist drittens, dass die<br />
humankapitaltheoretisch inspirierte Kopplung<br />
von Qualifikationstypen mit Teilarbeitsmärk-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
ten heute nicht mehr funktioniert. So belegt<br />
unser Fallstudienmaterial, dass Offene BBSS<br />
in Externen Arbeitsmärkten sowohl durch<br />
berufsfachliche und akademische Qualifikationsprofile<br />
als auch durch tätigkeitsbasierte<br />
Anlernqualifikationen gekennzeichnet sind<br />
(die früher pauschal als betriebsspezifisch charakterisiert<br />
wurden, dies aber häufig nicht sind).<br />
In Sekundären BBSS finden sich nicht nur<br />
einfache Basisqualifikationen („Jederperson-<br />
Qualifikationen“), sondern auch berufsfachlich<br />
Qualifizierte und Akademiker (insbesondere<br />
Geistes- und Sozialwissenschaftler in der<br />
Weiterbildung und in den Medien) sowie erwartungsgemäß<br />
die „Generation Praktikum“.<br />
Für die Erklärung von Prozessen der dynamischen<br />
Segmentation liegen bisher eher einzelne<br />
Bausteine denn ein ausgereifter Ansatz<br />
vor. Soziologische Ansätze verknüpfen makrosoziale<br />
und -ökonomische Entwicklungstrends<br />
wie Globalisierung, sektoraler Strukturwandel,<br />
Wertewandel und Deregulierung mit Veränderungen<br />
der Beschäftigungsbeziehung, Für die<br />
Analyse betrieblicher Beschäftigungspolitik<br />
und BBSS müssen wir allerdings zeigen, aufgrund<br />
welcher Interessen, Orientierungen und<br />
Constraints betriebliche Entscheider handeln<br />
– also eine Mikro-Perspektive einnehmen. Unsere<br />
Forschungsstrategie bestand daher darin,<br />
zunächst einmal die mikroökonomischen Ansätze<br />
zu öffnen und auf grundlegende Bezugsprobleme<br />
betrieblicher Beschäftigungssysteme<br />
und Akteure zu beziehen. Über eine vorsichtige<br />
Verknüpfung mit gesamtgesellschaftlichen<br />
Entwicklungstendenzen werden dann Aussagen<br />
über die Struktur und Dynamik des Gesamtarbeitsmarktes<br />
möglich. Eine Soziologie<br />
von Beschäftigungsrisiken kommt ohne den<br />
Rekurs auf Betriebe und Arbeitsmärkte nicht<br />
aus. Dabei kann sich der Rückgriff auf Segmentationskonzepte<br />
als hilfreich erweisen.<br />
Entwicklungslinien – Externalisierung, Sekundarisierung<br />
und Re-Kommodifizierung<br />
In einem zweiten Schritt ging es darum, auf<br />
der Basis der Typologie von BBSS und unserer<br />
Untersuchungsfälle, Entwicklungslinien<br />
für die letzten fünfzehn Jahre zu beschreiben<br />
und Hypothesen zu Strukturveränderungen<br />
am Arbeitsmarkt zu formulieren (Abschnitt<br />
10). Den Ausgangspunkt für Westdeutschland<br />
bildet der Befund einer Hegemonie Interner<br />
Arbeitsmärkte für die fordistische Prosperitätskonstellation<br />
der 60er und 70er Jahre.<br />
Unsere Analyse von betrieblicher Beschäftigungspolitik<br />
und Betrieblichen Beschäftigungs-Sub-Systemen<br />
(BBSS) legt dann eine<br />
Reihe von Hypothesen zu Strukturveränderungen<br />
am westdeutschen Arbeitsmarkt nahe:<br />
- So ist zunächst ein Prozess der Schrumpfung<br />
der großen Internen Märkte zu beobachten,<br />
der mit einer Externalisierung von Allokationsprozessen<br />
verbunden ist. Offene BBSS<br />
in Externen Teilarbeitsmärkten gewinnen<br />
an Gewicht (vgl. auch Struck u.a. 2007).<br />
Langfristige Beschäftigungsverhältnisse<br />
bilden nach wie vor einen gewichtigen Bestandteil<br />
des Arbeitsmarktgeschehens. Sie<br />
koexistieren jedoch mit zeitlich begrenzten<br />
Beschäftigungsdauern, die in den<br />
letzten 15 Jahren begrenzt, aber<br />
deutlich zugenommen haben.<br />
- Hierbei spielt das Wachstum des Sekundären<br />
Arbeitsmarktsegments, indiziert durch<br />
eine Zunahme des Niedriglohnsektors, eine<br />
besondere Rolle. Der deutsche Arbeitsmarkt<br />
Seite 69
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
ist durch ein Mehr an externer Flexibilität<br />
gekennzeichnet, ohne dass von einem generellen<br />
Umbruch gesprochen werden kann.<br />
Folge ist, dass sich die Polarisierung der<br />
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen<br />
verschärft, gleichzeitig werden Übergänge in<br />
das Primäre Segment erschwert.<br />
- Von großer Bedeutung sind zudem endogene<br />
Modifikationen von Geschlossenen BSSS<br />
im Sinne eines Umstiegs von senioritäts- auf<br />
leistungsbasierte Regeln, die praktisch eine<br />
De-Institutionalisierung und Re-Kommodifizierung<br />
von Internen Arbeitsmärkten<br />
bedeuten und in der Arbeitsmarkforschung<br />
weitgehend übersehen werden. Der Auf- und<br />
Abbau von Personal wird heute stärker als<br />
zuvor an individuelle Leistungen und gleichzeitig<br />
an die Produktivität und Profitabilität<br />
von Betriebsteilen geknüpft. Hier findet im<br />
Sinne des Subjektivierungsdiskurses eine<br />
„Vermarktlichung“ Interner Arbeitsmärkte<br />
statt, ohne dass die Grenzen zwischen Intern<br />
und Extern aufgehoben würden (Bernhardt<br />
u.a. 2007, in diesem Heft).<br />
- Bei Offenen BBSS beobachten wir eine<br />
Zunahme marktförmiger kurzfristiger Beschäftigung<br />
über atypische Arbeitsverträge.<br />
Auch diese Entwicklung ist mit einer Deregulierung<br />
der Arbeitsmarktsituationen verbunden,<br />
die wir als Re-Kommodifizierung<br />
beschreiben.<br />
Seite 70 In Ostdeutschland bilden die alles<br />
überwölbenden großen Internen<br />
Märkte der Kombinate den Ausgangspunkt<br />
des Transformationsprozesses. Diese werden in<br />
den ersten Jahren des Transformationssturms<br />
weitgehend zerstört. In den verbliebenen und<br />
neu entstehenden Betrieben nähern sich die<br />
beschäftigungspolitischen Muster den westdeutschen<br />
Strukturen im Zeitraffer an, wobei<br />
neue Differenzen entstehen. In Bezug auf das<br />
Gewicht Offener und Sekundärer BBSS haben<br />
die ostdeutschen Betriebe den Westen überholt.<br />
Zudem ist die Zunahme der Sekundären und<br />
Offenen BBSS mit einem wesentlich höheren<br />
Personalumschlag als im Westen verbunden, so<br />
dass wir eine starke Polarisierung von Internen<br />
und Externen Märkten konstatieren. Die nach<br />
der Zerstörung der großen Internen Märkte<br />
neu entstandenen Geschlossenen BBSS<br />
wurden von vornherein ohne formelle und<br />
informelle Statusrechte angelegt, so dass wir<br />
mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes von<br />
einer durchgehenden Vermarktlichung und<br />
Leistungsorientierung dieser Beschäftigungssysteme<br />
ausgehen.<br />
Während wir beim Externalisierungsprozess<br />
ein schrittweises Einholen und Überholen der<br />
westdeutschen Strukturen beobachten, sind bei<br />
der Sekundarisierung, Polarisierung und Re-<br />
Kommodifizierung von Beschäftigungsbeziehungen<br />
sprungweise neue Muster entstanden.<br />
Hier trifft die alte Ulbricht-Metapher vom<br />
Überholen ohne Einzuholen wieder einmal<br />
zu: In den benannten Dimensionen hat der<br />
ostdeutsche Arbeitsmarkt den westdeutschen<br />
überholt, ohne ihn jemals eingeholt zu haben.<br />
Abbildung 12.1 fasst die Ergebnisse unserer<br />
vergleichenden Analyse zusammen.<br />
Challenge-Response-Ketten und der Wandel der<br />
Arbeitsmarktstruktur<br />
In einem dritten Schritt bemühen wir uns um<br />
eine Erklärung der vorangehend beschriebenen<br />
Entwicklungslinien betrieblicher Beschäfti-
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
gungssysteme und Teilarbeitsmärkte (Abschnitt<br />
11). Dabei gehen wir auf unseren Ansatz der<br />
Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungspolitik<br />
zurück (Abschnitt 9) und verknüpfen<br />
damit makrostrukurelle Veränderungen sowie<br />
Akteurskonstellationen und Institutionen.<br />
In Westdeutschland führen vor allem bei den<br />
mittel- und großbetrieblichen Erwerbsorganisationen<br />
teilweise weitreichende Restrukturierungsprozesse<br />
der Verkleinbetrieblichung<br />
und Vermarktlichung zu einer Zunahme von<br />
„Diskontinuitätsproblemen“, während gleichzeitig<br />
„Verfügbarkeits- und Herrschaftsprobleme“<br />
abnehmen. Hinter den betriebinternen<br />
Restrukturierungsprozessen stehen<br />
Veränderungen der globalisierten Märkte und<br />
Finanzierungssysteme (Bosch u.a. 2007; Dörre/Brinkmann<br />
2005); hinter der Abnahme der<br />
Verfügbarkeitsprobleme für bestimmte Arbeitskräftegruppen<br />
eine massive Zunahme des<br />
Arbeitskräfteangebots in den letzten 20 Jahren<br />
bei einer Stagnation des Beschäftigungssystems<br />
(Lutz u.a. 2007; Vobruba 2000); hinter<br />
dem Rückgang der Herrschaftsprobleme eine<br />
Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen<br />
Kapital und Arbeit (Dörre 2005; Lutz u.a.<br />
2007).<br />
Durch die Kombination von Druck- und<br />
Ziehkräften baute sich in Westdeutschland<br />
ein starker „Challenge“ für beschäftigungspolitische<br />
Veränderungen auf. Dieser wird<br />
von den personalpolitischen Entscheidern in<br />
Modifikation des vorherrschenden Leitbildes<br />
zum „Normalarbeitsverhältnis“ aufgegriffen<br />
und über eine Vielzahl von kollektiven und individuellen<br />
Konflikten in die Praxis umgesetzt.<br />
Konsequenterweise finden wir Prozesse der<br />
Substitution von Geschlossenen durch Offene<br />
BBSS, von Primären durch Sekundäre BBSS<br />
sowie endogene Modifikationen von BBSS,<br />
die wir mit den Begriffen der Externalisierung,<br />
Sekundarisierung und Re-Kommodifizierung<br />
zusammenfassen.<br />
Für die absehbare Zukunft des Jahrzehnts<br />
erwartet die Mehrheit der personalverantwortlichen<br />
Entscheider keinen grundlegenden<br />
Umbruch, aber anhaltende beschäftigungspolitische<br />
Anpassungserfordernisse.<br />
Dabei wurden im Zeitraum der Befragung<br />
(2002-2005) schon erste Stimmen deutlich,<br />
die auf einen „Challenge“ zweiter Ordnung<br />
(Best 2007) verweisen. Als Folge der neuen<br />
Personalpolitik der „schlanken Linie“ und der<br />
flexiblen Beschäftigung in Offenen BBSS ist<br />
man auf eine funktionierende Arbeitskräfteversorgung<br />
aus Externen Märkten angewiesen.<br />
Für den – inzwischen eingetretenen<br />
– konjunkturellen Aufschwungs wurden eine<br />
starke Arbeitskräftenachfrage für ausgewählte<br />
Berufsgruppen und Verfügbarkeitsprobleme<br />
erwartet. Diese Erwartung hat sich bestätigt.<br />
Bei den begrenzten Ausbildungsleistungen<br />
der Unternehmen sowie dem anhaltenden demografischen<br />
Umbruch wird sich das Problem<br />
der Arbeitskräfteversorgung auf den Arbeitsmärkten<br />
im nächsten Jahrzehnt verschärfen.<br />
Mit einer Vernichtung fast der Hälfte des<br />
gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens und<br />
der weitgehenden Zerstörung der<br />
flächendeckenden großen Internen<br />
Arbeitsmärkte der Kombinate wurde<br />
Seite 71<br />
der ostdeutsche Arbeitsmarkt dem<br />
härtesten Schock aller Transformationsländer<br />
ausgesetzt. Die neue Betriebslandschaft zeichnete<br />
sich durch eine weitgehend verkleinbetrieblichte<br />
und vermarktlichte Struktur mit
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Westdeutschland<br />
Ostdeutschland<br />
Externalisierung ++ (aber auch -) ++<br />
Sekundarisierung ++ ++++<br />
Re-Kommodifizierung ++ ++++<br />
Polarisierung ++ ++++<br />
Abb. 12.1: Hypothesen zu Strukturveränderungen des ost- und westdeutschen Arbeitsmarktes nach Abschluss<br />
der ersten Transformationsphase 1990-93<br />
niedriger durchschnittlicher Produktivität und<br />
hohen Personalfixkosten aus, es bestanden<br />
massive Diskontinuitäts- und Kostenprobleme.<br />
Auf der anderen Seite gab es aufgrund<br />
der extrem hohen Arbeitslosigkeit und der<br />
Schwäche der Interessensvertretung so gut wie<br />
keine Barrieren gegen Externalisierungs- und<br />
Sekundarisierungsprozesse, weshalb viele Beobachter<br />
einen „wilden Osten“ diagnostizierten<br />
und prognostizierten.<br />
Dieser sich in der Folge der Restrukturierung<br />
aufbauende „Challenge“ wurde von den Entscheidern<br />
zunächst nur begrenzt aufgegriffen.<br />
Viele der verantwortlichen Geschäftsführer<br />
hielten gewissermaßen kontrafaktisch am<br />
alten Leitbild der Betriebsgemeinschaft<br />
fest und versuchten ihre Ko-<br />
Seite 72 stenprobleme durch niedrige Löhne<br />
und andere Maßnahmen der internen<br />
Flexibilisierung zu mildern. Über langjährige<br />
und schmerzhafte Krisenerfahrungen haben<br />
die überlebenden Unternehmen unseres Samples<br />
dann Differenzierungen von Stamm- und<br />
Randbelegschaften eingeführt oder ausgebaut<br />
und im Hinblick auf Externalisierung, Sekundarisierung,<br />
Re-Kommodifizierung und die<br />
Polarisierung der Beschäftigungsbedingungen<br />
die westdeutschen Vergleichsbetriebe überholt.<br />
Für das Ende diesen Jahrzehnts zeichnet sich<br />
in Ostdeutschland auf Basis des erreichten<br />
hohen Externalisierungs- und Sekundarisierungsniveaus<br />
eine zweite Challenge-Response-Kette<br />
ab. Externe Märkte sind auf<br />
eine funktionierende Arbeitskräfteversorgung<br />
angewiesen. Durch die absehbare Halbierung<br />
der Nachwuchskohorten und Fehlallokationen<br />
im Bildungs- und Ausbildungssystem werden<br />
sich in ausgewählten Branchen, Berufen<br />
und Regionen „Mis-Match-Phänomene“<br />
am Arbeitsmarkt verstärken. Auf Basis der<br />
Erfahrungen mit der südeuropäischen EU-<br />
Integration erwarten wir, dass die Öffnung der<br />
Grenzen nach Osteuropa für Teilarbeitsmärkte<br />
mit mittleren und hohen Qualifikationen keine<br />
große Entlastung bringen wird.
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Die „Responses“ auf die selektive Fachkräfteknappheit<br />
und deren Folgen für die<br />
Betrieblichen Beschäftigungssysteme sind<br />
ungewiss. Die klein- und mittelbetriebliche<br />
ostdeutsche Betriebslandschaft hat aufgrund<br />
ihrer größtenteils schwachen Marktpositionen<br />
starke Diskontinuitätsprobleme und ist auf den<br />
Austausch mit dem Externen Arbeitsmarkt<br />
angewiesen. Auf der anderen Seite werden von<br />
Rekrutierungs- bzw. Verfügbarkeitsproblemen<br />
in bestimmten Regionen und Teilarbeitsmärkten<br />
starke Impulse zur Bindung und Hortung<br />
von knappen Humankapitalressourcen in Geschlossenen<br />
Beschäftigungssystemen ausgehen,<br />
ohne dass die Masse der Betriebe über die<br />
Ressourcen und Gelegenheiten zu klassischen<br />
Bindungs- und Schließungsstrategien verfügt.<br />
Für die Auflösung dieser Spannungen gibt es<br />
kein historisches Vorbild. So ist der „fordistische<br />
Ausweg“ der 1960er Jahre verstellt, der<br />
durch „Vergroßbetrieblichung“ und Internalisierung<br />
im Rahmen des „Wirtschaftswunders“<br />
gekennzeichnet war.<br />
Die Entwicklung des ostdeutschen Beschäftigungssystems<br />
lässt sich zusammenfassend als<br />
Prozess der doppelten Modernisierung kennzeichnen.<br />
Einerseits werden die Institutionen<br />
und Praktiken des „Rheinischen Kapitalismus“<br />
im Sinne einer „einfachen“ Modernisierung<br />
übertragen. Andererseits befindet sich eben<br />
dieses Kapitalismus- und Beschäftigungsmodell<br />
selber in der Krise, so dass wichtige Akteure<br />
die erweiterten Handlungsspielräume in<br />
Ostdeutschland für eine „Modernisierung“ des<br />
Modells nutzen. Im Spannungsfeld zwischen<br />
den übertragenen westdeutschen Institutionen<br />
und den sich neu herausbildenden ökonomischen,<br />
sozialen und politischen Strukturen<br />
entstehen in den Neuen Bundesländern neue<br />
Lösungsansätze für alte Probleme.<br />
Offene Fragen<br />
Ergebnis unserer Analysen ist, dass der<br />
deutsche Arbeitsmarkt sich als Reaktion auf<br />
die „Challenges“ der 90er Jahre und über die<br />
„Responses“ von entscheidungsmächtigen<br />
Akteuren von einer Hegemonie Interner<br />
Arbeitsmärkte zu einer spannungsgeladenen<br />
und instabilen Koexistenz von Internen und<br />
Externen Arbeitsmärkten entwickelt, wobei<br />
Ostdeutschland eine Vorreiterposition übernommen<br />
hat. Es zeigt sich also weder eine<br />
Generalisierung von Beschäftigungsrisiken<br />
oder gar von Prekarität, noch eine stabile Arbeitsmarktspaltung.<br />
Wir gehen vielmehr von<br />
einer dynamischen Segmentation aus, in der<br />
„Marktgrenzverschiebungen“ zwischen Internen<br />
und Externen, aber auch endogene Transformationen<br />
innerhalb von Teilarbeitsmärkten<br />
sich vollziehen. Gegen Ende diesen Jahrzehnts<br />
bildet sich als Folge des erreichten Externalisierungsniveaus<br />
und der demografischen<br />
Entwicklung eine neuer „Challenge“ heraus:<br />
Die Arbeitskräfteversorgung für mittlere und<br />
höhere Qualifikationen in Offenen BBSS und<br />
Externen Teilarbeitsmärkten wird problematisch.<br />
Die Auflösung dieser Herausforderung<br />
bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen.<br />
Dies verweist auf ein zentrales Problem der<br />
Arbeitsmarkt- und Segmentationsforschung.<br />
Offene BBSS und<br />
Externe Teilarbeitsmärkte sind weder<br />
Seite 73<br />
empirisch noch konzeptuell ausreichend<br />
erforscht. Sie können auf Dauer nur<br />
funktionieren, wenn die Beschäftiger die Verfügbarkeit<br />
einschlägig qualifizierten Personals<br />
ohne hohe Transaktionskosten sicherstellen
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
können. Die Beschäftigten wiederum werden<br />
bei Wahlmöglichkeiten nur dann in Externe<br />
Teilarbeitsmärkte strömen, wenn diese ihnen<br />
Anschlussmöglichkeiten und Sicherheit bieten.<br />
Beide Bedingungen sind unwahrscheinlich<br />
(Lutz 1987, Marsden 1999), da Arbeitgeber<br />
Investitionen in Humankapital sichern und<br />
Beschäftigte die Risiken von Betriebswechseln<br />
reduzieren wollen: Tauschakte auf dem<br />
Arbeitsmarkt implizieren Schließungsmechanismen.<br />
Damit wird deutlich, dass Offene BBSS<br />
und Externe Teilarbeitsmärkte nicht alleine<br />
über die Logik von Erwerbsorganisationen<br />
erklärt werden können. Vielmehr bedarf<br />
es der Bestimmung der außerbetrieblichen<br />
und außerökonomischen Voraussetzungen<br />
dieser Strukturen. Unser Rückgriff auf die in<br />
diesem Beitrag ausgeführte neoinstitutionenökonomische<br />
Mikro-Perspektive ist für eine<br />
differenzierte Analyse von Beschäftigungssystemen<br />
unabdingbar. Wir konnten damit<br />
allerdings nur Ausschnitte des sozialen Phänomens<br />
erklären. Beschäftigungsverhältnisse<br />
und -systeme werden primär aus der Sicht der<br />
betrieblichen Entscheider erfasst; Interessen,<br />
Orientierungen und Handlungen von Beschäftigten<br />
gehen nur als „Black Box“ in den<br />
Ansatz ein. Für die Analyse dieser Zusammenhänge<br />
liegen mittlerweile konzeptuell und<br />
empirisch fruchtbare soziologische Ansätze<br />
vor (Bohler 1995: Schmid, Gazier<br />
2002; Brose u.a. 2005; Dörre 2005;<br />
Seite 74 Blossfeld 2006; Stephan u.a. 2006;<br />
Bultemeier u.a. 2007), an die wir in<br />
weiterführenden Arbeiten anknüpfen können<br />
(vgl. Bernhardt u.a. 2007, in diesem Heft).<br />
Veränderungsprozesse im Längsschnitt lassen<br />
sich letztlich aber nur erklären, wenn die sozioökonomischen<br />
Mikro-Ansätze mit Makro-<br />
Annahmen über die Entwicklung der Güterund<br />
Arbeitsmärkte und arbeitsmarktrelevanten<br />
Institutionen verknüpft werden (Lutz 1987;<br />
Sengenberger 1987). In Bezug auf Arbeitsmärkte<br />
interessiert die Genese von Arbeitskräftedefiziten,<br />
die Schließungstendenzen befördern<br />
sowie die von Arbeitskräfteüberschüssen, die<br />
Öffnungstendenzen ermöglichen. Da vorübergehende<br />
Nachfrage-Angebotslagen selten für<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme strukturbildend<br />
sind, geht es vor allem um langfristig<br />
wirksame Ungleichgewichte. Diese erschließen<br />
sich nur über komplexe Ansätze zur Interaktion<br />
von Arbeitskräftenachfrage und -angebot,<br />
die ohne den Rekurs auf überbetriebliche<br />
Arbeitsmärkte, Arbeitnehmerpräferenzen,<br />
die arbeitsmarktrelevanten Institutionen, das<br />
Bildungssystem, sozialstrukturelle Lagen und<br />
die Bevölkerungs- und Organisationsdemografie<br />
nicht auskommen (Lutz 1987; Lutz<br />
u.a. 2007; Sackmann 1998; Struck 2006). Wie<br />
aus den Ausführungen deutlich geworden ist,<br />
sehen wir in einer modernisierten Variante von<br />
Segmentationsansätzen einen brauchbaren<br />
Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung der<br />
komplexen Zusammenhänge.
Arbeitsmarktsegmentation Vorwort und<br />
Betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
Fussnoten<br />
1 Eine Synthese der Analysen zur Arbeitsmarktsegmentation<br />
und betrieblichen Beschäftigungssystemen wurde im Berliner<br />
Journal für Soziologie veröffentlicht (Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007a).<br />
2 Einen beeindruckenden Überblick zur Datenlage und zum<br />
Stand der Forschung in Deutschland hat die Arbeitsgruppe zur<br />
„sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland“ erarbeitet<br />
(Baethge u.a. 2005).<br />
3 Produktionssysteme umfassen die technisch-organisatorischen<br />
Produktionsmittel; Arbeitssysteme die Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation<br />
(vgl. Lutz 1987).<br />
4 Die hierfür benötigten Informationen wurden der BIBB/IAB-<br />
Erhebung von 1998 sowie aus einschlägigen Branchen-Studien<br />
entnommen.<br />
5 Statistische Analysen unseres <strong>SFB</strong> Betriebspanels mit 600<br />
Fällen und drei Erhebungswellen bestätigen unseren Erklärungsansatz<br />
(Struck/Schröder 2006; Struck u.a. 2007).<br />
Seite 75
L i t e r at u r-<br />
verzeichnis<br />
Seite 76
literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
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Seite 77
literaturverzeichnis<br />
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Seite 79
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literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Mendius, Hans G./ Sengenberger, Werner (1976): Konjunkturschwankungen<br />
und betriebliche Politik. Zur Entstehung<br />
und Verfestigung von Arbeitsmarktsegmentation, In: Mendius,<br />
Hans G. u.a. (Hrsg.), Betrieb, Arbeitsmarkt, Qualifikation I.<br />
Beiträge zu Rezension und Personalpolitik, Bildungsexpansion<br />
und Arbeitsteilung, Humanisierung und Qualifizierung,<br />
Reproduktion und Qualifikation, Frankfurt a.M.<br />
Moldaschl, Manfred (2002): Subjektivierung von Arbeit,<br />
München.<br />
Neuendorf, Hartmut (1982): Arbeitsmarktstrukturen und<br />
Tendenzen der Arbeitsmarktentwicklung, In: Littek, Wolfgang/<br />
Rammert, Werner/ Wachtler, Günther (Hrsg.), Einführung<br />
in die Arbeits- und Industriesoziologie, Frankfurt a.M./New<br />
York.<br />
Nienhüser, Werner (2004): Subkontrahierung als Arbeitskräftestrategie.<br />
Eine (gescheiterte?) Erklärung aus transaktionskostentheoretischer<br />
Perspektive am Beispiel der Bauwirtschaft, In:<br />
Struck, Olaf/ Köhler, Christoph (Hrsg.), Beschäftigungsstabilität<br />
im Wandel? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen<br />
für Ost- und Westdeutschland. München/Mering: S.201-226.<br />
Osterland, Martin (1990): „Normalbiographie” und „Normalarbeitsverhältnis”,<br />
In: Hradil, Stefan (Hrsg.), Lebenslagen,<br />
Lebensläufe, Lebensstile, Soziale Welt, Sonderband 7, Göttingen:<br />
S.351-362.<br />
Osterman, Paul (1987): Choice of Employment Systems in Internal<br />
Labour Markets, In: Industrial Relations 26: S.46-67.<br />
Pfau-Effinger, Birgit (2004): Das Segmentationskonzept der<br />
Arbeitsmarkt-Forschung. Konzeptionelle Differenzierung und<br />
Weiterentwicklung, In: Gensior, Sabine/ Mendius, Hans G./<br />
Seifert, Hartmut (Hrsg.), 25 Jahre SAMF. SAMF Arbeitspapier<br />
2004-1: S.105-116.<br />
Rosa, Hartmut/ Schmidt, Steffen (2007): 1989 als Spezialfall<br />
des sozialen Wandels. Zur transformationstheoretischen Analyse<br />
des anhaltenden Systemumbruchs, FSU Jena: unveröffentlichtes<br />
Manuskript.<br />
Pongratz, Hans J./ Voß, Günter G. (2003): Arbeitskraftunternehmer.<br />
Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen,<br />
Berlin.<br />
Rubery, Jill (1994): Internal and External Labour Markets:<br />
Towards an Integrated Analysis, In: Rubery, Jill/ Wilkinson,<br />
Frank (Hrsg.), Employer Strategy and the Labour Market,<br />
Oxford: S.37-68.<br />
Sackmann, Reinhold (1998): Konkurrierende Generationen auf<br />
dem Arbeitsmarkt. Altersstrukturierung in Arbeitsmarkt und<br />
Sozialpolitik, Opladen, Wiesbaden.<br />
Sackmann, Reinhold/ Bartl, Walter (2007): Personalflexibilität<br />
im öffentlichen Dienst in Krisensituationen. Ein Challenge-Response<br />
Modell, In: De Nève Dorothée/ Reiser, Marion/ Schnapp,<br />
Kai-Uwe (Hrsg.), Herausforderung - Akteur – Reaktion,<br />
Baden-Baden.<br />
Sackmann, Reinhold/ Struck, Olaf (1997): School-to-Work-<br />
Transition after Reunification, In: ILM Conference: “Understanding<br />
the School-to-Work-Transition” (Ed. by The Robert<br />
Gordon University) Aberdeen: S.34-47.<br />
Sadowski, Dieter/ Schneider, Martin (2000): Die Rolle der<br />
Gerichte in den Arbeitsbeziehungen. Eine ökonomische Analyse<br />
am Beispiel der Arbeitnehmerhaftung, In: Industrielle Beziehungen<br />
7(2000)4: S.348-367.<br />
Sadowski, Dieter (2002): Personalökonomie und Arbeitspolitik,<br />
Stuttgart.<br />
Seite 82<br />
Pries, Luttger (1998): „Arbeitsmarkt“ oder erwerbsstrukturierende<br />
Institutionen? Theoretische<br />
Überlegungen zu einer Erwerbssoziologie, In: Kölner<br />
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,<br />
50/1.<br />
Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der<br />
Zeitstruktur in der Moderne, Frankfurt a.M.<br />
Sauer, Dieter (2005): Arbeit im Übergang. Zeitdiagnosen,<br />
Hamburg.<br />
Schmid, Günther (2002): Wege in eine neue Vollbeschäftigung.<br />
Übergangsarbeitsmärkte und aktivierende Arbeitsmarktpolitik,<br />
Frankfurt a.M./New York.
literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Schmid, Günther/ Gazier, Bernard (2002): The Dynamics<br />
of Full Employment. Social Integration through Transitional<br />
Labour Markets, Cheltenham.<br />
Struck, Olaf/ Köhler, Christoph (2005): Beschäftigungsstabilität<br />
im Wandel? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen<br />
für West- und Ostdeutschland, München/Mering.<br />
Schneider, Martin (1999): Gerichtliche Konfliktregulierung in<br />
turbulenten Arbeitsbeziehungen: Die Funktion der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />
in der ostdeutschen Transformation, In: Industrielle<br />
Beziehungen 6(1999)4: 455-475.<br />
Struck, Olaf (2005): Betrieb und Arbeitsmarkt, In: Martin<br />
Abraham/ Thomas Hinz (Hrsg.), Arbeitsmarktsoziologie.<br />
Probleme, Theorien, empirische Befunde, Wiesbaden: S.169-<br />
198.<br />
Schmid, Michael/ Maurer, Andrea (Hrsg.) (2003): Ökonomischer<br />
und soziologischer Institutionalismus, Marburg.<br />
Schultz-Wild, Rainer/ Asendorf, Inge/ Behr, Marhild von/<br />
Köhler, Christoph/ Lutz, Burkart/ Nuber, Christoph (1986):<br />
Flexible Fertigung und Industriearbeit - Die Einführung eines<br />
flexiblen Fertigungssystems in einem Maschinenbaubetrieb,<br />
Frankfurt a.M./New York.<br />
Seifert, Matthias/ Pawlowski, Peter (1998): Innerbetriebliches<br />
Vertrauen als Verbreitungsgrenze atypischer Beschäftigungsformen,<br />
In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
31: S.599-611.<br />
Sengenberger, Werner (1975): Arbeitsmarktstruktur. Ansätze zu<br />
einem Modell des segmentierten Arbeitsmarkts, Frankfurt a.M.<br />
Sengenberger, Werner (1987): Struktur und Funktionsweise von<br />
Arbeitsmärkten. Die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich,<br />
Frankfurt a.M./New York.<br />
Sørensen, Aage B. (1983): Process of Allocation to Open and<br />
Closed Positions in Social Structure, In: Zeitschrift für Soziologie<br />
12. H. 3: 203-224.<br />
Stephan, Gesine/ Struck, Olaf/ Köhler, Christoph/ Krause, Alexandra/<br />
Sohr, Tatjana/ Pfeifer, Christian (2006): Arbeit und<br />
Gerechtigkeit. Zur Akzeptanz von Lohn- und Beschäftigungsanpassung,<br />
Wiesbaden.<br />
Sesselmeier, Werner/ Blauermel, Gregor (1997): Arbeitsmarkttheorien<br />
– Ein Überblick, Heidelberg.<br />
Struck, Olaf (2006): Flexibilität und Sicherheit. Empirische<br />
Befunde, theoretische Konzepte und institutionelle Gestaltung<br />
von Beschäftigungsstabilität, Wiesbaden.<br />
Struck, Olaf/ Grotheer, Michael/ Schröder, Tim/ Köhler,<br />
Christoph (2006): Beschäftigungsstabilität: Entwicklung im<br />
Zeitverlauf und Ursachen ihrer Veränderung. <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Arbeitspapier<br />
10. Jena.<br />
Struck, Olaf/ Schröder, Tim (2006): Ursachen betrieblicher<br />
Beschäftigungsdauern: Theoretische Zugänge und empirische<br />
Befunde anhand des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> B2- Betriebspanels, In: Nienhüser,<br />
Werner (Hrsg.), Beschäftigungspolitik von Unternehmen,<br />
München/Mering: S.39-74.<br />
Struck, Olaf/ Stephan, Gesine/ Köhler, Christoph/ Krause,<br />
Alexendra/ Sohr, Tatjana/ Pfeifer Christian (2006): Arbeit und<br />
Gerechtigkeit. Zur Akzeptanz von Lohn- und Beschäftigungsanpassung,<br />
Wiesbaden.<br />
Struck, Olaf/ Grotheer, Michael/ Schröder, Tim/ Köhler, Christoph<br />
(2007): Instabile Beschäftigung. Neue Ergebnisse zu einer<br />
alten Kontroverse, In: Friedrichs, Jürgen/ Schluchter, Wolfgang/<br />
Solga, Heike (Hrsg.), KZfSS 59/2, Wiesbanden.<br />
Vobruba, Georg (2000): Alternativen zur Vollbeschäftigung,<br />
Frankfurt a.M.<br />
Voß, Günter/ Pongratz, Hans J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer.<br />
Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?<br />
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und<br />
Sozialpsychologie 50/1: S.131-158.<br />
Wiekert, Ingo (2007): Wild blühende Landschaften?<br />
Strukturelle Merkmale der ostdeutschen Bildungsträgerlandschaft,<br />
In: Berger, Klaus/ Grünert, Holle (Hrsg.),<br />
Zwischen Markt und Förderung – Wirksamkeit und Zukunft<br />
von Ausbildungsplatzstrukturen in Ostdeutschland, Bielefeld:<br />
S.139ff.<br />
Seite 83
literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Williamson, O. E (1985): The Economic Institutions of Capitalism.<br />
Firms, Markets Relational Contracting, New York.<br />
Williamson, O. E. (1996): Transaktionskostenökonomik. 2.<br />
Aufl., LIT Verlag, Hamburg<br />
Windolf, Paul (1984): Formale Bildungsabschlüsse als Selektionskriterium<br />
am Arbeitsmarkt. KZfSS 36: 56-74.<br />
Windolf, Paul (Hrsg.) (2005): Finanzmarkt-Kapitalismus.<br />
Analysen zum Wandel von Produktionsregimen. Sonderheft<br />
45 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.<br />
Wiesbaden.<br />
Witzel, Andreas (1989): Das problemzentrierte Interview, In:<br />
Jüttemann, Gerd (Hrsg.), Qualitative Forschung in der Psychologie.<br />
Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder,<br />
Heidelberg: S.227-256<br />
Witzel, Andreas (1996): Auswertung problemzentrierter<br />
Interviews. Grundlagen und Erfahrungen, In: Strobl, Rainer/<br />
Böttger, Andreas (Hrsg.), Wahre Geschichten? Zur Theorie und<br />
Praxis qualitativer Interviews, Baden-Baden. 49-76<br />
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview, In:<br />
Forum Qualitative Sozialforschung, Volume 1, Nr. 1.<br />
Seite 84
A n h a n g<br />
Seite 85
Vorwort Anhang<br />
Samplestruktur<br />
Die Fälle verteilen sich auf 10 Branchen, jeweils in Ost- und Westdeutschland. Das Kernsample<br />
(eigene Erhebungen in zwei Wellen des Teilprojektes B2 am <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Jena) wird durch Fälle aus<br />
4 Lehrforschungen erweitert.<br />
Für das Kernsample (Fallcodes: Bk:O1; M:O1 etc.) wurden in einer ersten Befragungswelle<br />
(2002/2003) Personalverantwortliche befragt. In einer zweiten Welle (2004/2005) wurden<br />
Interviews mit Arbeitnehmern aus der Bankenbranche (Fallcodes: Bk:O4-2. Welle etc.) und<br />
zusätzlich Experteninterviews (Fallcodes: Bk:O6-2. Welle(E) etc.) mit Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern<br />
durchgeführt.<br />
Die Lehrforschungen (Fallcode: LF) in den Jahren 2002/2003 und 2003/2004 ergänzen das<br />
Kernsample um Interviews mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus jeweils einem Betrieb. Die<br />
Lehrforschungen der Folgejahre repräsentieren Arbeitnehmerperspektiven.<br />
Zahlenmäßige Verteilung der Fälle, sortiert nach Branchen und Ost-/Westdeutschland:<br />
Kernsample: N= 51<br />
erweitertes Sample (LF): N= 101<br />
Gesamtanzahl: N= 152<br />
Seite 86
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
Bank/Versicherung (Bk)<br />
(N=35)<br />
Bk:O1<br />
Bk:O2<br />
Bk:O3<br />
Bk:O4<br />
Bk:O4-2. Welle<br />
Bk:O6-2. Welle(E)<br />
Bk:O7-2. Welle(E)<br />
Bk:O10-2. Welle(E)<br />
LF02/03_Bk:O2<br />
LF02/03_Bk:O3<br />
LF04/05_Bk:O3<br />
LF04/05_Bk:O4<br />
LF04/05_Bk:O5<br />
LF04/05_Bk:O6<br />
LF05/06_Bk:O2<br />
LF05/06_Bk:O5<br />
LF05/06_Bk:O6<br />
LF05/06_Bk:O7<br />
LF05/06_Bk:O8<br />
LF05/06_Bk:O9<br />
LF05/06_Bk:O10<br />
Bk:W1<br />
Bk:W2<br />
Bk:W3<br />
Bk:W1-2. Welle<br />
Bk:W2-2. Welle<br />
Bk:W3-2. Welle<br />
Bk:W5-2. Welle<br />
Bk:W8-2. Welle(E)<br />
Bk:W9-2. Welle(E)<br />
LF02/03_Bk:W1<br />
LF04/05_Bk:W1<br />
LF04/05_Bk:W2<br />
LF04/05_Bk:W7<br />
LF05/06_Bk:W1<br />
Seite 87
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
B:O1<br />
B:O2<br />
B:O3<br />
B:W1<br />
B:W2<br />
B:W3<br />
B:W5<br />
LF02/03_B:O1<br />
LF02/03_B:O2<br />
LF02/03_B:O3<br />
LF03/04_B:O1<br />
LF03/04_B:O2<br />
Bau (B)<br />
(N=21)<br />
LF04/05_B:O2<br />
LF04/05_B:O3<br />
LF04/05_B:O4<br />
LF04/05_B:O5<br />
LF04/05_B:O6<br />
LF05/06_B:O1<br />
LF05/06_B:O2<br />
LF05/06_B:O3<br />
LF05/06_B:O5<br />
Seite 88
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
M:O1<br />
M:O2<br />
M:O3<br />
M:O4<br />
M:W1<br />
M:W2<br />
LF02/03_M:O1<br />
LF02/03_M:O2<br />
LF02/03_M:O3<br />
Maschinenbau/Metall (M)<br />
(N=28)<br />
LF04/05_M:O1<br />
LF04/05_M:O2<br />
LF04/05_M:O4<br />
LF04/05_M:O5<br />
LF04/05_M:O6<br />
LF04/05_M:O7<br />
LF04/05_M:O8<br />
LF04/05_M:O9<br />
LF04/05_M:O10<br />
LF05/06_M:O1<br />
LF05/06_M:O2<br />
LF05/06_M:O3<br />
LF05/06_M:O8<br />
LF05/06_M:O10<br />
LF05/06_M:O12<br />
LF05/06_M:O13<br />
LF05/06_M:O14<br />
LF05/06_M:W6<br />
LF05/06_M:W9<br />
Seite 89
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
P:O1<br />
P:O2<br />
P:O3<br />
P:O4<br />
P:W1<br />
P:W2<br />
P:W3<br />
LF02/03_P:O2<br />
Pflege (P)/Gesundheit (G)<br />
(N=21)<br />
LF03/04_P:O1<br />
LF05/06_G:O1<br />
LF05/06_G:O2<br />
LF05/06_G:O3<br />
LF05/06_G:O4<br />
LF05/06_G:O6<br />
LF05/06_G:O7<br />
LF05/06_G:O9<br />
LF05/06_G:O10<br />
LF05/06_G:O11<br />
LF05/06_G:O12<br />
LF05/06_G:O13<br />
LF05/06_G:W8<br />
Seite 90
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
Software (S)<br />
(N=5)<br />
S:O1<br />
S:O2<br />
S:O3<br />
S:W1<br />
S:W2<br />
Weiterbildung (W)<br />
(N=16)<br />
W:O1<br />
W:O2<br />
W:O3<br />
W:O4<br />
LF03/04_W:O1<br />
LF04/05_W:O1<br />
LF04/05_W:O3<br />
LF04/05_W:O4<br />
LF04/05_W:O5<br />
LF04/05_W:O6<br />
W:W1<br />
W:W2<br />
W:W3<br />
W:W4<br />
W:W5<br />
LF04/05_W:W2<br />
Chemie (C)<br />
(N=7)<br />
LF05/06_C:O2<br />
LF05/06_C:O3<br />
LF05/06_C:O4<br />
LF05/06_C:O5<br />
LF05/06_C:O6<br />
LF05/06_C:O7<br />
LF05/06_C:O8<br />
Seite 91
Vorwort Anhang<br />
Branche und Kurzkennung Ostdeutschland Westdeutschland<br />
LF02/03_Md:W1<br />
Medien (Md)/Printmedien<br />
(PM)<br />
(N=7)<br />
LF04/05_Md:O1<br />
LF04/05_Md:O2<br />
LF05/06_PM:O1<br />
LF05/06_PM:O2<br />
LF05/06_PM:O3<br />
LF04/05_Md:W3<br />
Dienstleistung (D)/UN<br />
-nahe DL (UnD)<br />
(N=6)<br />
LF03/04_D:O2<br />
LF03/04_D:O3<br />
LF05/06_UnD:O2<br />
LF05/06_UnD:O3<br />
LF05/06_UnD:O4<br />
LF05/06_UnD:O5<br />
Handel (Hd/H)<br />
(N=6)<br />
LF02/03_Hd:O1<br />
LF04/05_Hd:O3<br />
LF04/05_Hd:O5<br />
LF05/06_H:O1<br />
LF04/05_Hd:W1<br />
LF05/06_H:W2<br />
Seite 92
Vorwort Anhang<br />
Studenten der LF 02/03: Fabian Dittmar (Maschinenbau); Maik Ganswig, Toralf Stoll (Maschinenbau);<br />
Benjamin Frick (Verlag); Christiane Möller (Bau-Ingenieurbüro); Julia Reinard, Susann<br />
Talk (Finanzdienstleistung); Andrea Geicke, Kristin Hoppert, Daniela Lindner (Finanzdienleistung);<br />
Alexandra Blöthner (Großhandelsunternehmen); Thomas Bauer, Sebastian Kneitschel,<br />
Maria Reinhold (Groß- und Einzelhandel); Madlen Juhe, Henry Kreutzmann, Julia Fallinski<br />
(Behindertenwerkstatt); Andreas Leopold, Sebastian Kellner, Alexander Strangfeld (Bau); Stefanie<br />
Ferber (Bau); Heidi Hornickel, Katrin Füllsack, Gabriella Szilagyi (Krankenhaus); Uwe<br />
Jordan (Bank); Eike Drews, Norbert Krause (Maschinenbau); Torsten Winkler (Software)<br />
Studenten der LF 03/04: Jana Eccarius (Automobilindustrie); Christian Pooch (Bau); Sabine<br />
Schönherr (Bau); Triebel (Dienstleistung); Julia Tripke, Jessica Sollmann (Dienstleistung); Antje<br />
Winkelmann (Dienstleistung); Justyna Andziak, Sandra Junghardt (Pflege); Alexander Lehmann<br />
(Weiterbildung)<br />
Studenten der LF 04/05: Hendrikje Riemann (Bau); Franziska Wolf (Weiterbildung); Jasmin<br />
Köhler (Bank, Weiterbildung)); Friedrich Döhrer (Medien, Weiterbildung); Anett Pilz- Schmidt<br />
(Handel); Silvia Dubilzik (Metall); Alex Reisser (Bank); Matthias Albrecht (Handel; Metall);<br />
Franziska Hofmann (Bank, Metall); Alexandra Sauer (Bank, Bau); Nicole Baumann (Bank);<br />
Simona Pietruschke (Medien; Weiterbildung); Daniela Huschke (Handel, Metall); Melanie<br />
Krug (Metall); Wiebke Lückert (Bau); Matthias Wagner (Medien, Weiterbildung); Sandy Thier<br />
(Metall)<br />
Studenten der LF 05/06: Andrea Ruge (Printmedien); Anke Noack (UN-nahe DL, Metall); Anne-<br />
Kathrin Hofmann (Gesundheit); Christin Lucas (Gesundheit, Bau); Christina Sittig (Bau, Unnahe<br />
DL); Christoph Wendt (Metall, Gesundheit); Daniela Steins (Bank, Handel); Franziska<br />
Langenhahn (Metall, Gesundheit); Janine Bernhardt (Bank, Un-nahe DL); Janine Bradschetl<br />
(Bau, Printmedien); Jeannine Albrecht (Bank, Metall); Josefine Bär (Metall, Handel); Kevin<br />
Diesing (Gesundheit); Kirsten Limbecker (Chemie); Lena Lieverscheidt (Metall, Gesundheit);<br />
Marcela Pineda de Castro (Chemie); Marcus Schulze (Chemie); Patricia Reupsch (Metall, Gesundheit);<br />
Peter Frey (Metall); Ralf Bartho (Metall, Bank); Ronny Gärtner (Gesundheit); Sandra<br />
Spiller (Bau, Metall); Sebastian Helbig (Metall, UN-nahe DL); Stefanie Horn (Bank); Tina<br />
Nitsche (Bank); Tobias Ludwig (Gesundheit, Bank); Tom Urban (Chemie, Gesundheit)<br />
Seite 93
Seite 94
“Generalisierung<br />
von Unsicherheit?”<br />
Ergebnisse einer<br />
qualitativen<br />
Beschäftigtenbefragung<br />
Seite 95
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
2<br />
„Generalisierung von<br />
Unsicherheit?“<br />
Ergebnisse einer qualitativen<br />
Beschäftigtenbefragung<br />
von Janine Bernhardt, Christoph Köhler,<br />
Kai Loudovici, Simon Dittrich, Marcela<br />
Pineda de Castro, Christina Sittig, Sandra<br />
Spiller<br />
Nahezu jeder kennt heutzuta-<br />
Seite 96<br />
ge in seinem unmittelbaren<br />
Umfeld Menschen, die von<br />
Entlassungen und Arbeitslosigkeit betroffen<br />
sind. Die gesellschaftliche Brisanz des Themas<br />
wird verstärkt durch regelmäßige Medienberichte<br />
über Entlassungswellen, Standortverlagerungen<br />
und Firmenschließungen. Zusätzlich<br />
nähren arbeitsrechtliche Neuerungen sowie<br />
steigende Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen<br />
Diskussionen um Arbeitsplatzsicherheit.<br />
Sennett (1999) spricht sogar von einem<br />
mit der Instabilität verbundenen „Corrosion<br />
of Character“, dessen destruktive Folgen in<br />
die Familie und weitere sozialen Beziehungen<br />
hineinreichen.<br />
Wir möchten deshalb zu den Menschen im<br />
Arbeitsprozess vorstoßen – sie mit ihren Anschauungen,<br />
ihrem Erleben, ihren Ängsten<br />
und Hoffnungen zu Wort kommen lassen<br />
und somit den Blick von Arbeitnehmern auf<br />
aktuelle Geschehnisse in einem Teil unserer<br />
Gesellschaft abbilden. Dabei sollen drei eng<br />
miteinander verbundene Themen in den Vordergrund<br />
gestellt werden. 1. Wie beschreiben<br />
die Beschäftigten die wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen<br />
Risiken des Betriebes<br />
und ihres Arbeitsbereichs? 2. Wie beurteilen<br />
sie ihre individuelle Arbeitsplatzsicherheit und<br />
welches Sicherheitsempfinden verbinden sie<br />
damit? 3. Wie sehen darauf bezogene Handlungsstrategien<br />
aus?<br />
1. Einleitung<br />
von Christoph Köhler, Janine Bernhardt,<br />
Kai Loudovici<br />
1.1 Stand der Forschung<br />
In der sozialwissenschaftlichen Forschung hat<br />
das Thema seit gut 20 Jahren Hochkonjunktur.<br />
Die Großthese der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />
(Mückenberger 1985) hat eine<br />
Vielzahl von Folgestudien angeregt. Ulrich<br />
Beck hebt mit der These der Risikogesellschaft<br />
(1986) bzw. der Brasilianisierung des deutschen<br />
Arbeitsmarktes (1999) u.a. auf die Ausweitung<br />
von Beschäftigungsrisiken ab. Autoren wie
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Bourdieu (1998, 2000), Castel (2000, 2005)<br />
und, in Deutschland, Dörre (2005a, 2005b,<br />
2006) betonen den Zusammenhang von<br />
prekärer Arbeit, Beschäftigungsrisiken und<br />
zunehmender Unsicherheit im Zentrum der<br />
Arbeitsgesellschaft. Diese Thesen sind mit den<br />
Annahmen einer Ausweitung von „objektiven“<br />
Beschäftigungsrisiken und einer möglichen<br />
Generalisierung von subjektiv „gefühlter“ Arbeitsplatzunsicherheit<br />
verbunden.<br />
Die Gegenposition steht in der Tradition der<br />
Segmentations- und Schichtungsforschung<br />
und hebt die Konzentration von Arbeitsmarktrisiken<br />
auf „benachteiligte“ soziale Gruppen in<br />
sekundären Arbeitsmärkten hervor. In dieser<br />
Richtung argumentieren Autoren aus ganz<br />
unterschiedlichen Richtungen (z.B. Blossfeld<br />
2006; Geißler 2006; Hradil 2004). Autoren<br />
wie Peter Glotz in den 80er Jahren (mit der<br />
These der Zwei-Drittel-Gesellschaft: 1984,<br />
1985) und heute Wolfgang Streeck (mit der<br />
Unterscheidung von Stamm- und Randbelegschaften:<br />
2004) gehen noch weiter und behaupten,<br />
dass die Arbeitsmarkt-Insider Sicherheit<br />
durch Ab- und Ausgrenzung gegenüber den<br />
Outsidern gewinnen.<br />
In der gegenwärtigen empirischen Forschung<br />
zu Arbeitsplatzunsicherheit aus der Beschäftigtenperspektive<br />
belegen repräsentative Untersuchungen<br />
eine Zunahme subjektiver Unsicherheit<br />
(z.B. Green 2003; Heitmeyer 2006;<br />
Krause u.a. 2007; OECD 1997). Dabei werden<br />
in den einzelnen Studien unterschiedliche Indikatoren<br />
zugrunde gelegt, die je verschiedene<br />
Ergebnisse produzieren. So konnte gezeigt<br />
werden, dass die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit<br />
des Arbeitsplatzverlustes im Allgemeinen<br />
mit der Arbeitslosenquote korrespondiert<br />
(z.B. Green 2003; Schmidt 2000) und in<br />
Deutschland in den 1990er Jahren bei 10 bis<br />
12 Prozent lag. Für Ostdeutschland hat Green<br />
(2003) gezeigt, dass dieser Indikator ein Jahr<br />
nach der Wiedervereinigung sprunghaft auf<br />
fast 21 Prozent anstieg (im Vergleich zu unter<br />
fünf Prozent bei westdeutschen Beschäftigten)<br />
und sich seither langsam an das westdeutsche<br />
Niveau annähert.<br />
Dagegen zeigen Untersuchungen, die als<br />
Indikator nicht die Wahrnehmung eines<br />
Arbeitsplatzrisikos, sondern die Sorge um<br />
den Arbeitsplatz zugrunde legen, dass sich im<br />
Durchschnitt etwa 60 Prozent der deutschen<br />
Arbeitnehmer „einige bis große Sorgen“ um<br />
ihren Arbeitsplatz machen (vgl. Krause u.a.<br />
2007), wobei das Sorgenniveau der ostdeutschen<br />
Beschäftigten konstant um 15 bis 20<br />
Prozent über dem Niveau der westdeutschen<br />
Beschäftigten bei etwa 70 Prozent liegt.<br />
Damit sind die Anteile der „pessimistischen“<br />
Beschäftigten in diesen Untersuchungen<br />
deutlich höher. In dem Versuch verschiedene<br />
Dimensionen von subjektiver Unsicherheit<br />
zusammenzuführen, kommt Fuchs (2006)<br />
zu dem Ergebnis, dass 2004 über 70 Prozent<br />
der abhängig Beschäftigten Risiken konstatieren<br />
und über die Hälfte dieser Personen<br />
jene Unsicherheit als „etwas“ bis „sehr stark“<br />
belastend empfand. Studien zu Qualität,<br />
Einflussfaktoren und Auswirkungen von<br />
Arbeitsplatzunsicherheit verweisen<br />
auf vergleichsweise hohe Sorgen und<br />
Ängste bei Beschäftigten in produk-<br />
Seite 97<br />
tionsnahen Bereichen, ostdeutschen<br />
Arbeitnehmern, atypisch Beschäftigten sowie<br />
Personen mit Arbeitslosigkeitserfahrung<br />
(Fuchs 2006; Krause u.a. 2007; OECD 1997).
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Qualitative Analysen konzentrieren sich auf<br />
den Zusammenhang von Vermarktlichungsprozessen<br />
der Beschäftigungsbeziehung mit<br />
Handlungsstrategien. Hier haben Voß und<br />
Pongratz (1998) bahnbrechende empirische<br />
und konzeptuelle Analysen vorgelegt. Ihnen<br />
zufolge reagieren die Beschäftigten auf die<br />
Vermarktlichung und die damit verbundene<br />
Entsicherung der Beschäftigungsbeziehung<br />
mit zunehmenden quasi unternehmerischen<br />
(Gegen-)Strategien des „Arbeitskraftunternehmers“,<br />
die die alte Betriebsbindung des<br />
verberuflichten Arbeitnehmers auflösen und<br />
eine Orientierung am externen Arbeitsmarkt<br />
implizieren. Diese These hat eine Welle<br />
weiterführender Forschung ausgelöst. Witzel<br />
u.a. (2000) haben für JungfacharbeiterInnen<br />
gezeigt, dass betriebsbezogene berufsbiografische<br />
Gestaltungsmodi nach wie vor<br />
dominieren. Auch Pongratz und Voß selber<br />
kommen über eine Analyse von Beschäftigten<br />
in Normalarbeitsverhältnissen zu diesem<br />
Befund (Voß/Pongratz 2003) und relativieren<br />
damit ihre alten Thesen. Sie heben allerdings<br />
die zunehmende Brüchigkeit der „Sicherheitsfiktionen“<br />
und Orientierungen hervor.<br />
Im Rahmen des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> hat Anja Bultemeier<br />
diese Debatte aufgegriffen, weitergeführt<br />
und verdichtet sowie anhand von Fallstudien<br />
und Beschäftigteninterviews mit unbefristet<br />
Beschäftigten in (ehemals) stabilen Branchen<br />
(Automobilindustrie, Banken) untersucht.<br />
Sie bezieht sich im kritischen<br />
Seite 98 Anschluss auf Autoren wie Bourdieu<br />
und Castel und widerlegt Bourdieus<br />
Annahme einer allgemeinen subjektiven<br />
Unsicherheit, erkennt dennoch Prekarität<br />
bei der Mehrzahl der von ihr identifizierten<br />
Typen (Bultemeier u.a. 2007).<br />
1.2 Fragen und Hypothesen<br />
Vor dem Hintergrund einer Diskussion des<br />
oben kurz skizzierten Forschungsstandes wurde<br />
unsere allgemeine Frage nach der Generalisierung<br />
von Unsicherheit konkretisiert:<br />
- In Bezug auf die Zielgruppe konzentrieren<br />
wir uns auf Beschäftigte in Normalarbeitsverhältnissen.<br />
Bei prekär Beschäftigten und<br />
Arbeitslosen sind Zukunftsängste evident.<br />
Die Generalisierungsfrage zielt direkt auf die<br />
„Destabilisierung der Stabilen“ (Castel 2000,<br />
2005; Dörre 2005a, 2005b).<br />
- In Bezug auf die Untersuchungsfrage ging<br />
es uns konkret um die Wahrnehmung von<br />
Risiken des Arbeitsplatzverlustes und um<br />
Erwerbsorientierungen. Deshalb stehen in<br />
unserem Leitfaden die betriebliche Situation,<br />
die individuelle Arbeitsplatzsicherheit sowie<br />
die Erwerbsorientierungen und Handlungsstrategien<br />
im Vordergrund.<br />
- In Bezug auf die Methoden haben wir uns<br />
für einen qualitativ verstehenden Ansatz entschieden,<br />
da es darum ging, die Stärke und<br />
subjektive Relevanz von Unsicherheit sowie<br />
deren Handlungsfolgen zu erfassen und Hypothesen<br />
zu generieren.<br />
Vor dem Hintergrund der neueren Literatur<br />
von Bourdieu, Castel, Dörre u.a. sowie den<br />
Arbeiten von Anja Bultemeier in unserer Forschungsgruppe<br />
spitzten wir den Forschungsstand<br />
auf drei Ausgangshypothesen zu:<br />
- Hypothese 1 (wahrgenommene Risiken im<br />
betrieblichen Umfeld): Das betriebliche<br />
Umfeld von Beschäftigten zeichnet sich
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
heute aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheit<br />
und flexibler Personalpolitik durch starke<br />
Arbeitsplatzrisiken aus. Dies wird von den<br />
Beschäftigten deutlich wahrgenommen.<br />
- Hypothese 2 (individuelle Arbeitsplatzrisiken):<br />
Die wahrgenommenen Risiken im betrieblichen<br />
Umfeld korrespondieren mit der<br />
Wahrnehmung individueller Arbeitsplatzrisiken<br />
und führen zu einer Verbreitung von<br />
Unsicherheit auch bei Normalbeschäftigten.<br />
- Hypothese 3 (Erwerbsorientierung): Die<br />
Unsicherheit führt nicht – wie für den „Arbeitskraftunternehmer“<br />
erwartet – zu einer<br />
externen Arbeitsmarktorientierung, sondern<br />
eher zu einer verstärkten Betriebsbindung,<br />
Leistung und Anpassung.<br />
2. Der Untersuchungsansatz<br />
von Christoph Köhler, Janine Bernhardt, Kai<br />
Loudovici<br />
2.1 Methoden und Instrumente<br />
Aufgrund der Fragestellung und Rahmenbedingungen<br />
der Lehrforschung wurde für einen<br />
qualitativen methodischen Ansatz optiert. Die<br />
Erhebung erfolgte über Leitfadeninterviews<br />
nach der Methode des problemzentrierten<br />
Interviews (Fiebertshäuser 1997; Witzel 2000).<br />
Den Schwerpunkt der Erhebung bildete die<br />
Wahrnehmung der Arbeitsplatzsicherheit im<br />
Betrieb. Diese wurde über drei Fragekomplexe<br />
erhoben: Als Einstieg diente eine geschlossene<br />
Frage zum Niveau der Sicherheit, deren<br />
Begründung zweitens mittels offener Fragen<br />
angeregt wurde. Drittens erfragten wir die<br />
Relevanz der individuellen Sicherheitslage.<br />
Die These der Generalisierung von Unsicherheit<br />
besagt, dass „objektive“ Beschäftigungsrisiken<br />
und „gefühlte Unsicherheit“ sich auch in<br />
bis dato gesicherten Normalarbeitsverhältnissen<br />
ausbreiten. Zur Prüfung dieser Hypothese<br />
musste dann genau diese Beschäftigtengruppe<br />
in stabilen Beschäftigungsverhältnissen erfasst<br />
werden. Die Sampleauswahl erfolgte nach einer<br />
Mischung aus systematischen und – den<br />
Limitationen einer Lehrforschung folgend<br />
– pragmatischen Kriterien nach der Methode<br />
des „dimensionalen Sampling“ (Arnold 1970;<br />
Boos/Fisch 1986).<br />
Alle TeilnehmerInnen der Lehrforschung<br />
waren aufgefordert, zwei Beschäftigte zu<br />
suchen und zu befragen. Bei der Auswahl der<br />
Befragten galten folgende Kriterien:<br />
- Erstens sollten – den zu prüfenden Hypothesen<br />
folgend – Personen in gesicherten<br />
Normalarbeitsverhältnissen (unbefristete<br />
Arbeitsverträge, Vollzeit, langfristige Beschäftigung<br />
erwartet) erfasst werden.<br />
- Diese sollten zweitens über mindestens zehn<br />
Jahre Berufserfahrung verfügen und nicht<br />
älter als 45 Jahre sein.<br />
Durch die Altersgrenze von 45 Jahren<br />
schlossen wir altersbedingte Risiken<br />
Seite 99<br />
von vornherein aus; durch die Mindestzahl<br />
an Berufsjahren wollten wir sicherstellen,<br />
dass eine anfängliche berufliche Orientierungsphase<br />
als abgeschlossen betrachtet<br />
werden kann. Mit diesen Vorgaben zielten wir
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Betriebsgröße bzw. Größe der Niederlassung<br />
(Anzahl Beschäftigte)<br />
Branche<br />
Unter 50 50-100 Über 100 Gesamt<br />
Bau<br />
(B)<br />
Banken/Versicherungen<br />
(BkV)<br />
Chemie<br />
(C)<br />
B: 1,3,5 B: 2 -<br />
BkV: 2,6,10 - BkV: 1,4,5,7-9<br />
- - C:2-5,8<br />
4<br />
(7,7%)<br />
9<br />
(17,3%)<br />
5<br />
(9,6%)<br />
Gesundheit<br />
(G)<br />
G: 2,3,9,11,12<br />
C:6,7*<br />
G: 10 G: 4-8,13,14<br />
15<br />
(28,8%)<br />
Handel<br />
(H)<br />
Metall<br />
(M)<br />
Printmedien<br />
(P)<br />
Unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen (UnD)<br />
H: 1 H: 2 -<br />
M: 6,9,12 M: 3,8 M: 1,2,5,14,15<br />
P: 1,2 P: 3 -<br />
UnD: 3,4 - UnD: 2,5<br />
2<br />
(3,8%)<br />
10<br />
(19,3%)<br />
3<br />
(5,8%)<br />
4<br />
(7,7%)<br />
Gesamt<br />
21<br />
(40,4%)<br />
6<br />
(11,5%)<br />
25<br />
(48,1%)<br />
N = 52 (100%)<br />
Tabelle 2.1.1 Fallauswahl – Branche und Betriebsgröße<br />
* Fälle nachträglich der Gesundheitsbranche zugeordnet<br />
auf eine Personengruppe mit einer statistisch<br />
hohen Beschäftigungsstabilität (vgl.<br />
Blossfeld 2006; Grotheer 2007).<br />
Seite 100<br />
In diesem Rahmen suchten wir nach<br />
Varianz. So wurden den Teilnehmern der<br />
Lehrforschung zehn Branchen zur Auswahl<br />
gestellt, die sich aus dem Forschungsprojekt<br />
B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zu Beschäftigungsstabilität<br />
im Ost-West-Vergleich ergaben (Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007b, in diesem Heft; Struck<br />
u.a. 2006). Diese repräsentierten Bereiche mit<br />
hoher und niedriger Beschäftigungsstabilität<br />
im Industrie- und Dienstleistungssektor. Damit<br />
variieren wir das wirtschaftliche und betriebliche<br />
Umfeld der befragten Beschäftigten<br />
mit Normalarbeitsverhältnissen. Darüber<br />
hinaus sollten Frauen und Männer mit unter-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Position<br />
Mit ausführender<br />
Tätigkeit<br />
Mit leitender<br />
Tätigkeit<br />
Qualifikation<br />
♀ ♂ ♀ ♂ Gesamt<br />
Keine<br />
abgeschlossene<br />
Berufsausbildung<br />
- - - -<br />
0<br />
(0%)<br />
BkV:5,7,9<br />
B: 1,3,5<br />
B: 2<br />
Einfache<br />
Berufsausbildung<br />
G: 3,5<br />
H: 1<br />
P: 3<br />
C: 3,8<br />
G: 9,14<br />
H: 2<br />
M: 1,5,12<br />
P: 2<br />
UnD: 5<br />
C: 2<br />
G: 13<br />
M: 2,3<br />
25<br />
(48,1%)<br />
Berufsausbildung<br />
mit zusätzlichen<br />
Weiterbildungen<br />
BkV: 1,10<br />
C: 7<br />
G:<br />
6,8,11,12<br />
UnD: 4<br />
G: 7<br />
M: 6<br />
BkV: 2<br />
M: 9<br />
12<br />
(23,1%)<br />
Hochschulabschluss<br />
BkV: 6,8<br />
C: 4,6<br />
M: 8<br />
BkV: 4<br />
M: 15<br />
P: 1<br />
UnD: 2<br />
G: 4<br />
M: 14<br />
UnD: 3<br />
C: 5<br />
G: 2,10 15<br />
(28,8%)<br />
Gesamt 20<br />
(38,5%)<br />
19<br />
(36,5%)<br />
6<br />
(11,5%)<br />
7<br />
(13,5%)<br />
N = 52<br />
(100%)<br />
Tabelle 2.1.2: Qualif ikation und Position nach Geschlecht und Branche<br />
Seite 101
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
schiedlichen Bildungsniveaus und beruflicher<br />
Stellung vertreten sein. Da die Mehrzahl der<br />
Studierenden aus Ostdeutschland kam und<br />
konsequenterweise über ihren Bekanntenkreis<br />
Ostdeutsche für die Befragung rekrutierte,<br />
bemühten wir uns gezielt um einige westdeutsche<br />
Kontrastfälle.<br />
Nach Abschluss der Vorphase legten die 26<br />
Teilnehmer der Lehrforschung 1 Kurzprofile<br />
der zu Befragenden vor, die einen ersten<br />
Überblick über die Fälle ermöglichten. Wie<br />
beabsichtigt, erfassen wir eine Beschäftigtengruppe<br />
mit einer statistisch hohen Beschäftigungsstabilität.<br />
Alle 52 Befragten arbeiten mit<br />
unbefristetem Vertrag, davon zwei in Teilzeit.<br />
Erwartungsgemäß konzentriert sich das Alter<br />
der Befragten auf 35-45 Jahre. Auch in Bezug<br />
auf die gewünschte Varianz war die Auswahl<br />
erfolgreich. Die Fälle konzentrieren sich auf<br />
acht der zehn vorgegebenen Branchen und erfassen<br />
alle Betriebsgrößen, wobei der Schwerpunkt<br />
auf kleinen und mittleren Betrieben<br />
liegt (siehe Tabelle 2.1.1).<br />
In Bezug auf die geografische Herkunft der<br />
Befragten setzte sich unser Sample erwartungsgemäß<br />
aus überwiegend ostdeutschen<br />
Beschäftigten zusammen. Jedoch haben wir<br />
sechs westdeutsche Kontrastfälle in unserem<br />
Sample (BkV: 1,4; M: 6,9; H:2; G:8). Die<br />
Verteilung nach dem Geschlecht ist ausgeglichen,<br />
von den Befragten war genau<br />
die Hälfte weiblich. In Bezug auf die<br />
Seite 102 Qualifikation sind alle Gruppen (mit<br />
Ausnahme der Ungelernten) vertreten<br />
(siehe Tabelle 2.1.2).<br />
Im Ergebnis der Fallauswahl konnten wir<br />
davon ausgehen, dass wir die Zielgruppe von<br />
Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen<br />
erfasst haben. Auf der Basis der Hypothese<br />
der Ausweitung oder Generalisierung von<br />
Beschäftigungsrisiken und Unsicherheit<br />
erwarteten wir, dass die Befragten für ihr<br />
betriebliches Umfeld, aber auch für sich selber,<br />
Arbeitsplatzrisiken für Gegenwart und<br />
Zukunft hervorheben. Diese Erwartung wurde<br />
aufgrund der Besonderheiten des Samples<br />
sowie des Zeitpunkts der Befragung verstärkt.<br />
Erstens war für die mehrheitlich ostdeutschen<br />
Befragten – vor dem Hintergrund der hohen<br />
Beschäftigungssicherheit in der DDR und der<br />
daran anschließenden Umbruchsphase mit<br />
vielfach gebrochenen Erwerbsbiografien – eine<br />
hohe Sensibilität für Arbeitsplatzrisiken zu<br />
vermuten. Zweitens wurde die Befragung im<br />
Winter 2005/06 am Ende einer langen Stagnationsphase<br />
und vor Beginn des Aufschwungs<br />
durchgeführt, so dass auch aus diesem Grund<br />
eher pessimistische Einstellungen zu erwarten<br />
waren.<br />
2.2 Auswertung und Berichtskonzept<br />
Die hier vorgelegten Ergebnisse dokumentieren<br />
die Auswertung des umfangreichen Textmaterials<br />
der 52 Interviews mit ca. 1800 Seiten. In<br />
einem ersten Schritt haben die Teilnehmer ihre<br />
jeweils zwei Fälle nach einem gemeinsam erarbeiteten<br />
Raster entlang der drei Hypothesen zur<br />
Wahrnehmung des betrieblichen Umfelds, der<br />
individuellen Arbeitsplatzsicherheit sowie den<br />
erwerbsbezogenen Handlungsorientierungen<br />
ausgewertet. Diese Analysen wurden in branchenbezogenen<br />
Arbeitsgruppen diskutiert und<br />
auf Workshops zu ersten Übersichten verarbeitet.<br />
Der Problemzentrierung der Interviews
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
entsprach eine problemzentrierte Auswertung<br />
der Fälle. Im Ergebnis lagen eine erste Typisierung<br />
der Fälle sowie Auszählungen entlang der<br />
drei vorgegebenen Hypothesen und Dimensionen<br />
vor, die eine Reihe von Überraschungen<br />
bereit hielten.<br />
Zur Erarbeitung eines Berichtes wurde dann<br />
eine Redaktionsgruppe gebildet, deren AutorInnen<br />
auch die einzelnen Berichtsteile<br />
zeichnen. Die Aufgabe dieser Gruppe bestand<br />
darin, die in der Lehrforschung erarbeiteten<br />
vergleichenden Übersichten zu prüfen, vertiefen,<br />
verschriftlichen und mit prägnanten<br />
Interviewpassagen zu unterlegen. Darüber<br />
hinaus wurden Verknüpfungen innerhalb und<br />
zwischen den drei Analyse-Ebenen hergestellt.<br />
So fragten die Verantwortlichen für das Kapitel<br />
zum betrieblichen Umfeld (Dittrich/Loudovici/Spiller)<br />
nach der Wahrnehmung der wirtschaftlichen<br />
Situation der Betriebe und ihrer<br />
personalpolitischen Strategien und Muster. Die<br />
zweite Gruppe (Bernhardt/Riemann) fragte<br />
nach Zusammenhängen mit der Wahrnehmung<br />
der individuellen Arbeitsplatzsicherheit. Die<br />
Autorinnen der „Handlungsgruppe“ (Pineda<br />
de Castro/Sittig) wiederum erforschten mögliche<br />
Erwerbs- und Handlungsorientierungen<br />
und suchten nach Zusammenhängen mit der<br />
wahrgenommenen Arbeitsplatzunsicherheit.<br />
Wie aus den vorangestellten Ausführungen<br />
und dem Bericht sichtbar wird, arbeiteten<br />
wir in einem abduktiven Verfahren zwischen<br />
Hypothesen und dem empirischen Material.<br />
Dabei war alles erlaubt, was zur Generierung<br />
von intelligenten Hypothesen nicht verboten<br />
ist. Dazu gehört auch der Wechsel zwischen<br />
sinnverstehenden und erklärenden Auswertungsstrategien.<br />
So wurden ausgewählte Fälle<br />
problembezogen und sinnverstehend ausgewertet,<br />
andererseits aber auch vergleichende<br />
Auswertungen nach bestimmten Merkmalen<br />
vorgenommen und kreuz-tabelliert. Die Zielsetzung<br />
bestand einmal darin, typologische<br />
Ansätze zu entwickeln. Wir wollten aber auch<br />
grobe Verteilungen und Kovarianz von Merkmalsausprägungen<br />
ermitteln. Das Ergebnis<br />
muss dann als ein Satz von – hoffentlich weiterführenden<br />
– Hypothesen gelesen werden,<br />
die mit interpretativen Methoden einerseits<br />
und klassisch quantitativen Ansätzen andererseits<br />
zu vertiefen wären.<br />
Entsprechend den drei Hypothesen, gliedert<br />
sich unser Bericht in drei Teile. In Kapitel 3<br />
fragen wir danach, wie die Beschäftigten die<br />
wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen<br />
Risiken des Betriebes und ihres Arbeitsbereichs<br />
sehen. In Kapitel 4 geht es dann<br />
um die individuelle Arbeitsplatzsicherheit und<br />
das damit verbundene Sicherheitsempfinden.<br />
Kapitel 5 und 6 behandeln die Frage nach dem<br />
Zusammenhang von Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und Handlungsstrategien. In Kapitel 7 fassen<br />
wir die Ergebnisse zusammen und entwickeln<br />
weiterführende Hypothesen.<br />
Seite 103
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
3. Arbeitsplatzrisiken – das betriebliche<br />
Umfeld<br />
von Simon Dittrich, Kai Loudovici,<br />
Sandra Spiller<br />
3.1 Vorbemerkung<br />
Wie in der Einleitung gezeigt, ist aus der Vielzahl<br />
an Untersuchungen, kontroversen Großthesen<br />
und Forschungsergebnissen ersichtlich,<br />
dass es sich bei der Frage nach Arbeitsplatzund<br />
Beschäftigungsunsicherheit um ein ausgesprochen<br />
komplexes Thema handelt. Je nach<br />
dem Fokus der Untersuchung kommt man zu<br />
unterschiedlichen Ergebnissen und häufig<br />
auch Missverständnissen. Bei uns steht die<br />
Frage nach der Arbeitsplatzunsicherheit aus<br />
der Sicht der Beschäftigten im Vordergrund.<br />
Damit bezeichnen wir das wahrgenommene<br />
Risiko eines unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes<br />
im jeweiligen Betrieb.<br />
Um dieses Thema differenziert zu erforschen,<br />
haben wir im Gesprächsleitfaden eine Reihe<br />
von Fragen zur Arbeitsplatzsicherheit im<br />
betrieblichen Umfeld vorgesehen, bevor wir<br />
dann auf die Einschätzung der eigenen Position<br />
eingingen. Wir gehen davon aus, dass<br />
die Ausleuchtung des betrieblichen Umfeldes<br />
ein besseres Verständnis der Wahrnehmung<br />
der eigenen Chancen und Risiken<br />
durch die Betroffenen ermöglicht.<br />
Seite 104 Die Ergebnisse zum betrieblichen<br />
Umfeld werden in diesem Kapitel, die<br />
zur Wahrnehmung der eigenen Arbeitsplatzsicherheit<br />
im nächsten Kapitel vorgestellt.<br />
Bei der Analyse der Arbeitsplatz(un)sicherheit<br />
im betrieblichen Umfeld der Befragten müssen<br />
wir zwischen zwei Themen unterscheiden. Einmal<br />
geht es um die wirtschaftliche Situation des<br />
Betriebes und die Beschäftigungsentwicklung,<br />
von der evidenterweise die Arbeitsplatzrisiken<br />
der Beschäftigten direkt abhängen. Zentral<br />
sind aber auch die personalpolitischen Strategien<br />
für einzelne Arbeitsbereiche, denn diese<br />
bestimmen darüber, ob überhaupt und wie<br />
auf wirtschaftliche Anpassungserfordernisse<br />
reagiert wird. Zu denken ist hier etwa an die<br />
berühmte Atkinson-Zwiebel (Atkinson 1985)<br />
mit der Unterscheidung von interner und externer<br />
Flexibilität.<br />
So gibt es Betriebe und Arbeitsbereiche, in<br />
denen vor allem langfristig Beschäftigte tätig<br />
sind, die auch bei Absatzeinbrüchen geschützt<br />
werden. Es kann aber auch im selben Betrieb<br />
Arbeitsbereiche geben, die die Personalanpassung<br />
schnell vollziehen und häufig ihr Personal<br />
austauschen. Auch die Selektionsregeln bei Entlassungen<br />
bzw. aktivem Personalabbau spielen<br />
eine große Rolle für die relative Sicherheit von<br />
Beschäftigten: Es macht einen Unterschied, ob<br />
das Betriebsalter und andere soziale Kriterien<br />
eine Rolle spielen oder eher nach Qualifikation<br />
und Leistung entlassen wird. Im ersten Fall<br />
können betriebsältere Beschäftigte in relativ<br />
stabilen großen Unternehmen von einer sehr<br />
hohen Beschäftigungssicherheit ausgehen, im<br />
zweiten Fall ist die Sicherheit stärker von der<br />
Ersetzbarkeit der jeweiligen Qualifikation und<br />
der individuellen Leistungsfähigkeit abhängig.<br />
Zur Analyse solcher Strukturen wird häufig<br />
auf die Unterscheidung von Stamm- und<br />
Randbelegschaften zurückgegriffen (z.B.<br />
Köhler/Preisendörfer 1989; Sengenberger
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
1987). Diese Metapher bleibt häufig deskriptiv,<br />
ohne dass die Muster der Personalpolitik<br />
genau beschrieben und deren Determinanten<br />
erfasst werden. Für eine vertiefende Analyse<br />
benötigen wir Kategorien, die die relativ dauerhaften<br />
Strukturen von Gratifikations- und<br />
Allokationsprozessen innerhalb von Betrieben<br />
abbilden und erklären können. Hierfür greifen<br />
wir auf den Ansatz von Köhler u.a. zurück, die<br />
im kritischen Anschluss an den Münchner<br />
Segmentationsansatz (Köhler/Preisendörfer<br />
1989; Lutz 1987; Sengenberger 1987) und<br />
neuere Ansätze aus der Arbeits- und Personalökonomik<br />
(Alewell 1993; Baden u.a.<br />
1996; Osterman 1987) mit dem Konzept des<br />
Betrieblichen Beschäftigungs-Sub-Systems<br />
(BBSS) eine eigenständige Perspektive auf das<br />
Arbeitsmarktgeschehen (Köhler/Loudovici/<br />
Struck 2007b, in diesem Heft) entwickeln.<br />
Vor diesem Hintergrund lässt sich unsere Eingangshypothese<br />
für die Arbeitsplatzrisiken im<br />
betrieblichen Umfeld wie folgt spezifizieren:<br />
a) Wir nehmen an, dass im Arbeitsbereich der<br />
Beschäftigten sowie in den Betrieben insgesamt<br />
personalpolitische Strategien und Muster<br />
der zeitlich begrenzten Beschäftigung<br />
sowie der Leistungssteuerung zunehmen,<br />
dass dadurch die Arbeitsplatzrisiken auch<br />
der normalbeschäftigten Stammbelegschaften<br />
wachsen und dass dies durch die<br />
Beschäftigten wahrgenommen wird.<br />
b) Wir nehmen weiterhin an, dass aufgrund der<br />
Restrukturierung der deutschen Wirtschaft<br />
in Ost- und Westdeutschland sowie der zum<br />
Befragungszeitpunkt (Winter 2005/06)<br />
lang anhaltenden gesamtwirtschaftlichen<br />
Schwäche viele Beschäftigte unsicher über<br />
die weitere Beschäftigungsentwicklung in<br />
ihrem Betrieb sind.<br />
Zur Prüfung dieser beiden Hypothesen fassen<br />
wir zunächst die Forschungsergebnisse zu<br />
personalpolitischen Strategien und Mustern<br />
mit dem Konzept des BBSS zusammen.<br />
Anschließend werten wir die Angaben der<br />
Befragten zur wirtschaftlichen Situation und<br />
Beschäftigungsentwicklung aus. In einem<br />
dritten Schritt wird ein Fazit zur Thematik<br />
der Arbeitsplatzrisiken im betrieblichen Umfeld<br />
der Befragten formuliert.<br />
3.2 Personalpolitische Strategien und<br />
Muster<br />
Zur Analyse personalpolitischer Strategien<br />
und Muster nutzen wir – wie oben ausgeführt<br />
– das Konzept Betrieblicher Beschäftigungs-Sub-Systeme<br />
(BBSS) von Köhler,<br />
Loudovici und Struck. Diesen zufolge sind<br />
BBSS sozioökonomische Räume innerhalb<br />
von Erwerbsorganisationen, die sich über<br />
Konflikt- und Aushandlungsprozesse zwischen<br />
Management und Belegschaftsteilen<br />
konstituieren. Es handelt sich um Teilmengen<br />
von Arbeitsplätzen und Arbeitskräften, die<br />
sich nach innen (gegenüber anderen Arbeitsbereichen)<br />
und nach außen (gegenüber den<br />
überbetrieblichen Arbeitsmärkten)<br />
durch unterschiedliche Niveaus der<br />
Schließung abgrenzen. Diese inner-<br />
Seite 105<br />
betrieblichen Allokationsräume weisen<br />
im Binnenbereich distinkte Regeln und<br />
Strukturmuster der Allokation, Qualifikation<br />
und Gratifikation auf. Erwerbsorganisationen<br />
operieren in der Regel mit mehreren und
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Interne Arbeitsmärkte<br />
Geschlossene BBSS<br />
Externe Arbeitsmärkte<br />
Offene BBSS<br />
Primär senioritätsbasiert leistungsbasiert betriebsförmig marktförmig<br />
Sekundär senioritätsbasiert leistungsbasiert betriebsförmig marktförmig<br />
Tabelle 3.2.1: Arbeitsmarktsegmente und BBSS<br />
Seite 106<br />
verschiedenen BBSS, welche an verschiedene<br />
überbetriebliche Märkte angeschlossen sind.<br />
BBSS sind also Bausteine überbetrieblicher<br />
Teilarbeitsmärkte und Arbeitsmarktsegmente<br />
(vgl. Köhler/Loudovici/Struck 2007b, in diesem<br />
Heft).<br />
Köhler u.a. unterscheiden vier Grundmuster<br />
von BBSS und bestätigen damit die Grundgedanken<br />
des Segmentationsansatzes (Tabelle<br />
3.2.1). In den Erwerbsorganisationen finden<br />
sich Arbeitsplätze, die durch langfristige<br />
Beschäftigung gekennzeichnet und damit<br />
vom Externen Markt abgekoppelt sind<br />
(Geschlossene BBSS). Hier sind Allokation,<br />
Qualifikation und Gratifikation stark organisationsgesteuert.<br />
In einer anderen Gruppe<br />
von Arbeitsbereichen dominiert die zeitlich<br />
begrenzte Beschäftigung. Allokation, Qualifikation<br />
und Gratifikation werden stärker von<br />
den Externen Märkten beeinflusst (Offene<br />
BBSS). Geschlossene BBSS bilden<br />
den betrieblichen Baustein des Arbeitsmarktsegments<br />
Interner Märkte,<br />
Offene BBSS den Baustein Externer<br />
Märkte.<br />
Offene und geschlossene BBSS unterscheiden<br />
sich ferner in einer vertikalen Dimension<br />
nach dem Lohnniveau und den Beschäftigungsrisiken<br />
bei Arbeitsplatzverlust. Primäre<br />
BBSS zeichnen sich durch durchschnittliche<br />
bis überdurchschnittliche Einkommen und<br />
betriebliche oder überbetriebliche Beschäftigungssicherheit<br />
aus; Sekundäre BBSS durch<br />
Niedriglöhne und/oder hohe Beschäftigungsrisiken.<br />
Die unterschiedlichen sozialen Risiken<br />
der Beschäftigten in Primären und Sekundären<br />
BBSS haben Handlungsfolgen für beide Arbeitsmarktparteien<br />
und generieren distinkte<br />
Muster der Allokation, Qualifikation und<br />
Gratifikation (vgl. Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007b, in diesem Heft).<br />
Betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme im<br />
Arbeitsumfeld der Befragten<br />
Zur Erhebung der Merkmale des BBSS<br />
wurden eine Reihe von Fragen gestellt. Die<br />
grundlegende Frage bezieht sich auf die Beschäftigungsperspektiven<br />
der KollegInnen im<br />
Arbeitsbereich der Befragten, woraus sich die<br />
Zuordnung zu Geschlossenen bzw. Offenen<br />
BBSS ergab. Am Schluss des Interviews wurde<br />
nach Einkommensgruppen gefragt, die der<br />
Zuordnung nach primären bzw. sekundären<br />
BBSS zugrunde lag (vgl. Appendix I):
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Jetzt interessieren nicht die Arbeitsverträge an<br />
sich, sondern wie lange die Kollegen aus Ihrem<br />
Arbeitsbereich tatsächlich in Ihrem Unternehmen<br />
bleiben, bevor sie den Betrieb verlassen? (Egal ob<br />
freiwillig oder unfreiwillig).<br />
a) Wie groß ist der Anteil derer, die schon in den<br />
ersten zwei Jahren gehen (egal ob freiwillig oder<br />
unfreiwillig)? Bitte schätzen Sie den Anteil!<br />
b) Wie viele bleiben mittelfristig und gehen nach<br />
mehreren Jahren (maximal 10 Jahre) (wiederum<br />
egal ob freiwillig oder unfreiwillig)? Bitte<br />
schätzen Sie den Anteil!<br />
c) Wie viele bleiben langfristig und im Extremfall<br />
bis zur Rente? Bitte schätzen Sie den Anteil!<br />
Was vermuten Sie sind die Gründe dafür,<br />
dass die Beschäftigungsverhältnisse in Ihrem<br />
Arbeitsbereich vorrangig kurz-, mittel- oder<br />
langfristig (Interviewanweisung: passend<br />
benennen) sind?<br />
…<br />
Wie hoch ist Ihr monatliches Netto-Einkommen<br />
aus Ihrer Erwerbstätigkeit? Ich meine damit<br />
die Summe, die nach Abzug von Steuern und<br />
Sozialversicherungsbeiträgen verbleibt? Ich<br />
nenne Ihnen jetzt Einkommensgruppen. Bitte<br />
ordnen Sie sich entsprechend zu:<br />
bis unter 500 €<br />
501 bis 1000 €<br />
1001 bis 2000 €<br />
2001 bis 3000 €<br />
3001 bis 4000 €<br />
4001 und mehr.<br />
Bei einer Dominanz von Langfristperspektiven<br />
(von mehr als zehn Jahren) im Arbeitsumfeld<br />
schlossen wir auf Geschlossene BBSS in<br />
Internen Arbeitsmärkten. Bei Einkommen<br />
unter 1000 Euro und Vollzeitarbeit ordneten<br />
wir die Fälle dem sekundären Segment zu. Die<br />
Fallanalysen zeigen zunächst, dass die Samplestrategie<br />
der Lehrforschung aufgegangen ist.<br />
Gesucht wurde nach Beschäftigten im mittleren<br />
Alter mit unbefristeten Arbeitsverträgen<br />
und langfristigen Beschäftigungsperspektiven<br />
im Unternehmen. Wir haben – wie geplant<br />
– fast ausschließlich geschlossene BBSS<br />
erfasst. Nach unseren Einkommenskriterien<br />
fallen 3 dieser 49 Untersuchungsfälle in die<br />
Gruppe der Sekundären BBSS. Hierbei handelt<br />
es sich um die Branchen Bau, Gesundheit<br />
und Metall. Die ganz überwiegende Mehrheit<br />
der befragten Personen (46) arbeitet damit in<br />
Primären BBSS (Tabelle 3.2.2).<br />
In Geschlossenen BBSS gilt das Versprechen<br />
langfristiger Beschäftigung, das im Extremfall<br />
bis zur Rente reicht. Dieses Versprechen ist<br />
jedoch an die wirtschaftliche Situation des<br />
Unternehmens und Mindestleistungen des<br />
Beschäftigten gebunden (vgl. Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007b, in diesem Heft). Geschlossene<br />
BBSS gewähren also nur bedingte<br />
Beschäftigungssicherheit und bei anstehenden<br />
Entlassungen bzw. aktiven Personalabbauaktionen<br />
stellt sich immer die Frage nach den<br />
Selektionsregeln. Hierbei konkurrieren<br />
tradierte Senioritätsregeln,<br />
denen zufolge nach Betriebsalter<br />
Seite 107<br />
sowie nach anderen sozialen Kriterien<br />
differenziert wird auf der einen Seite, mit<br />
Leistungskriterien, die immer wieder von den<br />
Betriebsleitungen in den Vordergrund gestellt<br />
werden auf der anderen Seite. Wenn Senio-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
ritätsregeln vorherrschen, sind betriebsältere<br />
Beschäftigte geschützt. Deshalb konnten<br />
Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in<br />
stabilen Großkonzernen noch vor zwanzig<br />
Jahren in Westdeutschland davon ausgehen,<br />
dass ihnen nach etwa zehn Jahren nicht mehr<br />
viel passieren konnte (vgl. Köhler/Sengenberger<br />
1983). Wenn dagegen – wie in vielen<br />
kleinen und nicht gewerkschaftlich kontrollierten<br />
Betrieben der Fall – Leistungskriterien<br />
vorherrschen, ist potenziell jeder gefährdet,<br />
wenn die Qualifikation ersetzbar wird oder<br />
die Leistung nachlässt. Bei Letzteren finden<br />
sich also eher qualifikations- und leistungsbezogene<br />
Allokationsregeln und Sicherheiten<br />
(vgl Köhler/Loudovici/Struck 2007b, in<br />
diesem Heft). Deshalb unterscheiden wir im<br />
Anschluss an Köhler u.a. Geschlossene BBSS<br />
in Senioritätsbasierte Systeme einerseits und<br />
Leistungsbasierte Systeme andererseits (Tabelle<br />
3.2.1).<br />
Die internen Allokationsregeln fallen unterschiedlich<br />
aus. In Senioritätsbasierten BBSS<br />
werden vakante Stellen eher nach Betriebserfahrung<br />
und Betriebsalter besetzt, in Leistungsbasierten<br />
eher nach Qualifikations- und<br />
Leistungskriterien. Im ersten Fall kommen<br />
die Betriebsälteren auf die besseren Positionen:<br />
Eintrittspositionen in das „BBSS“ sind<br />
die niedriger qualifizierten und entlohnten<br />
Jobs. Wenn der Stellenkegel wächst, gibt es<br />
eine Aufwärtsmobilität; bei einer<br />
Schrumpfung eine Abwärtsmobilität<br />
Seite 108 bzw. einen Verdrängungsprozess<br />
von oben nach unten. Auf diese<br />
Weise können auch schwankungsempfindliche<br />
Organisationen den Betriebsälteren im<br />
Zeitverlauf eine hohe Sicherheit bieten. Die<br />
Allokationsregeln sind also senioritätsbezogen<br />
(Köhler/Loudovici/Struck 2007b, in diesem<br />
Heft).<br />
Auch in Leistungsbasierten BBSS sind langfristige<br />
Beschäftigungsperspektiven gegeben, aber<br />
an individuelle Leistungsstandards und die<br />
kollektive Produktivität und Profitabilität von<br />
Unternehmensbereichen und Betriebsstätten<br />
gebunden. Auch hier konkurrieren Insider um<br />
die attraktiven Positionen in der Organisation.<br />
Diese werden aber eher mit den durchsetzungsfähigen<br />
sowie qualifikations- und leistungsstarken<br />
Personen besetzt; diese können,<br />
aber müssen nicht die Betriebsälteren sein (vgl.<br />
Köhler/Loudovici/Struck 2007b, in diesem<br />
Heft). Statistisch findet man einen weniger<br />
starken Zusammenhang von Betriebsalter und<br />
Position nach Einkommen, Status etc. als bei<br />
eher senioritätsbezogenen Allokationsregeln<br />
(vgl. Sengenberger 1987). Auch hier gibt es im<br />
Falle einer internen Besetzung eine Folgemobilität<br />
von anderen Positionen des Betriebes im<br />
Sinne von Vakanzketten. Beim Personalabbau<br />
geht man eher nach Qualifikation und Leistung<br />
vor: Entlassen werden die eher qualifikationsund<br />
leistungsschwachen Personen auf den unteren<br />
Ebenen der Arbeitsplatzhierarchie. Auch<br />
hier gibt es Verdrängungsprozesse von „oben“<br />
nach „unten“, aber sie folgen anderen Regeln<br />
(vgl. Köhler/Preisendörfer 1989).<br />
Im Leitfaden spielte die Frage nach den Regeln<br />
der Allokation von Arbeitskraft eine gewichtige<br />
Rolle. So wurde nach Kriterien für den<br />
Personalaufbau und nach Entlassungen gefragt<br />
(vgl. Appendix I):
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Personalaufbau<br />
Wie werden in Ihrer Abteilung freie Stellen<br />
besetzt: Eher von Innen oder eher von Außen?<br />
(Interviewanweisung: intern und extern -><br />
beides abfragen)<br />
Stellenbesetzung intern:<br />
Was sind das für Stellen, die von Innen<br />
besetzt werden?<br />
Gibt es typische Aufstiegswege?<br />
Wie kommt man an die guten Jobs?<br />
Stellenbesetzung extern:<br />
Was sind das für Stellen, die von Außen besetzt<br />
werden?<br />
Was sind die Einstellungsvoraussetzungen?<br />
Kommt es vor, dass Kollegen gegen Personal von<br />
Außen ausgetauscht werden? Warum? Wie läuft<br />
das ab?<br />
…<br />
Entlassungen<br />
Hat es in Ihrem Arbeitsbereich Entlassungen<br />
gegeben?<br />
Wenn ja:<br />
Wie laufen Entlassungen ab?<br />
Was waren die Gründe für Entlassungen (personell<br />
oder betrieblich)?<br />
Bei betriebsbedingten Kündigungen: Nach welchen<br />
Kriterien wurden die Leute entlassen? Wer<br />
wurde warum ausgewählt?<br />
Warum? oder Warum nicht?<br />
(passend fragen)<br />
Könnten Sie im Falle einer Entlassung irgendwie<br />
Einfluss nehmen?<br />
Für die Zuordnung zu Leistungs- oder Senioritätsbasierten<br />
BBSS wurden die Fragen<br />
zu Entlassungen in den Vordergrund gestellt.<br />
Hier interessierte besonders, nach welchen<br />
Kriterien Personen entlassen wurden bzw.<br />
werden. Bei einer Dominanz von sozialen<br />
Kriterien ordnen wir den Arbeitsbereich<br />
den senioritätsbasierten Systemen, bei einer<br />
Dominanz von Leistungskriterien den Leistungsbasierten<br />
BBSS zu.<br />
Die Auswertung macht deutlich, dass nach<br />
diesem engen Kriterium nur eine starke<br />
Minderheit der Befragten in Leistungsbasierten<br />
BBSS arbeitet (Tabelle 3.2.2), in denen<br />
langfristige Beschäftigungsperspektiven<br />
gegeben, aber an individuelle Leistungen<br />
gebunden sind. Die Mehrheit der Befragten<br />
arbeitet nach diesen Zuordnungsregeln in<br />
Senioritätsbasierten BBSS mit einem höheren<br />
Sicherheitsniveau. Bei einer Berücksichtigung<br />
zusätzlicher Kriterien, wie der Regeln bei der<br />
innerbetrieblichen Stellenbesetzung und der<br />
Lohnfindung, würde der Leistungsaspekt Geschlossener<br />
BBSS stärker in den Vordergrund<br />
rücken. In Kapitel 5 wird deshalb die<br />
Dimension Leistungsorientierung<br />
differenzierter betrachtet.<br />
Seite 109<br />
Kann man sich in Ihrem Betrieb auf den Kündigungsschutz<br />
nach Betriebszugehörigkeit/Alter<br />
und Familienstand verlassen?
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Senioritätsbasierte BBSS Leistungsbasierte BBSS Gesamt<br />
Primär<br />
B: 2<br />
BkV: 1,2,4-9<br />
C: 2-5,8<br />
G: 2,4,7-11,13,14<br />
H: 1,2<br />
M: 1,2,12,14,15<br />
P: 1-3<br />
UnD: 2,3<br />
B: 1,5<br />
BkV: 10<br />
C: 6,7<br />
G: 3,6<br />
M: 5,8,9<br />
UnD: 4<br />
= 35<br />
= 11<br />
46<br />
(93,9%)<br />
Sekundär<br />
G: 12<br />
M: 3<br />
B: 3<br />
= 2<br />
= 1 3<br />
(6,1%)<br />
Gesamt<br />
37<br />
(75,5%)<br />
12<br />
(24,5%)<br />
N = 49*<br />
(100%)<br />
Tabelle 3.2.2: Varianten Geschlossener „BBSS“<br />
*Nicht zugeordnet:<br />
M: 6 (keine Kündigungen)<br />
UnD: 5 (offenes BBSS)<br />
G: 5 (primär und senioritätsbasiert, aber Tendenz zu offenem BBSS)<br />
Seite 110
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
3.3 Randbelegschaften<br />
Randbelegschaften sind nach unserer Definition<br />
Arbeitsplätze im Betrieb, die mit zeitlich<br />
begrenzt Beschäftigten besetzt und geräumt<br />
werden, also Offene BBSS. Die Existenz von<br />
Randbelegschaften (in Offenen BBSS) kann<br />
die Arbeitsplatzsicherheit der Stammbelegschaften<br />
(in Geschlossenen BBSS) erhöhen,<br />
indem diese beim Personalabbau als erste gehen<br />
und so die Sicherheit der anderen erhöhen. Sie<br />
können aber auch als interne „Reservearmee“<br />
(Marx 1985) fungieren und als Konkurrenten<br />
die Stammbelegschaft bedrohen; dies gilt insbesondere<br />
für die leistungsbasierten Systeme.<br />
Als groben Indikator für die Existenz von<br />
Randbelegschaften nehmen wir „atypische“ Arbeitsvertragsformen<br />
mit zeitlicher Begrenzung,<br />
die wir detailliert abgefragt haben: Beschäftigte<br />
mit befristeten Arbeitsverträgen, Leiharbeiter<br />
und Externe (Personal von Fremdfirmen) im<br />
Arbeitsbereich. In 34 von 52 Fällen sind befristete<br />
Mitarbeiter, Leiharbeiter oder Externe<br />
Mitarbeiter im Arbeitsbereich des jeweiligen<br />
Befragten präsent. In 7 Fällen werden nur<br />
Leiharbeiter eingesetzt. In 18 Fällen handelt es<br />
sich um befristete Arbeitsverträge. In 9 Fällen<br />
sind sowohl befristet Beschäftigte als auch<br />
Leiharbeiter im Arbeitsbereich tätig. Diese<br />
Beschäftigtengruppen (im Folgenden zusammenfassend<br />
atypisch Beschäftigte genannt)<br />
haben in der Regel nur begrenzte Chancen<br />
auf eine Position in der Stammbelegschaft<br />
und ein großer Teil verlässt das Unternehmen<br />
nach Ablauf der Vertragszeit. Sie können aber<br />
auch als Konkurrenten der Stammbelegschaft<br />
eingesetzt werden, wenn sich Tätigkeiten überlappen.<br />
Insbesondere in Produktionsbetrieben dienen<br />
Randbelegschaften oft dem Zweck des Abfangens<br />
von temporären Nachfragespitzen:<br />
Pharmaunternehmen, Vorarbeiterin, 42<br />
Jahre: „Also, das ist `n Hoch und `n Runter,<br />
würde ich sagen bei uns. [...] es kommt<br />
drauf an, wie die Auftragslage ist.“ (C:2)<br />
Weichenbau, Schweißer, 45 Jahre: „Während<br />
in schwerpunktmäßigen Auftragsspitzen,<br />
da wir auch ein saisonaler Betrieb sind,<br />
die werden dann durch Zeitarbeitskräfte<br />
und Leiharbeitskräfte abgefangen.“ (M:12)<br />
Pharmaunternehmen, Industriemechaniker,<br />
40 Jahre: „[...] die wollen einen Stamm<br />
haben [...] und der Rest für zwei Jahre oder<br />
Zeitarbeitsfirmen, [...] der Stamm ist, [...]<br />
eigentlich der größte Teil ja.“ (C:3)<br />
Die Aussagen der Befragten legen es nahe,<br />
hier zwei Gruppen zu unterscheiden. In der<br />
ersten Gruppe ist eine klare Abgrenzung zwischen<br />
Insidern und Outsidern zu erkennen.<br />
Hier übernehmen die atypisch Beschäftigten<br />
eher Hilfstätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen,<br />
die größtenteils auch<br />
von Fachfremden zu leisten sind, und stellen<br />
damit keine Bedrohung für eine einschlägig<br />
qualifizierte Stammbelegschaft dar.<br />
In der zweiten Gruppe überschneiden<br />
sich die Einsatzfelder.<br />
Eine klare Abgrenzung der Tätigkeitsfelder<br />
findet sich etwa im Versicherungswesen:<br />
Seite 111
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Krankenversicherung, Versicherungskauffrau,<br />
35 Jahre: „[...] Aushilfskräfte, die [...]<br />
wenn wirklich sehr viel zu tun ist [...] Botendienste<br />
übernehmen, wirklich einfache<br />
Tätigkeiten, Sortiertätigkeiten, kopieren,<br />
[...] so Hilfstätigkeiten.“ (BkV: 1)<br />
Auch in der Produktion handelt es sich bei<br />
einzelnen Fällen um Aushilfstätigkeiten:<br />
Rohbau, Vorarbeiter, 36 Jahre: „...[Leiharbeiter<br />
arbeiten] hauptsächlich in der Reinigung<br />
von der Baustelle und in Ordnung und<br />
Sauberkeit.“ (B: 2)<br />
Es ist zu vermuten, dass diese atypisch Beschäftigten<br />
eher die Stammbelegschaft in<br />
den Geschlossenen BBSS stabilisieren bzw.<br />
vom externen Markt abschotten. Die atypisch<br />
Beschäftigten haben kaum Aussicht auf eine<br />
Übernahme.<br />
Unser Sample beinhaltet ebenso Fälle aus<br />
der zweiten Gruppe atypisch Beschäftigter,<br />
mit sich überlappenden Tätigkeitsfeldern, bei<br />
denen sich über die letzten Jahre eine Veränderung<br />
in der Vergabemodalität von unbefristeten<br />
Stellen zeitigt: So werden Befristungen<br />
immer häufiger als verlängerte Probezeit für<br />
feste Stellen genutzt. Dies gilt in unserem<br />
Sample stärker für Produktionsbetriebe als<br />
z.B. im Bereich Banken und Versicherungen<br />
oder in der Gesundheitsbranche.<br />
Da die Neueingestellten in diesen Fällen in<br />
die Tätigkeiten der Stammbelegschaft eingearbeitet<br />
werden, ist der Unterschied zwischen<br />
Rand- und Stammbelegschaft häufig nur auf<br />
dem Lohnzettel vorhanden. Dies kann als ein<br />
Hinweis auf den Umbau von Senioritätsbasierten<br />
BBSS zu Leistungsbasierten BBSS gelesen<br />
werden, in denen ein erhöhter Leistungsdruck<br />
nicht nur für die atypisch Beschäftigten, sondern<br />
auch für die Festangestellten besteht. Die<br />
Stammbelegschaft hat nach wie vor gewisse<br />
Sicherheiten durch unbefristete Verträge und<br />
– soweit vorhanden – über die Betriebsräte;<br />
allerdings wird hier eine stärkere Konkurrenz<br />
zwischen Insidern und Outsidern aufgebaut.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass<br />
bei etwa zwei Drittel unserer Fälle (34 von<br />
52) nach den einschlägigen Interviewpassagen<br />
und unserer Definition Randbelegschaften in<br />
Form von atypisch Beschäftigten zu erkennen<br />
sind. Bei einem Teil dieser Betriebe findet sich<br />
auf der Basis von Senioritätsregeln und/oder<br />
Qualifikationen eine deutliche Abgrenzung<br />
von Insidern und Outsidern. Hier sind<br />
Stammarbeitsplätze nicht durch die Randbelegschaften<br />
gefährdet. Bei einem zweiten Teil<br />
dieser Betriebe mit atypisch Beschäftigten<br />
(insbesondere in der Produktion) werden befristet<br />
Beschäftigte auch für die Tätigkeiten der<br />
StammarbeiterInnen eingesetzt. Hier kann es<br />
zu einer Konkurrenz zwischen Outsidern und<br />
Insidern kommen.<br />
Seite 112 Pharmaunternehmen, Vorarbeiterin, 42<br />
Jahre: „Neueinstellungen [...] kommen<br />
ja jetzt über ’ne Zeitfirma.“ (C: 2)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
12<br />
N=49<br />
10<br />
Anzahl der Befragten<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2.5<br />
4.5<br />
5<br />
6<br />
6.5 7 7.5 8<br />
wirtschaftliche Situation<br />
8.5<br />
9<br />
9.5<br />
10<br />
Abbildung 3.4.1: Wirtschaftlche Situation der Betriebe<br />
3.4 Wirtschaftliche Lage und Beschäftigungsentwicklung<br />
Arbeitsplatzrisiken werden nicht alleine<br />
an den personalpolitischen Mustern und<br />
Strategien, sondern auch und vor allem an<br />
der wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen<br />
Situation von Unternehmen und<br />
Betriebsteilen festgemacht. Wir untersuchen<br />
daher, wie die befragten NormalarbeiterInnen<br />
diese beurteilen. Des Weiteren wurden die Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Vergangenheit<br />
und die erwartete Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Zukunft erfragt. Zur Vertiefung des<br />
Themas wurde schließlich nach Entlassungserfahrungen<br />
im betrieblichen Umfeld gefragt.<br />
Die Wirtschaftliche Situation der Betriebe<br />
Während der Befragung wurden die<br />
Interviewten gebeten, die wirtschaft-<br />
Seite 113<br />
liche Situation ihres Unternehmens<br />
auf einer Skala von 1 bis 10 einzuschätzen<br />
(wobei 10 die positivste Ausprägung der Skala<br />
ist). Die Auswertung belegt, dass etwa zwei<br />
Drittel der Befragten die wirtschaftliche Si-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
tuation ihres Betriebes als positiv eingeschätzt<br />
haben. Neben 25 von 49 Befragten, die die<br />
wirtschaftliche Situation mit 7 oder 8 von<br />
10 möglichen Punkten bewerteten, gaben 8<br />
weitere Befragte ihrem Unternehmen sogar 9<br />
oder 10 Punkte. In nur einem Fall wurde die<br />
wirtschaftliche Lage als eindeutig schlecht<br />
eingestuft, in 3 Fällen sahen sich die Befragten<br />
außerstande eine Einschätzung abzugeben.<br />
Insgesamt ist die Verteilung in Richtung einer<br />
guten wirtschaftlichen Lage geneigt (Abbildung<br />
3.4.1).<br />
Beschäftigungsentwicklung<br />
Eine positiv eingeschätzte wirtschaftliche Situation<br />
der Unternehmen übersetzt sich nicht<br />
notwendigerweise in eine positive Einschätzung<br />
zur Entwicklung der Beschäftigung im<br />
Unternehmen. Daher wurden die Befragten<br />
gebeten, Einschätzungen zur Beschäftigungsentwicklung<br />
für die Zukunft abzugeben. Um<br />
ein vollständiges Bild der Beschäftigungsentwicklung<br />
im jeweiligen Befragungsunternehmen<br />
zu erhalten, fragten wir zusätzlich nach<br />
Erfahrungen zur Beschäftigungsentwicklung<br />
innerhalb der letzten 5 Jahre.<br />
In 26 von 52 Fällen ergaben unsere Auswertungen,<br />
dass die Beschäftigtenzahlen in der<br />
Vergangenheit weitestgehend stabil geblieben<br />
sind. In 16 Fällen wird sogar ein Beschäftigungswachstum<br />
in der Vergangenheit<br />
konstatiert. In nur 10 Fällen, also etwa<br />
Seite 114 einem Fünftel der Befragten, wird<br />
von einer Schrumpfung der Beschäftigungszahlen<br />
berichtet (Abbildung 3.4.2).<br />
Nach den Angaben der Befragten haben sich<br />
die Beschäftigtenzahlen in der Vergangenheit<br />
branchenspezifisch unterschiedlich entwickelt,<br />
auch wenn der Anteil der stabilen Betriebe in<br />
allen Branchen sehr hoch ist. Das starke Beschäftigungswachstum<br />
bei Banken und Versicherungen<br />
ergab sich möglicherweise aus dem<br />
Nachholbedarf der neuen Bundesländer.<br />
Für die Zukunft rechnet die Mehrheit der<br />
Befragten (30 von 50) entweder mit Stabilität<br />
oder einem Wachstum der Beschäftigtenzahlen<br />
(24 bzw. 6) – die Erwartungen an die Zukunft<br />
zeigen also in unserem Sample eine durchaus<br />
positive Tendenz. Jedoch gehen immerhin 20<br />
Befragte von einem Rückgang der Beschäftigtenzahlen<br />
aus (Abbildung 3.4.3). Diese<br />
Ein schätzung könnte ein Hinweis auf den<br />
sich branchenspezifisch verschärfenden Wettbewerb<br />
bzw. auf Restrukturierungsprozesse<br />
in den Unternehmen in der Vergangenheit<br />
sein, welche entsprechende Erwartungen für<br />
die Zukunft schüren. Zwei Befragte machten<br />
keine Angabe zur zukünftigen Entwicklung<br />
der Beschäftigung im Unternehmen.<br />
Insbesondere Befragte aus ostdeutschen Banken<br />
und Versicherungen (die für die Vergangenheit<br />
überproportional positive Einschätzungen<br />
machten) gehen eher von einer Schrumpfung<br />
als von einem Wachstum der Beschäftigtenzahl<br />
aus. In der Bau- und Chemiebranche geht die<br />
Hälfte der Befragten und in der Gesundheitsbranche<br />
eine starke Minderheit der Befragten<br />
ebenso von einer Schrumpfung der Beschäftigtenzahlen<br />
in der Zukunft aus. Besonders<br />
die Metallbranche steht beispielhaft für die<br />
dennoch insgesamt dominante Tendenz in den<br />
Erwartungen der Befragten hinsichtlich einer<br />
stabilen bzw. zunehmenden Beschäftigtenzahl.<br />
Abschließend werden die Aussagen zu Erfahrungen<br />
hinsichtlich der Beschäftigungs-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
100<br />
80<br />
Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Vergangenheit<br />
Schrumpfung<br />
Stabilität<br />
Wachstum<br />
Prozent<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Bau<br />
Chemie<br />
BKV<br />
Branche<br />
Metall<br />
Gesundheit<br />
Abbildung 3.4.2: Beschäftigungsentwicklung in der Vergangenheit nach Branchen (N=43) 2<br />
entwicklung in der Vergangenheit und die<br />
Angaben der Befragten zu Erwartungen in<br />
der Zukunft direkt verglichen. Abbildung<br />
3.4.4 zeigt die Verteilung der Zukunftserwartungen<br />
gemessen an der Einschätzung der<br />
Vergangenheit. Die Ergebnisse belegen, dass<br />
die Befragten sehr differenziert urteilen und<br />
keineswegs die Trends der Vergangenheit für<br />
die Zukunft verlängern. So erwarten viele der<br />
Befragten aus „Schrumpfbetrieben“ für die<br />
Zukunft eine Stabilisierung der Beschäftigung.<br />
Auf der anderen Seite wird jedoch für einen<br />
Teil der stabilen Betriebe eine Verschlechterung<br />
erwartet, jedoch gehen mehr Beschäftigte<br />
in stabilen Betrieben von Stabilität oder<br />
Wachstum aus. Insgesamt überwiegt die Zahl<br />
der „Optimisten“ die der „Pessimisten“.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass<br />
die Mehrheit von drei Fünftel der Befragten<br />
mit einer positiven Entwicklung<br />
rechnet, d.h. sie geht von einer<br />
Zunahme oder Stabilisierung der<br />
Seite 115<br />
Beschäftigtenzahlen aus. Allerdings<br />
erhöht sich die Zahl der „Pessimisten“ von<br />
einem auf zwei Fünftel, wenn man nach der<br />
zukünftigen Entwicklung fragt.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
100<br />
80<br />
Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Zukunft<br />
Schrumpfung<br />
Stabilität<br />
Wachstum<br />
Prozent<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
BKV<br />
Bau Chemie Gesundheit Metall<br />
Branche<br />
Abbildung 3.4.3: Beschäftigungsentwicklung in der Zukunft nach Branchen (N=42) 3<br />
Entlassungen<br />
Eine negative Beschäftigungsentwicklung<br />
ist nicht zwangsläufig mit aktivem Personalabbau<br />
gleichzusetzen, denn sie kann über<br />
weiche Personalanpassungsmaßnahmen wie<br />
Nichtersetzen der Altersabgänge und<br />
arbeitnehmerseitigen Kündigungen<br />
Seite 116 erfolgen. Es ist aber zu vermuten,<br />
dass Entlassungen im betrieblichen<br />
Umfeld in der Vergangenheit einen starken<br />
Einfluss auf die wahrgenommene individuelle<br />
Arbeitsplatzsicherheit ausüben. Aus diesem<br />
Grund wurden die Befragten gebeten, Auskünfte<br />
über Entlassungen in ihrem Arbeitsbereich<br />
zu geben (siehe Appendix I).<br />
In 25 von 52 Fällen gaben die Befragten an,<br />
dass es in ihrem Arbeitsbereich seit Beschäftigungsbeginn<br />
Entlassungen gegeben hat. In<br />
unserer Auswertung wurde, im Anschluss an<br />
das Kündigungsschutzgesetz, eine Unterscheidung<br />
zwischen betrieblichen und personellen<br />
Entlassungsgründen vorgenommen. In der<br />
überwiegenden Mehrheit der Fälle mit Entlassungen<br />
lagen personelle Gründe vor. In 3<br />
Fällen wurde eine Mischung aus personellund<br />
betriebsbedingten Kündigungen deutlich
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
12<br />
10<br />
Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Zukunft<br />
Schrumpfung<br />
Stabilität<br />
Wachstum<br />
Anzahl der Befragten<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Schrumpfung<br />
Stabilität<br />
Wachstum<br />
Beschäftigungsentwicklung in der Vergangenheit<br />
N=52<br />
Abbildung 3.4.4:<br />
Beschäftigungsentwicklung in den letzten 5 Jahren und Erwartungen für die Zukunft (N=50) 4<br />
und in lediglich 9 Fällen lagen rein betriebliche<br />
Entlassungsgründe vor. Folglich hat weniger<br />
als ein Viertel aller Befragten rein betrieblich<br />
bedingte Entlassungsmaßnahmen erlebt.<br />
Zusammenfassend können wir festhalten,<br />
dass in etwa die Hälfte aller Befragten von<br />
Entlassungserfahrungen im Arbeitsbereich<br />
berichtet, wovon wiederum etwas mehr als<br />
die Hälfte rein personelle Entlassungsgründe<br />
benennt. Die Anzahl der personell bedingten<br />
Kündigungen verweist darauf, dass die individuellen<br />
Qualifikationen und Leistungen der<br />
Beschäftigten zu einem wichtigen Kriterium<br />
der Beschäftigungssicherheit geworden sind,<br />
d.h. auch in stabilen Unternehmen werden<br />
individuelle Beschäftigungsrisiken auf Basis<br />
von Leistungsproblemen wahrgenommen und<br />
konstatiert (vgl. Abschnitt 4.3). Auch<br />
dies lesen wir als einen Beleg für den<br />
Umbau von Senioritätsbasierten auf<br />
Leistungsbasierte BBSS.<br />
Zudem zeigt sich, dass die wirtschaftliche<br />
und beschäftigungspolitische Situation der<br />
Betriebe durch eine Mehrheit der Befragten<br />
Seite 117
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
positiv beurteilt wird. Für die Beschäftigungsentwicklung<br />
in der Vergangenheit konstatieren<br />
vier Fünftel der Befragten Stabilität oder sogar<br />
Wachstum, für die Zukunft erwarten dies immerhin<br />
noch drei Fünftel der Befragten, d.h.<br />
der Anteil der negativen Einschätzungen im<br />
Hinblick auf die Beschäftigungsentwicklung<br />
steigt bis auf rund zwei Fünftel an. Die Basis<br />
dafür könnten die Erfahrungen der Beschäftigten<br />
mit betrieblichen Restrukturierungsprozessen<br />
(insbesondere in Großunternehmen)<br />
sowie die gesellschaftspolitische ‚Großwetterlage’<br />
sein. Ein Viertel aller Befragten berichtet<br />
von rein personell bedingten Kündigungen im<br />
Arbeitsbereich. Ein anderer, jedoch kleinerer<br />
Teil aller Befragten, berichtet von betrieblich<br />
bedingten Entlassungen im Arbeitsbereich.<br />
3.5 Fazit<br />
Das Hauptziel der Lehrforschung besteht<br />
darin, die Ausweitung von wahrgenommener<br />
Unsicherheit für NormalarbeiterInnen in<br />
Bezug auf die eigenen Berufsperspektiven<br />
sowie deren Handlungsfolgen zu prüfen.<br />
Wir gehen allerdings davon aus, dass die „gefühlte<br />
Unsicherheit“ mit der Wahrnehmung<br />
des betrieblichen Umfeldes in Verbindung<br />
steht. Deshalb beginnen wir den Bericht im<br />
vorangestellten Kapitel mit Analysen zur<br />
wirtschafts- und beschäftigungspolitischen<br />
Situation der Unternehmen.<br />
Seite 118 Ziel der Fallauswahl war es, Personen<br />
in Normalarbeitsverhältnissen mit<br />
unbefristeten Arbeitsverträgen zu erfassen,<br />
um die Ausbreitung von Unsicherheit<br />
in der „Zone der Integration“ (Castel 2000,<br />
2005; Dörre 2005a, 2005b) zu prüfen. Unsere<br />
Samplestruktur zeigt, dass die Zielstellung für<br />
die Fallauswahl erreicht ist. Fast alle Befragten<br />
unseres Samples arbeiten in Arbeitsbereichen<br />
mit dominant langfristiger Beschäftigung,<br />
die wir als Geschlossene BBSS bezeichnen.<br />
Davon erzielt die überwiegende Mehrheit<br />
durchschnittliche bis überdurchschnittliche<br />
Einkommen, während nur drei Fälle unterdurchschnittliche<br />
Löhne erhalten.<br />
Unsere Ausgangshypothesen waren, dass a)<br />
personalpolitische Strategien der Langfristbeschäftigung<br />
auch im Bereich der Normalbeschäftigung<br />
brüchig werden und dass<br />
b) die Beschäftigungsentwicklung vor dem<br />
Hintergrund des Restrukturierungsprozesses<br />
der west- und ostdeutschen Wirtschaft eher<br />
negativ wahrgenommen wird. Im Ergebnis<br />
der Auswertungen haben sich unsere weit<br />
reichenden Hypothesen nicht voll bestätigt,<br />
sondern müssen relativiert werden. Die Beschäftigten<br />
gehen für ihre Arbeitsbereiche von<br />
einem Sicherheitsversprechen der Betriebe<br />
aus, dies ist einmal in unbefristeten Verträgen<br />
verankert. Es wird aber auch über die Personalpolitik<br />
in den Geschlossenen BBSS bestätigt:<br />
Wenn nichts „Schlimmes“ dazwischenkommt,<br />
besteht Beschäftigungssicherheit.<br />
Allerdings beobachtet eine starke Minderheit<br />
der Befragten, dass auch in den Arbeitsbereichen<br />
mit langfristiger Beschäftigung<br />
Leistungs- und Qualifikationskriterien in<br />
der Personalpolitik eine große Rolle spielen.<br />
Dies heißt, dass im Normalbetrieb, aber<br />
insbesondere bei anstehenden Personalanpassungsmaßnahmen,<br />
Sicherheit an Leistung<br />
gebunden ist. Das Sicherheitsversprechen der<br />
Normalbeschäftigung besteht weiter, es wird<br />
aber relativiert.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Auch in Bezug auf die Beschreibung des wirtschafts-<br />
und beschäftigungspolitischen Umfeldes<br />
der Befragten können wir nicht von einer<br />
Generalisierung von Unsicherheit ausgehen:<br />
Für die Vergangenheit konstatieren vier Fünftel<br />
der Befragten eine positive Beschäftigungsentwicklung,<br />
für die Zukunft immerhin noch<br />
drei Fünftel. Erfahrungen mit Entlassungen im<br />
betrieblichen Umfeld haben in etwa die Hälfte<br />
aller Befragten gemacht, wovon wiederum etwas<br />
mehr als die Hälfte eher personelle und ein<br />
anderer, jedoch kleinerer Teil eher betriebliche<br />
Gründe nennt.<br />
Zusammenfassend halten wir fest, dass unsere<br />
empirischen Analysen zu Arbeitsplatzrisiken<br />
im betrieblichen Umfeld der Befragten erste<br />
Zweifel an der Großthese der „Generalisierung“<br />
von Unsicherheit bei Normalbeschäftigten<br />
nahe legen. Unser Sample legt einen<br />
Schwerpunkt auf kleinere und mittlere ostdeutsche,<br />
z.T. nicht tarifgebundene Betriebe<br />
ohne Betriebsrat. Gerade hier hätten wir eine<br />
Vielzahl von Konstellationen erwartet, in<br />
denen Beschäftigte hohe Arbeitsplatzrisiken<br />
für ihr Arbeitsumfeld konstatieren. Diese Erwartungen<br />
haben sich nicht bestätigt. Fast alle<br />
Befragten gehen davon aus, dass die Betriebe<br />
personalpolitisch das Sicherheitsversprechen<br />
für die Stammbeschäftigten einlösen, wenn<br />
diese ihre Leistung bringen und keine große<br />
Krise des Unternehmens dazwischenkommt.<br />
4. Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit<br />
von Janine Bernhardt<br />
4.1 Vorbemerkung<br />
Die Ergebnisse zur wirtschafts- und beschäftigungspolitischen<br />
Situation der untersuchten<br />
Unternehmen im vorangegangenen Kapitel<br />
sprechen gegenwärtig gegen eine Generalisierung<br />
von kollektiven Beschäftigungsrisiken.<br />
An das betriebliche Umfeld der befragten<br />
Beschäftigten anknüpfend wird in diesem<br />
Kapitel der Frage nach einer Generalisierung<br />
von individuellen Beschäftigungsrisiken 5 im<br />
„Zentrum der Arbeitsgesellschaft“ nachgegangen<br />
(Bultemeier u.a. 2007). Dazu untersuchen<br />
wir die wahrgenommene Sicherheit<br />
im aktuellen Beschäftigungsverhältnis und<br />
grenzen diese Arbeitsplatzsicherheit ab von<br />
überbetrieblichen Sicherheiten der Befragten,<br />
ausgehend von wahrgenommenen Chancen<br />
auf dem externen Arbeitsmarkt bzw. der<br />
Ausweichmöglichkeit auf Alternativrollen<br />
(Familie oder Sozialleistungen).<br />
In der Analyse der Interviews zur wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzsicherheit der Befragten<br />
sind drei Zusammenhänge von Bedeutung:<br />
1. Wie beurteilen die Befragten ihre<br />
Chancen, langfristig bei ihrem gegenwärtigen<br />
Arbeitgeber beschäftigt<br />
zu bleiben?<br />
Seite 119<br />
2. Wie begründen sie diese Einschätzung<br />
(direkt oder indirekt)?
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 120<br />
3. Welche Relevanz hat die subjektiv wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit im<br />
Gesamtzusammenhang aller Sicherheitsnetze<br />
(betrieblich und überbetrieblich) der<br />
Befragten?<br />
Die Untersuchung dieser Teilfragen erfolgte<br />
insbesondere anhand der folgenden Fragen<br />
aus dem Leitfaden (vgl. Appendix I).:<br />
Unsicherheit ist in vielen Branchen und<br />
Betrieben weit verbreitet. Inwieweit hat das<br />
wachsende Umfeld von Unsicherheit Auswirkungen<br />
in Ihrem Arbeitsbereich?<br />
Wie sicher ist Ihr Arbeitsplatz? 100 Prozent<br />
oder weniger? Bitte schätzen Sie.<br />
Was sind die Gründe für diese Sicherheit/Unsicherheit?<br />
Was bedeutet diese Sicherheitslage für Sie?<br />
Welchen Wert hat betriebliche Beschäftigungssicherheit<br />
für Sie?<br />
Fühlen Sie sich eher sicher oder unsicher?<br />
Was können Sie tun, um Ihre Sicherheit zu<br />
verbessern?<br />
Wie schätzen Sie die Chance ein,<br />
einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu<br />
finden?<br />
Jeder Mensch braucht Sicherheit.<br />
Welche Rolle spielen bei Ihnen in diesem<br />
Zusammenhang der Betrieb, die Familie, der<br />
Arbeitsmarkt?<br />
Aus früheren Lehrforschungen wissen wir, dass<br />
wir im Interview zunächst oft mit allgemein<br />
gehaltenen Aussagen wie „100 Prozent sicher<br />
ist sicher mal niemand“ (G: 12) konfrontiert<br />
werden. Die erste Frage im Leitfaden diente<br />
somit der Hinführung auf das unter Umständen<br />
für die Beschäftigten sensible Thema<br />
und der Gewinnung eines ersten Eindrucks<br />
bezüglich der Brisanz von Unsicherheit in den<br />
einzelnen Branchen und Betrieben. Mit der<br />
Frage nach dem wahrgenommenen Niveau der<br />
Arbeitsplatzsicherheit (in Prozent) wollten wir<br />
dann eine Selbstpositionierung der Befragten<br />
erreichen, die es uns ermöglicht das Gespräch<br />
vertiefend fortzuführen. Vermutlich werden<br />
nicht alle Befragten, die Unsicherheit in ihrem<br />
Arbeitsbereich konstatieren, ihren eigenen<br />
Arbeitsplatz als unsicher bewerten. Die Begründungen<br />
der individuellen Sicherheitslage<br />
sollen darüber Aufschluss geben.<br />
Zudem erheben wir die Relevanz der Sicherheitslage<br />
für die jeweiligen Befragten, von<br />
der wir annehmen, dass sie das individuelle<br />
Erleben von (Un-)Sicherheit beeinflusst<br />
und auf mögliche Verarbeitungsformen von<br />
Unsicherheit hinweist. Einige Ausnahmefälle<br />
implizieren einerseits, dass eine relativ hoch<br />
wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit<br />
trotzdem mit großen Sorgen und Ängsten um<br />
die Existenzsicherung verbunden sein kann.<br />
Andererseits zeigt sich empirisch, dass geringe<br />
Arbeitsplatzsicherheit auch nicht prinzipiell<br />
als bedrohlich empfunden wird, insbesondere<br />
dann nicht, wenn alternative Optionen zur<br />
Verfügung stehen (vgl. z.B. Schramm 1992).<br />
Bei der Auswertung des vorliegenden Interviewmaterials<br />
auf diese Zusammenhänge hin<br />
wollen wir sinnverstehend vorgehen; d.h. wir
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
suchen in den Interviews nach immanenten<br />
Sinnzusammenhängen, welche die Befragten<br />
selbst herstellen, und versuchen diese zu interpretieren.<br />
Folgende empirische Ergebnisse<br />
sollen in den Abschnitten 4.2 bis 4.4 herausgestellt<br />
werden:<br />
- Das Thema Arbeitsplatzunsicherheit ist bei<br />
einer Mehrheit der in stabilen Arbeitsverhältnissen<br />
befragten Beschäftigten präsent.<br />
- Dennoch fühlt sich die überwiegende Mehrheit<br />
der Befragten auf ihrem Arbeitsplatz<br />
„relativ sicher“ bis „sehr sicher“.<br />
- Die Begründungszusammenhänge zu individuellen<br />
Beschäftigungsrisiken verweisen insgesamt<br />
darauf, dass nicht die wirtschaftliche<br />
Situation des Betriebes oder der Kündigungsschutz,<br />
sondern die individuelle Leistung<br />
und/oder Qualifikation ausschlaggebend für<br />
Arbeitsplatzsicherheit sind.<br />
- Die Relevanz der wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit<br />
für die einzelnen Befragten<br />
richtet sich insbesondere nach deren überbetrieblichen<br />
Sicherheiten – ihren wahrgenommenen<br />
Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt<br />
und dem familiären Hintergrund.<br />
4.2 Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit<br />
Auswirkungen von Unsicherheit auf Arbeitsbereich<br />
und Betrieb<br />
Zur Eröffnung der Thematik wollten wir<br />
wissen, welche Brisanz Arbeitnehmer in Normalarbeitsverhältnissen<br />
dem Thema Unsicherheit<br />
für ihren Arbeitsbereich und Betrieb<br />
überhaupt beimessen. Wie Abbildung 4.2.1<br />
zeigt, berichtet eine Mehrheit der Befragten<br />
über Unsicherheit in ihrem Arbeitsbereich.<br />
In der Baubranche wird Unsicherheit mit<br />
der schwankenden Auftragslage, Zahlungsausfällen<br />
sowie der Bedrohung durch ausländische<br />
Mitarbeiter begründet. Die befragten<br />
Mitarbeiter von Kranken- und Rentenversicherungen<br />
(ÖD) und einer Sparkasse<br />
führen eine zunehmende Verunsicherung auf<br />
Leistungsdruck zurück, der mittels Zielvorgaben<br />
auf sie ausgeübt wird. Zum Zweiten<br />
tragen zu dieser Verunsicherung auch bereits<br />
durchgeführte bzw. bevorstehende Rentenund<br />
Gesundheitsreformen bei, meist gefolgt<br />
von Umstrukturierungen und teilweise von<br />
Personalabbau. Auch seien Fusionen im<br />
Gespräch, die aufgrund eines potentiellen<br />
Personalüberhangs Entlassungen befürchten<br />
lassen. In der Chemiebranche verbreitet sich<br />
Unsicherheit den Befragten zufolge in erster<br />
Linie angesichts drohender bzw.<br />
realisierter Firmenübernahmen durch<br />
multinationale Konzerne und damit<br />
Seite 121<br />
befürchteten Rationalisierungen oder<br />
Standortverlagerungen bzw. -schließungen.<br />
In den kommunalen Krankenhäusern und<br />
Unikliniken sieht man kommenden Privatisierungen<br />
ungewiss entgegen, da auch dort
Bau<br />
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
Anzahl der Befragten<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
kein thema<br />
thema<br />
handel<br />
metall<br />
gesundheit<br />
printmedien<br />
chemie<br />
Banken- und Vers.<br />
unternehmensnahe dL<br />
Abbildung 4.2.1: Ist Unsicherheit Thema im Arbeitsbereich der Befragten? (N=52)<br />
mit Effizienzsteigerungen und Personalabbau<br />
gerechnet wird. Beschäftigte im Bereich der<br />
Printmedien hegen Zweifel am Erhalt ihrer<br />
Lokalredaktionen. Der massive Konkurrenzdruck<br />
im Handel wirkt sich ebenfalls negativ<br />
auf das Sicherheitserleben der Kollegen im<br />
Arbeitsbereich der Befragten aus. Lediglich<br />
in den Branchen Metall und unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen gibt der<br />
überwiegende Teil der Befragten an,<br />
Seite 122 Unsicherheit sei kaum ein Thema im<br />
Arbeitsbereich. Die Gründe hierfür<br />
werden von den Beschäftigten vor allem in der<br />
gegen wärtig guten wirtschaftlichen Lage des<br />
arbeitgebenden Unternehmens gesehen.<br />
Diese, einen ersten Eindruck vermittelnden,<br />
Aussagen zu Unsicherheiten im Arbeitsbereich<br />
bestätigen damit die Ausführungen zur Situation<br />
der Betriebe im vorangegangenen Kapitel.<br />
Die Selbstpositionierung – das wahrgenommene<br />
Niveau der Arbeitsplatzsicherheit<br />
Im Anschluss an die Frage nach Unsicherheit<br />
im Arbeitsbereich wollten wir über die Einschätzung<br />
der individuellen Arbeitsplatzsicherheit<br />
(in Prozent) eine Selbstpositionierung<br />
der Befragten erreichen. Abbildung 4.2.2 zeigt<br />
überraschend, dass die überwiegende Mehrheit<br />
der befragten Beschäftigten die Sicherheit<br />
ihres Arbeitsplatzes zu 80 Prozent bzw. darüber
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
Anzahl der Befragten<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
50<br />
60-65<br />
70-75<br />
80-85<br />
90-95<br />
100<br />
Abbildung 4.2.2: Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in Prozent (N=52)<br />
einschätzt. Vier Beschäftigte sprechen gar von<br />
einem 100 Prozent sicheren Arbeitsplatz.<br />
Zudem stufen sich nahezu alle Befragten<br />
mit ihrer Sicherheit deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt<br />
ein. Dies gilt quer zu<br />
Berufen, Qualifikationsniveaus, Geschlecht,<br />
Branchen und Betriebsgrößen. Lediglich bei<br />
den Interviewten mit einer wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzsicherheit von 50 Prozent ist eine<br />
Mehrheit der Meinung, im Bevölkerungsdurchschnitt<br />
zu liegen. Keiner der Befragten<br />
ordnet sich mit seiner Sicherheitsbewertung<br />
unterhalb des Bevölkerungsdurchschnittes ein.<br />
Aus der Gegenperspektive betrachtet verweist<br />
das Ergebnis jedoch auch darauf, dass in etwa<br />
einem Drittel der Fälle der Arbeitsplatz subjektiv<br />
als weniger sicher eingeschätzt wird, im<br />
Extremfall nur zu 50 Prozent, wie sechs Befragte<br />
angeben 6 . Überdies berichten fast alle<br />
Interviewten, dass ihr Sicherheitsgefühl in den<br />
vergangenen Jahren abgenommen habe. Zur<br />
Illustration sind nachstehend einige<br />
Reaktionen auf die Sicherheitsfrage<br />
aufgeführt:<br />
Bauunternehmen, Vorarbeiter, 35 Jahre,<br />
60% 7 : fühlt sich „Unsicher. Es wird immer<br />
unsicherer, von Jahr zu Jahr wird es unsicherer“.<br />
(B: 2)<br />
Seite 123
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 44<br />
Jahre: „80 % kann man noch sicher sagen,<br />
aber eben keine 100%ige Sicherheit mehr<br />
in der heutigen Zeit. Auch wenn das viele<br />
in der freien Wirtschaft so sehen, dass der<br />
Öffentliche Dienst sicher ist, aber man<br />
sieht ja auch was jetzt gestreikt wird und<br />
so, da sieht man ja, dass eine Unsicherheit<br />
entstanden ist“. (BkV6)<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 45<br />
Jahre: „Früher hätte ich mal gesagt 100<br />
Prozent. Vielleicht 80“. (BkV: 9)<br />
Apotheke, PTA, 36 Jahre: „Also, 100% auf<br />
keinen Fall, wobei ich denke, welcher Job<br />
ist heute schon 100 Prozent sicher. Äh, ich<br />
würde es mal mit 70 Prozent einschätzen“.<br />
(C: 7)<br />
Tageszeitung, Redakteur, 32 Jahre: „Und<br />
die 80 Prozent, die ich noch habe, die waren<br />
mal höher. Aber tendenziell würde ich<br />
sagen, geht die Sicherheit zurück“. (P: 1)<br />
Pharmaunternehmen, Abteilungsleiter,<br />
43 Jahre, 80%: „Es ist so, dass bei meinen<br />
Mitarbeitern, die, ich sage mal die Angst<br />
um den Arbeitsplatz in den letzten Jahren<br />
drastisch gestiegen ist. [...] Man merkt<br />
auch, dass, ich sag mal, im Gegensatz vielleicht<br />
vor fünf Jahren, oder vor zehn Jahren,<br />
äh, die Sicherheit des Arbeitsplatzes nicht<br />
mehr so groß ist wie damals. [...] Also<br />
man, äh, hat jetzt doch mehr das Ge-<br />
Seite 124 fühl, dass ein gewisses Risiko da ist,<br />
dass man den Arbeitsplatz verliert“.<br />
(C: 5)<br />
Pharmaunternehmen, Mechaniker, 39<br />
Jahre, 60%: „Diese Unsicherheit, die hat<br />
man in der Gesellschaft immer, muss man<br />
immer haben, weil nen festen Arbeitsplatz<br />
gibt’s nicht mehr“. (C: 8)<br />
In Bezug auf die Brisanz des Themas Arbeitsplatzunsicherheit<br />
im Arbeitsbereich der<br />
Befragten deuteten sich branchenspezifische<br />
Unterschiede an. Ebenso haben wir auch – je<br />
nach Branchenzugehörigkeit – unterschiedliche<br />
individuelle Sicherheitsniveaus gefunden<br />
(Tabelle 4.2.1).<br />
Da bei den Befragten der Branche Banken<br />
und Versicherungen in unserem Sample fast<br />
ausschließlich Angestellte des Öffentlichen<br />
Dienstes vertreten sind, wird kaum überraschend<br />
eine vergleichsweise hohe Sicherheit<br />
angegeben. Trotzdem klagten gerade Befragte<br />
dieser Branche über eine zunehmend sich<br />
ausbreitende Unsicherheit. In der Gesundheitsbranche<br />
ist bis auf einzelne Ausnahmen<br />
ebenfalls eine sehr hohe Sicherheit zu verzeichnen<br />
8 . Auch in den Branchen Metall und<br />
unternehmensnahe Dienstleistungen bewerten<br />
die Befragten ihre Sicherheitslage überwiegend<br />
positiv. Die Sicherheitswahrnehmung der befragten<br />
Personen in den Printmedien bewegen<br />
sich innerhalb unseres Samples im Mittelfeld,<br />
wobei diese Einschätzung für den Verbleib<br />
im Unternehmen gilt. Was die Erhaltung der<br />
jeweiligen Lokalredaktion samt ihres Arbeitsplatzes<br />
anbelangt, äußern sich die Redakteure<br />
mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent<br />
weitaus pessimistischer. In der Chemiebranche<br />
fallen die Sicherheitsurteile sehr unterschiedlich<br />
aus. Im Vergleich zu den übrigen untersuchten<br />
Branchen ist die wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit dieser Beschäftigten<br />
jedoch eher im unteren Bereich einzuordnen.<br />
Schließlich finden sich – wie kaum anders zu
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Branchen<br />
Arbeitsplatzsicherheit in Prozent<br />
50 60-65 70-75 80-85 90-95 100<br />
Bau B1, 3 B2 B5<br />
BkV BkV 1 BkV 6,9 BkV 2,4,8 BkV 5,7,10<br />
Chemie C 4 C 2,8 C 7 C 3,5 C 6<br />
Gesundheit G 5 G 4 G 9 G 8,11,12<br />
Handel H 2 H 1<br />
G 2,3,6,7,<br />
10,13,14<br />
Metall M 5 M 6,9,14 M 1,8 M 2,3, 15 M 12<br />
Printmedien P 1,3 P 2<br />
UnD UnD 3 UnD 2 UnD 4,5<br />
Tabelle 4.2.1: Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in Prozent nach Branchen (N=52)<br />
erwarten war – am eher unteren Ende die Sicherheitswahrnehmungen<br />
der Befragten in der<br />
Baubranche wieder.<br />
Unsicherheit im Arbeitsbereich und Selbstpositionierung<br />
im Vergleich<br />
Wahrgenommene Unsicherheit im betrieblichen<br />
Umfeld muss nicht zwangsläufig<br />
mit der Wahrnehmung eines individuellen<br />
Arbeitsplatzrisikos korrespondieren. Ein Vergleich<br />
der Textpassagen zur Thematisierung<br />
von Unsicherheit im Arbeitsbereich und der<br />
eigenen Positionierung der Befragten ergibt,<br />
dass der individuelle Arbeitsplatz trotz konstatierter<br />
Unsicherheit im Arbeitsbereich oftmals<br />
als relativ sicher eingeschätzt wird (Tabelle<br />
4.2.2). Wir vermuten, dass die Begründungszusammenhänge<br />
zur wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatz(un)sicherheit in Abschnitt 4.3<br />
Aufschluss über diese Diskrepanz geben werden.<br />
Ein Stufenmodell der Arbeitsplatzsicherheit<br />
In den vorangegangenen Abschnitten<br />
sind die Antworten auf unsere Einstiegsfragen<br />
zur wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzsicherheit<br />
zusammengefasst<br />
dargestellt. Die dabei ermittelten Profile<br />
und Verteilungen geben einen Überblick der<br />
wahrgenommenen Sicherheit und liefern<br />
Seite 125
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Unsicherheit im<br />
Arbeitsbereich<br />
Arbeitsplatzsicherheit<br />
sicher<br />
unsicher<br />
Gesamt<br />
Thema 14 16<br />
Kein Thema 19 3<br />
30<br />
(57,7%)<br />
22<br />
(42,3%)<br />
Gesamt<br />
33<br />
(63,5%)<br />
19<br />
(36,5%)<br />
N = 52<br />
(100%)<br />
Tabelle 4.2.2: Unsicherheit im Arbeitsbereich und wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit im Vergleich 9<br />
Ansatzpunkte für eine vertiefende Analyse der<br />
einschlägigen Textpassagen. Erwartungsgemäß<br />
ergeben sich dabei Korrekturen.<br />
Probleme bei der Auswertung ergaben sich<br />
zum einen daraus, dass nicht alle Interviewten<br />
die Frage nach der Sicherheit des Arbeitsplatzes<br />
im Sinne einer Zukunftsprognose<br />
beantworteten, sondern lediglich auf die gegenwärtige<br />
Situation Bezug nahmen.<br />
Krankenversicherung, Kundenberaterin, 41<br />
Jahre, 100%: „Also, was heißt, wie sicher?<br />
Wenn ich es momentan sehe, ist es unbedingt<br />
erforderlich, da würde ich spontan<br />
sagen 100 Prozent. [...] Aber, was heißt 100<br />
Prozent. Ich habe es schon gesagt. Ich weiß<br />
nicht, ob jetzt gemeint ist. Wie<br />
weit man denken soll heute, da<br />
Seite 126 kann man ja nicht so weit denken“.<br />
(BkV: 5)<br />
Auffällig bei diesen Personen ist, dass sie ihr<br />
Niveau der Arbeitsplatzsicherheit oftmals<br />
höher bewerteten als Befragte, die eine ungewisse<br />
Zukunft einkalkulierten. Damit wird<br />
die Vergleichbarkeit der Selbsteinschätzungen<br />
in Frage gestellt. Unser qualitativer Zugang<br />
eröffnet uns die Möglichkeit, verstärkt die entsprechenden<br />
Textpassagen zur Interpretation<br />
heranzuziehen.<br />
Bei der Interpretation dieses Textmaterial<br />
ergab sich dann ein weiteres Problem daraus,<br />
dass einige Befragte ihre eingangs vorgenommene<br />
Selbstpositionierung im Verlauf des Gespräches<br />
relativierten. An drei Fällen soll diese<br />
Problematik verdeutlicht werden.<br />
Eine im Handel tätige Befragte gibt die Sicherheit<br />
ihres Arbeitsplatzes mit 80 Prozent<br />
an, kommt jedoch zu dem Schluss, dass sie sich<br />
auf ihrem Arbeitsplatz unsicher fühlt. Sie rechnet<br />
in naher Zukunft mit einem Arbeitsplatzabbau,<br />
der sie nach sozialrechtlichen Kriterien<br />
nicht betreffen dürfte. Dennoch hat sie Sorge,<br />
dass die Geschäftsleitung den Sozialplan nicht<br />
berücksichtigen könnte (H: 1).
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Eine Kundenberaterin der Sparkasse bewertet<br />
ihr Sicherheitsniveau gar mit 100 Prozent. Auf<br />
die Frage, ob sie sich eher sicher oder unsicher<br />
fühle, antwortet sie: „Das schwankt. Habe ich<br />
ein paar gute Geschäfte gemacht, fühle ich<br />
mich wieder relativ sicher. Läuft’s mal eine Zeit<br />
lang nicht so gut, dann werde ich schon unsicher,<br />
weil ich dann denke, hoffentlich bleibt es<br />
nicht so, hoffentlich wird’s nicht zu schlecht“<br />
(BkV: 10). Das persönliche Sicherheitsgefühl<br />
der Befragten scheint stark von ihrer individuellen<br />
Leistungsfähigkeit abzuhängen.<br />
Ein Groß- und Außenhandelskaufmann<br />
schätzt die Sicherheit seines Arbeitsplatzes<br />
mit 50 Prozent ein mit der Begründung, dass<br />
„immer irgendwelche unfreiwilligen oder unvorhergesehenen<br />
Dinge passieren [können], da<br />
hast du gar keinen Einfluss drauf“ (H: 2). Mit<br />
einem Arbeitsplatzabbau sei in naher Zukunft<br />
nicht zu rechnen – im Gegenteil: „Bei jeder<br />
Versammlung sagt der Chef, man muss sich<br />
keine Gedanken machen. Und das ist auch<br />
jetzt gerade erst unterstrichen worden durch<br />
Tantiemenzahlungen“. Einen Hinweis darauf,<br />
dass es sich bei dem Befragten eher um Unzufriedenheit<br />
als Unsicherheit handelt, liefert er<br />
selbst, indem er auf seinen diskontinuierlichen<br />
Erwerbsverlauf verweist. Bereits viermal habe<br />
er den Arbeitgeber wechseln müssen. „Ich will<br />
nicht mehr wechseln, will ich einfach nicht.“<br />
Alle drei Fälle verdeutlichen, dass die wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit per se offen<br />
lässt, welche Bedeutung die jeweilige Beschäftigungssituation<br />
für die Beschäftigten hat und<br />
welche subjektiven Verarbeitungsformen daraus<br />
resultieren. Über die Wahrnehmung und das<br />
Ausmaß eines individuellen oder kollektiven<br />
Arbeitsplatzrisikos hinaus interessieren uns<br />
deshalb auch die damit verbundenen Ängste<br />
und Sorgen von Beschäftigten. Diese zweite<br />
Dimension von Arbeitsplatz(un)sicherheit,<br />
welche sich auf die emotionale Verarbeitung<br />
eines wahrgenommenen Arbeitsplatzrisikos<br />
bezieht, bezeichnen wir als (Un-)Sicherheitsgefühl.<br />
Auf der Basis dieser beiden Dimensionen<br />
schlagen wir ein Stufenmodell der Arbeitsplatzsicherheit<br />
vor, das eine Differenzierung<br />
von wahrgenommenem Risiko und subjektiver<br />
Verarbeitung aufgreift. Die beiden<br />
Dimensionen „Wahrnehmung eines gegenwärtigen<br />
Risikos des Arbeitsplatzverlustes“<br />
und das daraus folgende „Sicherheitsgefühl“<br />
der Beschäftigten lassen eine eindeutige<br />
Abgrenzung der Kategorien zu. Der Fokus<br />
liegt dabei zunächst ausschließlich auf dem<br />
betrieblichen Kontext, d.h. wir betrachten<br />
die individuelle Sicherheit im aktuellen Beschäftigungsverhältnis.<br />
(Un-)Sicherheiten in<br />
anderen Kontexten (Anschlussfähigkeit am<br />
Arbeitsmarkt, Familie, sozialstaatliche Netze<br />
usw.) werden hier ausgeblendet. Sie werden<br />
wieder aufgegriffen, wenn es um die Relevanz<br />
der wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit<br />
für die Befragten geht.<br />
Im Einzelnen gehen wir von folgenden, auf<br />
Basis der inhaltlichen Textpassagen entwickelten<br />
Stufen und Definitionen von Arbeitsplatzsicherheit<br />
aus:<br />
1. Unsicher:<br />
Die in der kollektiven Wahrnehmung dominierende<br />
reale Bedrohung von Arbeitsplätzen<br />
eines Arbeitsbereiches oder ganzen Betriebes<br />
führt zu einer hohen individuellen Unsi-<br />
Seite 127
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 128<br />
cherheit. Das Bewusstsein darüber, dass der<br />
Arbeitsplatz permanent zur Disposition steht,<br />
während die eigenen Einflussmöglichkeiten<br />
als gering erachtet werden, hat darüber hinaus<br />
oftmals eine Angst vor Arbeitsplatzverlust zur<br />
Folge.<br />
Familienberatung, Leiterin, 44 Jahre, 65%:<br />
„[Wir] sind verunsichert und wissen nicht,<br />
wie lange unsere Stelle noch bestehen wird,<br />
weil wir ja sehen, dass die Fördermittel<br />
immer wieder gekürzt werden und nicht<br />
reichen. [...] Wir haben ja auch schon alle<br />
mal die Kündigung in der Hand gehabt.<br />
Die war schon mündlich ausgesprochen,<br />
wurde dann aber zurückgezogen. Das<br />
hängt schon wie so ein Damoklesschwert<br />
über uns“. (G: 4)<br />
2. Relativ sicher:<br />
Eine individuell wahrgenommene reale Chance<br />
des Verbleibs im Unternehmen überwiegt das<br />
kollektiv geteilte, gegenwärtige Risiko des Arbeitsplatzverlustes<br />
und führt zu einer relativen<br />
Sicherheit. Diese Form der Sicherheit ist für<br />
die Beschäftigten dieser Kategorie mit explizit<br />
an sie gerichtete Erwartungen geknüpft, mit<br />
der Folge, dass sie sich einem fortwährenden<br />
Leistungsdruck ausgesetzt sehen. Können<br />
Anforderungen nicht erfüllt werden, steht<br />
auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes zur<br />
Disposition. Dennoch nehmen sie für<br />
sich Einflussmöglichkeiten wahr und<br />
versuchen diese zu nutzen.<br />
LKW-Werkstatt, Kfz-Meister, 45 Jahre,<br />
70%: „Ich fühle mich durch Leistung, die<br />
ich bringen kann, relativ sicher in, wollen<br />
wir mal sagen, sehr starker Unsicherheit,<br />
die von Druck geprägt ist“. (M: 9)<br />
3. Überwiegend sicher:<br />
Die individuelle Sicherheit des Arbeitsplatzes<br />
gründet sich darauf, dass die Befragten dieser<br />
Kategorie gegenwärtig kein kollektives Beschäftigungsrisiko<br />
wahrnehmen. Allerdings<br />
schwingt immer auch eine latente Verunsicherung<br />
mit, deren Ursache diese Personen in<br />
einer hypothetischen bzw. (noch) nicht absehbaren<br />
und oftmals unspezifischen Bedrohung<br />
begründet sehen.<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 45<br />
Jahre, 80%: „Ja sicher, eine gewisse Unsicherheit<br />
ist vorhanden, aber das ist im Moment<br />
noch zu unsicher, um da irgendwas,<br />
in welche Richtung das mal gehen wird“.<br />
(BkV: 9)<br />
4. Sehr sicher:<br />
Der Arbeitsplatz wird ohne Einschränkung<br />
gegenwärtig und für die absehbare Zukunft<br />
als sicher eingeschätzt. Aussagen über die<br />
langfristige Perspektive ihres derzeit sicheren<br />
Arbeitsplatzes will der überwiegende Teil der<br />
dieser Kategorie zugeordneten Personen zwar<br />
nicht treffen. Andererseits deutet für sie in ihrer<br />
momentanen Beschäftigungssituation auch<br />
nichts auf eine Gefährdung der Sicherheit ihres<br />
Arbeitsplatzes.<br />
Arztpraxis, Arzthelferin, 45 Jahre, 90%:<br />
„Nee, nee. Das glaub ich nicht. Weil ich<br />
wirklich eigentlich nicht glaube, dass sie von<br />
den 2 Menschen, die sie beschäftigt, einen<br />
einfach entlassen kann und der andere das<br />
schafft. Das geht einfach nicht. Wie gesagt,
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
ich müsste dann irgendeinen Bockmist<br />
bauen, [...] dass vielleicht ein Patient zu<br />
schaden kommt. Das kann ich mir eigentlich<br />
als einzigsten Grund ner Kündigung<br />
überhaupt vorstellen. […] Moment ja, im<br />
Moment empfinde ich eigentlich keine Unsicherheit,<br />
so blöd wie das klingt. […] Ich<br />
denk mal, die weiß genau, was sie an uns<br />
hat“. (G: 3)<br />
Kuratorium, Arzt, 43 Jahre, über 90 %: „Also,<br />
das […] ist noch eine Branche, die durch<br />
diese, die durch den Patientenzuwachs eine<br />
hohe Sicherheit noch nachweist. Also der,<br />
das Berufsbild ist nach wie vor, würde ich<br />
sagen, sicher. […] Also ich hoffe auf 100%.<br />
Das andere liegt nicht in meiner Hand“.<br />
(G: 2)<br />
Die Zuordnung der Fälle nach der vorangestellten<br />
heuristischen Typologie ergibt die in<br />
Abbildung 4.2.3 dargestellte Verteilung. Etwa<br />
80 Prozent fühlen sich derzeit auf ihrem Arbeitsplatz<br />
„relativ sicher“ bis „sehr sicher“. Von<br />
den Befragten, die eine gegenwärtige und reale<br />
Bedrohung ihres Arbeitsplatzes wahrnehmen<br />
(„unsicher“ und „relativ sicher“), fühlen sich<br />
unter den gegebenen Umständen weniger als<br />
die Hälfte tatsächlich „unsicher“ auf ihrem<br />
Arbeitsplatz. Insgesamt betrifft dies neun<br />
Personen.<br />
Die Einordnung der Fälle in das vorgeschlagene<br />
Stufenmodell bestätigt damit weitgehend<br />
die Ergebnisse zum wahrgenommenen Niveau<br />
der Arbeitsplatzsicherheit der Befragten (siehe<br />
oben). In der Kategorie „unsicher“ finden sich<br />
Befragte mit Selbsteinschätzungen zwischen<br />
50 und 65 Prozent wieder. Der Kategorie<br />
„relativ sicher“ entsprechen Sicherheitsniveaus<br />
zwischen 70 und 80 Prozent. Die Kategorie<br />
„überwiegend sicher“ besteht aus Befragten<br />
mit wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheiten<br />
zwischen 70 und 90 Prozent. „Sehr<br />
sicher“ fühlen sich Befragte mit wahrgenommenen<br />
Sicherheiten von 80 bis 100 Prozent.<br />
Nur in Ausnahmefällen haben sich aufgrund<br />
von widersprüchlichen Aussagen Verschiebungen<br />
zwischen den einzelnen Kategorien<br />
ergeben. 10<br />
Das Stufenmodell der Arbeitsplatzsicherheit<br />
bietet den Vorteil, den (Un-)Sicherheitsbegriff<br />
detaillierter zu fassen im Gegensatz zu einer<br />
reinen Betrachtung der wahrgenommenen<br />
Sicherheitsniveaus. Dabei zeichnet sich schon<br />
jetzt eine Relativierung der Sicherheitslage ab,<br />
indem Aussagen häufig nur für eine kurz- bis<br />
mittelfristige Perspektive getroffen werden<br />
und Arbeitsplatzsicherheit an die Erfüllung<br />
bestimmter Anforderungen gebunden ist.<br />
Dies führt uns zur Frage nach der Sicherheitskonstruktion<br />
von Beschäftigten, die über<br />
eine vertiefende Analyse der Begründungszusammenhänge<br />
Gegenstand des folgenden<br />
Abschnitts ist.<br />
4.3 Ursachen von Arbeitsplatz(un)siche<br />
rheit – Begründungszusammenhänge<br />
Die vorangestellte Analyse des empirischen<br />
Materials bezog sich auf die<br />
Frage nach der wahrgenommenen<br />
Seite 129<br />
Arbeitsplatzsicherheit von Beschäftigten<br />
in Normalarbeitsverhältnissen. Es zeigte<br />
sich, dass der überwiegende Teil der Befragten<br />
den eigenen Arbeitsplatz im Durchschnitt zu<br />
80 Prozent sicher einschätzt und sich „relativ
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
Anzahl der Befragten<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
unsicher<br />
relativ sicher<br />
Überwiegend sicher<br />
sehr sicher<br />
Abbildung 4.2.3: Arbeitsplatzsicherheit auf Basis der inhaltlichen Textpassagen (N=52)<br />
sicher“ bis „sehr sicher“ fühlt. Ausgehend<br />
davon wollen wir nun sinnverstehend die Begründungszusammenhänge<br />
zur individuellen<br />
Arbeitsplatzsicherheit nachvollziehen: Wie<br />
konstruieren Beschäftigte ihr persönliches<br />
Sicherheitsgerüst im betrieblichen Kontext<br />
und worin begründet sich ihre steigende Verunsicherung?<br />
Seite 130 Betrachten wir zuerst die Aussagen<br />
der Befragten zur Begründung ihrer<br />
Sicherheit, d.h. Faktoren, die ihnen in ihrer<br />
jeweiligen Beschäftigungssituation ein Gefühl<br />
der Arbeitsplatzsicherheit vermitteln.<br />
Überraschend ist, dass die individuelle Arbeitsplatzsicherheit<br />
nicht in erster Linie mit der guten<br />
wirtschaftlichen Lage bzw. Marktposition<br />
des arbeitgebenden Unternehmens begründet<br />
wird, obwohl über die Hälfte der Befragten die<br />
Unternehmenslage als gut oder sehr gut beschreibt.<br />
11 Nur in einem Drittel aller Fälle wird<br />
die günstige Betriebslage als ausschlaggebend<br />
für Arbeitsplatzsicherheit angegeben.<br />
Metallbaubetrieb, Leiterin der Marketingabteilung,<br />
36 Jahre, 75%: macht ihre Sicherheit<br />
fest „an der stabilen, wachsenden Vergangenheit<br />
des Unternehmens. [...] Indem<br />
die Geschäftsleitung die unternehmerisch
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
bzw. strategisch richtigen Entscheidungen<br />
trifft und so die Existenz des Unternehmens<br />
sichert und so auch alle Arbeitsplätze“.<br />
(M: 14)<br />
Für den Großteil dieser Befragten, die ihre<br />
Arbeitsplatzsicherheit in Verbindung mit der<br />
günstigen Unternehmenslage bringen, steht<br />
der Unternehmenserfolg jedoch in direktem<br />
Bezug zum eigenen Beitrag. 12 Sie konstruieren<br />
ihr Sicherheitsgerüst über Leistung und/oder<br />
Qualifikation, mittels derer sie Einfluss auf die<br />
wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers und somit<br />
auch auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes<br />
zu nehmen glauben.<br />
Sparkasse, Kundenberaterin, 42 Jahre,<br />
100%: „Ich meine, wenn ich meine Ziele erfülle,<br />
dann läuft das Unternehmen gut, weil<br />
ich bin ja am Markt, ich habe die Gelder<br />
reinzuholen, ich erwirtschafte das Geld,<br />
und wenn ich meine Ziele nicht erfülle,<br />
dann ist es auch für die Firma schlecht, weil<br />
dann werden die Ziele nicht erfüllt, das<br />
Geld kommt nicht rein und dann kann es<br />
zu Folgen kommen. Das ist schon eine hohe<br />
Verantwortung, die man hat“. (BkV: 10)<br />
Behindertenwohnheim, Heimleiter, 44 Jahre,<br />
90%: „Und die wirtschaftliche Lage, sage<br />
ich mal, ist ja wieder ein Ausdruck auch<br />
meiner Arbeit“. (G: 10)<br />
Metallbaubetrieb, Leiterin der Marketingabteilung,<br />
36 Jahre, 75%: „Meine Abteilung<br />
trägt in einem großen Maße zum Unternehmenserfolg<br />
bei. Die wirtschaftliche<br />
Lage spielt eine Rolle. Aber die Prognosen<br />
sehen gut aus“. (M: 14)<br />
Dieser erste sich andeutende Begründungszusammenhang<br />
von Leistung gegen Arbeitsplatzsicherheit<br />
zeigt sich auch unabhängig von<br />
der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers<br />
und gilt quer zu Branchen, Berufen, Qualifikations-<br />
und Sicherheitsniveaus. Insgesamt<br />
treten bei fast jedem dritten Befragten vor<br />
allem die persönliche Leistung, Zielerfüllung<br />
und Flexibilität in den Vordergrund mit dem<br />
Ziel, die eigene Sicherheit im Unternehmen<br />
zu erhöhen.<br />
LKW-Werkstatt, Kfz-Meister, 45 Jahre,<br />
70%: „Wo ich meine Sicherheit hernehme?<br />
Die kriege ich daher, dass ich mich jeden<br />
Tag neu engagiere und meine Manpower<br />
reinsetze und dadurch die Werkstatt möglichst<br />
optimal, optimal …. zu führen. Und<br />
dadurch möglichst hohe Deckungsbeiträge<br />
zu erzielen. [...] Ich fühle mich durch Leistung,<br />
die ich bringen kann relativ sicher<br />
in, wollen wir mal sagen, sehr starker Unsicherheit,<br />
die von Druck geprägt ist. Man<br />
muss halt sehen, wie man damit lebt“. (M:<br />
9)<br />
Nicht selten zielen die Bestrebungen darauf<br />
ab, innerhalb des übertragenen Aufgabenbereiches<br />
ein ganz eigenes und damit für den<br />
Arbeitgeber schwer substituierbares Profil<br />
zu gewinnen, beispielsweise über persönliche<br />
Netzwerke. 13<br />
Personalvermittlung und Zeitarbeitsfirma,<br />
Niederlassungsleiterin,<br />
Seite 131<br />
42 Jahre, 70%: „Na ja, dadurch,<br />
dass ich halt sehr flexibel bin und immer<br />
präsent am Markt, denke ich schon, dass<br />
ich meine Zahlen schaffen werde und demzufolge<br />
auch eine gewisse Sicherheit schon
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
haben werde. Ja ich denke auch dadurch,<br />
dass ich ja sehr viele Menschen kenne und<br />
ich mir ein Netzwerk im Laufe der Jahre<br />
aufgebaut habe, ich auch nicht ganz so<br />
schnell ersetzbar bin“. (UnD: 3)<br />
Pharmaunternehmen, Abteilungsleiter,<br />
43 Jahre, 80%: „Man hat das immer im<br />
Hinterkopf, man weiß genau, es gibt<br />
keinen sicheren Arbeitsplatz mehr. Das<br />
ist illusorisch. Man versucht natürlich<br />
mit der Qualität seiner Arbeit diesen<br />
Unsicherheitsfaktor zu minimieren. Also<br />
ganz einfach, um sich ein bisschen jetzt in<br />
Anführungsstrichen unentbehrlich zu machen.<br />
Also zu zeigen, [...] dass man seine<br />
Arbeit sehr gut macht und damit auch dem<br />
Betrieb auch was gibt“. (C: 5)<br />
Der Begründungszusammenhang Leistung<br />
gegen Sicherheit wird ebenso offensichtlich<br />
bei Befragten, die ihre Arbeitsplatzsicherheit<br />
an expliziten Leistungs- und Qualitätsfeedbacks<br />
durch ihre Vorgesetzten festmachen.<br />
Versicherung, Kundenbetreuer, 41 Jahre,<br />
95%: „Mein Chef hat mir gesagt, dass ich<br />
im Moment der Beste bin. Dass ich eine<br />
klasse Arbeit mache und da teilweise auch<br />
Aufgaben mache, die jetzt nicht unbedingt<br />
verlangt sind. Wenn da mal bei jemandem<br />
was liegen geblieben ist oder so. Dann<br />
mach ich das mit. Ich werde auch mal<br />
gefragt, wenn es teilweise Probleme<br />
Seite 132 gibt“. (BkV: 4)<br />
Metall verarbeitender Betrieb, Monteur, 34<br />
Jahre, 85%: „Und wir haben jährlich mit<br />
unserm Meister ein persönliches Gespräch<br />
und in dem Gespräch wird man denn jedes<br />
Jahr eingeschätzt und da habe ich auch ne<br />
gute Einschätzung gekriegt. Deswegen bin<br />
ich da- oder deswegen kann ich diese 85%<br />
dort anbringen“. (M: 1)<br />
Neben der persönlichen Rückmeldung durch<br />
unmittelbare Vorgesetzte werden Feedbacks<br />
seitens der Unternehmensleitung sowie eine<br />
Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg<br />
von diesen als Bestätigung und<br />
Wertschätzung ihrer Leistung für das Unternehmen<br />
empfunden. Dabei stellen sie stets den<br />
damit verbundenen Sicherheitsaspekt zentral.<br />
Stahlhandel, Groß- und Außenhandelskaufmann,<br />
31 Jahre, 50%: „Aber bei jeder<br />
Versammlung sagt der Chef, man muss sich<br />
keine Gedanken machen. Und das ist auch<br />
jetzt gerade erst unterstrichen worden durch<br />
Tantiemenzahlungen. Also wenn der Erfolg<br />
da ist, wird die Belegschaft auch dran beteiligt.<br />
Und das trägt zur Motivation bei, und<br />
auch zur Sicherheit.“ (H: 2)<br />
Stahlbau, Konstrukteur, 45 Jahre, 80%<br />
zur Frage, inwiefern der Arbeitgeber zum<br />
Sicherheitsempfinden beiträgt: „Ja zum<br />
Beispiel durch eine betriebliche Rente. Also,<br />
das machen die auch nicht bei allen, aber<br />
haben sie halt bei mir gemacht. Wenn man<br />
bleibt, dann zahlen die dort jeden Monat<br />
was ein. Und wenn man Rentner ist, kriegt<br />
man dann was raus. Das sind 300 Euro im<br />
Monat. Damit wollen sie eben die Leute<br />
binden, die sie haben wollen.“ (M: 8)<br />
Neben dem Leistungsargument kristallisiert<br />
sich Seniorität als ein zweiter Begründungszusammenhang<br />
für die individuelle Arbeitsplatzsicherheit<br />
heraus. Fast jeder fünfte Beschäftigte
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
stützt seine Sicherheitslage auf das Argument<br />
der Betriebszugehörigkeit. 14<br />
Krankenhaus, Hebamme, 45 Jahre, 80-90%:<br />
„Also ich schätze mal, dass mein Arbeitsplatz<br />
ziemlich sicher ist. Dadurch, dass ich<br />
eine Derjenigen bin, die schon am allerlängsten<br />
da ist. Ich kann mir nicht denken,<br />
dass die meine Stelle so schnell einsparen“.<br />
(G: 8)<br />
Uniklinik, Krankenpfleger, 34 Jahre, 90%:<br />
„Also es, ich weiß nicht ob es so ist, aber<br />
so zum Gefühl trägt es bei so die Dauer so,<br />
wenn man schon lange dabei ist, dass man<br />
doch schon auch länger dabei bleiben kann.<br />
Als wenn ich jetzt vor einem halben oder<br />
vor einem Jahr angefangen hätte, so einen<br />
Arbeitsvertrag gekriegt hätte, und dann<br />
müssen doch Stellen abgebaut werden, geh<br />
ich davon aus, dass die allein stehenden jüngeren<br />
Mitarbeiter, die grad angefangen haben<br />
oder befristete Verträge haben, das alles<br />
die ersten sind, die dann gehen müssten.“<br />
(G: 14)<br />
Die Aussagen verweisen hierbei auch auf<br />
betriebsspezifisches Wissen, welches nur über<br />
eine längere Betriebszugehörigkeitsdauer aufgebaut<br />
werden kann und von dessen hohem<br />
Wert für das Unternehmen diese Beschäftigten<br />
ausgehen. Auch sie verbinden mit ihrer<br />
besonderen Position das Gefühl, ein Stück weit<br />
unersetzbar zu sein.<br />
Automobilzulieferer, Schichtleiter, 34 Jahre,<br />
90%: „Das kannst du nicht einfach jemandem<br />
der sich bewirbt im Unternehmen<br />
kannst du so einen Arbeitsplatz verpassen.<br />
Das geht nicht! Du musst dich mit den<br />
Teilen auskennen, die produziert werden,<br />
du musst wissen was für Fehler gemacht<br />
werden können und das lernst du ja nur<br />
im Laufe der Zeit. Deswegen sage ich ganz<br />
einfach mal kannst du für meine Position<br />
nur jemanden nutzen, der schon länger im<br />
Unternehmen ist.“ (M: 2)<br />
Pharmaunternehmen, Vorarbeiterin, 42<br />
Jahre, 65%: „[...] weil ich das jetzt schon<br />
drei, vier, fünf, drei, vier Jahre alleine mache,<br />
diese Tätigkeit, weil ich ja für den zweiten<br />
mitarbeite und, und in naher Zukunft kein<br />
Weiterer da ist, der dafür eingearbeitet<br />
wird. Also gehe ich mal davon aus, dass es<br />
für mich etwas sicherer ist“. (C: 2)<br />
Auch in diesem Kontext zeigt sich immer<br />
wieder das Leistungsargument. So betonen<br />
einige Befragte in ihren Begründungen zur<br />
wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit das<br />
Zusammenspiel von Betriebszugehörigkeit<br />
und anderen betrieblich relevanten, individuellen<br />
Faktoren wie die persönliche Leistung<br />
(C: 8), die Position im Unternehmen (C: 2),<br />
Weiterbildungen (M: 2) und Flexibilität (H:<br />
1). Auch diese Befragten engagieren sich aktiv<br />
für die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes.<br />
Handwerkskammer, Ausbildungsberater,<br />
45 Jahre, 80%: „Aufgrund meiner sehr guten<br />
Leistungen bin ich seit fast 15 Jahren<br />
in diesem Unternehmen tätig. [...]<br />
Durch meine Weiterbildung habe<br />
ich meine Sicherheit erhöht und<br />
Seite 133<br />
habe sozusagen einen Zweitposten.<br />
Also ist meine Sicherheit höher als<br />
meiner Kollegen“. (UnD: 2)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Krankenversicherung, Sachbearbeiterin, 34<br />
Jahre, 70%: „Gründe für die Sicherheit sind,<br />
dass ich immer noch für meine persönliche<br />
Sicherheit, sag ich mal, dass ich denke, ich<br />
hab schon ne gewisse Qualifikation, ich bin<br />
auch schon ne gewisse Zeit im Unternehmen,<br />
was einem ja schon ne gewisse Sicherheit<br />
gibt, es ist ja schon mehr, als wenn ich<br />
gerade erst aus der Ausbildung kommen<br />
würde. Ja, die Betriebszugehörigkeit ist<br />
vielleicht ne Sicherheit und eben, dass ich<br />
schon auch jetzt ne Zusatzqualifikation<br />
hab, die ich außerbetrieblich eben gemacht<br />
hab, dass man da vielleicht irgendwo sieht,<br />
na ja gut, im Vergleich zu anderen hat sie<br />
vielleicht noch irgendwo so’n kleinen Bonus.<br />
Wie auch immer, ob der einem unterm<br />
Strich weiterhelfen wird, wird man sehen,<br />
aber für mich persönlich würd ich schon<br />
sagen, ist das noch eine Sicherheit“.<br />
(BkV: 1)<br />
Nur von einer kleinen Minderheit der Befragten<br />
werden in erster Linie soziale oder<br />
arbeitsrechtliche Gründe für die Arbeitsplatzsicherheit<br />
genannt, so etwa eine Betriebs- bzw.<br />
Personalratstätigkeit (BkV: 6,7; M: 12).<br />
Rentenversicherung, Personalratsvorsitzende,<br />
40 Jahre, 100%: „Also, ich fühle<br />
mich insofern sicher, dass ich als Personalrat<br />
doch im Moment so viel zu tun hab,<br />
dadurch das ich an diesen Dingen<br />
mitwirke, Beschäftigungssicherung,<br />
Seite 134 dass man die Gremien, die man noch<br />
zusätzlich hat, dass man sagt, doch die<br />
Arbeit nimmt als Personalrat zu. Und man<br />
hat wirklich so lange zu tun bis die letzten<br />
Türen hier zugeschlossen sind“. (BkV: 7)<br />
Die Ergebnisse legen nahe, das Senioritätsargument<br />
dem Leistungsargument nicht als<br />
alternativen Begründungszusammenhang<br />
gegenüberzustellen, sondern an dieses anzuschließen.<br />
Betriebszugehörigkeit, als einzelnes<br />
Argument für Arbeitsplatzsicherheit, scheint<br />
an Kraft zu verlieren. Im Gegenzug gewinnt<br />
für die Beschäftigten der individuelle Beitrag<br />
zum Unternehmenserfolg an Bedeutung, um<br />
den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Eine lange<br />
Betriebszugehörigkeit wird zunehmend als<br />
Wertschätzung, und damit als Folge der eigenen<br />
Leistung, interpretiert. Arbeitsplatzsicherheit<br />
wird somit in erster Linie über Leistung generiert<br />
und nicht mehr – wie im fordistischen<br />
Modell der westdeutschen Nachkriegszeit<br />
– über Seniorität bzw. – wie in der DDR – über<br />
politisch motivierte Arbeitsplatzgarantien.<br />
Betrachten wir nun die Begründungszusammenhänge<br />
für Arbeitsplatzunsicherheit.<br />
Interessant ist, dass Unsicherheit – wieder<br />
unabhängig davon, in welchem Ausmaß sie<br />
von den einzelnen Befragten wahrgenommen<br />
wird – kaum über eine defizitäre Qualifikation<br />
oder Leistung begründet wird. Lediglich vier<br />
Personen geben an, durch gravierende Fehler<br />
bei der Ausführung ihrer Tätigkeit den Arbeitsplatz<br />
zu gefährden. 15 Dagegen verortet<br />
mehr als jeder zweite Befragte die individuelle<br />
Arbeitsplatzunsicherheit in der ökonomischen<br />
Situation des Unternehmens, je nach Branche<br />
resultierend aus schlechter/sinkender Auftragslage<br />
(Bau, Metall), Personalüberhang (Öffentlicher<br />
Dienst, Handel), Standortschließungen<br />
(Chemie und Metall) oder der Privatisierung<br />
von Krankenhäusern (Gesundheit). Oftmals<br />
spielt dabei ein Gefühl von Einflusslosigkeit<br />
gegenüber der eigenen Lage eine Rolle.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Pharmaunternehmen, Abteilungsleiter, 43<br />
Jahre, 80%: „Also, man hat jetzt doch mehr<br />
das Gefühl, dass ein gewisses Risiko da ist,<br />
dass man den Arbeitsplatz verliert. Nicht<br />
weil man seine Aufgaben nicht ordentlich<br />
erfüllt, sondern ganz einfach aufgrund der<br />
wirtschaftlichen Situation, die es heutzutage<br />
gibt. Aufgrund dessen, dass immer mehr<br />
Betriebe auch Arbeitsplätze in Billiglohnländer<br />
verlagern und das wahrscheinlich vor<br />
keiner Branche so richtig halt macht“.<br />
(C: 5)<br />
Stahlhandel, Groß- und Außenhandelskaufmann,<br />
31 Jahre, 50%: „Es können<br />
immer irgendwelche unfreiwilligen oder<br />
unvorhergesehenen Dinge passieren, da hast<br />
du gar keinen Einfluss drauf. Da kannste<br />
jeden Tag zur Arbeit kommen, kannst deine<br />
Arbeit wirklich überdurchschnittlich gut<br />
erledigen und kannst Überstunden reißen<br />
bis zum Gehtnichtmehr. Wenn irgendwo<br />
etwas passiert, wo du keinen Einfluss drauf<br />
hast, dann hängst du genauso am seidenen<br />
Faden“. (H: 2)<br />
Pharmaunternehmen, Mechaniker, 39<br />
Jahre, 60%: „Aber die Unsicherheit, ob man<br />
da gut arbeitet oder schlecht arbeitet, die<br />
hat man immer. Also, es ist jetzt nicht, dass<br />
wenn ich, dass ich jetzt sage, ich habe mir<br />
nichts vorzuwerfen, also die Leute sind mit<br />
mir zufrieden, ist noch lange keine Beschäftigungsgarantie“.<br />
(C: 8)<br />
Aber auch Befragte, welche die gegenwärtige<br />
Unternehmenslage als gut bis sehr gut beschreiben,<br />
vermögen diesen Trend nicht bedenkenlos<br />
in die Zukunft fortschreiben. Die befragten<br />
Beschäftigten verweisen dabei insbesondere<br />
auf die Auftragslage, die Zahlungsmoral der<br />
Kunden und folglich auch auf überbetriebliche<br />
Faktoren, wie politische Entscheidungen und<br />
Konjunkturphasen, die Arbeitsplatzunsicherheit<br />
schüren.<br />
Handwerksbetrieb, Kundenbetreuer, 44<br />
Jahre, 50%: „Es beschäftigt eigentlich schon<br />
einen tagtäglich kann man bald sagen, dass<br />
man nicht weiß, was (pff ) übermorgen<br />
ist. Dass sowohl beruflich gesehen, oder<br />
hauptsächlich beruflich gesehen, dass man<br />
nicht weiß, wie lang der Betrieb existiert,<br />
auch wenn er wie jetzt unserer, gesund ist<br />
und wirtschaftlich ist, weiß man’s trotzdem,<br />
dass zwei, drei Ausfälle von größeren Kunden<br />
schon reichen, um kaputt zu gehen“.<br />
(B: 1)<br />
Maschinenbau, Programmierer, 34 Jahre,<br />
70%: „[...] ich werde praktisch aus marktwirtschaftlichen<br />
Interessen höchstens<br />
entlassen. Deswegen kann ich da keine<br />
hundert Prozent geben“.(M: 6)<br />
Ist das beschäftigende Unternehmen börsennotiert,<br />
zeigt sich eine zusätzliche Ungewissheit<br />
und Verunsicherung der betroffenen<br />
Beschäftigten, resultierend aus einer wahrgenommenen<br />
Einflusslosigkeit auf die Erhaltung<br />
des Standorts.<br />
Maschinenbau, Diplomingenieur,<br />
40 Jahre, 90%: „Was ist heutzutage<br />
eigentlich sicher? In der Branche,<br />
Seite 135<br />
in der ich tätig bin und in der auch<br />
ein Haufen Mitbewerber sind [...]. Die Firma<br />
ist ja ein aktiennotiertes Unternehmen,<br />
da ist man vor keiner Sache sicher, weil es<br />
könnte sich eine Investorengruppe finden,
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
die sagen, okay, da ist was zu machen. Die<br />
kaufen mal schnell die Firma“. (M: 15)<br />
Allerdings spielen auch in den Aussagen zu<br />
Arbeitsplatzunsicherheit Leistungskriterien<br />
eine Rolle. Viele Befragte sehen sich mit<br />
einem massiv zunehmenden Leistungsdruck<br />
konfrontiert, indem der Erhalt des Arbeitsplatzes<br />
an die individuelle Zielerfüllung<br />
gekoppelt wird. 16 Die Beschäftigten interpretieren<br />
ihre Lage einerseits in Richtung<br />
einer Notwendigkeit, sich für die Erhaltung<br />
ihres Arbeitsplatzes flexibel an Firmen- und<br />
Marktinteressen anzupassen. Andererseits<br />
kann dieser selbst auferlegte oder durch das<br />
Management weitergereichte Druck auch als<br />
permanentes Spannungsfeld erlebt werden<br />
(siehe dazu auch Kapitel 5.3).<br />
Sparkasse, Kundenberaterin, 42 Jahre,<br />
100%: „Solange ich meine Ziele erfülle, ist<br />
der [Arbeitsplatz] hundertprozentig. Ist die<br />
Frage, ob ich das immer kann. [...] Habe<br />
ich ein paar gute Geschäfte gemacht, fühle<br />
ich mich wieder relativ sicher. Läuft’s mal<br />
eine Zeit lang nicht so gut, dann werde<br />
ich schon unsicher, weil ich dann denke,<br />
hoffentlich bleibt es nicht so. [...] Wenn<br />
die Leistung nicht kommt, ist es natürlich<br />
nicht mehr 100 Prozent“. (BkV: 10)<br />
Krankenversicherung, Sachbearbeiterin,<br />
34 Jahre, 70%: „Also zunehmend. In<br />
zunehmendem Maße! Gerade jetzt,<br />
Seite 136 wo das wirklich auch konkreter wird,<br />
wo man eben, wo Zielvorgaben immer<br />
weiter nach oben geschraubt werden<br />
äh, spürt man das auf jeden Fall, auch die<br />
Unsicherheit. Man denkt sich zwar immer<br />
so insgeheim, ja ich hab ja noch, irgendwo<br />
noch nen sicheren Arbeitsplatz, aber da<br />
kann man sich nicht vor verschließen. Also<br />
sicher ist da kein Arbeitsplatz mehr.“<br />
(BkV: 1)<br />
Die in offenen Fragen erhobenen Begründungszusammenhänge<br />
für individuelle<br />
Arbeitsplatzsicherheit bzw. -unsicherheit<br />
lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.<br />
Obwohl über die Hälfte der Befragten die<br />
Unternehmenslage als gut oder sehr gut beschreibt,<br />
wird die günstige Betriebslage nur in<br />
einem Drittel aller Fälle als ausschlaggebend<br />
für Arbeitsplatzsicherheit angegeben. Stattdessen<br />
treten für die Beschäftigten betrieblich<br />
relevante, individuelle Faktoren, allen voran<br />
Leistung, Qualifikation und Flexibilität, in den<br />
Vordergrund. Seniorität als eine zweite häufig<br />
genannte Begründung für Arbeitsplatzsicherheit<br />
stellt dagegen keine alternative Argumentationslinie<br />
zu Leistung dar, sondern wird von<br />
den Beschäftigten zumeist in Zusammenhang<br />
mit weiteren Faktoren gesetzt, wie dem<br />
über Jahre kumulierten, betriebsspezifischen<br />
Humankapital.<br />
Im Gegensatz dazu ist Arbeitsplatzunsicherheit<br />
bei den Befragten fast ausschließlich<br />
betrieblich bedingt. Daneben gewinnt ein<br />
zunehmender Leistungsdruck ebenfalls an<br />
Einfluss, dem auf Dauer standzuhalten einigen<br />
Beschäftigten Sorge bereitet.<br />
Dadurch erklärt sich auch, warum ein Teil<br />
der Befragten, welcher Unsicherheit für den<br />
Arbeitsbereich konstatiert, sich selbst „relativ“<br />
bis „sehr sicher“ auf seinem Arbeitsplatz fühlt.<br />
Die Begründungszusammenhänge verweisen<br />
darauf, dass nicht die wirtschaftliche Situation<br />
des Betriebes oder der Kündigungsschutz, son-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
dern die individuelle Qualifikation und/oder<br />
Leistung ausschlaggebend für Arbeitsplatzsicherheit<br />
sind. Bei schlechter Betriebslage<br />
gewinnt der/die Beschäftigte Sicherheit durch<br />
individuelle Merkmale, wenn der Betrieb keine<br />
Arbeitsplatzsicherheit für alle garantiert.<br />
Demgegenüber wird jedoch auch eine gute<br />
Betriebslage oftmals nicht mehr im Sinne einer<br />
Beschäftigungsgarantie interpretiert, sondern<br />
die individuelle Leistung in den Vordergrund<br />
gestellt. Während also insbesondere individuelle<br />
Faktoren Sicherheit generierend wirken,<br />
werden betriebliche und überbetriebliche<br />
Faktoren maßgeblich im Zusammenhang mit<br />
Unsicherheit genannt.<br />
Damit wird der erste Eindruck einer bei Normalarbeitsverhältnissen<br />
hohen und ungebrochenen<br />
Arbeitsplatzsicherheit in Frage gestellt.<br />
Die Sicherheitskonstruktion wird an die Aufrechterhaltung<br />
eines spezifischen Qualifikationsprofils<br />
und/oder hohen Leistungsniveaus<br />
gebunden und damit deutlich relativiert. Aus<br />
der subjektiven Perspektive der Beschäftigten<br />
betrachtet, unterstützen die Ergebnisse das von<br />
Köhler u.a. entwickelte Konzept Leistungsbasierter<br />
Beschäftigungssysteme, wonach „das<br />
Versprechen und die reale Chance einer langfristigen<br />
Beschäftigung bis zur Verrentung […]<br />
nicht mehr an die Betriebszugehörigkeitsdauer,<br />
sondern an Qualifikations- und Leistungsstandards<br />
für die Einzelnen und die Produktivität<br />
und Profitabilität von Betriebsteilen gebunden<br />
[ist]“ (Köhler/Loudovici/Struck 2007b, in<br />
diesem Heft).<br />
Gleichzeitig implizieren die Begründungszusammenhänge<br />
der Befragten, die auf das<br />
Tauscharrangement ‚Leistung gegen Arbeitsplatzsicherheit’<br />
abstellen, dass Unternehmen<br />
durch Informationsweitergabe und Erfolgsbeteiligung<br />
sowie die Wahrnehmung sozialer<br />
Verantwortung die für den Unternehmenserfolg<br />
notwendige Leistungsbereitschaft der<br />
Beschäftigten erzeugen und ihnen zugleich<br />
ein Gefühl von Kontinuität und Sicherheit<br />
vermitteln können.<br />
Die in unserer Untersuchung empirisch vorgefundenen<br />
Begründungszusammenhänge<br />
zu gefühlter Arbeitsplatzsicherheit sind in<br />
Abbildung 4.3.1 zusammengefasst. Dabei<br />
gehen wir davon aus, dass alle drei Faktoren<br />
– die wirtschaftliche Lage des Unternehmens,<br />
kündigungsschutzgesetzliche und arbeitsrechtliche<br />
Kriterien (die auch auf das Senioritätsprinzip<br />
Bezug nehmen) sowie die individuelle<br />
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft<br />
– Einfluss auf das Sicherheitsempfinden von<br />
Beschäftigten nehmen. Auf der Grundlage<br />
unseres empirischen Materials gelangen wir<br />
jedoch zu der Annahme, dass Leistungs- und<br />
Qualifikationskriterien heute schon ein hohes<br />
Gewicht haben. Unsere Hypothese ist (angedeutet<br />
durch die Pfeile), dass sie in Zukunft<br />
weiterhin an Einfluss auf die wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit gewinnen werden.<br />
Die Sicherheitskonstruktion jedes Einzelnen<br />
ist ohne Zweifel weitaus komplexer als in<br />
diesem kurzen Abschnitt dargestellt. Unser<br />
Anspruch bestand jedoch vor allem darin,<br />
die Vielfalt an möglichen Begründungszusammenhängen<br />
zu Arbeitsplatzsicherheit<br />
und -unsicherheit<br />
Seite 137<br />
einzufangen und dennoch erste Systematisierungsversuche<br />
zu wagen. Wie die jeweilige<br />
Sicherheitslage von den Beschäftigten<br />
erlebt wird bzw. welche Relevanz sie jeweils<br />
hat, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Abbildung 4.3.1: Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit im betrieblichen Kontext<br />
4.4 Relevanz von Arbeitsplatzsicherheit<br />
Die Auswertungen in den vorangestellten<br />
Abschnitten bezogen sich auf die subjektive<br />
Einschätzung des Sicherheitsniveaus und die<br />
jeweiligen Begründungszusammenhänge im<br />
betrieblichen Kontext der Befragten. Es zeigte<br />
sich, dass sich die Befragten mehrheitlich<br />
relativ bis sehr sicher auf ihrem Arbeitsplatz<br />
fühlen. Ausgehend davon geht es<br />
nun erstens um die Bedeutung dieser<br />
Seite 138 Sicherheit für die „Arbeitsplatzsicheren“<br />
im betrieblichen Kontext.<br />
Wir fragen nach dem Wert von betrieblicher<br />
Beschäftigungssicherheit für Arbeitnehmer<br />
und wie im Gegensatz dazu die „Unsicheren“<br />
ihre Situation erleben, welche Folgen also die<br />
wahrgenommene Bedrohung ihres Arbeitsplatzes<br />
für sie hat. Zweitens nehmen wir überbetriebliche<br />
Sicherheiten der Beschäftigten in<br />
den Blick, die ebenfalls in Bezug zur Relevanz<br />
von betrieblicher Arbeitsplatzsicherheit stehen.<br />
Drittens sollen die Folgen von Arbeitsplatz<br />
(un)sicherheit für Privatleben und Familie<br />
erörtert werden.<br />
In den meisten Fällen wird Arbeitsplatzsicherheit<br />
eine hohe Bedeutung beigemessen: „Das<br />
ist mit das Wichtigste heutzutage, aus meiner<br />
Sicht“ (C: 5). Stabilität und Kontinuität im<br />
bestehenden Arbeitsverhältnis gelten dabei als<br />
zentrale Elemente von Arbeitsplatzsicherheit.<br />
Für viele Beschäftigte hat sie „einen hohen<br />
[Wert], da die Kontinuität bei der Beschäfti-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
gung auch bei mir Anwendung findet. Es gibt<br />
ja auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter aller<br />
paar Monate wechseln. Das würde mir nicht so<br />
gut gefallen“ (M: 14).<br />
In Bezug auf die Arbeitssituation betonen die<br />
„Arbeitsplatzsicheren“ vor allem die positive<br />
Wirkung von Arbeitsplatzsicherheit auf die<br />
Motivation und Arbeitsleistung 17 . Man könne<br />
ohne Angst und Druck konzentriert an die<br />
Arbeit gehen.<br />
Behindertenwohnheim, Heimleiter, 44 Jahre,<br />
90%: „[...] man kann ruhiger herangehen<br />
an den Job. Ja, und mit ruhig ist natürlich<br />
ausruhen nicht gemeint. Ich meine, es ist<br />
genügend zu tun, wie gesagt die Bürokratie<br />
nimmt zu. Aber wie gesagt, dieser Druck<br />
und du wirst kontrolliert, das ist einfach<br />
weg. Also es ist ein entspannteres Arbeiten,<br />
so würde ich es bezeichnen“. (G: 10)<br />
Kanzlei, Steuerassistentin, 43 Jahre, 95%:<br />
„Also einen sehr hohen Wert, denn sonst<br />
würde ja auch die Arbeit keinen Spaß<br />
machen. Ne, wenn man durch solche<br />
Existenzängste Tag täglich auch abgelenkt<br />
ist und man sich nicht mehr auf seine Arbeit<br />
konzentrieren kann, denk ich mir dann, ja<br />
dann machst keinen Spaß mehr. Dann geht<br />
man mit ganz anderen Gefühlen morgens<br />
auf die Arbeit“. (UnD: 4)<br />
Mitunter wird ein sicherer Arbeitsplatz gar als<br />
Privileg wahrgenommen: „Das ist für mich in<br />
der Situation eindeutig ein Privileg. Ich kann<br />
es zwar manchmal mit meiner Arbeit begründen,<br />
aber ich glaube, es gibt so viele Menschen,<br />
die sich mindestens ebenso engagieren und<br />
deren Arbeitsplatz nicht so sicher ist. Deswegen<br />
ist es ein Privileg“ (P: 1). Dafür würden<br />
die befragten Beschäftigten fast ausnahmslos<br />
Lohn- bzw. Gehaltskürzungen hinnehmen,<br />
längere Arbeitszeiten oder Abstriche beim<br />
Urlaubsanspruch akzeptieren und auf Prämienzahlungen<br />
verzichten. Diese Bereitschaft<br />
steigt, je größer das Unsicherheitsgefühl der<br />
Befragten ist.<br />
Fensterbau, Kundenbetreuer, 35 Jahre,<br />
50%: „Ja. Ja. Ja. Muss ich ganz klar sagen ja.<br />
Würd ich kein Problem mit haben in der<br />
Woche 5 Stunden mehr zu arbeiten, wenn<br />
ich wüsste, dass ich dafür irgendeinen<br />
Arbeitsplatz bis zum Rentenalter haben<br />
würde.“ (B: 1)<br />
Befragte, die sich bezüglich ihrer Arbeitsplatzsicherheit<br />
eher unsicher fühlen, reagieren<br />
entweder mit Besorgnis oder versuchen ihre<br />
Sicherheitslage zu verdrängen, um zu verhindern,<br />
dass die erlebte Unsicherheit ihre<br />
Arbeits- und Lebenssituation dominiert.<br />
Pharmaunternehmen, mittleres Management,<br />
45 Jahre, 50%: „Ich beschäftige mich<br />
eigentlich fast nicht damit, außer dass ich<br />
weiß, dass wenn irgendetwas passiert, dass<br />
ich mir was Neues suchen muss. Weil wenn<br />
ich mich nämlich verrückt mache, dann<br />
kann ich, brauche ich keinen Tag mehr<br />
auf Arbeit zu gehen. Dann könnte ich hier<br />
sein und rumjammern. Das bringt<br />
nichts! Was willst du machen?<br />
Man muss es so nehmen wie es<br />
Seite 139<br />
kommt. [...] Ich fühle mich nicht<br />
sicher. Ich verdränge aber die Unsicherheit,<br />
weil ich mir sage, ich kann eh nichts ändern.<br />
Und wenn ich mich jetzt hier hängen lasse,<br />
damit helfe ich weder mir, noch irgendje-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
mand anderem. Ich verdränge einfach“.<br />
(C: 4)<br />
Familienberatung, Leiterin, 44 Jahre, 65%:<br />
„Na das bedeutet für mich, dass ich mir<br />
große Sorgen mache letztendlich. Nicht<br />
ständig aber regelmäßig. Was dann werden<br />
soll, weil ich bin ja nicht mehr 20, und mit<br />
meiner Qualifikation ist es nicht so einfach,<br />
eine neue Stelle zu finden. Also, das macht<br />
mir schon Sorgen. Ich wäre froh, wenn ich<br />
mehr Sicherheit hätte“. (G: 4)<br />
Der Kontinuitäts- und Stabilitätsaspekt von<br />
Arbeitsplatzsicherheit hat für fast alle befragten<br />
Beschäftigten einen ausgesprochen<br />
hohen Wert. In Bezug auf die Arbeitssituation<br />
wird vor allem der positive Einfluss<br />
von Arbeitsplatzsicherheit auf die eigene<br />
Arbeitsleistung betont. Die Beschäftigten<br />
versuchen einerseits durch Leistung auf ihre<br />
Arbeitsplatzsicherheit Einfluss zu nehmen<br />
und andererseits motiviert sie das durch den<br />
Arbeitgeber eingehaltene Tauscharrangement<br />
‚Arbeitsplatzsicherheit gegen Leistung’ zu<br />
mehr Engagement (vgl. 4.3).<br />
Einige Befragte gehen in ihren Sicherheitskonstruktionen<br />
jedoch über diesen betrieblichen<br />
Kontext hinaus und beziehen als alternative<br />
(Un-)Sicherheitsfaktoren die Familie bzw. den<br />
externen Arbeitsmarkt in die Überlegungen<br />
zu Arbeitsplatzsicherheit ein.<br />
Seite 140 Einem Teil der Beschäftigten vermitteln<br />
ihre wahrgenommenen Chancen<br />
auf dem externen Arbeitsmarkt ein zusätzliches<br />
Gefühl von Sicherheit 18 , insbesondere<br />
wenn die Arbeitsplatzsicherheit als gering wahrgenommen<br />
wird.<br />
Maschinenbauunternehmen, Programmierer,<br />
34 Jahre, 70%: „Ich weiß was ich kann,<br />
ich denke ich bin gut in dem was ich tue.<br />
Wenn es in dieser Firma pleite geht, dann<br />
gibt’s irgendwo andere Firmen, wo ich anfangen<br />
kann. Also die Arbeitssicherheit ist<br />
in meinem Fall relativ hoch“. (M: 6)<br />
In Ausnahmefällen wird auch Selbständigkeit<br />
als Alternative zum derzeitigen Arbeits-verhältnis<br />
in Betracht gezogen.<br />
Krankenhaus, Hebamme, 45 Jahre, 80-90%:<br />
„Das ist eigentlich relativ nebensächlich.<br />
Hebammen können auch selbständig arbeiten.<br />
[...] Ich mache mich halt nicht verrückt.<br />
Ich bin zufrieden mit der Situation, meine<br />
Welt würde aber auch nicht untergehen,<br />
wenn sich die Situation verändern würde<br />
und ich mich also selbständig machen<br />
müsste. Da habe ich ja mittlerweile auch<br />
Kontakte und bei den Frauen spricht sich<br />
das auch rum. Ich habe eigentlich ein ganz<br />
gutes Gefühl was die Zukunft betrifft“.<br />
(G: 8)<br />
Als entscheidende Faktoren für außerbetriebliche<br />
Chancen gelten dabei die außerbetrieblich<br />
verwertbare Qualifikation und Berufserfahrung,<br />
die branchenspezifische Arbeitsmarktlage,<br />
soziale Netzwerke sowie das Alter – mit<br />
45 Jahren ist man aus Sicht vieler Befragten<br />
so gut wie chancenlos. Deshalb bereitet die<br />
wahrgenommene Chancenlosigkeit gerade<br />
den Beschäftigten Sorge, die verunsichert der<br />
Zukunft im Unternehmen entgegenblicken. 19<br />
Handwerksbetrieb, Kundenbetreuer, 44<br />
Jahre, 50%: „Und da ist man ja automatisch<br />
auch jetzt mit dem Alter, wie man jetzt ist
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
mit 45 Jahren auf dem Markt auch schon<br />
in einer Situation, wo man auch ganz klar<br />
sagen muss, wo man dann schon langsam<br />
mit Sicherheit richtige Probleme kriegt bei<br />
ner Neubewerbung. Weil man in dem Alter<br />
schon lächerlicherweise schon aussortiert<br />
wird“. (B: 1)<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 44<br />
Jahre, 80%: „In der heutigen Zeit, wo man<br />
sieht, wie viele Leute arbeitslos sind, wo<br />
will man sich orientieren. Und da ist das<br />
Problem bei uns, den Abschluss, den wir<br />
hier haben als Berater, nur intern anerkannt<br />
ist. [...] Die Krankenkassen bauen ab an<br />
Arbeitskräften, Arbeitsämter und überall,<br />
also wo die Fachrichtung gebraucht wird,<br />
Berufsgenossenschaften, keiner will die<br />
Leute mehr haben“. (BkV: 6)<br />
Darüber hinaus kann die Familie ein Ort sein,<br />
an dem Arbeitsplatzunsicherheit aufgefangen<br />
wird, beispielsweise durch die Sicherheit weiterer<br />
Einkommen.<br />
Personalvermittlung und Zeitarbeitsfirma,<br />
Niederlassungsleiterin, 42 Jahre, 70%: „Ja,<br />
das ist einfach wichtig, weil ich sage mal in<br />
der heutigen Zeit ist es schon nett, wenn<br />
man zwei Einkommen hat über die man<br />
verfügen kann. Man ist ein bisschen sicherer,<br />
ein bisschen befreiter“. (UnD: 3)<br />
Oder aber die familiären Bedingungen erheben<br />
Arbeitsplatzsicherheit zur zwingenden<br />
Voraussetzung für Existenzsicherheit, wie sich<br />
die Situation etwa bei Hauptverdienern oder<br />
Haushalten mit mittel- bis langfristigen Darlehensverbindlichkeiten<br />
darstellt (vgl. nächster<br />
Abschnitt).<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 44<br />
Jahre, 80%: „Die Sicherheit ist für mich<br />
schon ein wichtiger Punkt, weil ich sagen<br />
muss, dass ich der Hauptverdiener in der<br />
Familie bin. Das bedeutet für mich, ich<br />
muss mein Arbeitsplatz erhalten, ich muss<br />
sehen, dass ich diesen Arbeitsplatz auch in<br />
Zukunft erhalten kann, um eben meiner<br />
Familie die Sicherheit auch zu geben“.<br />
(BkV: 6)<br />
Die Mehrheit der befragten Beschäftigten<br />
unseres Samples generiert individuelle Sicherheit<br />
über das Ausmaß der wahrgenommenen<br />
kollektiven Beschäftigungsrisiken. Die vorangegangenen<br />
Aussagen implizieren jedoch, dass<br />
Beschäftigte ihre Sicherheit – bezogen auf<br />
die Beschäftigungssituation – nicht notwendigerweise<br />
allein aus der wahrgenommenen<br />
betrieblichen Sicherheit ableiten, sondern<br />
sich darüber hinaus auch von der subjektiven<br />
Sicherheit durch Arbeitsmarkt und Familie<br />
beeinflussen lassen. 20 Besteht für Beschäftigte<br />
kein Zweifel an ihrer Arbeitsplatzsicherheit,<br />
kann Sicherheit im betrieblichen Kontext<br />
subjektive Unsicherheiten, ausgehend von<br />
Arbeitsmarkt und Familie, abfedern. Demgegenüber<br />
können Sicherheiten aufgrund alternativer<br />
Optionen Arbeitsplatzunsicherheit<br />
kompensieren. Fehlen bei geringer Arbeitsplatzsicherheit<br />
alternative Sicherheitsquellen,<br />
verstärkt dies das Gefühl von Unsicherheit<br />
oder hat einen Verdrängungseffekt<br />
zur Folge. Arbeitsmarkt und Familie<br />
können also alternative bzw. ergän-<br />
Seite 141<br />
zende Sicherheitsquellen zu Arbeitsplatzsicherheit<br />
im Sinne einer materiellen<br />
Absicherung darstellen. Dabei umspannen<br />
subjektive Sicherheiten im Beschäftigungsverhältnis,<br />
am Arbeitsmarkt und innerhalb
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
der Familie das individuelle Sicherheitsnetz<br />
(Tabelle 4.4.1).<br />
Das Fundament dieser drei Sicherheitssäulen<br />
bilden die ebenfalls in Tabelle 4.4.1 abgebildeten,<br />
empirisch gewonnenen Indikatoren 21 .<br />
Innerhalb der einzelnen Kontexte unterscheiden<br />
wir individuelle und kollektive Faktoren,<br />
in Abhängigkeit davon, ob ein einzelner<br />
Beschäftigter oder eine Gruppe von Beschäftigten<br />
(Abteilung, Berufszweig usw.) involviert<br />
ist. Wie oben bereits ausgeführt wurde, können<br />
innerhalb des individuellen Sicherheitsnetzes<br />
Sicherheiten in einem Bereich Unsicherheiten<br />
in einem anderen kompensieren bzw. mehrere<br />
Unsicherheiten zugleich einander verstärken.<br />
4.5 Exkurs: Auswirkungen von<br />
Arbeitsplatz(un)sicherheit auf<br />
das Privatleben<br />
von Hendrikje Riemann, Janine Bernhardt<br />
Ausgehend von den vorhergehenden Ausführungen<br />
zu Arbeitsplatz(un)sicherheit sollen<br />
im Folgenden deren Auswirkungen auf den<br />
Menschen und seine bedürfnisgeleitete Lebensplanung<br />
dargestellt werden. Leitend soll<br />
die Frage sein, welche Bedeutung der Familie<br />
hierbei zukommt: Wird sie von den Beschäftigten<br />
als erstrebenswerter Teil der<br />
Biografie oder vielmehr als nach-<br />
Seite 142 rangig zur beruflichen Entwicklung<br />
gesehen? Dabei wollen wir besonders<br />
auf den Begründungszusammenhang<br />
‚Sicherheit gegen Leistung’ eingehen, auf den<br />
ein großer Teil der Befragten die individuelle<br />
Arbeitsplatzsicherheit abstellt (vgl. 4.3).<br />
In den meisten Fällen wird der Arbeitsplatzsicherheit<br />
die zentrale Bedeutung für die<br />
Lebensplanung zugewiesen. Von den Interviewten<br />
wird vor allem die finanzielle Sicherheit<br />
als maßgeblich für eine planbare Absicherung<br />
der Existenz und Umsetzung von Handlungsorientierungen<br />
dargestellt. Viele Aussagen zur<br />
Relevanz von Arbeitsplatzsicherheit implizieren,<br />
dass diese von den Befragten im Sinne<br />
einer grundlegenden, materiellen Sicherheit<br />
verstanden wird. 22<br />
Krankenversicherung, Sachbearbeiterin,<br />
34 Jahre, 70%: „Ja, ich sag mal es ist schon<br />
beruhigend, wenn man weiß, dass man<br />
einen Arbeitsplatz hat und sich da auch einigermaßen<br />
sicher fühlt an diesem Arbeitsplatz.<br />
Trotz natürlich dieser zunehmenden<br />
Unsicherheit, die sich da rein drückt.<br />
Aber ich sag mal, ich hab jetzt auch keine<br />
Panik, also hat das schon für mich in dem<br />
Sinne nen hohen Stellenwert, nen sicheren<br />
Arbeitsplatz zu haben, weil es ist nun mal<br />
Grundlage für ne Existenz, die man hat,<br />
für ein Leben, was man sich aufgebaut hat<br />
mittlerweile und wenn dann alles auf einmal<br />
nicht mehr sein könnte, von daher hat diese<br />
Sicherheit schon nen hohen Stellenwert für<br />
mich“. (BkV: 1)<br />
Zugleich zeigt sich ein Zusammenhang von<br />
Arbeitsplatzsicherheit und der Zukunftsplanung<br />
mit der Familie, auch wenn diese<br />
Planung von den Beschäftigten eher mittel- als<br />
langfristig angelegt ist.<br />
Pharmaunternehmen, Abteilungsleiter, 43<br />
Jahre, 80%: „Ja, das bedeutet dann eben<br />
doch eine gewisse innere Sicherheit, eine<br />
gewisse doch Planungssicherheit, wenn
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Arbeitsplatz(un)sicherheit Arbeitsmarkt(un)sicherheit Soziale (Un)Sicherheit<br />
Individuell Individuell Individuell<br />
♦ Leistung<br />
♦ Sozialkriterien<br />
♦ (Betriebsspezifische)<br />
Qualifikation<br />
♦ Position<br />
♦ Betriebs-/<br />
Personalratstätigkeit<br />
♦ (Betriebsinterne)<br />
Weiterbildung<br />
♦ Qualifikation<br />
♦ Berufserfahrung<br />
♦ Soziale Netzwerke<br />
♦ Finanzielle Ressourcen<br />
♦ Familie (zu versorgende/mitverdienende<br />
Haushaltsmitglieder;<br />
finanzielle Verpflichtungen<br />
wie Unterhalt, Kredite)<br />
Kollektiv Kollektiv Kollektiv<br />
♦ Ökonomische Situation<br />
♦ Öffentlicher vs.<br />
Privater Sektor<br />
♦ Unternehmenshauptsitz<br />
im In- oder Ausland<br />
♦ Firmenübernahme/<br />
Umstrukturierung/<br />
Privatisierung<br />
♦ Unternehmensgröße<br />
♦ Anreiz- und Kontrollsysteme<br />
(Leistungsrückmeldung,<br />
Ergebniszurechnung,<br />
Erfolgsbeteiligung)<br />
♦ Betriebliche Altersvorsorge<br />
♦ Branchenspezifische<br />
Arbeitsmarktlage<br />
♦ Sozialleistungen<br />
Tabelle 4.4.1: Das individuelle Sicherheitsnetz<br />
Seite 143
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
man das so sagen kann, oder darf. Dass<br />
man zumindest mittelfristig, ich spreche<br />
da so von fünf Jahren, viel weiter kann man<br />
sowieso nicht hinausgucken, sagen kann,<br />
ok, mein Einkommen ist gesichert, ich<br />
kann damit auch entsprechend die Dinge<br />
finanzieren, die ich finanzieren will und<br />
muss, kann mein Leben finanzieren, kann<br />
die Familie finanzieren. Und das ist doch<br />
schon etwas Beruhigendes, wenn man so<br />
was weiß“. (C: 5)<br />
Rentenversicherung, Kundenberaterin, 44<br />
Jahre, 80%: „Zukunft ist eben Sicherheit<br />
für die Familie und das man da eben weiß,<br />
dass in den nächsten zwei, drei Jahren Geld<br />
noch reinkommt, dass man da sein Leben<br />
noch finanzieren kann. Das ist eben die<br />
Grundlage“. (BkV: 6)<br />
Insbesondere die befragten unsicheren Beschäftigten<br />
sehen vor dem Hintergrund ihrer<br />
ungewissen Beschäftigungssituation der Zukunft<br />
sorgenvoll entgegen.<br />
Handwerksbetrieb, Kundenbetreuer, 44<br />
Jahre, 50%: „Ja einfach mit nem unsicheren,<br />
unruhigen Gefühl, dass du öfters mal<br />
einfach auch in ner ruhigen Stunde drüber<br />
nachdenkst, was wäre wenn. Weil man hat<br />
ja auch irgendwo seinen Lebensstandard<br />
und den will man ja auch halten möglichst.<br />
Man hört nur Hiobs-Botschaften<br />
rundrum und das heißt ganz einfach,<br />
Seite 144 dass man sich dadurch ja auch irgendwo<br />
Gedanken macht, was wäre wenn,<br />
und was ist morgen. So einfach ist es. [...]<br />
Ich will nicht sagen, dass da du bei der<br />
Arbeitsleistung drüber nachdenkst. Es ist<br />
also nicht so, dass ich an der Arbeit darüber<br />
nachgrübel. So, es ist halt einfach nur ab<br />
und zu mal, grad wenn man ne Zukunftsplanung<br />
macht oder wenn man das und das<br />
mal manchmal bedenkt zu investieren und<br />
dann halt darüber nachdenkt, ob man sich’s<br />
dann überhaupt leisten könnte, wenn dann<br />
was passiert“. (B: 1)<br />
Haben die Befragten noch keine eigene Familie,<br />
äußern sie sich zögerlich über ihre Bindungsund<br />
Kinderwünsche. Das Fehlen langfristiger<br />
beruflicher Sicherheit gepaart mit der Angst<br />
vor einem drohenden Abstieg im derzeitigen<br />
Lebensstandard, führt zu Unschlüssigkeit bezüglich<br />
der privaten Lebensplanung.<br />
Tageszeitung, stellv. Redaktionschef, 32<br />
J., 70-80%: „Dass man sich natürlich über<br />
langfristige Dinge Gedanken macht. Man<br />
macht sich natürlich auch Gedanken, irgendwann<br />
mal ein bisschen Ruhe zu finden.<br />
Man denkt natürlich über Familie nach.<br />
Aber ich habe noch nicht so viel gefühlte<br />
Sicherheit, dass ich in der letzten Konsequenz<br />
da noch keine Entscheidung habe.<br />
Das hängt ganz stark vom Arbeits- und<br />
Einsatzort ab.“ (P: 1)<br />
Bauunternehmen, Vorarbeiter, 35 Jahre,<br />
60%: „Na ja Sicherheit ist halt ist schon<br />
schön, wenn man eine Sicherheit hat hätte<br />
von 100%. Da wüsste man genau, man kann<br />
langfristig planen mit der Familie und alles,<br />
man könnte ein Haus bauen oder irgendwas,<br />
ja nachdem. Aber wenn man jetzt, man<br />
kann halt langfristig, das geht auch allein<br />
von die Kinder her. Setzt man Kinder in<br />
die Welt? Setzt man nicht so viele in die<br />
Welt? Das ist halt immer von der Sicherheit<br />
abhängig“. (B: 2)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Doch selbst wenn sich die Befragten beruflich<br />
sicher fühlen, sind sie bereit, den betrieblichen<br />
Leistungsanforderungen auf Kosten der Familie<br />
zu entsprechen. Der Erhalt des Arbeitsplatzes<br />
scheint hier vorrangig, um weiterhin die<br />
finanzielle Absicherung zu gewährleisten.<br />
Tageszeitung, stellv. Redaktionschef, 32 J.,<br />
70-80%: „Also, Familie spielt für mich eine<br />
große Rolle. Aber wenn man jetzt einen<br />
Arbeitsplatz in Köln, München, Frankfurt<br />
oder so hätte, das müsste sich dann vereinbaren<br />
lassen. Also, ich sehe da auch keine<br />
Alternativen. Entweder die Familie zieht<br />
dann mit oder es würde dann zu so einer<br />
Konstellation hinaus laufen, dass man sagt,<br />
ich bin die Woche über woanders und versuche<br />
dann wenigstens am Wochenende da<br />
zu sein“. (P: 1)<br />
Zunehmende berufliche Flexibilitätsanforderungen<br />
lassen eine familiäre Planung als Hindernis<br />
für eine kurzfristige Anpassung an den<br />
Markt erscheinen. Gerade für die Unsicheren<br />
ist die Unterordnung der privaten Bedürfnisse<br />
eine Reaktion auf steigende arbeitsweltliche<br />
Diskontinuität.<br />
LKW-Werkstatt, Kfz-Meister, 45 J., 70%:<br />
„Man muss dann auch teilweise, muss man<br />
so mal sagen, also sich familiär und finanziell<br />
nicht so dermaßen festlegen, dass wenn<br />
sich beruflich mal was verändert, dass man<br />
halt keine Situation schafft, die nicht mehr<br />
zu tragen ist“. (M: 9)<br />
Dennoch lässt sich feststellen, dass die Befragten<br />
mit Familie diese vorrangig als Ruhepol<br />
und notwendigen Ausgleich zum Arbeitsalltag<br />
ansehen. Sie wird als bedingungslose Quelle für<br />
Verlässlichkeit und als Rückzugsmöglichkeit<br />
vor betrieblichen Leistungsanforderungen<br />
gesehen.<br />
Pharmaunternehmen, Industriemechaniker,<br />
39 J., 80%: „Private Sicherheit und<br />
Zukunft ist die Familie, die Sicherheit, die<br />
gibt einem ja Rückhalt und stärkt einen,<br />
wenn es mal schlecht läuft oder wenn bei<br />
meiner Frau mal schlecht läuft, sagen wir<br />
mal so, tun wir uns unterhalten drüber und<br />
machen uns gegenseitig Mut, halt. Und<br />
die Kinder sind auch da noch, das ist die<br />
andere Sicherheit“. (C: 3)<br />
Abschließend kann festgehalten werden, dass<br />
sich die Befragten stärker im Sinne einer Absicherung<br />
des Arbeitsverhältnisses engagieren,<br />
als dass sie sich eine Umsetzung ihres privaten<br />
Lebensentwurfs zutrauen. Eine bedürfnisgeleitete<br />
Lebensplanung wird häufig den<br />
betrieblichen Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen<br />
und der damit intendierten<br />
Sicherung des Arbeitsplatzes untergeordnet;<br />
sowohl bei den Singles, als auch bei den Müttern<br />
oder Vätern.<br />
4.6 Fazit<br />
Ein zentrales Ziel der Lehrforschung 2005/06<br />
bestand in der Untersuchung der<br />
These einer „Generalisierung von<br />
Unsicherheit“ (Bourdieu 1998) bis<br />
Seite 145<br />
hinein in die „Zone der Integration“<br />
(Castel 2000). Während die bisherige<br />
Forschung zur Verbreitung von Unsicherheit<br />
vordergründig auf die Untersuchung atypisch<br />
Beschäftigter konzentriert wurde (vgl. z.B.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Vogel 2004), galt unsere Aufmerksamkeit den<br />
Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen.<br />
Ausgangspunkt unserer Untersuchung bildet<br />
dabei die Annahme einer fortschreitenden<br />
„Entstandardisierung“ (Beck 1986: 220) und<br />
„Prekarisierung von Erwerbsarbeit“ (Dörre<br />
2005b: 250), die zunehmend auch in einer<br />
„Destabilisierung der Stabilen“ (Castel 2000:<br />
357) und folglich einer Verbreitung von Arbeitsplatzunsicherheit<br />
mündet.<br />
Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen<br />
zunächst eine Mehrheit an Befragten, die die<br />
Sicherheit ihres Arbeitsplatzes bei 80% oder<br />
darüber einschätzen. Auch das nachfolgend<br />
eingeführte Stufenmodell der Arbeitsplatzsicherheit<br />
offeriert ein ähnliches, jedoch<br />
differenzierteres Ergebnis: Die Mehrheit<br />
der Befragten fühlt sich „relativ sicher“ bis<br />
„sehr sicher“ auf ihrem Arbeitsplatz. Vor dem<br />
Hintergrund der Befragung von überwiegend<br />
ostdeutschen, unbefristet Beschäftigten<br />
mittleren Alters über verschiedene Branchen,<br />
Unternehmensgrößen, Berufe und Qualifikationsniveaus,<br />
widersprechen diese Befunde<br />
den Großthesen der „Generalisierung von<br />
Unsicherheit“ und Prekarität.<br />
Die in offenen Fragen erhobenen Begründungszusammenhänge<br />
verweisen dann<br />
allerdings darauf, dass oftmals nicht die wirtschaftliche<br />
Situation des Betriebes oder der<br />
Kündigungsschutz, sondern die individuelle<br />
Leistung und/oder Quali-<br />
Seite 146 fikation ausschlaggebend für Arbeitsplatzsicherheit<br />
sind. Bei schlechter<br />
Betriebslage liegt der Zusammenhang auf der<br />
Hand: Der/die Beschäftigte gewinnt Sicherheit<br />
durch individuelle Merkmale, wenn der<br />
Betrieb nicht für alle Arbeitsplatzsicherheit<br />
garantiert. Demgegenüber wird jedoch auch<br />
eine gute Betriebslage oftmals nicht mehr im<br />
Sinne einer Beschäftigungsgarantie interpretiert,<br />
sondern die individuelle Leistung in den<br />
Vordergrund gestellt.<br />
Zugleich ist Unsicherheit in den Köpfen der<br />
in Normalarbeitsverhältnissen beschäftigten<br />
Arbeitnehmer präsent. In einigen Fällen ist<br />
aus einer latenten Unsicherheit bereits ein<br />
Angstgefühl erwachsen, das aus einer wahrgenommenen,<br />
konkreten Bedrohung des<br />
Arbeitsplatzes resultiert. In jedem Fall ist diese<br />
gefühlte Unsicherheit eine in die Zukunft gerichtete<br />
Ungewissheit, meist in Kombination<br />
mit dem Gefühl von Ohnmacht hinsichtlich<br />
der eigenen wahrgenommenen Einflussmöglichkeiten<br />
(vgl. Bultemeier u.a. 2007).<br />
Die Sicherheitskonstruktion des Einzelnen<br />
besteht immer nur für den gegenwärtigen<br />
Augenblick und die absehbare Zukunft. Ihr<br />
Fortbestand gilt stets unter Vorbehalt und ist<br />
an Bedingungen geknüpft. Diese beziehen sich<br />
vorrangig auf individuelle Faktoren wie Qualifikation<br />
und Leistungsbereitschaft. Damit<br />
wird der erste Eindruck einer bei Normalarbeitsverhältnissen<br />
hohen und ungebrochenen<br />
Arbeitsplatzsicherheit in Frage gestellt und<br />
deutlich relativiert. Insgesamt gehen wir<br />
deshalb nicht von einer Generalisierung von<br />
Unsicherheit aus, sondern von einer Relativierung<br />
von Sicherheit. Welchen Einfluss die<br />
wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit auf<br />
die Handlungsorientierungen von Beschäftigten<br />
hat, soll im nächsten Kapitel eingehend<br />
untersucht werden.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
5. Unsicherheit und<br />
Erwerbsorientierungen<br />
von Marcela Pineda de Castro,<br />
Christina Sittig<br />
5.1 Vorbemerkungen<br />
Ausgehend von der zentralen Fragestellung<br />
der Lehrforschung zur Verbreitung von Arbeitsplatzunsicherheit,<br />
wird im Folgenden der<br />
Schwerpunkt auf die Erwerbsorientierungen<br />
von Beschäftigten gelegt. Den Auswertungen<br />
liegt die Annahme eines Zusammenhangs<br />
zwischen Sicherheitsempfinden und Handlungsorientierung<br />
zugrunde. Ein zentrales Ziel<br />
unserer Ausführung ist es, letztere zu explorieren,<br />
zu erläutern und zu typisieren.<br />
Bislang gibt es noch sehr wenig Forschungsliteratur<br />
über den Zusammenhang von wahrgenommener<br />
Arbeitsplatzunsicherheit mit den<br />
Erwerbsorientierungen von abhängig Beschäftigten,<br />
besonders jenen, die nicht in prekären<br />
Arbeitsverhältnissen stehen. Empirische<br />
Analysen als auch theoretische Überlegungen<br />
(Dörre 2005b; Voß/Pongratz 1998) legen<br />
einen solchen Zusammenhang nahe, welcher<br />
sich im Arbeitsverhalten von Beschäftigten<br />
niederschlägt. Ergebnis unserer Sichtung der<br />
Literatur war die in der Einleitung vorgestellte<br />
Hypothese 3: „Die Unsicherheit führt nicht<br />
– wie für den „Arbeitskraftunternehmer“<br />
erwartet – zu einer externen Arbeitsmarktorientierung,<br />
sondern eher zu einer verstärkten<br />
Betriebs-bindung, Leistung und Anpassung.“<br />
Den Hintergrund für die These bildet eine<br />
Auseinandersetzung mit der von Pongratz<br />
und Voß (1998) vertretenen These des<br />
„Arbeitskraftunternehmers“ – eines neuen<br />
Arbeitnehmertypus – und der Gegenthese der<br />
Disziplinierungseffekte in der „Zone der Integration“<br />
(Castel 2005; Dörre 2005a, 2005b)<br />
als Reaktion auf die Zunahme von Beschäftigungsunsicherheit.<br />
Nach Pongratz und Voß<br />
führt Beschäftigungsunsicherheit zum Typus<br />
des marktorientierten Arbeitskraftunternehmers.<br />
Dies bedeutet, dass Unsicherheit eine<br />
Auflösung der Betriebsbindung und einen<br />
zunehmend unternehmerischen Umgang mit<br />
der eigenen Arbeitskraft fordert. Die Arbeitskraftunternehmer-These<br />
postuliert demnach<br />
einen durch Selbstkontrolle (Arbeitsausführung),<br />
Selbstökonomisierung (Steigerung der<br />
Wirtschaftlichkeit, Effizienz der Arbeitskraft)<br />
und Selbstrationalisierung (der eigenen<br />
Lebensführung) gekennzeichneten Arbeitertypus,<br />
der keine intrinsische Betriebsbindung<br />
mehr aufweist und in hohem Maße extern<br />
orientiert ist. „Der Arbeitskraftunternehmer<br />
ist die gesellschaftliche Form der Ware<br />
Arbeitskraft, bei der Arbeitende nicht mehr<br />
primär ihr latentes Arbeitsvermögen verkaufen,<br />
sondern (inner- oder überbetrieblich)<br />
vorwiegend als Auftragnehmer für Arbeitsleistung<br />
handeln […]“ (Voß/Pongratz 1998,<br />
S.131). Überbetrieblich oder extern orientiert<br />
bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der/<br />
die Arbeitende seinen/ihren Blick auch auf<br />
die Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt<br />
richtet und seine/ihre Arbeitskraft<br />
auf diesem zur Verfügung stellt.<br />
Seite 147<br />
Aus unserer Sicht hat sich die These<br />
einer Ausweitung externer Arbeitsmarktorientierungen,<br />
wie sie implizit und explizit<br />
von Voß und Pongratz in ihrem Aufsatz von<br />
1998 vertreten wurde, nicht bestätigt. Dies
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 148<br />
gilt insbesondere für die uns interessierenden<br />
Normalarbeitsverhältnisse. So haben die neueren<br />
empirischen Analysen von Pongratz und<br />
Voß (Pongratz 2004; Voß/Pongratz 2003) die<br />
Arbeitskraftunternehmer-These stark relativiert.<br />
Klaus Dörre u.a. (Brinkmann u.a. 2006;<br />
Dörre u.a. 2004; Dörre 2005b, S.254) kommen<br />
mit guten Argumenten zu einer Gegenthese,<br />
der zufolge die Existenz und Ausweitung einer<br />
Zone der Prekarität und Entkopplung auf dem<br />
Arbeitsmarkt zu einer Verunsicherung der<br />
Normalbeschäftigten in der Zone der Integration<br />
mit Anpassungs- und Disziplinierungseffekten<br />
führt.<br />
Will man diese Fragen prüfen, braucht man<br />
einen erweiterten Begriff von Erwerbsorientierungen,<br />
der unterschiedliche Lösungen<br />
von subjektivem Problemdruck zulässt. Wir<br />
differenzieren daher Erwerbsorientierungen<br />
in Arbeitsmarktorientierung (intern/extern),<br />
Leistungsorientierung und Konfliktorientierung<br />
im Betrieb. Wir wollen prüfen, ob<br />
Unsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen zu<br />
einer betriebsinternen Arbeitsmarktorientierung<br />
sowie zu hoher Leistung und Anpassung<br />
im Betrieb führt. Zu dieser Thematik haben<br />
wir im Leitfaden eine Vielzahl von Fragen vorgesehen.<br />
Folgende Stimulusfragen bilden unter<br />
anderem die Grundlage unserer Betrachtungen<br />
(vgl. Leitfaden im Appendix I):<br />
Sie haben Ihren Arbeitsplatz als …%<br />
sicher und …% unsicher eingeschätzt.<br />
Wie geht man eigentlich damit um? Was<br />
machen Sie in dieser Situation?<br />
Welche Folgen hat das [Bedeutung der Arbeitsplatzsicherheit]<br />
für Sie?<br />
Welche Einflussmöglichkeiten hat man als Beschäftigter?<br />
Wie nehmen Sie Einfluss?<br />
Würden Sie dafür [Erhöhung der Sicherheit]<br />
auch Abstriche bei Lohn/Gehalt und Arbeitszeit<br />
hinnehmen?<br />
Sucht man nach Alternativen?<br />
Haben Sie einen Plan B für den Fall, dass Sie<br />
Ihren Arbeitsplatz verlieren?<br />
Gibt es Konflikte innerhalb Ihres Arbeitsbereichs<br />
in Bezug auf Arbeitsplatzunsicherheit?<br />
Unseren Auswertungen legen wir die Antworten<br />
auf diese Fragen zugrunde. Mittels dieser<br />
und weiterer, sich aus dem Gesprächsverlauf<br />
ergebender, spezifischer Textpassagen werden<br />
im Folgenden die Erwerbsorientierungen rekonstruiert<br />
und anschließend typisiert. Dabei<br />
stützen wir uns nicht nur auf direkte Antworten<br />
auf unsere Fragen, sondern interpretieren<br />
auch Textpassagen, die nur indirekt mit den<br />
„Handlungsfragen“ zusammenhängen.<br />
Im folgenden Abschnitt wird zunächst die<br />
Hypothese einer hohen Betriebsbindung and<br />
Anpassung geprüft. Ausgehend von einer<br />
heuristischen und deskriptiven Typologie<br />
von Erwerbsorientierungen erfolgt eine erste<br />
Kategorisierung der betrachteten Fälle. Im<br />
Zuge dieser vorläufigen Einteilung werden die<br />
Kategorien interne und externe Arbeitsmarktorientierung<br />
sowie Konfliktorientierung näher<br />
erläutert. Mit Hilfe dieses Rasters lassen sich<br />
erste Aussagen über die Erwerbsorientierungen<br />
der Befragten treffen.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Weiterhin werden in Abschnitt 5.3 die Leistungsorientierungen<br />
der Befragten näher<br />
betrachtet. Bedingt durch die sich ergebenden<br />
Schwierigkeiten bei der Einordnung und<br />
Erfassung, erfolgt im Anschluss daran eine<br />
graduelle Erweiterung des Ansatzes. Ziel ist<br />
demzufolge eine deskriptiv gerichtete Typologie<br />
der Erwerbsorientierungen. Im Abschnitt<br />
5.4 fassen wir die zentralen Ergebnisse der<br />
einzelnen Betrachtungsschritte zusammen<br />
und suchen dann, ausgehend von ihnen, im<br />
Abschnitt 6 nach Zusammenhängen zur wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzunsicherheit und<br />
möglichen Erklärungsansätzen.<br />
5.2 Arbeitsmarkt- und Konfliktorientierungen<br />
– eine Übersicht<br />
Unsere Hypothese geht von hoher Betriebsbindung<br />
und Anpassung bei Normalbeschäftigten,<br />
also nicht Abwanderung und Konfliktverhalten<br />
aus. Als interne Orientierung wird im Anschluss<br />
an Pongratz (2004) und Witzel (2000) eine<br />
Arbeitsmarktorientierung verstanden, die sich<br />
auf den betrieblichen Arbeitsmarkt beschränkt.<br />
So gehen wir mit Pongratz davon aus, dass bei<br />
den Befragten eine „starke Bindung an den<br />
Betrieb“ vorherrscht. Auf die These der Disziplinierungseffekte<br />
der „Stabilen“ von Dörre<br />
gestützt, legen wir der Analyse die Vermutung<br />
zugrunde, dass Unsicherheit mit Anpassung<br />
und nicht mit Konfliktbereitschaft einhergeht.<br />
Eine zweidimensionale Matrix<br />
Ausgehend von unserer Hypothese hoher<br />
Betriebsbindung und Anpassung bei Beschäftigten<br />
in Normalarbeitsverhältnissen, sortieren<br />
wir die Fälle in einem ersten Schritt nach zwei<br />
Dimensionen der Arbeitsmarktorientierung<br />
(intern, extern) und der Konfliktbereitschaft<br />
(Anpassung, Konflikt). Diese Matrix wendet<br />
die grundlegenden Arbeiten von Hirschman<br />
(1970) auf unser Forschungsfeld an und soll im<br />
Folgenden kurz erläutert werden.<br />
Wesentlich unterscheiden sich interner und<br />
externer Arbeitsmarkt in der Dauer der jeweils<br />
vorherrschenden Beschäftigungsverhältnisse in<br />
den Betrieblichen Beschäftigungs-Sub-Systemen<br />
(zu BBSS siehe Kapitel 3). Während<br />
in Geschlossenen BBSS langfristige Beschäftigung<br />
vorherrscht, sind Offene BBSS in<br />
externen Arbeitsmärkten durch kurzfristige<br />
Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Bei den in<br />
der Lehrforschung Befragten handelt es sich<br />
überwiegend um Beschäftigte mit Normalarbeitsverhältnissen<br />
in Geschlossenen BBSS. Vor<br />
diesem Hintergrund wollten wir die Arbeitsmarktorientierungen<br />
der Befragten erfassen<br />
und darstellen. Die Frage ist also, ob sich die<br />
Beschäftigten ausschließlich im Betrieb verorten,<br />
zum Beispiel durch Weiterbildungen zur<br />
Verbesserung der eigenen Position, oder ihren<br />
Blick auch auf die Chancen auf dem externen<br />
Arbeitsmarkt richten.<br />
Die „berufsbiographischen Gestaltungsmodi“<br />
von Witzel und Kühn (2000) beziehen sich auf<br />
Berufsanfänger, liefern aber einen guten Beleg<br />
für die Relevanz der hier vorgeschlagenen<br />
Unterscheidung von internen<br />
und externen Arbeitsmarktorientie-<br />
Seite 149<br />
rungen. Die von Witzel und Kühn<br />
aufgestellten Typen unterscheiden sich<br />
unter anderem hinsichtlich ihrer Biographiegestaltung.<br />
Während die beiden Typen Betriebsidentifizierung<br />
und Lohnarbeiterhabitus
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
der Kategorie Statusarrangement sich durch<br />
eine geschlossene Biographiegestaltung und<br />
das Streben nach Erhalt des Arbeitsplatzes<br />
auszeichnen, richtet der Typus Chancenoptimierung<br />
der Kategorie Karriereambition<br />
seinen Blick auch auf den überbetrieblichen<br />
Arbeitsmarkt (Witzel/Kühn 2000).<br />
Aus pragmatischen Gründen mussten wir im<br />
Rahmen der Lehrforschung eine einfache und<br />
eher deskriptive Definition von „intern“ und<br />
„extern“ entwickeln. Da wir es mit unbefristet<br />
Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen<br />
zu tun haben, legen wir als Unterscheidungsmerkmal<br />
konkrete Aktivitäten in Bezug auf<br />
den externen Markt zugrunde. Wer also in der<br />
untersten Aktivitätskategorie eine Bereitschaft<br />
zum Stellenwechsel signalisiert und etwas<br />
dafür tut (Weiterbildung, Suche nach Alternativen)<br />
oder einen konkreten Ausweichplan hat,<br />
den er bei einem Arbeitsplatzverlust anstrebt,<br />
wird der Gruppe der externen Orientierung<br />
zugerechnet:<br />
Bauunternehmen, Maurer, 42 J.: „Man guckt<br />
schon bissl. Manchmal in den Zeitungen,<br />
ob man irgendwas Leichteres findet und<br />
wo man natürlich keine Lohneinbüßungen<br />
macht.“ (B: 3)<br />
Metall verarbeitender Betrieb Monteur, 34<br />
J.: „Ja. Na (äh) Bewerbungen geschrieben,<br />
bei anderen Firmen beworben und<br />
Seite 150 so weiter.“ (M: 1)<br />
Im Gegensatz dazu werden alle diejenigen,<br />
die keine der genannten externen Aktivitäten<br />
zeigen, der Kategorie interne Arbeitsmarktorientierung<br />
zugewiesen. Durch diese sehr weiten<br />
Definitionen setzen wir unsere Hypothese der<br />
hohen Betriebsbindung einem starken Test<br />
aus.<br />
Auch in der Konfliktdimension entscheiden<br />
wir uns für eine weite Definition der Konfliktbereitschaft,<br />
um unsere Anpassungsthese<br />
einem starken Test zu unterziehen. Der Konfliktgruppe<br />
ordnen wir alle Beschäftigten zu,<br />
die Konfliktbereitschaft signalisieren. Dabei<br />
kann es sich z.B. um passiven Dienst nach<br />
Vorschrift, aber auch um aktiven individuellen<br />
oder kollektiven Widerspruch handeln. Alle<br />
anderen Befragten, die ihre Handlungen an die<br />
Gegebenheiten und Anforderungen im Betrieb<br />
angleichen (z.B. durch Verzicht auf Lohnerhöhung,<br />
Akzeptanz von Mehrarbeit, keine<br />
Eigeninitiative zeigen) und darüber hinaus<br />
keine Konfliktmerkmale aufweisen, werden der<br />
Anpassungsgruppe zugerechnet. Die folgende<br />
Tabelle (Tabelle 5.2.1) zeigt eine Einteilung<br />
der Befragten hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktorientierung<br />
und Konfliktorientierung.<br />
Unseren Erwartungen entsprechend, zeigt sich<br />
bei der überwiegenden Zahl der Befragten eine<br />
deutliche interne Arbeitsmarktorientierung.<br />
Nur bei 14 (26,9%) der 52 Beschäftigten lassen<br />
sich externe Arbeitsmarktorientierungen<br />
erkennen. Dies bestätigt zunächst unsere Ausgangshypothese<br />
einer Betriebsbindung, d.h.<br />
die Mehrheit der Befragten sucht nicht nach<br />
Alternativen auf dem externen Arbeitsmarkt.<br />
Weiterhin wird bezüglich der Konfliktorientierung<br />
deutlich, dass rund zwei Drittel der<br />
Beschäftigten (33 von 52) sich eher anpassen<br />
als Konflikte zu riskieren. Allerdings ist eine<br />
starke Minderheit von etwa einem Drittel der<br />
Beschäftigten (19 von 52) dazu bereit, größere
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Arbeitsmarktorientierung<br />
Konfliktorientierung<br />
Intern Extern Gesamt<br />
Anpassung<br />
B: 1,5<br />
BkV: 4,5,9<br />
C: 2,5,6-8<br />
G: 3,5,12,14<br />
H: 2<br />
M: 2,3,8,14,15<br />
P: 1,2<br />
UnD: 2,3<br />
C: 4<br />
G: 2,6-8,11<br />
M: 5,6<br />
UnD: 5<br />
= 24<br />
= 9 33<br />
(63,5%)<br />
Konflikt<br />
B: 2<br />
BkV: 1,2,7,8,10<br />
C: 3<br />
G: 9,10,13<br />
M: 9,12<br />
P: 3<br />
UnD: 4<br />
= 14<br />
B: 3<br />
BKV: 6<br />
G: 4<br />
H: 1<br />
M: 1<br />
= 5 19<br />
(36,5%)<br />
Gesamt<br />
38<br />
(73,1%)<br />
14<br />
(26,9%)<br />
N = 52<br />
(100%)<br />
Tabelle 5.2.1: Arbeitsmarktorientierung und Konfliktorientierung<br />
Seite 151
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
oder kleinere Konflikte im Sinne unserer weiten<br />
Definition zu riskieren. Die Erwerbsorientierungen<br />
und Handlungen dieser Befragten<br />
verweisen eindeutig auf Konfliktbereitschaft.<br />
Konfliktorientierung im Betrieb – eine Vertiefung<br />
der Matrix<br />
Wie oben ausgeführt, gehen wir von einer<br />
weiten Definition von Konflikt aus und<br />
identifizieren bei rund einem Drittel der Befragten<br />
Konfliktbereitschaft. Diese wollen wir<br />
im Folgenden detaillierter betrachten. Dazu<br />
unterscheiden wir die Konfliktorientierung<br />
zunächst in passiv und aktiv, bei letzterer<br />
differenzieren wir weiter zwischen aktiv-individuellem<br />
und aktiv-kollektivem Konflikt.<br />
Aktiv-individueller Konflikt bedeutet z.B. eine<br />
Beschwerde beim Chef. Im Gegensatz dazu ist<br />
unter aktiv-kollektivem Konflikt der gemeinsame<br />
Protest oder die Teilnahme an Aktionen<br />
zusammengefasst, die durch Betriebsrat oder<br />
Gewerkschaft initiiert wurden. Passiver Konflikt<br />
umfasst Arbeitsverhalten, das sich durch<br />
Leistungszurückhaltung, mehr Kranktage,<br />
bewusste Fehler oder „innere Kündigung“ und<br />
Dienst nach Vorschrift auszeichnet.<br />
Nur bei einer, allerdings starken, Minderheit<br />
unserer Fälle finden wir Konfliktbereitschaft.<br />
Tabelle 5.2.2 zeigt, dass in dieser Gruppe<br />
aktive Protestformen dominieren. So geben<br />
12 der 19 Konfliktbereiten an, sich an<br />
aktiven und kollektiven Konflikten<br />
Seite 152 wie gemeinsamem Protest oder dem<br />
Zusammenschluss im Betriebsrat<br />
zu beteiligen. Ebenso deutlich wird bei den<br />
Beschäftigten die Neigung zu aktiv-individuellem<br />
Konflikt. Diese 19 Konfliktfälle relativieren<br />
unsere pauschalen Annahmen über<br />
konfliktlose Anpassung an die Gegebenheiten<br />
im Betrieb. Neben Anpassungsstrategien weisen<br />
diese Befragten ebenso das Engagement<br />
auf, sich kollektiv zu organisieren als auch<br />
individuelle Beschwerden vorzubringen.<br />
Für passiv-individuellen Konflikt (innere Kündigung)<br />
lässt sich exemplarisch eine Geschäftsstellenleiterin,<br />
45 Jahre, Versicherungsbranche<br />
(BkV: 2), anführen:<br />
„Und ich weiß auch nicht, was ich danach<br />
machen werde, aber das macht mich auch<br />
heute noch nicht heiß. Weil ich denke, solange<br />
ich nicht den goldenen Löffel klaue,<br />
müssen sie mich schon irgendwo unterbringen.<br />
*lacht* Naja, das ist so. Und auch<br />
vom Gehalt her- eigentlich haben sie keine<br />
Handhabe, keine Möglichkeit mir da was<br />
abzuknapsen. Und natürlich muss ich auch<br />
sagen, bin ich äh so geschickt, jetzt meine<br />
innere Einstellung jetzt nicht irgendwie<br />
durchblicken zu lassen. Also, weder bei<br />
den Kollegen. Und Klar sagen wir mal, „oh,<br />
wir haben heut keine Lust“ oder so oder<br />
„ich habe dazu keine Lust“. Aber, das denk<br />
ich ist gut, wenn man das auch mal sagen<br />
kann, wenn das erlaubt. Das hat jetzt damit<br />
nichts zu tun. Aber diese Grundstimmung<br />
so, da bin ich einfach geschickt genug, um<br />
das nicht- und mein Chef würde aus allen<br />
Wolken fallen, wenn der das erfahren würde<br />
oder so. Weil, das ist- ich weiß genau, welche<br />
Karten ich Zeigen muss und das mach<br />
ich und das verkauf ich auch ordentlich und<br />
damit versuch ich mir da auch nicht (*) 24 na<br />
ja irgendwas einzuhandeln.“
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Konfliktorientierung passiv-individuell aktiv-individuell aktiv-kollektiv<br />
Fälle nach<br />
höchstem<br />
Konfliktniveau<br />
BkV: 2* BkV: 1<br />
C: 3<br />
G: 4*,9,10<br />
UnD: 4<br />
B: 2,3<br />
BkV: 6-8,10*<br />
G: 13*<br />
H: 1<br />
M: 1,9,12<br />
P: 3<br />
Gesamt: N = 19<br />
(100%)<br />
1<br />
(5,3%)<br />
6<br />
(31,6%)<br />
12<br />
(63,1%)<br />
Tabelle 5.2.2: Vertiefte Konfliktorientierung 23<br />
5.3 Leistungsorientierungen<br />
Basierend auf dem Teilergebnis des 4. Kapitels<br />
zur Sicherheitskonstruktion durch Leistung,<br />
wollen wir im Folgenden den Fokus auf die<br />
betrieblichen Leistungsorientierungen der<br />
Befragten legen. Die Dimension Leistungsorientierung<br />
muss hier deutlich von der bereits<br />
betrachteten Konfliktdimension unterschieden<br />
werden. In der Konfliktdimension geht es pauschal<br />
um den Umgang mit den Vorgaben des<br />
Managements in Bezug auf alle Bestandteile<br />
der Beschäftigungsbeziehung (Lohn/Leistung,<br />
Arbeitsbedingungen und Arbeitszeit, Arbeitsbeziehungen,<br />
Führungsstile etc.) und um Formen<br />
des Protests. Die Leistungsorientierung<br />
bezieht sich dagegen speziell auf die Arbeitsleistung<br />
im Betrieb: Es geht um das Maß der<br />
erbrachten Leistung und die damit einhergehende<br />
Eigeninitiative. Diese Differenzierung<br />
erwies sich als notwendig, weil Orientierungen<br />
und Handlungen in beiden Dimensionen bei<br />
vielen Befragten auseinander laufen. So sind<br />
häufig gerade die betrieblichen „Leistungsträger“<br />
diejenigen, die auch bereit sind Konflikte<br />
einzugehen.<br />
Aktive und passive Leistungsorientierungen<br />
– eine Deskription des Samples<br />
In einem ersten Schritt fragen wir in deskriptiver<br />
Absicht nach dem Aktivitätsniveau der<br />
Leistung in Bezug auf die betrieblichen<br />
Vorgaben. Eine Einordnung<br />
in die Kategorien passive und aktive<br />
Seite 153<br />
Leistungsorientierung unterscheiden<br />
wir vorwiegend auf der Grundlage der Eigeninitiative<br />
und des Maßes der erbrachten Leistung<br />
der Befragten: Als aktiv charakterisieren<br />
wir alle diejenigen Befragten, die mindestens
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
eines der folgenden Merkmale erkennen lassen:<br />
- Beteiligung an Weiterbildungen<br />
- Streben nach einem schwer<br />
ersetzbaren Berufsprofil durch<br />
Leistung und Qualifikation<br />
- Erfüllung freiwilliger<br />
Zusatzaufgaben<br />
- Ergreifung von Eigeninitiative<br />
- Bestehen einer hohen<br />
Leistungsbereitschaft<br />
- Bereitschaft mit Kollegen zu<br />
konkurrieren<br />
Wenn keine der genannten Aktivitäten und<br />
Einstellungen aus den Interviews erkennbar<br />
werden, sprechen wir von einer passiven<br />
Leistungsorientierung. Exemplarisch lässt<br />
sich die Differenzierung in passive und aktive<br />
Leistungsorientierung anhand eines befragten<br />
Bauleiters, 44 Jahre, Handwerksbetrieb (B: 1)<br />
und eines befragten Vorarbeiters, 35 Jahre,<br />
Baubranche (B: 2) erläutern.<br />
Der Bauleiter wird aufgrund folgender Indikatoren<br />
in die Kategorie passive Leistungsorientierung<br />
eingeordnet. Zum einen<br />
sieht der Befragte keine Möglichkeit<br />
Seite 154 auf sein subjektives Sicherheitsgefühl<br />
von 50% Einfluss zu nehmen. Er fühlt<br />
sich in dieser Situation handlungsohnmächtig<br />
und ist deshalb ausschließlich zu Weiterqualifikationen<br />
bereit, „wenn ich einen Sinn drinne<br />
sehen würde“. Darüber hinaus sucht er auch<br />
keine Alternativen zu seiner jetzigen Situation<br />
und ist durchaus bereit, Abstriche bei Lohn<br />
und Arbeitszeit hinzunehmen, um so seine<br />
Sicherheitslage zu verbessern.<br />
Der interviewte Vorarbeiter (B: 2) schätzt<br />
seine Einflussmöglichkeiten auf die eigene<br />
Sicherheitslage ebenso gering ein. Er versucht<br />
allerdings trotzdem seine Sicherheitslage, unter<br />
anderem durch Zusatzqualifikation/Weiterbildungen,<br />
zu verbessern. In der Vergangenheit<br />
war er durchaus bereit, für seine Sicherheitslage<br />
die geforderte Mehrarbeit in Kauf zu nehmen.<br />
Es wird also deutlich, dass auch bei dem Vorarbeiter<br />
passive Orientierungen zu verzeichnen<br />
sind. Aufgrund der aktiven Bemühungen<br />
ordnen wir ihn dennoch der Kategorie aktive<br />
Leistungsorientierung zu.<br />
Neben der bereits in der ersten Übersicht dargestellten<br />
überwiegend internen Arbeitsmarktorientierung<br />
der befragten Beschäftigten, dominiert<br />
hier eine aktive Leistungsorientierung<br />
in unserem Sample (Tabelle 5.3.1). Die Leistungsorientierungen<br />
von mehr als vier Fünftel<br />
(44 von 52) der Interviewten sind vorwiegend<br />
durch die genannten aktiven Eigenschaften<br />
gekennzeichnet, d.h. bei fast allen Beschäftigten<br />
ist eine gesteigerte Leistungsbereitschaft<br />
erkennbar. Demgegenüber weisen nur acht<br />
Akteure eine Leistungsorientierung mit vorherrschend<br />
passiven Merkmalen auf.<br />
Eine vertiefende Typologie basaler Leistungsorientierungen<br />
Die vorangestellte Analyse aus der Lehrforschung<br />
erlaubt einen ersten deskriptiven<br />
Überblick über die Leistungsorientierungen<br />
der Befragten. Für ein vertiefendes Verständ-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Aktiv<br />
Passiv<br />
Leistungsorientierung<br />
B: 2,3,5<br />
BkV: 1,4-10<br />
C: 3-8<br />
G: 2-10,12,13<br />
H: 1<br />
M: 1-3,6,9,12,14,15<br />
P: 1-3<br />
UnD: 2-5<br />
B: 1<br />
BkV: 2<br />
C: 2<br />
G: 11,14<br />
H: 2<br />
M: 5,8<br />
Gesamt: N = 52<br />
(100%)<br />
44<br />
(84,6%)<br />
8<br />
(15,4%)<br />
Tabelle 5.3.1: Leistungsorientierung<br />
nis dieser Orientierungsmuster wollen wir<br />
versuchen, einen ersten Blick auf den Zusammenhang<br />
mit anderen Wahrnehmungs- und<br />
Handlungsdimensionen zu werfen, um daraus<br />
eine Typologie basaler Leistungsorientierungen<br />
zu entwickeln. Es gilt, den Modus der<br />
Arbeitstätigkeit zu erfassen, wobei dies in erster<br />
Linie über eine Spezifikation der qualitativen<br />
Aspekte der Erwerbsorientierung erfolgt. 25<br />
Hierfür wird eine konzeptuelle Verfeinerung<br />
der Leistungsorientierungen vorgenommen,<br />
denn eine binäre Unterscheidung in passiv und<br />
aktiv – wie sie im Rahmen der Lehrforschung<br />
vorgenommen wurde – reicht dazu nicht aus.<br />
Erstens ermöglicht die theoretische Konzeption<br />
nur eine dichotome Unterteilung der<br />
Leistungsorientierungen in passive und aktive,<br />
während die empirisch erwartbare und auch<br />
nachgewiesene Kombination verschiedener<br />
konkreter Handlungen eher eine graduelle<br />
Abstufung der im Aktivitätsgrad differierenden<br />
Leistungsorientierungen nahe legt.<br />
Besonders problematisch wird die dichotome<br />
Konzeption bei dem Versuch einer trennscharfen<br />
Abgrenzung zwischen passiv und<br />
aktiv Orientierten. Hier stößt das Modell nur<br />
allzu schnell an seine Grenzen.<br />
Zweitens fließt eine äußerst heterogene<br />
Bandbreite an Handlungsmustern in ein und<br />
denselben Handlungstypus ein. Insbesondere<br />
fällt auf, dass sowohl Beschäftigte, die<br />
kaum Handlungsfolgen zeigen, als<br />
auch Beschäftigte, die außerordent-<br />
Seite 155<br />
lich viele passive Anpassungshandlungen<br />
erkennen lassen, gemäß der bisherigen<br />
Einteilung der Gruppen, der passiven Leistungsorientierung<br />
zugeordnet werden. Dieser<br />
Unterschied könnte jedoch möglicherweise
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
zwei unterschiedliche Leistungsorientierungen<br />
implizieren.<br />
Drittens bleibt der Einfluss des beruflichen<br />
Kontextes, insbesondere Art und Umfang der<br />
berufs- und arbeitgeberspezifischen Anforderungen,<br />
auf die jeweilige Bedeutung von<br />
einzelnen Handlungsfolgen unberücksichtigt.<br />
Denn beispielsweise ist eine Weiterbildung,<br />
die in einem Rahmen geschieht, der es dem<br />
Arbeitnehmer leicht macht, Weiterbildungsmaßnahmen<br />
in Anspruch zu nehmen bzw.<br />
wo solche explizit gefordert und bereit gestellt<br />
werden, deutlich zu trennen von einer<br />
Durchführung von Weiterbildungen, die vom<br />
Arbeitgeber weder gefördert noch gefordert<br />
werden. Der Grad des damit verbundenen<br />
Aufwands und der Motivation, diesen auf sich<br />
zu nehmen variiert beträchtlich. Deshalb müssen<br />
die jeweiligen Handlungen, wenn möglich,<br />
im Kontext betrachtet werden.<br />
Den hier dargestellten Schwierigkeiten<br />
versuchen wir im Folgenden mit einer Typologie<br />
der basalen Leistungsorientierungen<br />
in Normalarbeitsverhältnissen zu begegnen,<br />
die einen vertiefenden Zugang zu den oben<br />
beschriebenen Ansätzen ermöglicht. Diese<br />
Typologie soll die Leistungsorientierung von<br />
Beschäftigten näher spezifizieren. Eine ähnliche<br />
Typologie wurde von Voß und Pongratz<br />
(1998) entwickelt. Sie unterscheiden drei Typen<br />
von Leistungs-orientierung bei<br />
Beschäftigten, wobei hier ebenfalls<br />
Seite 156 die „Art und Weise wie die Beschäftigten<br />
ihre Arbeitsleistung erbringen<br />
wollen“ (ebd. S.65) und „die Begründungen<br />
für das persönliche Arbeitsengagement“ (ebd.<br />
S.66) betrachtet werden. Allerdings entsprechen<br />
diese Typen nur begrenzt den unseren,<br />
was auf die unterschiedlichen zugrunde liegenden<br />
Fragestellungen zurückgeführt werden<br />
kann. Voß und Pongratz systematisierten die<br />
Handlungen und Haltungen, die sich aus einer<br />
veränderten Arbeitsorganisation im Zuge von<br />
betrieblichen Reorganisationsmaßnahmen<br />
ergeben. Wir fragten hingegen vorrangig<br />
nach Handlungs-orientierungen, die mit dem<br />
Sicherheitsempfinden der Befragten in Zusammenhang<br />
stehen könnten.<br />
Unsere Typologie ist darauf ausgelegt, ein<br />
möglichst breites Spektrum an Handlungen zu<br />
erfassen. Die Leistungsorientierung wird hierbei<br />
eine von mehreren Eigenschaften sein, mit<br />
deren Hilfe die Fälle unterschieden werden. Es<br />
werden weitere Elemente in die Analyse einbezogen,<br />
um eine grobe Skizze der verschiedenen<br />
Erwerbsorientierungen der befragten Beschäftigten<br />
zu entwerfen. Es werden im Folgenden<br />
drei Typen unterschieden: a) Unterwerfung,<br />
b) Anforderungen erfüllen und c) Maßstäbe setzen.<br />
26 Die Typen werden ausgehend von dem<br />
empirischen Material entwickelt und anhand<br />
von exemplarischen Fällen illustriert, deren<br />
Handlungsorientierungen am vollständigsten<br />
den beschriebenen Merkmalen entsprechen.<br />
Es handelt sich bei dieser Typologie insofern<br />
um Idealtypen.<br />
a) Unterwerfung:<br />
Fälle, die eine Handlungstendenz dieser Art<br />
aufweisen, zeichnen sich insbesondere durch<br />
eine ausgeprägte Passivität aus.<br />
Allgemeinarztpraxis, Arzthelferin, 36 Jahre:<br />
„[…] ich müsste eigentlich auch mal hingehen,<br />
müsste sagen, also haben Sie schon mal<br />
mitgekriegt, dass ich mich überfordert fühl,
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
dass ich im Moment so richtig kaputt bin<br />
und so und auch mal Fehler mach und so.<br />
So was müssten wir eigentlich machen, aber<br />
das macht keiner von uns.“(G: 3)<br />
Wie sich diese Passivität äußert, soll anhand<br />
der Aussagen einer 36-jährigen Krankenschwester<br />
(G: 5) dargestellt werden, welche<br />
in einem städtischen Krankenhaus beschäftigt<br />
ist. Arbeitnehmer, die diesen Handlungstypus<br />
aufweisen, nehmen verschlechtere Arbeitsbedingungen<br />
auch ohne adäquaten Ausgleich in<br />
Kauf.<br />
„Ich bin eigentlich sehr zufrieden, muss<br />
ich sagen, aber da sich der Arbeitsbereich<br />
in den letzten Jahren größer geworden ist,<br />
was eben diese Schreibarbeiten betrifft, was<br />
vor Jahren nicht war, durch die ganze Gesundheitspolitik<br />
und da könnte man sagen,<br />
müsste im Schnitt ein bis zwei Schwestern<br />
pro Schicht mehr arbeiten, weil das ist ein<br />
Mehraufwand in jeder Schicht von mindestens<br />
zwei Stunden und das schlaucht, auf<br />
deutsch gesagt, da muss man, man wird immer<br />
schneller mit arbeiten, weil man muss<br />
ja ein bestimmtes Pensum schaffen und<br />
das ist schon ganz schön extrem geworden,<br />
also das ist ein bisschen, das hat sich sehr<br />
zum Negativen entwickelt, was nicht nur<br />
ich sage, sondern alle anderen auch, das ist<br />
so.“ Und „[…] dass sowieso schon extreme<br />
Kürzungen bei uns eingetreten sind, ist es<br />
sehr schwierig da zu sagen, ich kann auf,<br />
was weiß ich, noch 200 Euro weniger verzichten“<br />
Es wird keine Eigeninitiative gezeigt:<br />
„[…] wir arbeiten eben nur und hoffen,<br />
dass wir noch ein paar Jahre können.“<br />
Man verzichtet bewusst auf Rechte und Konflikt.<br />
„Aber wir können, man kann nicht irgendwo<br />
hingehen und sagen, hier das gefällt<br />
mir nicht, dies nicht, man kann wirklich<br />
nur auf Arbeit gehen, machen, was sie<br />
von einen wollen und mehr nicht, das ist<br />
so und sicherlich auch in jedem anderen<br />
Arbeitsbereich oder Arbeitsberuf, sage ich<br />
mal. Es ist so, es traut sich auch keiner was<br />
zu sagen, weil dann heißt es, pass auf, wenn<br />
es dir nicht passt, dann geh und gut.“ Die<br />
Konsequenz ist: „Wir nehmen alles hin,<br />
müssen es hinnehmen.“<br />
Es erfolgen vorrangig passive Handlungen<br />
und die Einstellung gegenüber den eigenen<br />
Einflussmöglichkeiten zur Verbesserung der<br />
Arbeitsplatzsicherheit ist als resigniert zu<br />
bezeichnen.<br />
„Wir gehen nicht anders an die Arbeit<br />
heran, wir arbeiten ganz normal weiter,<br />
so als ob das eben so ist. Ich meine, wir<br />
diskutieren öfter mal in der Runde, was<br />
könnte man anders machen, dies, das, jenes,<br />
aber im Endeffekt, wir gehen<br />
nirgends wohin und sagen hier<br />
horch zu, das und das wollen wir<br />
Seite 157<br />
anders machen, so und so geht es<br />
besser, weil es bringt nichts, es ist wirklich<br />
so, wir arbeiten, sagen nichts, denken uns<br />
manchmal unseren Teil und sind froh, dass<br />
wir noch gehen können.“
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 158<br />
Überdies wurde von den beiden betreffenden<br />
Arbeitnehmerinnen ein Gefühl der Überforderung<br />
beschrieben, das mit einer subjektiv<br />
wahrgenommenen Handlungsohnmacht<br />
einhergeht. Eine Arzthelferin, 44 Jahre, die<br />
in einer kleinen Allgemeinarztpraxis arbeitet,<br />
bemerkt:<br />
„Dann mal irgendwie zu sagen hier als das,<br />
zum Beispiel jetzt, dass ich halt, ich müsste<br />
eigentlich auch mal hingehen, müsste sagen,<br />
also haben Sie schon mal mitgekriegt,<br />
dass ich mich überfordert fühl, dass ich<br />
im Moment so richtig kaputt bin und so<br />
und auch mal Fehler mach und so. So was<br />
müssten wir eigentlich machen, aber das<br />
macht keiner von uns.“ (G: 3)<br />
b) Anforderungen erfüllen:<br />
Im Gegensatz zum Handlungstyp der Unterwerfung<br />
sind die zwei nachfolgend beschriebenen<br />
Typen deutlich aktiver. Jedoch divergiert<br />
der Aktivitätsgrad der Beschäftigten,<br />
die sich zwar tendenziell anpassen, aber keine<br />
Handlungen im Sinne einer Unterwerfung<br />
zeigen, so stark, dass dem mit der Trennung<br />
in die zwei Typen Anforderungen erfüllen und<br />
Maßstäbe setzen Rechnung getragen wurde.<br />
Zur Illustration des Handlungstyps „Anforderungen<br />
erfüllen“ werden an dieser Stelle die<br />
Aussagen eines Krankenpflegers einer<br />
Universitätsklinik, 34 Jahre (G: 14),<br />
wiedergegeben.<br />
Uniklinik, Krankenpfleger, 34 Jahre „Ich<br />
sag mal so ich tu auf jeden Fall nichts dafür,<br />
dass es unsicherer wird. Aber im Mo (*) 27<br />
dass es großartig noch sicherer wird tu ich<br />
natürlich auch nicht viel dafür.“(G: 14)<br />
Man unterwirft sich nicht den gestellten Anforderungen,<br />
sondern erbringt die geforderte<br />
Arbeitsleistung, ohne ein überdurchschnittliches<br />
Maß an Arbeitseifer an den Tag zu<br />
legen. Meist bedeutet das im Konkreten, dass<br />
das Hauptaugenmerk auf der Vermeidung von<br />
Fehlern und nicht der besonderen Qualität<br />
der geleisteten Arbeit liegt. So antwortet der<br />
Befragte auf die Frage, welche Möglichkeiten<br />
er sähe, auf seine Sicherheitslage Einfluss zu<br />
nehmen:<br />
„Na gewisse Einflussmöglichkeiten die<br />
denk ich die hat jeder. Also einfach fehlerfreies<br />
Arbeiten, so als ganz grob. Wenn man<br />
viele Fehler macht ist natürlich die Chance,<br />
dass man die Arbeitsstelle verliert natürlich<br />
deutlich höher.“<br />
Dementsprechend lassen sich bei Arbeitnehmern<br />
dieses Typs selten Handlungen<br />
finden, die dazu dienen, sich durch eigene<br />
Leistung und Qualifikation unersetzbar zu<br />
machen.<br />
„Also wenn es nach Leistung geht, dann<br />
hätten andere Leute wahrscheinlich bessere<br />
Chancen als ich.“<br />
Unser Beispielfall antwortet weiterhin bezüglich<br />
der Frage nach Weiterbildungen:<br />
„Ich sehe mich nicht gezwungen im Moment<br />
irgendwelche zusätzlichen (*) freiwilligen<br />
Arbeiten zu übernehmen. Wie könnte<br />
man das beschreiben? Irgendwelche Kurse<br />
geben oder lernen oder... Es gibt da immer<br />
so Kollegen, die dann noch eben freiwillig
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
neben der Arbeit noch irgendwelche Sachen<br />
sich da weiterbilden und das dann an<br />
Kollegen weiter vermitteln das Wissen, aber<br />
das muss man nicht und da sehe ich mich<br />
auch nicht gezwungen dazu.“<br />
Vielmehr verlässt er sich auf den Schutz durch<br />
Sozialkriterien:<br />
„Also es (*) ich weiß nicht ob es so ist, aber<br />
das so zum Gefühl trägt es bei so die Dauer<br />
so, wenn man schon lange dabei ist das man<br />
doch schon auch länger dabei bleiben kann.<br />
Als wenn ich jetzt vor einem halben oder<br />
vor einem Jahr angefangen hätte, so einen<br />
Arbeitsvertrag gekriegt hätte und dann<br />
müssen doch Stellen abgebaut werden, geh<br />
ich davon aus, dass die Alleinstehenden<br />
jüngeren Mitarbeiter, die grad angefangen<br />
haben oder befristete Verträge haben,<br />
dass alles die ersten sind, die dann gehen<br />
müssten.“<br />
Verschlechterte Arbeitsbedingungen werden<br />
nicht uneingeschränkt akzeptiert. Ein anderer<br />
Altenpfleger, angestellt in einem kirchlichen<br />
Pflegeheim, bemerkt hierzu:<br />
„Ich würde nur auf Geld verzichten, wenn<br />
ich unter Druck gesetzt werde und äh das<br />
ist ja ein Leichtes heute, aber nicht freiwillig<br />
[…]sondern nur, wenn er sagen würde,<br />
wenn du es nicht machst, dann fliegst du<br />
oder dann holen wir einen anderen. Dann<br />
würde ich es natürlich machen, weil mir<br />
keine andere Wahl bleibt.“ (G: 9)<br />
c) Maßstäbe setzen:<br />
Personen, die vorrangig dieser Handlungsorientierung<br />
folgen, zeigen in hohem Maße<br />
Handlungen, die darauf abzielen, sich bestmöglich<br />
mit den gegebenen Umständen zu<br />
arrangieren und sie im eigenen Interesse zu<br />
nutzen.<br />
Lokalzeitung, Fotoredakteur, 32 Jahre<br />
„Man darf nie den Tag so beginnen, das ist<br />
meine persönliche Einstellung, dass man da<br />
hin geht und sagt, man lässt die Dinge auf<br />
sich zukommen. Also, selbst Ideen haben,<br />
selbst Ideen umsetzen, selbst die Dinge in<br />
die Hand nehmen.“ (P: 1)<br />
Gerade bei den Befragten aus dem Printmedienbereich<br />
ließen sich besonders klar diese Tendenzen<br />
nachweisen. Der im Folgenden zitierte<br />
Befragte ist ein 32-jähriger Fotoredakteur (P:<br />
1), angestellt bei einer Lokalzeitung.<br />
Arbeitnehmer dieses Typs sind bestrebt, überdurchschnittliche<br />
Leistung zu bringen. Das<br />
Maß ihrer erbrachten Arbeit geht über das<br />
Maß des Geforderten hinaus.<br />
„nicht nur 100 Prozent arbeiten ... das ist<br />
manchmal schon 120, 130 Prozent ... deswegen<br />
ist dieses Gefühl, den Arbeitsplatz<br />
möglicherweise etwas länger zu haben als<br />
alle anderen einfach ein bisschen<br />
da.“; „[…] teilweise eine 50-,<br />
60-Stundenwoche [...] da kann<br />
Seite 159<br />
vielleicht noch ein bisschen mehr<br />
draufgepresst werden. Aber vielmehr geht<br />
einfach nicht mehr.“
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Es wird also versucht, sich durch die eigene<br />
Leistung und eine hohe Qualifikation unersetzbar<br />
zu machen. Letztere wird auch durchaus<br />
in Eigenregie verbessert und erweitert.<br />
„[...] man muss schon zusehen, dass man<br />
nicht einer von vielen ist. Wenn es irgendwann<br />
mal hart auf hart kommt, zählt das<br />
natürlich.“; „[...] jeder sollte nie da stehen<br />
bleiben, wo er gerade ist [...] permanente<br />
Weiterbildung [...] selbst organisiert [...]<br />
ganz wichtig [...] durchaus auch auf andere<br />
Arbeitsfelder [...] die irgendwas mit Kommunikation<br />
zu tun haben.“<br />
Man stellt hohe qualitative Ansprüche an die<br />
eigene Arbeit.<br />
„Und deswegen ist auch meine Überzeugung,<br />
dass ein Angestellter mehr für seine<br />
Arbeitsplatz tun kann, wenn er auch so ein<br />
bisschen als Selbstständiger arbeitet.“<br />
Bei den Befragten dieses Typs häufen sich<br />
Aussagen bezüglich ihrer Identifizierung mit<br />
dem Betriebswohl. Die Qualität ihrer Arbeit<br />
wird damit in direkte Verbindung gesetzt.<br />
„Und was die Arbeitsplatzunsicherheit<br />
anbetrifft, das ist tatsächlich ein wirtschaftlicher<br />
Faktor.“; „[...] wirtschaftlich<br />
begründet auf Privilegien, wie zum Beispiel<br />
Gehalt verzichten. […] ich erwarte,<br />
dass man auch wirtschaftlich denkt“;<br />
Seite 160 „Ich würde, sagen wir, etwas mehr<br />
tun für etwas weniger Geld“ „[….] da<br />
muss man schon richtig kämpfen ...“; „[...]<br />
drei langweilige Ausgaben in Folge können<br />
dazu führen, dass er [der Leser] einfach die<br />
Zeitung nicht mehr haben möchte.“<br />
Verschlechterte Arbeitsbedingungen werden<br />
zwar nicht uneingeschränkt akzeptiert, dennoch<br />
sind gerade Mehrarbeit und Überstunden<br />
bei entsprechender Entlohnung verbreitet.<br />
„Überstunden sind bei uns ein Fremdwort.<br />
Man bringt die zwar, aber sie werden nicht<br />
vergütet, aber ich muss ehrlicherweise der<br />
Fairness halber dazu sagen, das Gehalt ist<br />
überdurchschnittlich hoch [...] jeder weiß<br />
von vornherein, dass er Überstunden zu<br />
machen hat [...]Gehalt ist zu dem, was man<br />
macht angemessen […] das Pensum ist<br />
auch überdurchschnittlich.“<br />
Vereinzelt lässt sich die Tendenz beobachten,<br />
dass, im Bestreben eine unersetzliche Position<br />
einzunehmen, mit den Kollegen in Konkurrenz<br />
gegangen wird. So bemerkt ein anderer<br />
Journalist, der bei einer regional erscheinenden<br />
Tageszeitung angestellt ist:<br />
„Die Medienlandschaft ist allgemein aggressiver<br />
geworden. Das hat sich insofern<br />
bei uns ausgewirkt, dass eben halt die Leute<br />
nicht mehr so sehr zusammenhalten und<br />
sind eine Gruppe, sondern jeder versucht irgendwo<br />
seinen Arbeitsplatz zu sichern bzw.<br />
auch sein Wohlwollen beim Chef.“ (P: 2)<br />
Zum Zwecke der größtmöglichen Vergleichbarkeit<br />
der Fälle wurde versucht, nur solche<br />
Eigenschaften in die Konzeption dieser Typen<br />
einzubeziehen, die in je unterschiedlicher<br />
Intensität bei allen dreien auftraten. Dabei<br />
entstanden folgende Vergleichskategorien:<br />
Das Maß der erbrachten Leistung, das Maß<br />
an Eigeninitiative, die Einstellung gegenüber<br />
den eigenen Einflussmöglichkeiten und die<br />
Inkaufnahme von verschlechterten Arbeits-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Handlungsmuster<br />
Leistungsorientierung<br />
Unterwerfung<br />
Anforderungen<br />
erfüllen<br />
Maßstäbe setzen<br />
Maß an Eigeninitiative<br />
Keine selbstständigen<br />
Schritte und<br />
keine Ergreifung von<br />
Maßnahmen, um<br />
auf die Bedingungen<br />
am Arbeits-platz zu<br />
reagieren und/oder<br />
sie zu verändern<br />
Arbeit wird „wie<br />
bisher“ erledigt, man<br />
richtet sich ausschließlich<br />
nach den verlangten<br />
Erfordernissen<br />
Hohes Maß an<br />
Eigeninitiative wie<br />
Übernahme von<br />
freiwilligen Zusatzaufgaben<br />
und Engagement<br />
zur Verbesserung<br />
der eigenen Leistung<br />
und Qualifikation<br />
Maß der erbrachten<br />
Leistung<br />
Arbeit bis an die<br />
Leistungsgrenzen, um<br />
die gestellten Anforderungen<br />
zu erfüllen<br />
Arbeitnehmer hält<br />
seine erbrachten<br />
Leistungen gegenüber<br />
den gestellten Anforderungen<br />
für angemessen<br />
Selbsteinschätzung der<br />
eigenen Leistungen<br />
als deutlich über dem<br />
geforderten Maß<br />
Einstellung den<br />
eigenen Einflussmöglichkeiten<br />
gegenüber<br />
Ausmaß der<br />
eigenen Leistung hat<br />
keinen Einfluss auf<br />
die Sicherheitslage<br />
Eigener Beitrag<br />
zur Verbesserung<br />
der individuellen<br />
Sicherheitslage wird als<br />
wirksam eingeschätzt<br />
Eigene<br />
Einflussmöglichkeit<br />
auf betriebliche<br />
und individuelle<br />
Sicherheitslage wird als<br />
wirksam eingeschätzt<br />
Akzeptanz von<br />
verschlechterten<br />
Arbeits- und<br />
Einkommensbedingungen<br />
und Verzicht auf<br />
Konzessionen<br />
(Entgegenkommen/<br />
Zugeständnisse)<br />
Inkaufnahme von verschlechterten<br />
Arbeitsbedingungen<br />
ohne<br />
adäquaten Ausgleich.<br />
Inkaufnahme von<br />
verschlechterten<br />
Arbeitsbedingungen<br />
teils mit teils ohne<br />
Forderung nach<br />
adäquatem Ausgleich<br />
Inkaufnahme von verschlechterten<br />
Arbeitsbedingungen<br />
nur mit<br />
adäquatem Ausgleich<br />
(in Form von besserer<br />
Bezahlung oder<br />
höherer Sicherheit)<br />
Tabelle 5.3.2: Typen der Erwerbsorientierung<br />
Seite 161
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
bedingungen mit/ohne adäquaten Ausgleich.<br />
Diese Auswertungsdimensionen stellen einen<br />
ersten Versuch dar, die beobachteten Handlungsmuster<br />
sinnvoll zu kategorisieren. Die<br />
so ermittelten Besonderheiten der einzelnen<br />
Typen sind in Tabelle 5.3.2 dargestellt.<br />
Betrachtet man nun die Verteilung der vorgestellten<br />
Typen der Erwerbsorientierung<br />
(Tabelle 5.3.3 und Abbildung 5.3.1), fällt auf,<br />
dass die deutliche Mehrzahl der Beschäftigten<br />
interne und aktive Handlungsorientierungen<br />
aufweist. Knapp die Hälfte der Befragten (24<br />
von 52) entspricht dem Typ Maßstäbe setzen,<br />
während knapp ein Viertel der Befragten sich<br />
dem Handlungstyp Anforderungen erfüllen zuordnen<br />
lässt. Demgegenüber unterwerfen sich<br />
lediglich zwei Befragte.<br />
Die These einer erhöhten Leistung im beruflichen<br />
Leben scheint also für die anteilsmäßig<br />
größte Gruppe der befragten Beschäftigten,<br />
den „Setzern“ von Maßstäben, zuzutreffen.<br />
Darüber hinaus legen die Ergebnisse nahe,<br />
dass diese Beschäftigten ein erhöhtes Arbeitspensum<br />
haben, welches sie bestrebt sind,<br />
gestalterisch zu bewältigen und es gar selbst<br />
erweitern. Nur ein verschwindend geringer<br />
Anteil von Beschäftigten resigniert aufgrund<br />
der als untragbar hoch empfundenen<br />
Leistungsanforderungen, die sie nichtsdestoweniger<br />
zu erfüllen versuchen.<br />
Allerdings ist dieser Befund mit den<br />
Seite 162 Erkenntnissen über die zweitstärkste<br />
Gruppe von Beschäftigten, die sich<br />
in ihrem Arbeitsverhalten vorwiegend an den<br />
an sie gestellten Anforderungen orientieren,<br />
zu relativieren. Diese Beschäftigten sind zwar<br />
meistenteils bemüht, diese Anforderungen<br />
angemessen zu erfüllen und insofern eher aktiv<br />
leistungsorientiert, zeigen allerdings darüber<br />
hinaus kaum Bemühungen ihre Leistung in<br />
Eigenregie zu erhöhen. Die hinter diesen<br />
Handlungsorientierungen und -mustern<br />
stehenden Motivkonstellationen müssen hier<br />
offen bleiben. Erste Hinweise erarbeiten wir<br />
im Kapitel 6.<br />
5.4 Fazit<br />
Um den Erwerbsorientierungen der interviewten<br />
Beschäftigten auf den Grund zu<br />
gehen, wurden zunächst drei Dimensionen der<br />
Erwerbsorientierung unterschieden: Arbeitsmarktorientierung,<br />
Konfliktorientierung und<br />
Leistungsorientierung. Dabei lassen sich zwei<br />
dominante Orientierungen herausstellen (Tabelle<br />
5.4.1): Erstens zeigen rund drei Viertel<br />
der Beschäftigen (38 von 52) eine starke Betriebsbindung<br />
und zweitens sind vier Fünftel<br />
der befragten Beschäftigten (44 von 52) aktiv<br />
leistungsorientiert. Diejenigen, die sowohl<br />
Betriebsbindung als auch aktive Leistungsorientierung<br />
aufweisen, sind zu drei Fünfteln vergleichsweise<br />
am häufigsten in unserem Sample<br />
vertreten (32 von 52 Fällen).<br />
Der wohl wichtigste Befund dieser Ausführungen<br />
ist, dass eine außerordentliche<br />
Leistungsbereitschaft bei den Befragten zu<br />
verzeichnen ist. Dies kann als ein Hinweis auf<br />
die These von Disziplinierungseffekten in der<br />
Castelschen Zone der Integration gelesen werden.<br />
Gleichwohl kann man es auch als Indiz<br />
im Sinne der Vermarktlichungs- und Subjektivierungsthese<br />
deuten, die u.a. von Moldaschl<br />
(2002), Sauer (2005) oder Schumann (2003)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Arbeitsmarktorientierung<br />
Leistungs-<br />
Orientierung<br />
Unterwerfen<br />
Anforderungen erfüllen<br />
Intern Extern Gesamt<br />
G: 3,5<br />
= 2 - 2<br />
(3,9%)<br />
B: 1,5<br />
B: 3<br />
BkV: 2,9<br />
C: 2,7<br />
G: 9,14<br />
G: 6,7,11<br />
H: 2<br />
M: 3,8<br />
M: 1,5,6<br />
P: 3<br />
= 12<br />
= 7 19<br />
(36,5%)<br />
Maßstäbe setzen<br />
B: 2<br />
BkV: 1,4,5,7,8,10<br />
C: 3,5,6,8<br />
G: 10,12,13<br />
M: 2,9,12,14,15<br />
P: 1,2<br />
UnD: 2-4<br />
= 24<br />
BkV: 6<br />
C: 4<br />
G: 2,4,8<br />
H: 1<br />
UnD: 5<br />
= 7 31<br />
(59,6%)<br />
Gesamt 38<br />
(73,1%)<br />
14<br />
(26,9%)<br />
N = 52<br />
(100%)<br />
Tabelle 5.3.3: Basale Leistungsorientierungen<br />
Seite 163
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
Extern<br />
Intern<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Unterw erfung<br />
Anforderungen<br />
erfüllen<br />
Maßstäbe setzen<br />
Abbildung 5.3.1: Typen von Leistungsorientierung unter Berücksichtung der Arbeitsmarktorientierung (N=52)<br />
diskutiert wird. Es besteht eine Tendenz zur<br />
gesteigerten individuellen Leistung, die über<br />
das Maß an bloßer Anforderungserfüllung<br />
hinausgeht. Unklar bleibt, ob diese gesteigerte<br />
Leistungsbereitschaft mittel- und langfristig<br />
negative Folgen für die Beschäftigten zeitigt<br />
und sich die ArbeitnehmerInnen durch diese<br />
Handlungsorientierung möglicherweise in<br />
eine auf lange Sicht untragbare Anforderungssituation<br />
manövrieren.<br />
Seite 164<br />
Die aktive Leistungsorientierung<br />
ist stark mit dem zweiten Hauptbefund verknüpft.<br />
Rund drei Viertel der Befragten (38<br />
von 52) richten ihren Blick also nicht auf den<br />
externen Arbeitsmarkt, wie es das Modell des<br />
Arbeitskraftunternehmers suggeriert, sondern<br />
orientieren sich vorwiegend am eigenen Betrieb.<br />
In Bezug auf die Konfliktorientierungen waren<br />
bei knapp zwei Drittel der Befragten (33 von<br />
52) Orientierungs- und Handlungsmuster<br />
erkennbar, die auf ein „Sich-Abfinden“ mit<br />
wahrnehmbar verschlechterten Arbeitsbedingungen<br />
hindeuten. Sie verzichten auf Widerspruch<br />
und Konflikt, sei er nun kollektiv oder<br />
individuell. Vor dem Hintergrund der hohen<br />
Betriebsbindung und Leistungsbereitschaft<br />
war der Befund einer Verbreitung von Konfliktbereitschaft<br />
bei einer starken Minderheit<br />
der Fälle von rund einem Drittel (19 von 52)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Arbeitsmarktorientierung<br />
Leistungsorientierung<br />
Intern Extern Gesamt<br />
Aktiv<br />
B: 2,5<br />
BkV: 1,4,5,7-10<br />
C: 3,5-8<br />
G: 3,5,9,10,12,13<br />
M: 2,3,9,12,14,15<br />
P: 1-3<br />
UnD: 2-4<br />
= 32<br />
B: 3<br />
BkV: 6<br />
C: 4<br />
G: 2,4,6-8<br />
M: 1,6<br />
H: 1<br />
UnD: 5<br />
= 12 44<br />
(84,6%)<br />
Passiv<br />
B: 1<br />
BkV: 2<br />
C: 2<br />
H: 2<br />
G: 14<br />
M: 8<br />
= 6<br />
G: 11<br />
M: 5<br />
= 2 8<br />
(15,4%)<br />
Gesamt<br />
38<br />
(73,1%)<br />
14<br />
(16,9%)<br />
N = 52<br />
(100%)<br />
Tabelle 5.4.1: Aufstellung der Fälle gemäß der Arbeitsmarktorientierung und Leistungsorientierung<br />
allerdings überraschend. Diese Beschäftigten<br />
liefern einen Hinweis darauf, dass Disziplinierungseffekte<br />
nicht überall zu verzeichnen sind.<br />
Die möglichen Gründe für die eben dargestellten<br />
Verhaltenstendenzen werden im folgenden<br />
Kapitel näher beleuchtet.<br />
Seite 165
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
6. Erwerbsorientierungen – Begründungszusammenhänge<br />
von Marcela Pineda de Castro, Christina Sittig<br />
Die Ausgangshypothese 3 geht von einer<br />
Verbreitung von Arbeitsplatzunsicherheit<br />
aus, die zu Betriebsbindung und Anpassung<br />
als dominanten Erwerbsorientierungen führt.<br />
Die vorangestellten Analysen in den Kapiteln<br />
3 und 4 relativieren den ersten Teil der Hypothese.<br />
Für die Mehrzahl der vorgefundenen<br />
Situationen gehen die Beschäftigten von einer<br />
relativen Arbeitsplatzsicherheit im Sinne von<br />
Sicherheitskonstruktionen aus, welche an individuelle<br />
Leistung gebunden sind. Der zweite<br />
Teil der Hypothese wird dagegen in Kapitel<br />
5 bestätigt. Betriebsbindung, Anpassung und<br />
hohe Leistung bilden die dominanten Orientierungsmuster.<br />
Diese Ergebnisse werfen<br />
Zweifel auf starke Kausalitätsannahmen, wie<br />
sie in der Hypothese formuliert werden.<br />
Gleichwohl könnten Zusammenhänge derart<br />
bestehen, dass das Niveau der wahrgenommenen<br />
Sicherheit sowie deren subjektive<br />
Relevanz im Lebenskontext in einem Zusammenhang<br />
mit den Erwerbsorientierungen<br />
und Leistungsorientierungen stehen. Auch<br />
könnten bisher nicht eingeführte Zusammenhänge<br />
zum Verständnis der Fälle beitragen.<br />
Wir wollen im Folgenden solche<br />
Zusammenhänge prüfen, wobei wir<br />
Seite 166 jeweils einen erklärenden Zugang<br />
über einfache bivariate Auszählungen<br />
und Kreuztabellen mit einem verstehenden<br />
Zugang über die Interpretation von exemplarischen<br />
Fällen verbinden.<br />
6.1 Arbeitsplatzunsicherheit und Erwerbsorientierungen<br />
In einem ersten Schritt prüfen wir eventuelle<br />
Zusammenhänge zwischen Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und Erwerbsorientierungen. Dabei<br />
gehen wir von der Hypothese aus, dass subjektive<br />
Arbeitsplatzunsicherheit zu Betriebsbindung,<br />
höherer Leistung und Anpassung<br />
der Beschäftigten beiträgt. Zu diesem Zweck<br />
beziehen wir uns auf das Stufenmodell der<br />
subjektiven Arbeitssicherheit, das in Kapitel 4<br />
entwickelt wurde.<br />
Bei der Auswertung der Tabelle 6.1.1 wird<br />
deutlich, dass sich auch hier alle Orientierungstypen<br />
in allen Risikogruppen wieder<br />
finden. Auch bei den „überwiegend Sicheren“<br />
und den „sehr Sicheren“ dominieren eindeutig<br />
interne Arbeitsmarktorientierungen. Wiederum<br />
sind allerdings, gegen die Erwartungen<br />
der Hypothese, die Anteile extern Orientierter<br />
bei den Unsicheren deutlich höher als bei den<br />
anderen Gruppen.<br />
Weiterhin wird in Tabelle 6.1.2 deutlich, dass<br />
die Befragten mit einem höheren Aktivitätsniveau<br />
(Maßstäbe setzen) in allen Risikogruppen<br />
vertreten sind. Entgegen den Erwartungen<br />
sind die Anteile dieser „Leistungsträger“ bei<br />
den „relativ Sicheren“ und „sehr Sicheren besonders<br />
hoch.<br />
Die qualitative Interpretation der einschlägigen<br />
Textpassagen der „Sicheren“ und „Unsicheren“<br />
ermöglicht ein tiefer gehendes Verständnis der<br />
Zusammenhänge von Unsicherheit mit der<br />
Erwerbs- und Leistungsorientierung. Bezogen<br />
auf die „Sicheren“ wurde bereits in Kapitel<br />
4.3 der Frage nachgegangen, welche Faktoren
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
unsicher<br />
Subjektive Arbeitsplatzsicherheit<br />
relativ<br />
sicher<br />
Arbeitsmarktorientierung<br />
überwiegend<br />
sicher<br />
sehr sicher<br />
Gesamt<br />
intern 4 9 12 13<br />
extern 5 2 4 3<br />
38<br />
(73,1%)<br />
14<br />
(26,9%)<br />
Gesamt<br />
9<br />
(17,3%)<br />
11<br />
(21,1%)<br />
16<br />
(30,8%)<br />
16<br />
(30,8%)<br />
52<br />
(100%)<br />
Tabelle 6.1.1: Subjektive Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsmarktorientierung<br />
auf die Sicherheitskonstruktion der Befragten<br />
Einfluss nehmen. So wurde schon ausgeführt,<br />
dass die wahrgenommene Sicherheit des Arbeitsplatzes<br />
von betrieblichen Faktoren wie<br />
auch von individuellen Merkmalen der Beschäftigten<br />
bestimmt ist. Hierzu zählen unter<br />
anderem die Qualifikation, die Leistung und<br />
die Position im Betrieb. Befragte mit hoher<br />
gefühlter individueller Arbeitsplatzsicherheit<br />
berufen sich häufig auf hohe Leistungen.<br />
Exemplarisch für ein sehr sicheres Gefühl<br />
und damit einhergehende aktive Handlungsorientierungen<br />
kann die in einer Kanzlei<br />
beschäftigte Steuerassistentin, 43 Jahre (UnD:<br />
4), angeführt werden. Ihre Sicherheit bestimmt<br />
sie vorwiegend durch ihre Qualifikationen und<br />
Weiterbildungen. Auf die Frage nach Weiterbildungen<br />
antwortet die Interviewte, dass sie<br />
zu 75% betriebsbedingte Weiterbildungen in<br />
Anspruch nimmt und sich zusätzlich aus eigener<br />
Motivation heraus weiterbildet.<br />
„Betriebsbedingt zu 75% und zu 25 %,<br />
weil ich ganz einfach will, dass ich halt<br />
nicht hinterher hinke. Das ich halt immer<br />
auf dem neusten Stand bin, um halt auch<br />
meinen Job zu sichern.“ (UnD: 4)<br />
Die Befragte wurde in Kapitel 4.2 zu den<br />
Arbeitsplatzsicheren gezählt, die ihr Sicherheitsgefühl<br />
vorwiegend durch betrieblich<br />
verwertbare Qualifikation und Weiterbildungen<br />
erreichen. Exemplarisch verdeutlicht<br />
die Betrachtung der Gründe für die<br />
Leistungsorientierungen der Beschäftigten<br />
die Vermutung, dass das hohe<br />
Seite 167<br />
Sicherheitsgefühl unter anderem<br />
durch interne aktive Leistung erzeugt wird.<br />
Der in der Eingangshypothese unterstellte<br />
kausale Zusammenhang von subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und Leistung wird also
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
unsicher<br />
Subjektive Arbeitsplatzsicherheit<br />
relativ<br />
sicher<br />
Basale<br />
Leistungsorientierung<br />
überwiegend<br />
sicher<br />
sehr<br />
sicher<br />
Gesamt<br />
Unterwerfung<br />
Anforderungen<br />
erfüllen<br />
Maßstäbe<br />
setzen<br />
1 - - 1<br />
3 3 10 3<br />
5 8 6 12<br />
2<br />
(3,9%)<br />
19<br />
(36,5%)<br />
31<br />
(59,6%)<br />
Tabelle 6.1.2: Individuelle Arbeitsplatzsicherheit und basale Leistungsorientierungen<br />
hier umgekehrt: Sicherheit wird über Leistung<br />
erzeugt.<br />
Wie oben ausgeführt finden sich aktive interne<br />
Leistungsorientierungen bei allen Risikogruppen:<br />
D.h. sowohl Befragte, die sich eher<br />
sicher fühlen als auch Beschäftigte, bei denen<br />
ein Unsicherheitsgefühl vorherrscht, können<br />
aktiv und intern handeln. Wie gezeigt, versuchen<br />
viele „Sichere“ durch aktive Handlungen<br />
ihre Positionen etc. im Betrieb zu behaupten<br />
und zu steigern. Die große Mehrheit der Unsicheren<br />
wendet diese Strategie aber<br />
ebenso an, um ihre Sicherheitslage,<br />
Seite 168 beispielsweise durch Leistung und<br />
Weiterbildungen, zu verbessern. Es<br />
wird deutlich, dass in beiden Fällen die Verbesserung<br />
der Sicherheit des Arbeitsplatzes durch<br />
Leistung als Motiv zugrunde liegen kann.<br />
6.2 Ressourcen und<br />
Arbeitsmarktorientierungen<br />
Die vorangestellten Analysen machen deutlich,<br />
dass zwischen dem Niveau der wahrgenommenen<br />
betrieblichen und individuellen<br />
Arbeitsplatzrisiken und den Erwerbsorientierungen<br />
bivariate „Zusammenhänge“ bestehen,<br />
die allerdings nicht in der Lage sind, das Gesamtbild<br />
zulänglich zu erklären. Die folgenden<br />
Abschnitte suchen daher nach alternativen oder<br />
ergänzenden Erklärungen. Geprüft wird, ob<br />
und wie sich Ressourcen und Chancen auf dem<br />
externen Arbeitsmarkt auf die Erwerbs- und<br />
Handlungsorientierungen von Beschäftigten<br />
auswirken. Allen Teilhypothesen liegt die<br />
Annahme zugrunde, dass bei guten Ressourcen<br />
und Gelegenheiten eher externe Arbeitsmarktorientierungen<br />
zu verzeichnen sind.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Die Analysen beziehen sich auf folgende Fragen<br />
aus dem Leitfaden (vgl. Appendix I):<br />
Worauf kommt es bei dieser Tätigkeit hauptsächlich<br />
an?<br />
Was muss man [für ihre Tätigkeit] vor allem<br />
können?<br />
Haben Sie einen Plan B für den Fall, dass Sie<br />
ihren Arbeitsplatz verlieren?<br />
Wie sieht der aus?<br />
Andere Jobs?<br />
Was waren Ihre bisherigen beruflichen Stationen?<br />
Welchen Beruf haben Ihre Eltern?<br />
Was ist Ihr höchster beruflicher Bildungsabschluss?<br />
Wie viele Monate könnten Sie im Notfall<br />
ohne ein Arbeitseinkommen Ihren derzeitigen<br />
Lebensstandard halten (inklusive Arbeitslosengeld,<br />
Geld des Partners und ähnlichem)?<br />
Wie hoch ist Ihr monatliches Netto-Einkommen<br />
aus Ihrer Erwerbstätigkeit?<br />
Um die Ressourcen der Befragten zu bestimmen,<br />
greifen wir zurück auf Bourdieus<br />
Konzepte des ökonomischen, kulturellen und<br />
sozialen Kapitals (Bourdieu 1983) 28 . Stark<br />
vereinfachend werden diese für abhängig<br />
Beschäftigte auf drei Komponenten reduziert:<br />
Erstens die wirtschaftlichen Verhältnisse der<br />
Beschäftigten, Zweitens ihre berufsbezogenen<br />
Qualifikationen und Drittens ihre sozialen<br />
Netzwerke, auf die sie im Falle einer Arbeitsplatzsuche<br />
zurückgreifen können.<br />
Ausgehend vom Konstrukt des Arbeitskraftunternehmers<br />
müsste man davon ausgehen,<br />
dass ArbeitnehmerInnen sich eher extern<br />
orientieren, wenn sie starke arbeitsmarktrelevante<br />
Ressourcen haben. Einige Aussagen<br />
lassen diese Annahme plausibel erscheinen.<br />
In den nächsten Abschnitten werden die Zusammenhänge<br />
zwischen den Erwerbsorientierungen<br />
einerseits und wirtschaftlichen Verhältnissen,<br />
berufsbezogenen Qualifikationen<br />
sowie sozialen Netzwerken von Beschäftigten<br />
andererseits näher beleuchtet.<br />
Haushaltseinkommen<br />
Das ökonomische Kapital von Beschäftigten,<br />
um das es in diesem Abschnitt gehen soll, wird<br />
maßgeblich bestimmt vom Haushaltskontext<br />
der Personen. Zweifelsohne sind Beschäftigte,<br />
die mit ihrem Einkommen ihre Familie versorgen<br />
und/oder finanziellen Verpflichtungen<br />
wie Hypotheken etc. nachkommen müssen,<br />
finanziell stärker belastet als Beschäftigte<br />
ohne derartige Verbindlichkeiten. Die ökonomischen<br />
Ressourcen der Beschäftigten<br />
sind also nicht ausschließlich über ihr eigenes<br />
Einkommen definiert.<br />
Mit abnehmenden ökonomischen<br />
Ressourcen, so die Überlegung,<br />
Seite 169<br />
steigt die Tendenz, Risiken auf dem<br />
externen Arbeitsmarkt zu vermeiden und sich<br />
an den Betrieb zu binden. Zu vermuten wäre,<br />
dass Beschäftigte mit hoher wirtschaftlicher<br />
Belastung sich gegen externe Aktivitäten
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
aussprechen. Eine Analyse der einschlägigen<br />
Textpassagen zeigt zunächst, dass diese Gruppe<br />
die Notwendigkeit oder sogar den Zwang<br />
zu bezahlter Erwerbsarbeit besonders betont.<br />
Im Folgenden sind beispielhaft einige solcher<br />
Aussagen wiedergegeben.<br />
Supermarkt, Einzelhandelskauffrau, 36<br />
Jahre: „Naja, die Familie ist schon für mich<br />
wichtig, aber auf der anderen Seite denk ich<br />
auch, wenn ich kein Geld habe, das nützt<br />
der Familie auch nichts. Und ich sag mal<br />
heutzutage ist ja das Geld mit das Wichtigste<br />
und deswegen... Wenn manchmal<br />
was ist, hier Versammlung oder so, sagt<br />
mein Mann auch immer warum gehst du<br />
da hin oder so, aber wenn du dich überall<br />
ausschließt, dann sagen die auch hier die<br />
kommt nirgendwo mit und so. Ich denke<br />
schon, dass das wichtig ist. Also die Familie<br />
ist schon für mich sehr wichtig, aber die<br />
Arbeit halt auch. Denn wenn ich jetzt keine<br />
Arbeit hab, dann kannst du es vergessen.<br />
Denn die Kinder fragen nicht und es wird<br />
ja immer... mit der Schule und allem.“<br />
(H: 1)<br />
Krankenhaus, Krankenschwester, 36 Jahre:<br />
„Also für mich ist wichtig, da ich ja einen<br />
16jährigen Sohn habe, dass ich für ihn da<br />
bin, deshalb bin ich auch bestrebt oder muss<br />
ich ja immer arbeiten gehen und alles andere<br />
steht eigentlich im Hintergrund. Da<br />
spreche ich aber auch ungern drüber.<br />
Seite 170 Also ich bin für mich verantwortlich<br />
und habe eben den Sohn und das muss<br />
laufen und für den muss ich da sein und das<br />
andere so, dass ergibt sich dann.“ (G: 5)<br />
Wir halten an dieser Stelle fest, dass Beschäftigte<br />
mit verhältnismäßig hoher wirtschaftlicher<br />
Belastung die Notwendigkeit von Erwerbsarbeit<br />
besonders hervorheben. In Kombination<br />
mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />
kann dies dann zu erhöhter Betriebsbindung<br />
führen. Diese These wird im nachfolgenden<br />
Abschnitt anhand der Betrachtung der Qualifikationen<br />
und Chancen der Beschäftigten auf<br />
dem externen Arbeitsmarkt begründet.<br />
Qualifikationen<br />
Eine Übersicht der Untersuchungsfälle zeigt<br />
zunächst, dass ein Zusammenhang von Qualifikationsniveau<br />
und Leistungsorientierung<br />
vorliegt (Abbildung 6.2.1). Wir beziehen uns<br />
hier nicht nur auf den höchsten formalen<br />
Bildungsabschluss, sondern beziehen fachspezifische<br />
Qualifikationen (Weiterbildung, etc.)<br />
in die Bestimmung des Qualifikationsniveaus<br />
mit ein. 29 Es gilt, je höher die Qualifikationen<br />
eines/einer Beschäftigten, desto höher seine/<br />
ihre Leistungsbereitschaft.<br />
Eine Erklärung, die Voß und Pongratz (1998) 30<br />
für den Unterschied zwischen den von ihnen<br />
festgestellten Leistungsorientierungen heranziehen,<br />
ist die „unterschiedliche Restriktivität<br />
der Arbeitsbedingungen“ (Ebd. S.79), die<br />
besonders zwischen Angestellten und ArbeiterInnen<br />
herausgestellt wurden. Geringe Restriktivität<br />
bedingt insbesondere individuelle<br />
Gestaltungsspielräume im Verantwortungsbereich,<br />
die Beschäftigte zur Konzeption eines<br />
unverwechselbaren Berufsprofils nutzen, das<br />
für den Arbeitgeber schwer zu ersetzen ist, wie<br />
in Kapitel 4.3 herausgestellt wurde.<br />
Betrachtet man den Einfluss der beruflichen<br />
Qualifikationen auf die Arbeitsmarktorientie-
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
100,0%<br />
80,0%<br />
Basale<br />
Leistungsorientierung<br />
Unterwerfung<br />
Anforderungen<br />
erfüllen<br />
Maßstäbe setzen<br />
Anteil in Prozent<br />
60,0%<br />
40,0%<br />
20,0%<br />
0,0%<br />
abgeschl.<br />
Berufsausbildung<br />
abgeschl.<br />
Berusausbildung u.<br />
weiterführende<br />
Qualifikation<br />
Berufliches Qualifikationsniveau<br />
Hochschulabschluss<br />
Abbildung 6.2.1: Leistungsorientierung im Verhältnis zum beruflichen Qualif ikationsniveau (N=52)<br />
rung von Beschäftigten, ist anzunehmen, dass<br />
Beschäftigte, die über hohe Qualifikationen<br />
verfügen, sich eher extern orientieren. Der<br />
Grund dafür liegt in den steigenden Arbeitsmarktchancen<br />
eines Beschäftigten mit höherem<br />
kulturellen Kapital, das in institutionalisierter<br />
Form, beispielsweise als Bildungsabschluss<br />
vorliegt. Diese Auffassung vertritt Bourdieu,<br />
indem er bemerkt: „Um seine volle Wirkung,<br />
zumindest auf dem Arbeitsmarkt, ausspielen<br />
zu können, bedarf es in zunehmendem Maße<br />
der Bestätigung durch das Unterrichtssystem,<br />
also die Umwandlung in schulische Titel […].“<br />
(Bourdieu 1983, S.198)<br />
Wie oben dargelegt, sind höher Qualifizierte<br />
auch stärker an Weiterbildungen beteiligt<br />
und möglicherweise verbessern sie dadurch<br />
ihre Chancen auf dem externen<br />
Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu<br />
dieser Vermutung sieht ein Groß-<br />
Seite 171<br />
teil unserer „mittelalten“ Befragten<br />
Weiterqualifizierung vor allem als ein Mittel<br />
zur Verbesserung der eigenen Position im<br />
Unternehmen, also letztendlich zur Erhöhung<br />
der individuellen Arbeitsplatzsicherheit im
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
internen Arbeitsmarkt.<br />
Apotheke, Pharmazie-Ingenieurin, 44<br />
Jahre: „Wenn man sich nicht weiterbildet<br />
in unserer Branche, dann kann man ganz<br />
schnell weg vom Fenster sein. Man sollte<br />
immer auf Höhe der Zeit sein. Natürlich<br />
spielt auch die Arbeitsmoral eine Rolle,<br />
aber das liegt ja wohl auf der Hand.“<br />
(C: 6)<br />
Allgemeinarztpraxis, Arzthelferin, 44 Jahre:<br />
„So was macht man schon mit, Lehrgänge<br />
ja. Das man da auf dem neusten Stand immer<br />
ist und auch bleibt sag ich mal. Aber<br />
das man das nun speziell dafür macht um<br />
nen besseren, um bessere Chancen zu haben,<br />
ne eigentlich nicht. Das macht man ja<br />
um allgemein sein Wissen ein bisschen auf<br />
dem neusten Stand zu halten.“ (G: 12)<br />
Ein Viertel der Befragten bezieht die positive<br />
Wirkung ihrer Qualifikationen allerdings auch<br />
auf ihre Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt.<br />
31 So bemerkt eine der Befragten:<br />
Leiterin einer psychosozialen Beratungsstelle,<br />
44 Jahre: „Qualifizierungen mache<br />
ich sowieso ständig. Also schon von Anfang<br />
an, seit ich arbeite, um auf dem neuesten<br />
Stand zu sein. Einfach um die Arbeit gut<br />
zu machen, aber natürlich auch um<br />
eine hohe Qualifikation zu erwerben,<br />
Seite 172 falls ich mich mal woanders bewerben<br />
muss.“ (G: 4)<br />
Soziale Netzwerke<br />
Soziale Netzwerke können hilfreich sein, wenn<br />
ein Arbeitsplatzwechsel geplant wird 32 . Denn,<br />
wie einer der interviewten Personen treffend<br />
bemerkte: „Beziehungen schaden nur dem,<br />
der sie nicht hat“ (C: 5). Die Vermutung ist,<br />
dass diejenigen, die über solche Beziehungen<br />
verfügen, auch eher externe Handlungsorientierungen<br />
zeigen. Und in der Tat verweist eine<br />
ganze Reihe der interviewten Personen bei<br />
der Frage, ob es im Falle eines Arbeitsplatzverlustes<br />
einen „Plan B“ gäbe, auf die Chancen<br />
auf eine neue Tätigkeit, welche sich durch ihre<br />
Netzwerke ergeben.<br />
Lokalzeitung, Journalist, 32 Jahre: „Ja.<br />
Ich hatte auch schon Angebote z.B. bei<br />
verschiedenen Agenturen oder Zeitungen<br />
zu arbeiten, kein Thema. Das würde funktionieren.<br />
Dort könnte ich von heute auf<br />
morgen dort anfangen, aber eben nur über<br />
die Beziehungsgeschichte, sonst alles andere<br />
wäre kritisch.“ (P: 2)<br />
Kuratorium für Dialyse, Facharzt, 42 Jahre:<br />
„Konkret nicht. Aber da meine Frau auch<br />
Ärztin ist, wäre geplant, wir sicher irgendwas<br />
Gemeinsames damit zu machen.“<br />
(G: 2)<br />
Pflegeheim, Altenpfleger, 45 Jahre: „Das<br />
ist immer hilfreich, und wenn man nur<br />
eine Adresse bekommt oder einen Ansprechpartner.<br />
Das ist heute ganz wichtig,<br />
ja. Vielleicht ist es auch, ganz blöd ausgedrückt,<br />
aber vielleicht ist das auch, weshalb<br />
ich jetzt so sage, ich will also auch äh in<br />
diese Besuchskommission mit rein äh. Man<br />
lernt andere Leute kennen und über andere
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Leute lernt man wieder kennen. Und wenn<br />
vielleicht wirklich mal der Fall X eintreten<br />
sollte, was man nicht hofft und so weiter,<br />
dann hätte man da vielleicht schon wieder<br />
eine Möglichkeit. Denn mein Job da oben<br />
habe ich ja über diese Schiene so bekommen.“<br />
(G: 9)<br />
Supermarkt, Einzelhandelskauffrau, 36<br />
Jahre: „Na ja ich denk mal, wenn ich dort<br />
bleiben kann, dann such ich auch nicht<br />
irgendwie weiter, aber wenn ich jetzt mal<br />
entlassen werden würde, würde ich schon<br />
mal überlegen, bei meinem Schwiegervater<br />
in der Firma was mit zu machen oder so.<br />
Mein Mann will sich ja jetzt auch weiter<br />
bilden und da einsteigen, dass ich dann<br />
vielleicht mal was mit machen würde, wenn<br />
es mal nicht mehr ist. Weiß man ja nicht<br />
wie das dann wird bei meinem Mann, wenn<br />
das dann gut läuft und er sagt, ich brauch da<br />
jetzt noch jemanden, der die Abrechnungen<br />
macht oder so. Das würde ich mir jetzt<br />
schon noch mit anlernen oder so. Aber das<br />
muss ja dann auch dementsprechend laufen,<br />
dass ich sagen kann. Ich sag mal auch, solange<br />
es in der Kaufhalle klappt und wenn<br />
es jetzt sehr gut laufen würde bei meinem<br />
Mann, ich würde nicht meine Arbeit aufgeben,<br />
da würde ich dann eher versuchen<br />
so nebenbei irgendwie, das würde ich nie<br />
anders machen.“ (H: 1)<br />
Interessanterweise folgt bei der Mehrheit<br />
unserer Fälle aus der Existenz von arbeitsmarktrelevanten<br />
sozialen Netzwerken nicht,<br />
dass der externe Arbeitsmarkt als gleichwertige<br />
Alternative zur bestehenden Tätigkeit gesehen<br />
wird. 33 Einen der möglichen Gründe für die<br />
Bevorzugung des bestehenden Arbeitsplatzes<br />
benennt eine 45-jährige Angestellte im mittleren<br />
Management eines pharmazeutischen<br />
Unternehmens, das zum Zeitpunkt der Befragung<br />
in Übernahmeverhandlungen mit einem<br />
anderen Pharmaziebetrieb stand.<br />
„Das macht auch kaum einer. Weil das gar<br />
nicht geht. Also, ansonsten müsste jeder, der<br />
in irgendeiner Form bedroht ist, sich sofort<br />
wie sonst was auf den prallen Arbeitsmarkt<br />
stürzen und versuchen und dieses und jenes.<br />
Das ist aber alles mit sehr großem Aufwand<br />
verbunden und wie gesagt, die Unsicherheit,<br />
wenn man einen neuen Arbeitsplatz<br />
anfängt wo es dann ist: Probezeit, keine Betriebszugehörigkeit<br />
und, und, und. Das ist<br />
wesentlich risikoreicher, als wenn ich hier<br />
bleibe, vielleicht sogar noch eine Abfindung<br />
kriege und erst mal zumindest eine gewisse<br />
Zeit Arbeitslosengeld, wo ich dann doch<br />
noch einen gewissen Zeitrahmen, Spielraum<br />
habe, ich weiß es auch hier rechtzeitig<br />
genug vorher, und außerdem ist es ja so,<br />
man muss dann höchst zielgerichtet alles<br />
umbauen, wenn es wirklich so wäre. Und<br />
das nur auf den bloßen Verdacht hin, da<br />
sind die neuen Arbeitsbedingungen einfach<br />
zu risikoreich. Das ist einfach das Problem.<br />
Man fällt vom Regen in die Traufe. Und<br />
deswegen bleibt man erst mal dort, wo man<br />
ist, weil man dort durchaus erst noch mal<br />
Vorteile hat, man weiß ja nicht...man ist<br />
sich ja nicht sicher, ob man wirklich<br />
unter die zählt, außer es wird<br />
der gesamte Standort geschlossen,<br />
Seite 173<br />
oder wie auch immer, oder man hat<br />
zumindest noch den Vorteil, man bekommt<br />
noch die Abfindung. Denn das ist ja alles<br />
Geld, ist ja alles reelles Geld. Ja. Und warum<br />
soll man das verschenken?’’ (C: 4)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Die Transaktionskosten, die durch einen<br />
Arbeitsplatzwechsel entstehen, sind also ein<br />
Grund für eine eher zögerliche Orientierung<br />
der Beschäftigten am externen Arbeitsmarkt.<br />
Arbeitsmarktchancen<br />
Die vorangestellten Analysen haben gezeigt,<br />
dass weder das Einkommen im Haushaltskontext<br />
noch die Qualifikation oder soziale<br />
Netzwerke alleine zur Orientierung am externen<br />
Arbeitsmarkt beitragen. Deshalb prüfen<br />
wir abschließend, ob die Einschätzung der<br />
Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt die<br />
Arbeitsmarktorientierung beeinflusst. In den<br />
Analysen beziehen wir uns auf Textpassagen<br />
zu folgenden Fragen (vgl. Leitfaden im Appendix<br />
I):<br />
Sucht man nach Alternativen?<br />
Wie schätzen Sie ihre Chancen draußen auf<br />
dem Arbeitsmarkt ein?<br />
Wie schätzen Sie die Chance ein, einen neuen<br />
Arbeitsplatz zu finden?<br />
Wie schätzen Sie die Chance ein, einen vergleichbaren<br />
Arbeitsplatz zu finden?<br />
Warum glauben Sie haben Sie einen Vorteil<br />
gegenüber Anderen?<br />
Seite 174 Was tun Sie, um Ihre Chancen auf dem<br />
Arbeitsmarkt zu verbessern? Können Sie<br />
ein Beispiel nennen?<br />
In welchem Jahr sind Sie geboren?<br />
Wenn wir von externen Chancen sprechen, so<br />
meinen wir die von den Befragten selbst eingeschätzten<br />
Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt.<br />
Bezogen auf diese handeln die Befragten<br />
und deshalb ist unsere eigene Einschätzung der<br />
jeweiligen externen Chancen für diese Ausführungen<br />
zweitrangig. Die Befragten nennen<br />
drei Faktoren besonders häufig, die ihrer Meinung<br />
nach ihre externen Chancen besonders<br />
bedingen und aufgrund derer sie sich entweder<br />
stärker am internen oder am externen Arbeitsmarkt<br />
orientieren. Dies sind erstens ihr Alter,<br />
zweitens ihre Qualifikationen und drittens die<br />
Situation des externen Arbeitsmarktes.<br />
In Deutschland kann ein hohes Alter im Falle<br />
eines Arbeitsplatzverlustes ein ausschlaggebender<br />
Grund dafür sein, ein schwer zu vermittelnder<br />
Arbeitsloser zu werden. 34 Sprechen<br />
wir von hohem Alter, so meinen wir 50 Jahre<br />
und mehr, obwohl sich die Grenze bereits nach<br />
unten zu verschieben beginnt; zumindest in<br />
der Wahrnehmung der Befragten. Bereits bei<br />
denen über 40 Jahre beginnt sich Unsicherheit<br />
abzuzeichnen, was die Chancen auf dem externen<br />
Arbeitsmarkt betrifft. Die Folge ist, dass<br />
die Befragten sich intern am eigenen Betrieb<br />
orientieren.<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Krankenschwester,<br />
45 Jahre: „Also, was ich mir<br />
gedacht habe, wenn ich mal, wenn ich, wenn<br />
die mich da oben entlassen, ich denke mal<br />
als Erzieher kriege ich dann auch keine<br />
Arbeit mehr, weil ich auch in einem Alter<br />
bin, wo man dann, na ja, nicht mehr dazu<br />
gehört, nicht mehr vermittlungsfähig ist.“<br />
(G: 11)
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Dieselbe Krankenschwester sagt an anderer<br />
Stelle:<br />
„Na ja, ich denke diese Handlungsgeschichten…<br />
ich habe vorhin gesagt, wenn<br />
das ins Wanken gerät, habe ich bis jetzt<br />
immer gemacht. Aber ich denke, das ist<br />
auch so eine Altersgeschichte. Ab einem<br />
gewissen Alter kann man Initiative zeigen<br />
so viel wie man will, aber die, die läuft dann<br />
ins Leere, und ich denke, wenn mir das in<br />
den nächsten Jahren passieren sollte, dann<br />
denke ich, habe ich Pech gehabt, dann muss<br />
ich wirklich sehen, dass ich irgendwo dann<br />
für mich alleine irgendwo einen Fuß in die<br />
Tür kriege und dann wirklich so Kinder<br />
nehme, denn einstellen, denke ich, wird<br />
mich keiner mehr. Ich meine, ich werde<br />
dieses Jahr sechsundvierzig, und wo ich<br />
mich da oben beworben habe, hatte ich eine<br />
feste Einstellung, und da habe ich äh weil<br />
ich da aber weg wollte, weil ich da nicht<br />
arbeiten konnte, habe ich das einfach versucht,<br />
aber das war eigentlich ein Versuch,<br />
um mir dann zu bestätigen: Okay, du hast es<br />
versucht, etwas zu ändern, aber es hat nicht<br />
geklappt. So, aber es hat geklappt, aber ich<br />
denke mal, das wird das letzte mal gewesen<br />
sein, denn da war ich einundvierzig, und da<br />
habe ich auch schon gedacht: Dich nimmt<br />
keiner mehr. Aber mittlerweile ist das,<br />
denke ich mal, gegessen.“ (G: 11)<br />
Bezeichnend ist, dass in der subjektiven Wahrnehmung<br />
auch das Qualifikationsniveau an<br />
Bedeutung verliert, je älter ein Arbeitnehmer<br />
wird. Diese Einschätzung führt zum Wunsch,<br />
den bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können,<br />
da man davon ausgeht, dass ein gleichwertiger<br />
Arbeitsplatz sehr unwahrscheinlich<br />
wieder zu erlangen ist.<br />
Angestellte, mittleres Management, 45<br />
Jahre: „Ich tue laufend etwas um die<br />
Chancen auf meinem Arbeitsmarkt zu<br />
verbessern. Weil ich mich stets und ständig<br />
weiterbilde, weil ich für so viel Experte<br />
bin und, und Fachkraft, dass ich also eine<br />
Menge vorzuweisen habe. Das Problem ist<br />
einfach immer nur das Alter.“ (C: 4)<br />
Andere Beschäftigte misstrauen aufgrund der<br />
allgemeinen Arbeitsmarktsituation der Möglichkeit,<br />
einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu<br />
finden. Es sind hier eher die überbetrieblichen<br />
Faktoren, die sie für ihre schlechten Chancen<br />
auf dem deutschen Arbeitsmarkt verantwortlich<br />
machen.<br />
Hydraulikunternehmen, Leiterin der<br />
Marketing-Abteilung, 36 Jahre. Sie antwortet<br />
auf die Frage nach ihren Chancen<br />
auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz:<br />
„Wahrscheinlich weniger gut, da es nicht<br />
so viele Stellen im Marketingbereich in<br />
einem vergleichbaren Unternehmen gibt,<br />
die noch unbesetzt sind oder demnächst<br />
frei würden.“ (M: 14)<br />
Pharmaunternehmen, Abteilungsleiter,<br />
43 Jahre: „Es gibt immer mal so Phasen,<br />
wo das Arbeitsklima etwas negativer wird,<br />
als es ist und wo man doch mal<br />
drüber nachdenkt, also jetzt können<br />
sie mich alle mal und man<br />
Seite 175<br />
sollte mal gucken, ob man anderes<br />
kriegt. Das Problem ist heutzutage eher,<br />
dass die Alternativen, die man hat, nicht<br />
mehr so groß sind wie früher. Es gab, na<br />
ja, ich würde mal sagen so vor fünf Jahren,
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
vor zehn Jahren Zeiten, oder waren die<br />
Zeiten etwas anders, wo auch mehr Firmen<br />
Mitarbeiter eingestellt haben. Und gesucht<br />
haben. Fachkräfte. Da war es einfacher, sich<br />
nach einer Firma, nach einem anderen Job<br />
umzusehen. Heutzutage ist das nicht mehr<br />
ganz so, somit ist natürlich auch die Chance<br />
nicht mehr so groß, dass man irgendwo<br />
anders auch einen Job kriegt.“ (C: 5)<br />
Eine andere, etwa gleichstarke Gruppe der<br />
interviewten ArbeitnehmerInnen empfindet<br />
ihre Chancen einen neuen und gleichwertigen<br />
Arbeitsplatz zu finden als eher gut. Beispielsweise<br />
bemerkt ein Softwareentwickler, 34<br />
Jahre:<br />
„Ich bin noch relativ jung äh ich hab ähm<br />
ne ganze Menge Berufserfahrung, ich<br />
denke ich bin recht gut und hab kein, hab<br />
kein Bedenken, dass ich da einen Job finden<br />
kann.“ (M: 6)<br />
Es fällt auf, dass alle Beschäftigten, die ihre<br />
externen Chancen als gut einschätzen und<br />
sich außerdem auf dem externen Arbeitsmarkt<br />
orientieren, dies an individuellen Faktoren<br />
festmachen, allen voran ihre hohe Qualifikation,<br />
ihr unverwechselbares Berufsprofil und<br />
ihre gesammelte Berufserfahrung. 35 Vereinzelt<br />
werden auch soft-skills mit ins Kalkül genommen.<br />
36 Eine gute Arbeitsmarktlage wird<br />
dahingegen von keinem der Beschäftigten<br />
vorausgesetzt.<br />
Seite 176<br />
Abschließend bleibt festzuhalten,<br />
dass die befragten Beschäftigten eher selten<br />
auf eine ausreichende Arbeitsmarktlage vertrauen<br />
und ihre externen Chancen in nahezu<br />
allen Fällen mit ihren individuellen Merkmalen<br />
und Qualifikationen in Zusammenhang<br />
bringen. Deshalb wird die kontinuierliche<br />
Weiterqualifikation zum Aufbau eines unverwechselbaren<br />
Berufsprofils als adäquates<br />
Mittel zur Verbesserung der eigenen Chancen<br />
überdurchschnittlich oft betont. Die Bedeutung<br />
der Arbeitsmarktchancen erweist sich als<br />
ein aussichtsreicher Erklärungsansatz für die<br />
aktive Erwerbshaltung von Beschäftigten, die<br />
immer stärker auf ihre eigenen Leistungen im<br />
Erwerbsleben zurückgeworfen sind, um sich<br />
sowohl auf dem internen als auch auf dem<br />
externen Arbeitsmarkt abzusichern.<br />
6.3 Fazit<br />
Wir stellten in Kapitel 5 fest, dass sich bei den<br />
Befragten unseres Samples von Normalarbeitsbeschäftigten<br />
das dominante Muster der<br />
Erwerbsorientierung durch Betriebsbindung,<br />
hohe Leistungsbereitschaft und Anpassung<br />
auszeichnet. Allerdings zeigt sich bei einem<br />
Drittel der Befragten auch Konfliktbereitschaft.<br />
Ein erstes Ergebnis unserer Analysen<br />
ist, dass allein die unterschiedliche Wahrnehmung<br />
von Unsicherheit das Gesamtbild an<br />
Erwerbsorientierungen nicht „erklären“ kann.<br />
Allerdings ist bei der relativ kleinen Gruppe<br />
der Unsicheren die externe Arbeitsmarktorientierung,<br />
die Leistungsorientierung und die<br />
Konfliktbereitschaft etwas stärker ausgeprägt.<br />
Möglich ist, dass das wahrgenommene Risiko<br />
des Arbeitsplatzverlustes nicht so sehr die Erwerbsorientierungen<br />
bestimmt, wie vermutet.<br />
Die Risikowahrnehmung könnte vielmehr<br />
selber durch die Erwerbsorientierungen – allen<br />
voran zu Konflikt und Leistung – beeinflusst<br />
werden.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Weitere Hinweise auf die Gründe für die<br />
Arbeitsmarktorientierungen der Beschäftigten<br />
ergeben sich bei der Betrachtung der individuellen<br />
Ressourcen, Qualifikationen, sozialen<br />
Netzwerke und Haushaltseinkommen. So<br />
wird an einigen Fällen deutlich, dass ein geringes<br />
Haushaltseinkommen sowie fehlende<br />
personale Netzwerke und ein Alter über 40 die<br />
Betriebsbindung erhöhen. Die Entscheidung<br />
für oder gegen einen Arbeitsplatzwechsel oder<br />
– mit anderen Worten – eine aussichtsreiche<br />
Orientierung am externen Arbeitsmarkt wird<br />
vorwiegend von diesen individuellen Faktoren<br />
abhängig gemacht.<br />
Insgesamt sind es zwei Zusammenhänge, die<br />
sich aus der Betrachtung möglicher Determinanten<br />
der Erwerbsorientierungen ergeben:<br />
Erstens lässt die unsichere Lage des externen<br />
Arbeitsmarktes einen Teil der Beschäftigten<br />
ihren Blick auf den eigenen Betrieb richten,<br />
wo sie die unkalkulierbaren objektiven Risiken<br />
veranlassen, bis an ihre Leistungsgrenzen zu<br />
gehen, um so durch individuelle Leistung ihr<br />
Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Der Effizienzdruck,<br />
der in Kapitel 4 beleuchtet wurde,<br />
tut sein Übriges, dass Beschäftigte sich mit<br />
den gegebenen Umständen konfliktfrei und<br />
mit hoher Leistungsbereitschaft arrangieren.<br />
Dörres These, dass auch bei ArbeitnehmerInnen<br />
in vergleichsweise sicheren Beschäftigungsverhältnissen<br />
„Disziplinierungseffekte“<br />
zu erkennen sind, scheint also zumindest für<br />
diesen Teil der von uns befragten Beschäftigten<br />
zuzutreffen. Sie „klammern“ sich förmlich an<br />
ihren Arbeitsplatz und verharren in einer für<br />
sie unmotivierenden Arbeitssituation, aufgrund<br />
der (zum Teil berechtigten) Sorge keinen<br />
gleichwertigen Arbeitsplatz mehr zu finden.<br />
Beschreibt man allerdings den zweiten Zusammenhang,<br />
so lässt sich auch ein anderes<br />
Bild zeichnen; für Beschäftigte, die ihre<br />
Sicherheit noch zu Teilen aus der objektiven<br />
Situation ziehen. Einige sehen laut eigener<br />
Aussage kaum Gründe dafür, sich um ihren<br />
Arbeitsplatz zu sorgen, da sie sich beispielsweise<br />
durch betriebliche Vereinbarungen<br />
zur Beschäftigungssicherheit ausreichend<br />
geschützt fühlen oder aber auf ihre Qualifikation<br />
setzen. Andere versuchen bei Verschlechterung<br />
der ihnen zugesicherten Rechte und<br />
Sicherheiten, diese mit Hilfe von kollektivem<br />
oder individuellem Konfliktverhalten geltend<br />
zu machen. Bei ihnen ist die Strategie, ihre<br />
Sicherheit einzig über exzessive Leistung zu<br />
erhöhen, weniger stark ausgeprägt.<br />
Über die ausschlaggebenden Gründe dafür,<br />
welche der beiden Tendenzen bei den einzelnen<br />
Beschäftigten zum Tragen kommt, kann<br />
nur gemutmaßt werden. Es wurden einige<br />
mögliche Zusammenhänge hergestellt, wobei<br />
die Bearbeitung der komplexen Wirkungsmechanismen<br />
noch aussteht und hier lediglich<br />
auf einige einfache Zusammenhänge heruntergebrochen<br />
wurde. Die in diesen Kapiteln<br />
angestellten Betrachtungen sind deshalb als<br />
ein erster Schritt zu verstehen, das Geflecht<br />
von ineinander greifenden Erwerbsorientierungen<br />
und deren Einbettung in inner- und<br />
überbetriebliche Kontexte zu entwirren.<br />
Seite 177
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 178<br />
7. Zusammenfassung und Fazit<br />
von Christoph Köhler, Janine Bernhardt, Kai<br />
Loudovici<br />
Vor dem Hintergrund von Arbeitsplatzverlusten<br />
und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit<br />
fragt der Beitrag nach der Generalisierung<br />
von Unsicherheit sowie nach Erwerbs- und<br />
Handlungsorientierungen. Im Gegensatz zu<br />
vielen anderen Studien, die sich auf prekär<br />
Beschäftigte konzentrieren, untersuchen<br />
wir diese Fragen für stabil Beschäftigte in<br />
Internen Arbeitsmärkten. Im Rahmen einer<br />
Lehrforschung wurden 52 problemzentrierte<br />
Interviews mit Beschäftigten mittleren Alters<br />
in Normalarbeitsverhältnissen erhoben. Ausgewählt<br />
wurden Personen aus acht Branchen mit<br />
einem Schwerpunkt auf Ostdeutschland. Die<br />
Interviews wurden in explorativer Absicht mit<br />
abduktiven Auswertungsstrategien sowie einer<br />
Mischung aus erklärenden und verstehenden<br />
Verfahren ausgewertet. Das Ziel der Analysen<br />
des umfangreichen Textmaterials bestand darin,<br />
zu den einzelnen Fragen und Hypothesen<br />
typologisierende Ansätze zu entwickeln. Wir<br />
wollten aber auch weiterführende Hypothesen<br />
zu Verteilungen und Kovarianzen entwickeln<br />
und haben uns deshalb nicht gescheut, hierzu<br />
Aussagen zu generieren.<br />
Ausgangspunkt der Arbeit waren drei aus dem<br />
Stand der Forschung extrahierte und stark<br />
zugespitzte Leithypothesen:<br />
- Hypothese 1 (wahrgenommene Risiken im<br />
betrieblichen Umfeld): Das betriebliche Umfeld<br />
von Beschäftigten zeichnet sich heute<br />
aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheit<br />
und flexibler Personalpolitik durch starke<br />
Arbeitsplatzrisiken aus. Dies wird von den<br />
Beschäftigten deutlich wahrgenommen.<br />
- Hypothese 2 (individuelle Arbeitsplatzrisiken):<br />
Die wahrgenommenen Risiken im betrieblichen<br />
Umfeld korrespondieren mit der<br />
Wahrnehmung individueller Arbeitsplatzrisiken<br />
und führen zu einer Verbreitung von<br />
Unsicherheit auch bei Normalbeschäftigten.<br />
- Hypothese 3 (Erwerbsorientierung): Die<br />
Unsicherheit führt nicht – wie für den „Arbeitskraftunternehmer“<br />
erwartet – zu einer<br />
externen Arbeitsmarktorientierung, sondern<br />
eher zu einer verstärkten Betriebsbindung,<br />
Leistung und Anpassung.<br />
7.1 Ergebnisse<br />
1. Wahrgenommene Risiken im betrieblichen<br />
Umfeld: Der erste Teil der problembezogenen<br />
Analyse des Textmaterials konzentriert sich<br />
auf die Frage nach den durch die Individuen<br />
beobachteten Risiken in Betrieb und Arbeitsumfeld.<br />
Die Ausgangshypothese war, dass<br />
Beschäftigte in Normalarbeitsverhältnissen<br />
heute in ihren Betrieben direkt und indirekt<br />
starken Beschäftigungsrisiken ausgesetzt sind<br />
und diese als solche wahrnehmen.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Überraschend war zunächst, dass zum Erhebungszeitraum<br />
im Winter 2005/06, trotz der<br />
lang anhaltenden Stagnation und hohen Arbeitslosenzahlen<br />
sowie der „Klein- und Mittelbetrieblichkeit“<br />
des Samples und des kritischen<br />
ostdeutschen Umfeldes, die wirtschaftliche<br />
Lage der 52 Betriebe aus den acht untersuchten<br />
Branchen überwiegend positiv beurteilt wird.<br />
Für die Zukunft wird allerdings bei zwei Fünftel<br />
der Betriebe ein Beschäftigungsrückgang<br />
erwartet, dieser muss nicht notwendigerweise<br />
auf die Arbeitsplatzsicherheit der Stammbelegschaften<br />
und der befragten Individuen<br />
durchschlagen.<br />
Unsere Samplingstrategie ist aufgegangen: Fast<br />
alle Befragten arbeiten in Arbeitsbereichen mit<br />
einer Dominanz unbefristeter Arbeitsverträge<br />
und mit langfristigen Beschäftigungsperspektiven<br />
vom Typ des Internen Marktes, die wir<br />
als Geschlossene Betriebliche Beschäftigungs-<br />
Sub-Systeme (BBSS) bezeichnen. Überraschend<br />
ist, dass Randbelegschaften mit atypischen<br />
Arbeitsverträgen (auch Leiharbeiter)<br />
in diesen Arbeitsbereichen keine Bedrohung<br />
der Stammbelegschaften darstellen, da sie eher<br />
für Hilfsarbeiten eingesetzt sind.<br />
Die in der Mehrzahl der Fälle wahrgenommene<br />
Beschäftigungssicherheit für das betriebliche<br />
Umfeld wird allerdings relativiert: Viele<br />
der Befragten verlassen sich heute nicht mehr<br />
auf differenzielle Beschäftigungsgarantien<br />
nach Betriebzugehörigkeitsdauer und auf den<br />
Kündigungsschutz. Sie beobachten, dass bei<br />
Entlassungen Qualifikations- und Leistungskriterien<br />
und nicht die Kriterien der Sozialauswahl<br />
an erster Stelle stehen. Die Geschlossenen<br />
Beschäftigungs-Sub-Systeme vom Typ des<br />
Internen Marktes sind hier nicht senioritäts-,<br />
sondern eher leistungsbasiert. Ähnlich wie<br />
in den klassischen Internen Märkten gilt das<br />
Versprechen langfristiger Beschäftigung, es<br />
wird aber an Qualifikation und Leistung gebunden<br />
und dadurch relativiert.<br />
2. Individuelle Arbeitsplatzrisiken: Beschäftigungsrisiken<br />
in Betrieb und Arbeitsbereich<br />
müssen nicht mit individuellen Arbeitsplatzrisiken<br />
zusammenfallen. Dies gilt etwa dann,<br />
wenn die Stellung des Befragten als gesichert<br />
erscheint. Deshalb haben wir im Leitfaden<br />
einen Schwerpunkt auf die Wahrnehmung der<br />
eigenen Chancen und Risiken im Betrieb gerichtet.<br />
Überraschender Befund ist zunächst,<br />
dass die Mehrheit der Befragten, quer zu<br />
Berufen, Qualifikationsniveaus, Geschlecht,<br />
Branchen und Betriebsgröße, ihre Arbeitsplatz-sicherheit<br />
als hoch oder sehr hoch<br />
einschätzt. Dies ist umso überraschender, als<br />
die Befragten überwiegend Ostdeutsche mit<br />
teilweise starken berufsbiografischen Brüchen<br />
sind.<br />
Vertiefende Analysen des Begründungszusammenhangs<br />
verweisen allerdings darauf,<br />
dass individuelle Beschäftigungssicherheit<br />
nicht in erster Linie über die wirtschaftliche<br />
Situation des Betriebes oder den Kündigungsschutz<br />
konstruiert wird. Selbst eine gute<br />
Unternehmenslage wird häufig nicht mit Arbeitsplatzsicherheit<br />
in Verbindung gebracht.<br />
Vielmehr bemessen die Beschäftigten<br />
ihre Sicherheit überwiegend an individuellen<br />
Faktoren, insbesondere der<br />
Seite 179<br />
Erfüllung von Leistungsanforderungen.<br />
In diesem Zusammenhang wird eine<br />
lange Betriebszugehörigkeit von den Beschäftigten<br />
als Folge und Erfolg fortwährenden<br />
persönlichen Leistungseinsatzes interpretiert.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Seite 180<br />
Damit werden die Sicherheitskonstruktionen<br />
aus der Sicht der Beschäftigten relativiert: Sie<br />
sehen keine ökonomisch oder politisch basierten<br />
Garantien vor, wie sie etwa in der DDR<br />
selbstverständlich waren, aber auch im alten<br />
westdeutschen Normalarbeitsverhältnis über<br />
ökonomische Stabilität und über Senioritätsrechte<br />
aufgebaut wurden.<br />
3. Erwerbsorientierungen und Unsicherheit:<br />
Leithypothese 3 geht von einer Verbreitung<br />
von Arbeitsplatzunsicherheit aus, die zu Betriebsbindung,<br />
Leistung und Anpassung als<br />
dominanter Erwerbs- und Handlungsorientierung<br />
führt. Die Analysen in den Kapiteln<br />
3 und 4 widersprechen dem ersten Teil der<br />
Hypothese. Für die Mehrzahl der vorgefundenen<br />
Situationen gehen die Beschäftigten<br />
von Arbeitsplatzsicherheit aus. Der zweite<br />
Teil der Hypothese wird dagegen in Kapitel 5<br />
bestätigt: Bei den Befragten unseres Samples<br />
von Normalarbeitsbeschäftigten zeichnet sich<br />
das dominante Muster der Erwerbsorientierung<br />
durch Betriebsbindung, hohe Leistungsbereitschaft<br />
und Anpassung aus. Allerdings<br />
zeigt sich bei einer starken Minderheit von<br />
einem Drittel der Befragten auch Konfliktbereitschaft.<br />
Der pauschal unterstellte kausale<br />
Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und Erwerbsorientierung konnte<br />
damit nicht belegt werden: Auf der einen Seite<br />
dominiert die Wahrnehmung einer relativen<br />
Sicherheit, auf der anderen Seite<br />
bilden Betriebsbindung, Leistung<br />
und Anpassung die vorherrschenden<br />
Erwerbsorientierungen.<br />
Gleichwohl könnten Zusammenhänge derart<br />
bestehen, dass das Niveau sowie die subjektive<br />
Relevanz der Sicherheit in einem Zusammenhang<br />
mit den Handlungsmustern stehen.<br />
Konsequenterweise haben wir im Kapitel 6<br />
Zusammenhänge zwischen den wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzrisiken im betrieblichen<br />
Umfeld sowie der individuellen Position im<br />
Betrieb mit der Arbeitsmarkt-, Leistungs- und<br />
Konfliktorientierung geprüft. Das Ergebnis<br />
der Analysen bestätigt den oben formulierten<br />
Eindruck, dass Arbeitsplatzunsicherheit nicht<br />
pauschal mit Betriebsbindung, Leistung und<br />
Anpassung korrespondiert. Stattdessen zeigt<br />
sich, dass bei der Mehrheit der Befragten die<br />
Sicherheitswahrnehmung mit einer Orientierung<br />
auf den Betrieb, Leistung und Anpassung<br />
einhergeht. Entgegen den Erwartungen sind<br />
die „Leistungsträger“ besonders konfliktbereit.<br />
Um die verschiedenen Orientierungen zu<br />
erklären, wurden in Kapitel 6.2 Zusammenhänge<br />
mit den Ressourcen im Sinne von<br />
ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitalien<br />
sowie den Arbeitsmarktchancen der<br />
Befragten näher untersucht. Die Analysen geben<br />
Hinweise darauf, dass geringe Haushaltseinkommen<br />
die Betriebsbindung verstärken,<br />
während arbeitsmarktrelevante Netzwerke und<br />
wahrgenommene Arbeitsmarktchancen diese<br />
abschwächen. Umgekehrt scheint die pessimistische<br />
Einschätzung der überbetrieblichen<br />
Arbeitsmärkte durch die Befragten mittleren<br />
Alters zur Betriebsbindung and Anpassung<br />
beizutragen. Insgesamt gesehen zeigt sich, dass<br />
die hochkomplexen Zusammenhänge einer<br />
vertiefenden Analyse bedürfen, die im Rahmen<br />
der Lehrforschung nicht zu leisten war.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
7.2 Thesen<br />
Generalisierung von Unsicherheit oder Arbeitsmarktspaltung?<br />
Zusammenfassend halten wir fest, dass unsere<br />
empirischen Analysen zu wahrgenommenen<br />
Arbeitsplatzrisiken erhebliche Zweifel an der<br />
Großthese der „Generalisierung“ von Unsicherheit<br />
bei „Normalbeschäftigten“ nahe legen.<br />
Unser Sample legt einen Schwerpunkt auf<br />
kleinere und mittlere ostdeutsche, z.T. nicht<br />
tarifgebundene Betriebe ohne Betriebsrat, mit<br />
einer Mischung aus Branchen mit hoher und<br />
niedriger Beschäftigungsstabilität. Gerade hier<br />
hätten wir eine Vielzahl von Konstellationen<br />
erwartet, in denen Beschäftigte hohe Arbeitsplatzrisiken<br />
für ihr Arbeitsumfeld konstatieren.<br />
Diese Erwartungen haben sich nicht bestätigt.<br />
Die große Mehrheit der Befragten geht davon<br />
aus, dass die Betriebe personalpolitisch das<br />
Sicherheitsversprechen für die Stammbeschäftigten<br />
einlösen, wenn diese ihre Leistung bringen<br />
und keine große Krise des Unternehmens<br />
dazwischenkommt.<br />
Beeindruckend ist die durchgehend hohe Leistungsorientierung<br />
der befragten Beschäftigten,<br />
unabhängig von Ressourcen und Sicherheitsgefühl.<br />
Sowohl Befragte, die sich eher sicher<br />
fühlen als auch Beschäftigte bei denen ein<br />
Unsicherheitsgefühl vorherrscht, erfüllen oder<br />
übererfüllen die gesetzten Leistungsstandards.<br />
Wie gezeigt, versuchen die „Sicheren“ durch<br />
aktive Handlungen ihre Positionen im Betrieb<br />
zu behaupten und zu steigern. Die „Unsicheren“<br />
wenden diese Strategie aber ebenso an,<br />
um ihre Sicherheitslage beispielsweise durch<br />
Leistung und Weiterbildungen zu verbessern.<br />
Damit bestätigt sich ein Denk- und Handlungsmuster,<br />
das bereits bei den Analysen<br />
der wahrgenommenen Arbeitsplatzrisiken<br />
sichtbar wurde: Viele der Befragten fühlen<br />
sich relativ sicher, binden dies aber an hohe<br />
individuelle Leistungen.<br />
Vor diesem Hintergrund hat die Generalisierungsthese<br />
Recht und Unrecht zugleich.<br />
Einerseits ist Unsicherheit weit verbreitet:<br />
Die von uns Befragten verlassen sich nicht<br />
auf die Sicherheiten der wirtschaftlichen Situation<br />
ihres Betriebes oder des differenziellen<br />
Kündigungsschutzes. Andererseits gelingen<br />
den Beschäftigten durchaus überzeugende<br />
Sicherheitskonstruktionen über ihre Leistung,<br />
die die „gefühlte“ Unsicherheit klein zu arbeiten<br />
in der Lage sind. Im Ergebnis dieses<br />
Prozesses bildet sich bei der großen Mehrheit<br />
der von uns Befragten eine in diesem Sinne<br />
relativierte Sicherheit heraus. Vor der Folie des<br />
westdeutschen Fordismus und ostdeutschen<br />
Sozialismus macht es dann Sinn von einer<br />
relativierten Sicherheit, statt von einer Generalisierung<br />
von Unsicherheit zu sprechen.<br />
Diese Befunde decken sich auch nicht mit<br />
einer Insider/Outsider These, der zufolge die<br />
Normalbeschäftigten von starken Sicherheitsgarantien<br />
ausgehen, sich damit von den Outsidern<br />
abgrenzen oder diese sogar ausgrenzen<br />
(Glotz 1984, 1985; Streeck 2004). Sicherheit ist<br />
in den Augen der Beschäftigten abhängig von<br />
Qualifikation und Leistungsfähigkeit<br />
und damit immer auch gefährdet. Das<br />
im Normalarbeitsverhältnis ange-<br />
Seite 181<br />
legte Versprechen einer langfristigen<br />
Beschäftigung wird ernst genommen, aber<br />
gleichzeitig gegenüber dem alten senioritätsbasierten<br />
Arbeitsvertrag relativiert: Wenn die<br />
Qualifikation nicht mehr gebraucht oder die
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Leistung nicht mehr gebracht werden kann,<br />
ist die Weiterbeschäftigung gefährdet.<br />
Unsere Überlegungen bestätigen damit eher<br />
den Vermarktlichungs- und Subjektivierungsdiskurs<br />
in der neueren Arbeitssoziologie (Moldaschl<br />
2002; Sauer 2005; Voß/Pongratz 2003)<br />
sowie die Thesen zur Transformation Interner<br />
Arbeitsmärkte (Bultemeier u.a. 2007; Köhler/Loudovici/Struck<br />
2007b, in diesem Heft;<br />
Struck u.a. 2006). Diesen zufolge vollzieht<br />
sich ein Prozess der Re-Kommodifizierung<br />
„Interner Arbeitsmärkte“. Das Versprechen<br />
und die reale Chance einer langfristigen Beschäftigung<br />
bis zur Verrentung gelten auch für<br />
die neuen „Leistungsbasierten Betrieblichen<br />
Beschäftigungssysteme“. Dieses Versprechen<br />
ist jedoch nicht mehr an die Betriebszugehörigkeitsdauer,<br />
sondern an Qualifikations- und<br />
Leistungsstandards für die Einzelnen und die<br />
Produktivität und Profitabilität von Betriebsteilen<br />
gebunden. Aus der Sicht der Beschäftigten<br />
lautet der implizite Arbeitsvertrag:<br />
Leistung gegen Sicherheit, woraus sich die<br />
eigentümliche Ambivalenz der Sicherheitskonstruktionen<br />
erklärt.<br />
Eine neue post-fordistische Sicherheitskonstruktion?<br />
Unsere Analysen geben Hinweise auf ein<br />
grundlegendes Denkschema, demzufolge in<br />
unserer Gesellschaft Arbeitsplatzsicherheit<br />
vor allem mit Leistung<br />
Seite 182 verknüpft ist. Man könnte dieses<br />
Denkmuster bei unseren mehrheitlich<br />
ostdeutschen Beschäftigten als Reaktionsbildung<br />
auf den Transformationsschock zurückführen,<br />
in dem das Erlebnis des Arbeitsplatzverlustes<br />
und der Umorientierung auf dem<br />
Arbeitsmarkt bei sich selbst, der Familie und<br />
sozialen Netzwerken weit verbreitet ist. Dafür<br />
hat die Forschungsgruppe von Michael Behr<br />
eindrucksvolle Befunde erarbeitet (Behr u.a.<br />
2006).<br />
Vergleichende Analysen belegen allerdings,<br />
dass auch in Westdeutschland ähnliche Denkmuster<br />
weit verbreitet sind (Bultemeier u.a.<br />
2007). Es könnte sich hier ein allgemeines<br />
post-fordistisches Denkmuster andeuten. In<br />
der alten BRD der 60/70/80er Jahre war ein<br />
großer Teil der Beschäftigten über wirtschaftliches<br />
Wachstum und im Kündigungsschutz<br />
verankerte Senioritätsregeln geschützt, vorausgesetzt<br />
es wurden standardisierte Leistungen<br />
erbracht. Vor dem Hintergrund der allgemeinen<br />
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Entwicklung und ihrer Verarbeitung in den<br />
Medien sowie der konkreten eigenen Erfahrungen,<br />
scheinen sich die Beschäftigten nicht<br />
mehr auf die fordistischen Beschäftigungsgarantien<br />
zu verlassen und nach neuen Sicherheitskonstruktionen<br />
zu suchen (siehe Tabelle<br />
7.2.1).<br />
Diese neuen Sicherheitskonstruktionen sind<br />
nicht mit neuen marktbezogenen Gerechtigkeitsideologien<br />
zu verwechseln, denen zufolge<br />
die Beschäftigungsbeziehung mit Leistung und<br />
Gegenleistung einer kaufvertraglichen Tauschbeziehung<br />
gleichgesetzt würde. Wie andere<br />
Studien zeigen (Köhler u.a. 2005), erwarten die<br />
Beschäftigten nach wie vor, dass „Arbeitgeber“<br />
die Beschäftigten vor den Risiken des Marktes<br />
schützen und dass bei „wirtschaftlich notwendigen“<br />
Entlassungen soziale Kriterien berücksichtigt<br />
und Abfindungen gezahlt werden.<br />
Im Rahmen dieser beschäftigungsbezogenen<br />
Erwartungen scheinen jedoch die Gefahr
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
Sicherheitskonstruktion Fordistisch Post-Fordistisch<br />
Wirtschaft<br />
Stabil bzw. Wachstum<br />
Volatil – Risiko<br />
Regulierung<br />
Kündigungsschutz<br />
Seniorität<br />
Qualifikation und Leistung<br />
Leistungsanforderung<br />
Tabelle 7.2.1: Sicherheitskonstruktionen<br />
Standardisierte<br />
Mindest-Leistung<br />
Individuelle Ziel-Leistung<br />
wirtschaftlicher Risiken sowie die Relevanz<br />
von individuellen Leistungen höher bewertet<br />
zu werden.<br />
7.3 Offene Fragen<br />
Unsere Analysen haben vor allem Zusammenhänge<br />
zwischen der durch die Individuen<br />
wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit, den<br />
Erwerbsorientierungen und Ausschnitten<br />
der sozialen Situation (Betrieb, Arbeitsmarkt,<br />
Haushalt) ins Visier genommen, ohne zu einer<br />
überzeugenden Aufklärung der Thematik<br />
gekommen zu sein. Eine vertiefende Analyse<br />
müsste die „abhängigen Variablen“ nicht nur<br />
im Zusammenhang mit der sozialen Situation<br />
begreifen, sondern auch die individuelle<br />
Ausstattung der Befragten reflektieren. Dazu<br />
gehören dann nicht nur die jeweiligen Ressourcen,<br />
sondern auch der Habitus und die<br />
psychischen Dispositionen der Person.<br />
Eine vertiefende Auswertung des reichhaltigen<br />
empirischen Materials müsste die beiden<br />
„abhängigen Variablen“, die individuelle<br />
Arbeitsplatzunsicherheit und die Erwerbsorientierungen,<br />
in einen komplexen Zusammenhang<br />
stellen. Dabei müsste nicht nur die<br />
soziale Situation, sondern auch und gerade<br />
die „Persönlichkeit“ der Individuen differenziert<br />
erfasst werden. Hier ginge es einerseits<br />
um basale Einstellungsmuster, für die man<br />
im Anschluss an Bourdieu das Konzept des<br />
„Habitus“ nutzen könnte. So kann man etwa<br />
eine auf Selbständigkeit und den unternehmerischen<br />
Umgang mit der eigenen Arbeitskraft<br />
gerichtete Orientierung von risikoaversen<br />
Arbeitnehmer-Grundeinstellungen unterscheiden.<br />
Zum anderen spielen für das Sicherheitsempfinden<br />
auch im Sozialisationsprozess<br />
erworbene psychische Dispositionen<br />
eine große Rolle (Silbereisen u.a.<br />
2006).<br />
Eine Vertiefung der hier vorgelegten Analysen<br />
ist über zwei Wege möglich und sinnvoll. Erstens:<br />
Systematische Fallrekonstruktionen mit<br />
interpretativen Verfahren würden es erlauben,<br />
Seite 183
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
basale Handlungsorientierungen der befragten<br />
Personen zu rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund<br />
würden dann die unterschiedlichen<br />
Ressourcen der Personen wie auch ihre wirtschaftliche<br />
und soziale Situation im Zusammenhang<br />
interpretiert werden können. Einen<br />
ersten Versuch hierzu haben wir in Bezug auf<br />
die Arbeitsorientierungen im Kapitel 5 unternommen.<br />
Diese Perspektive wird im laufenden<br />
<strong>SFB</strong>-Projekt von Anja Bultemeier bearbeitet<br />
(vgl. Bultemeier u.a. 2007). Auch besteht hier<br />
eine Kooperation mit Karl Friedrich Bohler<br />
vom Teilprojekt C3 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und der<br />
Forschungsgruppe von Klaus Dörre.<br />
Zweitens: Aufgrund der geringen Fallzahlen<br />
bleiben die Versuche einer Erklärung über<br />
einfache bivariate Auszählungen relativ<br />
beschränkt und können daher nur zur Generierung<br />
von weiterführenden Hypothesen<br />
genutzt werden. Für eine Vertiefung braucht<br />
man repräsentative Daten und multivariate<br />
Analysemethoden. Auch hierzu liegen aus unserem<br />
<strong>SFB</strong>-Projekt bereits erste Analysen auf<br />
der Basis des SOEP vor (Krause u.a. 2007). In<br />
diesem Zusammenhang ist auch eine Kooperation<br />
mit dem Teilprojekt C6 von Pinquart<br />
und Silbereisen geplant.<br />
Seite 184
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
12<br />
BkV: 4,10; C: 3,5,8; G. 3,10, M: 1,6; UnD: 2,4,5<br />
Fussnoten<br />
1<br />
Studenten der LF 05/06 (Branchen der untersuchten Fälle in<br />
Klammern): Andrea Ruge (P); Anke Noack (UnD, M); Anne-<br />
Kathrin Hofmann (G); Christin Lucas (G, B); Christina Sittig<br />
(B, UnD); Christoph Wendt (M, G); Daniela Steins (BkV, H);<br />
Franziska Langenhahn (M, G); Janine Bernhardt (BkV, UnD);<br />
Janine Bradschetl (B, P); Jeannine Albrecht (BkV, M); Josefine<br />
Bär (M, H); Kevin Diesing (G); Kirsten Limbecker (C); Lena<br />
Lieverscheidt (M, G); Marcela Pineda de Castro (C); Marcus<br />
Schulze (C); Patricia Reupsch (M, G); Peter Frey (M); Ralf<br />
Bartho (M, BkV); Ronny Gärtner (G); Sandra Spiller (B, M);<br />
Sebastian Helbig (M, UnD); Stefanie Horn (BkV); Tina Nitsche<br />
(BkV); Tobias Ludwig (G, BkV); Tom Urban (C, G)<br />
2<br />
Die Grafik enthält die im Sample zahlenmäßig am stärksten<br />
vertretenen Branchen; zur Berechnung wurden alle Branchen<br />
herangezogen.<br />
3<br />
Die Grafik enthält die im Sample zahlenmäßig am stärksten<br />
vertretenen Branchen; zur Berechnung wurden alle Branchen<br />
herangezogen.<br />
4<br />
Zwei Befragte machten keine Angaben zu zukünftigen Entwicklung<br />
der Beschäftigung.<br />
5<br />
Individuelles Beschäftigungsrisiko und wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit<br />
werden im Folgenden synonym verwendet.<br />
6<br />
Als geringe wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit interpretieren<br />
wir Selbsteinschätzungen von weniger als 80 Prozent.<br />
7<br />
Die Prozentwerte geben im Folgenden die wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit an.<br />
8<br />
Die auffällig breite Streuung der Sicherheitsurteile zwischen<br />
den Extrema 50 und 100 Prozent Sicherheit in den Branchen<br />
Gesundheit und Metall legt eine feinere Differenzierung nach<br />
Berufen und Betrieben innerhalb einer Branche nahe, die hier<br />
nicht zu leisten war.<br />
9<br />
Da die Befragten ihren Arbeitsplatz im Mittel zu 80 Prozent<br />
sicher bewerten, haben wir diesen Wert zur Klassifizierung der<br />
Fälle in „sicher“ und „unsicher“ gewählt.<br />
10<br />
BkV: 10; C: 2; H: 1,2<br />
13<br />
BkV: 6; C: 5; G: 3; UnD: 3,5<br />
14<br />
BkV: 2; C: 2,4,8; G: 8,14; H: 1; M: 2,3,12<br />
15<br />
G: 3,9; M: 2; UnD: 5<br />
16<br />
B: 1; BkV: 1,10; M: 9; P: 1,2; UnD: 3,5<br />
17<br />
z.B. C: 7; G: 7,10; M: 2,3,6,14; UnD: 4<br />
18<br />
G: 6,8; M: 6,15<br />
19<br />
B: 1; BkV: 6; G: 13; M: 9<br />
20<br />
Die Berufsbiografie, die darüber hinaus einen Einfluss auf<br />
das Sicherheitserleben von Beschäftigten hat, muss hier leider<br />
weitgehend unberücksichtigt bleiben.<br />
20<br />
Eine Ausnahme bilden Sozialleistungen, die von keinem der<br />
Befragten als Sicherheitsoption erwähnt wurden ein Befund,<br />
der möglicherweise auf eine wahrgenommene Erosion sozialer<br />
Sicherheit deutet.<br />
22<br />
z.B. BkV: 1,2,6; C: 5,7; P: 2; UnD: 3,4<br />
23<br />
Alle mit * gekennzeichneten Befragten in Tabelle 5.2.2 zeigen<br />
mehrere Konfliktarten. Eine Einordnung wird jeweils nach<br />
dem höchsten Konfliktniveau vorgenommen.<br />
24<br />
Siehe Appendix II: Transkriptionsregeln.<br />
25<br />
Diese Ausführungen sind als erster Schritt zu verstehen, den<br />
Habitus der Befragten aufzudecken.<br />
26<br />
Es lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen den Typen<br />
„Maßstäbe setzen“ und Pongratz’„Leistungsoptimierer“ sowie<br />
„Anforderungen erfüllen“ und „Leistungssicherer“ feststellen.<br />
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den<br />
Leistungssicherern und dem Handlungstypus „Anforderungen<br />
erfüllen“, nämlich die höhere Leistungsbereitschaft des ersteren.<br />
Nicht ohne weiteres lassen sich hingegen die „überfordert Resignierten“<br />
und die „Leistungserfüller“ vergleichen.<br />
27<br />
Vgl. Appendix II: Transkriptionsregeln.<br />
28<br />
Begriffe des Kapitals geführt wurde und wird (zu einer<br />
Kritik dieses Konzepts Honneth 1990), entschieden<br />
uns jedoch für dieses Konzept, da insbesondere der<br />
Zustand des Kapitals als „inkorporiertes Kapital“<br />
einen viel versprechenden Anknüpfungspunkt<br />
liefert, wieso die Ressourcen von Befragten so bedeutsam<br />
für ihre Handlungsorientierungen sind.<br />
Seite 185<br />
11<br />
Die Unternehmenslage wurde über eine Skala von 1-10 erhoben,<br />
wobei 10 eine sehr gute wirtschaftliche Lage kennzeichnet.<br />
Über die Hälfte der Befragten bezifferte diese mit einem Wert<br />
zwischen 7,5 und 10.
Generalisierung Vorwort von Unsicherheit?<br />
29<br />
Es ergibt sich gemäß dieser Definition des beruflichen<br />
Qualifikationsniveaus eine teilweise Überschneidung der<br />
Dimensionen, da die Ansammlung von fachspezifischen Qualifikationen<br />
auch Merkmal der basalen Leistungsorientierung<br />
Maßstäbe setzen ist. Dennoch haben wir diese Überschneidung<br />
zugelassen, da einerseits Weiterbildung u.ä. formell wie auch in<br />
der subjektiven Wahrnehmung einen Einfluss auf das berufliche<br />
Qualifikationsniveau von Beschäftigten hat und andererseits<br />
die selbstständige Erweiterung der beruflichen Qualifikation<br />
nur eine Dimension der Kriterien zur Unterscheidung der<br />
Typen basaler Leistungsorientierung ist.<br />
30<br />
Die Ähnlichkeiten zwischen Pongratz` Typen der Leistungsorientierung<br />
und unseren Typen der Anpassungsorientierung<br />
wurden in Abschnitt 5.1. dargelegt.<br />
31<br />
BkV: 1; C: 4; G: 4,6,8; M: 2,6,8,9,14,15; P: 1: UnD: 2,5<br />
32<br />
Auf die Nützlichkeit von Beziehungsnetzwerken für den<br />
Zugang zum Arbeitsmarkt macht u.a. Dörre aufmerksam,<br />
wobei dieser besonders auf das häufig gemeinsame Auftreten<br />
von prekären Beschäftigungsverhältnissen und fehlenden bzw.<br />
instabilen sozialen Netzwerken hinweisen. Vergleiche hierzu<br />
auch den Klassiker von Windolf und Hohn (1984).<br />
33<br />
Dafür spricht, dass diejenigen, die sich eher extern orientieren,<br />
zwar Pläne und Vorstellungen haben, wie ein Wechsel mit einem<br />
Rückgriff auf ihre sozialen Netzwerke aussehen könnte, aber<br />
mehrheitlich bislang keine Initiative ergriffen haben, diesen<br />
Wechsel voranzubringen.<br />
34<br />
z.B. Bellmann u.a. 1996<br />
35<br />
G: 2,8; M: 1,5,6; UnD: 5<br />
36<br />
UnD: 5<br />
Seite 186
L i t e r at u r-<br />
verzeichnis<br />
Seite 187
literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
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Beschäftigungsdauern und betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
(BBSS), In: Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung<br />
und Arbeitspolitik. Jg. 15, Heft 3: S.167-180.<br />
Vogel, Berthold (2004): Leiharbeit. Neue sozialwissenschaftliche<br />
Befunde zu einer prekären Beschäftigungsform, Hamburg.<br />
Voß, G. Günter/ Pongratz, Hans J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer.<br />
Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In:<br />
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 50,<br />
Heft 1: S.131-158.<br />
Voß, G. Günter/ Pongratz, Hans J. (2003): Der Arbeitskraftunternehmer.<br />
Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen,<br />
Berlin.<br />
Windolf, Paul/ Hohn, Hans-Willy (1984): Arbeitsmarktchancen<br />
in der Krise. Betriebliche Rekrutierung und soziale Schließung<br />
- eine empirische Untersuchung, Frankfurt a.M.
literaturverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview, In:<br />
Forum Qualitative Sozialforschung, Volume 1, Nr. 1. Unter:<br />
http://qualitative-research.net/fqs.<br />
Witzel, Andreas/ Kühn, Thomas (2000): Biographiegestaltung<br />
junger Fachkräfte in den ersten Berufsjahren. Methodologische<br />
Leitlinien und Herausforderungen im Zuge einer qualitativprospektiven<br />
Längsschnittstudie, In: Forum Qualitative Sozialforschung,<br />
Volume 1, Nr. 2. Unter: http://qualitative-research.<br />
net/fqs.<br />
Zilian, Hans Georg (Hrsg.) (2004): Insider und Outsider,<br />
München/Mering.<br />
Seite 191
Abbildungsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 3.4.1:<br />
Wirtschaftliche Situation der Betriebe ...113<br />
Abbildung 3.4.2:<br />
Beschäftigungsentwicklung in der Vergangenheit nach Branchen (N=43) ...115<br />
Abbildung 3.4.3:<br />
Beschäftigungsentwicklung in der Zukunft nach Branchen (N=42) ...116<br />
Abbildung 3.4.4:<br />
Beschäftigungsentwicklung in den letzten 5<br />
Jahren und Erwartungen für die Zukunft (N=50) ...117<br />
Abbildung 4.2.1:<br />
Ist Unsicherheit Thema im Arbeitsbereich der Befragten? (N=52) ...122<br />
Abbildung 4.2.2:<br />
Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in Prozent (N=52) ...123<br />
Abbildung 4.2.3:<br />
Arbeitsplatzsicherheit auf Basis der inhaltlichen Textpassagen (N=52) ...130<br />
Abbildung 4.3.1:<br />
Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit im betrieblichen Kontext ...138<br />
Abbildung 5.3.1:<br />
Typen von Leistungsorientierung unter Berücksichtung der<br />
Arbeitsmarktorientierung (N=52) ...164<br />
Seite 192<br />
Abbildung 6.2.1:<br />
Leistungsorientierung im Verhältnis zum beruflichen<br />
Qualifikationsniveau (N=52) ...171
Tabellenverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 2.1.1 Fallauswahl – Branche und Betriebsgröße ...100<br />
Tabelle 2.1.2: Qualifikation und Position nach Geschlecht und Branche ...101<br />
Tabelle 3.2.1: Arbeitsmarktsegmente und BBss ...106<br />
Tabelle 3.2.2: Varianten Geschlossener „BBSS“ ...110<br />
Tabelle 4.2.1: Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in Prozent nach<br />
Branchen (N=52) ...125<br />
Tabelle 4.2.2: Unsicherheit im Arbeitsbereich und wahrgenommene<br />
Arbeitsplatzsicherheit im Vergleich ...126<br />
Tabelle 4.4.1: Das individuelle Sicherheitsnetz ...143<br />
Tabelle 5.2.1: Arbeitsmarktorientierung und Konfliktorientierung ...151<br />
Tabelle 5.2.2: Vertiefte Konfliktorientierung ...153<br />
Tabelle 5.3.1: Leistungsorientierung ...155<br />
Tabelle 5.3.2: Typen der Erwerbsorientierung ...161<br />
Tabelle 5.3.3: Basale Leistungsorientierungen ...163<br />
Tabelle 5.4.1: Aufstellung der Fälle gemäß der Arbeitsmarktorientierung<br />
und Leistungsorientierung ...165<br />
Tabelle 6.1.1: Subjektive Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsmarktorientierung ...167<br />
Tabelle 6.1.2: Individuelle Arbeitsplatzsicherheit und basale<br />
Leistungsorientierungen ...168<br />
Seite 193<br />
Tabelle 7.2.1: Sicherheitskonstruktionen ...183
Seite 194<br />
Appendix I&II
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Appendix I: Leitfaden LF 05/ 06<br />
Übersicht Themenkomplexe<br />
Themenkomplex 1:<br />
Einblick in den Arbeitsbereich<br />
Zielstellung: Erfassung was und wie der Proband<br />
arbeitet und Aussagen zu Vergangenheit<br />
/ Zukunft.<br />
Themenkomplex 2:<br />
Interner Arbeitsmarkt (BBS)<br />
Zielstellung: Erfassung der Struktur und<br />
Funktionsweise des internen Arbeitsmarktes in<br />
der Abteilung.<br />
Themenkomplex 3:<br />
Sicherheit / Unsicherheit im Betrieb und Handlung<br />
Zielstellung: Erfassung der betrieblichen Sicherheitslage<br />
des Probanden sowie Klärung der<br />
Intensität des Erlebens dieser Lage. Welche<br />
Handlungsfolgen hat die Sicherheitslage?<br />
Themenkomplex 4:<br />
Externer Arbeitsmarkt<br />
Zielstellung: Hat der Proband Alternativen<br />
auf dem Arbeitsmarkt und was tut er dafür?<br />
Themenkomplex 5:<br />
Haushaltskontext und Zukunftsfrage<br />
Zielstellung: Hängt dem Probanden die Familie<br />
finanziell am Bein und verschärft ggfs.<br />
seine Unsicherheit – oder bietet der Haushalt<br />
eher Sicherheit, weil andere dort Geld verdienen?<br />
Was tun die Leute, um über die<br />
Familie die Sicherheit zu erhöhen?<br />
Seite 195<br />
Die Themenkomplexe 1 und 2 dienen<br />
der Einführung. Die Themenkomplexe<br />
3 bis 5 leuchten die drei Säulen<br />
der Sicherheit (Betrieb, Arbeitsmarkt, Familie)<br />
sowie die Handlungsfolgen aus.
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Leitfaden LF 05 / 06<br />
Interviewanweisung Vorlesen:<br />
Vielen Dank für Ihre Bereitschaft zur Teilnahme<br />
an unserer Befragung. Wir, die Teilnehmer<br />
der Lehrforschung 2005/2006 an der FSU<br />
Jena, führen eine Erhebung in verschiedenen<br />
Branchen zur Beschäftigungsstabilität bzw.<br />
Beschäftigungsunsicherheit durch. Beschäftigungsunsicherheit<br />
ist momentan ein viel diskutiertes<br />
Thema. In unserer Erhebung sollen<br />
drei Fragen im Vordergrund stehen:<br />
1. Wie sieht die Situation in Ihrem Betrieb<br />
und Arbeitsbereich aus?<br />
2. Wie sehen Sie die Frage der Arbeitsplatzunsicherheit<br />
für Sie persönlich?<br />
3. Welche Handlungsmöglichkeiten haben<br />
sie in Betrieb und Arbeitsmarkt?<br />
Wir bitten Sie die Fragen umfassend zu beantworten.<br />
Falls Sie auf die eine oder andere<br />
nicht antworten wollen bzw. können ist dies<br />
kein Problem.<br />
Themenkomplex 1: Einblick in den Arbeitsbereich<br />
Als erstes möchte ich einen Einblick in Ihren<br />
Arbeitsbereich bekommen. Bitte nennen Sie<br />
mir Ihre Berufsbezeichnung und machen Sie<br />
mich ein wenig mit Ihrem Aufgabenbereich<br />
vertraut. Welches Aufgabengebiet haben<br />
Sie?<br />
Welche Produkte und Leistungen werden in<br />
ihrem Tätigkeitsbereich hergestellt?<br />
Was sind dabei Ihre Aufgaben?<br />
Worauf kommt es bei dieser Tätigkeit hauptsächlich<br />
an?<br />
Was muss man dafür vor allem können?<br />
Arbeiten Sie allein oder in der Gruppe?<br />
Wie lange sind sie schon im Unternehmen?<br />
Wie lange auf diesem Arbeitsplatz?<br />
Mit Blick auf Ihren Arbeitsbereich? Sind Sie<br />
zufrieden mit Ihrer Arbeit?<br />
Was motiviert Sie bzw. was demotiviert Sie?<br />
Hat sich in den letzten Jahren in Ihrem Arbeitsbereich<br />
viel verändert?<br />
Muss man mehr arbeiten, bei gleichem Lohn?<br />
Hat sich die Stimmung verändert?<br />
Wird sich an Ihrer Arbeitssituation, in ihrem<br />
Arbeitsbereich in Zukunft etwas verändern?<br />
Seite 196<br />
Wie können Sie dies beeinflussen?
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Themenkomplex 2: Interner Arbeitsmarkt<br />
(BBS)<br />
1. Beschäftigungsentwicklung und erwartete<br />
Zukunft<br />
Wie hat sich die Beschäftigung in Ihrem<br />
Betrieb in den letzten fünf Jahren entwickelt?<br />
Gab es Wachstum / Schrumpfung oder keine<br />
Veränderung?<br />
Warum? Was waren die Ursachen?<br />
Wird es in Zukunft eher ein Wachstum /<br />
Schrumpfung oder keine Veränderung in<br />
Ihrem Betrieb geben?<br />
Warum? Woran machen Sie das fest?<br />
2. Beschäftigungsdauern im Arbeitsbereich<br />
Wie sehen die Arbeitsverträge in Ihrer Abteilung<br />
aus?<br />
Merkpunkte:<br />
Anteil befristet oder unbefristet<br />
Anteil Teilzeit- oder Vollzeitarbeitsplätze<br />
Jetzt interessieren nicht die Arbeitsverträge<br />
an sich, sondern wie lange die Kollegen aus<br />
Ihrem Arbeitsbereich tatsächlich in Ihrem<br />
Unternehmen bleiben, bevor sie den Betrieb<br />
verlassen? (Egal ob freiwillig oder unfreiwillig).<br />
a) Wie groß ist der Anteil derer, die schon in<br />
den ersten zwei Jahren gehen (egal ob freiwil-<br />
lig oder unfreiwillig)? Bitte schätzen Sie den<br />
Anteil!<br />
b) Wie viele bleiben mittelfristig und gehen<br />
nach mehreren Jahren (maximal 10 Jahre)<br />
(wiederum egal ob freiwillig oder unfreiwillig)?<br />
Bitte schätzen Sie den Anteil!<br />
c) Wie viele bleiben langfristig und im Extremfall<br />
bis zur Rente? Bitte schätzen Sie den<br />
Anteil!<br />
Was vermuten Sie sind die Gründe dafür,<br />
dass die Beschäftigungsverhältnisse in Ihrem<br />
Arbeitsbereich vorrangig kurz-, mittel- oder<br />
langfristig (Interviewanweisung: passend benennen)<br />
sind?<br />
Gibt es Leiharbeiter oder andere externe<br />
Mitarbeiter in Ihrem Arbeitsbereich?<br />
Wenn ja: Auf welchen Arbeitsplätzen werden<br />
sie eingesetzt?<br />
3. Personalaufbau<br />
Wie werden in Ihrer Abteilung freie Stellen<br />
besetzt: eher von Innen oder eher von Außen?<br />
(Interviewanweisung: intern und extern<br />
-> beides abfragen)<br />
Stellenbesetzung intern:<br />
Was sind das für Stellen, die von Innen<br />
besetzt werden?<br />
Gibt es typische Aufstiegswege?<br />
Wie kommt man an die guten Jobs?<br />
Stellenbesetzung extern:<br />
Was sind das für Stellen, die von Außen besetzt<br />
werden?<br />
Seite 197
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Was sind die Einstellungsvoraussetzungen?<br />
Kommt es vor, dass Kollegen gegen Personal<br />
von Außen ausgetauscht werden? Warum?<br />
Wie läuft das ab?<br />
Merkpunkte - Gründe für den<br />
Austausch von Personal:<br />
Mehr Qualifikation und Leistung?<br />
Verjüngung der Belegschaft?<br />
Andere / spezifische<br />
Qualifikationen gefragt?<br />
altersbedingt<br />
Merkpunkte - Formen des Personalabbaus:<br />
Vorzeitverrentung / Altersteilzeit)<br />
Aufhebungsverträge /<br />
Abfindungen Kündigungen<br />
(betriebsbedingt / personenbedingt)<br />
Merkpunkte - Kriterien der Personalauswahl:<br />
bei Aufhebungsverträgen: freiwillig oder<br />
Druck bei betriebsbedingten Entlassungen:<br />
nur Leistung/Qualifikation<br />
oder auch soziale Kriterien<br />
(Familie, Beschäftigungsdauer)<br />
4. Entlassungen<br />
Hat es in Ihrem Arbeitsbereich Entlassungen<br />
gegeben?<br />
Wenn ja: Wie laufen Entlassungen ab?<br />
Was waren die Gründe für Entlassungen (personell<br />
oder betrieblich)? Bei betriebsbedingten<br />
Kündigungen: Nach welchen Kriterien wurden<br />
die Leute entlassen? Wer wurde warum ausgewählt?<br />
Kann man sich in Ihrem Betrieb auf den<br />
Kündigungsschutz nach Betriebszugehörigkeit<br />
/ Alter und Familienstand verlassen?<br />
Warum? oder Warum nicht? (passend fragen)<br />
Könnten Sie im Falle einer Entlassung irgendwie<br />
Einfluss nehmen?<br />
Seite 198
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Themenkomplex 3: Sicherheit / Unsicherheit<br />
im Betrieb und Handlung<br />
Interviewanweisung: Neutraler Einstieg, Themenkomplex<br />
3 nicht namentlich benennen:<br />
Im folgenden Themenkomplex 3 soll es um<br />
Beschäftigungsdauern in Ihrem Betrieb und<br />
in Ihrem Arbeitsbereich gehen.<br />
1. Zentrale Merkmale der Arbeit und Sicherheitslage<br />
Was steht bei Ihrer derzeitigen Arbeits- und<br />
Beschäftigungssituation im Vordergrund?<br />
(Interanweisung: Unterfrage nur stellen<br />
wenn Sicherheits- / Unsicherheitsthema<br />
nicht angesprochen wird)<br />
Unsicherheit ist in vielen Branchen und<br />
Betrieben weit verbreitet. Inwieweit hat das<br />
wachsende Umfeld von Unsicherheit Auswirkungen<br />
in Ihrem Arbeitsbereich? Können Sie<br />
etwas beobachten?<br />
2. Quantifizierung / gesellschaftlicher Vergleich<br />
und Bedeutung<br />
Wie sicher ist ihr Arbeitsplatz? 100 % oder<br />
eher weniger, schätzen Sie bitte?<br />
Warum diese Einteilung?<br />
(Interviewanweisung: Visualisierung?)<br />
Woran machen Sie das fest?<br />
Was sind die Gründe für diese Sicherheit/Unsicherheit?<br />
Hängt die Sicherheit / Unsicherheit mit der<br />
Arbeitsleistung der Abteilung zusammen,<br />
spielt die wirtschaftliche Lage eine Rolle?<br />
Sehen Sie sich mit einem Verhältnis von …%<br />
zu …% (Interviewanweisung: passend nennen)<br />
im Durchschnitt der Bevölkerung? Darüber<br />
oder darunter?<br />
Wenn Sie an Ihre eigene Situation denken,<br />
wie kann ich mir das vorstellen, was bedeutet<br />
diese Sicherheitslage von …% zu …% (Interviewanweisung:<br />
passend nennen) für Sie?<br />
Wie erleben Sie das? Welchen Wert hat<br />
betriebliche Beschäftigungssicherheit für<br />
Sie?Würden Sie dafür auch Abstriche bei Lohn<br />
/ Gehalt und Arbeitszeit hinnehmen?Wann ist<br />
man gefährdet?<br />
Fazit: Fühlen Sie sich mehr sicher oder unsicher?<br />
Welche Folgen hat das für Sie?<br />
3. Handlung<br />
Sie haben Ihren Arbeitsplatz als …% sicher<br />
und …% unsicher (Interviewanweisung:<br />
passend nennen) eingeschätzt. Wie geht man<br />
eigentlich damit um? Was machen Sie in<br />
dieser Situation?<br />
Welche Einflussmöglichkeiten hat man als<br />
Beschäftigter? Wie nehmen Sie Einfluss?<br />
Gehen Sie anders an die Arbeit heran?<br />
(Dienst nach Vorschrift)<br />
War das früher anders?<br />
Was oder wer hilft Ihnen dabei?<br />
Sucht man nach Alternativen?<br />
Seite 199
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Merkpunkte -<br />
Handlungsmöglichkeiten im Betrieb:<br />
a) Anpassung<br />
passiv (Verzicht auf Lohn(erhöhung),<br />
unbezahlte Mehrarbeit, Konfliktverzicht )<br />
aktiv (sich unersetzbar machen<br />
durch Qualifikation und Leistung,<br />
andere wegkonkurrieren)<br />
b) Konflikt<br />
passiv (weniger Leistung, mehr Krankentage,<br />
Fehler, innere Kündigung)<br />
aktiv individuell (Beschwerde beim Chef )<br />
aktiv kollektiv (gemeinsamer Protest,<br />
Betriebsrat, Gewerkschaft)<br />
c) Ausstieg vorbereiten<br />
Suche nach anderem Job / Weiterqualifizierung<br />
Selbständigkeit<br />
Ausstieg (Familie, Bildung, Rente)<br />
Sie haben jetzt über Ihre Handlungsmöglichkeiten<br />
gesprochen. Könnte sich diese<br />
Situation in Zukunft verändern?<br />
Wie können Sie dies beeinflussen?<br />
4. Folgen der Sicherheitslage für die Kollegen im<br />
Arbeitsbereich<br />
Sie haben vorhin Ihre Sicherheitslage als<br />
… (Interviewanweisung: passend nennen)<br />
beschrieben. Gilt diese Sicherheitslage auch<br />
für Ihre Kollegen gleichermaßen?<br />
Wenn ja: Welche Folgen hat das für Ihre Kollegen?<br />
Wie verhalten die sich?<br />
Rückt man enger zusammen?<br />
Kann man seine Meinung sagen?<br />
Verzichtet man auf Rechte, auf Kontakt mit<br />
dem Betriebsrat?<br />
Wenn nein:<br />
Wie schätzen sich Ihre Kollegen ein?<br />
Warum dieser Unterschied? Welche Folgen<br />
hat dieser Unterschied?<br />
Gibt es Konflikte innerhalb Ihres Arbeitsbereichs<br />
(in Bezug auf Arbeitsplatzunsicherheit)?<br />
Wie kann ich mir das vorstellen?<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Versucht der Arbeitgeber etwas für Sicherheit<br />
bzw. gegen die Unsicherheit zu machen?<br />
Geht das Unternehmen auf die Belange der<br />
Beschäftigten ein?<br />
Seite 200
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Themenkomplex 4: Externer Arbeitsmarkt<br />
Interviewanweisung: Themenkomplex 5 nicht<br />
namentlich benennen: Jetzt soll es um Sie und<br />
Ihre Chancen außerhalb des Unternehmens<br />
gehen.<br />
1. Chancen<br />
Merkpunkte - zu Chancen<br />
auf dem Arbeitsmarkt:<br />
Marktgängigkeit der Qualifikation<br />
Zweitqualifikationen / zweites berufliches<br />
Standbein, Weiterbildungen<br />
Vitamin B Netzwerke<br />
Aktive Nutzung dieser Ressourcen?<br />
Wie schätzen Sie ihre Chancen draußen auf<br />
dem Arbeitsmarkt ein?<br />
Wie schätzen die Chance ein, einen neuen<br />
Arbeitsplatz zu finden?<br />
Wie schätzen die Chance ein, einen vergleichbaren<br />
Arbeitsplatz zu finden?<br />
Warum glauben Sie haben Sie einen Vorteil<br />
gegenüber Anderen?<br />
2. Berufliche Anschlussfähigkeit<br />
Was tun Sie, um Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />
zu verbessern?<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Haben Sie einen Plan B für den Fall, dass Sie<br />
ihren Arbeitsplatz verlieren?<br />
Wie sieht der aus?<br />
Andere Jobs?<br />
Seite 201
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
Themenkomplex 5: Haushaltskontext<br />
und Zukunftsfrage<br />
Anhang I: Fragen zum Unternehmen, zur<br />
Abteilung und zum Arbeitsbereich<br />
Seite 202<br />
Jeder Mensch braucht Sicherheit. Welche<br />
Rolle spielt bei Ihnen in diesem Zusammenhang<br />
der Betrieb, die Familie, der Arbeitsmarkt?<br />
Warum biete Ihnen gerade der Betrieb, die Familie,<br />
der Arbeitsmarkt (Interviewanweisung:<br />
passend nachfragen) Sicherheit?<br />
Was können Sie tun, um Ihre Sicherheit zu<br />
verbessern?<br />
Wir haben jetzt viel über Ihren Betrieb und<br />
Ihre Arbeit gesprochen. Arbeit und Familie<br />
hängen aber ganz eng miteinander zusammen.<br />
Sind weitere Personen auf Ihr Einkommen<br />
angewiesen und welche Bedeutung hat<br />
das für Sie?<br />
Wie lange würden Sie und Ihre Familie ohne<br />
Ihr Einkommen auskommen? Wäre das ein<br />
großes Problem für Sie?<br />
Umgekehrt: Gibt es in Ihrer Familie / Haushalt<br />
/ Paarbeziehung jemand anderen mit<br />
einem regelmäßigen Einkommen, der Ihnen<br />
Sicherheit gibt?<br />
Was bedeutet das für Sie?<br />
Entlastet Sie das – auch von Ihrer Arbeit?<br />
Zum Schluss eine allgemeine Frage<br />
zur Zukunft: Was wollen Sie beruflich<br />
erreichen?<br />
Hat es hier Veränderungen gegeben (Revision<br />
beruflicher Ziele und Entwürfe)?<br />
Interviewanweisung: Anhang I und II alle<br />
Fragen / Einleitungen vorlesen!<br />
Die folgenden Fragen können Sie ganz kurz<br />
beantworten – ein bis zwei Sätze reichen<br />
völlig aus, in den meisten Fällen sogar Ja oder<br />
Nein. Sie haben es fast geschafft.<br />
Allgemeine Angaben zum Unternehmen<br />
1. Wie würden Sie die wirtschaftliche Situation<br />
Ihres Unternehmens auf einer Skala von 1 bis<br />
10, wobei 10 das Optimum darstellt beschreiben?<br />
Bitte begründen Sie ganz kurz!<br />
2. Wie viele Beschäftigte gibt es am Standort /<br />
in Ihrer Betriebsstätte?<br />
3. Bildet das Unternehmen aus? Werden die<br />
Auszubildenden übernommen?<br />
4. Gibt es einen Betriebsrat?<br />
Ihr Arbeitsbereich<br />
1. Wie lautet die Bezeichnung Ihres Arbeitsbereichs?<br />
2. Wie viele Beschäftigte hat Ihr Arbeitsbereich?<br />
3. Wie sieht die Altersverteilung in Ihrem<br />
Arbeitsbereich aus (unter 35; 35-50; 50 und<br />
mehr)?
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
4. Gibt es spezielle Arbeitsplätze für ältere oder<br />
leistungsgeminderte Mitarbeiter?<br />
5. Gab es unfreiwillige Umsetzungen auf andere<br />
Arbeitsplätze oder gar in andere Standorte<br />
des Unternehmens?<br />
Wenn ja:<br />
Wie häufig kommt so etwas vor? Gibt es dafür<br />
spezielle Regelungen oder Verfahren?<br />
Haben sich die Leute bei Umsetzungen oder<br />
Entlassungen gewehrt?<br />
Wenn nein:<br />
Ist damit zu rechnen? Warum?<br />
Anhang II: Fragen zur Person<br />
Jetzt geht es abschließend um Ihre Person.<br />
Im Folgenden noch einige kurze Fragen.<br />
1. Was waren Ihre bisherigen beruflichen Stationen?<br />
2. In welchem Jahr sind Sie geboren?<br />
3. Welchen Beruf haben Ihre Eltern?<br />
4. In welcher Region verbrachten Sie Ihre Jugendzeit,<br />
d.h. die Zeit zwischen dem 12. und<br />
dem 20 Lebensjahr vorwiegend?<br />
Einkommen und Tarife<br />
1. Was haben Sie für ein Lohn- und Gehaltssystem?<br />
2. Wie kommt man zu Lohn-Gehaltserhöhungen?<br />
Betriebsvereinbarungen<br />
1. Gibt es für Ihre Abteilung oder Ihren Standort<br />
Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherheit?<br />
Wie sehen diese Vereinbarungen aus?<br />
5. Was ist Ihr höchster beruflicher Bildungsabschluss?<br />
6. Wie hoch ist Ihr monatliches Netto-Einkommen<br />
aus Ihrer Erwerbstätigkeit? Ich meine<br />
damit die Summe, die nach Abzug von Steuern<br />
und Sozialversicherungsbeiträgen verbleibt?<br />
Ich nenne Ihnen jetzt Einkommensgruppen.<br />
Bitte ordnen Sie sich entsprechend zu:<br />
bis unter 500 €<br />
501 bis 1000 €<br />
1001 bis 2000 €<br />
2001 bis 3000 €<br />
3001 bis 4000 €<br />
4001 und mehr.<br />
Merkpunkte:<br />
Festes Einkommen oder Leistungslohne<br />
Lohnsystem durch Tarifvertrag<br />
geregelt (Branchentarifvertrag, Haustarifvertrag)<br />
oder rein betrieblich<br />
Einkommen unter über oder auf dem Tarif?<br />
7. Leben Sie in einer Ehe oder einer<br />
festen Partnerschaft?<br />
8. Haben Sie Kinder? Alter der Kinder?<br />
Seite 203
Appendix I: Vorwort Leitfaden LF 05/ 06<br />
9. Ist Ihr Partner erwerbstätig? In welcher<br />
Branche? (Vollzeit oder Teilzeit; befristet oder<br />
unbefristet)<br />
Wie sicher ist der Arbeitsplatz Ihres Partners?<br />
10. Wie viele Monate könnten Sie im Notfall<br />
ohne ein Arbeitseinkommen Ihren derzeitigen<br />
Lebensstandard halten (inklusive Arbeitslosengeld,<br />
Geld des Partners und ähnlichem)?<br />
11. Sind Sie Mitglied einer Gewerkschaft?<br />
12. Noch eine Abschlussfrage: Wie würden Sie<br />
die Interessen von Arbeitnehmern heutzutage<br />
beschreiben?<br />
13. Geschlecht: ... (Interviewanweisung: nicht<br />
abfragen)<br />
Sie haben es geschafft! Vielen Dank für Ihre<br />
Geduld, Sie haben uns sehr geholfen.<br />
Seite 204
Appendix II: Transkriptionsregeln<br />
Vorwort<br />
Appendix II: Transkriptionsregeln<br />
1.) Sorgfältig transkribieren. Es geht schnell mal ein Wort, eine Verneinung etc. verloren.<br />
2.) Nach jedem Wechsel der Person (Proband; Interviewer) folgt ein Absatz.<br />
3.) Personen werden jeweils, d.h. vor jedem Absatz, mit Bef. (Befragter) und<br />
Int. (Interviewer) gekennzeichnet.<br />
4.) Sprachpausen werden im Text durch (*) gekennzeichnet.<br />
(*) bis 3 Sekunden / (**) 4-10 Sekunden / (***) mehr als 10 Sekunden<br />
5.) Verbale Laute des jeweiligen „Nicht-Hauptsprechers“ werden in Klammern<br />
im Text wiedergegeben. Zum Beispiel:<br />
Bef. ... da habe ich gesagt jetzt ist Schluss, da mache ich nicht mehr mit (hmhm),<br />
aber der hat keine Reaktion gezeigt (*), das war schon schwierig.<br />
Hier ist die verständnisvoll/ermunternde Reaktion durch (hmhm) markiert und eine<br />
kleine Pause durch (*) gekennzeichnet.<br />
6.) Unterbrechungen des Interviews werden als eigener Absatz und ebenfalls in<br />
Klammern ausgewiesen. Genannt wird die Dauer der Unterbrechung sowie der<br />
Anlass der Unterbrechung. Beispiele:<br />
(Unterbrechung: 5 Minuten, Telefongespräch) oder<br />
(Unterbrechung: 1 Minute, Bef. gießt Kaffe nach).<br />
7.) Erkennbare Betonungen werden durch Rauten gekennzeichnet. Beispiel:<br />
... und überlegen Sie mal, neun# Kinder, also da geht natürlich gar nichts mehr.<br />
Hier wird die Dehnung des Wortes n-e-u-n Kinder kenntlich gemacht.<br />
8.) Es ist bei unserem Forschungsgegenstand kein Problem die Umgangsprache in<br />
Maßen zu glätten und Dialekte nicht zu transkribieren. Beispiel:<br />
Nicht: ... da hamwa aba mächtich zujeschlajen, so dat dat voll jebrummt hat.<br />
Sondern: da haben wir aber mächtig zugeschlagen, so das das voll gebrummt<br />
hat.<br />
9.) Beim Speichern und Ausdruck bitte links 2,5 cm Rand,<br />
Schrift: Courier 12, 60 Zeichen pro Zeile, 1,5zeiligen Zeilenabstand<br />
Seite 205
Seite 206
Vitae<br />
Seite 207
Vorwort Vitae<br />
Janine Bernhardt (*geb. 1980), 1998-2002<br />
Ausbildung zur Bankkauffrau und Beschäftigung<br />
bei der Sparkasse Leipzig. Seit 2002 Studium<br />
der Soziologie, Wirtschaftswissenschaften<br />
und Psychologie (MA) in Jena. 2004-2005<br />
Auslandsstudium an der University of Aberdeen<br />
(UK). 2005 Praktika am Wirtschaftsforschungsinstitut<br />
in Halle (iwh) und am Institut<br />
für Arbeit und Wirtschaft in Bremen (iaw).<br />
Seit 2005 studentische Projektassistentin am<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ( Jena/Halle), Teilprojekt B2. 2007<br />
Deutscher Studienpreis der KörberStiftung:<br />
Dritter Preis zum Thema Arbeit und Leben<br />
(mit K. Loudovici, H. Riemann). Forschungsinteressen:<br />
Arbeitsmarkt, Soziale Ungleichheit,<br />
Organisation.<br />
Christoph Köhler (*geb. 1950), Prof. Dr. phil,<br />
1980- 1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am ISF- München. Seit 1996 Professor für<br />
Arbeitsmarkt und Berufsforschung am Institut<br />
für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena. Forschungsgebiete: Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung, Soziale Ungleichheit. Weitere<br />
Veröffentlichungen: Being Local Worldwide,<br />
Cornell University Press 1999 (mit J. Bèlanger,<br />
Ch. Berggren; T. Björkman). Beschäftigungsstabilität<br />
im Wandel, München, Mering 2005<br />
(mit O. Struck); Arbeit und Gerechtigkeit,<br />
Wiesbaden 2006 (mit G. Stephan, O. Struck<br />
u.a.). Labour Market Segmentation in Eastern<br />
and Western Europe, München, Mering 2007<br />
(mit O. Struck).<br />
Seite 208<br />
Email: janine_bernhardt@gmx.net<br />
Email: christoph.koehler@uni-jena.de
Vorwort Vitae<br />
Kai Loudovici (*geb. 1980), seit 2001 Studium<br />
der Soziologie und Erziehungswissenschaft<br />
(MA) an der Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena. Langjähriger studentischer Projektassistent<br />
im Teilprojekt B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Jena.<br />
Forschungsgebiete: Arbeitsmarkt- und Organisationsforschung.<br />
Qualitative Methoden.<br />
Weitere Veröffentlichungen: Geschlossene, offene<br />
und marktförmige Beschäftigungssysteme<br />
- Überlegungen zu einer empiriegeleiteten<br />
Typologie. In: <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen, Heft 14<br />
(mit C. Köhler, A. Bultemeier). Generalisierung<br />
von Beschäftigungsrisiko oder anhaltende Arbeitsmarktsegmentation?<br />
In: Berliner Journal<br />
für Soziologie, Heft 3/2007 (mit C. Köhler, O.<br />
Struck).<br />
Olaf Struck (*geb. 1964), Priv. Doz. Dr.<br />
phil., Oberassistent für Wirtschafts- und<br />
Sozialstrukturanalyse am Institut für Soziologie<br />
der Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena. Forschungsgebiete: Lebensverlauf und<br />
Sozialstrukturanalyse, Arbeits-, Betriebs- und<br />
Bildungssoziologie, Theorie, Statistik und Methoden.<br />
Veröffentlichungen: Flexibilität und<br />
Sicherheit. Wiesbaden 2006; Arbeit und Gerechtigkeit,<br />
Wiesbaden 2006 (mit G. Stephan,<br />
C. Köhler u.a.). Labour Market Segmentation<br />
in Eastern and Western Europe, München,<br />
Mering 2007 (mit C. Köhler).<br />
Email: givefeedback@yahoo.de<br />
Email: olaf.struck@uni-jena.de.<br />
Seite 209<br />
Mitglieder der studentischen Redaktionsgruppe: Simon Dittrich, Marcela Pineda de Castro,<br />
Christina Sittig, Sandra Spiller
22 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilung<br />
Heft 22, Dezember 2007<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
„Beschäftigungssysteme, Unsicherheit und Erwerbsorientierungen“<br />
Sprecher:<br />
prof. Dr. Everhard Holtmann<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />
institut für Politikwissenschaft,<br />
emil-Abderhalden-Str. 7, 06108 Halle/Saale,<br />
phone: +49 (0) 345/ 5524211,<br />
e-mail: everhard.holtmann@politik.uni-halle.de<br />
Verantwortlich für dieses Heft:<br />
Kai Loudovici<br />
Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
institut für Soziologie<br />
07743 Jena<br />
tel.: +49 (0) 3641 - 945561<br />
Fax: +49 (0) 3641 - 945552<br />
e-Mail: givefeedback@yahoo.de<br />
Logo:<br />
elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />
Cover & Satz: Jarno Müller<br />
Druck:<br />
universität Jena<br />
ISSN: 1619-6171<br />
Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />
der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />
Mittel gedruckt.<br />
Alle Rechte vorbehalten.