gPDF - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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CATI abseits<br />
von Mikrozensus<br />
und Marktforschung<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Telefonische Expertenbefragungen -<br />
Erfahrungen und Befunde<br />
Thomas Ritter<br />
Thomas Engel<br />
Ina Götzelt<br />
Stefan Jahr<br />
Bernd Martens<br />
(Hrsg.)<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen 2006<br />
17
17 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilung<br />
Heft 17, März 2006<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
„Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch.<br />
Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
Sprecher:<br />
prof. Dr. Heinrich Best<br />
sfb <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Telefon: +49 (0) 3641 94 55 40<br />
fax: +49 (0) 3641 94 55 42<br />
e-Mail: best@soziologie.uni-jena.de<br />
internet: www.sfb<strong>580</strong>.uni-halle.de<br />
www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de<br />
Verantwortlich für dieses Heft:<br />
Thomas Ritter<br />
friedrich-<strong>Schiller</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
sfb <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Telefon: +49 (0) 3641 94 55 93<br />
fax: +49 (0) 3641 94 55 52<br />
e-Mail: thomas.ritter@uni-jena.de<br />
Logo:<br />
elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />
Cover & Satz: Jarno Müller, Thomas Ritter<br />
Druck:<br />
universität <strong>Jena</strong><br />
ISSN: 1619-6171<br />
Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />
der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />
Mittel gedruckt.<br />
Alle Rechte vorbehalten.
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
CATI abseits<br />
von Mikrozensus<br />
und Marktforschung
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung<br />
1<br />
Vorwort<br />
Thomas Ritter ............6<br />
2<br />
Das CATI-Instrument in der Anwendung für Expertenbefragungen<br />
am Beispiel des <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanels<br />
Ina Götzelt ..........11<br />
3<br />
Telefonbefragungen ökonomischer Funktionseliten -<br />
Erfahrungen und Schlussfolgerungen<br />
Bernd Martens ..........27<br />
4<br />
Telefonische Befragung von parlamentarischen Eliten -<br />
CATI auf Abwegen?<br />
Stefan Jahr ..........43<br />
Seite <br />
5<br />
Personalisierte Fragebögen am Beispiel<br />
von Netzwerkerhebungen<br />
Sören Petermann ..........57
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung<br />
6<br />
Telefonische Experteninterviews mit Managern – Nutzen,<br />
Anforderungen, Praxis<br />
Thomas Engel, Michael Behr ..........67<br />
7<br />
Protokoll <strong>SFB</strong>-Kolloquium 27.04.2005<br />
Moderation - T. Ritter<br />
Referenten - C. Buchwald, T. Engel, I. Götzelt, P. Kirch,<br />
S. Jahr, B. Martens, N. Meingast, S. Petermann,<br />
R. Schünemann ..........84<br />
Autoren<br />
Vitae ..........93<br />
Seite
Einleitung<br />
Vorwort - Computer-Assisted<br />
Telephone Interviewing<br />
Thomas Ritter<br />
1<br />
Die <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong> verfügt seit Sommer 2004<br />
über ein modernes CATI-Labor.<br />
Aus Anlass der Eröffnung des Labors am<br />
Institut für Soziologie und zum Austausch<br />
von Erfahrungen mit computerunterstützten<br />
Telefonbefragungen, die in einer Reihe von<br />
Forschungsprojekten gewonnen werden konnten,<br />
organisierte der Sonderforschungsbereich<br />
<strong>580</strong> „Gesellschaftliche Entwicklungen nach<br />
dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition<br />
und Strukturbildung“ im April<br />
2005 ein Kolloquium. Bereits 2002<br />
Seite fand zum Thema Computer-Assisted<br />
Telephone Interviewing ein Workshop<br />
im Rahmen des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> statt. Dieser erste<br />
CATI-Workshop (vgl. <strong>SFB</strong> Mitteilungen,<br />
2002 Heft 4) 1 sollte die Leistungsfähigkeit des<br />
CATI-Instrumentes vorstellen und Besonderheiten<br />
gegenüber anderen Erhebungsmethoden<br />
herausarbeiten. In der Fortsetzung galt<br />
es in dem Kolloquium 2005 die gewonnenen<br />
Erfahrungen in einer projektübergreifenden<br />
Diskussion zu thematisieren um Grenzen und<br />
Potentiale auszuloten. Dieses Heft beinhaltet<br />
nun die überarbeiteten Beiträge der Referenten,<br />
sowie im Anhang die Diskussion zu<br />
den Referaten. 2<br />
In der Markt- und Meinungsforschung<br />
werden bereits über 44 % (ADM Geschäftsbericht<br />
2004) der Daten telefonisch erhoben.<br />
Der größte Anteil entfällt dabei auf Haushaltsbefragungen.<br />
Zu telefonischen Expertenbefragungen<br />
gibt es jedoch keine vertiefenden<br />
Auswertungen weder im erwähnten ADM-<br />
Geschäftsbericht noch einer anderen Quelle.<br />
Beide Befragungstypen verlangen allerdings<br />
unterschiedliche und differenzierte Arbeitsweisen.<br />
Da sich der Forschungsgegenstand<br />
der hiesigen CATI-Nutzer, vorrangig auf politische<br />
und wirtschaftliche Eliten sowie Experten<br />
bezieht, beeinflusst er zwangsläufig auch<br />
das Arbeitsprofil des Labors. Die Interviewer<br />
müssen ausdrücklich auf die Besonderheiten<br />
in der Akquise und in der Interviewsituation<br />
vorbereitet und auf die unterschiedlichen Erfordernisse<br />
eines telefonischen Experteninterviews<br />
geschult werden, um angemessen agieren<br />
und reagieren zu können.<br />
Die Phase, die über Erfolg oder Misserfolg<br />
einer Telefonbefragung entscheidet, ist<br />
die Akquisition von Interviewpartnern. Dies<br />
erfordert sowohl eine wohlüberlegte Anbahnungsphase<br />
im Vorfeld, als auch die Arbeit im<br />
Nachgang (Feldpflege z.B. durch Information<br />
über die Forschungsergebnisse). Der „behutsame“<br />
Umgang mit den Befragten und deren
Einleitung<br />
Zufriedenheit ist für die weitere Forschung<br />
elementar. Wenn sich hierzulande ähnliche<br />
Zugangsschwierigkeiten wie in England einstellen<br />
sollten 3 , dann wäre es für die hiesige<br />
Forschung, die auf Expertenbefragungen<br />
angewiesen ist, hochproblematisch und würde<br />
erhebliche Mehrkosten verursachen.<br />
Per Definition sind „Experten bzw. Expertinnen<br />
Personen, die sich - ausgehend von spezifischem<br />
Praxis- oder Erfahrungswissen, das<br />
sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis<br />
bezieht - die Möglichkeiten geschaffen haben,<br />
mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld<br />
sinnhaft und handlungsleitend zu strukturieren“<br />
(Bogner/Menz 2002, 45). Bogner und<br />
Menz verknüpfen mit dieser Definition die<br />
Forderung nach einem Interaktionsmodell für<br />
Experteninterviews, mit dem die interaktiven<br />
Effekte weniger als Störfaktor begriffen wird,<br />
sondern eher als eine konstitutiv und produktiv<br />
Rahmenbedingung (ebd., 46). Die allgemeine<br />
methodische Problemstellung des Experteninterviews,<br />
wird durch die Besonderheiten einer<br />
computergestützten Telefonbefragung erweitert.<br />
Diese Verfahrenskombination scheint<br />
sich heute als alltägliche Forschungspraxis<br />
durchzusetzen.<br />
Das „quick and dirty“ Stigma, welches der<br />
Telefonbefragung jahrzehntelang anhaftete,<br />
bezog sich gerade auf die qualitative Unsauberkeit<br />
des Verfahrens und schien deshalb im<br />
Besonderen nicht für Experten oder Elitenbefragungen<br />
geeignet zu sein. Die zunehmende<br />
Anforderung an sozialwissenschaftliche<br />
Forschungsvorhaben, repräsentativ-belastbare<br />
Aussagen aus Daten zu gewinnen und die<br />
neuen technischen Möglichkeiten (Computerisierung)<br />
erklären den verstärkten Rückgriff<br />
auf das CATI-Instrument. 4 Die neuen Bedingungen<br />
erfordern im Gegenzug aber auch eine<br />
inhaltliche Auseinandersetzung mit telefonisch<br />
geführten Experteninterviews.<br />
Der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> bietet im Rahmen der projektübergreifenden<br />
Methodendiskussion die<br />
Basis für eine vertiefte Beschäftigung mit dem<br />
telefonischen Experteninterview. Die langfristig<br />
angelegten Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ermöglichen<br />
eine synergetische „Reflexionsfläche“,<br />
die sowohl dem Telefonlabor als auch den<br />
Projekten in ihrer Arbeit zugute kommt.<br />
Hauptanliegen des hier vorgelegten Heftes<br />
ist die Darstellung von Erfahrungen bei der<br />
telefonischen Befragung von ökonomischen<br />
Funktionseliten (Bernd Martens), von parlamentarischen<br />
Eliten (Stefan Jahr) sowie von<br />
Personalverantwortlichen in Industrieunternehmen<br />
im Rahmen einer telefonischen Panelbefragung<br />
(Ina Götzelt). In der Diskussion<br />
um personalisierte Fragebögen am Beispiel<br />
von Netzwerkerhebungen (Sören Petermann)<br />
und in einem zusammenfassenden Diskussionsbeitrag<br />
über telefonische Experteninterviews<br />
von Managern (Michael Behr und<br />
Thomas Engel) werden, erste verallgemeinernde<br />
Schlussfolgerungen zur Anwendung<br />
des CATI-Instrumentes für die Befragung<br />
von Experten gezogen.<br />
Von höchstem Interesse wäre<br />
resümierend ein forschungsbegleitendes<br />
Projekt, das die strukturellen<br />
Seite <br />
Merkmale und Besonderheiten telefonischer<br />
Experteninterviews untersucht. Das<br />
vorliegende Heft möchte für Fragestellungen<br />
eines solchen Forschungsprojektes einen ersten<br />
Beitrag leisten.
Einleitung<br />
Fussnoten<br />
Literatur<br />
1<br />
Als Download einzusehen auf der Web-Präsenz des <strong>SFB</strong>:<br />
http://www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/veroeffentlichungen/zeitschrift/heft4.pdf<br />
(09/2005)<br />
2<br />
Zwei Referate (Christina Buchwald und Ralf Schünemann)<br />
die ebenfalls während des Kolloquiums vorgetragen wurden,<br />
werden in einem gesonderten Heft veröffentlicht.<br />
ADM-Jahresbericht (2004): http://www.adm-ev.de/pdf/Jahresbericht_04.pdf<br />
Bogner, A.; Menz, W. (2002): Das theoriegenerierende Experteninterview<br />
– Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion.<br />
In: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hg.) 2002: Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung – Wiesbaden, S.<br />
33-70<br />
3<br />
Eine Vergleichsstudie (Teilprojekt A2) in England ließ sehr<br />
bittere Erfahrungen zurück, da sich das Management in den<br />
angerufenen Betrieben nur höchst selten zu einem Interview<br />
bereit erklärte. Von ca. 302 aus <strong>Jena</strong> angerufenen Betrieben<br />
konnten nur 16 Interviews realisiert werden.<br />
4<br />
Behr und Engel führen den gestiegenen Anteil an computergestützten<br />
Telefonbefragungen im universitären Bereich unter<br />
anderen auch auf diese veränderte Rahmenbedingung zurück.<br />
(vgl. Behr/Engel in diesem Heft).<br />
Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hg.) (2002): Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung – Wiesbaden<br />
Sahner, H. (Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen. Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen Methodenentwicklung<br />
und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen,<br />
Heft 4) – <strong>Jena</strong>, Halle<br />
Seite
Seite
Das<br />
Cati-Instrument<br />
in der Anwendung<br />
für Expertenbefragungen<br />
Seite 10
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
2<br />
Reuband 1995). Die Zunahme der Bedeutung<br />
computergestützter Telefonbefragungen in<br />
der modernen empirischen Sozialforschung<br />
erklärt sich durch die zahlreichen Vorteile, die<br />
dieses Instrument bei der Erhebung von Massendaten<br />
bietet. Diese sollen im vorliegenden<br />
Beitrag am Beispiel näher beleuchtet werden.<br />
Wie Abbildung 1 zeigt, zeichnet sich die<br />
computergestützte Telefonbefragung durch<br />
drei zentrale Merkmale aus.<br />
1.) Die Interviews werden von einem Interviewer<br />
geleitet, welcher aktiv die Situation<br />
und den Verlauf der Befragung beeinflusst.<br />
Das CATI-Instrument in der<br />
Anwendung für Expertenbefragungen<br />
am Beispiel des<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanels<br />
Ina Götzelt<br />
(unter Mitarbeit von Sabrina Laufer)<br />
Computergestützte Telefonbefragungen<br />
(CATI-Befragungen) ersetzen in der<br />
empirischen Sozialforschung zunehmend<br />
schriftlich-postalische sowie persönliche<br />
Befragungen. Insbesondere in der quantitativen<br />
Sozialforschung findet diese Methode<br />
immer häufiger Anwendung (vgl. Blasius/<br />
2.) Die Terminvereinbarung sowie die Befragung<br />
finden über das Kommunikationsmedium<br />
Telefon statt.<br />
3.) Die Befragung erfolgt computergestützt,<br />
was bedeutet, dass z.B. die Filterführung und<br />
die Reihenfolge der Präsentation von Fragen<br />
und Antwortkategorien automatisch ablaufen<br />
und vom Interviewer nicht direkt zu beeinflussen<br />
sind sowie dass Antworten während<br />
der Befragung bereits in den PC eingegeben<br />
werden.<br />
Sowohl durch die Einflussnahme eines<br />
Interviewers auf den Verlauf sowie durch den<br />
Modus telefonisches Interview als auch durch<br />
die Computerunterstützung werden Qualität,<br />
Quantität und Kosten der Befragung<br />
bestimmt. Im Folgenden sollen die<br />
Vor- und Nachteile der CATI-Me-<br />
Seite 11<br />
thode, auch in Bezug auf die Besonderheiten,<br />
die dieses Instrument<br />
bietet, anhand des <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanels<br />
diskutiert werden.
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Abbildung 1<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanel<br />
Bei dem <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel handelt<br />
es sich um eine Expertenbefragung zu dem<br />
Thema “Beschäftigungsstruktur und Beschäftigungsentwicklung”<br />
(vgl. Köhler et al. 2004, S.<br />
17ff ). In den Jahren 2002 und 2004 wurden<br />
Personalverantwortliche in vorwiegend kleinund<br />
mittelständischen Unternehmen befragt.<br />
Eine dritte Welle ist für das Jahr 2006 geplant.<br />
Die Erhebungen wurden jeweils in Form von<br />
CATI-Befragungen durchgeführt.<br />
Das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanel weist<br />
diverse Spezifika im Vergleich zu ähnlichen<br />
Erhebungen auf. So handelt es sich um eine<br />
Panelstudie in betrieblichen Organisationen.<br />
Die Interviewpartner sind Experten<br />
im Bereich betrieblicher Personal-<br />
Seite 12 planung und -entwicklung. Weiterhin<br />
kam in der zweiten Welle ein<br />
Mixed-Mode-Verfahren, in Form der<br />
Kombination des CATI-Instrumentes und<br />
der schriftlich-postalischen Befragung, zur<br />
Anwendung.<br />
Die Stichprobenziehung für das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-<br />
B2 Betriebspanel fand im Jahre 2002 am<br />
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung<br />
(IAB) statt. Die Grundgesamtheit stellten alle<br />
Betriebsstätten klein- und mittelständischer<br />
Unternehmen in zehn Branchen 1 und fünf<br />
Bundesländern 2 dar, wobei die Erststichprobe<br />
anhand eines Quotenauswahlverfahrens 3 ermittelt<br />
wurde.<br />
Von den 3874 ausgewählten Betriebsstätten<br />
konnten etwa 3200 kontaktiert werden. Dies<br />
bedeutet, für knapp 20 Prozent der ausgewählten<br />
Betriebsstätten war eine falsche Telefonnummer<br />
vorhanden oder diese Betriebsstätten<br />
waren bereits nicht mehr existent. 4 Weiterhin<br />
wurde die Erhebung im Jahre 2002 zu einem<br />
festgelegten Stichtag beendet, was zur Folge<br />
hatte, dass in etwa 400 Fällen die bis dato<br />
erfolgreiche Anbahnung abgebrochen wurde.<br />
Insgesamt konnten somit im Jahre 2002 in<br />
874 Betriebsstätten telefonische Interviews<br />
realisiert werden. Von diesen 874 realisierten<br />
Interviews waren 809 gültig 5 . Somit ergab sich
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
eine Nettorücklaufquote 6 von 29 Prozent der<br />
kontaktierten Unternehmen.<br />
Im Jahre 2004 konnten in 67 Prozent der<br />
Betriebsstätten, in denen bereits im Jahre<br />
2002 befragt wurde, gültige Interviews realisiert<br />
werden. Aufgrund der angenommenen<br />
in der zweiten Welle ist etwa eineinhalbmal<br />
so hoch wie die Bruttorücklaufquote aller<br />
vor Beginn der Befragung neu gezogenen<br />
Betriebsstätten. 9 Dies zeigt, die Bereitschaft<br />
von Panelunternehmen an der Befragung<br />
teilzunehmen, war, gemessen an neu gezo-<br />
Stichprobe<br />
Brutto-<br />
Stichprobe<br />
Netto-<br />
Stichprobe<br />
Brutto Rücklauf<br />
Brutto<br />
Rücklaufquote<br />
Netto Rücklauf<br />
(nach Plausibilitätsprüfung)<br />
Netto<br />
Rücklaufquote<br />
(nach Plausibilitätsprüfung)<br />
Welle 1 3874 2813 854 30,36 809 28,75<br />
Welle 2<br />
Wiederholung 785 771 538 69,77 528 68,48<br />
Neuziehung 220 210 89 40,45 45 21,42<br />
Nachziehung 107 91 26 24,29 25 27,47<br />
Welle 2 gesamt: 1112 1072 653 60,91 605 56,44<br />
Pretest 267 k.A.m. 8 6<br />
Tabelle 1 Rücklaufquoten Welle 1 und 2<br />
Panelmortalität wurden in Vorbereitung der<br />
Befragung der zweiten Welle zusätzlich 220<br />
Betriebsstätten aus der Grundgesamtheit neu<br />
ausgewählt. Des Weiteren wurde die Stichprobe<br />
im Verlauf der Befragung nochmals um<br />
etwa 100 Betriebsstätten erhöht. 7 Insgesamt<br />
konnten somit 605 gültige Interviews durchgeführt<br />
werden, was einer Nettorücklaufquote<br />
von 56 Prozent entspricht (vgl. Tabelle 1).<br />
Die Bruttorücklaufquote aller erreichten<br />
und noch existierenden Panelunternehmen 8<br />
genen Betrieben, höher. Hier wirkten vor<br />
allem Selbstselektionseffekte. Zudem ergaben<br />
sich bei Panelunternehmen auch Vorteile in<br />
Hinsicht auf den Erfolg des Anbahnungsgesprächs,<br />
welche im folgenden<br />
Abschnitt diskutiert werden. Die<br />
im Vergleich zu den vor der Befra-<br />
Seite 13<br />
gung neu gezogenen Unternehmen<br />
nochmals um die Hälfte geringere<br />
Bruttorücklaufquote der im Verlauf nachgezogenen<br />
Unternehmen lässt sich auf zwei<br />
entscheidende Unterschiede des Befragungs-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Seite 14<br />
verlaufs zurückführen. Zum einen betrug der<br />
Befragungszeitraum für die im Verlauf nachgezogenen<br />
Unternehmen lediglich eineinhalb<br />
Monate, während der Gesamtbefragungszeitraum<br />
für die vorher neu gezogenen Betriebe<br />
dreieinhalb Monate ausmachte. Zum anderen<br />
wurden zur postalischen Ankündigung bei<br />
den ersteren Unternehmen keine Broschüren<br />
mit einer Ergebnispräsentation aus den Daten<br />
der ersten Welle versandt. 10<br />
Da es nur wenige Studien zum Thema<br />
Ausschöpfung und Ausschöpfungsquoten in<br />
Expertenbefragungen gibt und ein Vergleich<br />
zwischen Studien mit unterschiedlichem<br />
Expertenklientel aufgrund unterschiedlicher<br />
Auswahlprobleme und somit verschiedenen<br />
Ausfallgründe kaum möglich ist, fällt es<br />
schwer, die vorgestellten Rücklaufquoten<br />
allgemein zu bewerten. Die Gründe der<br />
Verweigerung der Teilnahme an einer Expertenbefragung<br />
zum Thema Beschäftigung<br />
von Seiten der Personalverantwortlichen sind<br />
auch anders strukturiert als in allgemeinen<br />
CATI-Bevölkerungsumfragen. Bei Expertenbefragungen<br />
in betrieblichen Kontexten<br />
wirken sich Befugnis-, Zuständigkeits- und<br />
Erreichbarkeitsprobleme (vgl. Hartmann/<br />
Kohaut 2000, S. 612ff ) zusätzlich auf Ausfälle<br />
und Teilnahmebereitschaft aus. Somit wird<br />
klar, dass der aus allgemeinen CATI-Bevölkerungsumfragen<br />
bekannte Wert von 40 bis 60<br />
Prozent Rücklauf (vgl. Porst 1991) in<br />
CATI-Expertenbefragungen nur mit<br />
wesentlich größeren Anstrengungen<br />
erreichbar ist.<br />
Besonderheiten der Anreizstrategie bei<br />
Betriebsbefragungen im Paneldesign<br />
Die Spezifik von Betriebsbefragungen<br />
erzeugt, wie bereits angesprochen, einige<br />
Probleme hinsichtlich der Erreichbarkeit der<br />
zu befragenden Person sowie bei der Vereinbarung<br />
von Befragungsterminen. Bei CATI-Expertenbefragungen<br />
in Organisationen besteht<br />
eben nicht nur das Problem, den richtigen<br />
Zeitpunkt zu wählen, um den Experten am<br />
Arbeitsplatz zu erreichen. Die Schwierigkeiten<br />
liegen zum einen darin, Gatekeeper (vgl. Jahr in<br />
diesem Heft) zu überzeugen, und zum anderen<br />
auch den zuständigen, kompetenten und zur<br />
Teilnahme an Umfragen befugten Gesprächspartner<br />
zu erreichen. Wobei diese Schwierigkeiten<br />
durch die Panelstruktur ab der zweiten<br />
Welle etwas leichter zu bewältigten sind.<br />
In Vorbereitung der zweiten Welle sollte,<br />
wie bereits in der ersten Welle durchgeführt,<br />
den Unternehmen der Stichprobe eine<br />
schriftliche Ankündigung der Befragung<br />
zugesandt werden. Die schriftliche Ankündigung<br />
enthielt neben einem Anschreiben auch<br />
eine in Broschürenform erstellte Zusammenfassung<br />
der Ergebnisse der ersten Welle. Für<br />
neu ausgewählte Unternehmen ergab sich,<br />
wie schon in der ersten Welle, das Problem,<br />
dass kein Ansprechpartner bekannt war; die<br />
Briefe konnten somit lediglich an „den Personalverantwortlichen“<br />
adressiert werden. Dies<br />
führte dazu, dass die Briefe häufig ungelesen<br />
in Papierkörben oder der Ablage „Sonstiges“<br />
verschwanden. Zum Teil wurden sie von<br />
Personalverantwortlichen nach telefonischer<br />
Kontaktierung ausfindig gemacht. Häufiger<br />
wurde den Personalverantwortlichen oder den<br />
Gatekeepern Informationsmaterial 11 noch-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Versendung von<br />
Infomatrial via<br />
E-Mail<br />
%<br />
alle kontaktierte<br />
Betriebe<br />
%<br />
Betriebe<br />
CATI-Interview<br />
%<br />
Betriebe<br />
schrift.-postalisches<br />
Interview<br />
%<br />
Betriebe<br />
Interview gesamt<br />
%<br />
Betriebe<br />
Ablehnung<br />
Netto-stichprobe<br />
Betriebe<br />
Netto<br />
Rücklauf<br />
Wiederholung 39,95 43,62 44,12 43,68 31,33 771 538<br />
Neuziehung 40,47 65,33 35,71 60,67 25,62 210 89<br />
Nachziehung 43,93 82,61 - 84,61 38,46 91 26<br />
Welle 2 gesamt: 41,04 48,06 44,7 47,62 20,28 1072 653<br />
N 440 273 38 311 85<br />
Basis N 771 568 85 653 419 8<br />
Tabelle 2<br />
mals per E-Mail zugesandt (vgl. Tabelle 2).<br />
Aber auch für Panelunternehmen, bei denen<br />
ein Ansprechpartner bekannt war, ergaben<br />
sich Probleme. Waren Ansprechpartner nicht<br />
mehr in der Betriebsstätte beschäftigt, wurden<br />
die Briefe häufig ungelesen zurückgesandt<br />
oder landeten ebenfalls in unbekannten Ablagen.<br />
Auch hier bewährte sich das Angebot,<br />
das Informationsmaterial auf elektronischem<br />
Wege zu versenden. Etwa 41 Prozent der<br />
kontaktierten Betriebsstätten machten von<br />
dieser Möglichkeit Gebrauch (vgl. Tabelle 2).<br />
Wie Tabelle 2 zeigt, nutzte etwa die Hälfte<br />
aller Betriebsstätten, die an der Befragung<br />
tatsächlich teilnahmen, die Möglichkeit sich<br />
Informationsmaterial per E-Mail zusenden zu<br />
lassen. Bei den neu gezogenen Betrieben waren<br />
es etwa 61 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass<br />
häufiger als bei den Panelbetrieben Anschreiben<br />
und Ergebnisbroschüre auf postalischem<br />
Wege nicht ankamen. Bei den nachgezogenen<br />
Unternehmen waren es sogar 84 Prozent, die<br />
die angebotene Möglichkeit der Zusendung<br />
in Anspruch nahmen. Dies erklärt sich daraus,<br />
dass im Vorfeld postalisch nur ein Anschreiben<br />
versandt wurde und erst bei der telefonischen<br />
Kontaktierung die Zusendung von Informationsmaterial<br />
angeboten wurde.<br />
Rückblickend lässt sich festhalten, dass eine<br />
schriftlich-postalisch zugestellte Vorankündigung<br />
generell positiv auf die Erreichbarkeit<br />
und das Antwortverhalten der Personalverantwortlichen<br />
wirkt. Über die Rückfrage nach<br />
Eingang des Ankündigungsbriefes können<br />
Interviewer eine Verbindlichkeit schaffen,<br />
die hilft, zur zu befragenden Person<br />
überhaupt erst vorzudringen.<br />
Seite 15<br />
Der postalische Versand von Informationsmaterial<br />
im Voraus kann<br />
allerdings als wenig sinnvoll erachtet werden,<br />
da eine elektronische Zusendung oder eine<br />
postalische Zusendung von Informationsma-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
terial lediglich auf Wunsch nach telefonischer<br />
Kontaktierung sich als wesentlich preiswerter<br />
und ebenso effektiv darstellt. Dennoch ist das<br />
Angebot der Zusendung von Informationsmaterial<br />
generell sehr wichtig; die Befragung<br />
wirkt dadurch seriöser und es wird seltener in<br />
Frage gestellt, ob die Interviewer tatsächlich<br />
im Auftrag einer Forschungseinrichtung, wie<br />
im vorliegenden Falle der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>, Daten erheben.<br />
Für die Panelunternehmen der Befragung<br />
im Jahre 2004 stellten sich die Nennung eines<br />
Ansprechpartners sowie der Hinweis auf die<br />
Beteiligung an der Befragung im Jahre 2002<br />
als sehr gute „foot-in-the-door“ Techniken<br />
(Diekmann/ Jahn 2001) heraus. Anstrengende<br />
Überzeugungsarbeit, um zu einem Personalverantworlichen<br />
vorzudringen, wurde bei Panelunternehmen<br />
so häufig vermieden. Konnte,<br />
wie bei neu- und nachgezogenen, Betrieben<br />
kein Ansprechpartner genannt werden, bot<br />
dies eine Angriffsfläche, um die Anfrage<br />
nach Teilnahme an der Befragung bereits auf<br />
Vorzimmerebene abzulehnen. Die einzige Gegenstrategie<br />
gegen dieses generelle Problem<br />
von Befragungen in Organisationen ist es, auf<br />
überzeugungsstarke und gleichzeitig freundliche<br />
Interviewer zu setzen. Hilfreich für die<br />
Lösung dieses Problems sind dabei auch eine<br />
gute Protokollführung der Kontaktierungsversuche<br />
und eine gute Kommunikation unter<br />
den Interviewern.<br />
Seite 16 Bei Betriebsbefragungen wird<br />
immer wieder die Frage der Befragungseinheit<br />
(Abteilung, Betriebsstätte,<br />
Unternehmen, Gesamtunternehmen,<br />
Unternehmensgruppe) diskutiert. Für das<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel wurde - analog<br />
zum IAB-Betriebspanel - das Betriebsstättenprinzip<br />
festgelegt. Das heißt, es sollte jeweils der<br />
Personalverantwortliche einer Betriebsstätte<br />
vor Ort Auskunft über die Personalstruktur etc.<br />
lediglich dieser Betriebsstätte geben. Bereits im<br />
Vorfeld der Erhebung wurde klar, dass sich auf<br />
Grund der Branchenvielfalt Schwierigkeiten<br />
ergeben würden; konkrete Intervieweranweisungen<br />
schafften in diesem Fall Abhilfe.<br />
Dennoch wurde in der ersten Auswertung der<br />
erhobenen Daten der zweiten Welle deutlich,<br />
dass die Befragung nicht immer auf der richtigen<br />
Ebene stattfand. In etwa fünf Prozent<br />
aller realisierten Interviews wurden Daten<br />
für die falsche Aggregationsebene erhoben.<br />
Einerseits erklärt sich dieser Befragungsfehler<br />
durch organisatorische Gegebenheiten der<br />
Untersuchungsunternehmen, die eben nicht<br />
bereit waren, Aussagen für die tiefer liegende<br />
Ebene zu machen. Andererseits liegt hier ein<br />
Interviewerfehler vor, der nur durch eine intensivere<br />
Schulung behoben werden kann. Zu<br />
erwähnen ist auch, dass insbesondere in einer<br />
Panelstruktur Befragungen auf falscher Ebene<br />
fatal für die Qualität der Daten sind. Denn<br />
gerade Längsschnittmessungen, beispielsweise<br />
die Analyse von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen,<br />
werden durch diesen Fehler<br />
unmöglich.<br />
Vor- und Nachteile von CATI-Expertenbefragung<br />
Zentrales Merkmal einer Expertenbefragung<br />
ist es, dass fachkundige Personen<br />
Auskunft über einen ihnen gut bekannten<br />
Sachverhalt geben. Dies steht im Gegensatz zu<br />
allgemeinen Bevölkerungsumfragen, wo Probanden<br />
Auskunft über eigene Eigenschaften
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
und Einstellungen geben und somit selbst<br />
Merkmalsträger des zu beobachtenden Untersuchungsgegenstandes<br />
sind. Im <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-<br />
Betriebspanel werden Experten zum Thema<br />
Beschäftigungsstruktur, Beschäftigungsentwicklung<br />
sowie Personalstrategien einzelner<br />
Betriebsstätten befragt.<br />
Die zu befragenden Personalverantwortlichen<br />
des Betriebspanels stellen eine sehr heterogene<br />
Gruppe dar. Befragt wurden Inhaber/<br />
innen, Geschäftsführer/innen, Personalleiter<br />
und –referenten/innen, Abteilungsleiter/innen,<br />
Gruppenleiter/innen, Sekretäre/innen, Sachbearbeiter/innen<br />
und Verwaltungsangestellte.<br />
Aber nicht nur die zu befragenden Personen<br />
bilden eine heterogene Gruppe, auch die Organisationseinheiten<br />
über die die Person in ihrer<br />
Funktion als Experte Auskunft erteilen, stellen<br />
aufgrund der befragten Branchenvielfalt und<br />
der unterschiedlichen Betriebstättengrößen<br />
nur schwer miteinander vergleichbare Beobachtungsobjekte<br />
dar.<br />
Das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel wird in<br />
Form einer standardisierten Befragung durchgeführt.<br />
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass<br />
ein Fragebogen, der die genannten Untersuchungsgegenstände<br />
im beschriebenen Untersuchungsfeld<br />
realitätsgetreu messen möchte,<br />
sehr umfangreich sein muss. Um die Vergleichbarkeit<br />
der zu erhebenden Daten zu gewährleisten,<br />
unterlagen die Befragungsinhalte in<br />
dem, vom Projekt B2 des <strong>SFB</strong><strong>580</strong> entwickelten,<br />
standardisierten Fragebogen einer starken<br />
Strukturierung nach Fragen, Antwort- und<br />
Filtervorgaben. Der Fragebogen umfasste etwa<br />
320 Teilfragen und zeichnete sich durch eine<br />
komplexe Filterführung aus. Dank des computergestützten<br />
Modus war es möglich auch eine<br />
komplexe Filterführung, erste Konsistenzprüfungen<br />
sowie Intervieweranweisungen vor der<br />
Befragung für den Eingabefragebogen, das<br />
Erhebungsinstrument, zu programmieren.<br />
Während der Befragung wurden den Experten<br />
somit lediglich relevante Fragen gestellt, wobei<br />
diese in der vom Forscher gewünschten Reihenfolge<br />
präsentiert wurden. Zudem konnten<br />
den Interviewern hilfreiche Anweisungen zu<br />
einzelnen Fragen im entscheidenden Moment<br />
eingeblendet werden.<br />
Die durchschnittliche Befragungsdauer<br />
betrug 46 Minuten. Erhoben wurden Daten<br />
für Mitarbeitergruppen mit speziellen Arbeitsvertragsformen<br />
oder Perspektiven der Beschäftigungsdauer.<br />
Je heterogener die Gruppe<br />
der beschäftigten Mitarbeiter hinsichtlich der<br />
genannten Merkmale, desto umfangreicher<br />
war die Befragung.<br />
Bei telefonischen Expertenbefragungen<br />
kommt dem Interviewerhandeln ein zentraler<br />
Stellenwert zu, um die Qualität der erhobenen<br />
Daten zu sichern und zu verbessern (vgl. auch<br />
Martens in diesem Heft). Insbesondere bei heterogener<br />
Belegschaft sind oftmals für einzelne<br />
Befragungsinhalte zusätzliche Erläuterungen<br />
notwendig. Dabei gilt, nur dann, wenn der<br />
Interviewer selbst keine Verständnisprobleme<br />
in Bezug auf Befragungsinhalte und Fragenformulierung<br />
hat, wird erhoben, was erhoben<br />
werden soll. Es ist hervorzuheben, dass<br />
bei computergestützten telefonischen<br />
Interviews im Vergleich zu face-to-<br />
Seite 17<br />
face Expertenbefragungen häufig<br />
Interviewer zum Einsatz kommen,<br />
die sowohl an der Erarbeitung des Fragebogens<br />
sowie bei der Auswertung der erhobenen<br />
Daten nicht mitwirken. Interviewer in CATI-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Seite 18<br />
Expertenbefragungen müssen selbst keine<br />
Experten sein. Ermöglicht wird dies durch die<br />
Distanz, welche durch das Medium Telefon<br />
geschaffen wird. Akzeptanzprobleme 12 spielen<br />
in der Anbahnungsphase von telefonischen<br />
Experteninterviews keine so zentrale Rolle<br />
wie bei der Face-to-Face Befragung. Ferner<br />
steht dem Interviewer während des Interviews<br />
das Hilfsmedium Computer zur Verfügung,<br />
um den Befragungsverlauf entsprechend<br />
der Situation zu gestalten und gleichzeitig<br />
auf wichtige Zusatzinformationen in Form<br />
von Intervieweranweisungen oder inhaltlich<br />
richtige Frage- und Antwortformulierungen<br />
zurückzugreifen.<br />
Umso wichtiger ist es dennoch, dass die<br />
eingesetzten Interviewer gut informiert und<br />
auf Rückfragen vorbereitet sind. Befragungsfehler,<br />
die auf Verständnisfehlern beruhen,<br />
können durch eine sehr gründliche methodische<br />
und inhaltliche Einarbeitung der Interviewer<br />
verringert werden (vgl. Fuchs 1994,<br />
S. 178ff ). Hilfreich ist auch eine intensive<br />
Pretestphase unter Einbezug der späteren Interviewer.<br />
Außerdem eignen sich regelmäßige<br />
Gesprächsrunden um Verständnisprobleme<br />
der Interviewer, aber auch der Befragten zu<br />
erkennen, zu diskutieren und entsprechend<br />
dem Ziel der Studie zu lösen.<br />
Im Zuge einer CATI-Expertenbefragung<br />
können darüber hinaus Probleme<br />
auftreten, die dem telefonischen<br />
Modus der Befragung geschuldet<br />
sind. Insbesondere wenn, wie beim<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel, Schätzungen<br />
von Anteilswerten oder Anzahlen<br />
einen großen Teil der Antworten ausmachen.<br />
In Telefonbefragungen werden den Probanden<br />
die Fragen lediglich verbal präsentiert, somit<br />
treten häufiger Verständnisprobleme auf, die<br />
nicht in jedem Fall kommuniziert werden (vgl.<br />
Fuchs 1994, S. 97). Hinzu kommt eine Distanz<br />
zwischen Interviewer und Experten, die das<br />
Medium Telefon in die Befragungssituation<br />
hineinträgt und welche eine gewisse Unverbindlichkeit<br />
in Bezug auf wahrheitsgetreue<br />
Antworten hervorruft. Außerdem verleitet das<br />
Kommunikationsmedium Telefon zu „ad hoc<br />
Antworten“; ein Nachschlagen nach Fakten<br />
würde den selbst gesetzten Zeitrahmen sprengen,<br />
wobei von Expertenseite für Telefonbefragungen<br />
meist nur kurze Zeitfenster eingeplant<br />
werden.<br />
Um die angesprochenen Probleme zu verringern,<br />
sind erneut die Interviewer gefordert.<br />
Im Einzelnen können nur Interviewer Motivations-<br />
und Konzentrationsschwächen oder<br />
Fehlimplikationen des Befragten erkennen und<br />
durch geeignete Strategien beheben. Aber auch<br />
die Flexibilität, die das Instrument CATI bietet,<br />
muss richtig eingesetzt werden. Wird klar,<br />
dass ein Proband in Zeitnot gerät oder Fakten<br />
nachschlagen beziehungsweise recherchieren<br />
möchte, sollte die Befragung unterbrochen<br />
und zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt<br />
werden. Bei der Terminvereinbarung ist die<br />
wahrscheinliche Zeitdauer des Interviews klar<br />
anzukündigen, auch wenn dies teilweise zu<br />
Abbrüchen in der Anbahnungsphase führt.<br />
Hilfreich für den Befragungsverlauf allgemein<br />
ist es, eine elektronische Version des Fragebogens<br />
nach Terminvereinbarung und einige<br />
Tage vor dem Interviewtermin dem Experten<br />
zukommen zu lassen. Auf diese Weise ist der<br />
Experte in der Lage, sich auf das vereinbarte<br />
CATI-Interview vorzubereiten. 13
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Zu betonen ist, dass mit den Interviewern<br />
im Vorfeld der Befragung, Strategien des Verhaltens<br />
während des Interviews und in problematischen<br />
Interviewersituationen besprochen<br />
und vereinbart werden müssen.<br />
Mixed-Mode Erhebungsverfahren im<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanel<br />
Im Verlauf der zweiten Befragungswelle<br />
des <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2- Betriebspanels sollte bei<br />
den Panelunternehmen eine möglichst hohe<br />
Ausschöpfungsquote erzielt werden, um<br />
Längsschnittuntersuchungen zu gewährleisten.<br />
Einige der Panel-Betriebsstätten waren allerdings<br />
nicht bereit, erneut an einer telefonischen<br />
Befragung teilzunehmen, erklärten sich aber<br />
damit einverstanden, schriftlich-postalisch den<br />
Fragebogen zu beantworten. Gründe für die<br />
Ablehnung eines Telefoninterviews stellten<br />
aktuelle Zeitnot, schlechte telefonische Erreichbarkeit<br />
oder aber die Unmöglichkeit, das<br />
einzig vorhandene Telefon für längere Zeit zu<br />
blockieren, dar.<br />
Von den insgesamt 210 Personalverantwortlichen,<br />
die sich am Telefon bereit erklärten,<br />
an der Befragung auf schriftlich-postalischem<br />
Wege teilzunehmen, sendeten letztlich 85<br />
Probanden den Fragebogen tatsächlich zurück.<br />
Dies entspricht einem Rücklauf von etwa 40<br />
Prozent. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen,<br />
dass die Befragten, die schriftlich postalisch am<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Panel teilnehmen wollten, etwa<br />
eine Woche nach Versendung des Fragebogens<br />
und anschließend im wöchentlichen Rhythmus<br />
nochmals, mit der Bitte nach Rücksendung des<br />
Fragebogens, telefonisch kontaktiert wurden.<br />
Es ist zu vermuten, dass die Rücklaufquote<br />
der postalischen Fragebögen durch diese Art<br />
der Erinnerung wesentlich gesteigert werden<br />
konnte.<br />
Wenn auch ein Mixed-Mode Verfahren,<br />
insbesondere in Betriebspanelerhebungen<br />
äußerst hilfreich ist um Ausfälle zu vermeiden<br />
(vgl. Dillman 2000, S. 217; 323 ff ), so gehen<br />
doch auch zahlreiche Probleme mit der Auswertung<br />
dieser Daten einher. Probleme entstehen<br />
dadurch, dass jede der Erhebungsmethoden<br />
ihre eigenen Vor- und Nachteile besitzt.<br />
Das Selbstausfüllen des Fragebogens durch<br />
den Experten bietet beispielsweise die Vorteile<br />
größere Anonymität zu gewährleisten und die<br />
Möglichkeit, einzelne Fakten in Ruhe nachschlagen<br />
zu können. Allerdings entstehen auch<br />
entscheidende Nachteile; beispielsweise muss<br />
die komplexe Filterführung im Fragebogen<br />
vom Probanden allein bewerkstelligt werden<br />
und bei eventuellen Verständnisproblemen zu<br />
Frageninhalten oder Antwortkategorien steht<br />
nicht sofort ein Ansprechpartner für Rückfragen<br />
zur Verfügung.<br />
Wie sich anhand Tabelle 3 zeigen lässt,<br />
wirkte sich im <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel der<br />
Befragungsmodus nicht darauf aus, ob heikle<br />
Fragen, wie beispielsweise die Frage nach Entlassungsgründen,<br />
beantwortet wurden. Sowohl<br />
bei CATI als auch bei selbst ausgefüllten und<br />
postalisch zurückgesendeten Fragebögen gab<br />
es bei dieser Frage hohe Item-Nonresponse-Werte,<br />
die sich jedoch im<br />
Vergleich der zwei Erhebungsmodi<br />
Seite 19<br />
nicht signifikant voneinander unterscheiden.<br />
Allerdings scheint sich die<br />
Annahme, dass heikle Fragen bei Selbstausfüllern<br />
ehrlicher beantwortet werden, zu bestätigen.<br />
Tabelle 4 zeigt den Anteil der Ja-Antwor-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Strategien bei sinkendem Arbeitsvolumen<br />
Angabe “ja”<br />
CATI<br />
Angabe “ja” post. Differenz Phi<br />
Überstunden abgebaut 62,70% 64,30% (-)1,6 (-)0,011<br />
Urlaube vorgezogen 34,30% 39,50% (-)5,2 (-)0,036<br />
unbezahlten Urlaub gewährt 11,90% 17,10% (-)5,1 (-)0,051<br />
Arbeitskräfte innerbetrieblich umgesetzt 55,60% 45,50% 10,1 0,068<br />
Reduzierung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich 13,50% 7,00% 6,5 0,065<br />
Lohnsenkung 14,20% 4,70% 9,7 0,094*<br />
Kurzarbeit angeordnet 10,60% 11,60% (-)1 (-)0,011<br />
ausscheidendes Personal nicht ersetzt 69,90% 84,10% (-)14,2 (-)0,105 **<br />
Verträge mit Zeitarbeitern/ Freien nicht verlängert 21,70% 19,00% 1,7 0,022<br />
Mitarbeiter entlassen/ Aufhebungsverträge 48,50% 60,50% (-)12 (-)0,079<br />
Aufträge an Fremdfirmen verringert 22,10% 22,50% (-)0,4 (-)0,003<br />
Bearbeitungsrückstände abgebaut 42,10% 25,60% 16,5 0,107**<br />
N 303 43<br />
Mittelwert SV-pflichtig Beschäftigte 120 175<br />
Fragen wurden nur gestellt, wenn Rückgänge Arbeitsvolumen; die Verteilung in den Gruppen ist nach Region und<br />
Branche in etwa gleich; * p
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Günde des Personalabbau<br />
fehlende Werte<br />
CATI<br />
fehlende Werte post. Differenz Cramers V<br />
technische Rationalisierung 40,28% 41,77% 1,49 0,01<br />
Auslagerung 40,28% 40,50% 0,32 0,002<br />
innerbetriebliche Reorganisation 40,63% 40,50% -0,13 0,001<br />
Ausschöpfung Personalkapazität 40,28% 41,77% 1,49 0,01<br />
Auftragsrückgänge 40,45% 39,24% -1,21 0,008<br />
* p
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
dass sich die in unterschiedlicher Form erhobenen<br />
Daten hauptsächlich hinsichtlich sozial<br />
erwünschter Antworten auf heikle Fragen<br />
unterscheiden. Da allerdings im vorgestellten<br />
Betriebspanel nur wenig heikle Sachverhalte<br />
erhoben wurden, wirkt sich also der gewählte<br />
Mixed-Mode kaum auf die Auswertungsstrategien<br />
aus. Letztlich lässt sich mit Blick auf<br />
eine Koppelung von CATI und schriftlichpostalischer<br />
Befragung für das vorgestellte<br />
Beispiel eine positive Bilanz ziehen, da durch<br />
die zusätzliche Möglichkeit der postalischen<br />
Beantwortung noch weitere fünfundsiebzig<br />
gültige und stichprobenrelevante Interviews<br />
durchgeführt werden konnten.<br />
Bilanz zum Einsatz des CATI-Instruments<br />
im <strong>SFB</strong><strong>580</strong> B2 Betriebspanel<br />
Telefonische Interviews galten in der<br />
empirischen Sozialforschung im Vergleich<br />
zu persönlichen Befragungen lange Zeit als<br />
„quick, cheap and dirty“ (vgl. Dillman 1978,<br />
S. 1ff ). Dies meint, dass mittels Telefonbefragungen<br />
schnell und billig Daten erhoben<br />
werden, wobei die Daten aber eine geringere<br />
Qualität im Vergleich zum traditionellen<br />
Erhebungsinstrument persönliches Interview<br />
aufweisen (vgl. Noelle-Neumann/ Petersen<br />
2000, S. 183ff ).<br />
Allerdings hat sich die Einstellung<br />
gegenüber der Erhebungsmethode<br />
Seite 22 aufgrund zahlreicher technischer<br />
Innovationen, wie der Durchsetzung<br />
von CATI, und der zunehmenden Erweiterung<br />
des Telefonnetzes in neuester Zeit stark<br />
gewandelt. CATI-Befragungen sind heutzutage<br />
die gängige Praxis in der quantitativen<br />
Sozialforschung, nicht nur zur Erhebung von<br />
Massendaten.<br />
Nach wie vor gelten Telefoninterviews als<br />
preiswert gegenüber anderen Methoden der<br />
Erhebung, wobei vielleicht gerade dieser Fakt<br />
in Expertenbefragungen zu relativieren ist.<br />
Sicherlich sind die Kosten eines persönlichen<br />
Experteninterviews nicht mit den Kosten eines<br />
CATI – Experteninterviews zu vergleichen,<br />
dies ergibt sich schon allein aus der Erfordernis<br />
heraus, in persönlichen Experteninterviews,<br />
nur einschlägig qualifizierte Interviewer einzusetzen.<br />
Aber gerade schriftlich-postalische<br />
Interviews können unter Einsatz von Mixed-<br />
Mode Verfahren eine preiswertere Alternative<br />
darstellen und bieten, wie oben diskutiert, Vorteile<br />
bei der Erhebung heikler Sachverhalte.<br />
Allerdings bieten CATI-Befragungen einen<br />
entscheidenden Vorteil gegenüber schriftlich-postalischen<br />
und persönlichen Befragung,<br />
der sich zum einen durch das Medium Telefon<br />
als Kommunikationsweg und zum anderen<br />
aus dem computergestützten Modus ergibt.<br />
Die Methode erweist sich als „quick“. Die<br />
Daten können schnell erfasst, bewertet und<br />
ausgewertet werden. Der computergestützte<br />
Modus ermöglicht außerdem die Abfrage von<br />
Zwischenständen und damit die regelmäßige<br />
Datenkontrolle (Bayer, S. 22). Aber nicht nur<br />
die Datenverarbeitung ist schnell, auch die<br />
computergestützte Präsentation von einzelnen<br />
Fragen gewährleistet eine überschaubare,<br />
gut strukturierte Befragung. Das Interview<br />
wird auf diesem Wege erleichtert, das lästige,<br />
aufhaltende Blättern im Fragebogen entfällt<br />
(Fuchs 1995, S. 287). Organisatorischer Vorteil<br />
ist die Terminmanagementfunktion des<br />
CATI-Programmes (vgl. Buchwald in Sahner
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
2002, S. 37), welche jedoch in Betriebsbefragungen<br />
nur zum Teil in Anspruch genommen<br />
werden kann. Die Befragung in betrieblichen<br />
Organisationen erfordert nicht zeitnahe sondern<br />
zeitgenaue Kontaktierung des Experten.<br />
Dies ist bei einer zufälligen Zuordnung von<br />
vereinbarten Rückrufen an freie Interviewplätze,<br />
wie es das CATI-Programm anbietet, nur<br />
schwer zu gewährleisten. Teilweise ergibt sich<br />
in Anbahnungsgesprächen auch eine persönliche<br />
Bindung von Interviewer und Experten;<br />
eine zufällige Zuordnung des Interviewtermins<br />
zu einem anderen Interviewer kann<br />
hier zu Verunsicherung und Abbruch führen.<br />
Allerdings stellt die automatische Terminvereinbarungsfunktion<br />
des CATI-Programmes<br />
eine hilfreiche Ergänzung zu einem von Hand<br />
geführten Terminkalender der „konkreten<br />
Interviewtermine“ dar, wobei einfache Rückrufe<br />
zur Terminvereinbarung automatisch den<br />
Interviewern, die gerade keinen „konkreten<br />
Termin“ wahrnehmen, zugespielt werden. Somit<br />
kann auch der Organisationsaufwand einer<br />
Expertenbefragung durch die automatische<br />
Terminvereinbarungsfunktion im Wesentlichen<br />
verringert werden. Dennoch besteht<br />
hier Handlungsbedarf von Seiten der CATI-<br />
Software-Anbieter.<br />
Zur Bewertung der Qualität, der in CATI-<br />
Expertenbefragungen erhobenen Daten ist<br />
nochmals die zentrale Rolle der Telefoninterviewer<br />
hervorzuheben. Das Verhalten der<br />
Interviewer hat entscheidenden Einfluss auf<br />
die Anbahnungsphase und den Befragungsverlauf.<br />
Somit wirken sich Interviewerfehler<br />
zentral auf die Antwortquote (Quantität) und<br />
die Güte der Daten (Vermeidung von Verständnisproblemen,<br />
Item-Non-Response, Abbrüche)<br />
aus. Eine intensive Schulung und der<br />
Einbezug der Interviewer in die Pretestphase<br />
sind somit grundlegend für eine hohe Qualität<br />
der erhobenen Daten. Zudem ist es sinnvoll in<br />
CATI-Expertenbefragungen das Angebot der<br />
Zusendung zusätzlicher Informationen (wie<br />
eine Übersicht über den Fragenkatalog, den<br />
vollständigen Fragebogen, Ergebnisberichte<br />
vorangegangener Forschung o.ä.) via E-Mail,<br />
Fax oder Briefpost zu unterbreiten. Dies<br />
steigert nicht nur das Interesse an den Forschungsinhalten;<br />
zusätzliche Informationen<br />
helfen vor allem den Experten zur besseren<br />
Vorbereitung auf das Interview und verkürzen<br />
damit die Interviewdauer.<br />
Seite 23
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
Fussnoten<br />
1<br />
Dies sind Verlagsgewerbe, Maschinenbau, Chemische Industrie,<br />
Baugewerbe, Einzelhandel, Kreditwesen, Software, Beratung,<br />
Erwachsenenbildung und Gesundheitsdienste.<br />
2<br />
Befragt wurde in den Regionen Bayern, Niedersachsen, Hansestadt<br />
Bremen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.<br />
ersten Welle. Weiterhin wurden in Vorbereitung auf Interviews<br />
eine Kurzübersicht über die Frageninhalte, der aufbereitete<br />
Fragebogen, welcher auch postalisch versandt wurde, z.T. Heft<br />
11 und 14 der <strong>SFB</strong><strong>580</strong> – Mitteilungen versandt.<br />
12<br />
Gemeint sind Akzeptanzprobleme von Seiten der Experten<br />
gegenüber einem nicht einschlägig fachlich qualifizierten Interviewer<br />
(vgl. Einwurf von Michael Behr in Diskussion des dem<br />
Heft zu Grunde liegenden Workshops – siehe Diskussionszusammenfassung).<br />
3<br />
Kriterien für die Quotenauswahl waren dabei die Branche, die<br />
Region und die Größen, wobei eine Gleichverteilung bezogen<br />
auf die Kriterien angestrebt wurde.<br />
13<br />
Dies empfiehlt sich allerdings nur dann, wenn durch das<br />
vorherige Lesen oder Mitlesen von Fragen nicht Probleme hinsichtlich<br />
sozial erwünschter Antworten provoziert werden.<br />
Seite 24<br />
4<br />
Gründe hierfür sind Meldefehler oder verspätete Meldung<br />
einer Anschriftsänderungen bzw. Betriebsstättenschließung bei<br />
der Bundesanstalt für Arbeit.<br />
5<br />
809 Interviews konnten für die Auswertung herangezogen<br />
werden, d.h. die Interviews waren plausibel und stichprobenrelevant.<br />
6<br />
Die Nettorücklaufquote entspricht dem Anteil der fertig gestellten<br />
und für die Auswertung verwendbaren Interviews an<br />
der Gesamtstichprobe.<br />
7<br />
Dies geschah um eine gleich verteilte Zellenbesetzung hinsichtlich<br />
der Merkmale: Branche, Region, Größe auch in der Welle 2<br />
zu gewährleisten.<br />
8<br />
Mit Panelunternehmen sind im Folgenden die bereits in der<br />
ersten Welle befragten Betriebsstätten gemeint.<br />
9<br />
Die Nettorücklaufquote ist geringer, da aufgrund der quotierten<br />
Stichprobenauswahl im Zuge der Datensatzbereinigung<br />
etwa 40 Weiterbildungseinrichtungen aus<br />
dem Datensatz gelöscht wurden.<br />
10<br />
Versendet wurden lediglich Ankündigungsschreiben<br />
mit der Bitte um Beteiligung an der Befragung.<br />
14<br />
Das heißt, einzelne Mitarbeitergruppen bspw. freie Mitarbeiter<br />
oder geringfügig Beschäftigte wurden in Folgefragen, wie<br />
der Aufteilung in Funktionsbereich oder Dauerbereiche nicht<br />
berücksichtigt.<br />
15<br />
Nach der im Fragebogen verfolgten Logik sollten Mitarbeiter<br />
entweder dem Führungs-, dem Forschungs- und Entwicklungs-,<br />
dem Verwaltung-, dem Service-(bspw. Kantine, Hausmeister)<br />
oder dem Kernbereich (der Erstellung oder Dienstleistung)<br />
zugeordnet werden.<br />
Literatur<br />
Blasius, Jörg / Reuband, Karl-Heinz (1995): Telefoninterviews<br />
in der empirschen Sozialforschung: Ausschöpfungsquoten und<br />
Antwortqualität. In: ZA-Informationen 37, S. 64-87<br />
Bayer, Michael (1998): Computer Assisted Telephon Interviewing<br />
- Methodik und praktische Umsetzung, Der Hallesche Graureiher<br />
1998,1. Forschungsberichte des Instituts für Soziologie.<br />
Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg: (PDF-Datei:<br />
Graureiher 1998,1)<br />
DeLeeuw, Edith (1999): The Effect of Computer-Assisted Interviewing<br />
on Data Quality: A Review of the Evidence. Methods<br />
and Statistics Series Nr. 66. Amsterdam<br />
11<br />
Informationsmaterial meint hier: hauptsächlich das postalische<br />
Anschreiben und die Broschüre mit Ergebnissen aus der<br />
Diekmann, Andreas / Ben Jahn (2001): Anreizformen und<br />
Ausschöpfungsquoten bei postalischen Befragungen. Eine Prü-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - Einleitung B2 - Betriebspanel<br />
fung der Reziprozitätshypothese. In: ZUMA-Nachrichten 48.<br />
Mannheim<br />
Dillman, Don A. (2000): Mail and Internet Surveys – The<br />
tailored Design Method. New York: Wiley<br />
Dillman, Don A. (1978): Mail and Telephon Surveys. The Total<br />
Design Method. New York: Wiley<br />
Fuchs, Marek (1994): Umfrageforschung mit Telefon und Computer.<br />
Weinheim: Psychologie Verlags Union<br />
Fuchs, Marek (1995): Die computergestützte telefonische Befragung<br />
– Antworten auf Probleme der Umfragenforschung.<br />
In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 4. Stuttgart: F. Enke<br />
Verlag, S. 284-299<br />
Hartmann, Josef / Kohaut, Susanne (2000): „Analysen zu Ausfällen<br />
(Unit-Nonresponse) im IAB-Betriespanel“ In: Mitteilung<br />
aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Jg. 33<br />
Köhler, Christoph / Struck, Olaf / Schröder, Tim / Schwiedereck,<br />
Frank (2004): Betriebe und Beschäftigungsperspektiven.<br />
Ergebnisse einer Betriebsbefragung in zehn Wirtschaftszweigen.<br />
In: Köhler a.al.: Beschäftigungsstabilität und betriebliche<br />
Beschäftigungssysteme in West- und Ostdeutschland (<strong>SFB</strong><strong>580</strong><br />
– Mitteilung Heft 14). <strong>Jena</strong>, Halle<br />
Noelle-Neumann, Elisabeth / Petersen, Thomas (2000): Das<br />
halbe Instrument, die halbe Reaktion. Zum Vergleich von Telefon-<br />
und Face-to-Face-Umfragen. In: Hüfken, Volker: Methoden<br />
in Telefonumfragen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Porst, Rolf (1991): Ausfälle und Verweigerungen bei einer telefonischen<br />
Befragung. In: ZUMA-Nachrichten 29, S.57-69<br />
Reuband, Karl-Heinz (2000): Telefonische und postalische<br />
Bevölkerungsumfragen in Ostdeutschland. In: Hüfken, Volker:<br />
Methoden in Telefonumfragen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Seite 25<br />
Sahner, Heinz (Hrsg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen (<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-Mitteilung Heft 4). <strong>Jena</strong>, Halle
Telefonbefragungen<br />
ökonomischer<br />
Funktionseliten<br />
Seite 26
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Telefonbefragungen<br />
ökonomischer Funktionseliten –<br />
Erfahrungen und<br />
Schlussfolgerungen<br />
Bernd Martens<br />
3<br />
1. Die <strong>Jena</strong>er Studie über Leiter mittelständischer<br />
Industrieunternehmen<br />
Das Telefon als technisches Hilfsmittel<br />
bei sozialwissenschaftlichen Datenerhebungen<br />
ist inzwischen zum<br />
Standard geworden (vgl. auch den Beitrag von<br />
Jahr in diesem Heft). Dieses Erhebungsverfahren<br />
wird nicht mehr als „quick and dirty“<br />
angesehen, denn langjährige Erfahrungen<br />
insbesondere von Marktforschungsinstituten<br />
belegen, dass die Unterschiede zwischen persönlichen<br />
Interviews und Telefonbefragungen<br />
nach verschiedenen Bewertungskriterien eher<br />
gering sind. Die Vergleichbarkeit von Telefonbefragungen<br />
und Face-to-Face-Interviews<br />
bezieht sich beispielsweise auf die Ausschöpfungsquoten,<br />
die Dauer der Gespräche, auf die<br />
Komplexität von Erhebungsinstrumenten und<br />
die Datenqualität (Diekmann 2001, S. 429ff.).<br />
Als Vorteil gegenüber anderen Verfahren der<br />
Datenerhebung werden die geringeren Kosten<br />
angeführt – doch hier ist kritisch anzumerken,<br />
dass sich die Aussagen über Vergleichbarkeit<br />
und Vorteile zum überwiegenden Teil auf<br />
allgemeine Bevölkerungsumfragen beziehen.<br />
In diesem Aufsatz wird stattdessen über Erfahrungen<br />
mit einer computerunterstützten<br />
Telefonbefragung (CATI) von Unternehmensleitern<br />
mittelständischer Industriebetriebe<br />
berichtet, eines Personenkreises, der<br />
als ökonomische Funktionselite angesehen<br />
werden kann.<br />
Die Befragung fand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong>, Projekt A2 „Generationswechsel<br />
im Management“ im Telefonlabor<br />
des Zentrums für Sozialforschung Halle<br />
statt (Martens/Michailow 2003). Im Zeitraum<br />
August bis Oktober 2002 wurden insgesamt<br />
778 Interviews durchgeführt. Zielpersonen<br />
der Befragung waren Personen<br />
der obersten Leitungsebene – also<br />
Geschäftsführer, Eigentümer, Vor-<br />
Seite 27<br />
standsvorsitzende – mittelständischer<br />
Industrieunternehmen mit 50-1000<br />
Beschäftigten in fünf Bundesländern (Bayern,<br />
Nord-rhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt,<br />
Sachsen und Thüringen). Es handelte sich um
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
eine Vollerhebung relevanter Unternehmen,<br />
entweder auf der Ebene der Bundesländer (das<br />
ist für Ostdeutschland der Fall) oder hinsichtlich<br />
ausgewählter Regionen (Industrie- und<br />
Handelskammerbezirke in Bayern und Nordrhein-Westfalen).<br />
Der gesamte Adressenpool<br />
beinhaltete 3000 Unternehmen.<br />
Die Befragten wurden auf Grund ihrer<br />
Position als Mitglied der Unternehmensleitung<br />
angesprochen. Die Erhebung lässt sich<br />
also als eine Expertenbefragung 1 ansehen,<br />
bei der die Befragten wegen ihres beruflichen<br />
Aufgabenspektrums Auskunft geben können<br />
über das Unternehmen, ihre eigene Person<br />
oder andere Sachverhalte, über die sie in besonderer<br />
Weise informiert sind. Gläser und<br />
Laudel (2004, S. 11) betonen zu Recht, dass<br />
Expertenbefragungen nicht die Festlegung auf<br />
ein bestimmtes Erhebungsverfahren beinhalten.<br />
„Entscheidend sind vielmehr das Ziel der<br />
Untersuchung, der daraus abgeleitete Zweck<br />
des Interviews und die sich daraus ergebende<br />
Rolle des Interviewpartners.“<br />
In dem Projekt „Generationswechsel im<br />
Management“ stand im Mittelpunkt des Interesses,<br />
einen umfassenden Überblick über<br />
die Situation an der Spitze mittelständischer<br />
Industrieunternehmen in Deutschland zu erhalten.<br />
Daher wurde eine größere quantitative<br />
Erhebung mit einem weitgehend standardisierten<br />
Fragebogen konzipiert (auf<br />
die Folgen für die Interviewsituation,<br />
Seite 28 die sich aus dieser Methodenwahl<br />
und der spezifischen Befragtengruppe<br />
ergeben, wird noch weiter unten<br />
eingegangen). Das Erhebungsinstrument<br />
umfasste Fragen nach dem Betrieb (u.a. Nachfolgeregelungen,<br />
Finanzierungsbedingungen,<br />
betriebliche Umstrukturierungsmaßnahmen),<br />
nach der Person (u.a. Qualifikationen, Karrieren,<br />
soziale Herkunft) sowie nach Einstellungen<br />
(beispielsweise Führungsstile und<br />
gesellschaftspolitische Wertorientierungen,<br />
Martens/Michailow 2003, S. 14). Im Durchschnitt<br />
dauerte ein Telefoninterview ungefähr<br />
30 Minuten. Von den in Halle durchgeführten<br />
778 Interviews waren 770 vollständig, d.h.<br />
Abbrüche während einer Befragung kamen<br />
kaum vor.<br />
Weil das Telefonlabor in Halle nur während<br />
eines beschränkten Zeitraums zur Verfügung<br />
stand und zudem die finanziellen Ressourcen<br />
erschöpft waren, wurde die Befragung im Oktober<br />
2002 abgebrochen. Bereits vereinbarte<br />
Interviewtermine wurden dann noch ohne<br />
Computerunterstützung von <strong>Jena</strong> aus wahrgenommen.<br />
2 Bis zum Jahresende konnten auf<br />
diese Weise 29 zusätzliche Interviews realisiert<br />
werden, so dass schließlich eine Stichprobe von<br />
799 Fällen zu Stande kam. Außerdem führten<br />
wir noch 48 Interviews mit Unternehmensnachfolgern,<br />
die einen kürzeren Fragebogen im<br />
Umfang von ca. 15 Minuten beantworteten.<br />
In der Tabelle 1 sind die Verweigerungsraten<br />
und Ausschöpfungsquoten der<br />
Telefonbefragung für die fünf Bundesländer<br />
gegenübergestellt worden. Die hohe Teilnahmebereitschaft<br />
in Thüringen korreliert vermutlich<br />
mit der Wahrnehmung der <strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong> als Hochschule des Landes. Außerdem<br />
wurden in der Vergangenheit etliche industrie-<br />
und arbeitssoziologische Projekte am<br />
Jenenser Institut für Soziologie durchgeführt,<br />
welche sicherlich einen positiven Einfluss auf<br />
die regionale Teilnahmebereitschaft hatten.<br />
Die niedrige Quote für Nordrhein-Westfalen
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Bundesland<br />
Zahl der Adressen<br />
Explizite Verweigerung,<br />
kein Interesse an einem Interview<br />
Zahl der Interviews<br />
(Ausschöpfungsquoten)<br />
Bayern<br />
NRW<br />
Sachsen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Thüringen<br />
663<br />
1354<br />
422<br />
213<br />
371<br />
363 (54,7 %)<br />
800 (59,1 %)<br />
212 (50,2 %)<br />
93 (43,7 %)<br />
133 (35,8 %)<br />
176 (26,5 %)<br />
244 (18,0 %)<br />
143 (33,9 %)<br />
69 (32,4 %)<br />
167 (45,0 %)<br />
Gesamt 3023 1601 (52,9 %) 799 (26,4 %)<br />
Tabelle 1 - Übersicht über die Stichprobe, Zahl der<br />
Adressen und Ausschöpfungsquoten nach Bundesländern<br />
hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass<br />
zwar alle Adressen im Befragungszeitraum angerufen<br />
wurden. Weitere Kontakte jedoch auf<br />
Grund der beschränkten Nutzungsdauer des<br />
CATI-Labors in Halle gerade für einige der<br />
nordrhein-westfälischen Adressen nicht mehr<br />
wahrgenommen werden konnten.<br />
Häufiger wurde von Seiten der angerufenen<br />
Unternehmensleiter moniert, dass die Dauer<br />
der Befragung mit 30 Minuten an der Grenze<br />
des Akzeptierbaren sei. Hier war es hilfreich,<br />
dass ab und zu von der Möglichkeit des<br />
CATI-Systems, Interviews zeitlich aufzuteilen,<br />
Gebrauch gemacht werden konnte. Auch<br />
wurde angemerkt, dass sie als Verantwortliche<br />
für das Unternehmen von einer Vielzahl von<br />
Befragungen unterschiedlicher Institutionen<br />
oder auch Anfragen der amtlichen Statistik<br />
behelligt würden – beides wurde zusammen<br />
gesehen und zu letzteren sei man verpflichtet<br />
–, da beteilige man sich an weiteren Befragungsaktionen<br />
nicht mehr. 3 Befragte äußerten<br />
sich im Allgemeinen positiv dazu, dass in dem<br />
Forschungsprojekt Ost/West-Vergleiche und<br />
Probleme aufgegriffen werden. Demgegenüber<br />
war mangelnde Praxisrelevanz der Forschung<br />
ein häufig genannter Kritikpunkt und zugleich<br />
die Begründung dafür, weshalb man sich an der<br />
Befragung nicht beteiligen wolle. Angesichts<br />
des Erkenntnisinteresses der Grundlagenforschung,<br />
die im Sonderforschungsbereich im<br />
Vordergrund steht, ist dieser Eindruck der relativen<br />
Praxisferne nicht so ohne weiteres von<br />
der Hand zu weisen. Hilfreich war in diesem<br />
Zusammenhang der Hinweis darauf, dass den<br />
Befragten eine Kurzfassung der Projektergebnisse<br />
zu Verfügung gestellt werde. Das stieß<br />
auf ein breites Interesse und steigerte vermutlich<br />
die Akzeptanz.<br />
Die folgenden Aussagen beziehen sich<br />
überwiegend auf die Erfahrungen, die mit<br />
dem CATI-System 4 in Halle gesammelt wurden,<br />
die jedoch für Telefonbefragungen mit<br />
wirtschaftlichem Führungspersonal verallgemeinerbar<br />
sind.<br />
Seite 29
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
2. Besonderheiten von Telefonbefragungen<br />
ökonomischer Funktionseliten<br />
2.1 Hohe Kontakthäufigkeiten<br />
Ähnlich wie bei anderen Expertenbefragungen<br />
(vgl. die Beiträge von Engel, Götzelt<br />
und Jahr in diesem Heft) waren auch bei der<br />
Befragung der ökonomischen Funktionseliten<br />
viele Kontakte notwendig, um Interviews zu<br />
realisieren. Es liegt eine gänzlich andere Situation<br />
als bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
vor, bei denen methodische „Faustregeln“<br />
angewendet werden können, etwa dass eine<br />
Person, die dreimal nicht erreicht wurde, aus<br />
dem Adressenpool zu entfernen sei, um den<br />
Erhebungsaufwand in Grenzen zu halten. Auf<br />
Grund der beschränkten Zahl von Unternehmen,<br />
insbesondere in Ostdeutschland, wo wir<br />
schon mit relativ überschaubaren Fallzahlen<br />
eine Vollerhebung realisierten, verbietet sich<br />
ein solches Vorgehen. Ein wichtiges Grundprinzip<br />
der Akquisition war stattdessen, dass<br />
möglichst jedes relevante Unternehmen so<br />
lange kontaktiert wurde, bis ein Interview zu<br />
Stande kam oder eine Verweigerung ausgesprochen<br />
wurde.<br />
Zusätzlich zu dem, im Vergleich mit allgemeinen<br />
Bevölkerungsumfragen, eher geringen<br />
Umfang der Grundgesamtheit, ist auch in<br />
Rechnung zu stellen, dass die zu befragenden<br />
Personen, in unserem Fall die „Chefs“<br />
mittelständischer Industrieunterneh-<br />
Seite 30 men, schwierig direkt zu kontaktieren<br />
sind. Zumeist muss der Kontakt über<br />
Sekretariate hergestellt werden, die<br />
eine nicht zu unterschätzende Selektions- oder<br />
„Gatekeeper“-Funktion ausüben. Geschka<br />
(1997, S. 31) schreibt in seiner Studie zur Arbeitsweise<br />
ökonomischen Führungspersonals:<br />
„Alle Spitzenmanager besitzen und nutzen<br />
auch die Möglichkeit, sich durch ihre Sekretärin<br />
abschotten zu lassen.“ Diese Aussage<br />
können wir im Wesentlichen gleichfalls für die<br />
mittelständische Industrie bestätigen.<br />
Um die Akzeptanz der Befragung zu erhöhen,<br />
wurden im Vorfeld der eigentlichen Erhebung<br />
alle Betriebe von uns angeschrieben. Ob<br />
beispielsweise dieser Brief hilfreich war, um die<br />
erste „Hürde“ des Sekretariats zu überwinden,<br />
lässt sich auf Grund unserer Erfahrungen nicht<br />
klären. Häufig schien dieses Anschreiben nicht<br />
zur Kenntnis genommen worden zu sein. Aber<br />
von dem Angebot ein Fax oder eine Email<br />
mit schriftlichen Erläuterungen zur Befragung<br />
und zum Forschungsprojekt nach dem<br />
ersten telefonischen Kontakt zu verschicken,<br />
um dem Interviewwunsch „Nachdruck“ zu<br />
verleihen und um die „Legitimation“ nachzuweisen,<br />
wurde rege Gebrauch gemacht. Für<br />
den Erfolg der Befragung war das unerlässlich.<br />
Die Akquisition für Telefonbefragungen ökonomischer<br />
Funktionseliten bedarf auf jeden<br />
Fall der zeitnahen Unterstützung mit einem<br />
Anschreiben, das heute am besten per Fax oder<br />
Email übermittelt wird.<br />
Unternehmensleiter sind jedoch nicht nur<br />
in dem Sinne schwierig zu erreichen, dass sie<br />
vom Personal gegen Außenkontakte mehr oder<br />
minder stark abgeschirmt werden, sondern sie<br />
haben auch hochgradig flexible Arbeitsplätze.<br />
Häufig befinden sie sich in Besprechungen,<br />
auf Dienstreisen oder sind im Betrieb unterwegs.<br />
In einigen Fällen war es möglich, gerade<br />
mit Hilfe des Instruments der telefonischen<br />
Befragung sich dieser Flexibilität anzupassen,<br />
indem Interviews per Handy beispielsweise bei
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Maßzahlen für Kontakthäufigkeiten An der Befragung teilgenommen An der Befragung nicht teilgenommen<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
Maximum<br />
7,3<br />
6<br />
5,7<br />
57<br />
4,4<br />
3<br />
4,7<br />
38<br />
Zahl der Fälle 2223 777<br />
Tabelle 2 - Einträge des CATI-Systems, Kontakthäufigkeiten,<br />
Quelle: CATI-System<br />
Autofahrten durchgeführt wurden.<br />
Eberwein und Tholen (1990, S. 159) konstatieren,<br />
dass Führungskräfte in Wirtschaftsunternehmen<br />
keinen festen Arbeitsplatz haben.<br />
Ihr Arbeitstag sei angefüllt mit „unvorhergesehenen<br />
bzw. ungeplanten Kontakten oder<br />
Ereignissen“. Hierzu gehört dann auch das von<br />
uns vorgebrachte Ansinnen, sich an einer Tele-<br />
Abbildung 1 - Zahl der Kontaktversuche differenziert<br />
nach der Teilnahme an der Befragung, Quelle: CATI-<br />
Datenbank<br />
fonbefragung zu beteiligen. Nur vereinzelt ließen<br />
sich die angesprochenen Manager spontan<br />
auf diesen Interviewwunsch ein. Die Quote<br />
für solche Spontaninterviews liegt bei 5,8 %.<br />
Für 94,2 % der abgeschlossenen Befragungen<br />
war mehr als ein Telefonanruf notwendig. 5<br />
In der Tabelle 2 werden die durchschnittlichen<br />
Kontakthäufigkeiten für sämtliche Fälle, die<br />
im CATI-System gespeichert sind, aufgeführt.<br />
Demnach mussten im Mittel 7,3<br />
Anrufe für den erfolgreichen Abschluss<br />
eines Interviews getätigt werden. Doch das<br />
Maximum von 57 Kontakten verdeutlicht,<br />
dass in bestimmten Fällen ein großer Akquisitionsaufwand<br />
getrieben werden musste,<br />
der oft nicht von Erfolg gekrönt war, wie<br />
das analoge Maximum der Kontaktversuche<br />
für die Unternehmensleiter veranschaulicht,<br />
die sich nicht an der Befragung beteiligten.<br />
Dieser große Aufwand wird gleichfalls in<br />
den Verteilungen der Kontaktversuche<br />
sichtbar (Abbildung 1): die<br />
absolute Zahl nicht erfolgreicher<br />
Seite 31<br />
Akquisitionsverläufe liegt auch<br />
bei mehr als 20 Kontaktversuchen<br />
immer noch in der Größenordnung der<br />
schließlich erfolgreichen Interviewanbahnungen.<br />
Deshalb mag es sein, dass die Ver-
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Beispiel einer erfolgreichen Akquisition mit 11 Telefonanrufen<br />
1,29/08/2002,09:24,29/08/2002,09:28,15,<strong>580</strong>208, herr k. wollte das infoschreiben per mail, möchte auch interview geben,<br />
2,30/08/2002,10:57,30/08/2002,11:04,15,<strong>580</strong>201, herr k. wusste von nichts! termin muss noch vereinbart werden,<br />
3,30/08/2002,12:19,30/08/2002,12:23,15,<strong>580</strong>204, termin direkt mit herrn k. vereinbart,<br />
4,30/08/2002,12:24,30/08/2002,12:24,15,<strong>580</strong>204, termin direkt mit herrn k. vereinbart,<br />
5,03/09/2002,09:02,03/09/2002,09:05,15,<strong>580</strong>201, war krank, kommt erst am mittag, s.o.,<br />
6,03/09/2002,14:05,03/09/2002,14:08,15,<strong>580</strong>201, interview ist wg krankheit ausgefallen, neuen termin absprechen,<br />
7,04/09/2002,10:18,04/09/2002,10:19,15,<strong>580</strong>208, ging keiner ran - siehe versuche-,<br />
8,04/09/2002,10:28,04/09/2002,10:31,15,<strong>580</strong>208, herr k. möchte interview im auto machen, er ist natürlich nur beifahrer Nr.<br />
0160/xxx klang sehr nett,<br />
9,04/09/2002,11:30,04/09/2002,11:38,15,<strong>580</strong>203, ist noch im büro...warten bis er im auto ist...handy nr.,<br />
10,04/09/2002,12:00,04/09/2002,12:25,15,<strong>580</strong>203,auf handy anrufen....interview fertigstellen!,<br />
11,04/09/2002,14:00,04/09/2002,14:15,99,<strong>580</strong>203,<br />
Beispiel einer nicht erfolgreichen Akquisition mit 17 Kontakten<br />
Seite 32<br />
1,12/09/2002,14:58,12/09/2002,15:00,15,<strong>580</strong>206, haben fax bekommen,<br />
2,16/09/2002,15:38,16/09/2002,15:39,15,<strong>580</strong>209, Assistentin der GF Frau S. -202 fragen, wegen GF,<br />
3,17/09/2002,10:09,17/09/2002,10:11,15,<strong>580</strong>209, -202,<br />
4,18/09/2002,10:14,18/09/2002,10:15,15,<strong>580</strong>209, Assis. -202 fragen ob Herr F. da ist,<br />
5,18/09/2002,14:15,18/09/2002,14:16,15,<strong>580</strong>209, DW oben fragen ob Herr F. da ist (Frau S. ist auch Soziologin!!),<br />
6,20/09/2002,09:51,20/09/2002,09:53,15,<strong>580</strong>201, niemand erreicht,<br />
7,26/09/2002,13:54,26/09/2002,13:54,15,<strong>580</strong>209, -202 war gerade Aufsichtsratsitzung,<br />
8,01/10/2002,09:36,01/10/2002,09:38,15,<strong>580</strong>204, war gerade besetzt bei assistentin, dw. s.o.,<br />
9,01/10/2002,10:22,01/10/2002,10:24,15,<strong>580</strong>205, erst morgen wieder im Haus,<br />
10,02/10/2002,09:54,02/10/2002,09:56,15,<strong>580</strong>208,herr f. war zwar im haus, aber steht längere besprechung an,<br />
DW zur assistentin 202,<br />
11,07/10/2002,16:47,07/10/2002,16:49,15,<strong>580</strong>201,war nicht da,<br />
12,08/10/2002,16:52,08/10/2002,16:56,15,<strong>580</strong>201,war nicht da,<br />
13,09/10/2002,09:06,09/10/2002,09:07,15,<strong>580</strong>207,besetzt,<br />
14,09/10/2002,09:25,09/10/2002,09:26,15,<strong>580</strong>209,-202 hat vorher die ganze zeit beratung,<br />
15,10/10/2002,14:01,10/10/2002,14:02,15,<strong>580</strong>209,nicht im haus,<br />
16,14/10/2002,11:02,14/10/2002,11:06,15,<strong>580</strong>209,202 bei frau s. nachfragen ob der herr f. interesse hat und dann<br />
eventuell termin für später ausmachen,<br />
17,16/10/2002,11:17,16/10/2002,11:21,5,<strong>580</strong>207,<br />
Abbildung 2 - Memofelder von zwei Kontaktgeschichten,<br />
Quelle: CATI-Datenbank
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
teilung der expliziten Verweigerungen bei der<br />
hier vorgestellten Befragung ökonomischer<br />
Funktionseliten weitgehend der allgemeiner<br />
Bevölkerungsbefragungen entspricht (Aussage<br />
im Arbeitsbericht des M-Projekts, Sonderforschungsbereich<br />
2004, S. 339). Doch wird der<br />
Umfang der Bemühungen, der im Falle von<br />
Experteninterviews hiermit notwendigerweise<br />
verbunden ist, nur unzureichend dargestellt,<br />
wenn in dem gleichen Forschungsbericht<br />
formuliert wird: Der „Unterschied [zwischen<br />
Experten- und allgemeiner Bevölkerungsumfrage<br />
per Telefon] resultiert hierbei nur aus der<br />
größeren Anzahl der Kontaktaufnahmen, weshalb<br />
die Verweigerungen sich auf eine größere<br />
Spannweite erstrecken und die Kurven flacher<br />
abfallen“ (Sonderforschungsbereich 2004, S.<br />
339).<br />
Im Laufe der Datenerhebung stellte sich<br />
außerdem eher zufällig heraus, dass gängige<br />
CATI-Software sehr inflexibel auf Experteninterviews<br />
zugeschnitten ist: Eine Verwaltung<br />
hoher Kontakthäufigkeiten war insoweit nicht<br />
möglich, als Fälle, bei denen einige Male hintereinander<br />
das Telefon besetzt war, eine so<br />
niedrige Priorität gegenüber noch nicht angerufenen<br />
Adressen erhielten, dass diese Telefonnummern<br />
über Wochen hinweg nicht erneut<br />
vom System ausgewählt wurden. Um dieses<br />
Problem zu beseitigen, blieb nichts anderes<br />
übrig als das CATI-System zu „überlisten“.<br />
Bestimmte Dispositionscodierungen, wie „besetzt“,<br />
wurden nicht mehr vergeben. In solchen<br />
Fällen legte der Interviewer stets einen definitiven<br />
Termin für den folgenden Anruf fest.<br />
Um den in diesen 3000 Fallgeschichten<br />
dokumentierten Aufwand etwas konkreter<br />
zu illustrieren, werden in der Abbildung 2<br />
zwei Kontaktverläufe mittels ihrer Memo-<br />
felder wiedergegeben. 6 Die Memofelder<br />
des CATI-Systems dienen zum Informationsaustausch<br />
zwischen den Interviewern.<br />
Die dargestellten Fallgeschichten sind in der<br />
Weise typisch, dass sie vor allem Schwierigkeiten<br />
wiedergeben, die Zielpersonen<br />
zu erreichen. (Gründe für Teilnahme oder<br />
Verweigerung wurden schon kurz angerissen.)<br />
Auch in den erfolgreichen Fällen kam es<br />
wiederholt vor, dass mehrere Termine abgesprochen<br />
werden mussten. Im Durchschnitt<br />
waren 1,4 Termine für die Realisierung eines<br />
Interviews erforderlich 7 , d.h. Terminabsprachen<br />
wurden aus diversen Gründen nicht<br />
eingehalten.<br />
Ein weiterer Aspekt, der mit der Notwendigkeit<br />
hoher Kontakthäufigkeiten und der<br />
Endlichkeit des Adressenpools in Verbindung<br />
steht, ist das „Ausdünnen“ der Termine mit der<br />
Zeit. Wird die Zeitdauer zwischen dem ersten<br />
und letzten Kontakt bei der Telefonbefragung<br />
ost- und westdeutscher Unternehmensleiter<br />
betrachtet, werden die Hälfte aller kompletten<br />
Interviews innerhalb von neun Tagen realisiert,<br />
während 50 % aller Befragten, die schließlich<br />
verweigern, das innerhalb von drei Tagen tun<br />
(vgl. Tabelle 3). Bei einer beschränkten Anzahl<br />
von Telefonnummern führt dieses Verhalten<br />
zwangsläufig dazu, dass die Zahl möglicher<br />
Anrufe pro Zeiteinheit immer kleiner wird.<br />
Gleichwohl ist es opportun Termine<br />
nicht wahrzunehmen, weil auch nach<br />
längeren Zeiträumen hinweg immer<br />
Seite 33<br />
noch Interviews möglich sind (Abbildung<br />
3). Bei unserer Befragung wurden<br />
die letzten Interviews nach vier Monaten<br />
durchgeführt. Das „Ausdünnen“ von Terminen<br />
kann hinsichtlich der Auslastung von
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Maßzahlen Interview verweigert Terminvereinbarung Interview durchgeführt<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
Maximum<br />
9,2<br />
3<br />
13,1<br />
62<br />
20,9<br />
11<br />
21,0<br />
67<br />
14,3<br />
9<br />
14,2<br />
63<br />
Zahl der Fälle 1327 214 539<br />
Tabelle 3 - Zeitdauer in Tagen zwischen dem ersten<br />
und letzten Anruf, differenziert nach dem letztem Dispositionscode,<br />
der in der CATI-Datenbank eingetragen<br />
wurde, Quelle: 70-%-Stichprobe aller CATI-Einträge<br />
Interviewern oder des Telefonlabors negative<br />
Folgen haben und höhere Kosten bewirken.<br />
Es ist aber beispielsweise bei telefonischen<br />
Panelerhebungen, die sich auf Eliten beziehen,<br />
nicht zu vermeiden. 8<br />
Auf Grund der eingeschränkten<br />
Analysemöglichkeiten<br />
der CATI-Datenbank<br />
lassen sich nur statistische<br />
Zusammenhänge zwischen<br />
den Kontaktgeschichten<br />
und dem Standort des Unternehmens<br />
belegen. Hier<br />
zeigt sich, dass die Leiter<br />
der westdeutschen Unternehmen,<br />
sowohl nach der<br />
Zahl der Kontakte als auch<br />
nach der verstrichenen Zeit<br />
zwischen dem ersten<br />
und letzten Anruf,<br />
schneller Verwei-<br />
Seite 34 gerungen aussprechen<br />
als die Leiter<br />
ostdeutscher Unternehmen (vgl.<br />
Tabelle 4). Hingegen gibt es eine weitgehende<br />
Entsprechung bei der Teilnahmebereitschaft,<br />
was beispielsweise der Hypothese wider-<br />
spricht, dass die schnelleren Verweigerungen<br />
im westdeutschen Fall unter Umständen mit<br />
komplizierteren Gesellschafterstrukturen in<br />
Ostdeutschland zusammenhängen, bei denen<br />
möglicherweise auskunftsberechtigte Personen<br />
(etwa Eigentümer) erst aufwändig kontaktiert<br />
werden müssen. Detaillierte Regressionsanaly-<br />
Abbildung 3: Verteilung der Zeitdauer zwischen erstem<br />
und letztem Anruf, differenziert nach dem letzten<br />
Dispositionscode, Quelle: 70-%-Stichprobe der CATI-<br />
Datenbank
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Maßzahlen<br />
Ostdeutsches Unternehmen<br />
An der Befragung<br />
beteiligt<br />
Befragung<br />
verweigert<br />
Westdeutsches Unternehmen<br />
An der Befragung<br />
beteiligt<br />
Befragung<br />
verweigert<br />
Bis drei Kontakte 24,4 % 50,2 % 28,9 % 62,5 %<br />
Bis sechs Kontakte 56,0 % 75,1 % 58,2 % 86,3 %<br />
Zeitdauer zwischen erstem<br />
und letztem Anruf (in Tagen)<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
14,7<br />
9,5<br />
13,9<br />
12,0<br />
6,0<br />
14,5<br />
13,9<br />
9,0<br />
14,4<br />
8,8<br />
3,5<br />
12,5<br />
Zahl der Fälle 266 313 273 802<br />
Tabelle 4 - Befragtenverhalten (Kontakthäufigkeiten<br />
und Zeitdauer zwischen dem ersten und letzten Anruf )<br />
differenziert nach der Befragungsregion, Quelle: 70-%-<br />
Stichprobe aller CATI-Einträge<br />
sen der erfolgreich abgeschlossenen Interviews<br />
mit der Zahl der Kontakte als abhängiger Größe<br />
und unterschiedlichen Akteurs- und Betriebsvariablen<br />
als unabhängigen Merkmalen<br />
belegen keine Zusammenhänge. Die erklärte<br />
Varianz bewegte sich in der Größenordnung<br />
von 1 %. Analoge Auswertungen für die Verweigerungen,<br />
bei denen ja gerade Unterschiede<br />
im Verhalten sichtbar sind, lassen sich mit<br />
den verfügbaren Daten nicht durchführen.<br />
Das methodische Fazit dieses Abschnitts<br />
lautet also: Hohe Kontakthäufigkeiten sind bei<br />
Telefonbefragungen ökonomischer Eliten notwendig,<br />
weil dieser Personenkreis nach außen<br />
abgeschirmt wird, über flexible Arbeitsplätze<br />
verfügt und seine Arbeitszeiten wenig planbar<br />
sind. Es können Ost/West-Unterschiede etwa<br />
bei den Interviewverweigerungen beobachtet<br />
werden, die sich in den Kontakthäufigkeiten<br />
sowie der Zeitdauer zwischen erstem und<br />
letztem Anruf niederschlagen. Auf Grund<br />
der Datenlage stehen statistisch abgesicherte<br />
Erklärungen hierfür noch aus.<br />
Nach unseren Erfahrungen hat die eingesetzte<br />
CATI-Software mit der Verwaltung<br />
dieser Art von Befragungen teilweise Schwierigkeiten.<br />
Zudem existiert das Phänomen des<br />
„Ausdünnens“ der Termine, welches unter<br />
dem Aspekt der Auslastung von Interviewern<br />
und der CATI-Infrastruktur problematisch<br />
sein kann.<br />
2.2 Die Interviewsituation<br />
Wenn schließlich die verschiedenen „Hürden“<br />
genommen werden und die Akquisitionsaktivitäten<br />
einen erfolgreichen Abschluss<br />
finden, was lässt sich zur Interviewsituation<br />
bei telefonischen Befragungen ökonomischer<br />
Funktionseliten sagen?<br />
Eberwein und Tholen (1990, S.<br />
156) zitieren in ihrer vergleichenden<br />
Studie zum deutschen und englischen<br />
Management<br />
Zeitbudgetuntersuchungen.<br />
Demnach nehmen Kommunikation und<br />
Interaktion mit anderen innerhalb und außer-<br />
Seite 35
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
halb der Firma einen Umfang von 60-75 %<br />
der Arbeitszeit von Managern ein. Ähnliche<br />
Zahlen finden sich auch bei Geschka (1997, S.<br />
30), der auf der Grundlage einer Studie über<br />
Topmanager den Anteil der Kommunikation<br />
mit anderen an der Arbeitszeit sogar mit 85<br />
% angibt. Die unterschiedlichen Autoren<br />
kommen zu dem Schluss, dass telefonisch<br />
vermittelte Kommunikation ungefähr die<br />
Größenordnung von 13-15 % der Arbeitzeit<br />
von Managern einnehme (Eberwein/Tholen<br />
1990, S. 156; Geschka 1997, S. 30). Es bleibt<br />
also festzuhalten, dass Manager einen hoch<br />
kommunikativen Beruf ausüben und dass das<br />
technische Kommunikationsmittel Telefon<br />
häufig von ihnen genutzt wird. Telefonbefragungen<br />
knüpfen also an das übliche Arbeitsverhalten<br />
von Managern an. Diese Form<br />
der Datenerhebung scheint daher das Mittel<br />
der Wahl für diese Untersuchungsgruppe<br />
zu sein. Das zeigte sich beispielsweise bei<br />
unserer Studie auch darin, dass nur vereinzelt<br />
Wünsche geäußert wurden, schriftliche<br />
Versionen des Fragebogens zu erhalten. 9<br />
Trinczek (2005) hat sich mit Besonderheiten<br />
des Interviewverhaltens von Managern<br />
auseinandergesetzt. Am Beispiel von Leitfadeninterviews<br />
– was m.E. jedoch durchaus<br />
für standardisierte Befragungen vor allem von<br />
hierarchisch hochstehenden Führungskräften<br />
verallgemeinerbar ist – unterscheidet<br />
er zwei Phasen des Gesprächsverlaufs.<br />
In der Anfangssequenz sei man<br />
Seite 36 als Interviewer zunächst mit den<br />
Erwartungen der Manager an ein<br />
solches Gespräch konfrontiert. Diese<br />
Erwartungen seien stark durch das übliche betriebliche<br />
Kommunikationsverhalten geprägt<br />
(Trinczek 2005, S. 213). In der Interaktion<br />
mit Mitarbeitern überwiegen seitens des<br />
Führungspersonals Frage-Antwort-Situationen<br />
ohne große verbale Abschweifungen,<br />
weil diese angesichts des permanenten<br />
Zeitdrucks als dysfunktional wahrgenommen<br />
werden. Deshalb plädiert Trinczek für<br />
die Eingangsphase des Interviews mit Managern<br />
eher für geschlossene Varianten der<br />
Befragung. 10 In einer zweiten Phase solcher<br />
Gespräche, wenn sich eher ein Vertrauen<br />
eingestellt habe, sei es möglich in Bezug auf<br />
außerbetriebliche „Lebensarrangements“<br />
auch Erzählungen bei den Managern zu<br />
initiieren (Trinczek 2005, S. 215). Hingegen<br />
sei die dominante Kommunikationsform für<br />
fachbezogene, betriebliche Sachverhalte das<br />
„Fachgespräch“, „so wie es Manager in seiner<br />
kommunikativen Grundstruktur vorrangig<br />
aus offenen Diskussionen in teamartigen<br />
Arbeitszusammenhängen kennen“ (Trinczek<br />
2005, S. 216). 11 Der Interviewer sei in dieser<br />
Phase des Gespräches weniger Publikum des<br />
Managers, wie es zum Beispiel Kern, Kern<br />
und Schumann (1988, S. 88) beschreiben,<br />
sondern er werde im Idealfall seinerseits von<br />
der Führungskraft als Experte und Diskurspartner<br />
angesehen (Trinczek 2005, S. 217).<br />
Der damit implizierte Wunsch nach<br />
kompetenten und gleichgewichtigen Interviewern<br />
ergibt sich folglich zum Teil aus<br />
der Situationsdeutung des Managers, dass es<br />
sich bei dem Interview um ein Fachgespräch<br />
unter wohlinformierten Gesprächspartnern<br />
handle. „Je höher die eigene Qualifikation,<br />
der formale Status oder der Umfang des Verantwortungsbereiches<br />
ist, umso höher steigt<br />
auch die implizite Erwartung von Managern<br />
an die formelle Ausgewiesenheit des Gegenübers.<br />
[…] Wenigstens promoviert sollte der
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Sozialforscher sein, wenn die <strong>Universität</strong> schon<br />
keinen ‚richtigen Professor’ geschickt hat“<br />
(Trinczek 2005, S. 219). Diese Erwartungen<br />
an Eigenschaften des Interviewers sind nach<br />
dieser Lesart nicht gänzlich „irrational“, nur<br />
durch Status- und Machtfragen bestimmt,<br />
sondern sie ergeben sich aus der Struktur des<br />
Fachgesprächs.<br />
Angenommen diese Beschreibung der<br />
Gesprächssituation ist zutreffend, dass nämlich<br />
Frage-Antwort-Situationen sowie Fachgespräche<br />
im Kontakt mit Sozialforschern von<br />
Managern erwarten werden, und dass diese<br />
Situationsdeutung auch Gültigkeit für telefonische<br />
Befragungen besitzt, dann ergeben sich<br />
einige Schlussfolgerungen: Zunächst entsprechen<br />
sie insbesondere in einer standardisierten<br />
Variante dem geschlossenen Frage-Antwort-<br />
Charakter. Doch erfordert das Fachgespräch<br />
einen kompetenten, professionellen und<br />
gleichgewichtigen Gesprächspartner, und – auf<br />
Grund unserer Erfahrungen mit der ersten Leitungsebene<br />
mittelständischer Firmen – scheint<br />
es auch bei einer quantitativ orientierten, weitgehend<br />
standardisierten Erhebungsform wichtig<br />
zu sein, eine Gesprächssituation zu schaffen,<br />
die mehr als ein bloßes „Abspulen“ von<br />
Fragen ist. Die Wertschätzung des Befragten<br />
durch den Interviewer korrespondiert mit der<br />
Verallgemeinerung der Situationsdeutung, dass<br />
es sich nämlich um ein Fachgespräch handelt.<br />
Insbesondere diese Erwartungshaltung der Befragten<br />
kann jedoch zu Komplikationen führen,<br />
weil sie mit den methodischen Standards gleicher<br />
Erhebungssituationen als Vorbedingung<br />
für die Vergleichbarkeit der Antworten nicht<br />
einfach zu vereinbaren ist.<br />
Bei unserer Erhebung haben wir besonderes<br />
Augenmerk auf die fachlichen Kompetenzen<br />
der Interviewer gelegt. Interviewerinnen 12<br />
wurden im Rahmen einer zweisemestrigen<br />
Lehrveranstaltung zu managementsoziologischen<br />
Inhalten rekrutiert, so dass hinsichtlich<br />
der Themenbereiche des Fragenbogens Kompetenzen,<br />
welche über normales studentisches<br />
Wissen hinausgingen, vorausgesetzt werden<br />
konnten. Bei den Kontaktgesprächen und<br />
in der Interviewsituation wurde zudem der<br />
professionelle Kontext der Befragung deutlich<br />
gemacht.<br />
Schwieriger ist die Forderung nach<br />
Gleichgewichtigkeit der Gesprächspartner zu<br />
realisieren – bei größeren Telefonbefragungen<br />
ist diese Erwartung seitens der ökonomischen<br />
Funktionseliten sogar unmöglich zu erfüllen.<br />
„Einen Werksleiter in den Mitfünfzigern<br />
zu interviewen, wird einem ähnlich alten<br />
Sozialforscher leichter gemacht als einem<br />
Kollegen Anfang 30; allerdings scheint es so<br />
zu sein, dass Alter in gewissen Grenzen über<br />
Titel und Status kompensiert werden kann“<br />
(Trinczek 2005, S. 219). Diese Variante der<br />
Problembewältigung scheidet bei der Beschäftigung<br />
studentischer Interviewer definitiv aus,<br />
gleichwohl haben wir mit unserem kompetenten,<br />
relativ jungen Interviewerinnenstab<br />
gute Erfahrungen gemacht. Es mag eine Rolle<br />
gespielt haben, dass es die Interviewerinnen<br />
überwiegend mit einer männlichen<br />
Untersuchungsgruppe zu tun hatten,<br />
der Frauenanteil in der realisierten<br />
Seite 37<br />
Stichprobe beträgt nur 7,5 % (Martens/Michailow<br />
2003, S. 19). Das<br />
heißt, dass es den Unternehmensleitern möglicherweise<br />
leichter fiel sich auf Gespräche mit<br />
jungen kompetenten Damen einzulassen. 13
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
In diesem Zusammenhang hat Michael<br />
Behr einen interessanten Gedanken geäußert 14 ,<br />
der auf einen strukturellen Vorteil telefonischer<br />
Befragungen verweist: die Einschränkungen<br />
telefonisch vermittelter Kommunikation<br />
ermöglichen gerade bei Elitebefragungen,<br />
die Illusion 15 der Gleichgewichtigkeit von<br />
Interviewpartnern zu etablieren und aufrechtzuerhalten.<br />
Für die Befragten stellt diese Art<br />
der Kommunikation Ausweichmöglichkeiten<br />
parat, Gesprächspartner – beispielsweise junge<br />
Studentinnen – als gleichgewichtig zu akzeptieren,<br />
was sie vermutlich in der Face-to-Face-<br />
Kommunikation so nicht täten. 16 Telefonische<br />
Befragungen hätten demnach eine nicht zu<br />
unterschätzende Entlastungsfunktion bei Datenerhebungen<br />
unter ökonomischen Experten<br />
oder Funktionseliten, durch die Einschränkungen<br />
der Wahrnehmungsmöglichkeiten<br />
bei der Kommunikation. Dieses Erhebungsverfahren<br />
ermöglicht erst größere Fallzahlen<br />
bei Managerbefragungen, weil größere Stichproben<br />
von Face-to-Face-Interviews weder<br />
zu finanzieren noch zu organisieren wären;<br />
aber auch weil die Vorstellung der Gleichgewichtigkeit<br />
in der direkten Interaktion nicht<br />
aufrechtzuerhalten wäre.<br />
Telefonbefragungen scheinen also zusammengefasst<br />
das Mittel der Wahl bei Umfragen<br />
unter Managern zu sein, weil sie an deren<br />
normalen Kommunikationsverhalten<br />
in der Arbeitsumgebung anknüpfen.<br />
Werden Aussagen zur Methode des<br />
Seite 38 Experteninterviews von Managern<br />
auf Telefonbefragungen übertragen,<br />
und das scheint insbesondere bei hierarchisch<br />
hochstehenden Personen plausibel<br />
zu sein, ergeben sich aus der Situationsdeutung<br />
des Interviews als diskursivem Fachgespräch<br />
Forderungen nach Kompetenzen,<br />
Professionalität und Gleichgewichtigkeit<br />
der Interviewer, die sich bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
so nicht stellen und die<br />
schwierig zu erfüllen sind. Interessanterweise<br />
schränkt die Methode der Telefonbefragung<br />
durch die Illusion der Statusähnlichkeit diese<br />
Forderungen zum Teil wieder ein, so dass sie<br />
auch aus diesem Grunde als probate Methode<br />
der Datenerhebung bei ökonomischen<br />
Funktionseliten anzusehen ist.<br />
3. Telefonische Befragungen ökonomischer<br />
Eliten bewertet nach wirtschaftlichen<br />
und anderen Gesichtspunkten<br />
In der Konsequenz steht also ein positives<br />
Votum: Telefonbefragungen sind<br />
für die vorgestellte Untersuchungsgruppe<br />
sehr gut geeignet. Postalische Befragungen<br />
erreichen kaum die Ausschöpfungsquoten,<br />
persönliche Face-to-Face-Interviews wären<br />
in einer ähnlichen Größenordnung und<br />
Stichprobenzusammensetzung nur mit noch<br />
größerem Ressourceneinsatz und damit mit<br />
höheren Transaktionskosten zu realisieren.<br />
Doch sollte man sich durch einen komparativen<br />
Blickwinkel nicht dazu verleiten lassen<br />
anzunehmen, Elitebefragungen wie wir sie<br />
durchgeführt haben, seien billig.<br />
Der hohe Aufwand bei der Akquisition<br />
ist mit Kosten verbunden. Zur Abschätzung<br />
der Kosten kann man auf unterschiedliche<br />
Berechnungsgrundlagen zurückgreifen. Eine<br />
halbwegs realistische Kalkulation bezieht<br />
sich auf den Arbeitsumfang, der notwendig<br />
ist, um ein Interview zu realisieren. Dieses
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Arbeitsvolumen der Interviewerinnen – in das<br />
aber nicht die Arbeitszeit von Operateuren<br />
des CATI-Labors und von Supervisoren der<br />
Erhebung eingeht – schließt nicht nur das<br />
Interview (einschließlich Akquisition) mit ein,<br />
sondern auch die vergeblichen Kontakte und<br />
die erfolglosen Fälle. Auf der Grundlage unseres<br />
Projektes in Halle lässt sich abschätzen,<br />
dass für die Durchführung eines erfolgreichen<br />
Interviews im Schnitt drei Stunden von den Interviewerinnen<br />
gearbeitet werden musste. Für<br />
studentische Interviewerinnen liegen demnach<br />
die „reinen“ Kosten eines Interviews mit einem<br />
Unternehmensleiter in der Größenordnung von<br />
25 €. Werden jedoch die in unserem Fall höheren<br />
Transaktionskosten (Reisekosten, Übernachtungskosten,<br />
Tagegelder), die notwendig<br />
waren, um das Kriterium der Kompetenz der<br />
Interviewer zu erfüllen und die Telefongebühren<br />
hinzugerechnet, ergibt sich ein Preis<br />
von 41 €/Interview. Und auch das scheint eher<br />
eine untere Grenze für die tatsächlichen Kosten<br />
zu sein, weil hier die laufenden Ausgaben<br />
für das Telefonlabor (Personal, Geräte, Räume,<br />
Software etc.), Abschreibungen und Gehälter<br />
für höher qualifiziertes Interviewerpersonal<br />
nicht mit eingerechnet wurden. Angesichts<br />
dessen sind Telefonbefragungen von Eliten<br />
und Experten vergleichsweise preiswert. 17<br />
Offensichtliche Optimierungsmöglichkeiten<br />
für telefonische Befragungen von Experten<br />
und Eliten liegen im Bereich der Software,<br />
die bislang auf die Bedürfnisse der herkömmlichen<br />
Umfrageforschung zugeschnitten<br />
ist. Auch wäre es unter dem Gesichtspunkt<br />
einer systematischen Methodenforschung<br />
wünschenswert, die Akquisitionsverläufe in<br />
einem stärkeren Maße statistischen Analysen<br />
zugänglich zu machen (schließlich handelt es<br />
sich um sekundengenau aufgezeichnete, prozessproduzierte<br />
Ereignisdaten), weil Gründe<br />
für Teilnahme oder Verweigerung sich mit den<br />
heute verfügbaren Daten nicht eindeutig eruieren<br />
lassen. Das Beispiel der hier behandelten<br />
ökonomischen Funktionseliten zeigt, dass<br />
die Anreizstrukturen für die Teilnahme an<br />
solchen Befragungen eher unklar sind, was auf<br />
Desiderate der Forschung über telefonische<br />
Befragungen verweist.<br />
Seite 39
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Seite 40<br />
Fussnoten<br />
1<br />
„Experten sind Menschen, die ein besonderes Wissen über soziale<br />
Sachverhalte besitzen, und Experteninterviews sind eine<br />
Methode, dieses Wissen zu erschließen“ (Gläser/Laudel 2004, S.<br />
10). Zur Begrifflichkeit von Experten und Funktionseliten vgl.<br />
a. Meuser/Nagel (1994).<br />
2<br />
Im Vorwege der eigentlichen Erhebung wurden im Rahmen<br />
eines Pretests insgesamt 21 Telefoninterviews mit Unternehmensleitern<br />
in Brandenburg durchgeführt, ebenfalls ohne<br />
CATI-System, was insbesondere bei der Terminabsprache und<br />
-verwaltung gravierende Nachteile hat. Es besteht ein hoher<br />
Koordinationsaufwand, der sonst durch das CATI-System<br />
abgedeckt wird. Gleichwohl sind Telefonbefragungen ohne<br />
Computerunterstützung durchaus möglich.<br />
3<br />
Angesichts geringer Zahlen von Unternehmen in Ostdeutschland<br />
besteht hier das ernste Problem der Überforschung.<br />
4<br />
Nach Abschluss der Telefonbefragung wurde uns vom Telefonlabor<br />
in Halle ein Gesamtauszug der CATI-Datenbank als<br />
ASCII-Text zur Verfügung gestellt. Das Interessante an den<br />
dort abgespeicherten Informationen sind die Kontaktgeschichten,<br />
die vollständig für sämtliche angerufenen Telefonnummern<br />
in Form von Memofeldern vorliegen, in die die Interviewer<br />
Nachrichten eintragen, um künftige Anrufer über die bisherigen<br />
Akquisitionsaktivitäten zu unterrichten (vgl. Abbildung 2,<br />
in der Beispiele für solche Memofelder aufgeführt werden).<br />
Leider sind diese reichhaltigen Informationen nicht unmittelbar<br />
statistischen Auswertungen zugänglich. Um jedoch Eindrücke<br />
dieses Materials zu geben, wurde eine 70-%-Stichprobe der<br />
3000 Kontaktgeschichten gezogen. Die Informationen wurden<br />
anhand eines Kategorienschemas codiert. Für diese Codierarbeiten<br />
danke ich Monika Bialojan, Marléne Dietzel, <strong>Friedrich</strong><br />
Döhrer und Jens Hennig. Aussagen über das CATI-System<br />
beziehen sich auf diese inhaltsanalytisch bearbeitete Stichprobe<br />
der CATI-Datenbank und auf die gesamte Datenbank.<br />
5<br />
Die Aussage bezieht sich auf die 70-%-Stichprobe<br />
der Einträge des CATI-Systems.<br />
6<br />
Ein weiteres Beispiel findet sich bei Martens/<br />
Michailow (2003, S. 15).<br />
7<br />
Die Angabe bezieht sich auf die 70-%-Stichprobe der CATI-<br />
Einträge.<br />
8<br />
CATI-Systeme haben anscheinend Probleme mit dem Ausdünnen<br />
der Termine umzugehen, so dass im <strong>Jena</strong>er Telefonlabor<br />
bei Expertenbefragungen häufig die Terminverwaltung<br />
ohne Datenbankunterstützung durchgeführt wurde.<br />
9<br />
Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde diesen Wünschen<br />
nicht entsprochen. – Im Rahmen einer internationalen Kooperation<br />
des A2-Projektes fand eine Telefonbefragung im Juli<br />
2005 unter Leitern mittelständischer Industrieunternehmen<br />
in England statt. Das Erhebungsinstrument entsprach<br />
weitgehend dem 2002 von uns eingesetztem Fragebogen. Auf<br />
Wunsch der Befragten wurden auch Fragebögen verschickt.<br />
Der Erfolg dieser Aktion war aber vergleichsweise gering.<br />
Von 224 per Email verschickten Fragebögen kamen 11 zurück<br />
(entsprechend 4,9 %). Die Erfolgsquote der Telefonkontakte<br />
lag bei etwa 10 % (Auskünfte von Mike Geppert, Queen<br />
Mary University London).<br />
10<br />
„Die Einführung anderer Verfahren [der qualitativen<br />
Datenerhebung, auf die sich Trinczek bezieht] bedürfen des<br />
behutsamen Überwindens dieser dominanten Frage-Antwort-Orientierung<br />
von Managern […]. Ein Interview mit<br />
einer Führungskraft etwa relativ rasch mit der Bitte um eine<br />
möglichst lange Narration einzuleiten, birgt die Gefahr des<br />
Scheiterns des gesamten Interviews – eben weil eine solche<br />
Interviewsituation den alltäglichen Kommunikationsstrukturen<br />
in Betrieben nahezu diametral entgegensteht“ (Trinczek<br />
2005, S. 214). Im Prinzip halte ich diese Aussage für<br />
zutreffend, doch auf der Basis von Leitfadeninterviews, die<br />
wir zusätzlich zu den standardisierten Telefonbefragungen<br />
durchgeführt haben, denke ich, dass in unserem Fall die<br />
Bereitschaft seitens der Unternehmensleiter zu einem solchen<br />
Interviewtermin auch mit besonderen Erwartungshaltungen<br />
an die Gesprächsthemen verbunden war (A2-Projekt,<br />
Sonderforschungsbereich 2004, S. 71). Und diese spiegelten<br />
sich beispielsweise bei ostdeutschen Managern darin wider,<br />
dass Erzählungen über die Wendezeit und die Geschichte des<br />
Unternehmens und damit auch die eigene Biographie einen<br />
größeren Stellenwert einnahmen als Trinczek konstatiert.<br />
Dadurch bekamen die Gespräche teilweise von vornherein<br />
einen narrativen Charakter.<br />
11<br />
„Die Attraktivität dieser folgenentlasteten Gesprächssituation<br />
[des Experteninterviews mit Sozialforschern] zeigt<br />
sich auch darin, dass die Befragten die Dauer der Interviews<br />
mitunter beträchtlich überziehen, auch wenn bei der Vereinbarung<br />
des Gesprächstermins noch um jede Viertelstunde<br />
gefeilscht worden war“ (Trinczek 2005, S. 216). Nicht nur<br />
bei Leitfadeninterviews mit Unternehmern und Managern<br />
haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Dauer der<br />
vollständigen Interviews im CATI-Labor variierte im
Elitenbefragungen<br />
Einleitung<br />
Bereich von 12 bis 134 Minuten (M-Projekt, Sonderforschungsbereich<br />
2004, S. 335).<br />
12<br />
Durch Zufall wurden außer den zwei Projektmitarbeitern nur<br />
Studentinnen als Interviewer beschäftigt.<br />
13<br />
Bei der erwähnten Telefonbefragung in England (vgl. Fußnote<br />
9) ließ sich das laut Auskunft unseres englischen Kooperationspartners<br />
ebenfalls beobachten.<br />
14<br />
Mündlicher Beitrag bei dem <strong>SFB</strong>-Kolloquium „Computer<br />
Assisted Telephone Interviewing“, in <strong>Jena</strong> 27.4.2005.<br />
15<br />
„Illusion“ wird hier als nicht ganz zutreffende Vorstellung<br />
verstanden.<br />
16<br />
Ein Beispiel für „Manager-Machtspiele“ in der persönlichen<br />
Interviewsituation ist bei Kern, Kern und Schumann (1988,<br />
S. 88f.) nachzulesen. – Eine selbst erlebte Episode, in der Besonderheiten<br />
der direkten Interaktion mit Managern anklingen,<br />
gibt ein Auszug eines Gesprächsprotokolls wieder: Im Vorwege<br />
des Interviews waren der Werks- und der Personalleiter eines<br />
größeren ostdeutschen Betriebes mit 800 Beschäftigten einige<br />
Male kontaktiert worden, und sie hatten in ein Interview eingewilligt.<br />
Das eigentliche Face-to-Face-Interview gestaltete sich<br />
gleichwohl zunächst viel schwieriger als gedacht. „Anfangs waren<br />
beide Gesprächspartner sehr reserviert. Der Sinn des ganzen<br />
Gesprächs wurde vehement in Frage gestellt und ich erwartete eigentlich<br />
einen Gesprächsabbruch. Erst nach etlichen erklärenden<br />
Worten von unserer Seite willigten X [der Werksleiter] und Y [der<br />
Personalleiter] schließlich ein und nahmen sich dann erstaunlich<br />
viel Zeit. Es war auch noch ein besonderes Anliegen von X, dass<br />
uns das Werk gezeigt wurde. Ich vermute, dass hier ein gewisser<br />
Stolz auf das Erreichte mitspielte, wir sollten einen Eindruck<br />
von den neuen bzw. renovierten Hallen erhalten“ (Gespräch<br />
10.12.2004). Anstelle der ursprünglich eingeplanten maximal<br />
zwei Stunden brachten die beiden Interviewer schließlich vier<br />
Stunden in dem Betrieb zu.<br />
17<br />
800 persönliche Interviews mit Unternehmensleitern in fünf<br />
Bundesländern zu realisieren, wären vermutlich auf Grund noch<br />
höherer Transaktionskosten sehr viel teurer geworden.<br />
Literatur<br />
Diekmann, A. (2001): Empirische Sozialforschung. Reinbek:<br />
Rowohlt. 7. Aufl.<br />
Eberwein, W./ Tholen, J. (1990): Managermentalität. Industrielle<br />
Unternehmensleitung als Beruf und Politik. Frankfurt:<br />
FAZ<br />
Gläser, J./ Laudel, G. (2004): Experteninterviews und qualitative<br />
Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruktiver Untersuchungen.<br />
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften<br />
Geschka, H. (1997): Einsam an der Spitze. Perspektiven für die<br />
Arbeits- und Lebensweise des Topmanagers. Berlin: Springer<br />
Kern, B./ Kern, H./ Schumann, M. (1988): Industriesoziologie<br />
als Kartharsis. In: Soziale Welt 39, S. 86-96<br />
Martens, B./ Michailow, M. (2003): Konvergenzen und<br />
Divergenzen zwischen dem ost- und westdeutschen Management.<br />
In: Martens, B./ Michailow, M./ Schmidt, R. (Hrsg.):<br />
Managementkulturen im Umbruch. <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen 10,<br />
S. 13-55<br />
Meuser, M./ Nagel, U. (1994): Expertenwissen und Experteninterviews.<br />
In: Hitzler, R./ Honer, A./ Maeder, C. (Hrsg.):<br />
Expertenwissen. Die institutionalisierte Kompetenz zur<br />
Konstruktion von Wirklichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag,<br />
S. 180-192<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> (2004): Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität,<br />
Tradition und Strukturbildung. Arbeits- und Ergebnisbericht<br />
2001-2004. <strong>Jena</strong> und Halle<br />
Trinczek, R. (2005): Wie befrage ich Manager? In: Bogner, A./<br />
Littig, B./ Menz, W. (Hrsg.): Das Experteninterview.<br />
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
2. Aufl., S. 209-222<br />
Gait ate tat lum quat. Ut laore velestie magniam,<br />
commy nis am velit ipisciduis atisit wiscinit nos<br />
esed doloreet utpate delendit praesed ea consed tat la<br />
commy nullam nulla feu facin henim augait lorper<br />
suscilla con ut aliscilis nibh eugiamet, sectet ecte modio eu faccumsan<br />
velenis num doluptatue tat atiscid uismolo rperos autat,<br />
velismolore molenim nibh ero od min henim digna atum<br />
Seite 41
Telefonische<br />
Befragung von<br />
parlamentarischen<br />
Eliten<br />
Seite 42
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Einleitung<br />
4<br />
Telefonische Befragung von<br />
parlamentarischen Eliten - CATI<br />
auf Abwegen?<br />
Anmerkungen zur CATI-Methode<br />
auf der Basis der Befragung<br />
parlamentarischer Eliten im<br />
Projekt A3 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> an der<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong><br />
Stefan Jahr<br />
Ungeachtet der jungen Geschichte<br />
telefonischer Befragungen als wissenschaftliche<br />
Datenerhebungsmethode<br />
und der teilweise gravierenden Pannen<br />
in ihren Anfangsjahren können deutsche<br />
Umfrageinstitute seit Mitte der 80er-Jahre<br />
eine stetig wachsende Anzahl telefonisch<br />
durchgeführter Befragungen verzeichnen.<br />
Laut ADM-Geschäftsbericht 2003 waren<br />
43 Prozent der 2003 durchgeführten Befragungen<br />
CATI-Erhebungen. Damit war die<br />
Anzahl der durchgeführten telefonischen<br />
Befragungen mehr als doppelt so hoch wie die<br />
Zahl durchgeführter postalischer Interviews<br />
und um ein Drittel höher als der Anteil von<br />
face-to-face Umfragen (vgl. ADM 2003).<br />
Allerdings lassen sich im Zentralarchiv Köln<br />
keine telefonisch durchgeführten Elitenbefragungen<br />
finden (Stand: Juni 2005). Angesichts<br />
der umfangreich in der Literatur dargelegten<br />
Vorteile von CATI-Erhebungen eine etwas<br />
unverständlich anmutende Tatsache. Mangelnde<br />
Telefonabdeckung, welche flächendeckende<br />
Bevölkerungsumfragen teilweise<br />
bis weit in die 90er-Jahre behinderte, kann<br />
nicht der Grund dafür gewesen sein. Wie das<br />
Beispiel des Deutschen Bundestags illustriert,<br />
dessen Abgeordnete bereits seit 1949 direkt<br />
per Telefon erreichbar sind 1 , gehören gerade<br />
Eliten zu den ersten Nutzern neuer Kommunikationstechnologien.<br />
Auch auf dem<br />
Gebiet der politisch-administrativen<br />
Eliten bediente sich außerhalb des<br />
Seite 43<br />
Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong> bislang<br />
keine Untersuchung telefonisch<br />
durchgeführter Interviews. Die folgenden<br />
methodischen Ausführungen basieren daher<br />
alleine auf den Erfahrungen der im Projekt
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
A3 durchgeführten Befragung von Landes-,<br />
Bundes- und Europaparlamentariern. Schon<br />
aus diesem Grund kann dieser Beitrag keine<br />
erschöpfende Diskussion der Vor- und Nachteile<br />
des CATI-Einsatzes zur Datenerhebung<br />
in Elitenpopulationen leisten. Vielmehr soll<br />
ein erster Eindruck von der Leistungsfähigkeit<br />
telefonischer Interviews bei der Befragung<br />
parlamentarischer Eliten vermittelt und der<br />
Vergleich zu anderen in diesem Heft vorgestellten<br />
Eliten- und Expertenbefragungen<br />
ermöglicht werden.<br />
Zunächst werden die Befragungsziele<br />
des <strong>SFB</strong>-Teilprojektes A3 skizziert, um im<br />
Anschluß die Grundgesamtheit in ihren wesentlichen<br />
befragungsrelevanten Merkmalen<br />
zu charakterisieren. Daran schließt als erster<br />
Schwerpunkt eine Darstellung der durchgeführten<br />
erhebungsflankierenden Maßnahmen<br />
an, welche mit Blick auf eine geplante<br />
Wiederholungsbefragung auch hinsichtlich<br />
ihrer Wirksamkeit und Modifikationsnotwendigkeit<br />
geprüft werden. Den zweiten<br />
Schwerpunkt bilden die aus den Ergebnissen<br />
der Befragung abgeleiteten Erkenntnisse über<br />
die Faktoren der Stichprobenrepräsentativität<br />
sowie eine Diskussion möglicher Veränderungen<br />
im Erhebungsdesign.<br />
Befragungsziele und Grundgesamtheit<br />
Seite 44 Die im Projekt angelegte vergleichende<br />
Analyse der Rekrutierungsmuster<br />
und Karrierepfade von<br />
Delegationseliten der Landes-, Bundes- und<br />
Europaebene seit 1990 basiert auf zwei<br />
empirischen Säulen. Die erste Säule bilden<br />
die aus Parlamentshandbüchern erhobenen<br />
Strukturdaten, welche es ermöglichen, die Positionssequenzen<br />
der Mandatsträger seit ihren<br />
ersten beruflichen Schritten bis zum aktuellen<br />
Zeitpunkt bzw. Ausscheiden aus dem Mandat<br />
nachzuzeichnen. Aus den Strukturdaten<br />
können jedoch den Karriereweg bestimmende<br />
Motive, Aspirationen, Situations- und Selbstdeutungen<br />
sowie Bewertungen politischer Institutionen<br />
nicht abgeleitet werden. Derlei zum<br />
Verständnis von Karrieremustern notwendige<br />
Daten lassen sich nur durch eine Befragung<br />
der Parlamentarier selbst erheben. Eine solche<br />
Erhebung wurde zwischen September 2003<br />
und Januar 2004 am Zentrum für Sozialforschung<br />
Halle durchgeführt und bildet die<br />
zweite empirische Säule des Projekts. Die zu<br />
bearbeitende Grundgesamtheit der Parlamentarier,<br />
welche seit 1990 in mindestens einem der<br />
Untersuchungsparlamente 2 ein Mandat wahrgenommen<br />
hatten, umfasste ca. 3700 Personen.<br />
Aufgrund der zum Zeitpunkt der Befragung<br />
unterschiedlichen Karrierestadien der betrachteten<br />
Abgeordneten erschien es sinnvoll, zwei<br />
Teilpopulationen zu bilden. Die erste Teilpopulation<br />
umfasste die zum Feldphasenbeginn<br />
ehemaligen Parlamentarier (n = 2011), die<br />
zweite Teilpopulation die zum Erhebungsbeginn<br />
aktuellen Parlamentarier (n = 1703). Aufgrund<br />
des besonderen Stichprobendesigns und<br />
der unerwarteten Stichprobenentwicklung bei<br />
der Befragung der ehemaligen Parlamentarier 3<br />
werden sich die folgenden Ausführungen nur<br />
auf die Befragungspopulation der aktuellen<br />
Parlamentarier beziehen.
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Befragungsrelevante Eigenschaften der<br />
Grundgesamtheit und Konsequenzen für<br />
die telefonische Befragung<br />
Zentrales Kriterium einer auf einem<br />
quantitativen Forschungsdesign beruhenden<br />
wissenschaftlichen Untersuchung ist die<br />
Repräsentativität der Aussagen über die<br />
beforschte Grundgesamtheit. Auch wenn<br />
Repräsentativität nicht zwingend an große<br />
Fallzahlen geknüpft ist, gelten eine große<br />
Stichprobe und eine entsprechend hohe Ausschöpfung<br />
als Garant für eine strukturgetreue<br />
verkleinerte Abbildung der Grundgesamtheit<br />
im Untersuchungssample. Im Vergleich zu<br />
allgemeinen Bevölkerungsumfragen muß<br />
bei Elitenbefragungen das Ziel einer hohen<br />
Ausschöpfung allerdings unter verschärften<br />
Randbedingungen erfüllt werden. So sind Elitenpopulationen<br />
meist relativ klein, oft stark<br />
beforscht und entsprechend interviewgesättigt.<br />
Die sich daraus ergebende Befragungsresistenz<br />
wird einerseits durch das knappe Zeitbudget<br />
parlamentarischer Eliten und andererseits<br />
durch die schlechte direkte Erreichbarkeit<br />
noch verstärkt. Natürlich wirken sich diese<br />
Umstände nicht nur auf telefonische Befragungen<br />
negativ aus. Die These ist aber, dass<br />
dadurch Elitenbefragungen per Telefon stärker<br />
flankierender Maßnahmen bedürfen als entsprechende<br />
face-to-face Befragungen.<br />
Bei face-to-face Interviews wird von amerikanischen<br />
Forschern in besonders befragungsresistenten<br />
Grundgesamtheiten gerne eine<br />
Holdup-Strategie praktiziert - man erscheint<br />
einfach ohne Termin im Büro der zu befragenden<br />
Person und bemüht sich um ein sofortiges<br />
Interview oder einen Termin (vgl. Frey/<br />
Kunz/Lüschen 1990, S. 44). Dieses teilweise<br />
sehr erfolgreiche Vorgehen lässt sich leider nur<br />
bedingt auf das Telefon übertragen. Bei den<br />
hier untersuchten Parlamentariern wurden lediglich<br />
5,5 Prozent der Interviews beim ersten<br />
Kontaktversuch realisiert. Im Durchschnitt<br />
mussten 11 Versuche unternommen werden,<br />
bevor ein Interview zustande kam. Meistens<br />
endeten die Kontaktversuche jedoch „schon<br />
bei denjenigen, die Zeit und Energie ihres<br />
Chefs überwachen“ (vgl. Frey/Kunz/Lüschen<br />
1990, S. 44). Mit dieser Einschätzung weisen<br />
Frey/Kunz/Lüschen auf die besondere Stellung<br />
der Sekretariate der Untersuchungspersonen<br />
hin. Im Regelfall laufen Interviewanfragen<br />
über die Büros der zu befragenden Person und<br />
unterliegen dort einer Vorsortierung (vgl. auch<br />
den Beitrag von Bernd Martens in diesem<br />
Heft). Diese Gatekeeper-Stellung zwischen<br />
Forscher und Elitenpositionsinhaber bedarf<br />
bei der Wahl der zur Interviewanbahnung<br />
eingesetzten Signalling-Strategien 4 besonderer<br />
Berücksichtigung. Oftmals führt nur eine<br />
Kombination direkter und indirekter Signalisierungsaktivitäten<br />
zum Erfolg. Im Falle der<br />
hier untersuchten parlamentarischen Eliten<br />
wurde auf direktem Wege über persönliche<br />
Projektvorstellungen in den Fraktionssitzungen,<br />
personalisierte Anschreiben, Faxe<br />
und E-Mails als auch auf indirektem Wege<br />
über Presse- und Forschungsberichte sowie<br />
Internetauftritt versucht, Informationen über<br />
das Forschungsvorhaben an die Befragungspopulation<br />
heranzutragen.<br />
Einen besonders positiven Effekt<br />
Seite 45<br />
auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit<br />
versprach sich das Projektteam von<br />
der persönlichen Vorstellung der Erhebung<br />
in den jeweiligen Fraktionen. Aufgrund des<br />
damit verbundenen hohen Aufwandes wurde
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
aber nur in den Landesparlamenten von Thüringen,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen,<br />
Berlin sowie im Bundestag um einen Vorstellungstermin<br />
gebeten. Zwar konnte das Projekt<br />
nur in lediglich neun der angesprochenen<br />
Fraktionen vorgestellt werden, wie aber aus<br />
Tabelle 1 zu entnehmen ist, lassen sich weder<br />
der Befragung lässt sich daher festhalten,<br />
dass solche aufwendigen Informationsangebote<br />
primär auf die Fraktionsführungen<br />
zugeschnitten und beschränkt werden sollten.<br />
Qualität der Präsentation (Selbsteinschätzung)<br />
[s. gut - gut – mittel – schlecht – s. schlecht]<br />
Hessen<br />
Ausschöpfung im Vergleich (Befragungsbestes<br />
– erreichtes – Befragungsschlechtestes<br />
Fraktionsergebnis)* [in %]<br />
SPD gut 100-73-70<br />
FDP sehr gut 79-67-44<br />
B90/Die Grünen sehr gut 100-100-70<br />
Sachsen<br />
CDU mittel 84-66-45<br />
PDS gut 100-93-88<br />
Sachsen-Anhalt<br />
PDS sehr gut 100-100-88<br />
FDP schlecht 79-65-44<br />
Thüringen<br />
CDU sehr gut 86-86-45<br />
SPD gut 100-100-70<br />
Tabelle 1 - Auswirkungen der Projektvorstellungen in<br />
den Fraktionen auf die Ausschöpfungsrate<br />
* Der erste Prozentwert gibt die höchste Ausschöpfung, der<br />
zweite Prozentwert die in diesem Parlament erreichte<br />
und der letzte Prozentwert die geringste Ausschöpfung<br />
der Partei über alle befragten Parlamente wieder.<br />
ein eindeutig positiver Effekt der Vorstellungen<br />
an sich, noch ihrer Qualität<br />
Seite 46 auf die erreichte Ausschöpfung feststellen.<br />
Es erwies sich als wesentlich<br />
wichtiger für die erreichten Ausschöpfungsquoten,<br />
die jeweiligen Fraktionsführungen<br />
von der Untersuchungsteilnahme<br />
zu überzeugen. Für die erneute Durchführung<br />
Das Versenden von personalisierten<br />
Anschreiben, Faxen und E-Mails mit Informationen<br />
zum Forschungsanliegen ist in<br />
einer solchen Untersuchungspopulation Standardvorgehen<br />
und schon aus diesem Grund<br />
unverzichtbar. Zudem ermöglicht der Hinweis<br />
auf die bereits versendeten Informationen dem<br />
Interviewer einen leichteren Gesprächseinstieg<br />
beim ersten telefonischen Kontakt. Obwohl<br />
die Informationen ca. zwei bis drei Wochen vor<br />
Befragungsbeginn verschickt wurden, forderte<br />
ungefähr ein Drittel der Befragten nochmals<br />
Informationsmaterial an.<br />
Trotz dieser verschiedenen Strategien der<br />
Informationsverbreitung, die unter anderem<br />
auch darauf ausgerichtet waren, die Mono-
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
polstellung der Sekretariate bei der Informationsverteilung<br />
abzuschwächen, mussten<br />
teilweise die Mitarbeiter der Parlamentarier<br />
ebenso intensiv von der Teilnahme ihrer Chefs<br />
an der Untersuchung überzeugt werden, wie<br />
die Abgeordneten selbst.<br />
Die in der Literatur dargelegten Erfahrungen<br />
mit Elitenbefragungen deuteten darauf<br />
hin, dass Eliten persönliche Interviews bevorzugen<br />
(vgl. Lüschen 1979; zusammenfassend<br />
Frey/Kunz/Lüschen 1990). Ein Grund dafür<br />
könnte sein, dass der recht unpersönliche Kontakt<br />
am Telefon nicht im gleichen Maße wie ein<br />
direktes persönliches Gespräch Wertschätzung<br />
und Wichtigkeit des Interviewpartners vermittelt.<br />
Bei face-to-face Befragungen lassen sich<br />
über „nonverbale“ Kommunikationselemente<br />
(z.B. Interviewerauftreten und nicht zuletzt den<br />
persönlichen Besuch an sich) die Wichtigkeit<br />
des Befragten für die Untersuchung unterstreichen.<br />
Dieses Moment fehlt der telefonischen<br />
Befragung völlig. Bei gesellschaftlich höher<br />
gestellten Persönlichkeiten, wie es Eliten qua<br />
definitionem sind, kann sich das negativ auf die<br />
Teilnahmebereitschaft auswirken. Dennoch<br />
lässt sich auf der Basis der gemachten Erfahrungen<br />
das Verweigerungsrisiko aufgrund<br />
dieses Aspektes telefonischer Kommunikation<br />
als gering einschätzen. Offensichtlich werden<br />
Statusunterschiede durch den recht unpersönlichen<br />
und technisch vermittelten Kontakt<br />
zwischen den Kommunikationspartnern in den<br />
Hintergrund gedrängt, so dass auch aus Sicht<br />
der Befragten nicht ebenbürtige Kommunikationspartner<br />
akzeptiert werden. 5. Allerdings<br />
darf diese Erkenntnis nicht vergessen lassen,<br />
dass sich parlamentarische Eliten sehr wohl<br />
ihrer herausgehobenen Stellung in der Gesellschaft<br />
bewusst sind. Dieses Statusbewusstsein<br />
zeigt sich jedoch nicht in der ausschließlichen<br />
Präferenz für ein persönliches Interview oder<br />
einen statusäquivalenten Gesprächspartner,<br />
sondern äußert sich in entsprechenden Erwartungen<br />
an die Qualität der Befragung und<br />
Expertise der Interviewer.<br />
Aus den im Vorfeld der Erhebung geführten<br />
Leitfadeninterviews war bekannt, dass die<br />
Qualität der Befragung von den Parlamentariern<br />
auch daran gemessen wird, wie detailliert<br />
die politische Laufbahn und speziell politische<br />
(Führungs-)Positionen erfragt werden. Diese<br />
Erwartungshaltung erwies sich bei der Konstruktion<br />
des Fragebogens mitunter als problematisch.<br />
Einerseits sollte der Fragebogen<br />
durch den Verzicht auf Fragen nach bereits aus<br />
den erhobenen Strukturdaten bekannten Informationen<br />
möglichst kurz gehalten werden,<br />
auf der anderen Seite waren bestimmte Fragen<br />
notwendig, um den Befragten Vollständigkeit,<br />
Wissenschaftlichkeit und Seriosität der Erhebung<br />
zu vermitteln. Vor dem Hintergrund des<br />
geringen Zeitbudgets der Parlamentarier und<br />
der von im Vorfeld befragten Parlamentariern<br />
angemahnten Zeitdauer von maximal 30 Minuten<br />
pro Interview erhielt aber die Kürzung<br />
des Fragebogens Vorrang.<br />
Das maximale Zeitfenster von einer halben<br />
Stunde wurde sehr oft von den mit der Terminkoordination<br />
betrauten Sekretariaten der<br />
Untersuchungspersonen bestätigt.<br />
Wie aber die Auswertung der tatsächlichen<br />
Befragungszeiten zeigt, lag die<br />
Seite 47<br />
durchschnittliche Interviewdauer bei<br />
ca. 42 Minuten. Somit ist die von vielen<br />
Seiten dem Projekt empfohlene maximale<br />
Interviewdauer von 30 Minuten als zu pessimistisch<br />
zu bewerten. Allerdings glich es einer
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Gratwanderung, die im Einleitungstext des<br />
Interviews zu nennende Interviewdauer festzulegen.<br />
Es musste eine Zeitangabe gefunden<br />
werden, die einerseits nicht abschreckte und<br />
andererseits eine nicht allzu große Diskrepanz<br />
zur tatsächlichen Interviewdauer aufwies (vgl.<br />
Wüst 1998, S. 16). In den ersten 14 Tagen der<br />
Befragung wurde mit der empfohlenen, aber<br />
faktisch zu kurzen Interviewdauer von 30 Minuten<br />
operiert. Nach dem sich die Unmutsbekundungen<br />
der befragten Abgeordneten<br />
über die tatsächliche Dauer häuften, wurde im<br />
Einleitungstext für den weiteren Befragungsverlauf<br />
die voraussichtliche Interviewdauer der<br />
Befragung auf „in der Regel etwa 40 Minuten“<br />
geändert. Laut Interviewerbemerkungen hatte<br />
diese Erhöhung nicht den von Collins et al.<br />
(1988) befürchteten negativen Einfluss auf die<br />
Teilnahmewahrscheinlichkeit, reduzierte aber<br />
merklich die Beschwerden über die tatsächliche<br />
Befragungsdauer.<br />
Unmutsbekundungen der Befragten über<br />
die Länge und inhaltliche Ausrichtung des<br />
Interviews waren nicht die einzigen Herausforderungen,<br />
denen sich die Interviewer stellen<br />
mussten. Neben den allgemein bekannten<br />
Anforderungen an Interviewer (für Details<br />
siehe: Fuchs 1995, S. 289f; Diekmann 1999,<br />
S. 399ff; <strong>Friedrich</strong>s 2000, S. 216f ) erwarteten<br />
die Befragten vor allem hohe fachliche<br />
Kompetenz und eine grundlegende<br />
Vertrautheit mit ihrer Biographie von<br />
den Interviewern.<br />
Seite 48<br />
Bei der Befragung von Eliten gehen<br />
weite Teile der erfragten Inhalte<br />
über das übliche Allgemeinwissen hinaus.<br />
Soll der Interviewer aber ein kompetenter<br />
Gesprächspartner sein, muss er über entsprechendes<br />
Fachwissen verfügen, welches sich nur<br />
bedingt in Interviewerschulungen vermitteln<br />
lässt. Die Folgen geringer Interviewerkompetenz<br />
wären nicht nur Daten minderer Qualität.<br />
Bei einer untereinander hochgradig so vernetzten<br />
Grundgesamtheit, wie es Parlamentarier<br />
in der Regel sind, können einzelne schlecht<br />
geführte Interviews schnell die Akzeptanz der<br />
Befragung in der gesamten Untersuchungspopulation<br />
verringern. Im schlimmsten Fall<br />
würden noch zu befragende Abgeordnete<br />
die Teilnahme an der Befragung verweigern,<br />
weil Parlamentskollegen ihnen aufgrund ihrer<br />
negativen Interviewerfahrung davon abgeraten<br />
haben. Daher ist für solche speziellen<br />
Befragungen die Rekrutierung entsprechend<br />
vorgeschulten Personals unumgänglich.<br />
Um die raportfördernde Vertrautheit der<br />
Interviewer mit den Viten der zu befragenden<br />
Abgeordneten zu erreichen, müssen sich die<br />
Interviewer bei face-to-face Befragungen das<br />
für die Befragung notwenige Wissen vor dem<br />
Gespräch aneignen. Im Falle von telefonischen<br />
Befragungen lassen sich dem Interviewer durch<br />
die ausschließlich verbale Kommunikation bei<br />
fehlendem Sichtkontakt Hilfsmittel zur Verfügung<br />
stellen, die im persönlichen Interview<br />
nicht im gleichen Umfang möglich sind. Unterstützende<br />
Listen, Institutionsorganigramme,<br />
Definitionen von Fachtermini oder Eckpunkte<br />
der Befragtenbiographie sind jederzeit im Gesprächsverlauf<br />
und ohne Wissen des Interviewten<br />
nutzbar. Dadurch ist die Vorbereitungszeit<br />
auf ein Interview im Vergleich deutlich kürzer,<br />
ohne dass der Befragte eine geringere fachliche<br />
Qualifikation des Interviewers wahrnehmen<br />
kann.<br />
Die Anforderungen an den Interviewer
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
sind jedoch trotz dieser möglichen Entlastungen<br />
nicht zu unterschätzen, denn während<br />
der Befragung müssen viele Dinge simultan<br />
erledigt werden. Um keine Zweifel an der<br />
Kompetenz des Interviewers aufkommen zu<br />
lassen, ist ein mehr oder weniger kontinuierlicher<br />
Sprachfluss am Telefon erforderlich.<br />
Gleichzeitig sind die Daten zu erfassen und<br />
eventuell Auskünfte über den Befragungsfortschritt<br />
zu geben. Erschwerend kommt hinzu,<br />
dass durch den leichten Einsatz von Filtern im<br />
Computerfragebogen der Befragungsverlauf<br />
fast individuell an den Gesprächspartner angepasst<br />
werden kann. Daraus resultieren jedoch<br />
fast unüberschaubare Fragebogenvarianten und<br />
machen es dem Interviewer schwer, den Überblick<br />
über den Befragungsverlauf zu behalten.<br />
Zwar ist durch die computergesteuerte Interviewführung<br />
dieser Überblick nicht im gleichen<br />
Maße wie bei face-to-face Befragungen<br />
notwendig, allerdings gilt es zu beachten, dass<br />
sich durch die exzessive Nutzung möglicher<br />
Regulierungs- und Steuerungsmechanismen<br />
eine gewisse Starrheit und Unnatürlichkeit<br />
in der Befragungssituation ergibt. Es ist fast<br />
unmöglich, alle durch die unterschiedlichen<br />
Filterführungen möglichen Fragereihenfolgen<br />
sprachlich und inhaltlich so aufeinander abzustimmen,<br />
dass keine mehr oder minder abrupten<br />
Themenwechsel während der Befragung<br />
auftreten. Durch eine intensive Nutzung von<br />
befragungssimultanen Plausibilitätsprüfungen<br />
leidet die Natürlichkeit des Gesprächsverlaufes<br />
ebenfalls. 6 Zu häufige Nachfragen bzw. Hinweise<br />
auf Inkonsistenzen bergen die Gefahr,<br />
den Befragten über Gebühr zu strapazieren und<br />
somit einen Abbruch des Interviews zu provozieren.<br />
Die Erfahrungen aus dieser Befragung<br />
bestätigen daher die Einschätzung von Fuchs<br />
(1995, S. 289), dass die Gestaltung der sozialen<br />
Interviewsituation durch die Möglichkeiten<br />
des Computers schnell übertrieben wird und<br />
dadurch ein Teil der durch Standardisierung<br />
gewonnenen Datenqualität wieder verloren<br />
gehen kann.<br />
Faktoren der Repräsentativität<br />
Der Begriff der Repräsentativität spricht in<br />
jedem Stichprobendesign einen der wichtigsten<br />
Punkte an. Eine Stichprobe gilt dann als<br />
repräsentativ, wenn sie „alle für die Grundgesamtheit<br />
typischen und charakteristischen Erhebungsmerkmale<br />
nebst deren verschiedenen<br />
Kombinationen genau entsprechend ihrer<br />
relativen Häufigkeit in der Grundgesamtheit<br />
enthält und somit ein getreues Miniaturbild der<br />
Grundgesamtheit, sozusagen ihr verkleinertes<br />
Modell darstellt.“ (Büschges 1961, S. 6). Damit<br />
wird auch deutlich, dass Repräsentativität<br />
und Stichprobenumfang keine Synonyme<br />
sind. Zwar steigt die Wahrscheinlichkeit der<br />
Repräsentativität einfacher Zufallsstichproben<br />
mit deren Umfang, jedoch ist damit nicht<br />
ausgeschlossen, dass auch kleine Stichproben<br />
strukturgetreue Abbilder der Grundgesamtheit<br />
darstellen können. Da im Falle der hier vorgestellten<br />
Studie auf keinerlei empirische Erfahrungen<br />
zurückgegriffen werden konnte, wie<br />
Parlamentarier auf telefonische Befragungen<br />
reagieren, ließen sich auch mögliche Ausfälle<br />
im Vorfeld nicht abschätzen. Somit<br />
war es unumgänglich, eine Totalerhebung<br />
der Untersuchungsparlamente<br />
Seite 49<br />
anzustreben, welche gleichzeitig als<br />
Referenzmessung der Befragungswilligkeit<br />
parlamentarischer Eliten am Telefon<br />
dienen sollte. Natürlich konnte nicht angenommen<br />
werden, dass sich alle Mitglieder der
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Seite 50<br />
Grundgesamtheit an der Befragung beteiligen<br />
würden. Die dadurch - wenn auch ungewollt<br />
- entstandene Stichprobe galt es hinsichtlich<br />
der Merkmale Geschlecht, regionale Herkunft<br />
(Ost-/Westdeutschland), Verhältnis<br />
zwischen Mitgliedern der Regierungs- und<br />
Oppositionsfraktionen sowie dem Anteil an<br />
parlamentarischen Führungspersonen auf<br />
Repräsentativität zu prüfen. Die Auswahl<br />
dieser genannten Repräsentativitätsmerkmale<br />
bestimmte sich aus den im Projekt angelegten<br />
Untersuchungsschwerpunkten und Vergleichsperspektiven.<br />
Zur vollständigen Bearbeitung aller 1703<br />
Personen der Grundgesamtheit bedurfte es<br />
95 Befragungstage. Die erreichte Ausschöpfungsquote<br />
lag bei insgesamt 56 Prozent,<br />
differierte allerdings erheblich zwischen den<br />
einzelnen parlamentarischen Ebenen. Eine<br />
mit gut 76 Prozent außerordentlich hohe<br />
Ausschöpfung wurde auf der Landesebene<br />
erreicht, hingegen konnten nur 33 Prozent<br />
der deutschen Mitglieder des Europäischen<br />
Parlaments und nur 26 Prozent der Mitglieder<br />
des Deutschen Bundestages befragt werden.<br />
Um die Entwicklung der Stichprobengröße<br />
der einzelnen Befragungen untereinander<br />
vergleichen zu können und die unterschiedlichen<br />
Ausschöpfungsraten in der Darstellung<br />
zu neutralisieren, wurde in Abbildung 1 die<br />
zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
erreichte Interviewanzahl in Relation<br />
zu der am Befragungsende erreichten<br />
Stichprobengröße gesetzt.<br />
Zu erkennen ist, dass sich die<br />
Bundes- und Europaparlamentarierbefragungen<br />
in der Anfangsphase nicht so gut<br />
entwickelten wie die Befragung der Landtagsabgeordneten.<br />
Gut die Hälfte der insgesamt<br />
765 realisierten Landtagsinterviews war bereits<br />
nach 13 Befragungstagen abgeschlossen. Um<br />
die 50-Prozentmarke bei den Bundestagsabgeordneten<br />
zu erreichen, waren 21 und bei<br />
den EU-Parlamentariern 30 Befragungstage<br />
notwendig. Im weiteren Befragungsverlauf<br />
glichen sich jedoch die unterschiedlichen Entwicklungen<br />
einander an und nach ca. 56 Befragungstagen<br />
waren auf allen drei Ebenen 90<br />
Prozent der finalen Stichprobengröße erreicht.<br />
Die im Befragungsverlauf abflachenden<br />
Kurven zeigen das typische Bild einer angestrebten<br />
Vollerhebung. Der steile Kurvenanstieg<br />
in den ersten Befragungswochen<br />
erklärt sich daraus, dass aus dem Pool der<br />
Untersuchungseinheiten zuerst die leicht zu<br />
befragenden Personen abgeschöpft wurden.<br />
Die im späteren Befragungsverlauf degressiven<br />
Kurvenanstiege verdeutlichen, dass sich<br />
mit zunehmender Befragungsdauer nur noch<br />
schwer zu befragenden Personen im Adressenpool<br />
befanden.<br />
Es stellt sich die Frage, ob eine aus ökonomischen<br />
Gründen früher beendete Befragung<br />
(etwa nach 54 Befragungstagen) auch unter<br />
Repräsentativitätsgesichtspunkten gerechtfertigt<br />
gewesen wäre. Tabelle 2 zeigt die Abweichungen<br />
der Merkmalszusammensetzung<br />
der einzelnen finalen Ebenenstichproben<br />
von ihren jeweiligen Teilgrundgesamtheiten.<br />
Wie auf der Landesebene an den geringen<br />
Differenzen der Anteilswerte in den einzelnen<br />
Merkmalen zwischen Stichprobe und<br />
Grundgesamtheit zu erkennen ist, bildet die<br />
erreichte Auswahl die Grundgesamtheit recht<br />
gut ab. Auf der Bundesebene sind lediglich die<br />
Relationen zwischen Ost- und Westdeutschen
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Abbildung 1 - Entwicklung der Stichprobengrößen im<br />
Befragungszeitraum<br />
(Alle Zahlen in %)<br />
Ost-West (Ost)<br />
Regierung – Opposition<br />
(Regierung)<br />
Geschlecht (weiblich)<br />
high-flyer – Backbencher<br />
(high-flyer)<br />
GG SP GG SP GG SP GG SP<br />
Landesebene 53 56 58 54 32 35 31 28<br />
Bundesebene 16 26 51 53 33 32 16 10<br />
EU-Parlament1 17 27 - - 38 30 13 9<br />
Tabelle 2 - Merkmalsrelationen in Grundgesamtheit<br />
(GG) und Stichprobe (SP) [Aktuelle Parlamentarier]<br />
Seite 51
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
70<br />
60<br />
50<br />
(in Prozent)<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
5 9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93<br />
Befragungstage<br />
Frauen Ost Regierung high-flyer<br />
Abbildung 2 - Repräsentativitätsentwicklung der<br />
Landtagsstichprobe im Befragungsverlauf [Durchgezogene<br />
Linien zeigen den Merkmalsanteil in der Grundgesamtheit,<br />
die von Marken unterbrochenen Linien die<br />
Anteilsentwicklung in der Stichprobe]<br />
sowie high-flyern 7 und backbenchern nicht<br />
strukturgetreu.<br />
Die Gegenüberstellung der Stichprobenparameter<br />
mit den Sollwerten der Grundgesamtheit<br />
im Zeitverlauf der Befragung<br />
zeigt, dass sich die gute Repräsentativität der<br />
Landesebenenstichprobe nicht allein auf die<br />
hohe Ausschöpfung von 76 Prozent<br />
zurückführen lässt (vgl. Abbildung 2).<br />
Bereits nach 17 Befragungstagen und<br />
Seite 52 einer erreichten Ausschöpfung von 45<br />
Prozent wichen die Merkmalsanteile<br />
in der Stichprobe der Landesparlamente<br />
nur noch gering von ihren am Ende<br />
der Befragung erreichten Werten und der<br />
Verteilung in der Grundgesamtheit ab.<br />
Auf der Bundesebene findet sich ein ähnliches<br />
Bild, nur stellten sich die endgültigen<br />
Anteile erst nach ungefähr 41 Befragungstagen<br />
aber schon bei einer Ausschöpfung von 22 Prozent<br />
ein (Abbildung 3).<br />
Fazit<br />
Unter (befragungs-)ökonomischen Gesichtpunkten<br />
lässt sich aus der Repräsentativitätsbetrachtung<br />
schließen, dass die Erhebung<br />
auf der Landesebene nach 17 Befragungstagen<br />
und auf der Bundesebene nach 41 Tagen hätte<br />
abgebrochen werden können. Grund dafür ist,<br />
dass sich in den hier untersuchten Merkmalen<br />
bei einer bis zu diesen Tagen erreichten<br />
Ausschöpfung von ungefähr 45 Prozent auf<br />
der Landesebene und 22 Prozent auf der Bundesebene<br />
kaum noch Anteilsverschiebungen
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
80<br />
70<br />
60<br />
(in Prozent)<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
5 9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85<br />
Befragungstage<br />
Frauen Ost Regierung high-flyer<br />
Abbildung 3 - Repräsentativitätsentwicklung der Bundestagsstichprobe<br />
im Befragungsverlauf [Durchgezogene<br />
Linien zeigen den Merkmalsanteil in der Grundgesamtheit,<br />
die von Marken unterbrochenen Linien die<br />
Anteilsentwicklung in der Stichprobe]<br />
ergaben. Bei gravierenden Abweichungen<br />
der Stichprobenzusammensetzung von der<br />
Grundgesamtheit hätten demzufolge bis spätestens<br />
zu diesen Zeitpunkten Korrekturen im<br />
Auswahlplan vorgenommen werden müssen.<br />
Als Argument für eine Kürzung des Stichprobenumfangs<br />
sind die gefundenen Erkenntnisse<br />
jedoch nicht verwendbar. Viele der im<br />
Untersuchungsdesign des Projektes angelegten<br />
Vergleichsperspektiven erfordern Analysen auf<br />
der Ebene einzelner Parlamentsfraktionen, die<br />
selbst bei einer 45-prozentigen Ausschöpfung<br />
auf der Landesebene teilweise nur durch eine<br />
oder zwei Personen repräsentiert wären und<br />
somit keine statistischen Auswertungen ermöglichen.<br />
Mit Blick auf die geplante Wiederholungsbefragung<br />
lässt sich als Fazit der Erfahrungen<br />
aus der Erhebung und der methodischen<br />
Betrachtungen befragungsrelevanter Eigenschaften<br />
der Untersuchungspopulation ziehen,<br />
dass CATI-Befragungen zur Datenerhebung<br />
in parlamentarischen Elitepopulationen<br />
durchaus geeignet sind. Die aus der Literatur<br />
über den Einsatz telefonischer Bevölkerungsumfragen<br />
bekannten positiven Eigenschaften<br />
wie z.B. schnelle Feldphase und im Vergleich<br />
hohe Responsraten, bleiben auch<br />
bei der Befragung parlamentarischer<br />
Eliten erhalten. Im Vergleich mit<br />
Seite 53<br />
bisher postalisch oder persönlich<br />
durchgeführten Befragungen von<br />
Parlamentariern konnte eine deutlich höhere<br />
Ausschöpfungsquote erzielt werden (vgl. Best<br />
et al. 2004, S. 5). Beschränkt man die Kosten-
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
betrachtung nur auf die Erhebungsphase, lässt<br />
sich der telefonischen Befragung von parlamentarischen<br />
Eliten auch eine sehr gute Kosten-Nutzen-Relation<br />
konstatierten. Ebenfalls<br />
war die Akzeptanz des Telefons als bis dato<br />
neues Kommunikationsmedium für wissenschaftliche<br />
Befragungen unter den Abgeordneten<br />
sehr hoch. Allerdings darf bei dieser<br />
positiven Einschätzung der hohe betriebene<br />
Aufwand in der Vorbereitung und Flankierung<br />
der Befragung nicht vergessen werden. Auch<br />
wenn noch einiges Optimierungspotential in<br />
den angesprochenen Signalling-Aktivitäten<br />
liegt, sind sie in ihrem Finanz- und Zeitaufwand<br />
nicht zu unterschätzen und relativieren<br />
teilweise die kostengünstige und schnelle<br />
Feldphase.<br />
Seite 54
CATI - und parlamentarische Einleitung Eliten<br />
Fussnoten<br />
Telephone Survey Methodology. New York, NY: John Wiley &<br />
Sons, S. 213-232<br />
1<br />
Der Verfasser dankt Wilhelm Weege für seine intensiven Recherchen<br />
zu dieser Fragestellung.<br />
2<br />
Untersucht wurden die deutschen Mitglieder des Europäischen<br />
Parlaments, die Abgeordneten des Bundestages und die Mitglieder<br />
der Landtage Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg,<br />
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-<br />
Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.<br />
3<br />
Die Ankündigung der Befragung löste einen so hohen Respons<br />
aus, dass zwar der anvisierte Stichprobenumfang weit übertroffen<br />
wurde, aber auch die Stichprobe nur sehr begrenzt gesteuert<br />
werden konnte.<br />
4<br />
Unter Signalling werden alle Aktivitäten des Forschers verstanden,<br />
die zu befragenden Personen über das Forschungsprojekt<br />
zu informieren, um somit das mit einem unerwarteten Telefonanruf<br />
verbundene Element der Überraschung zu reduzieren<br />
(Frey/Kunz/Lüschen 1990, S. 121).<br />
Diekmann, Andreas (1999): Empirische Sozialforschung. 5.<br />
Auflage. Hamburg: Reinbek<br />
Frey H. James / Kunz, Gerhard / Lüschen, Günther (1990):<br />
Telefonumfragen in der Sozialforschung. Methoden, Techniken,<br />
Befragungspraxis. Opladen: Westdeutscher Verlag<br />
<strong>Friedrich</strong>s, Jürgen (2000): Methoden empirischer Sozialforschung.<br />
14. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag<br />
Fuchs, Marek (1995): Die computergestützte telefonische Befragung:<br />
Antworten auf Probleme der Umfrageforschung? In:<br />
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 4 S. 284-299<br />
Lüschen, Günther (1979): Social Equality and the Impact of<br />
Education in Western Europe. Comparative Social Research 2,<br />
S. 41-69<br />
Wüst, Andreas M. (1998): Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage<br />
der Sozialwissenschaften als Telefonumfrage. ZUMA-<br />
Arbeitsbericht 98/04<br />
5<br />
Vgl. Diskussionsanmerkung von Michael Behr auf Seite 90.<br />
6<br />
Z. B. ob die prozentualen Anteile an Wahlkreis- und Parlamentsarbeit<br />
sich zu 100 Prozent addieren.<br />
7<br />
Als high-flyer wurden alle Inhaber von Exekutivfunktionen,<br />
parlamentarische Geschäftführer, Mitglieder der Fraktionsvorstände<br />
und des Parlamentspräsidiums verstanden.<br />
Literatur<br />
ADM-Jahresbericht (2003): http://www.adm-ev.de/pdf/Jahresbericht_03.pdf<br />
Best et al. (2004): Zwischenauswertung der Deutschen Abgeordnetenbefragung<br />
2003/04. Informationsbroschüre. <strong>SFB</strong><strong>580</strong>/<strong>Universität</strong>-<strong>Jena</strong><br />
Büschges, Günter (1961): Die Gebietsauswahl als Auswahlmethode<br />
in der empirischen Sozialforschung. Dissertation. <strong>Universität</strong><br />
Köln<br />
Seite 55<br />
Collins, Martin et al. (1988): Nonresponse: the UK experience.<br />
In: Groves, Robert M. / Biemer P.P. / Lyberg L.E., et al., (eds.),
Interviewformen<br />
für Netzwerkerhebungen<br />
Seite 56
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Personalisierte Fragebögen am<br />
Beispiel von Netzwerkerhebungen<br />
Sören Petermann<br />
5<br />
Jahrzehntelang war das Face-to-Face-<br />
Interview das Maß aller Dinge, wenn<br />
standardisierte Befragungen sozialer<br />
Netzwerke durchzuführen waren. Dies hing<br />
in der Vergangenheit mit deren Komplexität<br />
und der damit verbunden komplizierten Erhebung<br />
von Generatoren und Interpretatoren<br />
zusammen. So wurden relevante Studien im<br />
deutschsprachigen Raum, auf die das Teilprojekt<br />
A4 verweist, als Face-to-Face-Interviews<br />
durchgeführt (Däumer 1997, Laumann/Pappi<br />
1976). Man benötigt also gute Argumente, will<br />
man vom Face-to-Face- zum Telefoninterview<br />
wechseln. Wie lässt sich also begründen, dass<br />
im Teilprojekt A4 zur Untersuchung politisch-administrativer<br />
Eliten in sechs Untersuchungsgebieten<br />
in Ost- und Westdeutschland<br />
eine computerunterstützte Telefonbefragung<br />
(CATI) durchgeführt wird? Zunächst wird<br />
vorausgesetzt, dass die zu untersuchende Population<br />
telefonisch erreichbar ist (Fuchs 1994,<br />
Petermann 2001). Die zu untersuchenden<br />
Kommunalpolitiker des Teilprojekts A4 bilden<br />
eine Spezialpopulation, die aufgrund ihres<br />
Status ohnehin telefonisch erreichbar sein<br />
sollte. Die Voraussetzung der telefonischen<br />
Erreichbarkeit ist für sämtliche ausgewählten<br />
und befragbaren Kommunalpolitiker gegeben<br />
(<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> 2004). Aus Vergleichen zwischen<br />
Face-to-Face- und Telefoninterviews sind in<br />
der Methodenforschung zahlreiche Vorteile<br />
für Telefonbefragungen hervorgehoben worden,<br />
die sich auf den Ablauf sowohl in der<br />
Kontaktphase als auch in der Interviewphase<br />
beziehen (vgl. Fuchs 1994, Petermann 2001,<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> 2004, S. 327). Der wohl größte<br />
Vorteil ist die Zeit- und Kostenersparnis, die<br />
sich aus den zentral geführten Terminabsprachen<br />
und Interviews ergibt. Weil im Telefoninterview<br />
durch die zentral an einem Ort<br />
durchgeführte Befragung keine Reisekosten<br />
für Interviewer anfallen, müssen im Vergleich<br />
von Telefon- und Face-to-Face-Interview<br />
lediglich Telefongebühren gegen Reisekosten<br />
für Interviewer abgewogen werden. Gerade für<br />
räumlich ausgedehnte Befragungen<br />
können Fahrtkosten und Interviewerentlohnung<br />
für diese „Rüstzeit“<br />
Seite 57<br />
enorm hoch sein; Telefongebühren<br />
stellen dann nur noch einen Bruchteil<br />
dieser Reisekosten dar. Das Teilprojekt<br />
A4 untersucht ehemalige und gegenwärtige<br />
Kommunalpolitiker aus Nordrhein-Westfalen
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
und Sachsen-Anhalt. Gerade ehemalige Eliten<br />
müssen nicht zwangsläufig am Ort ihrer<br />
alten Tätigkeit wohnen - entsprechend hoch<br />
und schwierig kalkulierbar sind die für diese<br />
Gruppe zu veranschlagenden Reisekosten.<br />
Zwar liegen in der Regel die Telefongebühren<br />
unter den Fahrtkosten der Faceto-Face-<br />
Interviews. Die Entscheidung fällt<br />
jedoch deutlicher zugunsten der Telefoninterviews<br />
aus, wenn man die Kosten für das<br />
„Aufsuchen“ der Interviewpartner einbezieht<br />
(Kreiselmaier/Porst 1989). Mittlerweile<br />
machen die Kosten für Terminabsprachen,<br />
Terminverwaltung und Koordination von<br />
Interviewern und Befragungsterminen einen<br />
Großteil der Feldkosten aus. Dadurch das<br />
Kontakt- und Interviewphasen über das gleiche,<br />
preiswertere Kommunikationsmedium<br />
ablaufen, werden enorme Einsparpotenziale<br />
genutzt. Gerade vielbeschäftigte Elitenmitglieder,<br />
wie sie vom Teilprojekt A4 zu befragen<br />
waren, sind trotz hoher Teilnahmebereitschaft<br />
schwer zur Mitarbeit am Interview zu bewegen.<br />
Oftmals ist die Kontaktanbahnung umständlich,<br />
weil Sekretärinnen oder Referenten<br />
den direkten Zugang nur zögerlich gewähren,<br />
weil Kommunalpolitiker keine Büroarbeiter<br />
sind und weil Terminvereinbarungen auch mal<br />
platzen können. In unserer Untersuchung lag<br />
die mittlere Anzahl der Kontaktversuche bei<br />
20. Damit haben wir es noch mit vergleichsweise<br />
kooperativen Eliten zu<br />
tun, wie die Ergebnisse von Jahr und<br />
Seite 58 Martens in diesem Heft belegen. Ein<br />
weiterer Vorteil einer computergestützten<br />
Telefonbefragung ergibt sich<br />
für spontane Interviews. In unserer Befragung<br />
bestand immer die Möglichkeit, bereits in der<br />
Kontaktphase spontan, d.h. ohne Terminvereinbarung,<br />
ein Interview durchzuführen. Diese<br />
Möglichkeit wurde in der Elitenbefragung<br />
des A4-Projekts rege genutzt, denn allein 23<br />
% der Interviews wurden beim telefonischen<br />
Erstkontakt geführt. Für Face-to-Face-Interviews<br />
mit telefonischer Terminvereinbarung<br />
ergäbe sich in solchen Fällen ein logistisches<br />
Problem.<br />
Neben den Kosten bringt das Telefoninterview<br />
durch die Verknüpfung von Kontakt- und<br />
Interviewphase enorme Zeitsparpotenziale,<br />
wenn es sich um räumlich ausgedehnte Untersuchungsgebiete<br />
handelt. Dies kann anhand<br />
der Feldzeiten der Laumann/Pappi-Studie<br />
(1976) und der Däumer-Studie (1997) verdeutlicht<br />
werden. Laumann und Pappi hatten<br />
eine westdeutsche Kleinstadt als Untersuchungsgebiet<br />
ausgewählt und befragten 46<br />
Elitenmitglieder dieser Gemeinde innerhalb<br />
eines Monats. Däumer wählte einen Kreis als<br />
Untersuchungsgebiet und befragte eine nur<br />
unbedeutend größere Anzahl Bürgermeister<br />
(57). Zwar konstatiert Däumer eine hohe<br />
Teilnahmebereitschaft, allerdings war für<br />
Terminabsprachen und aufgrund der permanenten<br />
Zeitknappheit der Bürgermeister eine<br />
lange Feldphase von beinahe vier Monaten zu<br />
veranschlagen. Neben der Zeitersparnis in der<br />
Kontaktphase gibt es auch eine Zeitersparnis in<br />
der Interviewphase. Im computerunterstützten<br />
Telefoninterview können pro Zeiteinheit mehr<br />
Fragen gestellt werden als im Face-to-Face-<br />
Interview (Fuchs 1994). Bisher wurde diesem<br />
Argument entgegengehalten, dass telefonische<br />
Befragungen nicht länger als 30 Minuten dauern<br />
sollten. Faktisch können Telefoninterviews<br />
jedoch wesentlich länger dauern. Die durchschnittliche<br />
Interviewdauer in der Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 betrug mehr als eine
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Stunde (63 Minuten) mit einem Maximum<br />
von über zwei Stunden (127 Minuten). Damit<br />
beläuft sich die Befragung auf insgesamt 147<br />
Interviewstunden. Bei einem Zeitverhältnis<br />
zwischen Telefoninterview und Face-to-Face-<br />
Interview von 1 zu 1,5 ergibt sich eine Ersparnis<br />
von etwa 74 Interviewstunden. Somit<br />
ist deutlich geworden, dass computergestützte<br />
Telefoninterviews mit integrierter telefonischer<br />
Kontaktierung und Terminvereinbarung,<br />
deutliche Zeit- und Kostenvorteile gegenüber<br />
Face-to-Face-Interviews haben.<br />
In älteren Methodenvergleichen wurde ein<br />
zweiter Vorteil für telefonische Befragungen<br />
in der besseren Ausschöpfung gesehen. Mittlerweile<br />
belegen jedoch vergleichende Meta-<br />
Analysen, dass hinsichtlich der Ausschöpfung<br />
keine Unterschiede zwischen Face-to-Faceund<br />
Telefoninterviews bestehen (Kreiselmaier/Porst<br />
1989). Für die hier untersuchten<br />
Kommunalpolitiker scheint die Ausschöpfung<br />
ohnehin kein relevantes Problem zu sein. Mit<br />
81 % Ausschöpfung ist die Elitenbefragung<br />
des A4-Projekts mit Abstand die erfolgreichste<br />
Telefonbefragung im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> 2004).<br />
Dies scheint aber der besonderen Befragungsklientel<br />
kommunaler Eliten geschuldet zu sein.<br />
Diese scheinen generell hoch motiviert an Befragungen<br />
teilzunehmen. So haben Laumann<br />
und Pappi (1976, S. 273) 46 Interviews mit<br />
einflussreichen Personen geführt und damit<br />
eine Ausschöpfung von 90 % erzielt. Däumer<br />
(1997) berichtet gar eine Ausschöpfungsquote<br />
von 100 % seiner Face-to-Face-Befragung<br />
unter Bürgermeistern des Saalkreises. Im Referenzbundesland<br />
Nordrhein-Westfalen gab es<br />
in der jüngeren Vergangenheit zwei schriftliche<br />
Befragungen unter (hauptamtlichen) Bürgermeistern,<br />
wobei Schulenburg (1999) eine<br />
Ausschöpfungsquote von 77 % (57 Befragte)<br />
und Nienaber (2004) eine Rücklaufquote von<br />
66 % (260 Befragte) erzielten. Vergleicht man<br />
die Ausschöpfungen von Befragungen kommunaler<br />
Eliten, ergibt sich ein Vorteil für die<br />
Face-to-Face-Interviews. Gleichzeitig zeigt<br />
sich, dass Telefoninterviews den schriftlichen<br />
Befragungen überlegen sind.<br />
Ein dritter Vorteil ergibt sich insbesondere<br />
durch die Verknüpfung von Telefon und<br />
Computerunterstützung für die Organisation<br />
und den Ablauf von Kontakt- und Interviewphasen<br />
insgesamt. Die Computerunterstützung<br />
erlaubt eine automatische Steuerung der<br />
Terminverwaltung, des Interviewereinsatzes<br />
und eine automatische Filterführung. Dadurch<br />
wird der Interviewer von Nebenaufgaben entlastet<br />
und kann sich voll auf Kontaktierung<br />
und Interviewführung konzentrieren. Dieser<br />
Vorteil ergibt sich allerdings erst, wenn in<br />
der Kontaktphase ein hohes Aufkommen an<br />
Nachrecherche, Rücksprachen, unverbindlichen<br />
und verbindlichen Terminen usw. anfällt.<br />
Bei einer verhältnismäßig kleinen (Brutto-)<br />
Stichprobe von 186 Personen ist das scheinbar<br />
kein Problem. Zumal die Eliten bedingt durch<br />
ihr Tätigkeitsfeld generell häufig ein Telefon<br />
als Kommunikationsmittel nutzen. Dennoch<br />
ist diese Spezialpopulation schwer erreichbar.<br />
Denn gerade weil das Telefon ein häufiges<br />
Kommunikationsmittel für Eliten ist, werden<br />
eingehende Anrufe nach Wichtigkeit<br />
„sortiert“. Interviewgesuche, wenn sie<br />
nicht gerade von namhaften Journa-<br />
Seite 59<br />
listen kommen, dürften allgemein<br />
niedrige Rangplätze erhalten. Darüber<br />
hinaus sind Elitenmitglieder wegen zahlreicher<br />
Verpflichtungen außerhalb des Büros<br />
oftmals nicht telefonisch anzutreffen bzw.
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
interviewbar. So waren in der Elitenbefragung<br />
mit 181 zu kontaktierenden Personen nicht<br />
weniger als 882 Telefonkontakte notwendig,<br />
um letztendlich 138 Interviews zu führen.<br />
Das sind durchschnittlich 6,4 Kontakte pro<br />
erfolgreichem Interview. Der Interviewereinsatz<br />
war ebenfalls beträchtlich, so haben 18<br />
Personen Kontakte geknüpft und Interviews<br />
geführt. Ein Interviewer hat im Durchschnitt<br />
bei 49 Kontaktversuchen nicht mehr als 8<br />
Interviews geführt. Mit anderen Worten, bei<br />
Haustürkontakten und bei geringerem Personaleinsatz,<br />
wie in Face-to-Face-Interviews<br />
üblich, hätte ein deutlich größerer Zeitrahmen<br />
als die benötigten 3,5 Monate veranschlagt<br />
werden müssen.<br />
Als Zwischenresümee lässt sich konstatieren,<br />
dass Telefoninterviews für die Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 die bessere<br />
Erhebungsalternative gegenüber dem Faceto-Face-Interview<br />
ist. Deutliche Kosten- und<br />
Zeitersparnisse sind durch die CATI-Methode<br />
eingetreten. Die Interviewer können sich<br />
auf ihre Hauptaufgabe - den Frage-Antwort-<br />
Dialog - konzentrieren. Doch ein, für unsere<br />
Elitenbefragung wesentlicher Punkt ist bis<br />
jetzt noch gar nicht angesprochen worden,<br />
nämlich die Möglichkeit der Personalisierung<br />
des Interviews.<br />
Personalisierung in Netzwerkerhebungen<br />
Seite 60<br />
Personalisierung bedeutet, dass<br />
nicht allen Befragten die gleichen<br />
Fragen gestellt werden, sondern dass aufgrund<br />
bekannter Informationen über die befragte<br />
Person der Befragungsablauf gesteuert wird,<br />
indem zum Beispiel bestimmte Fragen zu<br />
stellen sind oder gerade nicht gestellt werden.<br />
Zunächst ist unter Personalisierung im CATI<br />
die automatische Filterführung zu verstehen.<br />
Automatische Filterführung bedeutet eine enorme<br />
Entlastung der Interviewer von Entscheidungen<br />
hinsichtlich der Fragenreihenfolge.<br />
Beispielsweise wird zunächst der Familienstand<br />
der befragten Person erhoben. Nichtverheiratete<br />
Personen werden herausgefiltert und können<br />
nun befragt werden, ob sie einen Lebenspartner<br />
haben. Im computergestützten Interview wird<br />
die Entscheidung, welche Frage als nächste zu<br />
beantworten ist, vom programmierten Fragebogen<br />
übernommen, d.h. der Interviewer trifft<br />
die Entscheidung nicht selbst, sondern muss<br />
nur noch die jeweilige Frage vorlesen. Entsprechende<br />
Intervieweranweisungen sind nicht<br />
notwendig, wodurch der Interviewer entlastet<br />
wird.<br />
Nun traue ich den meisten Interviewern<br />
zu, die richtige Filterentscheidung im Familienstand-Lebenspartner-Beispiel<br />
zu fällen. Personalisierung<br />
bedeutet in der Tat mehr als nur<br />
simple Filterführung. Mit bekannten Informationen<br />
sind nicht nur während der Befragung<br />
generierte Angaben gemeint, sondern auch<br />
relevante, vor dem Interview bekannte Angaben,<br />
die quasi als Input in die Befragung genommen<br />
werden. Für die Elitenbefragung des<br />
Teilprojekts A4 wurden im Vorfeld zahlreiche,<br />
öffentlich zugängliche Informationen über die<br />
Kommunalpolitiker gesammelt. Dies war aufgrund<br />
der Stichprobenziehung notwendig. Da<br />
wir den Positionsansatz gewählt haben, wurden<br />
Daten für alle sechs Untersuchungsgebiete zu<br />
den Elitenpositionen erhoben, um anschließend<br />
die Personen zu identifizieren, die diese<br />
Positionen besetzen bzw. nach 1990 besetzten.
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Neben den Namen und Telefonnummern der<br />
Kommunalpolitiker, die zur Identifizierung<br />
und Ingangsetzung der Telefoninterviews als<br />
Input in das CATI-System eingingen, wurde<br />
das CATI-System zusätzlich mit Informationen<br />
zur bekleideten Elitenposition (politische<br />
oder administrative Elite) sowie der Spezifikation<br />
dieser Positionen (Partei- bzw. Dezernatszugehörigkeit)<br />
versorgt. Diese Informationen<br />
gaben der Befragung eine persönlichere Note:<br />
Die Befragten wurden direkt mit Namen<br />
angesprochen, in verschiedenen Fragen floss<br />
Filterführungen erfolgen zunächst mit der<br />
Angabe zum Positionsstatus (ehemaliges oder<br />
gegenwärtiges Elitenmitglied). Beispielsweise<br />
gibt es für ehemalige Elitenmitglieder einen<br />
Fragenblock zum Ausscheiden aus der Elitenposition<br />
und zum politischen und beruflichen<br />
Werdegang nach dem Ausscheiden. Für<br />
gegenwärtige, nicht aber für ehemalige Elitenmitglieder<br />
gibt es Fragen zur Zufriedenheit<br />
mit der lokalen Politik.<br />
Die eigentliche Personalisierung erfolgt<br />
nun in der Verknüpfung der Informationen<br />
zum Untersuchungsgebiet und den Namen<br />
der 181 Elitenmitglieder. Damit lassen sich die<br />
Elitennetzwerke dieser Untersuchungsgebiete<br />
abbilden (Abbildung 1).<br />
Ost<br />
West<br />
Großstadt 43 42<br />
Mittelstadt 33 14<br />
Landkreis 26 23<br />
Abbildung 1 - Anzahl der Eliten (= Netzwerkgröße) in<br />
den sechs Untersuchungsgebieten<br />
die genaue Dienstbezeichnung ein und signalisierte<br />
dem Befragten, dass der Interviewer<br />
Vorkenntnisse über ihn hat, dass ein erhöhtes<br />
Interesse an seiner Person besteht und er kein<br />
x-beliebiger Interviewpartner unter Tausenden<br />
ist. Dies trägt zu einer vertrauensvolleren und<br />
für den Befragten angenehmeren Befragungsatmosphäre<br />
bei. Diese Informationen hatten<br />
allerdings keine Auswirkungen auf den Befragungsablauf<br />
in dem Sinne, dass eine automatische<br />
Filterführung daran gebunden ist.<br />
Zu beachten ist, dass sich für jeden Befragten<br />
eine einmalige Informationsmenge<br />
ergibt, weil das Netzwerk natürlich immer<br />
aus dem Blickwinkel des Befragten erhoben<br />
wird. Insgesamt werden bis zu 50 verschiedene<br />
Informationen pro Befragten im Interview<br />
verwendet. Ich glaube, diese Informationen<br />
einzustudieren dauert länger als das eigentliche<br />
Interview. Ob der Interviewer im entscheidenden<br />
Moment die richtigen Informationen<br />
für die etwa 300 Filterentscheidungen unseres<br />
Fragebogens heranziehen kann, ist<br />
damit noch gar nicht gesagt. Diese<br />
Fähigkeit scheint mir aber doch eine<br />
Seite 61<br />
Meisterleistung zu sein, so dass man<br />
mit Fug und Recht behaupten kann,<br />
dass die Computerunterstützung im Hinblick<br />
auf die Personalisierung einen bedeutenden<br />
Beitrag zur Interviewerentlastung leistet.
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Personalisierung ist aber auch mehr als<br />
nur Filterführung - es bedeutet auch Fragengenerierung.<br />
Im Netzwerkprojekt Halle (vgl.<br />
Petermann 2001, 2002), einer Untersuchung<br />
zu sozialer Unterstützung durch egozentrierte<br />
Netzwerke, wurden die Netzwerke durch<br />
Namensgeneratoren erhoben. Anders als die<br />
Erhebung der Netzwerke in der Elitenbefragung<br />
war der Umfang der Netzwerke vor dem<br />
Interview nicht bekannt. Erst im Interview<br />
wurden die Namen der Netzwerkpersonen<br />
erhoben, wobei die Ego-Netzwerke bis zu<br />
33 Personen umfassen. Zu diesen Netzwerkpersonen<br />
waren zusätzlich etwa 40 Angaben,<br />
beispielsweise der Verwandtschaftsgrad oder<br />
die Stärke der Beziehung, zu erheben. Durch<br />
die Personalisierung wurden also bis zu 1.300<br />
Informationen generiert. Ohne Auswahl<br />
besonders fähiger Interviewer, ohne umfangreiche<br />
Interviewschulungen und vor allem<br />
ohne Computerunterstützung sind solche<br />
Datenerhebungen in einem zeit- und kostengünstigen<br />
Rahmen nur schwerlich möglich.<br />
Personalisierung bedeutet gerade im<br />
Zusammenhang mit Netzwerkbefragungen<br />
auch eine realitätsnähere Datenerhebung<br />
durch offene Fragen. Gewöhnlich werden<br />
aufgrund der Komplexität der Netzwerkdaten<br />
Namensgeneratoren durch eine Höchstzahl<br />
und gelegentlich durch eine Mindestzahl<br />
begrenzt. Im General Social Survey<br />
1985 wurde erstmals ein Namensgenerator<br />
eingesetzt, der nach Personen<br />
Seite 62 fragt, mit denen man wichtige Dinge<br />
besprochen hat (Marsden 1987).<br />
Zwar konnten beliebig viele Personen<br />
genannt werden, nachfolgende Namensinterpretatoren<br />
(Alter, Geschlecht, Bildung usw.)<br />
wurden aber nur für die ersten fünf Personen<br />
erfragt. Eingeschränkter geht der ALLBUS<br />
2000 vor, denn in dieser Bevölkerungsumfrage<br />
konnten nicht mehr als drei Personen genannt<br />
werden, mit denen man am häufigsten privat<br />
zusammen ist (ALLBUS 2000 CAPI-PAPI).<br />
Doch nicht nur in allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
sondern auch in Elitenbefragungen<br />
wird dieser Weg gewählt. Ein Beispiel ist die<br />
Elitenstudie von Laumann und Pappi (1976).<br />
Zunächst können (beinahe) beliebig viele<br />
Personen einer Liste zu verschiedenen Namensgeneratoren<br />
genannt werden, schließlich<br />
werden davon jeweils drei mit dem intensivsten<br />
Kontakt ausgewählt. Solche zahlenmäßigen<br />
Begrenzungen der Netzwerke erfolgen zumeist<br />
aus forschungsökonomischen und datenanalytischen<br />
Gründen. Bayer (2004) betont jedoch<br />
die Bedeutung offener Fragen für die Operationalisierung<br />
theoretischer Konzepte im Telefoninterview.<br />
Hierdurch wird eine realitätsnähere<br />
Erhebung gewährleistet. Für Netzwerkerhebungen<br />
bedeutet das, den Interviewten keine<br />
zahlenmäßige Begrenzung für die Antworten<br />
auf Netzwerkgeneratoren vorzugeben. Diese<br />
Forderung wurde in der Elitenbefragung des<br />
Teilprojekts A4 umgesetzt. Netzwerkfragen<br />
wurden ohne vorgegebene Höchstzahl an zu<br />
nennenden Personen gestellt, d.h. es konnte<br />
minimal niemand und maximal alle Personen<br />
des jeweiligen Netzwerks ausgewählt werden.<br />
Eine weitere Anmerkung, die gleichzeitig<br />
den Bogen zum Vergleich von Netzwerkerhebungen<br />
in Telefon- und Face-to-Face-Interviews<br />
spannt, betrifft die Personalisierung<br />
durch Erfragung persönlicher Angaben der<br />
Netzwerkbeziehungen. Diese Angaben und<br />
hier insbesondere die Nennung von Namen<br />
nahe stehender Personen sind heikle Fragen,<br />
die viele Befragte dazu veranlassen kann, Antworten<br />
auf diese Fragen zu verweigern oder
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
gar das Interview abzubrechen (vgl. Petermann<br />
2000). Werden Antworten auf heikle oder<br />
sensitive Fragen gegeben, wird eine eher geringe<br />
Zuverlässigkeit der Antworten erwartet.<br />
Verzerrte Antworten, Antwortverweigerungen<br />
und Interviewabbrüche sind Versuche des<br />
Interviewten, sich dem Diktum des Interviewablaufs<br />
und dem normativen Einfluss des Interviewers<br />
zu entziehen. Ein solches Blockadebzw.<br />
Verweigerungshandeln zeigen Interviewte<br />
eher, wenn die Kosten des normabweichenden<br />
Verhaltens geringer sind. Eine solche Low-<br />
Cost-Situation trifft eher für das anonymere<br />
Telefoninterview zu. Entsprechend größer sind<br />
diese Kosten, wenn man dem Interviewer „ins<br />
Gesicht“ sagen muss, dass man die Antwort<br />
oder das weitere Interview verweigert.<br />
Leider liegen keine Vergleichsdaten von<br />
den oben erwähnten Face-to-Face-Interviews<br />
kommunaler Eliten vor. Für die Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 lassen sich aber<br />
folgende Ergebnisse anführen. Interviewabbrüche<br />
waren mit einem Anteil von 1 % an<br />
der Nettostichprobe äußerst gering, wobei kein<br />
Abbruch nach einer heiklen Netzwerkfrage<br />
erfolgte. Die Antwortverweigerungen bei den<br />
Netzwerkabfragen lagen im Schnitt bei 1 %<br />
mit einem einmaligen Maximum von 7 %.<br />
Antwortverzerrungen konnten nicht geprüft<br />
werden. Abbrüche und Antwortverweigerungen<br />
aufgrund heikler Netzwerkfragen sind<br />
für die Elitenbefragung demnach praktisch<br />
nicht zu konstatieren. Ähnliche und dennoch<br />
problematischere Ergebnisse wurden im bereits<br />
erwähnten Netzwerkprojekt Halle erzielt.<br />
Der Anteil vorzeitiger Abbrüche durch die<br />
Befragten an der Nettostichprobe lag mit 3 %<br />
geringfügig höher. 1% davon erfolgte allerdings<br />
während der Erhebung der Namensgeneratoren.<br />
Antwortverweigerungen kamen dagegen<br />
praktisch überhaupt nicht vor. Über die<br />
17 Namensgeneratoren schwankt der Anteil<br />
fehlender Werte (Weiß-nicht-Antworten und<br />
Antwortverweigerungen) lediglich zwischen 0<br />
und 1 %. Zwar sind die Probleme der Netzwerkfragen<br />
äußerst gering und unterscheiden<br />
sich nicht von anderen Fragen, aber es zeigt<br />
sich, dass Eliten eher die Antworten verweigern,<br />
während die Bevölkerung eher das<br />
Interview gänzlich abbricht. Dieser Befund<br />
könnte mit größerer Kompromissbereitschaft<br />
der Eliten interpretiert werden.<br />
Für die Befragung des Netzwerkprojekts<br />
Halle liegt darüber hinaus ein Indikator für<br />
Antwortverzerrungen vor. Im unmittelbaren<br />
Anschluss an die Interviews wurden die Interviewer<br />
gebeten, Fragen zum Interviewverlauf<br />
zu beantworten. Bezüglich der Namensgeneratoren<br />
wurde gefragt, ob zu viel oder zu wenig<br />
Namen genannt wurden. Zunächst deuten die<br />
Ergebnisse darauf hin, dass in der Mehrheit<br />
der Interviews (81 %) keine Verzerrungen<br />
vorliegen. In nur 1 % der Interviews wurden<br />
nach Interviewerangaben zu viele Namen<br />
genannt. Gleichzeitig geben die Interviewer<br />
eine massive Zurückhaltung bei der Namensnennung<br />
an. In 18 % der geführten Interviews<br />
schätzten die Interviewer eine zögerliche<br />
Namensnennung, vorrangig bei Fragen zur<br />
Geselligkeitsunterstützung, wie dem gemeinsamen<br />
Verbringen der Freizeit,<br />
gemeinsamen Hobbygesprächen oder<br />
dem Einladen von Geburtstagsgäs-<br />
Seite 63<br />
ten. Auch wenn Interviewerangaben<br />
nicht die zuverlässigsten und validesten<br />
Indikatoren für Antwortverzerrungen bei<br />
Netzwerkfragen darstellen, weisen doch die<br />
Ergebnisse in die erwartete Richtung.
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Ein möglicher Einwand gegen diese Formen<br />
der Personalisierung liegt im Verlust standardisierter<br />
Angaben: Befragte können nicht<br />
ohne weiteres miteinander verglichen werden.<br />
Doch hierfür gibt es spezielle Analyseverfahren<br />
(Burt 1980, Petermann 2005). So können<br />
die Netzwerkdaten der Elitenbefragung mittels<br />
Blockmodellanalysen verdichtet werden.<br />
Die Ergebnisse dieser Analysen können dann<br />
als Input herkömmlicher Datenanalyseverfahren<br />
dienen. Angaben aus egozentrierten<br />
Netzwerken können in Mehrebenenanalysen<br />
einfließen, welche die Gruppierung von<br />
Netzwerkbeziehungen zu Ego-Akteuren<br />
berücksichtigen. Die Datenauswertung stellt<br />
heute kein Hindernis für die personalisierte<br />
Erfassung von Netzwerken dar.<br />
Abschließend kann festgehalten werden,<br />
dass in Bezug auf Netzwerkerhebungen sowohl<br />
in Eliten- als auch in Bevölkerungsbefragungen<br />
computerunterstützte Telefoninterviews zum<br />
Einsatz kommen können. Vorteilhaft ist der<br />
Einsatz von Telefon- gegenüber Face-to-Face-<br />
Interviews für Netzwerkerhebungen aber nur<br />
dann, wenn die Erhebungseinheiten räumlich<br />
weit verstreut sind und/oder wenn der Kontaktaufwand<br />
vor dem eigentlichen Interview<br />
hoch ist (wie im Falle von Elitenbefragungen<br />
üblich). Dagegen werden<br />
mit Telefoninterviews keine besseren<br />
Seite 64 Ausschöpfungsquoten erreicht. Die<br />
Computerunterstützung erlaubt die<br />
für Netzwerkerhebungen essentielle<br />
Personalisierung der Fragebögen. Personalisierung<br />
ist eine quantitative und qualitative<br />
Weiterentwicklung herkömmlicher Filterfragen<br />
und Filterführungen. Maßgeschneiderte<br />
Fragebögen, die eine große Zahl persönlicher<br />
Informationen als Befragungsinput verarbeiten<br />
oder sogar erst im Interview erzeugen können,<br />
werden dadurch möglich. Moderne Verfahren<br />
erlauben sinnvolle Verknüpfungen dieser idiosynkratischen<br />
Informationen in quantitativen<br />
Datenanalysen. Soziale Netzwerkdaten können<br />
damit valider als bisher erhoben werden.<br />
Allerdings erlaubt die Offenheit der Namensgeneratoren<br />
zugleich eine Antwortverzerrung<br />
„nach unten“.<br />
Fazit
Netzwerkerhebungen<br />
Einleitung<br />
Literatur<br />
ALLBUS 2000 CAPI - PAPI: Codebuch ZA-Nr. 3450.<br />
Bayer, Michael (2004): Ein Versuch, das telefonische Interview<br />
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Soziale Struktur und wissenschaftliche Praxis im Wandel. Festschrift<br />
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Burt, Ronald S. (1980): Models of Network Structure, Annual<br />
Review of Sociology 6, S. 79-141<br />
Däumer, Roland (1997): Vom demokratischen Zentralismus<br />
zur Selbstverwaltung: Verwaltungen und Vertretungen kleiner<br />
kreisangehöriger Gemeinden Ostdeutschlands im Transformationsprozeß<br />
(Raum Halle: Saalkreis). Hamburg: Kovac<br />
Fuchs, Marek (1994): Umfrageforschung mit Telefon und<br />
Computer. Einführung in die computergestützte telefonische<br />
Befragung. Weinheim: Beltz<br />
Kreiselmaier, Jutta / Porst, Rolf (1989): Methodische Probleme<br />
bei der Durchführung telefonischer Befragungen. Stichprobenziehung<br />
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Petermann, Sören (2001): Soziale Vernetzung städtischer und<br />
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<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg<br />
Petermann, Sören (2002): Persönliche Netzwerke in Stadt und<br />
Land: Siedlungsstruktur und soziale Unterstützungsnetzwerke<br />
im Raum Halle/Saale. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Petermann, Sören (2005): Einsatzmöglichkeiten der Netzwerkanalyse<br />
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Erscheint In: Aderhold, Jens / Meyer, Matthias / Wetzel,<br />
Ralf (Hrsg.): Modernes Netzwerkmanagement. Anforderungen<br />
- Methoden - Anwendungsfelder. Wiesbaden: Gabler, S. 343-<br />
365<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, 2004: Arbeits- und Ergebnisbericht 2001 - 2004.<br />
<strong>Jena</strong>/Halle: Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
Schulenburg, Klaus (1999): Direktwahl und kommunalpolitische<br />
Führung. Der Übergang zur neuen Gemeindeordnung in<br />
Nordrhein-Westfalen. Basel: Birkhäuser<br />
Laumann, Edward O. / Pappi, Franz Urban (1976): Networks<br />
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Systems. New York: Academic Press<br />
Nienaber, Georg (2004): Direkt gewählte Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen:<br />
Positionierung zwischen Bürgern, Politik und<br />
Verwaltung im Fokus von Effektivierung und Demokratisierung<br />
der lokalen Ebene. Marburg: Tectum<br />
Marsden, Peter V. (1987): Core Discussion Networks of Americans,<br />
American Sociological Review 52, S. 122-131<br />
Petermann, Sören (2000): Die Erhebung sozialer Netzwerke im<br />
computerunterstützten Telefoninterview. Eine Methodendiskussion<br />
zum Forschungsprojekt Soziale Vernetzung städtischer und<br />
ländlicher Bevölkerungen am Beispiel der Stadt Halle/Saale.<br />
Halle: Martin- Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg, Institut<br />
für Soziologie<br />
Seite 65
Telefonische<br />
Experteninterviews<br />
mit Managern -<br />
Nutzen,<br />
Anforderungen,<br />
Praxis<br />
Seite 66
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
6<br />
Telefonische Experteninterviews<br />
mit Managern – Nutzen,<br />
Anforderungen, Praxis<br />
CATI im Einsatz der<br />
industriesoziologischen<br />
Forschung zu Personalwirtschaft<br />
und regionalen Arbeitsmärkten<br />
Thomas Engel, Michael Behr<br />
In der Werkzeugkiste der Methoden, derer<br />
sich Sozialforscher bei der Konzeption ihrer<br />
Forschungsdesigns bedienen, spielt das<br />
Experteninterview oder die Expertenbefragung<br />
als Instrument für einen qualitativen Ansatz<br />
eine Schlüsselrolle. Eine Expertenbefragung<br />
lässt sich definieren als „eine ermittelnde<br />
Befragung, bei der sich die Befragungsperson<br />
durch einschlägiges Wissen auszeichnet und<br />
Zielobjekt der Informationsbeschaffung ist“<br />
(Frackmann 1980, S. 34). Im Gegensatz zu<br />
anderen Interviewformen z.B. des narrativen,<br />
des fokussierten, des biographischen oder des<br />
Leitfadeninterviews – orientiert sich dieses<br />
Instrument von vornherein auf eine Zielgruppe<br />
und richtet seine Vorgehensweise an deren<br />
„vorgängigen Regeln der alltagsweltlichen<br />
Kommunikation“ (Schütze u.a. 1981, S. 434)<br />
aus. 1 Lange Zeit stand in der qualitativen Sozialforschung<br />
das Paradigma des narrativen<br />
Interviews im Vordergrund, in dem sich der<br />
Interviewer neutral, auf keinen Fall intervenierend,<br />
zu verhalten hat. Rainer Trinczek<br />
(1995) arbeitet besonders pointiert heraus,<br />
dass das Experteninterview dagegen in der<br />
Alltagswelt Betrieb auf eine argumentativ-diskursive<br />
Gesprächsführung setzen muss, weil<br />
die Gesprächspartner diese Kommunikationsstruktur<br />
kennen und diesen Stil von ihrem<br />
Gegenüber gleichermaßen erwarten. Diese<br />
völlig zu Recht formulierte Anforderung an<br />
das Experteninterview darf aber nicht zu der<br />
Schlussfolgerung führen, das Instrument sei<br />
kein geeignetes Verfahren zur systematischen<br />
Datengenerierung (vgl. Pfadenhauer 2002),<br />
wie wir am Beispiel des telefonischen<br />
Experteninterviews zeigen wollen.<br />
Seite 67<br />
Der vorliegende Text schlägt den<br />
Bogen von den kommunikativen<br />
Anforderungen, die herkömmliche Face-to-<br />
Face-Experteninterviews mit Managern sowie<br />
anderen betrieblichen Akteuren mit sich
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
bringen, zu den kommunikativ-technischen<br />
Möglichkeiten computergestützter Telefoninterviews<br />
(CATI). Es soll gezeigt werden,<br />
dass telefonische Experteninterviews mit<br />
Managern unter anspruchsvollen Voraussetzungen<br />
sehr gute Ergebnisse generieren, und<br />
unabhängig von rein forschungsökonomischen<br />
und budgettechnischen Erwägungen durchaus<br />
sowohl qualitativen als auch quantitativen Ansprüchen<br />
2 genügen können.<br />
Eine weitere Intention des Beitrags ist es,<br />
methodische Gestaltungsspielräume und Grenzen<br />
von computergestützten Telefoninterviews<br />
bei der Expertenbefragung zu diskutieren.<br />
Herausgearbeitet werden verschiedene Aspekte<br />
der Qualitätssicherung und Anforderungen,<br />
die sich im Laufe des Forschungsprozesses<br />
durch Einsatz dieses Instruments ergeben.<br />
Im folgenden wird die These vertreten, dass<br />
CATI besonders geeignet ist für die Befragung<br />
von Mitgliedern des betrieblichen Managements,<br />
von Vertretern aus dem Bildungs- und<br />
Forschungsbereich sowie des Leitungspersonals<br />
und von Fachexperten aus intermediären<br />
Organisationen, für die generell strukturierte<br />
Kommunikation eine große Rolle spielt und<br />
deren tägliche Arbeit stark durch das Kommunikationsmedium<br />
Telefon geprägt ist. Diese<br />
Zielgruppen erfordern einen professionellen<br />
Umgang in der Vor- und Nachbereitung und<br />
in der Durchführung von Interviews.<br />
Dieser Befragungstyp hat wenig ge-<br />
Seite 68 meinsam mit Haushaltsbefragungen<br />
in der Markt-, Produktimage- oder<br />
Wahlforschung, die typischerweise im<br />
Auftrag von größeren Firmen oder Instituten<br />
von professionellen Call-Centern abgewickelt<br />
werden.<br />
Die empirische Grundlage für unsere<br />
Überlegungen liefern Erfahrungen aus einer<br />
großen Zahl von Telefonbefragungen, die von<br />
den Autoren seit 1998 – ursprünglich angeregt<br />
durch Burkart Lutz während des von der<br />
VW-Stiftung geförderten Projekts „Bildung,<br />
Arbeitsmarkt und Beschäftigung in postsozialistischen<br />
Gesellschaften“ sowie im Rahmen<br />
zahlreicher Untersuchungen zum ostdeutschen<br />
Arbeitsmarkt, zur Wirtschaftsstruktur und zum<br />
Beschäftigungssystem durchgeführt wurden. 3<br />
Dazu gehören Studien zur Regionalentwicklung,<br />
Branchenpotential- sowie Personal- und<br />
Qualifikationsbedarfsanalysen. Dabei wurden<br />
Geschäftsführer aus Unternehmen in einigen<br />
Schwerpunktregionen Mitteldeutschlands wie<br />
der Region Dessau im Bereich Metall / Elektro,<br />
der Optikregion <strong>Jena</strong>, der Automobil- und<br />
Maschinenbauregion Südwestsachsen bereits<br />
mehrfach befragt. 4<br />
Die Reflexionen über das Instrument ,Telefonische<br />
Expertenbefragung’ beruhen auf<br />
intensiven Diskussionen über die Vor- und<br />
Nachteile sowie den laufenden Verbesserungen<br />
von CATI unmittelbar im konkreten Forschungskontext<br />
und dem Vergleich mit ähnlich<br />
gelagerten, aber auf Fallstudien setzenden<br />
Projekten. 5<br />
1. Wandel der Forschungsdesigns: Von<br />
Fallstudien mit Face-to-Face-Experteninterviews<br />
zu CATI-Befragungen mittlerer<br />
Fallzahlen<br />
Seit Ende der 90er Jahre erschließt sich die<br />
Industrie- und Wirtschaftssoziologie sowie<br />
die Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Managementforschung<br />
zunehmend die Möglichkeiten
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
der CATI-Befragung. Vergleicht man Forschungsdesigns<br />
aus Projektanträgen der 70er<br />
Jahre und Anfang der 80er Jahre mit denen der<br />
90er Jahre fällt auf, dass die Orientierung an<br />
größeren Fallzahlen stark zugenommen hat.<br />
Die Bewilligungschancen qualitativer Studien,<br />
die sich ausschließlich auf einige wenige<br />
vertiefende Einzelfallanalysen im Rahmen<br />
elaborierter Fallstudiendesigns stützen, sind<br />
geringer geworden. Demgegenüber werden<br />
mittlere Fallzahlengrößen gefordert, um der<br />
Gefahr einer kurzschlüssigen Generalisierung<br />
einzelner Fälle entgegenzuwirken. Gestützt<br />
wurde die Forderung nach größeren Fallzahlen<br />
durch die zunehmende Infragestellung des<br />
ursprünglichen modernisierungstheoretischen<br />
Ansatzes in der Industrie-, Arbeits- und<br />
Wirtschaftssoziologie, demzufolge Kapitalverwertungsimperative<br />
relativ bruchlos in betriebliche<br />
Arbeitsstrukturen und Personalpolitiken<br />
durchschlagen. Mit der Stärkung der Position,<br />
dass mikropolitische und akteurspezifische<br />
Konstellationen in hohem Maße an Bedeutung<br />
gewinnen und damit das Maß an Kontingenz<br />
und Konzeptionspluralismus steigt, steigt<br />
der Bedarf an Studien und Fallzahlen, die es<br />
möglich machen, das Spektrum an Varianz<br />
abzubilden.<br />
Darüber hinaus stieg das Interesse, das<br />
Maß an ‚qualitativer Repräsentanz’ von Aussagen<br />
aus Fallstudien auf die Grundgesamtheit<br />
insgesamt zu übertragen. Auch von Seiten der<br />
Auftraggeber und Projektfinanziers erhöht<br />
sich der Druck auf das wissenschaftliche<br />
Gütekriterium der Repräsentativität von Forschungsergebnissen.<br />
Aus diesem Anspruch<br />
heraus, entwickelten sich teilweise Mix-Designs,<br />
die sowohl vertiefende Einzelfallstudien<br />
– in denen die Fallspezifik besonders gründlich<br />
herausgearbeitet werden konnte – als auch<br />
Breitenerhebungen vorsahen. Der Industrieund<br />
Arbeitssoziologie kommt dabei zugute,<br />
dass sie methodische Grundsatzfragen ohnehin<br />
leichter zugunsten einer an Theoriebildung<br />
und der Gewinnung nachvollziehbarer<br />
empirischer Ergebnisse zurückzustellen bereit<br />
war. Der ‚methodologische Pragmatismus’ der<br />
Industrie- und Arbeitssoziologie befördert<br />
dabei Entwicklungen, die Forschungsdesigns<br />
mit breiter Instrumentennutzung vorsehen.<br />
Genau für diese Strategie der Ausweitung<br />
von Fallzahlen bei gleichzeitig hoher Skepsis<br />
gegenüber standardisierten schriftlichen Befragungen<br />
bot sich das qualifizierte Telefoninterview<br />
auf Basis der Methodik des systematisierenden<br />
Expertengespräches (im Gegensatz<br />
zum explorativen und theoriegenerierenden<br />
Expertengespräch – zur Unterscheidung vgl.<br />
Bogner/Menz 2002) an.<br />
In dem Maße wie sich die Einsatzmöglichkeiten<br />
des Instruments verbesserten<br />
und effizienter wurden, kann die Forschung<br />
diesem gestiegenem Anspruch nachkommen.<br />
Klassische Face-to-Face-Interviews werden<br />
weiterhin eine wichtige Rolle in der explorativen<br />
Phase und der Problemgenerierung<br />
behaupten. Methodisch belastbar werden<br />
dagegen die Aussagen, die sich auf größere<br />
Fallzahlen stützen, und unter kontrollierten<br />
Bedingungen entstanden sind.<br />
Sieht man einmal von der Mög-<br />
Seite 69<br />
lichkeit sehr ausführlicher und langer<br />
Vor-Ort-Interviews ab, in denen<br />
zwischen Interviewer und Interviewtem ein<br />
besonderes Vertrauensverhältnis entsteht,<br />
wobei die Gesprächspartner regelrecht eine
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Deutungs- und Interpretationsgemeinschaft<br />
bilden und sich gemeinsam in den „Entdeckungszusammenhang“<br />
wissenschaftlicher<br />
Forschungsprobleme verstricken lassen, lässt<br />
sich zwischen beiden Interviewformen kein<br />
wesentlicher Qualitätsverlust feststellen. Im<br />
Gegenteil, das Telefon bringt gegenüber dem<br />
direkten Gespräch vor Ort sogar gewisse Vorteile<br />
für die Interviewführung. 6<br />
2. Kommunikativ-technische Anforderungen<br />
an Experteninterviews<br />
2.1 Erwartungen der Probanden<br />
Ausgehend von einem Ansatz der Methodenwahl<br />
entsprechend der alltagsweltlichen<br />
Kommunikationserfahrungen unserer Probanden<br />
ist zunächst die Frage zu beantworten,<br />
welche (kommunikativen) Erwartungen haben<br />
Manager und andere betriebliche Akteure<br />
an eine Interviewsituation, vor die sie sich<br />
durch Sozialwissenschaftler gestellt sehen.<br />
Der betriebliche Alltag enthält eine Reihe<br />
von Gesprächsroutinen, die regelmäßig zu<br />
absolvieren sind (wöchentliche Arbeitsgruppenbesprechungen,<br />
Betriebsversammlungen,<br />
Vorstandssitzungen, Mitarbeitergespräche<br />
u.ä.), aber auch spontane oder kurzfristig<br />
anberaumte Problemlösungs- und Fachgespräche.<br />
Ergebnisse dieser Gespräche<br />
sind immer handlungsstrukturierende<br />
Termine, Zielverabredungen und<br />
Seite 70 eine Planung nächster Tätigkeitsschritte.<br />
Das Interview mit einer<br />
Forschungsgruppe bedeutet zunächst<br />
ein Ausnahmezustand im Tagesablauf, weil<br />
dieses Gespräch voraussichtlich keine Handlungsstrukturierung<br />
hervorbringen wird, man<br />
also ohne ein strategisches Ziel in das Treffen<br />
gehen kann. Zudem zieht es Zeit von der Erledigung<br />
des Alltagsgeschäftes ab, ohne dass dies<br />
als Investition interpretiert werden kann. 7<br />
Diese Prämissen zwingen den Interviewer<br />
dazu, den Gesprächspartner zunächst bei seinem<br />
(Spezial-)Thema „abzuholen“, um ihn für<br />
das Gespräch zu gewinnen. Aus den ersten Frage-Antwort-Sequenzen<br />
muss deutlich werden,<br />
warum das Gespräch mit dieser Person geführt<br />
wird, weil nur dieser Weg zu im Sinne des<br />
Studienzieles wertvollen Erkenntnissen führt.<br />
Dies leistet kein Ansatz besser als die Anerkennung<br />
des Gesprächspartners als Experten<br />
für den betrieblichen Alltag. Solche Themen<br />
beziehen sich in unseren Studien vor allem auf<br />
konkrete Handlungsfelder betrieblicher Politik<br />
– wie Fragen zur Qualifizierung, Personalrekrutierung,<br />
Innovationsroutinen, Produktionsabläufe,<br />
Arbeitszeitregelungen, Fragen zur<br />
Marktintegration, Kooperationsbeziehungen,<br />
Austausch mit Aus- und Weiterbildungsträgern<br />
u.a.. Durch die Ansprache dieser Themen<br />
weist der Interviewer sein Interesse aus, macht<br />
aber auch deutlich, dass er ebenso als Experte<br />
(zwar mit einem anderen, möglicherweise zur<br />
betrieblichen Realität komplementären oder<br />
widersprüchlichen Blickwinkel) angesehen<br />
werden kann 8 : „Je mehr man im Verlauf des<br />
Interviews in der Lage ist, immer wieder kompetente<br />
Einschätzungen, Gründe und Gegenargumente<br />
einfließen zu lassen, umso eher sind<br />
Manager bereit, nun ihrerseits ihr Wissen und<br />
ihre Positionen auf den Tisch zu legen – und<br />
ihre subjektiven Relevanzsstrukturen und<br />
Orientierungsmuster in nicht-strategischer<br />
Absicht offenzulegen.“ (Trinczek 1995, S. 65)<br />
Würde man dagegen mit der Bitte um eine<br />
längere narrative Sequenz starten, setzt man
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
den Gesprächspartner einer Situation aus, die<br />
er aus seiner Kommunikationserfahrung des<br />
betrieblichen Alltags nicht kennt und möglicherweise<br />
als Provokation bewertet. Die enge<br />
Zeitplanung von Vertretern des Managements<br />
hat zur Folge, dass bereits im Vorfeld der<br />
Terminvereinbarung „um jede Viertelstunde<br />
gefeilscht worden war“ (ebd., S. 63). Schon<br />
allein dieses hohe Zeitreglement muss auf der<br />
Forschungsseite zu einer angepassten Interviewstrategie<br />
führen, die Rücksicht auf den<br />
durch den Gesprächspartner vorgegebenen<br />
Zeitrahmen nimmt.<br />
Ist das Interesse erst einmal geweckt, können<br />
persönliche Expertengespräche schnell<br />
einige Stunden beanspruchen. 9 Dann erzielen<br />
sie auch den Effekt, dass sich Geschäftsführer<br />
ausgiebig der Reflexionsmöglichkeiten über ihr<br />
Handeln und ihre Strategien bedienen und sich<br />
am Ende für das Gespräch bei dem Interviewer<br />
bedanken.<br />
Rudi Schmidt spricht sogar davon 10 , dass<br />
Befragte aus der Gruppe des betrieblichen Managements<br />
immer auch einen Nutzeneffekt erwarten,<br />
weshalb eine annähernd symmetrische<br />
Kommunikation unabdingbar sei (vgl. Sahner<br />
2002, S. 33). Tatsächlich lässt sich diese Erwartungshaltung<br />
beobachten, wenn beispielsweise<br />
ein noch sehr junges Forscherteam gestandenen<br />
Geschäftsführern mittleren Alters gegenüber<br />
sitzt und diese ihre Enttäuschung, „warum<br />
denn der Professor nicht selbst hat kommen<br />
können“ nicht verhehlen. Der (vermeintlich)<br />
ausbleibende Nutzeneffekt resultiert in diesem<br />
Fall aus nicht erfüllten Statuserwartungen. D.h.,<br />
hier erfüllt das Expertengespräch auch eine<br />
Funktion als Gelegenheit zur Selbstdarstellung<br />
bzw. Selbstinszenierung des Managements, in<br />
der die Expertenrolle gegenüber dem Forscher<br />
besonders herausgestellt wird.<br />
Für telefonische Expertenbefragungen<br />
gehen wir von vergleichbaren Erwartungsmustern<br />
aus und nutzen diese, um unsere<br />
Befragungsdesigns zu konzipieren. Das<br />
Gespräch per Telefon gehört unbestritten zu<br />
den wichtigsten Kommunikationsroutinen<br />
im Manageralltag. Die Diskrepanz zwischen<br />
handlungsstrukturierender Funktion eines<br />
solchen Telefongespräches gegenüber dem<br />
Telefoninterview hat vergleichbare Konsequenzen<br />
der Gesprächsgestaltung zur Folge<br />
wie die Face-to-Face-Variante. Auch hier gilt<br />
es, das Expertenwissen unter Berücksichtigung<br />
der zeitlich engen Vorgaben abzufragen<br />
und möglichst einen Nutzeneffekt für den<br />
Gesprächspartner zu erzielen. Allerdings<br />
spielt der letztgenannte Aspekt keine so starke<br />
Rolle beim Telefoninterview: Der subjektiv<br />
empfundene zeitliche Gewinn bei der Entscheidung<br />
für das Telefongespräch (gegenüber<br />
dem Gespräch vor Ort) führt auch dazu, dass<br />
die Erwartung an den persönlichen unmittelbar-erfahrbaren<br />
Reflexionsnutzen deutlich<br />
abgesenkt wird. Das Telefon ist in dieser<br />
Wahrnehmung in erster Linie ein Koordinations-<br />
kein Gesprächsinstrument. 11<br />
Einen entscheidenden Vorteil gegenüber<br />
dem klassischen Face-to-Face-Gespräch kann<br />
das telefonische Experteninterview<br />
von vornherein für sich verbuchen:<br />
Die Statusasymmetrie zwischen<br />
Seite 71<br />
Interviewer und Interviewtem stellt<br />
einen geringeren Grund für Interviewscheitern<br />
dar, da sich der Kontakt und die<br />
damit einhergehende soziale Verortung nur<br />
über die Stimme erschließen. Das ermöglicht
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
den Einsatz von erfahrenen in Fragestellung<br />
und Instrument gut eingearbeiteten Studenten<br />
und jungen Wissenschaftlern, die im<br />
Gespräch vor Ort wesentlich größere Akzeptanzschwierigkeiten<br />
hätten. Damit geht eine<br />
größere Akzeptanz von Positionsdifferenzen<br />
auf Seiten der Manager einher. Dagegen ist<br />
im Gespräch vor Ort das jüngere Alter sofort<br />
ein Anhaltspunkt für die Zuschreibung von<br />
Wissens- und Erfahrungsdefiziten in Bezug<br />
auf die betriebliche Realität – gleichgültig ob<br />
gerechtfertigt oder nicht.<br />
2.2 Verlauf und Typen von Expertengesprächen<br />
Wie bereits angedeutet, können sich im<br />
Verlauf des klassischen Face-to-Face-Expertengespräches<br />
Erwartungshaltung und<br />
Offenheit des Interviewpartners verändern,<br />
vorausgesetzt grundlegende Bedingungen<br />
wie eine annähernde Statussymmetrie oder<br />
das Einlassen auf „Small-Talk“ in der Begrüßungsprozedur<br />
sind erfüllt. Aus einem Frage-<br />
Antwort-Spiel zu Beginn entwickelt sich im<br />
Idealfall ein diskursives Gespräch, in dem Argumente<br />
ausgetauscht werden. Auf dem Höhepunkt<br />
des Gesprächs zielt die Fragestellung<br />
auf ein anspruchsvolles Reflexionsniveau, wie<br />
z.B. durch die Einordnung des Forschungsgegenstands<br />
in die subjektive Relevanzstruktur<br />
oder die sachliche, zeitliche<br />
und soziale Reflexion von Strategien,<br />
Seite 72 Handlungsweisen, Wissensgrundlagen.<br />
Gewinnbringende Einsichten in<br />
diesem Stadium des Interviews resultieren<br />
aus dem Vermögen des Interviewers, die<br />
Position des Gegenübers (zumindest theoretisch)<br />
zu verstehen und diese Position dann<br />
kontrovers zu diskutieren. Zu diesem Zeitpunkt<br />
entwickelt sich das Expertengespräch<br />
tatsächlich zu einem Gespräch unter Experten.<br />
In einem Face-to-Face-Expertengespräch erreicht<br />
man dieses Stadium mitunter mehrmals<br />
– gleichsam Höhepunkte im Gesprächsverlauf,<br />
deren Häufigkeit bzw. Dauer von dem Geschick<br />
der interviewenden Forscher abhängen.<br />
Inhaltlicher Gegenstand zu diesem Zeitpunkt<br />
sind natürlich die Kernthemen und -thesen der<br />
Befragung. Schließlich das formale Ende, bei<br />
erfolgreichen Gesprächen häufig verbunden<br />
mit dem Angebot, jederzeit wieder nachfragen<br />
und mit einer Fortsetzung der Diskussion<br />
rechnen zu können.<br />
Dieser idealtypische Verlauf eines Face-to-<br />
Face-Expertengespräches birgt einige Fallstricke<br />
für telefonische Expertenbefragungen, die<br />
sich zum einen strukturell am Verlauf erklären<br />
lassen, aber auch Gründe in den unterschiedlichen<br />
Darstellungsbedürfnissen von Gesprächspartnern<br />
haben können. Grundlegend<br />
folgt das telefonische Expertengespräch dem<br />
gleichen Muster: (1) Frage-Antwort-Spiel zu<br />
Beginn, (2) Bearbeitung der Kernthesen unter<br />
Berücksichtigung diskursiver, argumentativstrukturierender<br />
Elemente und (3) Herbeiführung<br />
des Gesprächsendes mit der Vergewisserung<br />
des Interesses an weiterer Kontaktpflege<br />
und Austausch über die Ergebnisse.<br />
Die starke, durch CATI vorgegebene Strukturierung<br />
des Gesprächsverlaufes entspricht<br />
jedoch nicht dem mehr oder weniger stark<br />
strukturierenden Leitfaden des Face-to-Face-<br />
Experteninterviews (vgl. Kanwischer 2002, S.<br />
98). D.h., insbesondere die diskursive Ebene<br />
spielt in der Anlage des Telefoninterviews eine<br />
geringere Rolle. Das bedeutet auch eine Ein-
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
schränkung der explorativen Erkenntnisgewinnerwartung<br />
zugunsten stärker vergleichbarer<br />
und damit belastbarerer Daten.<br />
Ein weiterer Unterschied besteht in der<br />
Anzahl und Dauer der „Höhepunkte“ des<br />
Gespräches. Die Zahl der Kernthesen, die<br />
behandelt werden können, mag aufrechtzuerhalten<br />
sein. Die standardisierte oder die durch<br />
die automatisierte Filterführung für bestimmte<br />
Betriebs- und Expertentypen immer gleich<br />
modifizierte Abfrage von Daten, Erfahrungen,<br />
Handlungsweisen erlaubt jedoch keine sehr<br />
spezifisch angepasste Kommunikationsstrategie,<br />
um wie in leitfadengestützten Interviews<br />
Seitenpfaden, Hinweisen auf besondere Vorkommnisse<br />
im Betriebsalltag o.ä. nachzugehen.<br />
Auf diese Weise sinken Zahl und Dauer<br />
der Gesprächshöhepunkte entsprechend der<br />
Verkürzung des Zeitrahmens gegenüber herkömmlichen<br />
Face-to-Face-Interviews. Ein<br />
entsprechend geschultes Interviewerpersonal<br />
und ein vorab dafür berücksichtigter Zeitraum<br />
im Fragenverlauf können diese Schwäche teilweise<br />
kompensieren.<br />
Eine wichtige Einflussgröße für die erfolgreiche<br />
Durchführung klassischer Experteninterviews<br />
können unterschiedliche Typen von<br />
Interviewpartnern darstellen. Das Spektrum<br />
reicht dabei von Störgrößen wie „Selbstinszenierung<br />
mit kathartischen Effekten“ (Trinczek<br />
1995, S. 64), einem „Nicht-Zulassen-Können<br />
an diskursiver Kommunikation“ (Kern/Kern/<br />
Schumann 1988, S. 93) und der „Verdrängung<br />
anderer berechtigter Weltsichten“ (ebd., S. 94)<br />
bis hin zu begünstigendem Interviewverhalten,<br />
das die komplementäre Expertensicht des<br />
Sozialwissenschaftlers ernsthaft in der Diskussion<br />
zu berücksichtigen bereit ist: „Manager<br />
sind offensichtlich impliziten Diskursnormen<br />
verpflichtet. Inhaltlich begründete Interviewinterventionen<br />
werden nicht primär als lästige<br />
Störungen im Prozess der Selbstinszenierung<br />
empfunden; es scheint mitunter eher so zu sein,<br />
dass die Befragten nachgerade auf Gegenargumente<br />
warten, um diese mit ihren Argumenten<br />
dann umso effektvoller als inadäquat,<br />
weltfremd oder betriebsblind zurückweisen zu<br />
können.“ (Trinczek 1995, S. 64)<br />
Dagegen konnten wir in der telefonischen<br />
Expertenbefragung die Erfahrung machen,<br />
dass diese Unterschiede zwischen den verschiedenen<br />
Interviewverhaltensmustern<br />
nivelliert wurden. Der disziplinierende Charakter<br />
des Kommunikationsmediums Telefon<br />
– Erfahrungen mit Frage-Antwort-Routinen<br />
am Telefon hat jeder der befragten Manager<br />
– und die Beschränkung auf Hören und Sprechen<br />
sorgen für die Minderung dieser Störgröße.<br />
Natürlich kommt es auch vor, dass ein<br />
Gesprächspartner partout nicht mehr an die<br />
vorgegebene Fragestruktur zurückzuführen<br />
ist – aber diese Art von Ausschweifungen und<br />
Bevorzugung diskursiver oder gar konfrontativer<br />
Gesprächsformen sind außerordentlich<br />
selten.<br />
Trotz dieser Einschränkungen hinsichtlich<br />
der Diskursivität gegenüber der ursprünglichen<br />
Intentionen dieses Verfahrens halten wir daran<br />
fest: Experteninterviews per Telefon<br />
sind ein geeignetes Instrument, wenn<br />
bestimmte Voraussetzungen erfüllt<br />
Seite 73<br />
sind (siehe Abschnitt 3), und wenn<br />
die Zielstellung auf eine mittlere<br />
Fallzahl und hohe Vergleichbarkeit, also weniger<br />
auf Exploration ausgerichtet sind. Denn:<br />
Das Instrument ist den Ansprüchen des For-
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
schungsgegenstandes angemessen, diszipliniert<br />
Interviewer und Interviewte, was sowohl den<br />
Kommunikationserwartungen der Probanden<br />
entgegenkommt als auch einen stark vorstrukturierten<br />
Output hervorbringt, es stellt nicht<br />
den Expertenstatus des Gesprächspartners<br />
infrage und ändert nichts am grundlegenden<br />
Charakter eines „handlungsentlastenden intellektuellen<br />
Austauschs“ (Trinczek 1995, S.<br />
64) des Expertengespräches.<br />
3. Erfahrungen aus der Praxis CATI-<br />
gestützter Expertenbefragungen<br />
3.1 Fragen- und Variablenumfang<br />
Insgesamt wurden im Rahmen unserer<br />
Forschungstätigkeiten in rund zehn Studien<br />
seit 1998 knapp 2.500 telefonische Interviews<br />
durchgeführt, darunter waren etwa 400 Wiederholbefragungen.<br />
Der Fragenumfang kann<br />
dabei sehr stark schwanken, im Durchschnitt<br />
arbeiten wir mit einer Fragenanzahl zwischen<br />
60 und 70. Diese Zahl kann zwischen dem<br />
doppelten und dem halben Umfang variieren.<br />
Für eine Bewertung des Aufwands einer<br />
Befragung ist darüber hinaus die Zahl der<br />
Variablen eine relevante Größe. Die aufwändigste<br />
Erhebung beinhaltete 430 Variablen,<br />
in der kleinsten Erhebung arbeiteten wir mit<br />
60 Variablen. Fragefilter spielen bei<br />
unserem Befragungstyp eine untergeordnete<br />
Rolle, d.h. ein Großteil<br />
Seite 74 der Fragen/Variablen kommt für<br />
die meisten Befragten tatsächlich<br />
zur Anwendung. Neben dem Fragen-<br />
und Antwortaufwand, der eine große<br />
Variablenzahl erzeugt, kalkulieren wir bei der<br />
Fragebogenentwicklung zunehmend auch den<br />
Auswertungsaufwand. Mitunter wird deshalb<br />
einer aggregierten Einschätzungsfrage der<br />
Vorzug gegeben vor einer Reihe von Einzelfragen,<br />
die den zu untersuchenden Aspekt<br />
gründlicher und in allen Einzelheiten erfassen<br />
könnten. Kurze Projektlaufzeiten können bei<br />
einem überbordenden, zu anspruchsvollen Instrument<br />
dazu führen, dass ein Teil der Variablen<br />
nie ausgewertet wird. Der Blick auf das zu<br />
erwartende Ergebnis und die Abschätzung des<br />
zu leistenden Aufwandes hilft das Instrument<br />
schlank zu halten.<br />
Für eine Befragung zur Erfassung der<br />
Tarifgestaltung in ostdeutschen Unternehmen<br />
der Metall- und Elektrounternehmen, die wir<br />
bei der Durchführung 2002 unterstützten,<br />
wurde ein Fragebogendesign entwickelt, das<br />
mit knapp 1.000 Variablen arbeitete (vgl. Hinke/Röbenack/Schmidt<br />
2002). Aufgrund der<br />
Filterführung kamen im Durchschnitt 30 %<br />
der Variablen pro Unternehmensfall zum Einsatz.<br />
Etwa 12 % der Variablen liefen über alle<br />
Unternehmensfälle, der Rest blieb spezifischen<br />
Gruppen von Unternehmen vorbehalten, die<br />
in einem aufwändigen Verfahren ausgefiltert<br />
wurden. Die Gespräche dauerten entsprechend<br />
lange und waren in der Gestaltung zum Teil<br />
schwer zu führen, weil die Fragebogenstruktur<br />
kaum Spielraum für die Unwägbarkeiten einer<br />
Gesprächssituation zuließ.<br />
Eine der entscheidenden Vorteile von<br />
CATI, die antwortabhängige Navigation durch<br />
den Fragebogen, kann zu einem Handicap<br />
werden, wenn die Antwortvorgaben zu stark<br />
einschränken und zu eng an einer Fallspezifik<br />
orientiert sind. Die empirische Realität, wie<br />
sie in der Beschreibung der Unternehmenssituation<br />
und der persönlichen Vorlieben für
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
eine Gesprächsführung bei den Experten zum<br />
Ausdruck kommt, beugt sich nur ungern einer<br />
‚Fragebogendiktatur’ von Sozialwissenschaftlern.<br />
3.2 Quantitativer vs. qualitativer Ansatz? Mix<br />
aus geschlossenen und offenen Fragen!<br />
In unseren Studien werden überwiegend<br />
betriebliche Experten befragt, darunter vor<br />
allem Geschäftsführer und Werksleiter sowie<br />
Personalleiter, kaufmännische Leiter, Abteilungsleiter,<br />
Ausbilder, Betriebsräte und andere<br />
Personen aus den verschiedenen Bereichen<br />
der Geschäftsführung bzw. der Leitungsebene<br />
von Unternehmen. Wenn nicht Unternehmen<br />
im Interesse stehen, sondern Forschungs- und<br />
Bildungseinrichtungen oder Organisationen<br />
(z.B. aus dem öffentlichen Bereich), werden<br />
Träger entsprechender Leitungsfunktionen<br />
angesprochen.<br />
Die Eingrenzung unseres Untersuchungsgegenstandes<br />
‚Betrieb’ erfolgt meist entlang eines<br />
regionalen Branchenzuschnitts. Ein typisches<br />
empirisches Design sieht nach sondierenden<br />
Expertengesprächen in der zu untersuchenden<br />
Region und Branche – auf diese explorativen<br />
oder iteraktiven Face-to-Face-Gespräche kann<br />
in der Phase der Instrumententwicklung meistens<br />
nicht verzichtet werden – eine Reihe von<br />
Telefoninterviews vor. Die zu behandelnden<br />
Fragestellungen – Themen sind z.B.: der betriebliche<br />
Zugriff auf Arbeitsmärkte, Aus- und<br />
Weiterbildungsengagement von Unternehmen,<br />
Kooperationsentwicklung und Einbindung<br />
in Innovationsnetzwerke – lassen kein<br />
hochstandardisiertes Instrument zu. Sowohl<br />
Themenstellung als auch die zu befragende<br />
Gruppe erfordern ein Instrument, das sowohl<br />
Zahlen (Beschäftigte, Umsatz o.ä.), Fakten<br />
(Ausbildungsberufe, Produktprofil, o.ä.), Einschätzungen<br />
(z.B. die Versorgungssituation<br />
mit Ingenieuren auf dem Arbeitsmarkt) systematisch<br />
und vergleichbar erfasst, als auch offene<br />
Fragen und damit ein eher am Leitfaden<br />
orientiertes Gespräch zulässt. Die einschlägige<br />
Literatur über das CATI-Instrument hinterlässt<br />
den Eindruck, dass es für diese hohen<br />
Qualitäts- und Flexibilitätsanforderungen<br />
nicht geeignet sei. 12<br />
Entgegen dieser Intention haben wir gute<br />
Erfahrungen gesammelt mit dem Einsatz<br />
eines Fragebogens, der sowohl offene als auch<br />
geschlossene Fragen zulässt – das Verhältnis<br />
beträgt in der Regel 1:2. Drei Gründe sprechen<br />
für die systematische Berücksichtigung<br />
von offenen Fragen:<br />
1. Offene Fragen lockern eine streng am<br />
Fragebogen geführte Interviewatmosphäre<br />
auf. Sie vermitteln dem Interviewpartner das<br />
Gefühl, an einem Gespräch teilzunehmen und<br />
erlauben Einschätzungen in eigenen Worten<br />
(ohne die üblichen Antwortvorgaben). Zum<br />
Teil gestalten wir die Fragen so, dass wir offen<br />
fragen und dann eine vorbereitete passende<br />
Antwortkategorie anbieten und vom Gesprächspartner<br />
bestätigen lassen: „Sie stimmen<br />
also dieser Aussage … eher zu/eher nicht zu?“.<br />
Außerdem lässt sich auf diese Weise eine<br />
Temposteuerung des Gespräches<br />
erreichen. Der Gesprächspartner<br />
braucht das Gefühl, dass er Teile des<br />
Seite 75<br />
Interviews schnell absolviert, aber<br />
auch die Gelegenheit hat, sich für<br />
wichtige Fragen Zeit nehmen zu können. Der<br />
Interviewer kann diese Dynamik durch offene<br />
und geschlossene Fragen vermitteln – Ant-
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
wortvorgaben beschleunigen das Gespräch,<br />
offene Fragen nehmen das Tempo heraus.<br />
2. Neben der Wahrnehmung eines ‚echten‘<br />
Gespräches, das auf diese Weise entsteht, wird<br />
dem Experten durch offene Fragen Raum<br />
eingeräumt, seine Einschätzung ungefiltert<br />
mitzuteilen, anstatt ihn in eine starre Abfrageroutine<br />
einzuschließen. Diese Fragen bieten<br />
darüber hinaus die Möglichkeit, vom Thema<br />
abzuschweifen – bei sorgfältiger Dokumentation<br />
bieten diese ‚Nebenantworten’ wertvolle<br />
Hinweise für eine hochwertige Diskussion<br />
bei der Auswertung der empirischen Befunde<br />
und eine Weiterentwicklung der Fragestellung.<br />
Auch ein Verschlagwortungsverfahren<br />
(z.B. mit Hilfe des Auswertungsprogrammes<br />
MAXQDA) bietet sich dafür an. Dieser<br />
Fragetyp stärkt somit den Expertenstatus des<br />
Befragten, indem es tatsächlich die Mitteilung<br />
von Expertenwissen zulässt.<br />
3. Michael Bayer (2002, S. 15) weist darauf<br />
hin, dass die Vorgabe von Antworten durch<br />
die telefonische Präsentation stark begrenzt<br />
wird. Dieses Defizit des Instruments könne<br />
man ausgleichen durch eine Einschränkung<br />
und randomisierte Vorgabe der Antwortmöglichkeiten<br />
(bei kleineren, für unser Design typischen<br />
Fallzahlen unter 300 problematisch)<br />
oder durch offene Fragen. Für Experteninterviews<br />
des hier vorgestellten Typs eignet<br />
sich vor allem letztere Variante.<br />
Seite 76 Schließlich bieten neuere CATI-<br />
Versionen die Möglichkeit, jede Frage<br />
bzw. Antwort zusätzlich mit einem<br />
Kommentar zu versehen. Diese Option ist<br />
fast genau so wertvoll wie die offenen Fragen<br />
selbst, denn häufig erzeugen geschlossene<br />
Fragen zusätzlichen Erklärungsbedarf auf<br />
Seiten der Befragten. Diese Abweichung vom<br />
vorgegebenen Frage-Antwort-Spiel stellt eigentlich<br />
eine Störung im Interviewverlauf dar.<br />
Die Interviewer werden entsprechend geschult,<br />
dass die zusätzlich gewonnenen Informationen<br />
protokolliert werden und die Gesprächspartner<br />
den vorgesehenen Leitfaden wieder aufnehmen.<br />
In Ausnahmefällen kommt es zu gravierenden<br />
Abweichungen. In diesem Fall kann<br />
das Klammern an die vorgegebene Fragedramaturgie<br />
den Gesprächspartner verärgern,<br />
wenn nicht sogar zu einem Interviewabbruch<br />
veranlassen. Auch hier ist ein geschickter<br />
Interviewer gefragt, der in der Lage ist, das<br />
Frageset ohne die vorgegebene Reihenfolge abzuarbeiten.<br />
Voraussetzung dafür ist als ‚Sicherheitsleine’<br />
die Vorlage einer Papierversion des<br />
Fragebogens. Mit dieser Hilfe kann zwischen<br />
verschiedenen Fragen hin- und hergesprungen<br />
werden, was die herkömmlichen CATI-Programme<br />
nur umständlich erlauben, ohne dass<br />
der Gesprächspartner große Störungen im<br />
Gesprächsverlauf bemerkt.<br />
3.3 Zeitlicher Umfang – Anforderungen an<br />
eine schnelle und effektive Durchführung<br />
Eine solche Fragebogengestaltung, die<br />
nicht ausschließlich starre Antwortvorgaben<br />
anbieten und die den Unwägbarkeiten eines<br />
Interviews Platz einräumen, führt natürlich<br />
insgesamt zu längeren Gesprächen. 20 bis 30<br />
Minuten sind für einen Fragebogen mit 200 bis<br />
300 Variablen (mit selten und kurz gesetzten<br />
Filtern) Standard. In einer Reihe von Erhebungen<br />
lag die mittlere Interviewdauer auch<br />
schon bei 45 Minuten.
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Man hat aber geringe Akzeptanzprobleme,<br />
wenn die Gesprächspartner dadurch tatsächlich<br />
den Eindruck bekommen, als Experten<br />
und nicht ausschließlich als Datenlieferanten<br />
befragt worden zu sein. Einige Geschäftsführer,<br />
begreifen eine telefonische Befragung als<br />
Gelegenheit, über langfristige Strategien und<br />
regionale, branchenbezogene oder gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nachzudenken, die Ihnen<br />
im Alltagsgeschäft selten eingeräumt wird.<br />
Der insgesamt zu kalkulierende Zeitaufwand<br />
bei einem solchen Befragungstyp mit<br />
etwa 300 Fällen liegt bei einem Monat. Eine<br />
derart schnelle Laufzeit lässt sich aber nur realisieren,<br />
wenn bestimmte Bedingungen erfüllt<br />
sind. Einige dieser, im folgenden aufgelisteten<br />
Faktoren können als Optimierungs-kriterien<br />
für CATI-Befragungen von Experten im<br />
Rahmen der skizzierten Forschungs- und Fragedesigns<br />
gelesen werden. 13<br />
- Die Verfügbarkeit über einen Interviewerstamm<br />
von etwa fünf bis sechs erfahrenen<br />
Studenten und Mitarbeitern, die die Fragestellung<br />
kennen und den Gesprächstyp<br />
kommunikativ gut beherrschen, ist ein wichtiger<br />
Erfolgsfaktor. Eine solche Gruppe muss<br />
systematisch aufgebaut und gepflegt werden.<br />
Die Interviewer müssen zudem in der Lage<br />
sein, sich intern schnell und effektiv abzustimmen,<br />
z.B. um vereinbarte Interviewtermine<br />
bei Terminhäufung mit den notwendigen,<br />
fallspezifischen Hintergrundinformationen<br />
weiterzugeben. Als erfolgreiche Instrumente<br />
zur Sicherstellung dieses Interviewerstammes<br />
haben sich nicht nur ausführliche Vorbesprechungen,<br />
Fragebogenschulungen und<br />
CATI-Trainings erwiesen, sondern auch eine<br />
erste Diskussionsrunde mit allen Interviewern<br />
(Interviewerworkshop) direkt nach dem Abschluss<br />
der Erhebungsarbeiten. In diesem Gespräch<br />
werten die Interviewer als Experten die<br />
Erhebung aus, angeleitet und moderiert vom<br />
Untersuchungsleiter. Auf diese Weise lässt<br />
sich schnell ein erster Eindruck verdichten,<br />
durch die anderen Interviewer gibt es Zustimmung<br />
oder wird die Meinung differenziert, bis<br />
hin zur Neuformulierung von Thesen. Für die<br />
anstehenden Auswertungen erhält man auf<br />
diese Weise wertvolle Hinweise, welche Suchstrategien<br />
für statistische Zusammenhänge<br />
neben den im Forschungsantrag gestellten<br />
Ausgangsthesen man noch verfolgen könnte.<br />
Schließlich erfahren die Interviewer die Wertschätzung<br />
und unmittelbare Einbindung in<br />
den Forschungsprozess, wenn die Analysen<br />
abgeschlossen sind und der Forschungsbericht<br />
verfasst wurde – nicht zuletzt durch eine Einladung<br />
zu einem Abschlussessen, bei dem neben<br />
der Darstellung der Projekte die persönliche<br />
Kommunikation nicht zu kurz kommt.<br />
- Eine Mindestausstattung zur Erreichung der<br />
angegebenen Fallzahl in diesem kurzen Zeitraum<br />
erfordert mindestens zwei, besser vier<br />
CATI-Arbeitsplätze, die werktags durchgehend<br />
zwischen 7 und 19 Uhr zu besetzen sind.<br />
Die Erreichbarkeit der Experten ist häufig<br />
stark eingeschränkt, so dass die Hinweise der<br />
Sekretärinnen oder der anderen Mitarbeiter,<br />
wann der Gesprächspartner in den nächsten<br />
Stunden oder Tagen wieder zu erreichen<br />
ist, sehr ernst genommen werden<br />
sollten. Diese Zeitvorgaben lassen<br />
sich nur mit einer entsprechenden<br />
CATI-Besetzung realisieren.<br />
- Eine Zielvorgabe von 300 zu realisierenden<br />
Interviews lässt sich gut erreichen bei der<br />
Seite 77
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Verfügbarkeit einer entsprechend hohen Zahl<br />
von verfügbaren Kontakten und bei einer im<br />
Vorhinein bereits sichergestellten hohen Teilnahmebereitschaft<br />
der Befragungskandidaten.<br />
Je höher die Zahl der verfügbaren Kontakte,<br />
desto weniger ist man auf eine hohe Teilnahmebereitschaft<br />
angewiesen – eine typische<br />
Ausgangskonstellation bei Haushaltsbefragungen.<br />
Je höher die Teilnahmebereitschaft,<br />
die durch bestimmte Strategien in gewissem<br />
Maße beeinflusst werden kann, desto kleiner<br />
kann die verfügbare Zahl von Kontakten sein.<br />
Oder anders ausgedrückt: Wenn man nur über<br />
eine kleine Grundgesamtheit verfügt, sollte<br />
man jeden Kontakt sehr sorgfältig behandeln,<br />
um eine hohe Teilnahmequote zu erreichen.<br />
Mit dieser Konstellation haben wir es eher<br />
bei einer durch Region und Branche eingegrenzten<br />
Grundgesamtheit zu tun. So kann<br />
z.B. die Einbindung von Unternehmen in<br />
ein Netzwerk von Vorteil sein, wenn die Geschäftsführung<br />
des Netzwerkes die Erhebung<br />
unterstützt und seine Mitglieder dazu auffordert,<br />
möglichst zahlreich daran teilzunehmen.<br />
Auf diese Weise reichen auch weniger als<br />
400 verfügbare Unternehmenskontakte, um<br />
300 Fälle zu erzielen. Voraussetzung dafür ist<br />
jedoch eine sorgfältige Sondierung und Anwerbung<br />
von Unterstützungsleistung durch<br />
die unmittelbaren Organisationsumwelten,<br />
denen die Unternehmensvertreter vertrauen.<br />
Auch eine gehaltvolle Feldpflege nach<br />
Abschluss der Studie („Bericht an<br />
die Betriebe“, Präsentation der For-<br />
Seite 78 schungsergebnisse, u.a.) sorgt für eine<br />
Erhöhung der Ausschöpfungsquote.<br />
Im Bereich der Optischen Technologien<br />
begleiten wir Unternehmensnetzwerke<br />
mit Mitgliederbefragungen seit mehreren Jahren<br />
und erreichen unter diesen Bedingungen<br />
Ausschöpfungsquoten zwischen 60 % und 80<br />
%, vereinzelt sogar bis zu 100 %. 14<br />
4. Fazit<br />
Das telefonische Experteninterview scheint<br />
ein sehr geeignetes Instrument zu sein, um in<br />
verhältnismäßig kurzer Zeit Daten mit hoher<br />
Qualität und Statements mit ergiebigen Deutungs-<br />
und Interpretationsmöglichkeiten zu<br />
gewinnen. In Feldern mit Grundgesamtheiten<br />
zwischen 100 und 1.000 Fällen ist es das Mittel<br />
der Wahl, weil in dieser Größenordnung nur<br />
Ausschöpfungsquoten von 40 % und mehr eine<br />
zufrieden stellende Datenbasis generieren, die<br />
am Ende auch belastbare Aussagen mit Blick<br />
auf die Grundgesamtheit ermöglichen.<br />
Bei Interviews zwischen 20 und 60 Minuten<br />
und aussagekräftigen qualitativen Statements<br />
der Befragten vereint es Vorteile des<br />
klassischen, eher qualitativ orientierten Faceto-Face-Experteninterviews<br />
mit Verfahren<br />
der Generierung von Massendaten. Eine Ausschöpfungsquote<br />
von bis zu 100 % – meistens<br />
werden 50 % bis 60 % erreicht – erfordert auf<br />
allen Ebenen der Vorbereitung, Gesprächsakquisition<br />
und Durchführung eine sehr hohe<br />
Qualität. Wichtig sind ein vorbereitendes<br />
Schreiben und eine Gesprächsanbahnung, bei<br />
der der Interviewer nicht mit der Tür ins Haus<br />
fällt. Meistens lassen sich die Geschäftsführer<br />
auf einen späteren Termin ein, den sie dann<br />
– wie in ihrem Arbeitsalltag auch – fest einplanen<br />
(Terminkalender).<br />
Von großer Bedeutung für die Stimulierung<br />
der Teilnahmebereitschaft ist es, den Interviewpartner<br />
über ein Thema anzusprechen,
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
mit dem er sich identifiziert und über das er<br />
sich als Experte profilieren kann. Der Schlüssel<br />
dazu ist ein ausgewogener Mix aus offenen und<br />
geschlossenen Fragen. Zugehörigkeit zu einer<br />
Branche, einem Netzwerk oder einer Region<br />
erhöhen die Teilnahmebereitschaft, wenn<br />
dem Interviewpartner klar gemacht werden<br />
kann, dass eine Teilnahmeverweigerung seiner<br />
Person zu Qualitätseinbußen bei den späteren<br />
Untersuchungsergebnissen führen würde.<br />
Insgesamt muss die hohe Bedeutung von<br />
Reziprozität unterstrichen werden: Ergebnisse<br />
werden zugeschickt, der Gesprächspartner wird<br />
zum Abschlussworkshop eingeladen.<br />
Von eminenter Bedeutung sind Qualifikation<br />
und Motivation der Interviewer. Telefonische<br />
Interviews mit CATI sind kein Instrument zur<br />
Dequalifizierung des Interviewerpersonals,<br />
sondern stellen besonders hohe Ansprüche.<br />
Dies gilt nicht nur für wichtige Schlüsselqualifikationen,<br />
die auch in Call-Centern von<br />
Bedeutung sind, wie Freundlichkeit, deutliche<br />
Aussprache, Frustrationstoleranz und Geduld.<br />
Die Interviewer müssen im Rahmen der<br />
Schulung intensiv mit der Fragestellung und<br />
dem Erkenntnisinteresse der Studie vertraut<br />
gemacht werden.<br />
Der Interviewermotivation dienen regelmäßige<br />
Feedbacks, in denen die Interviewer<br />
ihre Erfahrungen rückkoppeln und erkennbar<br />
daraus Konsequenzen gezogen werden, die auf<br />
eine Feinjustierung des Erhebungsinstruments<br />
hinauslaufen. Von großem Vorteil ist es, die Interviewer<br />
regelmäßig nach ihren Eindrücken zu<br />
fragen. Diese summarischen ersten Eindrücke<br />
können zum Teil erheblich bei der Interpretation<br />
der Daten helfen. Ein Interviewerworkshop<br />
sollte zum Abschluss der Erhebungsphase ein<br />
wichtiges Element im Methodendesign sein.<br />
Will man die Entwicklung von regionalen<br />
Arbeitsmärkten, Branchen und Wirtschaftsstandorten<br />
über einen längeren Zeitraum<br />
beobachten, ist man angesichts der relativ<br />
kleinen Grundgesamtheit an Unternehmen<br />
– gerade in den Neuen Ländern – auf eine<br />
enorme Feldpflege angewiesen. Bisher haben<br />
wir die Erfahrung gemacht, dass bei Wiederholbefragungen<br />
höhere Ausschöpfungsquoten<br />
erreicht werden konnten, als bei der ursprünglichen<br />
Akquisition - offenkundig ein Hinweis<br />
auf die richtige Strategieentscheidung. Die<br />
Sicherung der Qualitätsstandards auf allen<br />
Ebenen des Erhebungsprozesses ist dabei von<br />
ebenso großer Bedeutung wie die Motivation<br />
des einbezogenen Personals.<br />
Seite 79
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Fussnoten<br />
1<br />
Eine gründliche theoretische und methodische Fundierung des<br />
Instruments ‚Experteninterview’ wird in mehreren Beiträgen<br />
des von Bogner/Littig/Menz (2002) herausgegebenen Sammelbandes<br />
vorgenommen.<br />
2<br />
Gerald Prein (2002) weist zu recht auf die rückschrittliche<br />
und völlig überflüssig aufrechterhaltene Methodenkonkurrenz<br />
zwischen „Qualis“ und „Quantis“ hin, wenn er dabei sogar ganz<br />
bewusst Literatur aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />
zitiert, die den notwendig komplementären Charakter beider<br />
Forschungsmethoden herausstellt und eine enge Interaktion als<br />
fruchtbringend empfiehlt.<br />
3<br />
Vgl. Lutz/Grünert/Steiner (Hg.) 2000; vgl. Lutz/Grünert/<br />
Steiner (Hg.) 2004; vgl. Behr 2000; vgl. Behr/Engel 2001; vgl.<br />
Behr 2004.<br />
4<br />
Ein Teil der Untersuchungen fand am Institut für Soziologie<br />
der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> statt, ein Teil am Institut<br />
für praxisorientierte Sozialforschung und Beratung (IPRAS<br />
e.V. <strong>Jena</strong>) und ein weiterer Teil an der TU Chemnitz jeweils<br />
unter der Leitung von Michael Behr und unterstützt von Rudi<br />
Schmidt.<br />
Kunz/Lüschen 1990), der Kosten, der Stichprobengröße, der<br />
Ablaufsteuerung, der Datengenauigkeit sowie des Interviewereinflusses<br />
(vgl. Porst 1998).<br />
7<br />
Allein angesichts dieser ökonomisch ungünstigen Ausgangslage<br />
erstaunt die hohe Teilnahmebereitschaft der wirtschaftlichen<br />
Subeliten.<br />
8<br />
Pfadenhauer (2002) spricht vom Interviewer als „Quasi-Experten“,<br />
um ihn vom Interviewpartner als Experten deutlicher<br />
abzugrenzen und die Notwendigkeit hoher Qualität bei der<br />
Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Gespräches<br />
zu begründen. Soweit in Ordnung, aber diese Rollendiskrepanz<br />
allein ist keine ausreichende Begründung für eine behauptete<br />
strukturelle Schwäche des Instruments, systematisch Daten<br />
gewinnen zu können (ebd., S. 128). Gerade die telefonische<br />
Variante des Expertengespräches macht es möglich, dieses Defizit<br />
auszugleichen.<br />
9<br />
Hier ist von Face-to-Face-Interviews die Rede. Wir haben<br />
auch telefonische Experteninterviews mit einer Länge von 1 bis<br />
1½ Stunden geführt, aber die Regel ist das nicht.<br />
10<br />
in der Diskussion auf dem <strong>SFB</strong>-<strong>580</strong>-Methodenworkshop<br />
„Zur Leistungsfähigkeit telefonischer Befragungen“ (vgl. Sahner<br />
(Hg.) 2002, S. 33)<br />
Seite 80<br />
5<br />
An der ständigen Diskussion über den Einsatz von CATI für<br />
Expertenbefragungen, insbesondere von Managern, sind seit<br />
Jahren Thomas Ritter, Tina Seiwert und Christoph Thieme<br />
beteiligt. Ihnen verdanken wir zahlreiche Anregungen für<br />
Optimierungen des Instruments und Thesen, die auch in diesen<br />
Text eingeflossen sind.<br />
6<br />
Folgt man dem Vergleich von Frey/Kunz/Lüschen (1990) lassen<br />
sich alle großen Faktorvorteile der Face-to-Face-Befragung<br />
auf die telefonische Umfragetechnik übertragen. Ausnahmen<br />
sind das „Stellen komplexer Fragen“ und die „Benutzung<br />
visueller Hilfen“, letzteres lässt sich tatsächlich<br />
nicht für CATI verwenden. Allerdings sind die<br />
Möglichkeiten der Fragenkomplexität noch nicht<br />
ausreichend getestet und werden deshalb unentschieden<br />
bewertet (vgl. Porst 1998). Intention des hier<br />
vorgelegten Textes ist es auch, die Unterschätzung<br />
des Instruments in dieser Hinsicht abzubauen. Darüber hinaus<br />
bietet CATI eine Reihe von Vorteilen, über die Face-to-Face<br />
nicht oder nur eingeschränkt verfügen kann: z.B. hinsichtlich<br />
der Durchführungszeit, der Interviewer-Kontrolle (vgl. Frey/<br />
11<br />
Trotzdem lohnt sich das Angebot eines mittelbaren Nutzeneffekts<br />
bei telefonischen Expertenerhebungen: Unser an die<br />
Studienteilnehmer versendeter „Bericht an die Betriebe“ wird<br />
von vielen der Befragten aktiv zur Kenntnis genommen. In<br />
einigen Fällen hatten unsere Analysen sogar Einfluss auf Entscheidungsgrundlagen<br />
von Managementhandeln (z.B. bei der<br />
Entscheidung, Ausbildungsaktivitäten zu verstärken, weil die<br />
betrieblichen Altersstrukturen in einer Branche zu künftigen<br />
Knappheitskonstellationen spezifischer Qualifikationen auf dem<br />
Arbeitsmarkt führen können). Ein auf diese Weise gepflegtes Feld<br />
lässt sich leichter für Paneluntersuchungen gewinnen, wie wir in<br />
der wiederholten Befragung von Unternehmensvertretern der<br />
Optischen Industrie Thüringens erfahren konnten. Die Ausschöpfungsquoten<br />
konnten gesteigert werden, in einigen Fällen<br />
haben wir bereits das vierte Telefoninterview im Laufe der<br />
letzten drei Jahre geführt.<br />
12<br />
Diesen schlechten Ruf hatte sich das Telefoninterview bereits<br />
1936 durch eine falsche Prognose der amerikanischen Präsidentschaftswahl<br />
eingehandelt (vgl. Frey/Kunz/Lüschen 1990, S.<br />
24). Später festigte sich das Vorurteil durch die ‚quick and dirty’<br />
arbeitende Konsumentenforschung (vgl. Haase 2003, S. 10).
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Inzwischen sind die Start- und Akzeptanzschwierigkeiten des<br />
Instruments, vor allem aufgrund weiterer Verbreitung des Telefons<br />
und verbesserter Stichprobenziehungsverfahren, behoben<br />
– mit dem Effekt, dass es als besonders geeignet für repräsentative<br />
Haushaltsbefragungen angesehen wird. Nach wie vor finden<br />
sich jedoch in der Literatur qualitative Einschränkungen, die<br />
dem Instrument zugeschrieben werden und einen Einsatz in der<br />
Expertenbefragung verbieten würden, z.B. in dem Interviewer<br />
auf ihre Rolle als Fragesteller und Dokumentar der Antworten<br />
von Befragten, die wiederum um ihre Subjektivität reduziert<br />
werden: „Der Interviewer ist nicht für den Fragebogen verantwortlich:<br />
er ist nur Interviewer. Umgekehrt sollte auch dem<br />
Befragten seine Rolle bewusst sein.“ (ebd., S. 19 – Hervorhebung<br />
im Original)<br />
Behr, M (2004): Jugendentwöhnte Unternehmen in Ostdeutschland<br />
– Eine Spätfolge des personalwirtschaftlichen Moratoriums.<br />
In: Burkart Lutz (Hg.): Bildung und Beschäftigung<br />
Band 2. Berliner Debatte Wissenschaftsverlag<br />
Behr, M. / Engel, T. (2001): Entwicklungsverläufe und Entwicklungsszenarien<br />
ostdeutscher Personalpolitik. Ursachen,<br />
Folgen und Risiken der personalpolitischen Stagnation. In:<br />
Pawlowsky, P. / Wilkens, U. (Hg.): Zehn Jahre Personalarbeit<br />
in den neuen Bundesländern. Transformation und Demographie<br />
(Arbeit, Organisation und Personal im Transformationsprozess,<br />
Band 16). München und Mering 2001: S. 255-278<br />
13<br />
Auf einige andere grundlegende Voraussetzungen – wie die<br />
gründliche Vorbereitung des Erhebungsdesigns unter Einbindung<br />
der Organisationsumwelt bzw. bestimmter Expertengruppen,<br />
das vorbereitende Anschreiben, das den potentiellen Gesprächspartnern<br />
zugeht, ein eingespieltes Team bei der Entwicklung<br />
des Fragebogens (Routinen) bis hin zur Programmierung und<br />
dem Pretest, die Aufbereitung der Kontaktdatei und evtl. notwendiger<br />
zusätzlicher Informationsmaterialien für Interviewer,<br />
Befragungskandidaten u.ä. – soll an dieser Stelle nicht vertieft<br />
eingegangen werden.<br />
Behr, M. / Engel, T. / Thieme, C. (2005): Trendreport 2005<br />
– Die Optische Industrie in Thüringen (IPRAS-Forschungsbericht).<br />
<strong>Jena</strong><br />
Bogner, A. / Menz, W. (2002): Das theoriegenerierende Experteninterview<br />
– Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion.<br />
In: Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.) (2002):<br />
Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung.<br />
Wiesbaden: S. 33-70<br />
14<br />
Als Beispiel sei hier auf den aktuellen Trendreport „Die<br />
Optische Industrie in Thüringen“ verwiesen, für den wir mit<br />
einer Ausschöpfungsquote von 78% arbeiten konnten (vgl.<br />
Behr/Engel/Thieme 2005). 100% Ausschöpfungsquote erreichten<br />
wir im Rahmen einer Befragung von Unternehmen des<br />
Firmenverbunds Bayern Photonics als Teil einer von BMBF<br />
und VDI-Technologiezentrum 2003 in Auftrag gegebenen<br />
Evaluationsstudie zur Arbeit der Kompetenznetze für Optische<br />
Technologien in Deutschland.<br />
Literatur<br />
Bayer, M. (2002): Das telefonische Interview. In: Sahner, H.<br />
(Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer Befragungen.<br />
Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen Methodenentwicklung<br />
und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen, Heft 4). <strong>Jena</strong>,<br />
Halle: S. 7-17<br />
Behr, M. (2000): Tradition und Dynamik, Beschäftigungsmuster,<br />
Rekrutierungsstrategien und Ausbildungsverhalten im Prozess<br />
der betrieblichen Konsolidierung, in: Lutz (Hg.), Bildung<br />
und Beschäftigung in Ostdeutschland. Band 1. Berliner Debatte<br />
Wissenschaftsverlag 2000, S. 87-146<br />
Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.) (2002): Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden<br />
Frackmann, M. (1980): Experten-Interview. In: Arbeiten +<br />
Lernen, Heft 10-10a. Velber: S. 34f<br />
Frey, J. H. / Kunz, G. / Lüschen, G. (1990): Telefonumfragen in<br />
der Sozialforschung. Methoden, Techniken, Befragungspraxis.<br />
Opladen<br />
Haase, A. (2003): Methodologische und methodische Probleme<br />
von Telefonsurveys bei Bevölkerungsbefragungen. Realisierung,<br />
Ausschöpfung und Eigenschaften von Stichproben<br />
am Beispiel verschiedener CATI-Studien (unv.<br />
Diplomarbeit TU Chemnitz). Chemnitz<br />
Hinke, R. / Röbenack, S. / Schmidt, R. (2002):<br />
Repräsentative Erhebung über die Lohn- und<br />
Leistungsbedingungen in den Betrieben der ostdeutschen Metall-<br />
und Elektroindustrie (Kurzbericht, Institut für Soziologie<br />
an der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>). <strong>Jena</strong><br />
Kanwischer, D. (2002): Experteninterviews. Stellenwert,<br />
Seite 81
Telefonische Einleitung Experteninterviews<br />
Auswertungsmethoden und Verwendungsmöglichkeiten. In:<br />
Kanwischer, D. / Rhode-Jüchtern, T. (Hg.): Qualitative Forschungsmethoden<br />
in der Geographiedidaktik (Geographiedidaktische<br />
Forschungen, Bd.35). Nürnberg: S. 90-112<br />
Kern, B. / Kern, H. / Schumann, M. (1988): Industriesoziologie<br />
als Kartharsis. In: Soziale Welt, Jg. 39: S. 86-96<br />
Lutz, B. / Grünert, H. / Steiner, C. (Hg.) (2000): Bildung und<br />
Beschäftigung in Ostdeutschland, Band 1 (Forschungsberichte<br />
aus dem ZSH). Berlin, Halle<br />
Lutz, B. / Grünert, H. / Steiner, C. (Hg.) (2004): Jugend – Ausbildung<br />
– Arbeit. Bildung und Beschäftigung in Ostdeutschland,<br />
Band 2 (Forschungsberichte aus dem ZSH). Berlin, Halle<br />
Pfadenhauer, M. (2002): Auf gleicher Augenhöhe reden: Das<br />
Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experten und<br />
Quasi-Experten. In: Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.):<br />
Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden:<br />
S. 113–130<br />
Porst, R. (1998): Im Vorfeld der Befragung. Planung, Fragebogenentwicklung,<br />
Pretesting (ZUMA-Arbeitsbericht 98/02).<br />
Mannheim<br />
Sahner, H. (Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen. Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen<br />
Methodenentwicklung und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen,<br />
Heft 4). <strong>Jena</strong>, Halle<br />
Schütze, F. / Meinefeld, W. / Springer, R. / Weymann, A.<br />
(1981): Grundlagentheoretische Voraussetzungen methodisch<br />
kontrollierten Fremdverstehens. In: Arbeitsgruppe Bielefelder<br />
Soziologen (Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit. Opladen: S. 433-529<br />
Seite 82<br />
Trinczek, R. (1995): Experteninterviews mit Managern,<br />
methodische und methodologische Hintergründe.<br />
In: Brinkmann, C. / Deeke, A. / Völkel, B.<br />
(Hg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung.<br />
Diskussionsbeiträge zu methodischen Fragen<br />
und praktischen Erfahrungen (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung, Nr. 191). Nürnberg: S. 59-68
<strong>SFB</strong>-Kolloquium<br />
– Computer<br />
Assisted Telephone<br />
Interviewing<br />
Seite 83
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
Tagesordnung:<br />
Seite 84<br />
7<br />
Protokoll 27.04.2005<br />
<strong>SFB</strong>-Kolloquium<br />
– Computer Assisted<br />
Telephone Interviewing<br />
Moderation - Thomas Ritter<br />
Referenten - Christina Buchwald, Thomas<br />
Engel, Ina Götzelt, Petra Kirch, Stefan Jahr,<br />
Bernd Martens, Nicole Meingast, Sören Petermann,<br />
Ralf Schünemann<br />
1. Begrüßung und kurzer Rechenschaftsbericht<br />
über das neu eingerichtete CATI-Labor<br />
an der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>.<br />
Moderation: Thomas Ritter<br />
2. Sprechwissenschaftliche Impulse für die<br />
Arbeit im CATI-Labor. Referent: Ralf Schünemann<br />
(Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-<br />
Wittenberg)<br />
3. Einschätzungen zum Interview. Befunde<br />
aus dem CATI-Labor des ZSH. Referentin:<br />
Christina Buchwald (Zentrum für Sozialforschung<br />
Halle e.V. - ZSH)<br />
4. Erfahrungen mit CATI-Erhebungen.<br />
• <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Projekt B2 Betriebspanel, 2. Welle<br />
(Oktober 2004 – Februar 2005). Referentin:<br />
Ina Götzelt.<br />
• <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Projekt A2 Besonderheit Elitenbefragung<br />
(Wirtschaftseliten). Referent: Bernd<br />
Martens.<br />
• <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Projekt A3 Politische Eliten (Abgeordnetenbefragung).<br />
Referent: Stefan Jahr.<br />
• Personenzentrierte Fragebögen am Beispiel<br />
von Netzwerkerhebungen. Referent: Sören<br />
Petermann.<br />
• Über den Instrumentenwechsel von ‚Faceto-Face’-<br />
zu ‚CATI-Befragungen’ – unterschiedliche<br />
Erfahrungen. Referent: Thomas<br />
Engel.<br />
• Interviewerstatements. Erfahrungsberichte<br />
von zwei Interviewerinnen der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong><br />
<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> (Nicole Meingast) und der<br />
Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg<br />
(Petra Kirch).
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
Anlass für das CATI-Kolloquium des<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> am 27. April 2005 war das<br />
einjährige Bestehen des Telefonlabors<br />
an der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>.<br />
Bis zum April 2005 wurden bereits ca. 2000<br />
Interviews mit einer Gesamtdauer von 1200<br />
Stunden durchgeführt. Im Mittelpunkt des<br />
Workshops standen Erfahrungen einzelner<br />
Projekte mit computergestützten telefonischen<br />
Befragungen.<br />
Ralf Schünemann, Diplomand der Sprechwissenschaften<br />
an der Martin-Luther-<strong>Universität</strong><br />
Halle, eröffnete den Workshop mit einem<br />
Vortrag zum Thema „Schreiben fürs Sprechen<br />
– Sprechdenken vs. Hörverstehen“. Inhalt der<br />
Präsentation waren unterschiedliche sprechwissenschaftliche<br />
Impulse, die den Umgang mit<br />
großen Textmengen und langen unverständlichen<br />
Sätzen erleichtern und das Sprechdenken<br />
des Interviewers fördern sollen. Diese Anregungen<br />
aus den Sprechwissenschaften können<br />
helfen, ein Gleichgewicht zwischen dem Interviewer<br />
und dem Befragten herzustellen, sowie<br />
das Verständnis zu fördern. Lange Sätze in<br />
Teilen der Intervieweinleitung sowie den Zwischentexten<br />
erschweren die Sprechumsetzung,<br />
da die herkömmlichen Textpassagen anfangs<br />
noch textgetreu abgelesen, später aber durch<br />
die Interviewer abgewandelt werden. Um eine<br />
überschaubare und sprechbare Sprachstruktur<br />
zu erhalten, sollten kurze Sätze mit maximal 13<br />
Wörtern formuliert werden, die an die spontane<br />
Mündlichkeit angelehnt sind und deren Passagen<br />
in Sinnschritte eingeteilt werden können.<br />
Einen Schritt weiter geht das Stichwortkonzept.<br />
Dem Interviewer werden nach dieser<br />
Methode nur noch Stichworte präsentiert; die<br />
genaue Formulierung bleibt dem jeweiligen<br />
Sprecher überlassen. Diese Variante zwingt<br />
dazu, über den Inhalt des Gesagten nachzudenken.<br />
Dadurch erhält der Interviewer ein<br />
gewisses Maß an Flexibilität, welche auch eine<br />
situative Rücksichtnahme auf den Befragten<br />
ermöglicht. Somit kann ein wichtiges Ziel,<br />
aus der Sprechwissenschaft, erreicht werden:<br />
Der Interviewer muss Sprechdenken und der<br />
Hörer kann bzw. muss Hörverstehen. In Studien<br />
konnte nachgewiesen werden, dass normale<br />
Intonationen von Befragten als störend<br />
empfunden werden. Durch die „Abtreppung“,<br />
d.h. eine gezielte Betonung ist es möglich,<br />
Eindrücke der störenden Betonung zu mindern.<br />
Voraussetzung für das „Abtreppen“ sind<br />
grammatikalisch vollständige Sätze. Somit<br />
ist diese Methode nur in Begrüßungs- und<br />
Zwischentexten denkbar. Es ist jedoch möglich,<br />
dass die gewonnenen Daten durch eine<br />
festgelegte Betonung beeinflusst werden.<br />
In dem Vortrag wurde die These aufgestellt,<br />
dass bei der ersten Kontaktaufnahme<br />
mit einem Interviewpartner der Name des<br />
Interviewers eine entscheidende, verbindliche<br />
Information sei. Die Diskussion ergab, dass<br />
dieser Punkt je nach Klientel der Befragung<br />
eine größere oder geringere Bedeutung hat. In<br />
bestimmten Populationen ist die befragende<br />
Institution wichtiger als der Name des Interviewers,<br />
bei anderen Zielpersonen unterstützt<br />
ein Zusammenspiel zwischen Name und<br />
Institution die Akzeptanz seitens der<br />
Befragten.<br />
Seite 85<br />
Im Anschluss an den Vortrag<br />
wurden verschiedene Probleme<br />
angesprochen. So wurde erwähnt, dass die<br />
Begrüßungs- und Zwischentexte mit nur ca. 5<br />
% einen sehr geringen Teil eines Fragebogens
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
ausmachen, obwohl gerade Einleitungstexte<br />
entscheidend für den Erfolg der Befragung<br />
sein können. Dieser „Türöffner“ sollte mittels<br />
sprechwissenschaftlicher Methoden besser<br />
(d.h. verständlicher) formuliert werden.<br />
Im zweiten Vortrag stellte Christina<br />
Buchwald vom Zentrum für Sozialforschung<br />
Halle e.V. Befunde zu Einschätzungen von<br />
Interviews in der Wahrnehmung von Interviewer<br />
und Befragtem vor. Grundlage für<br />
die Auswertungen waren fünf unterschiedliche<br />
Erhebungen. Die Befragten und die<br />
Interviewer wurden am Ende der jeweiligen<br />
Interviews um Einschätzung über die Wichtigkeit<br />
der Erhebung, über die empfundene<br />
Belastung während der Befragung, über die<br />
Verständlichkeit sowie über Schwierigkeiten<br />
der Beantwortung gebeten.<br />
Zusammenfassend konnte festgestellt werden,<br />
dass der überwiegende Teil der Befragten<br />
die Untersuchung als wichtig empfand. Ebenso<br />
bewerteten sie die Fragen als „verständlich<br />
formuliert“. Ein ähnliches Bild ergab die<br />
Auswertung der analogen Angaben der Interviewer.<br />
Die Mehrzahl von Ihnen fand die Befragung<br />
interessant. Die Interviewer gaben an,<br />
dass ihrer Einschätzung nach, die Befragten<br />
kaum Schwierigkeiten hatten, auf die Fragen<br />
zu antworten. In einigen Fällen sei es aber zu<br />
Sprach- und Verständlichkeitsproblemen<br />
gekommen. Die Erfahrung der Interviewer,<br />
das Interesse an den Themen<br />
Seite 86 und die angegebene geringe Belastung<br />
seitens der Interviewer glichen<br />
die wenigen aufgeführten Probleme<br />
wieder aus.<br />
Die Einschätzung der Interviewdauer<br />
durch die Befragten und Interviewer ergab,<br />
dass die Interviewer im Großen und Ganzen<br />
mit der geschätzten Dauer sehr nah an der<br />
realen Gesprächsdauer lagen, während die<br />
Befragten die tatsächliche Gesprächsdauer<br />
schwer einschätzen konnten.<br />
Am Ende des Vortrages wurden Wege zur<br />
Qualitätssicherung und -steigerung aufgezeigt:<br />
Das CATI-Labor sollte sprechwissenschaftliche<br />
Übungen anbieten und einen geschulten<br />
Stamm an Interviewern aufbauen. Hier sind<br />
auch die Projekte, die CATI-Untersuchungen<br />
durchführen, dazu angehalten, die Interviewer<br />
inhaltlich zu schulen und vorzubereiten. Diesem<br />
Pesonal sollte Ziel und Zweck der anstehenden<br />
Untersuchung näher gebracht werden.<br />
Auch Informationsblätter mit wichtigen<br />
Hinweisen zu Fachbegriffen, Besonderheiten<br />
des Fragebogens sowie Ansprechpartnern des<br />
Projektes sind wichtige Handreichungen für<br />
den Interviewerstab.<br />
In der anschließenden Diskussion wurden<br />
die Auswertungen aus Halle kritisch hinterfragt.<br />
Ein Problem der Aussagen über das<br />
Interesse an den Untersuchungen könnte sein,<br />
dass nur bei vollständigen Interviews nach dem<br />
Interesse gefragt wurde, also Interviews, in denen<br />
die Befragten durch ihre Teilnahme bereits<br />
Interesse gezeigt hatten. Auch die Validität der<br />
Interviewermeinungen hinsichtlich der dargestellten<br />
Qualitätskriterien wurde mit dem<br />
Hinweis auf extrinsische Motivationslagen und<br />
organisatorisch beeinflusste Antwortmuster<br />
kritisiert. Insbesondere Probleme der sozialen<br />
Erwünschtheit wurden durch die bisherigen<br />
Untersuchungen und Analysen nicht ausreichend<br />
erfasst. Ebenfalls bleibt das mögliche<br />
Auseinanderfallen der Einschätzungen von
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
Interviewer und Interviewtem ungeklärt.<br />
Im weiteren Verlauf folgten Statements<br />
verschiedener Projekte, die Untersuchungen<br />
mittels Telefonbefragung durchgeführt hatten.<br />
Das Projekt B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, vertreten durch<br />
Ina Götzelt, stellte kurz die bisherigen Eindrücke<br />
und Ergebnisse eines Betriebspanels<br />
dar. Die Befragung richtete sich an Personalverantwortliche<br />
kleiner und mittelgroßer<br />
Unternehmen verschiedener Branchen in Ostund<br />
Westdeutschland. Insgesamt wurden 653<br />
Interviews geführt. Zusätzlich konnten sechs<br />
Interviews aus dem Pretest für die Auswertung<br />
verwendet werden. Der Fragebogen bestand<br />
aus 141 Fragen mit 323 Teilfragen und umfasste<br />
somit eine komplexe Filterführung. Die<br />
Anbahnung der Gesprächstermine wurde<br />
durch das Versenden von Broschüren und Anschreiben<br />
vorbereitet. Durchschnittlich wurden<br />
7 bis 15 Anbahnungsversuche benötigt, bis ein<br />
vollständiges Interview realisiert werden konnte.<br />
Zur Verbesserung der Ausschöpfungsquote<br />
wurde in der Befragung ein „Mixed-Mode-<br />
Verfahren“ angewandt. So konnten Befragte,<br />
denen es nicht möglich war, telefonisch an der<br />
Befragung teilzunehmen, den Fragebogen auch<br />
in schriftlicher Form ausfüllen und postalisch<br />
an das Projektteam zurücksenden.<br />
An der durchgeführten Studie nahmen 18<br />
Interviewer teil, die im Vorfeld in einer vierstündigen<br />
inhaltlichen Schulung eingewiesen<br />
wurden und zusätzlich zwei zweistündige<br />
Pretestphasen absolvierten. Im Verlauf der<br />
Befragung kam es dann zu drei Arbeitstreffen,<br />
bei denen in Gesprächen Interviewerfehler<br />
korrigiert sowie Verständnisprobleme der Probanden<br />
und der Interviewer aufgeklärt wurden.<br />
Eine umfassende und intensive Schulung der<br />
Interviewer wurde von dem B2-Projektteam<br />
als Basis einer erfolgreichen Befragung betrachtet.<br />
Die Projektgruppe stieß während und nach<br />
der Befragung auf einige Probleme: So führten<br />
lange Einführungs- und Erklärungstexte<br />
zu dem Phänomen, dass die Interviewer diese<br />
Texte unterschiedlich interpretierten und am<br />
Telefon vortrugen. Die Möglichkeit einige<br />
Fragen entweder durch Angabe von Anzahlen<br />
oder als durch die Angabe von Prozentwerten<br />
zu beantworten, verursachte bei der<br />
späteren Auswertung einige Schwierigkeiten.<br />
Besser wären wohl generell Angaben in<br />
Prozentzahlen gewesen. Des Weiteren wurde<br />
festgestellt, dass die postalisch zugeschickten<br />
Fragebögen gleichviel inhaltliche Fehler aufwiesen<br />
wie die im CATI-Labor ausgefüllte<br />
Fragebögen, aber bei heiklen Fragen seltener<br />
als sozial erwünschten Antworten aufwiesen.<br />
Dies stellte allerdings für die Güte der ersten<br />
Daten insofern kein Problem dar, als dass nur<br />
wenige Fragen mit heiklen Sachverhalten<br />
gestellt wurden.<br />
Bernd Martens vom Projekt A2 stellte<br />
in seinem Vortrag eine Befragung vor, die<br />
im Spätsommer 2002 in Halle durchgeführt<br />
worden war, und die sich an Personen der<br />
obersten Führungsebene mittelständischer Industrieunternehmen<br />
richtete. Die Gesprächsdauer<br />
betrug durchschnittlich 30<br />
Minuten. Anhand des Beispiels dieser<br />
Untersuchung wurden spezifische<br />
Seite 87<br />
Merkmale telefonischer Befragungen<br />
von Managern und Führungskräften<br />
erläutert. Hier sind hohe Kontakthäufigkeiten,<br />
große inhaltliche Kompetenzen seitens der<br />
Interviewer und nicht zu lange Fragebögen zu
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
nennen. Abschließend wurden Überlegungen<br />
zu Kostenaspekten der vorgestellten CATI-<br />
Befragung vorgetragen.<br />
Stefan Jahr berichtete über die gesammelten<br />
Erfahrungen bei der Befragung<br />
politischer Eliten aus dem <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Projekt<br />
A3. Aufgrund der angestrebten Vollerhebung<br />
und der großen geografischen Ausdehnung<br />
der Grundgesamtheit war es unmöglich, die<br />
Erhebung über „Face-to-Face“-Interviews zu<br />
realisieren. Neben diesen Faktoren sprach vor<br />
allem die schnelle Verfügbarkeit der Daten für<br />
die Durchführung einer computergestützten<br />
Telefonbefragung. Da politische Eliten auf<br />
Grund ihres Statusbewusstseins ein persönliches<br />
Interview bevorzugen, spielte auch bei<br />
dieser Befragung die Kontaktaufnahme und<br />
das „Überwinden“ des Sekretariates eine entscheidende<br />
Rolle. Die Interviewer benötigen<br />
eine hohe technische und fachliche Kompetenz,<br />
um einen starren Gesprächsverlauf zu<br />
vermeiden. Für künftige Befragungen plant<br />
die Projektgruppe eigene Hilfskräfte als Interviewer<br />
einzusetzen, die Wissen über parlamentarische<br />
Eliten haben sollten. Als Kriterien<br />
für die Beendigung einer Befragung wurden<br />
bisher entweder das Erreichen der gewünschten<br />
Stichprobe oder die Überschreitung des<br />
geplanten Forschungsbudget betrachtet. Der<br />
Referent stellte dar, dass durchaus rationalere<br />
Abbruchkriterien die Qualität der<br />
Erhebung nicht beeinträchtigt hätten.<br />
Es zeigte sich nämlich, dass die Be-<br />
Seite 88 fragung, die 95 Tage dauerte, bereits<br />
nach 60 bis 65 Tagen eine sehr gute<br />
Repräsentativität erreicht hatte. Wäre<br />
keine Vollerhebung angestrebt gewesen, hätte<br />
man, aus ökonomischer Sicht die Befragung<br />
nach ca. zwei Monaten abbrechen und verbliebene<br />
Gelder für selektive Tiefeninterviews<br />
verwenden können. Stefan Jahr bestätigte die<br />
Wichtigkeit eines vollständigen Pretestes. Die<br />
Befragungszeit aus Kostengründen über gedrittelte<br />
Pretests zu aproximieren, unterschätzte sie<br />
um 10 Minuten.<br />
Zusammenfassend wurde die Verwendung<br />
von CATI als „sehr geeignet“ bei der Elitenbefragung<br />
bewertet, obwohl Telefonbefragungen<br />
durch lange Vorbereitungen zeitaufwändig und<br />
durch die Anfertigung von Informationsmaterial<br />
kostenintensiv sind. In der anschließenden<br />
Diskussion wurde aufgezeigt, dass des Informationsmateriales<br />
allerdings auch ohne die<br />
Verwendung von CATI anfallen würde.<br />
Sören Petermann vom <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Projekt A4,<br />
ging in seinem Vortrag unter anderem auf die<br />
Personalisierung von Fragebögen im Rahmen<br />
von Netzwerkerhebungen ein. Auch stellte er<br />
Argumente für die Verwendung von CATI<br />
vor. Durch die hohe Telefondichte können<br />
gerade Befragungen räumlich ausgedehnter<br />
Grundgesamtheiten günstig durchgeführt und<br />
komplexe Fragebögen mittels Filterführung für<br />
den Interviewer verwendet werden. Durch die<br />
Personalisierung der Fragbögen mittels vorab<br />
gesammelter Informationen ist es möglich,<br />
gezielt Filter einzusetzen und spezifische<br />
Fragen an den Interviewpartner zu stellen. In<br />
einer Untersuchung wurden bis zu 50 „Vorab-<br />
Informationen“ über die zu befragende Person<br />
gesammelt und in den Befragungsprozess<br />
eingespeist. Bei einer allgemeinen Bevölkerungsbefragung<br />
zu egozentrierten Netzwerken<br />
aus dem Jahr 2000 wurden sogar bis zu 1300<br />
Informationen während des Interviews neu<br />
generiert. Durch einen programmierten Fragebogen<br />
kann das Interview flüssiger geführt
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
werden. Der programmierte Fragebogen<br />
könnte natürlich auch ohne Telefon verwendet<br />
werden. Jedoch ermögliche nach Ansicht des<br />
Referenten die Verwendung des Telefons, das<br />
lästige Mitschreiben bzw. Eintippen der Antworten<br />
dem Blickfeld der Befragten zu entziehen.<br />
Das Interview am Telefon bleibe sachlich<br />
und professionell.<br />
Thomas Engel, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe<br />
von Michael Behr, ging in seinem<br />
Vortrag auf das Verhältnis zwischen offenen<br />
und geschlossenen Fragen ein. Die Forschergruppe<br />
führt seit 1998 CATI-Befragungen,<br />
vor allem von Personalchefs und Geschäftsführern.<br />
durch. Der Umfang der Fragebögen<br />
variiert zwischen 20 und 100 Fragen. Die<br />
Erfahrungen der Gruppe haben gezeigt, dass<br />
offene Fragen im Telefoninterview durchaus<br />
einsetzbar sind. Bestimmte Themen erfordern<br />
gerade dieses Design. Ein anderer Grund für<br />
die Verwendung offener Fragen ist, dass sie<br />
den Gesprächsverlauf positiv beeinflussen<br />
können, da der Befragte das Gefühl bekommt,<br />
nicht nur standardisierte Antworten geben zu<br />
müssen. Durchschnittlich wurden ein Viertel<br />
der Fragen offen gestaltet, um die „Diktatur“<br />
des Fragebogens aufzubrechen. Die Anforderungen<br />
an die Interviewer seien hoch. Günstig<br />
sei es, Studenten mit einigen Semestern Erfahrung<br />
einzusetzen.<br />
Das CATI-System kann unter Verwendung<br />
eines eingespielten Teams von Interviewern<br />
und der CATI-Verwaltung schnelle Ergebnisse<br />
vorweisen. So wurde zum Beispiel in nur einem<br />
Monat eine Studie mit ca. 400 Interviews<br />
durchgeführt. Die Auswertung der offenen<br />
Fragen erfolgt zurzeit mit dem Programm<br />
„Max QDA“. Diese Analysen befinden sich<br />
aber noch im Anfangsstudium. Jedoch können<br />
schon jetzt durch die Analysesoftware Belegstellen<br />
in den Texten der offenen Antworten<br />
einfach wiedergefunden und zusammengestellt<br />
werden.<br />
Im Anschluss an die Statements der<br />
einzelnen Projekte ergriffen zwei Interviewerinnen<br />
das Wort, um einige der angesprochenen<br />
Punkte aus ihrer Sicht darzustellen.<br />
Petra Kirch, Soziologiestudentin der Martin-<br />
Luther-<strong>Universität</strong> Halle, berichtete über die<br />
Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme und<br />
Gesprächsführung bei zwei Erhebungen. Bei<br />
einer Befragung von Jugendlichen musste zunächst<br />
die Hürde „Eltern“ überwunden werden,<br />
um dann ein Interview mit den Zielpersonen<br />
führen zu können. Anhand einer anderen Befragung<br />
wurde referiert, dass die Opfer einer<br />
Flutkatastrophe auf Grund der emotionalen<br />
Betroffenheit die „geplante“ Gesprächsdauer<br />
häufig überschritten, da sie umfangreichere<br />
Antworten gaben als ursprünglich erwartet<br />
worden war. In beiden Fällen gab es im Vergleich<br />
zu einer Umfrage unter Betriebsräten<br />
weniger Gesprächsabbrüche. Die Befragung<br />
von Unternehmens- bzw. Geschäftsfilialen<br />
bereitete Schwierigkeiten, da die Interviewer<br />
häufig an die entsprechende Zentrale verwiesen<br />
wurden.<br />
Nicole Meingast, Studentin der <strong>Friedrich</strong>-<br />
<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>, betonte<br />
noch einmal die Wichtigkeit der Anschreiben<br />
vor der ersten Kontaktauf-<br />
Seite 89<br />
nahme. Diese Legitimation ermöglicht<br />
oft erst, an den „berüchtigten“<br />
Sekretärinnen vorbeizukommen. Ebenfalls<br />
hilft hier auch viel Überredungskunst, um<br />
zur gewünschten Zielperson durchgestellt zu
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
werden. Erwiesenermaßen steigt das Risiko<br />
des Interviewabbruches, je länger ein Interview<br />
dauert. Schon bei der Akquisition ist<br />
die Angabe der voraussichtlichen Dauer eines<br />
Interviews ein nicht unwesentlicher Faktor für<br />
die Terminvereinbarung. Als sehr nützlich hat<br />
es sich daher erwiesen, mit variierenden Zeitangaben<br />
zu operieren. Bei vielen offenen Fragen<br />
kann man auch auf die Zeitabhängigkeit<br />
der Ausführungen des Interviewten verweisen<br />
und sich so einen kommunikativen Spielraum<br />
verschaffen.<br />
In einer anschließenden kurzen Diskussion<br />
über die Notwendigkeit postalischer<br />
Anschreiben wurden Überlegungen angestellt,<br />
ob es nicht vielleicht sinnvoller und<br />
kostengünstiger wäre, entweder ganz auf<br />
Anschreiben zu verzichten oder sie per E-<br />
Mail oder Fax an die betreffende Person zur<br />
Legitimation zu versenden. Einig waren sich<br />
die Diskussionsteilnehmer darüber, dass Anschreiben<br />
für die Anbahnung von Gesprächen<br />
bei Unternehmensbefragungen sinnvoll sind,<br />
da sie die Seriosität und das Interesse der Forschungseinrichtung<br />
dokumentieren. Das ZSH<br />
führt inzwischen Versuchsbefragungen ohne<br />
Anschreiben durch, bzw. die Anschreiben<br />
werden nur auf ausdrücklichen Wunsch und<br />
Interesse der Gesprächspartner verschickt.<br />
den 1970er Jahren aus, 20 Intensivinterviews<br />
zu führen, welche dann in mehreren Jahren<br />
ausgewertet wurden. Heute werden weitaus<br />
größere Stichprobenzahlen von Drittmittelgebern<br />
erwartet.<br />
Gerade bei mittleren Fallzahlen, d.h. weniger<br />
als 1000 Interviews, erweist sich das CATI-<br />
System als optimales Forschungsinstrument,<br />
weil es ökonomisch sinnvoll ist. Besonderes<br />
Augenmerk sei jedoch auf die Anforderungen<br />
an die Interviewer zu legen, die bei Eliten- und<br />
Expertenbefragungen sehr hoch seien. Auch<br />
wurde die Hypothese vertreten, dass Selbstdarstellungsbedürfnisse<br />
von Eliten durch die<br />
Kommunikation mittels Telefon „gedämpft“<br />
werde, was die Möglichkeiten telefonischer<br />
Befragungen bei dieser Zielpopulation erhöhe.<br />
Zum Ende des Kolloquiums<br />
ergriff Michael Behr das Wort. Er<br />
zeigte auf, dass sich in der Forschung<br />
Seite 90 ein Paradigmenwechsel weg vom<br />
„Face-to-Face“-Interview hin zum<br />
Telefoninterview vollziehe, da sich<br />
die Anforderungen an die Forscher, insbesondere<br />
in der Industrie- und Arbeitssoziologie,<br />
drastisch gewandelt haben. So reichte es in
Kolloquiumsprotokoll<br />
Einleitung<br />
Seite 91
Seite 92<br />
Vitae
Autoren<br />
Michael Behr, geb. 1960, Dr. phil.,<br />
Studium der Soziologie in Freiburg, 1988 bis<br />
1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
<strong>Universität</strong> Bielefeld im Themenfeld sozialwissenschaftliche<br />
Begleitforschung zum Technikeinsatz<br />
in Industrieunternehmen, 1990 bis<br />
1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TH<br />
Darmstadt: Arbeiten zur Sozialstrukturanalyse<br />
und Industriesoziologie, 1993 bis 1995 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Universität</strong><br />
Erlangen/Nürnberg: Promotion zum Thema<br />
Arbeit und Subjektivität „Perspektiven eines<br />
neuen Arbeitstyps“, 1995 bis 2001 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong>: Analyse regionaler Arbeitsmärkte und<br />
betrieblicher Personalpolitik, Fachkräfteentwicklung,<br />
Analysen zu Erwerbsbiographien<br />
und beruflicher Ausbildung, 2002-2004 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der Forschungsstelle<br />
Sozialökonomik der Arbeit an der TU<br />
Chemnitz: Leitung eines BMBF-Projektes<br />
zum Thema Früherkennung von Personal- und<br />
Qualifizierungsbedarf in Ostdeutschland, seit<br />
2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am <strong>Jena</strong>er<br />
Zentrum für empirische Sozial- und Kulturforschung<br />
an der <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>: Analyse von<br />
regionalen Arbeitsmärkten und betrieblicher<br />
Personalpolitik u.a. aus Beschäftigtenperspektive.<br />
e-mail: michael.behr@uni-jena.de<br />
Thomas Engel, geb. 1974, M.A.,<br />
1992 bis 1994 Ausbildung zum Buchhändler<br />
in Bayreuth, 1994 bis 2001 Studium der Soziologie<br />
und Politikwissenschaft in <strong>Jena</strong>, seit 2001<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der <strong>Friedrich</strong>-<br />
<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> und der Technischen<br />
<strong>Universität</strong> Chemnitz – Arbeitsschwerpunkte:<br />
Arbeitsmarkt, Berufsbildung, Qualifikation,<br />
Transformation. Promotionsvorhaben zu Innovationsprozessen<br />
im Hightechsektor.<br />
e-mail: thomas.engel@uni-jena.de<br />
Seite 93
Autoren<br />
Ina Götzelt, geb. 1979, Dipl. Soz.,<br />
Studium an der TU Dresden in den Fächern<br />
Soziologie, Volkswirtschaft und öffentliches<br />
Recht. Seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Sonderforschungsbereich <strong>580</strong>, Projekt<br />
B2, Arbeitsschwerpunkte: Arbeitsmarktstruktur<br />
und -politik, Transformationsprozesse in<br />
Osteuropa und Methoden. Z.Z. Promotion<br />
zum Thema Arbeitsmarktsegmentation und<br />
soziale Sicherheit.<br />
e-mail: ina.goetzelt@uni-jena.de<br />
Stefan Jahr, geb. 1975, Studium der<br />
Soziologie und Betriebswirtschaftslehre in<br />
Leipzig; wissenschaftliche Hilfskraft am<br />
Lehrstuhl „Vergleichende Analyse von Gegenwartsgesellschaften“<br />
an der <strong>Universität</strong><br />
Leipzig; zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
des Forschungsprojekts zu parlamentarischen<br />
Führungskräften im Sonderforschungsbereich<br />
<strong>580</strong> sowie Dozent am Institut für Soziologie<br />
der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>; Arbeit<br />
an einer Promotion über Karrieren parlamentarischer<br />
Mandatsträger und ihren Werdegang<br />
nach Ausscheiden aus der Legislative.<br />
e-mail: stefan.jahr@uni-jena.de<br />
Seite 94
Autoren<br />
Bernd Martens, geb. 1955, Dr.<br />
phil., Soziologe, Promotion 1990 (an der<br />
<strong>Universität</strong> Hamburg), Habilitation 1998 an<br />
der <strong>Universität</strong> Tübingen. Wissenschaftliche<br />
Tätigkeiten an der <strong>Universität</strong> der Bundeswehr<br />
in Hamburg sowie an den <strong>Universität</strong>en<br />
Hamburg, Tübingen und Karlsruhe. Seit 2001<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt A2<br />
„Generationswechsel im Management“ des<br />
Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong>.<br />
e-mail: bernd.martens@uni-jena.de<br />
Sören Petermann, geb. 1970, Dr.<br />
phil., Studium der Soziologie und allgemeinen<br />
Sprachwissenschaft an den <strong>Universität</strong>en<br />
Leipzig und Utrecht. Seit 1997 Mitarbeiter am<br />
IfS der Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg.<br />
Seit 2001 Mitarbeiter im Teilprojekt<br />
A4 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>. Forschungs-schwerpunkte<br />
sind Sozialkapitalforscchung, Analyse sozialer<br />
Netzwerke, Sozialstrukturforschung.<br />
e-mail: soeren.petermann@soziologie.uni-halle.de<br />
Seite 95
Autoren<br />
Thomas Ritter, geb. 1967, M.A.,<br />
Studium der Soziologie, Medienwissenschaft<br />
und Psychologie in <strong>Jena</strong>, seit 2004 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Friedrich</strong>-<br />
<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>. Arbeitsschwerpunkt:<br />
Wissenschaftliche und organisatorische Betreuung<br />
des CATI-Labors<br />
e-mail: thomas.ritter@uni-jena.de<br />
Seite 96
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Jahrelang haftete der telefonischen Befragung das Stigma<br />
einer „quick and dirty“ Erhebungsmethode an und schien<br />
deshalb im Besonderen nicht für Experten- oder Elitenbefragungen<br />
geeignet zu sein.<br />
Technische Innovationen wie z.B. die Computerunterstützung<br />
der telefonischen Befragung, haben sich positiv auf die<br />
Qualität der Daten und die Rentabilität des Instruments<br />
ausgewirkt und der Befragung am Telefon neue Einsatzgebiete<br />
eröffnet. Dennoch gehörte die Befragung von Experten<br />
und Eliten bislang noch nicht dazu. Erstmals systematisch in<br />
Elite- und Expertenpopulationen eingesetzt wurde die CATI<br />
Erhebungsmethode im Rahmen des Sonderforschungsbereiches<br />
<strong>580</strong> an den <strong>Universität</strong>en <strong>Jena</strong> und Halle.<br />
Die Beiträge im vorliegenden Heft dokumentieren die Erfahrungen<br />
der einzelnen Projekte bei den durchgeführten<br />
telefonischen Befragungen ökonomischer und parlamentarischer<br />
Eliten und legen erste verallgemeinernde Schlussfolgerungen<br />
zur Anwendung des CATI - Instrumentes für die<br />
Befragung von Experten vor.<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> - CATI Labor (2006) ISSN 1619-6171