ZBJV 2013 - servat.unibe.ch - Universität Bern
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798 Walter Kälin et al. <strong>ZBJV</strong> ·Band 149 · <strong>2013</strong><br />
In der Rede zum Minarettverbot hatte der Präsident der Jungen SVP<br />
zwar eine «S<strong>ch</strong>weizer Leitkultur» gegenüber dem «Fremden» eingefordert.<br />
Darin sah das Geri<strong>ch</strong>t allerdings keine paus<strong>ch</strong>ale Gerings<strong>ch</strong>ätzung<br />
von Muslimen, sodass der Sa<strong>ch</strong>behauptungskern als fals<strong>ch</strong> anzusehen<br />
sei. Obglei<strong>ch</strong> das Bundesgeri<strong>ch</strong>t betont, dass der wertende<br />
Gehalt unter Umständen au<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>e Sa<strong>ch</strong>behauptungselemente mit<br />
zu s<strong>ch</strong>ützen vermag (E. 4.1.3), sah es in diesem Fall die Grenze des<br />
Vertretbaren bereits als übers<strong>ch</strong>ritten an.<br />
An dem Ents<strong>ch</strong>eid ist von GrusEP NAY mit Re<strong>ch</strong>t kritisiert worden,<br />
dass er die Grenze zwis<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptung und Werturteil<br />
fals<strong>ch</strong> zieht. 13 Ein Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsadressat würde angesi<strong>ch</strong>ts der hinlängli<strong>ch</strong><br />
bekannten Definitionss<strong>ch</strong>wierigkeiten 14 gar ni<strong>ch</strong>t erwarten,<br />
dass in der Behauptung eines «verbalen Rassismus» ein beweisbarer<br />
Kern stecken könnte. Vielmehr handelt es si<strong>ch</strong> erkennbar insgesamt<br />
um ein negatives Werturteil im politis<strong>ch</strong>en Meinungskampf, für dessen<br />
Äusserung in einer freiheitli<strong>ch</strong>en Demokratie der grösstmögli<strong>ch</strong>e<br />
Freiraum gewährt werden muss. Würde man die jetzige Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />
des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts no<strong>ch</strong> einen kleinen S<strong>ch</strong>ritt weitertreiben<br />
und einen sol<strong>ch</strong>en Freiraum konsequent verneinen, dann wäre wohl<br />
zukünftig in allen verglei<strong>ch</strong>baren Fällen entweder die Strafbarkeit<br />
wegen Rassendiskriminierung (Art. 261 bis StGB) 15 oder umgekehrt<br />
die Ehrverletzung wegen unbere<strong>ch</strong>tigten Rassismusvorwurfs zu konstatieren<br />
- wahrli<strong>ch</strong> keine kommunikationsfördernde Re<strong>ch</strong>tslage.<br />
1.2 Tierversu<strong>ch</strong>e als «Massenverbre<strong>ch</strong>en»<br />
Während die li. zivilre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Abteilung in dem soeben erwähnten<br />
Ents<strong>ch</strong>eid den Ehrens<strong>ch</strong>utz zulasten der Meinungsfreiheit<br />
stärkte, gab die strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Abteilung selbst überspitzter Kritik in<br />
der demokratis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit Raum und hob eine Verurteilung<br />
13 GrusEP NAY, Ents<strong>ch</strong>eidbespre<strong>ch</strong>ung zu BGer 5A_82/2012, in: AJP 2012,<br />
1809-1812 (1811 f.). Zu anderen kritis<strong>ch</strong>en Aspekten siehe REGJNA AEBI-MÜLLER,<br />
Anmerkungen, in: medialex 2012, 206-210 (209 f.).<br />
14 Dazu ausführli<strong>ch</strong> TAREK NAGUIB, Wenn der Antirassismus staatli<strong>ch</strong> sanktioniert<br />
wird. Urteil