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69. Jg.-Nr. 135 Winter 2005 - carocktikum.de

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Das Signal blieb auf Halt<br />

Der Autor dieses Beitrags stand längere Zeit mit Paul Görk, einem ehemaligen Fahrdienstleiter<br />

in Kontakt und erfuhr von ihm, wie die Sprengung <strong>de</strong>r Eisenbahnbrücken in <strong>de</strong>n<br />

letzten Kriegstagen in Neustrelitz verhin<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. Paul Görk arbeitete nach Kriegsen<strong>de</strong><br />

noch einige Jahre bei <strong>de</strong>r Deutschen Reichsbahn. Mit Eintritt in das Rentenalter lebte er noch<br />

für kurze Zeit in Neustrelitz und zog dann nach Westberlin. Eine Anerkennung für seine<br />

mutige Tat hat Paul Görk nie erfahren. Es gab zwar hin und wie<strong>de</strong>r einige anerkennen<strong>de</strong><br />

Worte, aber man konnte ihm nicht verzeihen, dass er Mitglied <strong>de</strong>r Nazipartei gewesen war.<br />

Paul Görk, <strong>de</strong>r kein politischer Mensch gewesen war, wollte seine Ruhe haben und ist <strong>de</strong>shalb<br />

passives Mitglied einer Partei gewor<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>ren Zielen er sich nie i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

konnte. Er wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb auch „entnazifiziert“, wie es damals hieß.<br />

Paul Görk zog später zu seiner Schwester nach München. In München verliert sich auch<br />

seine Spur. Vermutlich ist er dort gestorben. Weitere Nachforschungen wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Autor<br />

damals von <strong>de</strong>n DDR- Behör<strong>de</strong>n untersagt. Ein Beitrag über die Rettung <strong>de</strong>r Neustrelitzer<br />

Eisenbahnbrücken durfte aber in einer kleinen Regionalzeitung veröffentlicht wer<strong>de</strong>n. Eine<br />

gekürzte Fassung wur<strong>de</strong> dann 1975 in einer Broschüre anlässlich <strong>de</strong>s 30. Jahrestages <strong>de</strong>r Befreiung<br />

vom Hitlerfaschismus gedruckt. Hier wur<strong>de</strong> dann noch einmal eine Fälschung vorgenommen<br />

und Paul Görk kurzerhand zum „Genossen“ gemacht.<br />

<strong>2005</strong> – 60 Jahre nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 2. Weltkrieges. Erinnerungen wer<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r wach an<br />

die letzten Kriegstage im April 1945 in Neustrelitz. Über <strong>de</strong>r ehemaligen Mecklenburg-<br />

Strelitzer Resi<strong>de</strong>nzstadt lag eine gedrückte Stimmung. Immer mehr Flüchtlinge waren in<br />

<strong>de</strong>n letzten Wochen und Tagen aus Pommern, West- und Ostpreußen in <strong>de</strong>r Stadt eingetroffen.<br />

Diese Menschen mussten in Notquartieren untergebracht und mit Lebensmitteln<br />

versorgt wer<strong>de</strong>n.<br />

Einwohner <strong>de</strong>r Stadt gerieten in Panik, verließen ihr Zuhause o<strong>de</strong>r nahmen sich aus<br />

Angst und Verzweiflung im Glambecker See das Leben. Viele fast unlösbare Probleme<br />

stan<strong>de</strong>n an, Chaos begann sich auszubreiten. Die braunen Machthaber versuchten mit Propaganda<br />

und Drohungen auf die Einwohner und Flüchtlinge einzuwirken. Vorwiegend ältere<br />

Bürger und Frauen wur<strong>de</strong>n verpflichtet, Baumstämme in aufgerissenen Straßen in die<br />

Er<strong>de</strong> zu graben.<br />

Mit diesen so genannten Panzersperren sollten die russischen Panzer aufgehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine Panzersperre wur<strong>de</strong> direkt hinter <strong>de</strong>r Eisenbahnbrücke zum Südbahnhof errichtet.<br />

Hauptbahnhof Neustrelitz<br />

Auf <strong>de</strong>m Hauptbahnhof von Neustrelitz herrschte zu dieser Zeit noch reger Betrieb.<br />

Der sechzigjährige Fahrdienstleiter Paul Görk hatte auf <strong>de</strong>m Stellwerk Ntf, das sich<br />

am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bahnsteiges befand, Dienst. Die letzten Tage waren für ihn sehr anstrengend<br />

gewesen. Er hatte in <strong>de</strong>n letzten Stun<strong>de</strong>n wenig Schlaf gefun<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>nklich stand er<br />

am Fenster, das ein wenig geöffnet war. Ein leiser Luftzug wehte ihm entgegen. Soeben<br />

hatte ein so genannter Befehlszug in Richtung Stralsund <strong>de</strong>n Bahnhof verlassen. Wochenlang<br />

hatte er als eine Art Kommandozentrale am Kiesberg gestan<strong>de</strong>n und oft sich wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong><br />

Befehle zum Durchhalten erteilt.<br />

Der schrille Ton <strong>de</strong>s Telefons riss Paul Görk aus seinen Gedanken. „ Fahrdienstleiter<br />

Görk ....!“ Wie<strong>de</strong>r erhielt er einen Befehl. Diesmal war es Inspektor Staginsky von <strong>de</strong>r<br />

Zugleitung. Ein Militärzug sollte zur Verstärkung <strong>de</strong>r Wehrmacht nach Berlin Ausfahrt er-<br />

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