69. Jg.-Nr. 135 Winter 2005 - carocktikum.de
69. Jg.-Nr. 135 Winter 2005 - carocktikum.de
69. Jg.-Nr. 135 Winter 2005 - carocktikum.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Und schließlich noch einmal die dysfunktionale Perspektive dieses Vergleichs: Ich<br />
könnte meine „eigenen Welten“ schaffen wollen, die mich völlig isolieren, könnte Anomie<br />
und Sinnlosigkeit empfin<strong>de</strong>n und diese Empfindungen ausleben. Kurzum: Ich bin „anormal“,<br />
weil unfähig zu zwischenmenschlicher Kommunikation. Suche und Sehnsucht führen<br />
mich zur Sucht !<br />
Wie kohärent bzw. wie inkohärent sind diese meine Bil<strong>de</strong>r von mir ?<br />
Diese meine Bil<strong>de</strong>r von mir können weitgehend in sich wi<strong>de</strong>rspruchsfrei (kohärent)<br />
o<strong>de</strong>r voller Wi<strong>de</strong>rsprüche (inkohärent) sein. Die Anzahl meiner <strong>de</strong>monstrativen Ausrufezeichen<br />
in <strong>de</strong>n Spalten „Kohärenz“ bzw. Inkohärenz <strong>de</strong>uten die interne Struktur meines<br />
Selbstbil<strong>de</strong>s an.<br />
Deutsche und ausländische Stu<strong>de</strong>nten und Stu<strong>de</strong>ntinnen sehr unterschiedlicher Fachbereiche<br />
wie Informatik, Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Verfahrenstechnik, Betriebswirtschaft<br />
und Pädagogik , die sich im <strong>Winter</strong>-semester 2001/02 an einer bayerischen Universität<br />
auf ihre Abschlußprüfungen vorbereiteten, zeigten kohärente Selbstbil<strong>de</strong>r und damit<br />
Selbstverständnisse, die selbst externe Headhunter und Personalentwickler, <strong>de</strong>nen wir<br />
diese MIL-Daten zur Beurteilung vorlegten, verblüfften. Namentlich <strong>de</strong>r Aspekt „Selbst-<br />
Annahme“ erwies sich als ausgesprochen stabil bzw. wi<strong>de</strong>rspruchsfrei.<br />
Dieses sehr persönliche Gefühl o<strong>de</strong>r auch Erleben von Kohärenz ist im Sinne <strong>de</strong>r salutogenetischen<br />
Philosophie Aaron Antonovskys eine lebensgestalten<strong>de</strong> Ressource <strong>de</strong>s Individuums,<br />
die ernste Distress-Belastungen wie Krankheit, Traumata und an<strong>de</strong>re Krisen<br />
leichter annehmen und bewältigen hilft. An<strong>de</strong>re Autoren sprechen hier vom sog. R-Faktor<br />
– gemeint ist die Resilienz als Ausdruck indivueller Fähigkeit, sich mit beson<strong>de</strong>ren Belastungen<br />
und Herausfor<strong>de</strong>rungen erfolgreich auseinan<strong>de</strong>rsetzen zu können.<br />
Nach dieser Philosophie soll ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl zur För<strong>de</strong>rung und Aufrechterhaltung<br />
<strong>de</strong>r Gesundheit beitragen. Dieses Gefühl setzt sich nach Antonovsky aus<br />
drei eng miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>nen Komponenten zusammen:<br />
Verstehbarkeit (comprehensibility) bezeichnet das Ausmaß, in <strong>de</strong>m Reize, Ereignisse<br />
o<strong>de</strong>r Entwicklungen als strukturiert, geordnet und vorhersehbar wahrgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Machbarkeit (manageability) bezieht sich auf das Ausmaß, in <strong>de</strong>m eine Person geeignete<br />
personale und soziale Ressourcen wahrnimmt, um interne und externe Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
bewältigen zu können. Sinngebungsfähigkeit (meaningfulness) schließlich meint das<br />
Ausmaß, in <strong>de</strong>m ein Individuum sein Leben als sinnvoll empfin<strong>de</strong>t, obwohl es (noch) wenig<br />
Wissen und Macht besitzt. Das Leben stellt Anfor<strong>de</strong>rungen und Herausfor<strong>de</strong>rungen,<br />
die es wert sind, angenommen zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Fazit und Perspektive<br />
Das Selbstkonzept ist das vorläufige Ergebnis unserer sehr persönlichen („individuellen“,<br />
letztlich „unteilbaren“) Wahrnehmungen und Auslegungen unserer eigenen Persönlichkeit<br />
und Lebensumstän<strong>de</strong>. Die Art und Weise, wie wir uns selbst wahrnehmen, beeinflußt<br />
unser Verhalten, und eben dieses Verhalten beeinflußt wie<strong>de</strong>rum diese unsere<br />
Selbstwahrnehmung. Dabei kommt <strong>de</strong>r datengestützen („Erfahrung“) o<strong>de</strong>r vielleicht<br />
auch „nur“ virtuellen Beurteilung durch machtvolle Bezugspersonen, unseren ausgewählten<br />
„Powerfull Others“ (Eltern, Lebenspartner, Vorgesetzte, Idole) für die Gestaltung unseres<br />
alltäglichen Verhaltens wegweisen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung zu.<br />
Selbstwahrnehmung ist keine selbständige Größe innerhalb unserer Persönlichkeit,<br />
son<strong>de</strong>rn ein hypothetisches Konstrukt, das uns hilft, unser gegenwärtiges und vielleicht<br />
auch zukünftiges Han<strong>de</strong>ln zu erklären und vielleicht auch vorherzusagen.<br />
54