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PDF-Download: Laudatio - TERTIANUM-Stiftung

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STIFTUNG<br />

Preisverleihung Menschenwürde 2010<br />

<strong>Laudatio</strong> auf Iren Meier<br />

von<br />

Klara Obermüller<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Iren Meier,<br />

Iren Meier und ich wissen es, Sie alle wissen es vermutlich auch: Um die Medien ist es<br />

momentan nicht zum Besten bestellt. Sie stehen unter enormem Druck, materiell und<br />

ideell, und sie reagieren darauf mit Methoden und Strategien, die zum Teil<br />

bedenkliche Folgen haben. Um die finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen,<br />

bauen die Verlage Stellen ab, gehen Fusionen ein und setzen ihr publizistisches Profil<br />

aufs Spiel. Um dem Druck von Internet und Gratiszeitungen zu begegnen, senken die<br />

Redaktionen das Niveau und machen auf Boulevard auch dort, wo der Boulevard<br />

nichts zu suchen hat. Die Konsequenz dieser EntWicklung: Die Berichterstattung wird<br />

immer oberflächlicher, die Medienlandschaft immer eintöniger. Seriöser Recherche-<br />

Journalismus und kritische Aufklärungsarbeit haben es zusehends schwer, sich in<br />

diesem Umfeld zu behaupten. Sie sind zeitintensiv und teuer und ohne den nötigen<br />

intellektuellen Background nicht zu bewältigen. An ihre Stelle treten deshalb die Fast-<br />

Food-Information, der Thesen-Journalismus, die zugespitzte, aufgeblasene Skandal-<br />

Story, die für Schlagzeilen sorgt und morgen schon wieder in Vergessenheit geraten<br />

ist.<br />

Keine Angst, ich will Ihnen hier keinen medienkritischen Vortrag halten. Ich erzähle<br />

Ihnen das alles nur, weil es den Hintergrund abgibt, vor dem unsere heutige<br />

Preisträgerin zu würdigen ist. Dass einem Journalisten oder einer Journalistin ein Preis<br />

für Menschenwürde verliehen wird, ist nämlich alles andere als selbstverständlich.<br />

Journalismus ist eine Branche, die von Zynismus beherrscht wird. Menschenwürde ist<br />

gut, solange sie - genauer: ihre Verletzung - eine gute Story abgibt. Ansonsten<br />

überlassen wir ethische Überlegungen lieber den Ombudsstellen und Presseräten, die<br />

einfordern, was im journalistischen Alltag notorisch verletzt wird.<br />

Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt Verleger und Programmleiter, die ihren<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Rücken frei halten und ihnen die nötigen Mittel<br />

zur Verfügung stellen. Und es gibt noch immer Journalistinnen und Journalisten, die<br />

das Ethos ihres Berufsstandes hochhalten, sich dem weit verbreiteten Zynismus<br />

verweigern und sich stattdessen berühren lassen von dem, was Tag für Tag an<br />

Unrecht, Not und Gewalt auf dieser Welt geschieht. Eine dieser Ausnahmen hier in der<br />

Schweiz ist Iren Meier, zur Zeit Nahost-Korrespondentin von Radio DRS mit Sitz im<br />

libanon.<br />

Wer regelmässig "Rendez-vous" oder "Echo der Zelt" hört, weiss, von wem ich<br />

spreche. Iren Meier ist seit Jahren - genauer: seit 1~81 - für Schweizer Radio DRS<br />

tätig, zunächst in der Nachrichtenredaktion, später in der Inland- sowie der<br />

Auslandredaktion. Mehrere Jahre hat sie das "Echo der Zeit" auch moderiert. Dann,<br />

Der


-- 11<br />

1992, kam der grosse Aufbruch. Iren Meier erkannte früh, welche Bedeutung den<br />

Ländern Osteuropas nach der Wende von 1989 zukommen würde - und auch, welche<br />

Konfliktfelder sich hier auftaten, nachdem die totalitären Regime zusammengebrochen<br />

waren. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Max Schmid baute sie deshalb in Prag das<br />

erste Osteuropa-Büro von Radio DRS auf und gedachte fortan über die politischen und<br />

gesellschaftlichen Verwerfungen in den einstigen Satellitenstaaten der Sowjetunion zu<br />

berichten.<br />

Doch es kam anders. Noch im gleichen Jahr 1992 brach der Krieg in Bosnien aus, und<br />

Iren Meier sah sich buchstäblich über Nacht gezwungen, ihre Tätigkeit ins auseinander<br />

driftende Jugoslawien zu verlagern. Ganz ehrlich gibt sie heute zu, dass sie damals<br />

vom 8alkan keine Ahnung hatte und sich auf die Schnelle einarbeiten musste. Und<br />

noch von etwas anderem hatte die Schweizerin keine Ahnung: vom Krieg und seinen<br />

brutalen Auswirkungen auf den Menschen. Das sollte sich in den folgenden Jahren<br />

schnell ändern. Iren Meier wurde bald die Stimme, die uns Abend für Abend in<br />

unseren guten Stuben aufstörte, um über ethnische Säuberungen, über Gemetzel,<br />

Folterungen und Vertreibungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zu<br />

berichten. Sie tat es mit kühlem Kopf und heissem Herzen, kenntnisreich, punktgenau<br />

und mit grosser innerer Anteilnahme. Wenn einer wissen möchte, wie man<br />

journalistische Distanz und Empathie miteinander verbindet - bei Iren Meier kann er<br />

es lernen.<br />

An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Iren Meier ist 2001 zwar aus<br />

Belgrad zurückgekehrt. Doch lange hielt es sie nicht im ruhigen Bern. Bereits 2004<br />

war sie wieder im Einsatz: diesmal im Nahen Osten, wo die Konflikte womöglich noch<br />

verworrener, die Probleme noch unlösbarer sind als im ehemaligen Jugoslawien. Iren<br />

Meier hat Beirut als ihren Wohnsitz gewählt. Von dort schwärmt sie aus, nach<br />

Damaskus, Kairo oder Amman, nach Gaza, Ramallah und Jerusalem, um vor Ort und<br />

im persönlichen Gespräch über die Brennpunkte des Nahostkonflikts zu berichten:<br />

über die politischen Akteure, über Oppositionelle, die Widerstand leisten, und immer<br />

auch über ganz gewöhnliche Menschen, die in ihrem täglichen Leben von Krieg und<br />

Terror betroffen sind.<br />

Iren Meier ist eine Journalistin, die nahe heran geht, genau hinschaut und hinhört und<br />

in ihren Berichten auch die eigene Betroffenheit nicht ausklammert. Ein Grossteil ihrer<br />

Hörerinnen und Hörer ist ihr dankbar dafür, und ich hielte hier diese <strong>Laudatio</strong> nicht,<br />

wenn ich mich nicht dazu zählte. Ich schätze und bewundere Iren Meier dafür, dass<br />

sie für mich dort hinschaut, wo ich es selbst nicht tun kann, und mich dadurch immer<br />

wieder vor Abstumpfung und drohender Gleichgültigkeit bewahrt.<br />

Es gibt aber natürlich auch solche - und das weiss Iren Meier sehr genau -, die<br />

abschalten, innerlich oder auch tatsächlich, wenn sie ihre Stimme hören. Denn sie<br />

wissen: Jetzt kommt etwas, das sie im Grunde nicht hören wollen, nicht ertragen,<br />

etwas, das sie in ihrer satten Genügsamkeit aufstört und sie daran erinnert, wie unheil<br />

diese Welt im Grunde doch ist.<br />

In einem Referat zum Thema "Berichterstattung aus Krisengebieten: Wieviel<br />

Hintergrund erträgt der Mensch" hat Iren Meier diese Problematik selber thematisiert.<br />

"Oh, du mit deinen traurigen Geschichten", bekommt sie immer wieder zu hören,<br />

wenn sie den Kollegen im Studio 8em eine ihrer Reportagen aus einem<br />

Flüchtlingslager im libanon oder einem palästinensischen Dorf im Westjordanland<br />

anbietet. Und sie bekam das Gleiche auch schon zu hören, als sie noch im Balkan<br />

stationiert war und von Brennpunkten wie Sarajewo, Mostar, Srebrenica oder Belgrad<br />

berichtete. Die Antwort, die sie darauf gibt, ist typisch für Iren Meier: Ja, sagt sie, "die


Geschichten, die sich auf dieser Welt ereignen, sind häufig traurig, ob wir sie hören<br />

wollen oder nicht. Und der Krieg oder der Konflikt ist eine Zumutung. Aber in erster<br />

Linie und vor allem für die, die er trifft." Iren Meier ist immer bei denen, die es trifft.<br />

Denn manchmal, so sagt sie, "gibt es nichts anderes, als die Wirklichkeit<br />

auszuhalten" .<br />

Iren Meier ist der festen Überzeugung, dass man auch als Korrespondent, als<br />

Korrespondentin im Krisengebiet die Wahl hat: Man kann an der Bar seines<br />

vollklimatisierten Hotels sitzen, Zeitung lesen und mit bezahlten Informanten reden.<br />

Ja, während des Irakkrieges konnte man sich sogar als sog. "embedded journalist"<br />

von den amerikanischen Streitkräften an die Front chauffieren lassen. Das geht alles<br />

und wird auch praktiziert. Manchmal merkt man es als aufmerksamer Hörer oder<br />

Leser, manchmal, wenn es raffiniert gemacht wird, auch nicht.<br />

Aber es gibt natürlich auch das andere: Korrespondenten, Korrespondentinnen, die<br />

sich aufmachen und mit den Leuten reden, die hinschauen, wie sie leben, und hören,<br />

was sie zu sagen haben - auch und gerade dann, wenn das, was sie sehen und hören,<br />

kaum auszuhalten ist: eine Zumutung für beide Seiten, aber in erster Linie und vor<br />

allem für die, die es trifft.<br />

Iren Meier gehört eindeutig zur zweiten Kategorie: zu denen, die neugierig sind und<br />

sich selbst ein Bild von der Wirklichkeit machen wollen, zu denen, die beide Seiten<br />

anhören und nicht von vorneherein wissen, wer die Guten und wer die Bösen sind,<br />

und S1egehört zu denen schliesslich, die nie vergessen, wie viel sie der Wirklichkeit<br />

trotz allen Bemühungen um Genauigkeit und Authentizität noch immer schuldig<br />

bleiben - "aus Rücksicht, aus Angst, aus Feigheit, aus Müdigkeit, aus Unsicherheit",<br />

wie sie selbst einmal gesagt hat, aber vielleicht auch einfach deshalb, weil die<br />

Wirklichkeit immer noch vielschichtiger, noch undurchschaubarer ist, als wir es uns<br />

vorgestellt haben. Iren Meier weiss das, sie leidet darunter, und sie hält es aus.<br />

Es gibt in der gegenwärtigen Medienszene nicht mehr allzu viele, die sind wie sie.<br />

Auch das weiss Iren Meier und hält dagegen: gegen das Prinzip der Fast-Food-<br />

Information, die auch noch die komplizierteste Wirklichkeit in leicht verdauliche<br />

Häppchen zerlegt, gegen die Berichterstattung aus zweiter Hand, die zu bequem ist,<br />

sich selber ein Bild von den Verhältnissen zu machen, und vor allem gegen jenen<br />

Medienzynismus, der an der Zahl der Toten misst, ob ein Ereignis berichtenswert ist<br />

oder nicht.<br />

"Ich denke", hat Iren Meier vor ein paar Jahren am Gönnerfest des Lassalle-Hauses in<br />

Bad Schönbrunn ausgeführt, fIes ist höchste Zeit, diese Entwicklung zu unterwandern.<br />

Sich auszuklinken aus dem Mainstream. Man muss dafür unseren Beruf nicht neu<br />

erfinden, sondern sich nur auf seine Ethik besinnen. Auf die Verantwortung, die wie<br />

tragen. Und unseren Sinnen trauen und sie nutzen. Ohren und Augen öffnen für das<br />

Bild und den Laut, die da sind, und nicht für die, die man gerne hätte und schon<br />

kennt."<br />

So einfach ist das und doch so schwierig. Denn auch die fähigsten Journalisten sind<br />

heute Pressionen ausgesetzt, denen er oder sie sich nur schwer entziehen kann: dem<br />

Druck des Marktes und der Quote, wenn es gilt, immer schneller, immer kürzer,<br />

immer seichter zu werden, damit man der Konkurrenz stets eine Nasenlänge voraus<br />

ist und das Publikum möglichst wenig nachzudenken braucht. Aber auch dem Druck<br />

von Seiten der Politik, die längst erkannt hat, wie sich mittels Medien Meinungen<br />

machen und Menschen manipulieren lassen.


Iren Meier weiss auch da, wovon sie spricht. Sie hat für ihre Berichterstattung zwei<br />

der explosivsten, kompliziertesten, von Gewalt und Gegengewalt beherrschten<br />

Regionen der Welt ausgewählt. Sich auf dem Balkan oder im Nahen Osten zurecht zu<br />

finden, ist an und für sich schon eine Kunst, sich aus den zahlreichen<br />

Interessenkonflikten herauszuhalten jedoch schier unmöglich. Man begreift, wenn Iren<br />

Meier da von ständiger Überforderung, vom Gefühl des Scheiterns und des Nicht-<br />

Gerechtwerdens spricht. Man kann ihr die Ohnmacht nachfühlen angesichts einer<br />

hoffnungslos verfahrenen Situation. Man versteht aber auch den Zorn, der sie ergreift,<br />

wenn sie sieht, wie eine nicht genehme Wirklichkeit - der Bau der israelischen Mauer<br />

auf palästinensischem Gebiet zum Beispiel - in gewissen Medien sukzessive ve-rfälscht<br />

oder ausgeblendet wird.<br />

"Was bleibt an Ethik und Glaubwürdigkeit in den Medien", hat sie in dem bereits<br />

erwähnten Referat in Bad Schönbrunn gesagt, "wenn auch wir beginnen, das<br />

Internationale Recht, die Menschenrechte und die Menschenwürde nicht mehr als<br />

bindende Orientierung und Leitlinien zu betrachten? Was bleibt, wenn die<br />

Unterdrückten und Opfer immer mehr in den Schatten gerückt werden - aus dem<br />

Lichtkegel der Aufmerksamkeit verschwinden. Oder von diesem nur noch schnell<br />

gestreift werden, so dass wir sie höchstens als Silhouetten wahrnehmen, nicht aber<br />

als Individuen, als einzelne Menschen."<br />

Glauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, es braucht heutzutage<br />

Mut, als Journalistin solche Sätze zu sagen. Man gerät damit in unserer schnodderigen<br />

Branche leicht in den Verdacht des Gutmenschentums. Man wird als Moralapostel<br />

belächelt oder der Gefühlsduselei bezichtigt, wenn man von der Suche nach Wahrheit<br />

spricht oder an Begriffe wie Menschenwürde und Gerechtigkeit gegenüber den Opfern<br />

appelliert. Iren Meier lässt sich jedoch von Spott, Kritik und abfälligen Bemerkungen<br />

verärgerter Hörer oder übel wollender Kollegen nicht beirren, und sie scheut sich auch<br />

nicht, von Aufklärung zu sprechen, wenn sie das Ethos ihres Berufes zu umschreiben<br />

versucht. Dabei weiss sie ganz genau, dass man auch dann, wenn man versucht,<br />

gegen den Strom zu schwimmen, immer ein Teil dieser Medienmaschinerie bleibt, die<br />

sie selbst einmal einen "scheinheiligen Zirkus mit tödlichem Ausgang" genannt hat.<br />

Auch dies gilt es auszuhalten, ohne zu resignieren und ohne selbst zynisch und<br />

abgebrüht zu werden.<br />

Und sie, wie hält sie es aus?, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Ich denke, was<br />

Iren Meier Kraft für ihre Arbeit gibt, ist das Bewusstsein der Notwendigkeit dessen,<br />

was sie tut. Sie muss es einfach tun, sie kann nicht anders. Sie muss den Opfern eine<br />

Stimme geben und dem Krieg ein Gesicht. Sie muss als Unrecht benennen, was sie als<br />

Unrecht empfindet. Und sie muss uns immer wieder schwer zu Ertragendes zumuten,<br />

weil sie den Glauben nicht verlieren möchte, dass sie es uns auch zutrauen darf. Ich<br />

denke, mit der Verleihung des Preises für "Menschenwürde im Journalismus" haben<br />

wir hier zumindest bewiesen, dass sie dieses Vertrauen nicht umsonst in uns wie in so<br />

viele ihrer treuen Hörerinnen und Hörer gesetzt hat.<br />

Liebe Iren Meier, ich freue mich, als Vertreterin der Tertianum-<strong>Stiftung</strong> und auch als<br />

Kollegin, dass du diesen Preis entgegen nehmen darfst, und gratuliere dir dazu von<br />

ganzem Herzen.

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