Wer nicht vertraut, wird kein Vertrauen finden - Seelscheid.de
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THEMA<br />
<strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> <strong>vertraut</strong>,<br />
<strong>wird</strong> <strong>kein</strong> <strong>Vertrauen</strong> <strong>fin<strong>de</strong>n</strong><br />
<strong>Vertrauen</strong> in <strong>de</strong>r Erziehung<br />
Fragen an eine Psychologin<br />
Christina Quadt, Sie sind Diplom-Psychologin und mit <strong>de</strong>n<br />
psychischen und seelischen Befindlichkeiten von Menschen<br />
<strong>vertraut</strong>. Da <strong>Vertrauen</strong> zwischen Eltern und Kin<strong>de</strong>rn auch<br />
ein psychisches Phänomen ist, wollen wir uns mit unseren<br />
Fragen vertrauensvoll an Sie wen<strong>de</strong>n.<br />
Bote: Gibt es ein Ur-<strong>Vertrauen</strong> als Basis einer gesun<strong>de</strong>n<br />
Lebensempfindung? Ist dies in <strong>de</strong>r Beziehung Kind/Eltern<br />
von Natur aus angelegt o<strong>de</strong>r muss es anerzogen wer<strong>de</strong>n?<br />
C.Q.: Wenn man Ur-<strong>Vertrauen</strong> als ein tiefes Gefühl<br />
von emotionaler Bindung und Sicherheit versteht,<br />
dann sind Grundlagen dafür, Ur-<strong>Vertrauen</strong> zu entwickeln<br />
und zu emp<strong>fin<strong>de</strong>n</strong>, sicherlich mitgegeben. So<br />
stattet Mutter Natur uns mit so genannten Spiegelneuronen<br />
aus, die dafür sorgen, dass selbst Neugeborene<br />
erfolgreich z.B. das Herausstrecken <strong>de</strong>r Zunge, das<br />
Öffnen <strong>de</strong>s Mun<strong>de</strong>s und das Bewegen <strong>de</strong>s Kopfes nach<br />
<strong>de</strong>m Vorbild von Mama und Papa imitieren können.<br />
Diese Spiegelneurone, die überschwemmen<strong>de</strong>n hormonellen<br />
Glücksgefühle <strong>de</strong>r frischgebackenen Eltern<br />
und weitere von Natur aus angelegte „Tricks“ sorgen<br />
dafür, dass bereits früh eine enge emotionale Bindung<br />
in <strong>de</strong>r Eltern/Kind Beziehung angelegt ist. Für das<br />
Kind ist dies überlebenswichtig, ist es doch von <strong>de</strong>r<br />
Versorgung durch die Eltern abhängig.<br />
Darüber hinaus bringt grundsätzlich je<strong>de</strong>r Mensch<br />
unterschiedliche Veranlagungen mit auf die Welt. Die<br />
weitere Festigung <strong>de</strong>s Ur-<strong>Vertrauen</strong>s in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />
Lebensmonaten und -jahren <strong>wird</strong> dann maßgeblich<br />
durch das Bindungs- und Erziehungsverhalten <strong>de</strong>r<br />
Eltern und an<strong>de</strong>rer Bezugspersonen bestimmt, vor<br />
allem die Tatsache, ob ein Kind von seinen Eltern die<br />
Botschaft empfängt: „Du bist willkommen! Wir lieben<br />
Dich! Du bist gut so, wie und wer Du bist!“<br />
Beson<strong>de</strong>rs eindrucksvoll sind neue Studien <strong>de</strong>s<br />
Mediziners und Psychotherapeuten Joachim Bauer, die<br />
er in seinem Buch „Das Gedächtnis <strong>de</strong>s Körpers“<br />
beschreibt: Bauer fand heraus, dass im Umkehrschluss<br />
durch stabile soziale Beziehungen als Basis einer<br />
gesun<strong>de</strong>n Lebensempfindung sogar die genetischen<br />
Strukturen eines Menschen (positiv) beeinflusst wer<strong>de</strong>n<br />
können und somit Stress reduziert und Krankheiten<br />
vorgebeugt wer<strong>de</strong>n kann!<br />
Christina Quadt arbeitet als systemische Beraterin sowie<br />
Persönlichkeits-Coach und lebt mit ihrem Mann in <strong>Seelscheid</strong>.<br />
Nach ihrem Abschluss als Diplom-Psychologin<br />
mit <strong>de</strong>n Schwerpunkten Klinische Psychologie und<br />
Wirtschaftspsychologie arbeitete sie als Trainerin und<br />
Beraterin für Führungskräfte und Teams in <strong>de</strong>r Automobil-<br />
und Logistik-Branche und erweiterte ihre Kompetenz<br />
fortlaufend durch Fortbildungen in Verän<strong>de</strong>rungsbegleitung,<br />
Gruppendynamik und Persönlichkeits-Konzepten.<br />
Ihr beson<strong>de</strong>res Interesse gilt <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Familienaufstellung und Biographie-Arbeit.<br />
Bote: Man sagt, Kin<strong>de</strong>r mit gesun<strong>de</strong>m Selbstbewusstsein<br />
haben es im späteren Leben leichter, mit <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>s täglichen Lebens o<strong>de</strong>r mit schwierigen Lebenslagen gut<br />
zu recht zu kommen? Stimmt das?<br />
C.Q.: Ja, auch wenn es natürlich schwer ist, bei einem<br />
erwachsenen Menschen rückblickend zu beurteilen,<br />
welches Erziehungsverhalten im Einzelnen zu welchem<br />
Ergebnis geführt hat, gibt es zahlreiche Studien<br />
aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Entwicklungspsychologie.<br />
Grundsätzlich kann man zwei verschie<strong>de</strong>ne Arten<br />
von <strong>Vertrauen</strong> unterschei<strong>de</strong>n:<br />
1. <strong>Vertrauen</strong> in die eigenen Fähigkeiten<br />
Dies können Eltern för<strong>de</strong>rn, in<strong>de</strong>m sie die Kin<strong>de</strong>r z.B.<br />
im Alltag kleinere Aufgaben erledigen lassen, die sie<br />
aufgrund ihrer kindlichen Neugier gern erledigen wol-<br />
8
THEMA<br />
len, bei <strong>de</strong>nen sie häufig jedoch aufgrund von Mangel<br />
an Zeit und Geduld <strong>de</strong>r Eltern mit <strong>de</strong>n Worten „Das<br />
kannst du (noch) <strong>nicht</strong>!“ „Lass mich das lieber selber<br />
machen“ zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n. Eltern sollten Kin<strong>de</strong>r<br />
z.B. Tisch <strong>de</strong>cken lassen o<strong>de</strong>r Jugendliche bestimmte<br />
Entscheidungen selber treffen lassen, d.h.<br />
ihren Kin<strong>de</strong>rn etwas zu-trauen.<br />
2. <strong>Vertrauen</strong> in an<strong>de</strong>re Menschen<br />
Dies können Eltern för<strong>de</strong>rn, in<strong>de</strong>m sie für ihre Kin<strong>de</strong>r<br />
einschätzbar sind, Versprechungen einhalten – das<br />
können auch ruhig angekündigte Konsequenzen wie<br />
z.B. Fernsehverbot sein – und ihre Kin<strong>de</strong>r in für sie<br />
schwierigen Situationen, die uns Erwachsenen eher<br />
unwichtig erscheinen, z.B. dass die große Schwester am<br />
Abend eine Stun<strong>de</strong> länger aufbleiben darf, ernst nehmen<br />
– kurzum: das Kind wahr zu nehmen.<br />
Aktuelle Diskussionen weisen allerdings kritisch<br />
auf das Ergebnis <strong>de</strong>s „Selbstbewusstsein-Erziehungs-<br />
Trends“ aus <strong>de</strong>n 80/90er Jahren hin, <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r hervorgebracht<br />
haben soll, <strong>de</strong>nen es an Selbstkritik,<br />
Beschei<strong>de</strong>nheit und Rücksicht mangelt. Erziehungsansätze<br />
wie „Alles toll, was Du machst und wie Du das<br />
machst!“, „Setz Dich durch!“ sollen die Selbstüberschätzung<br />
dieser Generation geför<strong>de</strong>rt haben. So <strong>wird</strong><br />
eine Szene beschrieben, in <strong>de</strong>r sich zwei 12-jährige<br />
geschminkte und gestylte Mädchen in einer Sitzgruppe<br />
zu einer alten Dame in einer Straßenbahn gesellen. Die<br />
Mädchen unterhalten sich lauthals und hören laute<br />
Musik. Als die alte Dame sie bittet etwas leiser zu sein,<br />
bekommt sie die Antwort: „Wenn´s dich stört, dann<br />
setz dich doch woan<strong>de</strong>rs hin, Oma!“.<br />
„Gesun<strong>de</strong>s Selbstbewusstsein“ be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>mnach<br />
für mich ein Gleichgewicht aus Selbstvertrauen und<br />
Selbstkritik.<br />
Bote: Welche Rolle spielt <strong>Vertrauen</strong> in <strong>de</strong>r Erziehung?<br />
C.Q.: <strong>Vertrauen</strong> wächst aus Liebe und Zuneigung, aus<br />
einer erlernten und erlebten Sicherheit heraus, dass die<br />
Eltern bzw. an<strong>de</strong>re Bezugspersonen sich immer in einer<br />
bestimmten Weise verhalten, z.B. Mama tröstest mich,<br />
wenn ich weine. Papa schimpft, wenn ich ohne zu fragen<br />
an seine Mo<strong>de</strong>ll-Eisenbahn gehe – kurzum: Mama<br />
und Papa sind für das Kind einschätzbar. Dieses <strong>Vertrauen</strong><br />
ist die Basis für ein gesun<strong>de</strong>s Lebensemp<strong>fin<strong>de</strong>n</strong><br />
und kann – glaubt man Joachim Bauer – sogar gesund<br />
machen!<br />
Je<strong>de</strong>r Mensch hat sich in seinem Leben eine<br />
bestimmte Grun<strong>de</strong>instellung hinsichtlich an<strong>de</strong>rer Menschen<br />
zugelegt. Diese Grun<strong>de</strong>instellung entwickeln wir<br />
überwiegend aufgrund unserer Erfahrungen in <strong>de</strong>r<br />
Kindheit. Kleine Kin<strong>de</strong>r haben meist <strong>Vertrauen</strong> in die<br />
Menschen, bis sie erfahren, dass sie enttäuscht wer<strong>de</strong>n<br />
können.<br />
Solche Situationen können sein:<br />
– wenn niemand da ist, wenn sie Hilfe brauchen,<br />
– wenn die Eltern etwas ankündigen und es <strong>nicht</strong> einhalten,<br />
– wenn zu hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an sie gestellt wer<strong>de</strong>n,<br />
sodass sie immer wie<strong>de</strong>r erleben, etwas <strong>nicht</strong><br />
zu schaffen,<br />
– wenn sie immer kritisiert wer<strong>de</strong>n,<br />
– wenn die Eltern sie grundlos schlagen o<strong>de</strong>r<br />
beschimpfen,<br />
– wenn die Eltern sie überbehüten und <strong>kein</strong>e eigenen<br />
Erfahrungen machen lassen,<br />
– wenn die Eltern launisch sind und ihre Launen am<br />
Kind auslassen,<br />
– wenn Kin<strong>de</strong>r sich einer Situation hilflos ausgeliefert<br />
fühlen wie beispielsweise durch einem langen Krankenhausaufenthalt,<br />
– wenn eines <strong>de</strong>r Elternteile stirbt o<strong>de</strong>r die Eltern sich<br />
trennen.<br />
Bote: Sofern ein Kind immer dieselbe Bezugsperson braucht,<br />
um ein Ur-<strong>Vertrauen</strong> entwickeln zu können: Kann ein Kind,<br />
das eine Kin<strong>de</strong>rkrippe besucht, in diesem Sinne ein solches<br />
<strong>Vertrauen</strong> entwickeln?<br />
C.Q.: Ja! Zentral dafür sind: Feste Rituale und strukturierter<br />
Tagesablauf, z.B. morgens durch eine Kuscheleinheit<br />
von Mama geweckt wer<strong>de</strong>n, die Erzieherin<br />
begrüßt das Kind je<strong>de</strong>n Morgen an <strong>de</strong>r Türe, morgendlicher<br />
Stuhlkreis in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rkrippe, abends nach <strong>de</strong>m<br />
Zähneputzen immer eine Gute-Nacht-Geschichte und<br />
feste Bezugspartner. Dabei muss es <strong>nicht</strong> täglich und<br />
rund um die Uhr die gleiche Bezugsperson sein. Es<br />
kann für ein Kind auch bereichernd und för<strong>de</strong>rnd sein,<br />
neben Mama und Papa mit an<strong>de</strong>ren Bezugspersonen<br />
z.B. Oma/Opa, Erzieher in Kontakt zu kommen.<br />
Bote: Müssen Kin<strong>de</strong>r gehorchen o<strong>de</strong>r müssen wir sie durch<br />
Vorbild und Erklärung zu gewünschtem Verhalten motivieren,<br />
sie in diesem Sinne auch als (Gesprächs-) Partner wahrnehmen<br />
und behan<strong>de</strong>ln?<br />
C.Q.: Das Eine schließt das An<strong>de</strong>re <strong>nicht</strong> aus - Kin<strong>de</strong>r<br />
müssen im Laufe ihrer Entwicklung ihre kognitiven<br />
Fähigkeiten, wie z.B. das logische Denkvermögen,<br />
räumliches Vorstellungsvermögen sowie das Verständnis<br />
für Recht und Unrecht erst entwickeln. Dies<br />
geschieht aus einer Mischung von körperlicher Reifung<br />
und Lernen. Das eigene Erziehungsverhalten <strong>de</strong>m<br />
Kind zu erklären, setzt daher ein gewisses Maß an Entwicklung<br />
beim Kind und <strong>de</strong>mnach ein gewisses Alter<br />
voraus. Es ist sicher ebenso unangebracht, ein zweijähriges<br />
Kind entschei<strong>de</strong>n zu lassen, ob und wann es<br />
ins Bett gehen soll, wie einem achtjährigen Kind das<br />
Tragen <strong>de</strong>r Zahnspange mit <strong>de</strong>n Worten „Das ist halt<br />
so!“ zu erklären. Es gibt ausreichend Literatur u.a.<br />
auch viele Elternzeitschriften, in <strong>de</strong>nen erläutert <strong>wird</strong>,<br />
9
THEMA<br />
ICH VERTRAUE<br />
Ich vertraue auf Gott,<br />
<strong>de</strong>r die Welt erschaffen hat und <strong>de</strong>r uns Menschen,<br />
die wir Teil seiner Schöpfung sind,<br />
das <strong>Vertrauen</strong> ausspricht,<br />
mit ihr verantwortungsvoll umzugehen.<br />
Ich vertraue auf Gottes heilen<strong>de</strong> Zuwendung,<br />
die wir in Jesus Christus erfahren.<br />
Ich vertraue auf Gottes Wirken in seiner Schöpfung,<br />
durch das er uns Menschen Zugänge zu ihm,<br />
zu uns selbst und zu Menschen <strong>de</strong>sselben,<br />
an<strong>de</strong>ren und <strong>kein</strong>en Glaubens eröffnet.<br />
Hans-Christoph Gossmann<br />
was man in welchem Alter voraussetzen und för<strong>de</strong>rn<br />
kann und was <strong>nicht</strong>.<br />
Bote: Lässt sich verloren gegangenes <strong>Vertrauen</strong> wie<strong>de</strong>r herstellen?<br />
C.Q.: <strong>Vertrauen</strong> kann von einer Sekun<strong>de</strong> zur an<strong>de</strong>ren<br />
zerstört wer<strong>de</strong>n, <strong>Vertrauen</strong> wie<strong>de</strong>r aufzubauen dagegen<br />
kann lange Zeit dauern.<br />
Vor allem kleine Kin<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren Ur-<strong>Vertrauen</strong> dauerhaft<br />
durch Gewalt, mangeln<strong>de</strong> Grundversorgung<br />
und Verwahrlosung zerstört o<strong>de</strong>r gar <strong>nicht</strong> aufgebaut<br />
wur<strong>de</strong>, zeigen „auffälliges Verhalten“, das sich im<br />
Jugendalter z.B. in Gewalt, massivem Drogenkonsum<br />
etc. äußern kann. Intensive psychologische Begleitung,<br />
stabile soziale Strukturen und Unterstützungsangebote<br />
sind in diesem Falle unabdingbar!<br />
Ist die Eltern/Kind Beziehung grundsätzlich stabil<br />
und die Eltern begehen einen <strong>Vertrauen</strong>sbruch z.B.<br />
stöbern entgegen <strong>de</strong>r Abmachung in <strong>de</strong>r „Geheimschubla<strong>de</strong>“<br />
<strong>de</strong>s jugendlichen Kin<strong>de</strong>s, dann kann man<br />
älteren Kin<strong>de</strong>rn durchaus erklären, dass man einen<br />
Fehler gemacht hat und welche positiven Absichten<br />
hinter <strong>de</strong>m eigenen Verhalten stehen, zum Beispiel in<br />
<strong>de</strong>m die Eltern sagen: „Ich mache mir Sorgen um<br />
dich“. Auch dies gehört zum Lern- und Entwicklungsprozess<br />
- für Kin<strong>de</strong>r und für Eltern! In diesem Falle ist<br />
das <strong>Vertrauen</strong> sicherlich leichter wie<strong>de</strong>r herzustellen.<br />
Bote: Und zum Schluss eine <strong>de</strong>rzeit viel diskutierte Frage:<br />
Sind unsere Kin<strong>de</strong>r wirklich, wie in einem Buch eines Bonner<br />
Psychiaters behauptet, ausschließlich bis überwiegend<br />
Tyrannen, also junge Menschen, die ihre Eltern bevormun<strong>de</strong>n,<br />
belästigen und schikanieren?<br />
C.Q.: Einige Gedankenansätze über auffälliges Verhalten<br />
haben wir bereits angerissen. Ich selbst habe das<br />
Buch <strong>nicht</strong> gelesen, jedoch viele Diskussionsbeiträge<br />
darüber.<br />
Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n schnell als „Patienten“ i<strong>de</strong>ntifiziert,<br />
die es zu „heilen“ o<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n richtigen Weg<br />
zu bringen gilt. Ich sehe die Ursachen eher auf einer<br />
ganzheitlichen Ebene: Schnelllebigkeit und Komplexität<br />
unserer heutigen Zeit, in <strong>de</strong>r häufig die stabilen<br />
sozialen Strukturen und Leitplanken zur Orientierung<br />
fehlen; Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n als Partnerersatz gesehen;<br />
Eltern geben häufig aufgrund von Überfor<strong>de</strong>rung die<br />
(Erziehungs-) Verantwortung an ihre Kin<strong>de</strong>r ab,<br />
dadurch <strong>wird</strong> das Eltern/Kind Rollenverhältnis vertauscht.<br />
Die Liste kann man sicher beliebig erweitern.<br />
Wir sollten uns immer darüber bewusst sein, dass<br />
Kin<strong>de</strong>r ganz sensibel auf <strong>nicht</strong> ausgesprochene Worte,<br />
ungeklärte Beziehungen und Tabus in <strong>de</strong>r Familie reagieren<br />
und aus Loyalität <strong>de</strong>n Eltern gegenüber sich<br />
schnell in eine Rolle drängen lassen.<br />
Manchmal kann es hilfreich sein, sich als Eltern folgen<strong>de</strong><br />
Fragen zu stellen:<br />
„Wessen Wut drückt mein Kind aus? Könnte es<br />
zum Beispiel meine eigene Wut auf <strong>de</strong>n Partner, <strong>de</strong>r<br />
mich verlassen hat, sein? „Geht mein Kind nur mir<br />
zuliebe zum Ballett-Unterricht, weil ich es als Kind<br />
<strong>nicht</strong> durfte, o<strong>de</strong>r hat es wirklich Freu<strong>de</strong> daran?“, „Wie<br />
steht es um mein eigenes <strong>Vertrauen</strong> in mich selbst und<br />
an<strong>de</strong>re Menschen?“<br />
Meine abschließen<strong>de</strong> Botschaft drückt das Zitat <strong>de</strong>s<br />
französischen Dichters und Diplomaten Paul Clau<strong>de</strong>l<br />
aus: „Nichts kann <strong>de</strong>n Menschen mehr stärken, als<br />
<strong>Vertrauen</strong>, das man ihm entgegenbringt.“<br />
Nacherzählung<br />
Zwei Jungen sind mutig auf eine hohe Mauer<br />
geklettert. Einer springt von oben hinunter und<br />
ruft: „Komm, spring auch!“ Aber <strong>de</strong>n Kleinen hat<br />
<strong>de</strong>r Mut verlassen. Erwachsene kommen vorbei und<br />
rufen ihm zu: „Spring, ich fange dich auf!“ Aber <strong>de</strong>r<br />
Kleine hat Angst. Unten an <strong>de</strong>r Mauer versammeln<br />
sich immer mehr Schaulustige. Als ein Mann um die<br />
Ecke kommt und die Arme ausbreitet, springt <strong>de</strong>r Kleine<br />
sofort. „Warum bist du <strong>de</strong>nn bei uns <strong>nicht</strong> gesprungen?“<br />
fragt einer <strong>de</strong>r Zuschauer. „Das ist mein Vater“,<br />
lachte <strong>de</strong>r Kleine.<br />
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