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civitas 5-2012 - Schw. StV

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Zentraldiskussion <strong>2012</strong>/13<br />

zeigt, dass in Europa wohl niemand auf eidgenössischen<br />

Nachhilfeunterricht in Demokratie<br />

wartet.<br />

Auch aus diesem Grund konzentriert<br />

sich Quirin Weber auf den für Westeuropa<br />

eher repräsentativen deutschen Parlamentarismus.<br />

Wie kaum ein zweites freiheitlichwestliches<br />

System verfügt derselbe über historisch<br />

bedingte Erfahrungen im teilweisen<br />

Verzicht auf Souveränität. Diese Frage wird<br />

indes bei Weber nicht gerade ausgeklammert,<br />

steht im Vergleich zum ebenfalls nicht<br />

überbetonten Problem der Repräsentation<br />

im Hintergrund. Im Vordergrund steht,<br />

was das Parlament eigentlich zu tun habe<br />

und was es heute noch leisten könne: die Betrachtung<br />

der parlamentarischen Demokratie<br />

und ihres Potentials zur Selbstreform.<br />

«Im Mehrebenensystem des deutschen<br />

Bundesstaates und der EU haben die politischen<br />

Repräsentanten bürgerorientiert und<br />

partnerschaftlich zu handeln.» (S. 13) Dazu<br />

bedarf es einer gründlichen Analyse des gegenwärtigen<br />

Parlamentarismus. Dieser ist<br />

gegenüber idealistischen Vorstellungen aus<br />

dem 19. Jahrhunderts deutlich abzugrenzen.<br />

Insofern scheint es auch nicht mehr<br />

angebracht, eine Parlamentskritik zu widerholen,<br />

wie wir sie von Rousseau über den an<br />

Hobbes orientierten zeitweiligen Ideologen<br />

der Diktatur Carl Schmitt bis zum Kritiker<br />

des «Spätkapitalismus» Jürgen Habermas<br />

bis zum Überdruss gehört haben.<br />

Den Hauptkriegsschauplatz des «Demokratischen<br />

Parlamentarismus im offenen<br />

Staat» betritt Quirin Weber mit den «neuen<br />

innenpolitischen Herausforderungen» (S.<br />

292f.), die sich mit dem «Wohlfahrtsstaat<br />

als historische Zwischenphase» bzw. der<br />

Krise des Sozialstaates mit der immer drängenderen<br />

«Notwendigkeit institutioneller<br />

und struktureller Reformen» ergeben. Je<br />

weiter «die Handlungsoptionen der Menschen<br />

in der Dienstleistungsgesellschaft»<br />

steigen – es ist von «Multioptionsgesellschaft»<br />

die Rede – desto expansiver wachsen<br />

Wirtschaft und Gesellschaft. Der «offene<br />

Staat» muss im Sinn der Globalisierung europäisch<br />

und international kooperieren, es<br />

soll möglichst keinen Protektionismus und<br />

freien Welthandel geben. Zugleich muss<br />

er als Leistungs- und Dienstleistungsstaat<br />

funktionieren. Es stellt sich sodann die zentrale<br />

Frage, «ob und wie das demokratisch<br />

legitimierte Parlament seinen politischen<br />

Gestaltungsspielraum im Spannungsfeld<br />

nationaler Konsensfindung, Europäisierung<br />

und Internationalisierung erfüllen kann.»<br />

Es ist ein Verdienst dieser Arbeit, dass<br />

nicht nur gesagt wird, wie das Parlament<br />

funktionieren kann. Grundsätzlich wird<br />

auch klar gemacht, was es zu leisten hat,<br />

nämlich die Setzung politischer Grundsatzentscheidungen<br />

wie auch bei zunehmender-<br />

Verknappung finanzieller Mittel die Setzung<br />

der Prioritäten bei den staatlichen Aufgaben<br />

und Ausgaben. Dabei herrscht aber doch ein<br />

klares Bewusstsein der Relativierung der<br />

Bedeutung nationaler Parlamente, deren<br />

Kompetenzen wohl auch in Zukunft durch<br />

Gerichte zusätzlich eingeschränkt werden.<br />

Nicht vergessen wird indes auch die «wachsende<br />

Diskrepanz zwischen Wählerwillen<br />

und parlamentarischer Entscheidung», welche<br />

durch die Komplexität verschiedenster<br />

Legitimationsebenen noch gefördert wird.<br />

Der Wählerwille scheint je länger je mehr<br />

kaum mehr das Wichtigste zu sein. Auch<br />

wird die parlamentarische Kontrolle dessen,<br />

was man als Bürger gern kontrolliert haben<br />

möchte, immer schwieriger. Dazu vermerkt<br />

der Autor: «Wenn die parlamentarische<br />

Kontrolle schwierig wird, hat das Parlament<br />

dafür zu sorgen, dass die staatlichen Entscheidungsprozesse<br />

gut organisiert sind»<br />

(S. 498ff. und S. 513).<br />

Das hochkomplexe Buch bringt eine historisch,<br />

juristische und politologische Analyse<br />

eines Systems, in dem trotz oft gehörter<br />

Zweifel der Glaube an ein neues Europa als<br />

Baustelle der Demokratie bewusst nicht ad<br />

acta gelegt wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt.<br />

Die zunehmenden Ansprüche an den<br />

«Dienstleistungsstaat», desgleichen die Ansprüche<br />

an das Parlament, es national und<br />

international fast allen recht machen zu müssen<br />

und ununterbrochen auf Interdependenz<br />

zu pochen, vermitteln dem einzelnen Bürger<br />

aber kaum mehr den Eindruck, dass er als<br />

ein Teil des Ganzen «der Souverän» sei. «Die<br />

Verwirklichungsmöglichkeiten des Demokratieprinzips<br />

erweisen sich als schwierig»,<br />

vermerkt der Verfasser lakonisch. Trotzdem<br />

darf das unablässige kritische Bemühen um<br />

die Legitimierung der parlamentarischen<br />

Tätigkeit nicht aufgegeben werden. Es ist den<br />

«<strong>Schw</strong>eiss der Edlen» wert. Darum scheint<br />

es mir keine Kleinigkeit, dass der ST.V. anhand<br />

des Miliz-Prinzips über die Möglichkeiten<br />

und Grenzen des Parlamentarismus<br />

von heute diskutiert. Das in fünfjähriger<br />

Arbeit erstellte Basiswerk über die Legitimationsprobleme<br />

des modernen Parlamentarismus<br />

erweist sich auch angesichts der<br />

europäischen Schuldenkrise und der damit<br />

einhergehenden Lähmung politischer Gestaltungsspielräume<br />

als brandaktuell.<br />

24 <strong>civitas</strong> 5-<strong>2012</strong>

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