Ecclesia semper reformanda - Schw. StV
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Foto: Hofkirche Luzern, zVg<br />
richt über die Erwachsenenbildung, Diakonie<br />
und Seelsorge bis zum gemeinsamen<br />
Feiern des Glaubens. So vieles davon wirkt<br />
heute selbstverständlich und ist nicht mehr<br />
wegzudenken.<br />
Man denke gerade auch ans bewährte<br />
schweizerische Modell gemeinsamer Armeeseelsorge.<br />
<br />
Mit besonderem Interesse beobachtete ich<br />
die katholische «Wiederentdeckung der<br />
Bibel». Die Ermutigung, die Bibel zu lesen,<br />
war eine grosse und mutige Tat der römischkatholischen<br />
Kirche. Unvergesslich die<br />
Scharen von Jugendlichen, die im Mailänder<br />
Dom miteinander die Bibel «teilten».<br />
Die Kirche stiess einen gewaltigen Prozess<br />
an, der nicht kontrolliert werden kann, und<br />
nie abgeschlossen sein wird…<br />
Bibelleserinnen und -leser sind mündige,<br />
bewegte – und meistens auch kritische –<br />
Christen.<br />
So erlebte ich immer wieder engagierte<br />
Katholikinnen und Katholiken, die mit<br />
grossem Interesse die Bibel lasen und für ihr<br />
<br />
<br />
Leben fruchtbar machten. Von ihrer Tradition<br />
her kommend entnahmen sie den Texten<br />
grosse Schätze - ganz losgelöst von allen protestantischen<br />
Verkrampfungen rund ums<br />
«rechte» Bibelverständnis.<br />
Im gemeinsamen Lesen und Austauschen<br />
mit katholischen Freunden entdeckte<br />
ich die sakramentale Dimension in den<br />
Texten. Oder es ging mir deren liturgischer<br />
Aspekt auf.<br />
Spannend war es zu entdecken, wie die<br />
kommunitären Traditionen die Bibellektüre<br />
befruchten können: wie beispielsweise<br />
unter der Anleitung eines Jesuiten ein Bibeltext<br />
mir zum persönlichen Lebenswegweiser<br />
wurde. Oder wie stark die biblische<br />
Liebe zu allen Geschöpfen in franziskanisch<br />
geprägten Herzen anklingt. Oder was Psalmen<br />
bewirken können, wenn man sie mit<br />
Benediktinern zusammen regelmässig –<br />
und in der eigenen Sprache – singt: Wie viele<br />
– auch negative – Gefühle können wir auf<br />
diese Weise ausdrücken und verarbeiten!<br />
In unzähligen Gemeinden und Gruppen<br />
haben Evangelische und Katholiken<br />
hierzulande voneinander gelernt.<br />
<br />
Und heute? Ist dieser spannende Prozess –<br />
der stark von «Laien» mitgestaltet wurde –<br />
zum Erliegen gekommen? Wird er gar «von<br />
oben her» ausgebremst?<br />
Sicher: Jede Wanderung braucht hin<br />
und wieder einen Marschhalt.<br />
Sicher ist auch, dass ein dynamischer<br />
Prozess irgendwann in Konflikt gerät mit<br />
Institutionen, die – wie wohl alle Institutionen<br />
– auf Bewahrung hin angelegt sind.<br />
Gerade die Kirchen sind stark auf Bewahrung<br />
hin angelegt und organisiert. Ob sie<br />
nun ganz stark hierarchisch aufgebaut sind,<br />
oder ganz schwach hierarchisch: Weder das<br />
Eine noch das Andere ist einer Veränderung<br />
förderlich. Verheissungsvoll wäre es für die<br />
römisch-katholische Kirche in der <strong>Schw</strong>eiz,<br />
wenn immer wieder ein konstruktives Zusammenwirken<br />
der amtskirchlichen Hierarchie<br />
mit den Kirchenparlamenten und<br />
-synoden gelingt.<br />
Und schön wäre es auch, wenn die offizielle<br />
katholische Kirche wieder einmal<br />
ein ermutigendes Zeichen setzen würde.<br />
Beispielsweise wäre es an der Zeit, das Eucharistieverbot<br />
für Menschen, die einst geschieden<br />
und nun wieder verheiratet sind,<br />
endlich aufzuheben.<br />
Verlangt nicht gerade die hohe seelsorgerliche<br />
Bedeutung der Eucharistie hier eine<br />
gnädige Regelung? Womöglich steht hier<br />
griechisches Idealdenken und römisches<br />
Rechtsdenken dem Geist Jesu Christi allzu<br />
stark im Wege …<br />
Ich kann – bei allem Respekt vor der<br />
katholischen Theologie – die einfach-eindrücklichen<br />
Erzählungen der Evangelien<br />
nicht ausser Acht lassen: Christus, der Versöhner,<br />
ist kein anderer als der Jesus, der mit<br />
allen(!) seinen Jüngern das Brot teilte. Ja, er<br />
hatte auf seinen Wanderungen sogar «mit<br />
Zöllnern und Sündern» Tischgemeinschaft<br />
gehalten – und gerade so Veränderung und<br />
Versöhnung bewirkt …<br />
Eine offene Wunde ist halt immer noch<br />
das katholische Verbot der «eucharistischen<br />
Gastfreundschaft». Da frage ich, ob es richtig<br />
ist, das eucharistische Mahl als die Besiegelung<br />
rechtlich vollzogener, «vollkommener»<br />
Gemeinschaft anzusehen.<br />
Könnten wir dieses Mahl nicht vielmehr<br />
als Zeichenhandlung in einem grossen<br />
Friedensprozess verstehen – ein gemeinsames<br />
Teilen in der Perspektive des Reiches<br />
Gottes?<br />
Könnten wir unserem – im Mahl anwesenden<br />
– Herrn nicht noch viel mehr versöhnende,<br />
Gemeinschaft stiftende und Frieden<br />
schaffende Kraft zutrauen?<br />
Geben wir unsere gemeinsame Hoffnung<br />
nicht auf!<br />
<br />
<br />
(1969),<br />
lic. theol., Studium<br />
in Bern und Rom<br />
(Waldenserfakultät<br />
und kath. Institute),<br />
Ausbilder FA,<br />
seit 2001 evangelisch-reformierter Pfarrer<br />
in Amsoldingen BE. Er ist verheiratet<br />
und Vater von drei Kindern. Das Ehepaar<br />
Martin und Eva Magdalena Leuenberger<br />
teilt sich die Arbeit im Jobsharing. Martin<br />
Leuenberger v/o Cavour ist Mitglied der<br />
Helvetia Romana.<br />
civitas 1-2012 23