Ecclesia semper reformanda - Schw. StV

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Das zweite Vatikanische Konzil und seine Auswirkungen auf den Kirchenbau Wie keine andere ist die christliche eine ausgesprochen reformfreudige Religion, die sich immer wieder den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst hat. Der Kirchenbau und auch seine Veränderungen im Laufe der Zeit sind Ausdruck hiervon. So wurde auch der christliche Gottesdienst nicht nach einer festen Norm etabliert, sondern entwickelte sich im Laufe der Zeit aus relativ wenigen neutestamentlichen Vorgaben, wie «Eucharistie zum Gedächtnis Christi», «Taufe» und «Sonntagsfeier». Das eine ist das ewige Dogma – die Wahrheit –, das andere die sich ändernde Ausdrucksweise der jeweiligen Zeit. In diesem Sinne wurden bereits zwischen dem vierten und siebten Jahrhundert Liturgiereformen durchgeführt. Erst im 11. Jahrhundert setzte sich dann eine redigierte Messordnung durch, welche aber nach der Reformation, aufgrund der beklagten Missstände, erneuert wurde (Trienter Konzil). Eine neue «liturgische Bewegung» entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie wurde aufgrund der beiden Weltkriege und der veränderten gesellschaftlichen Situation erneuert und mündete in die 1962 von Papst Johannes XXIII. einberufene und von seinem Nachfolger Papst Paul VI. fortgesetzte und 1965 beendete Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils. Oberstes Anliegen der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums ist die «bewusste, tätige und leicht zu vollziehende Teilnahme der Gläubigen» (conscia, actuosa et facilis participatio fidelium) an den liturgischen Feiern. Besonders sichtbar ist der veränderte Standort des Altars – häufig an einem neu errichteten Volksaltar –, der als «liturgische Mitte» die feiernde Gemeinde um sich versammelte und an dem der Priester mit dem Gesicht zur Gemeinde gewandt («versus populum»), statt wie früher gegen den Hochaltar («versus apsidem») die Eucharistie feierte. Das mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erlangte neue Gottesdienstverständnis – vor allem der veränderte Standort des Priesters am Altar (versus populum») – hat in den Jahren zwischen 1975 und 1990 eine geradezu ungestüme Restaurierungs- und Erneuerungswelle innerhalb der katholischen Kirche ausgelöst, weil in fast allen Kirchen Veränderungen und Umbauten nötig wurden. Die Kirche reagierte damit auf die Wechselbäder zwischen Fortschrittsglauben und Fortschrittsungläubigkeit, auf die grossen gesellschaftlichen Veränderungen, welche in den 1960er Jahren das Nachkriegseuropa erfasst haben und auf den Aufbruch zu postmodernen, hedonistischen Gesellschaftsstrukturen. Denn die Kirche sah sich nicht nur einschneidenden Veränderungen, sondern auch einem fortschreitenden Säkularisierungsprozess gegenübergestellt, der sie zwang, sich im veränderten gesellschaftlichen Umfeld der Postmoderne neu zu positionieren. Ausdruck dieser Neuorientierung war die vom Zweiten Vatikanum erlassene liturgische Foto: zVg 20 civitas 1-2012

Reform, wie sie in der Liturgiekonstitution «Sacrosanctum Concilium» niedergelegt war. Die wichtigsten Bestimmungen für die Gestaltung des Kichenraums finden sich in der «Konstitution über die heilige Liturgie» (Rom 1963), in den Instruktionen zum «Geheimnis der Eucharistie» (in: Heinrich Rennings (Hg), Dokumente zur Erneuerung der Liturgie, Kevelaer 1983), im Vorwort zum neuen Messbuch (Bonn 1985) und in den 1988 von der deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen «Leitlinien für den Bau und die Ausstattung von gottesdienstlichen Räumen». Foto: Theres Bütler, Luzern Naturgemäss einfacher und zielgerichteter lassen sich die neuen liturgischen Vorgaben bei Neubauten verwirklichen. In ihnen wurde nur ein «Volksaltar» gesetzt und dieser nicht selten weit in die Mitte des Kirchenraumes hineingezogen, sodass die Bankreihen kreisförmig angeordnet werden konnten. Dadurch sollte nicht nur die Nähe der Gläubigen zum menschgewordenen Herrn betont, sondern auch die bewusste Teilnahme an der Liturgie erleichtert werden. Der zentrale Raum eignete sich dafür besser als der traditionell langgestreckte Kirchenkörper. Dies mag ein Grund für die in diesen Jahren vielfach entstandenen zentralen Kirchenanlagen sein. Allein, die heute schwindende innerkirchliche Identität äussert sich aber auch darin, dass die in den 1950er und 1960er Jahren rege Kirchenneubautätigkeit (Linus Birchler sprach im Zusammenhang mit einzig auf die Liturgie bedachten Kirchenräumen von «Ateliers für angewandte Liturgie») seit den 1970er Jahren fast vollständig zum Erliegen kam. Setzte das Zweite Vatikanische Konzil den Schwerpunkt auf die «feiernde Gemeinde» und auf die «Gemeinschaft», tragen jüngere Neubauten vermehrt wieder der «stillen Einkehr» und der «Meditation» Rechnung. Die zwischen 1992/94 von Mario Botta auf dem Berg Tamaro errichtete Kirche Santa Maria degli Angeli ist Beispiel hierfür. Sie ist auch Ausdruck für ein nicht ausschliesslich auf die liturgischen Reformbewegungen des Zweiten Vatikanums bezogenes Gottesdienstverständnis. Wo es sich aber nicht um Neubauten sondern um die Umgestaltungen älterer, schutzwürdiger Kulturbauten handelte, musste es wohl oder übel zu Interessenkonflikten zwischen Denkmalpflege und Kirchgemeinde kommen. Denkmalpflegerische und liturgische Verträglichkeit standen sich in der Praxis oft unversöhnlich gegenüber und führten zu mehr oder weniger geglückten Kompromisslösungen. Verantwortlich hierfür waren wohl weniger die oft restriktive Praxis der Denkmalpflege, sondern der Eifer, mit dem die liturgischen Forderungen umgesetzt werden wollten und das oft erschreckend geringe Niveau der architektonischen Auseinandersetzung mit dem historischen Raum. Auch eine pragmatische Grenzziehung zwischen Liturgie und Erhaltung war – aus sachlichen Gründen – eher problematisch und weder der Denkmalpflege noch der verständnisvollen Nutzung des Baudenkmals förderlich. Umgekehrt führten auch rein denkmalpflegerische Überlegungen nicht selten zu historisierenden, den historischen Bestand irritierenden, und liturgisch nicht befriedigenden Resultaten. Suchte, im Bestreben die Einheit des Raumes zu bewahren, die Denkmalpflege in den 70er- und 80er-Jahren in historisierenden Lösungen Zuflucht, zielt sie heute mehr auf Lösungen, welche den Zeitgeschmack erkennbar lassen. Letztlich ist aber jeder Kirchenraum ein Einzelfall und will gesondert beurteilt und behandelt werden. Eine einheitliche Doktrin aller Um- und Neugestaltungen lässt sich deshalb weder heute noch für den Zeitraum zwischen 1970 und1980 erkennen, so dass unterschiedliche Lösungsansätze überwiegen. Die zwischen 1970 und 1990 heftig geführten Diskussionen sind jedoch heute versöhnlicheren gewichen und als Grundsatz hat sich «die gemeinsame und ungeteilte Verantwortung für Liturgie und Denkmalpflege» (Georg Mörsch) durchgesetzt. Sie bedingt gegenseitiges Verständnis, Sachverstand und ist offen für angemessene, verträgliche, aber als neue Leistungen erkennbare Lösungen. Die 2000/01 von Bildhauer Kurt Sigrist geschaffene Neugestaltung des Altarbezirkes in der Hofkirche St. Leodegar in Luzern ist ein typisches Beispiel hierfür. (1943) studierte Architektur- und Kunstgeschichte an der Pariser Sorbonne und in Zürich. Er war Luzern. Ab 1977 war er in verschiedenen Funktionen für die Eidgenössische welche er 1991-1996 präsidierte. Er führt seit 1992 in Luzern ein eigenes Büro für civitas 1-2012 21

Reform, wie sie in der Liturgiekonstitution<br />

«Sacrosanctum Concilium» niedergelegt<br />

war. Die wichtigsten Bestimmungen für die<br />

Gestaltung des Kichenraums finden sich in<br />

der «Konstitution über die heilige Liturgie»<br />

(Rom 1963), in den Instruktionen zum «Geheimnis<br />

der Eucharistie» (in: Heinrich Rennings<br />

(Hg), Dokumente zur Erneuerung der<br />

Liturgie, Kevelaer 1983), im Vorwort zum<br />

neuen Messbuch (Bonn 1985) und in den<br />

1988 von der deutschen Bischofskonferenz<br />

herausgegebenen «Leitlinien für den Bau<br />

und die Ausstattung von gottesdienstlichen<br />

Räumen».<br />

Foto: Theres Bütler, Luzern<br />

Naturgemäss einfacher und zielgerichteter<br />

lassen sich die neuen liturgischen Vorgaben<br />

bei Neubauten verwirklichen. In ihnen<br />

wurde nur ein «Volksaltar» gesetzt und<br />

dieser nicht selten weit in die Mitte des<br />

Kirchenraumes hineingezogen, sodass die<br />

Bankreihen kreisförmig angeordnet werden<br />

konnten. Dadurch sollte nicht nur die Nähe<br />

der Gläubigen zum menschgewordenen<br />

Herrn betont, sondern auch die bewusste<br />

Teilnahme an der Liturgie erleichtert werden.<br />

Der zentrale Raum eignete sich dafür<br />

besser als der traditionell langgestreckte<br />

Kirchenkörper. Dies mag ein Grund für<br />

die in diesen Jahren vielfach entstandenen<br />

zentralen Kirchenanlagen sein. Allein, die<br />

heute schwindende innerkirchliche Identität<br />

äussert sich aber auch darin, dass die in<br />

den 1950er und 1960er Jahren rege Kirchenneubautätigkeit<br />

(Linus Birchler sprach im<br />

Zusammenhang mit einzig auf die Liturgie<br />

bedachten Kirchenräumen von «Ateliers<br />

für angewandte Liturgie») seit den 1970er<br />

Jahren fast vollständig zum Erliegen kam.<br />

Setzte das Zweite Vatikanische Konzil den<br />

<strong>Schw</strong>erpunkt auf die «feiernde Gemeinde»<br />

und auf die «Gemeinschaft», tragen jüngere<br />

Neubauten vermehrt wieder der «stillen<br />

Einkehr» und der «Meditation» Rechnung.<br />

Die zwischen 1992/94 von Mario Botta auf<br />

dem Berg Tamaro errichtete Kirche Santa<br />

Maria degli Angeli ist Beispiel hierfür. Sie<br />

ist auch Ausdruck für ein nicht ausschliesslich<br />

auf die liturgischen Reformbewegungen<br />

des Zweiten Vatikanums bezogenes Gottesdienstverständnis.<br />

Wo es sich aber nicht um Neubauten sondern<br />

um die Umgestaltungen älterer,<br />

schutzwürdiger Kulturbauten handelte,<br />

musste es wohl oder übel zu Interessenkonflikten<br />

zwischen Denkmalpflege und Kirchgemeinde<br />

kommen. Denkmalpflegerische<br />

<br />

und liturgische Verträglichkeit standen sich<br />

in der Praxis oft unversöhnlich gegenüber<br />

und führten zu mehr oder weniger geglückten<br />

Kompromisslösungen. Verantwortlich<br />

hierfür waren wohl weniger die oft restriktive<br />

Praxis der Denkmalpflege, sondern<br />

der Eifer, mit dem die liturgischen Forderungen<br />

umgesetzt werden wollten und das<br />

oft erschreckend geringe Niveau der architektonischen<br />

Auseinandersetzung mit dem<br />

historischen Raum. Auch eine pragmatische<br />

Grenzziehung zwischen Liturgie und Erhaltung<br />

war – aus sachlichen Gründen – eher<br />

problematisch und weder der Denkmalpflege<br />

noch der verständnisvollen Nutzung des<br />

Baudenkmals förderlich. Umgekehrt führten<br />

auch rein denkmalpflegerische Überlegungen<br />

nicht selten zu historisierenden,<br />

den historischen Bestand irritierenden, und<br />

liturgisch nicht befriedigenden Resultaten.<br />

Suchte, im Bestreben die Einheit des Raumes<br />

zu bewahren, die Denkmalpflege in den<br />

70er- und 80er-Jahren in historisierenden<br />

Lösungen Zuflucht, zielt sie heute mehr auf<br />

Lösungen, welche den Zeitgeschmack erkennbar<br />

lassen.<br />

Letztlich ist aber jeder Kirchenraum ein<br />

Einzelfall und will gesondert beurteilt und<br />

behandelt werden. Eine einheitliche Doktrin<br />

aller Um- und Neugestaltungen lässt<br />

sich deshalb weder heute noch für den Zeitraum<br />

zwischen 1970 und1980 erkennen, so<br />

dass unterschiedliche Lösungsansätze überwiegen.<br />

Die zwischen 1970 und 1990 heftig<br />

geführten Diskussionen sind jedoch heute<br />

versöhnlicheren gewichen und als Grundsatz<br />

hat sich «die gemeinsame und ungeteilte<br />

Verantwortung für Liturgie und Denkmalpflege»<br />

(Georg Mörsch) durchgesetzt.<br />

Sie bedingt gegenseitiges Verständnis, Sachverstand<br />

und ist offen für angemessene, verträgliche,<br />

aber als neue Leistungen erkennbare<br />

Lösungen. Die 2000/01 von Bildhauer<br />

Kurt Sigrist geschaffene Neugestaltung des<br />

Altarbezirkes in der Hofkirche St. Leodegar<br />

in Luzern ist ein typisches Beispiel hierfür.<br />

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(1943) studierte<br />

Architektur- und<br />

Kunstgeschichte<br />

an der Pariser<br />

Sorbonne und in<br />

Zürich. Er war<br />

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Luzern. Ab 1977 war er in verschiedenen<br />

Funktionen für die Eidgenössische<br />

<br />

welche er 1991-1996 präsidierte. Er führt<br />

seit 1992 in Luzern ein eigenes Büro für<br />

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