Ecclesia semper reformanda - Schw. StV
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stiessen auf kontroverse Beurteilung, und<br />
die aufbrechenden Kontroversen hinderten<br />
Balthasar daran, seine umfassende Arbeit<br />
zu Ende zu führen. In der Folge machte er<br />
sich die Sensibilisierung der Gläubigen zum<br />
Anliegen und äusserte sich in Interviews,<br />
Radiosendungen und Vorträgen ausgiebig<br />
zum bevorstehenden Konzil. Bald wurde indes<br />
deutlich, dass man weder in Rom noch<br />
am Bischofssitz in Solothurn die Bedeutung<br />
von Balthasars Stellungnahmen zu würdigen<br />
wusste: Sowohl bei der Ernennung der<br />
Konzilstheologen als auch bei der Besetzung<br />
des neu geschaffenen Einheitssekretariates<br />
oder bei der Berufung persönlicher Berater<br />
kam er nicht zum Zug – ein Vorgehen, welches<br />
Henri de Lubac zehn Jahre nach dem<br />
Konzil in einem Rückblick in der Zeitschrift<br />
«Communio» als «merkwürdig, ja beschämend»<br />
charakterisieren sollte.<br />
<br />
Während des Konzils und in der Zeit unmittelbar<br />
danach wurde Hans Urs von Balthasar<br />
nicht müde, die Eigenheiten dieser<br />
Kirchenversammlung in Erinnerung zu<br />
rufen. 1966 setzte er sich in der Civitas mit<br />
dem grundsätzlichen Spannungsverhältnis<br />
von «Reform oder Aggiornamento» auseinander<br />
und bestand energisch darauf,<br />
dass es dem Konzil nicht um den Aufweis<br />
der Grundwahrheiten gegangen sei, sondern<br />
dass es diese vorausgesetzt habe – ein<br />
Zusammenhang, auf den Johannes XXIII.<br />
in der Eröffnungsrede bereits deutlich hingewiesen<br />
hatte. Als Aufgabe habe vielmehr<br />
die sinnvolle, zeitgerechte Aussageweise der<br />
Wahrheit vor Augen gestanden, nicht die<br />
Inhalte an sich. Würde man also, so meinte<br />
Balthasar, die neuen Texte allein ins Zentrum<br />
der Verkündigung stellen, so käme<br />
dies einem grundlegenden Missverständnis<br />
gleich – ja es wäre «eine totale Verarmung<br />
des christlichen Kerygmas». Im gleichen<br />
Beitrag stellte er sich einerseits hinter die<br />
Liturgiereform und warnte andererseits<br />
die «liturgischen Puristen und Aktivisten»<br />
vor einem neuen «triumphalen Klerikalismus<br />
…, der die Gemeine herumdirigiert wie<br />
in einer Manege».<br />
Solche kritische Distanznahme fand später<br />
ihre Vertiefung, als Balthasar in einem Essay<br />
zu «zwei Glaubensweisen» es als «nicht<br />
aufzuhebende Tragik des letzten Konzils»<br />
bezeichnete, «dass es ein Unternehmen des<br />
Aggiornamento und nicht der Reform war»<br />
(in: Spiritus Creator. Skizzen zur Theologie<br />
III). Diese Haltung fand später noch eine<br />
Vertiefung – nicht als Einwand gegen das<br />
Konzil, sondern als Bedenken gegen eine<br />
misslungene Umsetzung. Insbesondere galt<br />
dies für die Liturgiereform, welche in seinen<br />
Augen gegen die ursprüngliche Intention<br />
zum zentralen Inhalt des Konzils emporstilisiert<br />
worden sei und welche nun im gläubigen<br />
Volk Verwirrung stifte und gar vom<br />
Gebet fernhalte. Immer wieder – bereits im<br />
Jahr 1964 – hatte er auf die Gefahr liturgischer<br />
Selbstinszenierung hingewiesen, auch<br />
auf «Auswüchse des Liturgismus», welche<br />
dazu führten, das Gläubige selbst beim<br />
Gebet herumkommandiert würden. Gleichsam<br />
als Summe aller späteren Warnungen<br />
veröffentlichte er noch im Abschlussjahr des<br />
Konzils den Band «Wer ist ein Christ» – ein<br />
Buch, das man künftig ohne Zweifel zu den<br />
bedeutendsten Schriften der katholischen<br />
Theologie im 20. Jahrhundert rechnen sollte.<br />
In Balthasars Augen hatte wies die Konzilsrezeption<br />
auf vier Feldern Schlagseite<br />
auf: Beim Umgang mit der Bibel vermisste<br />
er generell theologische Sensibilität, in der<br />
Liturgie sorgte er sich um die mystische<br />
Stille, die verdrängt und durch hektische<br />
Betriebsamkeit ersetzt sei, in der praktizierten<br />
Ökumene sah er Belastung durch Relativierung<br />
und Nivellierung, und im Blick auf<br />
die notwendige christliche Weltgestaltung<br />
beklagte er einen Mangel an spiritueller<br />
Durchdringung.<br />
<br />
Die institutionelle Distanz zwischen Hans<br />
Urs von Balthasar und dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil wirkt überraschend – insbesondere<br />
im Blick auf die singulären Nachwirkungen.<br />
Unter den <strong>Schw</strong>eizer Theologen<br />
des 20. Jahrhunderts sind nur wenige, deren<br />
Werk in der systematisch-theologischen<br />
Auseinandersetzung in vergleichbarer Weise<br />
präsent sind: Aus den unterschiedlichsten<br />
Perspektiven werden Balthasars Schriften<br />
aktuell gelesen und interpretiert – eine<br />
Rezeption in unvergleichlicher Breite und<br />
weit über unser Gebiet hinaus. Durch seine<br />
Arbeit wurde er zu einem der wichtigen<br />
Vordenker des Konzils, dessen Verlauf er<br />
begleitet und kommentiert hat. Auch ohne<br />
Präsenz in den Kommissionszimmern fand<br />
er mit seinem theologischen Verständnis<br />
Eingang in die Debatten. Wenn er nicht<br />
sichtbar in Erscheinung trat, so war dies keineswegs<br />
Ausdruck mangelnder Bekanntheit<br />
oder aktiver Ausgrenzung. Vielmehr dürfte<br />
es der Lebensgeschichte Balthasars und dem<br />
kurz vor 1960 gescheiterten Arrangement<br />
mit der Gesellschaft Jesu zuzuschreiben<br />
sein, andererseits aber auch einer zunehmend<br />
kritischen Haltung bei ihm selbst.<br />
Vielleicht war es dieser Eindruck, der ihm<br />
später, nach 1990, auch in Rom zu allerhöchstem<br />
Ansehen verholfen hat. Mehr und<br />
mehr stilisierten ihn jene zu ihrem Vorbild,<br />
welche seit jeher dem konziliaren Aggiornamento<br />
nur mit Reserve begegnet waren und<br />
welche epochale Aufbrüche wie die liturgische<br />
Erneuerung in erster Linie an ihren<br />
gescheiterten Versuchen zu messen bereit<br />
waren. Sie misstrauten dem Erwachen der<br />
Kirche in den Herzen der Menschen, welche<br />
sich aufmachten, Verantwortung zu übernehmen<br />
für die Gemeinschaft des Glaubens<br />
und welche sich interessierten für eine ganz<br />
neue Ernsthaftigkeit im sozialen Engagement<br />
der Kirchen; sie misstrauten jenen<br />
Frauen und Männern, die sich ermutigt sahen<br />
durch den Anstoss des Konzils und die<br />
in den Folgewirkungen prophetische Zeichen<br />
erkannten – zum Beispiel in der zweiten<br />
Vollversammlung des lateinamerikanischen<br />
Episkopates in Medellín (26. August<br />
bis 6. September 1968). Mag solche Vereinnahmung<br />
an Aktualität nichts eingebüsst<br />
haben und selbst heute noch gepflegt werden:<br />
Eine sorgfältige Lektüre der einschlägigen<br />
Texte aus den fünfziger und sechziger<br />
Jahren zeigt Hans Urs von Balthasar als einen<br />
wirklichen Wegbereiter von Konzil und<br />
Kirchenreform. Dass die Verantwortlichen<br />
es nicht fertig gebracht haben, ihn für die<br />
Arbeit dieser Versammlung unmittelbar zu<br />
engagieren, ist ein historisches Versäumnis.<br />
Einmal mehr hat damals die Kirche eines ihrer<br />
kostbaren Talente kurzerhand im Acker<br />
vergraben – ein Fanal für die Gegenwart<br />
und eine Mahnung für die Zukunft.<br />
<br />
<br />
(1959) studierte<br />
Theologie in Freiburg<br />
und Luzern.<br />
Seit 1994 ist er<br />
ordentlicher Professor<br />
für Kirchengeschichte<br />
an der Theologischen Fakultät<br />
in Luzern. 2001 bis 2006 war er Rektor,<br />
seit 2010 ist er Prorektor der Universität<br />
Luzern. Markus Ries v/o Spontifex ist<br />
Mitglied der Waldstättia.<br />
civitas 1-2012 19