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Ecclesia semper reformanda - Schw. StV

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Hans Urs von Balthasar,<br />

der abwesende Konzilstheologe<br />

von Prof. Dr. Markus Ries<br />

Nachgeborene mag es auf den ersten<br />

Blick erstaunen: Das Zweite<br />

Vatikanische Konzil, mit grossem<br />

Anspruch einberufen und mit höchsten Erwartungen<br />

am 11. Oktober 1962 eröffnet,<br />

hat die katholische Welt bis in die äussersten<br />

Verästelungen in Atem gehalten. Wie<br />

bei Konzilien üblich, gehörten Theologen zu<br />

den entscheidenden Akteuren - in Kommissionsprotokollen<br />

und in Akkreditierungslisten<br />

erscheinen die ersten Namen der damaligen<br />

Zeit. Nirgendwo genannt ist indes<br />

der1905 in Luzern geborene und seit 1940<br />

in Basel lebende <strong>Schw</strong>eizer Theologe Hans-<br />

Urs von Balthasar, obwohl Texte aus seiner<br />

Feder – von denen mehrere zuerst in der<br />

Civitas erschienen sind – in den sechziger<br />

Jahren zu den meist gelesenen zählten und<br />

obwohl er als Seelsorger und geistlicher Begleiter<br />

in höchstem Ansehen stand.<br />

Eine solche Konstellation irritiert<br />

umso mehr, als Balthasar mit Fug zu den<br />

Vorkämpfern der kirchlichen Öffnung zählen<br />

könnte. In seinem berühmten Aufruf<br />

zur «Schleifung der Bastionen» von 1952<br />

beklagte er die Binnenfixierung der Kirche<br />

und rief energisch auf zur «Weitung des<br />

Blickfeldes». Damit zählt er zu den frühen<br />

Mahnern, deren Ruf für das spätere aggiornamento<br />

sensibilisierte und den konziliaren<br />

Prozessen den Boden bereitete. Mehr noch:<br />

Er gehörte zu den Urhebern eines epochalen<br />

Aufbruches, von denen sich einige zwanzig<br />

Jahre später die Augen reiben sollten. Jedenfalls<br />

sah Balthasar sich 1971 veranlasst, mit<br />

«Klarstellungen» zur Ordnung zu rufen;<br />

offenkundig war der Eindruck entstanden,<br />

der einst mitbewirkte Aufbruch habe sich<br />

in seiner ganzen Dynamik verselbstständigt<br />

und der Kontrolle entzogen. Dass dem<br />

nicht so war, konnte Balthasar nicht mehr<br />

richtig erleben: Als ernannter, aber noch<br />

nicht in Purpur gehüllter Kardinal starb er<br />

am 26. Juni 1988, noch ehe im darauf folgenden<br />

Jahrzehnt an die einst hoffnungsvollen<br />

Schösslinge der Nachkonzilszeit<br />

die Axt gelegt wurde. Wer je die Prozesse<br />

der siebziger Jahre, insbesondere die verschiedenen<br />

europäischen Synoden oder<br />

die Revision des kirchlichen Gesetzbuches<br />

von 1917 näher in Augenschein genommen<br />

hat, wird von verantwortungsvoller Hege<br />

hoffnungsvoller Anfänge wenig berichten<br />

können – umso mehr aber von Zertrampeln<br />

und Kleinhacken. Im Ergebnis leidet heute<br />

die geschundene Kirche, verstanden als Gemeinschaft<br />

der übrig gebliebenen praktizierenden<br />

Gläubigen, an deutlich mehr als<br />

an den fünf Wunden, die noch der grosse<br />

Priester Antonio Rosmini zu beklagen hatte.<br />

Dass der Aufschrei darüber bei uns nur<br />

vergleichsweise schwach zu hören ist, ändert<br />

wenig an der Diagnose. Vielmehr ist es dem<br />

Umstand geschuldet, dass in vielen Gebieten<br />

der <strong>Schw</strong>eiz das kirchliche Leben angestammten<br />

Zuschnittes mittlerweile vor dem<br />

Kollaps steht.<br />

<br />

Im Gegensatz zu anderen damals bereits angesehenen<br />

Theologen wie Hans Küng oder<br />

Charles Journet wurde Hans Urs von Balthasar<br />

nicht in die Reihen der zunächst 315 und<br />

später 450 Konzilstheologen berufen, welche<br />

als «periti» einen fest definierten Status<br />

in der Organisation hatten. So blieb seine<br />

Mitwirkung auf andere Kanäle verwiesen.<br />

Dieser besonderen Rolle hat Peter Henrici<br />

vor vier Jahren in seinem Buch über «Hans<br />

Urs von Balthasar. Aspekte seiner Sendung»<br />

eine beeindruckende Erinnerung gewidmet.<br />

Demnach ist der Basler Theologe dem Konzil<br />

zugleich nahe und fern geblieben. Die<br />

erste bedeutende Einflussnahme geschah<br />

dadurch, dass Balthasar das Denken der<br />

«nouvelle théologie» durch Übersetzungen<br />

und Kommentare auch ausserhalb des<br />

französischsprachigen Raumes zugänglich<br />

machte. Insbesondere engagierte er sich für<br />

die Rezeption der Schriften des Jesuitenpaters<br />

Henri de Lubac, die er übersetzte und<br />

kommentierte – eine Arbeit, die an mehreren<br />

Stellen der Offenbarungskonstitution<br />

Dei Verbum ihren sichtbaren Niederschlag<br />

finden sollte. Seit 1952 war er Mitglied der<br />

«Katholischen Konferenz für ökumenische<br />

Fragen», eines prominent bestezten, durch<br />

den Freiburger Bischof François Charrière<br />

gegründeten Gesprächskreises. Dank solcher<br />

Vorbereitung konnte er sich bereits<br />

mit viel Erfahrung dem Thema widmen,<br />

als es nach der Konzilsankündigung im<br />

Jahr 1959 innerhalb weniger Monate in<br />

allen kirchlichen Agenden an Bedeutung<br />

gewann – die begeisterte Aufnahme von<br />

Hans Küngs Schrift «Konzil und Wiedervereinigung»<br />

führt dies deutlich vor Augen.<br />

Gegenüber dem Berliner Erzbischof und<br />

späteren Konzilspräsidenten Julius Döpfner<br />

sprach Balthasar vom «unerträglichen<br />

Skandal der Schismen», und er übernahm<br />

den Auftrag, für die Konzilsvorbereitung<br />

eine umfassende theologische Bestandesaufnahme<br />

zu erarbeiten. Die in Gang gekommene<br />

Diskussion führte jedoch zu einer<br />

unerwarteten Steigerung der Erwartungen<br />

– ernsthafte Stimmen wurden laut, welche<br />

als expliziten Programmpunkt für das Konzil<br />

die Überwindung der Kirchenspaltung<br />

und die Zusammenführung der getrennten<br />

Konfessionen forderten. Solche Hoffnungen<br />

Foto: zVg<br />

18 civitas 1-2012

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