Ecclesia semper reformanda - Schw. StV
Ecclesia semper reformanda - Schw. StV
Ecclesia semper reformanda - Schw. StV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
mationen der Pressestelle und die Geheimniskrämerei<br />
des Konzils. Doch man darf annehmen,<br />
sie haben darunter nicht allzu sehr<br />
gelitten. Es liess Raum für Spekulationen,<br />
Indiskretionen und journalistische Wagnisse,<br />
die unter offeneren Bedingungen nicht<br />
möglich gewesen wären.<br />
Ebensolche Indiskretionen führten<br />
dazu, dass die Interventionen der Bischöfe<br />
Liénart und Frings gegen eine schnelle Abwicklung<br />
der Kommissionswahlen zugunsten<br />
der Kurie in der ersten Arbeitssitzung<br />
publik wurden. Nicht nur die Väter im Petersdom<br />
spendeten Applaus – was in der<br />
zweiten Sitzung als dem Konzil unwürdig<br />
verboten wurde –, sondern auch die Journalisten.<br />
Die Väter setzten ein erstes grosses<br />
Ausrufezeichen. Sie waren nicht bereit, sich<br />
am Konzil von der Kurie gängeln zu lassen:<br />
es wurde mehr Zeit ausbedungen, damit<br />
sich die Versammlung erst einen Überblick<br />
über das Teilnehmerfeld verschaffen konnten,<br />
um erst dann die Vertreter in die Kommissionen<br />
zu wählen. In der Folge wurden<br />
nur wenige Väter aus der Kurie und Italien<br />
in die Kommissionen gewählt. Die Presse<br />
teilte die Versammlung in zwei Blöcke: die<br />
Liberalen unter Frings und Liénart sowie<br />
die Konservativen unter Kardinal Ottaviani.<br />
Die NZZ witterte im Vatikan einen «wind<br />
of change». Das sozialdemokratische Volksrecht<br />
sah Tendenzen zur erhofften «Entitalienisierung».<br />
Die NZN schreibt: «Es spricht<br />
nicht mehr Rom, sondern man spricht in<br />
Rom, und man spricht sehr verschieden.»<br />
Die Sympathien der Journalisten gehörten<br />
den Liberalen, während Kardinal<br />
Ottaviani alsbald zur Journalistenreizfigur<br />
avancierte. Als Sekretär des Heiligen Offiziums<br />
stand er derjenigen Institution vor, der<br />
nach Meinung der Luzerner Neuesten Nachrichten<br />
das Konzil «den tödlichen Stoss<br />
versetzen» werde. Nominell fand dieser<br />
Stoss tatsächlich statt. Es heisst jetzt «Kongregation<br />
für die Glaubenslehre». Die Weltwoche<br />
hatte schon damals recherchiert und<br />
herausgefunden, dass Kardinal Ottavianis<br />
Wappenspruch <strong>semper</strong> idem (immer derselbe)<br />
heisst. Im Konzilsjahr 1962, nachdem<br />
der Papst öffentlich und privat schon viel<br />
vom aggiornamento (Erneuerung der Kirche)<br />
gesprochen hat, schrieb sich Ottaviani<br />
anlässlich seiner Bischofsweihe die Reaktion<br />
auf sein Schild – wohl in vorausahnender<br />
Wehrbereitschaft.<br />
Als die Zeitungen zu Beginn der ersten<br />
Konzilssitzungen fleissig über die Blockbildungen<br />
innerhalb des Konzils schrieben<br />
und den Gegensatz von konservativen und<br />
liberalen Kräften stark betonten, mischte<br />
sich das Pressebüro ein. Dass sich die Journalisten<br />
erdreisteten, sich über die Blockbildung<br />
innerhalb des Konzils überhaupt<br />
schreibend Gedanken zu machen, wurde<br />
ausdrücklich gerügt. Der NZZ-Korrespondent<br />
schreibt unter «Tadel gegen die Journalisten»:<br />
«Man erkennt, dass die Würde<br />
der Versammlung darunter leidet, wenn<br />
ihr interne Verschwörungen und Intrigen<br />
zugetraut werden. Dass diesem Uebel allein<br />
eine offene Information abhelfen könnte, erkennt<br />
man nicht.»<br />
Im Allgemeinen herrschte aber doch<br />
freundliches Einvernehmen zwischen Vatikan<br />
und Presse. So bedankte sich Papst<br />
Johannes XXIII. in seiner Ansprache zum<br />
Abschluss der ersten Session für das «weltweite<br />
Echo». Man wusste, was man aneinander<br />
hatte.<br />
Der Sonderberichterstatter der National-Zeitung<br />
gibt Einblicke in die erfolgreicheren<br />
Wege der Informationsbeschaffung:<br />
ein «konzilianter» Abend mit den Vätern<br />
im Restaurant Frascati. Nach der Aufforderung<br />
des Journalisten, vom Konzil zu erzählen,<br />
sagt der Vater, dass sie heute wieder<br />
die Messe gefeiert hätten, dass wieder das<br />
Evangelium inthronisiert wurde, dass sie<br />
das Präsidium wieder mahnte, das Konzilsgeheimnis<br />
streng zu hüten, um dann unvermittelt<br />
das lateinische Stenogramm der Sitzung<br />
auszupacken und es dem Journalisten<br />
zu übersetzen.<br />
Papst Johannes XXIII. hat der Welt<br />
1959 ein spettacolo angekündigt, das diese<br />
begeistert antizipierte. Natürlich hätte die<br />
Öffentlichkeit gern hinter die Kulissen gesehen<br />
und wäre den wallenden Rauchmänteln<br />
in den Petersdom gefolgt, um dann wohl<br />
alsbald an den lateinischen Voten der Väter<br />
zu verzweifeln. Aber, es lässt sich wohl<br />
sagen, dass der Reiz des Konzils für Journalisten<br />
und Publikum nicht zuletzt aus<br />
dem Spannungsfeld von Öffentlichkeit und<br />
Geheimnis bestand, in welchem sich die katholische<br />
Kirche seit jeher bestens auskennt.<br />
Im Zweiten Vatikanischen Konzil trafen öffentliche<br />
Spektakel mit Übertragungen in<br />
die ganze Welt auf die mit dem Konzilsgeheimnis<br />
versiegelten Münder der Väter, die<br />
geschlossenen Pforten des Peterdoms. Doch<br />
das Vatikanum II verschob die Relationen<br />
ein wenig zugunsten der Öffentlichkeit. Die<br />
Journalisten waren selbst Teil der neuen<br />
und vielzitierten «horizontalen Katholizität»<br />
und wurden informell eingebunden.<br />
Hanno Helbling schreibt in der NZZ: «Denn<br />
irgendwie, durch ein kleines Wunder wohl,<br />
ist der Weg vom Konzil hinaus, zur Öffentlichkeit,<br />
breiter und ebner geworden. Man<br />
darf die Dokumente heute sub secreto lesen,<br />
die man früher stehlen musste; man kann<br />
mit Leuten sprechen, die vorher dauernd<br />
erkältet waren.» Und doch: «Was sich alles<br />
bei geschlossenem Vorhang und hinter den<br />
Kulissen abgespielt hat, bleibt weitgehend<br />
Geheimnis.»<br />
<br />
Viele Debatten des Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil muten heute weltfremd und verstaubt<br />
an. Einem säkularisierten Menschen<br />
müssen etwa Sitzungen, die sich mit der<br />
Rolle Marias in der katholischen Kirche beschäftigten<br />
als geradezu grotesk erscheinen.<br />
Interessanterweise ist es christlichen Journalisten<br />
vor fünfzig Jahren nicht wesentlich<br />
anders ergangen. Sie können sich einer –<br />
wenngleich wohlwollenden – ironisch-distanzierten<br />
Schilderung der Ereignisse nicht<br />
erwehren. Und diese scheint vom Publikum<br />
über die Konzilsjahre goutiert worden zu<br />
sein. Nur waren sie hoffnungsvoll, dass sich<br />
die Kirche nun endlich an die Teilentrümpelung<br />
ihres mitunter bedenklichen Kuriositätenkabinetts<br />
(masslose Überhöhung<br />
Marias, Ablehnung der Mischehe, Schuld<br />
der Juden am Tod Jesus Christus) machen<br />
würde. Die Presse staunte schon damals,<br />
wie die Konzilsväter zu einer Erneuerung<br />
der Kirche bereit waren, die die Mehrheit<br />
der <strong>Schw</strong>eizer Katholiken und Protestanten<br />
als wünschenswert erachtete. Heute kann<br />
man sagen, damals war die Kirche verhältnismässig<br />
modern.<br />
<br />
,<br />
1983 geboren, ist<br />
wachsen<br />
und lebt<br />
heute in Zürich. Er<br />
studierte Germanistik,<br />
Geschichte<br />
<br />
an den Universitäten Zürich und Wien.<br />
Vor kurzem hat er sein Studium mit dem<br />
Lizentiat abgeschlossen. In seiner linguistischen<br />
Lizentiatsarbeit beschäftigte er<br />
sich mit der katholischen Beichte als Form<br />
der Selbstthematisierung.<br />
civitas 1-2012 17