PDF Download - Kindergarten und Schule in Südtirol
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Abbildungen des Lernens<br />
Phänomenologisch-philosophische Ansätze <strong>in</strong> den Bildungswissenschaften suchen nach dem Geheimnis des Lernens.<br />
Auch Gehirnforschung <strong>und</strong> PISA beschäftigen sich mit Fragen nach dem „Wie“ des Lernens.<br />
Helmuth Mathà* stellt die Sichtweisen dazu vor <strong>und</strong> Argumentationsl<strong>in</strong>ien gegenüber.<br />
Was haben die an spät impressionistische Landschaftsmalereien<br />
er<strong>in</strong>nernden bunten Flecken e<strong>in</strong>er Computertomografie des Gehirns<br />
auf Abbildung 1 <strong>und</strong> die genauso bunten, aber eher an kubistisch<br />
kühne L<strong>in</strong>ienführung er<strong>in</strong>nernden Grafiken e<strong>in</strong>es „large scale assessments“<br />
(Schulleistungsuntersuchung) der Abbildung 2 geme<strong>in</strong>sam?<br />
Auf den ersten Blick nicht viel, möchte man me<strong>in</strong>en, abgesehen<br />
davon, dass beide durchaus ihren Platz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen<br />
Museum f<strong>in</strong>den würden <strong>und</strong> so wie für viele andere Objekte dem<br />
Interpretationsspielraum des jeweiligen Betrachters kaum Grenzen<br />
gesetzt s<strong>in</strong>d.<br />
In Wirklichkeit, so zum<strong>in</strong>dest lautet die Ansicht von Gehirnforschung<br />
<strong>und</strong> Bildungspolitik, gibt es hier nichts zu <strong>in</strong>terpretieren. Hier handle<br />
es sich nicht um künstlerische Fantasie, Kreativität <strong>und</strong> Vision,<br />
sondern um kühle Empirie, exakte Wissenschaft, Zahlen, die die<br />
„Wirklichkeit“ zeigen.<br />
Dem Lernen zuschauen, Kompetenzen vermessen<br />
Abgebildet s<strong>in</strong>d feuernde Neuronen lernender Gehirne beziehungsweise<br />
statistisch aufbereitete Messungen von Lernergebnissen. Das<br />
ist also das geheime Band, das L<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> Farbkleckse der genannten<br />
Bilder verb<strong>in</strong>det: Ums Lernen geht es. Und zwar nicht um irgende<strong>in</strong><br />
Lernen, sondern um „das Lernen“. Jenes Lernen, das den<br />
willkürlich-amateurhaft anmutenden Beschreibungs- <strong>und</strong> Bewertungspraktiken<br />
der klassischen Lernorte entzogen, nun im wahrsten<br />
S<strong>in</strong>ne des Wortes sichtbar <strong>und</strong> messbar wird. Sichtbar, <strong>in</strong>dem<br />
man dem Gehirn durch Hightech beim Lernen zuschaut oder <strong>in</strong>dem<br />
man mit aufwändig-teuren Verfahren Kompetenzen zuerst def<strong>in</strong>iert<br />
<strong>und</strong> dann vermisst. Wer sich heutzutage als Experte oder Expert<strong>in</strong><br />
an der Bildungsdiskussion beteiligt, wird nicht drum herumkommen<br />
die neuesten Erkenntnisse der Gehirnforschung <strong>in</strong>s Feld zu führen,<br />
<strong>in</strong> den entscheidenden Debattemomenten e<strong>in</strong>e Pisa-Statistik zu zücken,<br />
um der eigenen Argumentation das nötige Gewicht, die diskussionsentscheidende<br />
Wende zu geben.<br />
Es ist vielleicht ke<strong>in</strong> Zufall, dass die suggerierten Argumentationslogiken<br />
<strong>und</strong> ihre Wirkmächtigkeit – sowohl jene der Gehirnforschung<br />
als auch jene der datengestützten Bildungssteuerung – jenen<br />
zwei Themenfeldern entsprechen, welchen heutzutage große<br />
mediale Aufmerksamkeit zukommt: Wirtschaft <strong>und</strong> Sport. Die Kurven<br />
der Lernstandsgrafiken, die Zahlen- <strong>und</strong> ihre statistische Auswertung<br />
müssten jedem CEO (Vorstandsvorsitzender) e<strong>in</strong>es mult<strong>in</strong>ationalen<br />
Konzerns e<strong>in</strong> Schaudern des Entzückens über den Rücken<br />
jagen. Bildungsverantwortliche mutieren zu<br />
Bildungsmanagern, die mit Laserpo<strong>in</strong>tern auf Powerpo<strong>in</strong>tfolien tatsächliche<br />
oder verme<strong>in</strong>tliche Erfolge <strong>und</strong> Misserfolge belegen.<br />
Sportlicher wird es bei der Gehirnforschung. Die Idee der synaptischen<br />
Verstärkung, sofern der durch den Lerncoach gesetzte Reiz<br />
der richtige ist, löst Assoziationen zum Hochleistungssport aus. Heraufbeschworen<br />
wird das Bild des „tra<strong>in</strong>ierenden“ Gehirns, das so<br />
ähnlich wie Muskeln im Fitnessstudio auf Leistung getrimmt wird,<br />
wenn nur die richtigen Botenstoffe an den richtigen Rezeptoren andocken.<br />
Erst <strong>in</strong> jüngster Zeit s<strong>in</strong>d auch wieder Stimmen zu hören, die jenseits<br />
der verführerisch logischen <strong>und</strong> durch ihre Bildstärke wirkmächtigen<br />
Argumentationsstränge der Gehirnforscher <strong>und</strong> der Bildungsstatistiker<br />
versuchen, dem Geheimnis des Lernens auf die<br />
Spur zu kommen. Vor allem aus dem phänomenologischen Blickw<strong>in</strong>kel,<br />
wie sie die Bildungswissenschaftler<strong>in</strong> Käte Meyer Drawe<br />
vertritt, wird der Ansatz der Gehirnforschung <strong>in</strong>frage gestellt, der<br />
das „Gehirn als Regelextraktionsmasch<strong>in</strong>e“ (vgl. Spitzer, 2002. 75)<br />
sieht. Das selbst referenziell reagierende Gehirn benötigt den Lehrenden<br />
nur noch <strong>in</strong> der Rolle des Animateurs, Moderators oder eben<br />
als Coach.<br />
„Tomographien gaukeln (aber nur) vor, die Arbeit des Gehirns preiszugeben.<br />
Dabei verhüllen sie ihre doppelte Künstlichkeit: Computer<br />
generieren aus physikalischen Gegebenheiten Bilder. Diese s<strong>in</strong>d<br />
ke<strong>in</strong>e Abbilder der Natur, sondern Artefakte von Artefakten.“ (zit. n.<br />
Meyer-Drawe)<br />
Lerngelegenheiten mit Platz fürs<br />
Ungewisse <strong>und</strong> Nicht-Geplante<br />
Was aber „Erfahrung“ bedeutet, wird nicht geklärt. Aber genau darum<br />
geht es. Es geht um die Erfahrung, oder besser gesagt darum,<br />
dass uns beim Lernen etwas widerfährt. Aus e<strong>in</strong>er phänomenologi-<br />
34 November 2013