Orientierungshilfen für Schulen und Schulleitungen Teil 1 (PDF)
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STAATLICHES SCHULAMT LÖRRACH<br />
Januar 2012<br />
SCHULENTWICKLUNG ZUR SCHULE<br />
DES INDIVIDUALISIERTEN UND<br />
KOOPERATIVEN LERNENS<br />
ORIENTIERUNGSHILFE<br />
FÜR SCHULEN UND SCHULLEITUNGEN – TEIL 1<br />
Erarbeitet von<br />
RR Hans-Martin Bratzel, Walther-von-Klingen-Realschule Wehr<br />
R Wolfgang Klingenfeld, Schulzentrum Steinen<br />
R Dr. Werner Nagel, Silberbergschule Todtnau<br />
R Dr. Helios Scherer, Johann-Peter-Hebel-Schule Waldshut-Tiengen<br />
R Andreas Schlageter, Hebelschule Schliengen<br />
L Agathe Bauer-Isak, Fachberaterin <strong>Schulen</strong>twicklung am Regierungspräsidium Freiburg<br />
RL Daniela Gütlin, Fachberaterin <strong>Schulen</strong>twicklung am Regierungspräsidium Freiburg<br />
L Angelika Hake, Fachberaterin am SSA Lörrach, Lerncoach, Hebelschule Schliengen<br />
RL Georg Kirsch, Fachberater am SSA Lörrach, Lerncoach, Schulzentrum Efringen-Kirchen<br />
Inés Maiguashca, Staatliches Schulamt Lörrach - Schulpsychologische Beratungsstelle<br />
KR Mario Enderle, Fachberater am SSA Lörrach, Wiesentalschule Maulburg<br />
SAD Frank Heinrich, Staatliches Schulamt Lörrach<br />
Ltd. SAD Helmut Rüdlin, Staatliches Schulamt Lörrach
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Inhaltsverzeichnis ......................................................................................... 2<br />
Vorwort ........................................................................................................ 4<br />
Veränderungsfaktoren ................................................................................. 5<br />
Demographische Entwicklung .................................................................................................. 5<br />
Heterogenität ............................................................................................................................ 7<br />
Die Frage nach dem Umgang mit heterogenen Lerngruppen .............................................. 7<br />
Was bedeutet Heterogenität in der Schule? ........................................................................ 8<br />
Heterogenität: Belastung oder Chance?............................................................................... 9<br />
Umgang mit Heterogenität im System Schule .................................................................... 10<br />
Lernen ..................................................................................................................................... 11<br />
Der Lernbegriff .................................................................................................................... 11<br />
<strong>Schulen</strong>twicklung in Orientierung am Lernbegriff .............................................................. 12<br />
Bildungspolitische Vorgaben <strong>und</strong> Schwerpunkte ................................................................... 15<br />
Zielsetzungen für <strong>Schulen</strong>twicklung ....................................................................................... 16<br />
Aufgaben für Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer ......................................................... 18<br />
Beziehung ................................................................................................................................ 19<br />
Begleitung ............................................................................................................................... 20<br />
Beurteilung .............................................................................................................................. 21<br />
Beratung .................................................................................................................................. 22<br />
Veränderungsfelder (-aspekte) für Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer .................................................. 22<br />
Veränderung der Lehrerrolle .............................................................................................. 22<br />
Veränderung der Arbeitszeit .............................................................................................. 23<br />
Aufgaben für Schulleiterinnen <strong>und</strong> Schulleiter ............................................ 25<br />
Verbindlichkeiten im <strong>Schulen</strong>twicklungsprozess .................................................................... 25<br />
Organisation der Schule des individuellen Lernens ................................................................ 26<br />
Entwicklungsmodell einer Unterrichtseinheit mit Individualisierungsphase<br />
(Inputphase/Coachingphase) .......................................................................................... 27<br />
Coachingphase .................................................................................................................... 28<br />
2
Wahlbereich ............................................................................................................................ 31<br />
Inputphase .......................................................................................................................... 31<br />
Coachingphase .................................................................................................................... 32<br />
Erweiterte Lernarrangements - Ein Beispiel aus der Hebelschule Schliengen ...................... 32<br />
Dokumentationsformen ......................................................................................................... 35<br />
Umgang mit persönlichen Daten ........................................................................................ 35<br />
Notwendige Rahmenbedingungen - gestaltete Räume ......................................................... 36<br />
Empfehlungen zur Führung in Veränderungsprozessen ........................................................ 38<br />
Unsere Ausgangslage .......................................................................................................... 38<br />
Ein Zukunftsbild entwickeln ................................................................................................ 39<br />
Orientierung geben ................................................................................................................. 40<br />
Strategien für das Vorgehen entwickeln ............................................................................ 40<br />
Handlungsbedarf deutlich machen ..................................................................................... 40<br />
Gefahren! ............................................................................................................................ 42<br />
Die besondere Bedeutung von Führung bei Veränderungsprozessen aus der Perspektive<br />
Fachberatung <strong>Schulen</strong>twicklung ........................................................................................ 42<br />
Gr<strong>und</strong>sätzliche Veränderungstypen ................................................................................... 42<br />
Was lösen Veränderungen aus? ......................................................................................... 43<br />
Schlussfolgerungen: Wie können Veränderungsprozesse zweiter Ordnung erfolgreich<br />
gestaltet werden? ............................................................................................................ 44<br />
Unterstützungsangebote ............................................................................ 46<br />
Fortbildung <strong>und</strong> <strong>Schulen</strong>twicklung ......................................................................................... 46<br />
Organisationshilfen im individualisierten Lernprozess ........................................................... 46<br />
Dokumentenserver – Die Dose ............................................................................................... 46<br />
Fazit ........................................................................................................... 48<br />
Literaturverzeichnis .................................................................................... 49<br />
3
VORWORT<br />
Zahlreiche Veränderungsfaktoren müssen handlungsleitend für die weitere Entwicklung der<br />
aktuellen Bildungslandschaft sein. Schule <strong>und</strong> damit Schulleitung muss sich verändern <strong>und</strong> zwar<br />
in allen Schularten. Dies hat Folgen für das Schulsystem insgesamt, aber auch für jede einzelne<br />
Schule.<br />
Die demographische Entwicklung führt vor allem in den ländlich strukturierten Räumen zu<br />
deutlich abnehmenden Schülerzahlen. Es muss unser gemeinsames Ziel sein – in Kooperation mit<br />
den kommunalpolitischen Verantwortungsträgern – leistungsstarke <strong>und</strong> attraktive Schulangebote<br />
in den ländlichen Regionen zu erhalten bzw. weiterzuentwickeln. Dies bedeutet, dass <strong>Schulen</strong><br />
nicht mehr in engen Zuständigkeitsbereichen von Orten, Orts- oder Stadtteilen gedacht werden<br />
können, sondern gemeinsam eine Versorgungsverantwortung für eine Raumschaft übernehmen<br />
müssen.<br />
Der konstruktive Umgang mit Heterogenität in der Schule (unabhängig von Schulart) stellt uns<br />
vor besondere Herausforderungen. Die Akzeptanz von Heterogenität bedeutet, dass alle dazu<br />
gehören. Heterogenität <strong>und</strong> Selektion passen nicht zusammen. Wir müssen lernen Heterogenität<br />
als Chance, nicht als Risiko zu begreifen <strong>und</strong> danach zu handeln. Diese Erkenntnis verlangt Veränderungen<br />
in der Einstellung der im Schulbereich handelnden. Kein Kind darf mehr unter dem<br />
Aspekt gesehen werden "er/sie gehört nicht zu uns – er/sie gehört nicht an unsere Schule".<br />
Die moderne Lern- <strong>und</strong> Hirnforschung gibt uns neue Erkenntnisse <strong>und</strong> Anregungen zum Lernen<br />
von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> ebenso Impulse für Kreativität, wie Lernen organisiert<br />
werden sollte.<br />
Nicht zuletzt die Veränderungen bildungspolitischer Vorgaben <strong>und</strong> Ideen müssen uns dazu zu<br />
bringen, Schule neu zu denken.<br />
Veränderungen bzw. Weiterentwicklungen sind dabei kein Selbstzweck, sondern Reaktion auf<br />
Bedürfnisse der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler, deren Eltern <strong>und</strong> der Gesellschaft insgesamt.<br />
Die folgenden <strong>Orientierungshilfen</strong> sollen Ihnen, den Schulleiterinnen <strong>und</strong> Schulleitern, dabei<br />
helfen, die notwendigen Entwicklungen gemeinsam mit Ihren Kollegien anzugehen.<br />
Nach einer kurzen analytischen Darstellung der wesentlichen Veränderungsfaktoren erhalten<br />
Sie Hinweise zu den veränderten Aufgaben <strong>und</strong> Rollen von Lehrkräften <strong>und</strong> von <strong>Schulleitungen</strong>.<br />
In den letzten Kapiteln möchten wir Ihnen Ansätze zur Steuerung von Entwicklungsprozessen<br />
geben <strong>und</strong> Sie auf Unterstützungsmöglichkeiten des Staatlichen Schulamtes Lörrach aufmerksam<br />
machen.<br />
Dazu wollen wir Sie auf Veröffentlichungen <strong>und</strong> Modelle hinweisen, die <strong>Schulen</strong> Anregungen<br />
geben können, passgenau Zielsetzungen für jede einzelne Schule zu erarbeiten.<br />
4
VERÄNDERUNGSFAKTOREN<br />
Welche Veränderungen bzw. Entwicklungen tragen dazu bei, dass die Individualisierung von<br />
Lernprozessen mehr <strong>und</strong> mehr als zentrale Herausforderung <strong>und</strong> als Aufgabe von Schule konstatiert<br />
wird? Um diese Fragestellung zu bearbeiten, werden im ersten Kapitel fünf Faktoren beleuchtet,<br />
die eine Veränderung von Schule <strong>und</strong> Unterricht nahelegen <strong>und</strong> die eine Individualisierung<br />
der Lernprozesse beeinflussen.<br />
Die zu erwartende Entwicklung der Schülerzahlen ist ein gr<strong>und</strong>legender Aspekt für schulische<br />
Arbeit. Das erste Unterkapitel fasst daher Prognosen zur demographischen Entwicklung im Land<br />
Baden-Württemberg <strong>und</strong> speziell in den Landkreisen Lörrach <strong>und</strong> Waldshut zusammen. Unter<br />
dem Schlagwort "Heterogenität" wird im folgenden Unterkapitel der Umgang mit der individuellen<br />
Verschiedenheit der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen beleuchtet <strong>und</strong> diskutiert, insbesondere im<br />
Hinblick darauf, welche Konsequenzen dies unter der Perspektive einer verstärkten Forderung<br />
nach Individualisierung hat.<br />
Als zentraler Veränderungsfaktor werden im dritten Unterkapitel aktuelle wissenschaftliche<br />
Annahmen darüber, wie Lernen sich vollzieht, thematisiert. Ziel der Darstellungen ist es, eine<br />
orientierende Gr<strong>und</strong>lage für die anstehenden Veränderungsprozesse zu liefern.<br />
Aktuelle bildungspolitische Vorgaben <strong>und</strong> Entwicklungen werden in Unterkapitel 4 zusammenfassend<br />
dargestellt. Sie bilden den übergeordneten Rahmen der schulischen Arbeit vor Ort.<br />
Daran aufbauend werden im letzten Unterkapitel schließlich Zielsetzungen <strong>und</strong> Arbeitsfelder der<br />
konkreten <strong>Schulen</strong>twicklung dargestellt. Dazu werden die Bereiche innerhalb der einzelnen<br />
Schule benannt <strong>und</strong> zueinander in Verbindung gesetzt, in denen die Entwicklungsarbeit ansetzt.<br />
DEMOGRAPHISCHE ENTWICKLUNG<br />
Die Daten der folgenden Darstellungen basieren auf der Bildungsberichterstattung 2011 des<br />
Landesinstituts für <strong>Schulen</strong>twicklung <strong>und</strong> des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg.<br />
ALLGEMEINE TRENDS<br />
Im Land Baden-Württemberg ist die Gesamtbevölkerungszahl seit dem Jahr 2008 leicht rückläufig.<br />
Für die Zukunft prognostiziert das Statistische Landesamt die Fortsetzung <strong>und</strong> leichte Beschleunigung<br />
dieses Trends. Noch bedeutsamer als die rein zahlenmäßige Entwicklung der Bevölkerung<br />
sind die zu erwartenden Veränderungen in der Altersstruktur. Der Altersdurchschnitt der<br />
Bevölkerung wird in den kommenden Jahren deutlich steigen. Im Jahr 1900 lag das Durchschnittsalter<br />
in Baden-Württemberg bei 38,8 Jahren. Im Jahr 2009 ist es bereits auf 42,5 gestiegen<br />
<strong>und</strong> für 2030 wird ein Altersdurchschnitt von 46,6 Jahren erwartet. Diese Entwicklung ist<br />
nicht zuletzt dem deutlichen Rückgang in der Zahl der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen geschuldet. War<br />
um 1900 noch fast jeder zweite Baden-Württemberger unter 20 Jahre alt, ist dies heute nur noch<br />
jeder fünfte <strong>und</strong> bis 2030 voraussichtlich nur noch jeder 6. Prozentual bedeutet dies, dass von<br />
2008 bis 2030 die Bevölkerung im Alter unter 20 Jahren im gesamten Land um 19% zurückgehen<br />
wird. Besonders stark sind von diesem Rückgang ländlich geprägte Gebiete betroffen. Sowohl für<br />
den Landkreis Lörrach, als auch für den Landkreis Waldshut liegt der erwartete Bevölkerungsrückgang<br />
daher noch über dem Landesdurchschnitt. Für den Landkreis Lörrach liegt der erwartete<br />
Rückgang der unter 20-Jährigen bis 2030 bei 21,1% <strong>und</strong> für den Landkreis Waldshut sogar bei<br />
23,5%, verglichen mit dem Jahr 2008.<br />
5
VORAUSSICHTLICHE ENTWICKLUNG DER SCHÜLERZAHLEN<br />
Auf Basis der gerade dargestellten erwarteten demographischen Entwicklung werden für alle<br />
allgemein bildenden Schularten bis 2030 rückläufige Schülerzahlen erwartet. Am moderatesten<br />
wird der Rückgang bei den Gr<strong>und</strong>schulen sein. Hier ist ein großer <strong>Teil</strong> des Schülerrückgangs laut<br />
Prognose bereits erfolgt. Im Landesdurchschnitt ist bei den Gr<strong>und</strong>schulen bis 2030 mit einem<br />
Rückgang der Schülerzahlen um 20%, verglichen mit dem Jahr 2008, zu rechnen. Im Landkreis<br />
Lörrach liegt dieser Wert mit 19,1% etwas unter dem Landesdurchschnitt, während der Landkreis<br />
Waldshut mit 22,2% einen stärkeren Rückgang an Gr<strong>und</strong>schülern zu erwarten hat.<br />
Für die Haupt-/Werkrealschulen ist eine Prognose auf Gr<strong>und</strong> der aktuellen Veränderungen im<br />
Kontext dieses Bildungsganges schwierig. Selbst unter der Annahme einer konstanten Übergangsquote<br />
nach der Gr<strong>und</strong>schule, werden die Schülerzahlen der Haupt- / Werkrealschulen deutlich<br />
sinken. Landesweit wird mit einem Minus von knapp 28% im Jahr 2030 gegenüber dem Jahr<br />
2008 gerechnet. Für diese Schulart wird in beiden Landkreisen Lörrach <strong>und</strong> Waldshut ein Rückgang<br />
der Schülerzahlen unter dem Landesdurchschnitt prognostiziert. Im Landkreis Lörrach liegt<br />
das Minus der Schülerzahlen in der Haupt- / Werkrealschule bis 2030 bei 26,2% <strong>und</strong> im Landkreis<br />
Waldshut bei 27,7%.<br />
Während die Realschulen in den vergangenen Jahren relativ konstante Schülerzahlen hatten,<br />
wird der demographische Wandel auch in dieser Schulart einen Rückgang der Schülerzahlen verursachen.<br />
Bis 2030 wird dieser Rückgang landesweit etwa 22% – wiederum verglichen mit dem<br />
Jahr 2008 – betragen. Der entsprechende Wert im Landkreis Lörrach liegt bei minus 20,2% <strong>und</strong><br />
im Landkreis Waldshut bei minus 21,4%.<br />
Im Bereich der Gymnasien verstärkt die Verkürzung der Schulzeit (G8) den demographischen<br />
Trend. Entsprechend hoch ist der erwartete Schülerrückgang bis 2030. Im gesamten Land wird<br />
die Zahl der Gymnasiasten verglichen mit 2008 um etwa 29% zurückgehen. Mit minus 29,1%<br />
liegen die Erwartungen für den Landkreis Lörrach auf diesem Niveau. Im Landkreis Waldshut wird<br />
der Rückgang mit 29,9% wiederum etwas höher erwartet.<br />
6
SCHULABGÄNGERZAHLEN NACH ABSCHLUSSARTEN<br />
Ergänzend zur Entwicklung der Schülerzahlen selbst ist die Prognose zur quantitativen Gewichtung<br />
der Schulabschlüsse bedeutsam, die hier jedoch nur kurz angerissen werden kann: Die<br />
Zahl der Absolventen mit Hauptschulabschluss wird in den kommenden Jahren weiter stark zurückgehen.<br />
Im Gegenzug wird die Zahl der mittleren Bildungsabschlüsse, nicht zuletzt durch die<br />
neuen Bildungsgänge, deutlich zunehmen. Ebenfalls deutlich steigen wird die Zahl der Studienberechtigten.<br />
HETEROGENITÄT<br />
Heterogenität heißt, die Vielfalt der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in vollem Umfang zu akzeptieren,<br />
d.h. dass Klassifizierungen in bestimmte Gruppen (Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong>, Kinder mit<br />
Behinderung, Leistungsgruppen usw.) immer wieder ausgeschlossen werden müssen.<br />
DIE FRAGE NACH DEM UMGANG MIT HETEROGENEN LERNGRUPPEN<br />
Der Umgang mit heterogenen Lerngruppen ist eine aktuell von verschiedenen Seiten verstärkt<br />
in den Fokus gestellte Herausforderung, der <strong>Schulen</strong> sich stellen müssen. Nach Wenning (2007)<br />
ist die Frage, wie mit Heterogenität in Lerngruppen umgegangen werden kann, weder als didaktisches<br />
Thema noch in Bezug auf Fragen der Förderung bestimmter Gruppen neu, wohl allerdings<br />
als institutionelles Problem. Verschiedene Anlässe tragen dazu bei, dass sich die Wahrnehmung<br />
<strong>und</strong> Einschätzung von Heterogenität gewandelt haben – wie z.B. Ergebnisse international vergleichender<br />
Schulleistungsforschung (ebd., S.20). Auch Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene<br />
sowie wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich auf Lernprozesse beziehen, sind Hintergründe für<br />
die verstärkte Forderung, der Unterschiedlichkeit der Schüler durch mehr Individualisierung in<br />
den Lernprozessen Rechnung zu tragen (s. M. Ortlieb/ N. Kränkel-Schwarz, 2010).<br />
Gleichzeitig zeigen nach Boller et al. (2007) wichtige Studien, „dass das deutsche Schulsystem<br />
nach wie vor von der paradigmatischen Idealvorstellung einer homogenen Gruppe, die ohne<br />
störende Einflüsse von innen <strong>und</strong> von außen im Lernen vorwärtskommen soll, bestimmt wird.“<br />
Die Suche nach einem veränderten Umgang mit Heterogenität kann insofern ein zentraler Faktor<br />
für Veränderungen an <strong>Schulen</strong> sein.<br />
7
WAS BEDEUTET HETEROGENITÄT IN DER SCHULE?<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich beschreibt der Begriff „Heterogenität“ im sozialen Kontext die Unterschiedlichkeit<br />
oder Verschiedenartigkeit von Personen hinsichtlich eines oder mehrerer Merkmale.<br />
Eine mögliche Unterscheidung, in welchen Merkmalen Heterogenität beschrieben werden<br />
kann, stellen Heyer et al. (2003, S.57f.) vor. Demnach unterscheiden Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />
sich<br />
in den kognitiven Lernvoraussetzungen,<br />
in den sprachlichen Kompetenzen,<br />
in den sozialen Kompetenzen,<br />
in den Interessen <strong>und</strong> Neigungen, der Leistungsmotivation <strong>und</strong> den Erwartungen,<br />
in den physischen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Voraussetzungen,<br />
im Alter,<br />
in den Traditionen, Wertmustern <strong>und</strong> Normen, die durch den sozialen <strong>und</strong> kulturellen Hintergr<strong>und</strong><br />
der Familie in die Schule mitgebracht werden,<br />
in Merkmalen, die sich aus der geschlechtsspezifischen Sozialisation ergeben.<br />
Wann <strong>und</strong> wo Gleichheit oder Ungleichheit „festgestellt“ wird, ist abhängig davon, welches<br />
Kriterium betrachtet wird, <strong>und</strong> welcher Maßstab für einen Vergleich angelegt wird. Homogenität<br />
oder Heterogenität sind also keine objektiven Eigenschaften, sondern Zuschreibungen, die durch<br />
einen Vergleich konstruiert werden. Somit ist Heterogenität ein „relativer“ Begriff (s. Wenning<br />
2007, S23f).<br />
Brügelmann definiert in diesem Sinne Heterogenität als eine „Zuschreibung von Unterschieden<br />
aufgr<strong>und</strong> von Kriterien, deren Bedeutung von sozialen Normen <strong>und</strong> Interessen abhängt“<br />
(2001, S.6). In der Auffassung von Höhmann (2009) kommt hinzu, dass auch die individuellen<br />
beruflichen Erfahrungen sowie das subjektive Bewusstsein für Heterogenität im Alltagshandeln<br />
von Lehrkräften mit dazu beitragen, wo Heterogenität wahrgenommen bzw. zugeschrieben wird.<br />
Aus dieser Perspektive ist es auch möglich, Faktoren für Heterogenität danach zu unterscheiden,<br />
ob sie institutionsintern oder –extern sind. Institutionsinterne Kategorien sind solche, bei<br />
denen die Kriterien vom Bildungswesen selbst gesetzt werden, z.B. durch Leistungsanforderungen<br />
oder durch Erwartungen, die durch die Einrichtung der Jahrgangsklasse im Hinblick auf altersbezogene<br />
Gleichheit oder Unterschiedlichkeit entstehen (s. Wenning 2007, S.25). Auch ist es<br />
denkbar zu überlegen, welche Heterogenitätsfaktoren kaum veränderbar sind <strong>und</strong> welche hingegen<br />
stark veränderbar bzw. definitionsabhängig sind (Höhmann 2009, S. 29). Daneben weist<br />
Wenning darauf hin, dass mit der Veränderung der Faktoren, in denen Personen sich unterscheiden,<br />
sich auch das Ausmaß der Heterogenität wandelt – hat ein Schüler sich in sozialen Kompetenzbereich<br />
gut weiterentwickelt, unterscheidet er sich irgendwann diesbezüglich nicht mehr von<br />
seinen Klassenkameraden.<br />
Die Maßstäbe zur Feststellung von Heterogenität aber auch ihre Wahrnehmung – auf welche<br />
Heterogenitätsfaktoren achten beispielsweise Lehrkräfte mehr, auf welche weniger – hängen eng<br />
mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen.<br />
8
HETEROGENITÄT: BELASTUNG ODER CHANCE?<br />
Auch wenn Wenning (2007) betont, dass Heterogenität bzw. Homogenität an sich keine normativen<br />
Begriffe im Sinne eines „besser“ oder „schlechter“ darstellen, so lassen sich dennoch<br />
unterschiedliche Haltungen zu Heterogenität beschreiben, ebenso wie Umgangsweisen mit ihr.<br />
Höhmann (2009) beschreibt zwei gegensätzliche Haltungen:<br />
Merkmale einer positiven Einstellung in Bezug auf Heterogenität sind<br />
eine differenzierte Betrachtung anhand unterschiedlicher Faktoren (s.o.),<br />
die Nutzung der Potenziale der Heterogenität – etwas, das sich auch im Schulklima widerspiegelt<br />
-, sowie keine normative Herangehensweise an das Individuum im Sinne einer Messung<br />
an einem mittleren Standard<br />
Heterogenität wird als Gewinn für sowohl leistungsstarke als auch leistungsschwache SchülerInnen<br />
gesehen.<br />
Empirische Belege zeigen, dass nach wie vor für eine große Gruppe der Lehrenden als einziger<br />
Faktor, bezüglich dessen sich Schüler unterscheiden, die Leistung relevant ist (Höhmann 2007).<br />
Eine „differenzierte Betrachtung“, wie sie oben genannt wird, bedeutet, dass viele oder alle der<br />
für Lernprozesse relevanten Faktoren wahrgenommen werden. Für die dritte Annahme - dass<br />
Heterogenität sowohl für leistungsstarke als auch leistungsschwache Schüler ein Gewinn sein<br />
kann, wenn sie mit differenzierenden oder individualisierenden Maßnahmen aufgegriffen wird –<br />
lassen sich laut Wischer (2007) empirische Belege finden.<br />
Der positiven Haltung zu Heterogenität stellt Höhmann eine skeptische Lehrerhaltung gegenüber,<br />
in der Heterogenität als Belastungsfaktor wahrgenommen wird – eine Haltung, die in Untersuchungen<br />
zu Lehrereinstellungen zu Heterogenität vielfach gef<strong>und</strong>en wird (Wischer, 2007).<br />
Zwar zeigt die Forschungslage, dass sich im Unterrichtsalltag seit den 1980er Jahren eine<br />
deutliche Tendenz zum Methodenpluralismus <strong>und</strong> zur Schüleraktivierung zeigt, dennoch gibt es<br />
weiterhin eine große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an Differenzierung <strong>und</strong> Individualisierung,<br />
wie sie aktuell vielfach formuliert werden, <strong>und</strong> der Unterrichtspraxis (Wischer, 2007).<br />
Wischer stellt hierzu die Frage, wie mit dieser Diskrepanz umzugehen ist. Sie wirft die Frage auf,<br />
ob die wiederholten Appelle an eine Veränderung der Einstellung der Lehrerschaft nicht zu kurz<br />
greifen, weil diese unterstellen, es handle sich vor allem um das Wollen der Lehrerinnen <strong>und</strong><br />
Lehrer <strong>und</strong> nicht um das Können. Dies jedoch ließe die vielen Faktoren auf Schulebene bzw. auch<br />
auf übergeordneten Ebenen, die Lehrkräften einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität<br />
erleichtern oder ermöglichen bzw. erschweren, außer Acht. Viele solcher Faktoren lassen sich<br />
auf der Ebene der einzelnen Schule beschreiben, wie dies im folgenden Absatz in Anlehnung an<br />
Melanie Ortlieb <strong>und</strong> Nicole Kränkel-Schwarz erfolgen soll.<br />
Wenn es um Haltungen in Bezug auf Heterogenität in der Schule geht, ist sicher die Einstellung<br />
von Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern ein relevanter Aspekt. Dabei sollte aber nicht aus dem Blick<br />
geraten, dass der Umgang mit Heterogenität für <strong>Schulen</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich ein Dilemma darstellt (s.<br />
Wenning 2007). Die Aufträge von Schule bewegen sich in einem Spannungsfeld, in dem gesellschaftlich<br />
<strong>und</strong> politisch verankerte Ziele von Schule sowohl die Reduzierung als auch die Verstärkung<br />
oder Erzeugung von Heterogenität vorgeben (müssen). Insofern ist Heterogenität für Schule<br />
ein widersprüchliches Phänomen. Dies macht in vielen Fällen „einfache“ Antworten unmöglich.<br />
Sind sich die handelnden Personen dieses Dilemmas bewusst, steigen jedoch die Chancen für<br />
eine konstruktive Bearbeitung desselben: „Wenn wir mit Heterogenität leben müssen, bietet sich<br />
ein produktiver Umgang mit ihr an, sie wenigstens als Herausforderung zu nutzen, besser noch<br />
als Chance, oder sogar als Mittel, institutionelle Ziele zu erreichen...“ (Wenning 2007, S. 30).<br />
9
Konkret unterscheidet Wenning (2007) drei mögliche Umgangsweisen mit Heterogenität:<br />
Heterogenität kann schlichtweg ignoriert werden. Diese Umgangsweise scheint Wenning<br />
jedoch vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen Einschätzung von Heterogenität, z.B. im Zusammenhang<br />
mit Fragen der Benachteiligung <strong>und</strong> Diskriminierung, fragwürdig.<br />
Heterogenität kann reduziert werden – indem sie unterdrückt wird (z.B. durch Verbot anderer<br />
Sprachen) oder indem versucht wird, sie abzubauen, z.B. durch Fördermaßnahmen für<br />
die sprachlichen Fähigkeiten im vorschulischen Bereich.<br />
Heterogenität kann auch akzeptiert, d.h. als Gr<strong>und</strong>bedingung von Erziehung <strong>und</strong> Bildung<br />
angenommen werden. Hier gibt wiederum zwei Möglichkeiten: zum einen den reflexiven<br />
Umgang, bei dem versucht wird, negative Folgen aktiv zu bearbeiten. Zum anderen die produktive<br />
Nutzung, bei der Heterogenität als Ressource betrachtet wird mit der Frage, wie diese<br />
im positiven Sinne zu nutzen ist.<br />
Wenning merkt hier an, dass für verschiedene Heterogenitätsfaktoren unterschiedliche Umgangsweisen<br />
sinnvoll sein können. Außerdem haben alle hier beschriebenen Reaktionen auf Heterogenität<br />
ihre Grenzen, eben weil, wie oben beschrieben, „Bildungseinrichtungen <strong>und</strong> die darin<br />
Handelnden (...) in ein Geflecht widersprüchlicher Anforderungen eingeb<strong>und</strong>en“ sind (Wenning<br />
2007, S. 30).<br />
UMGANG MIT HETEROGENITÄT IM SYSTEM SCHULE<br />
Wie oben an verschiedenen Stellen angesprochen, spielen sich Wahrnehmung von <strong>und</strong> Umgang<br />
mit Heterogenität in der Schule immer in enger Verflechtung mit gesellschaftlichen, politischen,<br />
bildungspolitischen <strong>und</strong> vielen weiteren Hintergründen ab. Veränderungen können <strong>und</strong><br />
müssen daher immer viele verschiedene Ebenen betreffen. Wie bei Wischer beschrieben, wird<br />
der alleinige Appell an die Einstellungsänderung der einzelnen Lehrkräfte weder der Situation<br />
noch den Lehrkräften gerecht. Sicherlich ist die bildungspolitische Ebene im Hinblick auf begünstigende<br />
oder erschwerende Faktoren für den Umgang mit heterogenen Schülergruppen nicht<br />
wegzudenken.<br />
Eine zentrale Ebene jedoch, auf der Voraussetzungen geschaffen werden können, die einen<br />
konstruktiven Umgang mit Heterogenität erleichtern oder ermöglichen - vielleicht sogar im Sinne<br />
der produktiven Nutzung (s.o.) - ist die Ebene der einzelnen Schule. Der Umgang mit Heterogenität<br />
bzw. die Haltung hierzu bedingen <strong>und</strong> erfordern pädagogische <strong>und</strong> schulorganisatorische<br />
Entscheidungsprozesse - je nachdem, von welchen (impliziten oder expliziten) Annahmen eine<br />
Schule ausgeht. Eine Schule könnte sich also beispielsweise folgende Fragen stellen:<br />
Sehen wir die individuelle Verschiedenheit von Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern als zu verringernden<br />
Faktor, der das gleichschrittige Lernen erschwert, oder gehen wir davon aus, dass Heterogenität<br />
eine Gr<strong>und</strong>bedingung pädagogischen Handelns ist, die auch positiv zu den Lernprozessen<br />
aller Kinder beitragen kann?<br />
Welche Dimension(en) von Heterogenität leitet(n) uns bisher bei der Organisation von Lernen?<br />
Wie bilden sich unsere Haltung zu bzw. unsere Umgangsweise mit der Verschiedenheit der<br />
Schüler in unserem Unterricht ab?<br />
Welchen Handlungsspielraum sehen wir als Schule, um schulorganisatorische/ methodische/<br />
zeitliche/ räumliche u.a. Aspekte so zu gestalten, dass sie es uns erleichtern, auf die Unterschiedlichkeit<br />
der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen einzugehen?<br />
Melanie Ortlieb <strong>und</strong> Nicole Kränkel-Schwarz (2010) haben Voraussetzungen beschrieben, die<br />
im Zusammenhang mit der Individualisierung von Lernprozessen auf Schulebene notwendig<br />
sind, bzw. Konsequenzen, die sich durch die Veränderungen selbst ergeben:<br />
veränderte Unterrichtskultur/Unterrichtsprinzipien (z.B. veränderte Sicht auf Lernen <strong>und</strong><br />
Lehren; Differenzieren, Individualisieren, Fördern, Kooperatives Lernen)<br />
10
veränderte Rollen der im Prozess Beteiligten, (z.B. Schüler als Experten für das eigene Lernen,<br />
LehrerInnen als <strong>Teil</strong> eines Teams <strong>und</strong> als ExpertInnen für den Lernprozess)<br />
veränderte Leistungsmessung bzw. Feedback-/ Rückmeldekultur (z.B. prozessorientiert,<br />
transparent, kompetenzorientiert...)<br />
veränderte Elternarbeit (z.B. Eltern als Experten für ihr Kind, als Partner <strong>und</strong> „Mitarbeiter“ im<br />
System Schule)<br />
veränderte Schulkultur/ Schulorganisation (z.B. Schule als Lernende Organisation, veränderte<br />
Organisation von Lernen <strong>und</strong> Lehren bzgl. Gruppe, Raum etc.)<br />
Diese Darstellung impliziert natürlich auch, dass nicht nur auf der Ebene des Systems Schule,<br />
sondern auch auf der Ebene der einzelnen Lehrkräfte solche Voraussetzungen <strong>und</strong> Konsequenzen<br />
zu finden sind, die mit Haltung, Rollenverständnis <strong>und</strong> Kompetenzen der LehrerInnen zu tun haben<br />
(M. Ortlieb u. N. Kränkel-Schwarz, 2010).<br />
Die Wahrnehmung von <strong>und</strong> Haltung zu Heterogenität bezieht sich als pädagogische Aufgabe<br />
natürlich in erster Linie auf die Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler, steht aber auch in Zusammenhang mit<br />
der Art <strong>und</strong> Weise, wie die Heterogenität der Lehrerschaft eingeschätzt <strong>und</strong> aufgegriffen wird.<br />
Auch diese kann als Belastung, oder aber als Potenzial gesehen werden (s. Höhmann 2009).<br />
LERNEN<br />
Eine motivierende Schule, die sich als wirkungsvoller Lernort für Schüler versteht ist eine Schule,<br />
in der die Kinder Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten <strong>und</strong> ihre natürliche Freude am Leben<br />
entwickeln können. Ziel der Bemühungen an einer solchen Schule ist es, die Freude am lebenslangen<br />
Lernen zu wecken <strong>und</strong> zu erhalten, Fertigkeiten <strong>und</strong> Fähigkeiten zu vermitteln sowie die<br />
Eigenständigkeit <strong>und</strong> das selbstverantwortliche Handeln zu fördern.<br />
Ein vollständiger Lernbegriff, der die aktuellen Veröffentlichungen aus Lern- <strong>und</strong> Hirnforschung<br />
berücksichtigt, sollte die Gr<strong>und</strong>lage für <strong>Schulen</strong>twicklungsmaßnahmen <strong>und</strong> Organisationsentscheidungen<br />
an <strong>Schulen</strong> vor Ort werden.<br />
DER LERNBEGRIFF<br />
A. LERNVORAUSSETZUNGEN<br />
Lernvoraussetzungen sind Neugier <strong>und</strong> Angstfreiheit: Eine anregende Umgebung regt Neugier<br />
an. Abwertung, Beschämung <strong>und</strong> Ausgrenzung sind Lernkiller. Sie werden erlebt wie körperlicher<br />
Schmerz (nach Bauer (2007), Spitzer (2002), Hüther (2009).<br />
B. DIE LERNVERSTÄRKER<br />
Lernverstärker sind Interesse, Freude/Begeisterung, Bewegung, Rhythmisierung <strong>und</strong> Beziehung.<br />
Wahlmöglichkeiten, Spiel- <strong>und</strong> Ruhezeiten sowie feste begleitete Lerngruppen unterstützen<br />
das Lernen jedes Einzelnen.<br />
C. DER LERNPROZESS<br />
Lernprozesse beruhen auf Eigentätigkeit <strong>und</strong> Versprachlichung. In selbständigem Tun, Anwenden<br />
<strong>und</strong> Üben macht jeder Lerner eigene Erfahrungen. Die Pflicht zum Protokoll, zu Berichten<br />
<strong>und</strong> Vorträgen sowie zum Führen eines Lerntagebuchs trainiert das Denken.<br />
11
D. DAS LERNERGEBNIS<br />
Lernen hat stattgef<strong>und</strong>en, wenn wir verändertes Handeln beobachten können:<br />
Im TUN: Verändertes Ausführen, Routinebildung<br />
Im REDEN: Differenzierte Begriffsbildung, angemessenes Sprechen<br />
Im DENKEN: Verändertes Entscheiden (als Hinweis auf veränderte Ziele <strong>und</strong> Wertewandel)<br />
Lernen im eigentlichen Sinn besteht also nicht in der beobachtbaren Fähigkeit zu rekapitulieren,<br />
sondern Lernen bedeutet Dazulernen/Handlungsänderung.<br />
Beim Lernen können drei Lernniveaus unterschieden werden:<br />
Handeln, Benennen → Niveau A<br />
Erklären, Verstehen → Niveau B<br />
Strukturieren, Bewerten → Niveau C<br />
Entsprechend können im Ziel drei Wissensarten unterschieden werden:<br />
Routinebildung, (prozedurales Wissen) → Niveau A<br />
Erkenntnis (deklaratives Wissen) <strong>und</strong> → Niveau B<br />
Transfer (konzeptuelles Wissen). → Niveau C<br />
SCHULENTWICKLUNG IN ORIENTIERUNG AM LERNBEGRIFF<br />
Zentrale Fragen für die Gestaltung von am Lernbegriff orientierter Praxis lauten:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Was ist förderlich?<br />
Was ist hinderlich?<br />
Welche Rahmenbedingungen sind notwendig?<br />
Wie wird Bildungsqualität erreicht?<br />
WAS WISSEN WIR ÜBER DAS LERNEN AUS DER WISSENSCHAFT?<br />
Lernvoraussetzungen<br />
Kinder haben von Geburt an Interesse <strong>und</strong> Neugier am Lernen. Diese soll erhalten bzw.<br />
wieder geweckt werden. Eine anregende Umgebung, die Lernmaterialien vor Augen der Schüler<br />
sollen die Neugier <strong>und</strong> das Interesse an Themen wecken. Den Forschergeist der Kinder<br />
durch die Umgebung <strong>und</strong> ansprechende Inputs herauszufordern stellt für den Lernbegleiter<br />
die Herausforderung dar.<br />
Angst, Abwertung, Beschämung <strong>und</strong> Ausgrenzung, die wie körperlicher Schmerz empf<strong>und</strong>en<br />
werden wie die Hirnforschung der letzten Jahre herausgef<strong>und</strong>en hat, sollen vermieden<br />
werden. Deshalb werden Beurteilung <strong>und</strong> Beratung in den Mittelpunkt einer Rückmeldekultur<br />
gestellt <strong>und</strong> so weit wie möglich wird auf Bewertungen verzichtet. Die Kinder sollen die Möglichkeit<br />
haben, die meisten ihrer Leistungsnachweise dann zu erbringen, wenn sie sich selbst<br />
dafür in der Lage sehen („Abholarbeiten“, „Abholnoten“).<br />
Lernverstärker<br />
Freude <strong>und</strong> Begeisterung, Bewegung, Rhythmisierung, <strong>und</strong> vor allem gute Beziehungen zu<br />
den Lernbegleitern sind Faktoren, die das Lernen verstärken. Wenn Kindern Wahlmöglichkeiten<br />
bei verschiedenen Themen geboten werden, wenn Lern-, Spiel- <strong>und</strong> Ruhezeiten sich abwechseln,<br />
wenn sie eine feste gute Beziehung zu ihrer Begleitperson aufbauen können wird<br />
12
das Lernen jedes Einzelnen stark gefördert. <strong>Teil</strong> zu haben, aktiver Mitgestalter zu sein, das Gefühl<br />
zu haben etwas zu lernen was wichtig ist, fördert das Lernen in hohem Maße. Mit Wahlpflichtangeboten<br />
bei Projekten <strong>und</strong> Kursen im Bereich Sport, Musik <strong>und</strong> sinnvoller Freizeitgestaltung,<br />
täglichen Möglichkeiten zu Spiel <strong>und</strong> Bewegung, zu Ruhe <strong>und</strong> sozialen Kontakten<br />
<strong>und</strong> über feste begleitete Lerngruppen werden aktive Lernprozesse der Schüler verstärkt.<br />
Der Lernprozess<br />
Lernen ist nicht die Reaktion auf Lehren. Jeder Mensch lernt allein <strong>und</strong> selbständig. Im eigenen<br />
Tun, Anwenden <strong>und</strong> Üben macht jeder seine eigenen Erfahrungen <strong>und</strong> Fortschritte. Die<br />
Bereitschaft auch einmal einen beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen, ist an den Glauben<br />
an das Gelingen des Vorhabens geb<strong>und</strong>en. Erlebt ein Lernender Erfolge <strong>und</strong> Fortschritte, so<br />
erhöht sich seine Leistungsbereitschaft <strong>und</strong> der Wille neue Lernprozesse in Angriff zu nehmen.<br />
Die Pflicht das Gelernte zu versprachlichen in einfachen Aufzeichnungen bei den ganz kleinen<br />
Kindern durch allmähliche Steigerung, bei den Größeren zum Führen eines Portfolios o-<br />
der Lerntagebuches <strong>und</strong> im Präsentieren der Lernergebnisse, wird das Lernen auf ein höheres<br />
Lernniveau geführt.<br />
Hirnforscher Manfred Spitzer formuliert das so: „Wer Lernen für einen passiven Vorgang<br />
hält, der sucht nach dem richtigen Trichter. Wer aber Lernen als eine Aktivität versteht wie<br />
beispielsweise das Laufen oder Essen, der sucht keinen Trichter, sondern denkt über die<br />
Rahmenbedingungen nach, unter denen diese Aktivität am besten stattfindet.“<br />
Das Lernergebnis<br />
Lernen hat stattgef<strong>und</strong>en, wenn ein verändertes Handeln beobachtet werden kann. Dies<br />
kann im Tun beobachtet werden durch verändertes Ausführen von Tätigkeiten oder durch<br />
Routinebildung.<br />
Lernen kann auch nachgewiesen werden, wenn wir feststellen, dass aufgr<strong>und</strong> veränderter<br />
Ziele <strong>und</strong> Werte andere Entscheidungen getroffen werden.<br />
Dazulernen kann darüber hinaus belegt werden, wenn sich die Sprache des Kindes geändert<br />
hat, indem seine Begriffe ausdifferenziert wurden.<br />
Lernen sollte über Kompetenznachweise belegt werden. Dafür können neben klassischen<br />
Tests (auf A-, B-, C-Niveau) gleichrangig Portfoliobeiträge, Präsentationen, Gespräche mit dem<br />
Lernbegleiter <strong>und</strong> überzeugend geführte Lerntagebücher als Kompetenznachweis anerkannt<br />
werden.<br />
WELCHE GRUNDLAGENFÄHIGKEITEN FÜR GEISTIGES ARBEITEN (LERNEN)<br />
KÖNNEN AB DER FRÜHEN KINDHEIT TRAINIERT WERDEN?<br />
Motivation: Ausrichtung/Haltung/Einstellung: Frage- <strong>und</strong> Forscherhaltung<br />
Interessen zulassen, individuelle Verarbeitung erlauben. Die Dokumentation <strong>und</strong> der<br />
Vortrag (Leistungsnachweis) erfolgen dann unterschiedlichen standardisierten Formen.<br />
Entschlusskraft: Wahlverhalten <strong>und</strong> Konsequenzen daraus…<br />
Wahlangebote, Wahlpflicht, „Abholnoten“ (Klassenarbeiten auf Anfrage nach Selbsteinschätzung<br />
des erreichten Lernstandes)<br />
Aufmerksamkeit: Informationsübernahme, Umsicht, Konzentration / Ablenkbarkeit…<br />
„Verschiedene Räume – verschiedene Regeln“ (Farbleitsystem für unterschiedliche<br />
Kulturen), Ästhetik <strong>und</strong> Ordnung in der Schule als lernwirksames Vorbild.<br />
Ausdauer: Umgang mit Schwierigkeiten, Zielorientierung…<br />
Projekte <strong>und</strong> Kurswahlen verbindlich für 5-7 Wochen, …<br />
13
Verstehen: Arbeitsanweisungen verstehen, Regeln beachten…<br />
Anleitung zur Reflexion <strong>und</strong> Versprachlichung: Text <strong>und</strong> Vortrag als Gegenstand der<br />
Lernbegleitung, eigenständig erstellte Wochenpläne <strong>und</strong> Lerntagebuch als Übungsanlass,<br />
Selbstreflexionsbogen „Schulbilanz“.<br />
Angemessenes Sprechen: Zuhören geht über Gesprächsregeln hinaus: Sich auf den<br />
Anderen <strong>und</strong> auf das Thema beziehen lernen.<br />
WAS GEHÖRT ZU EINER INNOVATIVEN EFFEKTIVEN SCHULE UND WIE MUSS<br />
SICH DIESE ORGANISIEREN?<br />
Innovation muss mit Effektivität verb<strong>und</strong>en sein. Das gilt für das gesamte Lernangebot.<br />
Unterschiede zwischen den Lernern müssen berücksichtigt werden.<br />
Die Lerner sind als die wichtigsten Akteure zu betrachten, denen ermöglicht werden<br />
muss ein Verständnis für ihren eigenen Lernprozess zu entwickeln.<br />
Das Lernen soll als aktiver Prozess organisiert sein, wobei Orientierungswissen das Ziel<br />
ist.<br />
Es sind hohe Anforderungen zu stellen, ohne zu überfordern. Es gilt das Prinzip Machbarkeit:<br />
„Schwierig aber machbar!“<br />
Die soziale Natur des Lernens muss beachtet werden, indem auf Zusammenarbeit gesetzt<br />
wird (Prinzip Kooperation).<br />
Es müssen Beurteilungsformen entwickelt <strong>und</strong> eingesetzt werden, die auf individuelle<br />
Lernziele abgestimmt sind <strong>und</strong> als Rückmeldung für die Lernberatung dienen.<br />
WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE ENTWICKLUNG VON SCHÜLERN UND LEHR-<br />
PERSONEN?<br />
Hohe Eigenaktivität, hohe Selbstverantwortung <strong>und</strong> hohe Veränderungsbereitschaft sind<br />
die Gr<strong>und</strong>lagenkompetenzen, die im Zentrum von Entwicklung <strong>und</strong> Förderung in der<br />
Schule stehen.<br />
Reflexion, Dokumentation <strong>und</strong> Präsentation sind wichtige Ziele für das Training mit <strong>und</strong><br />
die Kompetenzentwicklung bei Schülern.<br />
WELCHE WIDERSTÄNDE SIND ZU ERWARTEN UND WELCHE SICHTWEISE<br />
BRINGT UNS WEITER?<br />
Unser Denken folgt zählebig dem vorhandenen System: Lernen findet in Altersklassen<br />
statt, gedrängt in Halbtagen <strong>und</strong> engen Zeitgefäßen.<br />
Man hat Mühe sich vorzustellen, dass etwas auch anders sein könnte: Lernen erfolgt<br />
schneller bei Freude, bei Interesse <strong>und</strong> ohne Bewertungsangst. Es erfolgt nachhaltiger<br />
bei Eigenaktivität, mit Bewegungspausen <strong>und</strong> in eigenem Rhythmus.<br />
Die Welt hat sich verändert/der Lernbegriff hat sich verändert – Was bedeutet das für<br />
uns? Der in Baden-Württemberg seit 2004 eingeleitete Prozess einer Abkehr von inhaltlichem<br />
auswendig gelerntem Reproduktionswissen hin zu Kompetenzorientierung muss<br />
präziser gefasst <strong>und</strong> fortgesetzt werden. Es geht um das Stärken <strong>und</strong> Fördern von<br />
(1) Lernkompetenzen,<br />
(2) Selbstorganisationskompetenzen <strong>und</strong><br />
(3) Orientierungswissen (Transfer statt Rekapitulation).<br />
14
BILDUNGSPOLITISCHE VORGABEN UND SCHWERPUNKTE<br />
Die Bildungslandschaft des Landes Baden-Württemberg befindet sich in den letzten Jahren in<br />
einem kontinuierlichen Wandel- <strong>und</strong> Entwicklungsprozess. Mit dem Regierungswechsel 2011<br />
erhielten diese Prozesse nochmals zusätzliche Dynamik. Über einzelne Maßnahmen, Zielsetzungen<br />
<strong>und</strong> Projekte hinweg ist jedoch mindestens eine Entwicklung erkennbar, die als politischer<br />
Konsens im Land zu verstehen ist <strong>und</strong> direkte Auswirkungen auf jede Schule hat: Die Entwicklung<br />
der <strong>Schulen</strong> im Land wird aus politischer Sicht als ein Prozess beschrieben, der von den einzelnen<br />
<strong>Schulen</strong> ausgehen muss. Seit Einführung des Bildungsplans 2004 nahm daher auch die individuelle<br />
Verantwortung der <strong>Schulen</strong> vor Ort kontinuierlich zu. Dieser Trend lässt sich nahtlos mit aktuellen<br />
<strong>und</strong> geplanten Schwerpunkten der Bildungspolitik fortschreiben, was nun an ausgewählten<br />
Vorhaben, Maßnahmen <strong>und</strong> Themenbereichen dargestellt werden soll. Zu beachten ist dabei<br />
jedoch, dass sich ein Großteil der Pläne der Landesregierung derzeit im politischen Entscheidungsprozess<br />
befindet. Die folgenden Darstellungen sind also zum <strong>Teil</strong> unter dem Vorbehalt einer<br />
noch nicht erfolgten gesetzlichen Ausgestaltung zu verstehen.<br />
GRUNDSCHULEMPFEHLUNG<br />
Die verpflichtende Gr<strong>und</strong>schulempfehlung nach Klasse 4 wird ab dem Schuljahr 2011/2012<br />
erstmals durch eine intensive Beratung der Eltern ersetzt. Die Gr<strong>und</strong>schulen sprechen zwar<br />
nach wie vor für jedes Kind eine Empfehlung bzgl. des Besuches einer Weiterführenden Schule<br />
aus, allerdings entscheiden die Eltern, auf welcher Schule bzw. Schulart sie ihr Kind anmelden.<br />
Welche Auswirkungen die Veränderung des Verfahrens auf die Übergangsquoten haben<br />
wird, bleibt abzuwarten. Zumindest kurzfristig erscheint jedoch für die Haupt- <strong>und</strong> Werkrealschulen<br />
ein Rückgang der Anmeldungen <strong>und</strong> für die Realschulen eine Zunahme realistisch.<br />
10. SCHULJAHR FÜR ALLE<br />
Jeder Schüler im Land hat nach dem Willen der Landesregierung die Möglichkeit, für zehn<br />
Schuljahre eine allgemeinbildende Schule zu besuchen. Dementsprechend kann zukünftig<br />
der Hauptschulabschluss nicht nur nach Klasse 9, sondern auch nach Klasse 10 abgelegt werden.<br />
AUSBAU DES MITTLEREN BILDUNGSABSCHLUSSES<br />
Erklärtes politisches Ziel ist es in diesem Zusammenhang, möglichst viele Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schüler zu einem mittleren Bildungsabschluss zu führen.<br />
NEUE SCHULART: GEMEINSCHAFTSSCHULE<br />
Das letztgenannte Ziel wird u. a. auch mit der Einführung der Gemeinschaftsschule verfolgt.<br />
Gemeinschaftsschulen bieten die Leistungsniveaus von Hauptschule/ Werkrealschule,<br />
Realschule <strong>und</strong> Gymnasium unter einem Dach. Dabei erfolgt der Unterricht zieldifferent, inklusiv<br />
<strong>und</strong> in konstanten Jahrgangsgruppen von Klasse 5 bis 10. Gemeinschaftsschulen werden<br />
rhythmisierte Ganztagesschulen sein. Die konkrete Gesamtkonzeption jeder Gemeinschaftsschule<br />
ist vor Ort in der Regel von Schulträger <strong>und</strong> Schule gemeinsam zu erstellen.<br />
15
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG ALS UNTERRICHTSPRINZIP<br />
Über alle Schularten hinweg wird zukünftig die „individuelle Förderung“ als Unterrichtskonzeption<br />
noch weiter an Bedeutung hinzugewinnen. Die erwartete Heterogenität der Schülerschaft<br />
führt zur Notwendigkeit, den Einzelnen möglichst passgenau zu fördern <strong>und</strong> zu begleiten.<br />
Für die im Jahr 2015 erwartete Bildungsplanreform ist eine deutliche Ausrichtung auf<br />
individuelle Förderung im Unterricht zu erwarten.<br />
INKLUSION<br />
Ebenfalls bereits seit einigen Jahren bekannt, aber auch für zukünftige Entwicklungen relevant<br />
bleiben inklusive Bildungsangebote. Die schulische Bildung von Menschen mit Behinderungen<br />
bleibt auf Basis von §24 der UN-Behindertenrechtskonvention Aufgabe aller <strong>Schulen</strong><br />
<strong>und</strong> Schularten. Die konkrete Ausgestaltung <strong>und</strong> Umsetzung obliegt – genau wie bei den<br />
zuvor genannten Themenbereichen – auch hier den einzelnen <strong>Schulen</strong> vor Ort <strong>und</strong> ist entsprechend<br />
im <strong>Schulen</strong>twicklungsprozess zu berücksichtigen.<br />
ZIELSETZUNGEN FÜR SCHULENTWICKLUNG<br />
Unter anderem die gerade dargestellten Veränderungsfaktoren geben den <strong>Schulen</strong> einen<br />
Entwicklungsrahmen vor. Aufgabe jeder Schule ist es, sich unter Berücksichtigung der individuellen<br />
Gegebenheiten weiterzuentwickeln <strong>und</strong> damit die Qualität von Schule vor Ort zu erhöhen.<br />
In der allgemeinen fachwissenschaftlichen Diskussion werden drei Bereiche unterschieden, in<br />
denen sich <strong>Schulen</strong> entwickeln: Organisations-, Unterrichts- <strong>und</strong> Personalentwicklung (vgl. Bohl<br />
et al., 2010 oder Rolff et al, 2011). Speziell für das Land Baden-Württemberg hat das Landesinstitut<br />
für <strong>Schulen</strong>twicklung diese Dreiteilung noch weiter ausdifferenziert. In diesem Verständnis<br />
findet <strong>Schulen</strong>twicklung in allen fünf aus dem „Orientierungsrahmen zur Schulqualität“ bekannten<br />
schulischen Prozessen sowie im Basisbereich der Qualitätssicherung <strong>und</strong> Qualitätsentwicklung<br />
selbst statt (vgl. Grafik).<br />
16
Im Folgenden werden ausgewählte Zielsetzungen <strong>und</strong> Arbeitsfelder der <strong>Schulen</strong>twicklung<br />
nach diesen Feldern gegliedert <strong>und</strong> blitzlichtartig angerissen:<br />
I – UNTERRICHT<br />
Für den Bereich Unterricht können Entwicklungsprozesse in die drei Bereiche schulinterne<br />
Umsetzung des Bildungsplans, Gestaltung der Lehr-/Lernprozesse <strong>und</strong> die Praxis der Leistungsbeurteilung<br />
<strong>und</strong> Leistungsrückmeldung gegliedert werden. In diesen Bereichen arbeiten<br />
die <strong>Schulen</strong> kontinuierlich an auf die Bedürfnisse der eigenen Schülerschaft zugeschnittenen<br />
Unterrichtsangeboten <strong>und</strong> Unterrichtsformen.<br />
II – PROFESSIONALITÄT DER LEHRKRÄFTE<br />
Entwicklungsmöglichkeiten werden in diesem Bereich vor allem durch die verstärkte Zusammenarbeit<br />
im Kollegium erwartet. U. a. kollegialer Austausch zu pädagogischen <strong>und</strong><br />
fachspezifischen Themen sowie Fortbildungsplanung sind Möglichkeiten der gezielten Personalentwicklung.<br />
III – SCHULFÜHRUNG UND SCHULMANAGEMENT<br />
Aufgaben der Schulleitung sind u. a. die Vorgabe von Perspektiven <strong>und</strong> Zielen sowohl für<br />
die gesamte Schule als auch die einzelnen Kollegen. Im Entwicklungsprozess zu berücksichtigen<br />
sind genauso Strukturen für Informationsfluss <strong>und</strong> Feedback sowie die Förderung einer<br />
allgemein guten Kommunikationskultur.<br />
IV – SCHUL- UND KLASSENKLIMA<br />
<strong>Schulen</strong>twicklung in diesem Bereich gestaltet zunächst das Schulleben. Dabei wird Sorge<br />
um einen geeigneten Umgang miteinander getragen. Auch außerunterrichtliche Angebote<br />
für Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler sind hier von Bedeutung. Weiterhin sorgt <strong>Schulen</strong>twicklung<br />
auch dafür, dass Mitgestaltungsmöglichkeiten für alle am Schulleben Beteiligten im Kontext<br />
eines demokratischen Gr<strong>und</strong>verständnisses gegeben <strong>und</strong> bewahrt werden.<br />
V – INNER- UND AUSSERSCHULISCHE PARTNERSCHAFTEN<br />
In diesem Bereich sind es drei Kriterien, die den Zielrahmen der <strong>Schulen</strong>twicklung beschreiben:<br />
Die Einbeziehung der Eltern in das schulische Leben, z. B. in Form von Erziehungspartnerschaften,<br />
die Zusammenarbeit mit schulischen <strong>und</strong> außerschulischen Partnern, z. B. in<br />
Form von Bildungspartnerschaften mit Unternehmen sowie die Darstellung der schulischen<br />
Arbeit in der Öffentlichkeit.<br />
Q – QUALITÄTSSICHERUNG UND QUALITÄTSENTWICKLUNG<br />
Unter dieser Überschrift werden Kriterien zusammengefasst, die zur strukturierten <strong>und</strong><br />
zielgeleiteten Weiterentwicklung von Schule allgemein notwendig sind. Dazu gehören u. a.<br />
die pädagogischen Gr<strong>und</strong>sätze der Schule, die die individuellen Ziele <strong>und</strong> Werte beschreiben,<br />
das Schulportfolio, das <strong>Schulen</strong>twicklungsprozesse dokumentiert, die Durchführung von<br />
Selbstevaluation sowie die Kultur des Individualfeedbacks, also Strukturen, in denen einzelne<br />
Personen regelmäßig Rückmeldung von anderen erhalten.<br />
17
AUFGABEN FÜR LEHRERINNEN UND LEHRER<br />
Die Beziehung zwischen Schülern <strong>und</strong> die zur Lehrperson ist notwendige Gr<strong>und</strong>lage für gemeinsame<br />
Lernprozesse.<br />
Lernen im Sinne von Dazulernen/Veränderung in Handeln, Reden (Verstehen), Denken<br />
(Werten) findet in der gewollten Auseinandersetzung, der risikoreichen, störungsanfälligen<br />
Kommunikation zwischen Lehrperson <strong>und</strong> Schüler, im Ringen beider Seiten um gemeinsame<br />
Unterscheidungen <strong>und</strong> Begriffsbildungen statt.<br />
Begleitung, Beurteilung <strong>und</strong> Beratung bilden einen geschlossenen Zirkel auf der Basis von<br />
funktionierender tragfähiger Beziehung.<br />
Steuerung bei Lernprozessen ist immer Kontextsteuerung: Bekannte Kriterien <strong>und</strong> Gesichtspunkte<br />
(„einheitliche Unterscheidungen“) sind Gr<strong>und</strong>lage für Beurteilung, Beratung <strong>und</strong> zielgerichtete<br />
Begleitung. Schüler wie Lehrperson passen ihr Handeln <strong>und</strong> Entscheiden eigenverantwortlich<br />
<strong>und</strong> im Rahmen der individuellen Möglichkeiten den erwarteten Sinnvorstellungen<br />
– dem Kontext – an.<br />
Eine wesentliche Ursache für die Notwendigkeit zukunftsweisender <strong>Schulen</strong>twicklung ist der<br />
schnelle gesellschaftliche Wandel. Unterricht, der vor 30 Jahren Schülern gerecht wurde, kann<br />
heute nur noch wenige Schüler erreichen, da sich die Kindheit <strong>und</strong> Jugend aufgr<strong>und</strong> der raschen<br />
sozialen <strong>und</strong> technischen Änderungen fortschreitend im Umbruch befindet.<br />
Der soziale Wandel spiegelt sich am deutlichsten in den veränderten familiären Strukturen<br />
wider. Die Großfamilie hat sich über die Kleinfamilie hin zur Patchworkfamilie bzw. Familie<br />
mit allein erziehendem Elternteil entwickelt. Schule, die auf diesen steten Prozess reagiert,<br />
bietet zunehmend Chancen zum sozialen Lernen <strong>und</strong> zur Stärkung der Persönlichkeit des<br />
Schülers.<br />
Der rasante technische Fortschritt der Informations-, Kommunikations- <strong>und</strong> Unterhaltungsmedien<br />
macht vor Kinder- <strong>und</strong> Jugendzimmern nicht Halt. Schule, die in den Blick nimmt,<br />
dass die Halbwertszeit des Wissens stetig abnimmt <strong>und</strong> im Gegenzug die Orientierungslosigkeit<br />
steigt, erweitert ihren Fokus von der reinen Wissensvermittlung um die zielgerichtete eigenständige<br />
Recherche <strong>und</strong> um die Bewertung von Informationen.<br />
Parallel zu den sozialen <strong>und</strong> technischen Veränderungen, die der Schule einen Wandel abverlangen,<br />
befinden sich die Anforderungen, die weiterführende Instanzen wie Handwerk, Industrie,<br />
Hochschulen <strong>und</strong> Universitäten an Schulabgänger stellen, ebenfalls im Wandel. Veränderte Berufsbilder<br />
fordern die Fähigkeit zur Teamarbeit, zum eigenverantwortlichen Arbeiten <strong>und</strong> lebenslangem<br />
Lernen.<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler bringen heute andere Voraussetzungen mit als Schülergenerationen<br />
zuvor. Sind sie jedoch pauschal als schlechter abzuqualifizieren?<br />
Lehrkräfte klagen, dass Schüler zunehmend nicht mehr in der Lage sind, konzentriert dem Unterricht<br />
zu folgen, erteilte Hausaufgaben ordentlich zu erledigen, zuverlässig ihre Unterrichtsmaterialien<br />
mitzubringen, in angemessener Form mit Mitschülern <strong>und</strong> Lehrkräften zu kommunizieren<br />
<strong>und</strong> Konflikte gewaltfrei auszutragen.<br />
Wird die gegenwärtige Kindheit jedoch einseitig negativ als „verlorene Kindheit“ bewertet,<br />
geraten Entwicklungsmöglichkeiten aus dem Blickfeld, die ein positives Lernumfeld bieten kann.<br />
Neben den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen wirken zudem neue Erkenntnisse aus<br />
der Lernforschung auf eine notwendige Umstrukturierung des Unterrichts ein. Beispielsweise<br />
liegen wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Ergebnisse darüber vor, wie Lernprozesse ablaufen <strong>und</strong> welchen<br />
18
negativen Einfluss die Emotion Angst auf die Lernleistung hat (Spitzer 2002). Im Folgenden sollen<br />
weitere Aspekte genannt werden, die eine veränderte Lernkultur <strong>und</strong> damit eine notwendige<br />
veränderte Lehrerolle zwingend notwendig machen:<br />
eine zunehmend erkennbare Heterogenität der Schüler<br />
Inklusion<br />
Belastungen im Lehrerberuf (Burnout)<br />
Weiterentwicklung modernen Medien<br />
BEZIEHUNG<br />
Eine bestehende Beziehung zwischen Menschen dient dazu, den offenen <strong>und</strong> immer gefährdeten<br />
Kommunikationsprozessen durch Zuwendung, Respekt <strong>und</strong> Geduld die Zeit zu geben, die<br />
sie für eine Chance des Gelingens brauchen.<br />
Die Beziehung zwischen Menschen im schulischen Bereich ist hauptsächlich eine Lehr- / Lernbeziehung.<br />
Vorbild <strong>und</strong> Orientierung sind die aufeinander bezogenen Qualitäten, die Steuerung<br />
<strong>und</strong> Integration ermöglichen. Eine gute Beziehung in Respekt <strong>und</strong> Geduld ist Voraussetzung für<br />
gegenseitiges Dazulernen. Das gemeinsame Erarbeiten von Regeln <strong>und</strong> möglicherweise auch von<br />
späteren Beurteilungskriterien ist eine Chance, dies gr<strong>und</strong>zulegen.<br />
Unser Organismus einschließlich des Gehirns reagiert zwar auf seine Umweltbedingungen,<br />
operiert dabei jedoch als geschlossenes, selbstreferenzielles System im Rahmen seiner bisher<br />
entwickelten Möglichkeiten. Unser Wahrnehmungsapparat, unsere Empfindungen, die dazugehörenden<br />
Bewertungsmuster <strong>und</strong> unser Bewusstsein sind Ergebnis eines lebenslangen Selbstorganisationsprozesses.<br />
Jeder Mensch empfindet, entscheidet <strong>und</strong> reagiert daher ausschließlich in<br />
Bezug auf seine eigene bisherige Deutung dessen, was sein Organismus ihm als Umweltwahrnehmung<br />
vorlegt.<br />
Gelingende Kommunikation <strong>und</strong> erfolgreiche Verhaltenskoordination zwischen Menschen<br />
sind wegen der komplexen Voraussetzungen im Normalfall hochgradig unwahrscheinliche Prozesse.<br />
Dass Kommunikation <strong>und</strong> Verhaltenskoordination dennoch oft gelingen, beruht auf vielen<br />
über Erfahrung erworbenen sozialen Übereinkünften, die uns nahelegen uns bei Handlung <strong>und</strong><br />
Deutung doch auf wenige bekannte, übersichtliche Muster zu beschränken.<br />
Lernen im Sinne von Dazulernen bedeutet jedoch gerade, neue Muster zu erkennen, zuzulassen<br />
<strong>und</strong> in der Folge präzise zu verwenden.<br />
Die beschriebene operationale Geschlossenheit jedes Menschen <strong>und</strong> der gleichzeitige Anspruch<br />
über gelingende Kommunikationsprozesse neue, bisher unbekannte Unterscheidungen<br />
<strong>und</strong> damit neue Wahrnehmungsmöglichkeiten zu erzeugen (Dazulernen), erfordern zwingend<br />
die Haltungen Zuwendung, Respekt, Geduld:<br />
Zuwendung zum Gegenüber als Mitmensch, Respekt vor seinem Anderssein, Geduld mit dem<br />
Ziel das gegenseitige Verstehen zu ermöglichen. Diese drei Haltungen verlangen von Lehrpersonen<br />
<strong>und</strong> Schülern gegenseitige Unterstützung. Sie geschieht unter anderem durch hilfreiche<br />
Vorbereitung von Lernsituationen <strong>und</strong> Gesprächen, wenn Zusammenarbeit bei Regelvereinbarungen<br />
<strong>und</strong> der Formulierung von Beurteilungskriterien möglich ist, über die Erlaubnis zur Eigentätigkeit<br />
<strong>und</strong> über Hilfe bei der Reflexion <strong>und</strong> Versprachlichung des Erlebten.<br />
19
BEGLEITUNG<br />
Neben einer stimmigen Beziehung ist das Interesse der Lehrperson, dass seine Lerngruppenkinder<br />
<strong>und</strong> -Jugendlichen eine gute Entwicklung nehmen mögen, F<strong>und</strong>ament <strong>und</strong> Motor für Gelingen<br />
<strong>und</strong> Gedeihen. Mit dieser Hintergr<strong>und</strong>haltung behält die Lehrperson in der Funktion Begleitung<br />
während all ihren konkreten Tuns die sogenannten „sechs Gr<strong>und</strong>lagen geistiger Arbeit“<br />
im Auge. Es gibt sechs identifizierbare Kompetenzen, die die Voraussetzungen für erfolgreiches<br />
Lernen darstellen. Sie werden in den ersten Lebensjahren entwickelt, sind daher bei jedem Menschen<br />
unterschiedlich stark ausgeprägt, bleiben jedoch auch später noch weiter trainierbar. Da es<br />
sich um Lernvoraussetzungen handelt, ist ihr Training wichtigster Bestandteil erfolgreicher<br />
schulischer Bildung. Wenn der Anspruch besteht, die Wirkung der Schule auf die nur schwer zu<br />
schließende Schere zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunft hinsichtlich ihrer Lernkompetenzen<br />
zu erhöhen, muss die Begleitung von Kindern die Stärkung dieser sechs Gr<strong>und</strong>lagenfähigkeiten<br />
bei jedem einzelnen Lerner anstreben <strong>und</strong> die vorgef<strong>und</strong>ene Ausprägung erhöhen:<br />
Motivation (Ausrichtung: Haltung, Einstellung <strong>und</strong> Interesse: Forscher- <strong>und</strong> Fragehaltung)<br />
Entschlusskraft (aktive Selbststeuerung, Fokus auf Entschluss, keine Ablenkung durch Alternativen)<br />
Aufmerksamkeit (Informationsübernahme, Umsicht, Konzentration)<br />
Ausdauer (Widerstände aushalten, Frustrationstoleranz, Zielorientierung, Anstrengungsbereitschaft)<br />
Verstehen (Aufgabenstellungen <strong>und</strong> Arbeitsanweisungen verstehen, Regeln beachten)<br />
Angemessene Sprache (sich ausdrücken können, Situationsangemessenheit /Takt zeigen <strong>und</strong><br />
Umgangston treffen)<br />
Ein wichtiges Ziel von Begleitung ist es auch, die Reflexivität, insbesondere die Selbstreflexion<br />
mit Schülern einzuüben <strong>und</strong> zu trainieren. Dies kann über Beobachtungsbogen wie die „Schulbilanz“<br />
<strong>und</strong> anschließende „Differenzgespräche“ geschehen. Die Kinder schätzen sich einmal jährlich<br />
bezüglich bestimmter Kriterien (z. B. Arbeit, Verhalten, Lernen) selbst ein <strong>und</strong> Lehrer tun dies<br />
mit ihren Schülern auch. Wo große Unterschiede zwischen Selbst- <strong>und</strong> Fremdwahrnehmung auftreten,<br />
werden diese gemeinsam thematisiert.<br />
Da Lernen auf Eigentätigkeit <strong>und</strong> Versprachlichung beruht, liegt ein zweiter, verwandter<br />
Trainingsinhalt auf der Hand: Schüler <strong>und</strong> Schülerinnen brauchen Begleitung auch in Form von<br />
Hilfe bei der Versprachlichung ihrer eigenen Gedanken.<br />
Dies führt zum dritten Aspekt von Begleitung, der Anleitung zur Erstellung eigener Leistungsnachweise.<br />
Indem Schüler mit Hilfe der Lernbegleitung nach reflektierter Auseinandersetzung mit den eigenen<br />
Lernthemen Formen der Dokumentation finden <strong>und</strong> gegebenenfalls Methoden der Präsentation/des<br />
Vortrags einüben, bringen sie nicht nur erfolgreich ihr Lernen voran (Eigentätigkeit<br />
<strong>und</strong> Versprachlichung), sondern sie trainieren auch die sechs Gr<strong>und</strong>lagen für geistiges Arbeiten.<br />
Der Ablauf von Lernbegleitung besteht aus den Schritten:<br />
Themenwahl Auseinandersetzung Bedeutungsgewinnung Zusammenfassung Vortrag/Präsentation.<br />
Zur Funktion Begleitung gehört gegebenenfalls auch das Einfordern von besprochenen Regeln.<br />
20
BEURTEILUNG<br />
Bei der Beurteilung von Schülerleistungen geht es um eine wertschätzende, potentialorientierte<br />
Rückmeldung mit Zielperspektiven zur Stärkung der Schülerpersönlichkeit. Das gezeigte<br />
Können wird in einen kriterienorientierten Kontext aus Kompetenzbeschreibungen gestellt, woraus<br />
ersichtlich wird, was schon da ist <strong>und</strong> welche Fähigkeiten noch gekonnt werden könnten.<br />
Indem Beurteilung auf Bewertung von Leistung verzichtet, misst sie das Vorgef<strong>und</strong>ene nicht<br />
an einem Ideal (1,0) <strong>und</strong> interpretiert dieses auch nicht über Zahlenwerte als kleinere oder größere<br />
Abweichung von dieser Norm. Sie enthält sich jedes Vergleiches zwischen verschiedenen<br />
Lernern <strong>und</strong> gibt dem Beurteilten in jedem Moment Aufschluss über die konkrete Bedeutung<br />
jeder seiner Lernbewegungen. Fortschritt, Stillstand, Rückfall werden konkret benannt <strong>und</strong> nicht<br />
mit „Werten“ verdeckt.<br />
Welche Leistungen „getrauen“ sich Lehrkräfte zu beurteilen? Beurteilt werden können nur<br />
sichtbare, erkennbare, nachweisbare Leistungen. Lernleistung schlägt sich in beobachtbaren<br />
Verhaltensänderungen nieder. Demnach werden erbrachten Leistungen im Blickfeld der Beurteilung<br />
berücksichtigt, einschließlich der nicht direkt messbaren, aber beobacht- <strong>und</strong> beschreibbaren<br />
Fähigkeiten wie Methoden-, Personal-, <strong>und</strong> Sozialkompetenzen.<br />
Hat man bei der individuellen Beurteilung aller im Unterricht erbrachten Leistungen die potentialorientierte<br />
Stärkung des Schülers im Blick, lässt sich die Qualität der Beurteilungsinstrumente<br />
daran messen, wie stark sie zur Klarheit in der Kommunikation zwischen Lehrkräften,<br />
Schülern <strong>und</strong> Eltern beitragen, wie sehr der Schüler bei der Erstellung der Beurteilungskriterien<br />
miteinbezogen wird, ob ein Abgleich zwischen Selbst- <strong>und</strong> Fremdbeurteilung vorgesehen ist <strong>und</strong><br />
ob die Beurteilungsergebnisse Ausgangspunkt für weiterführende Zielvereinbarungsgespräche<br />
<strong>und</strong> individuelle Förderung <strong>und</strong> Herausforderungen sind.<br />
Praktikable Beurteilungsinstrumente sind beispielsweise Kriterienbogen, die in die vier separaten<br />
Kompetenzbereiche Fach-, Methoden,- Personal- <strong>und</strong> Sozialkompetenz untergliedert sind.<br />
Lehrkräfte, Lernende <strong>und</strong> Eltern erhalten dadurch einen schnellen Überblick auf Stärken <strong>und</strong><br />
Entwicklungsbereiche, unabhängig davon, ob es sich dabei um die Beurteilung einer Präsentation,<br />
einer Dokumentation, eines naturwissenschaftlichen Experiments, einer Jahresarbeit usw.<br />
handelt. Unabhängig von individueller Themenwahl, unterschiedlicher Art von Leistungsnachweisen<br />
werden Kompetenzen auf der Gr<strong>und</strong>lage von kriterienorientierten <strong>und</strong> standardisierten<br />
Textbausteinen beobacht- <strong>und</strong> beschreibbar.<br />
Einigt sich das Kollegium auf einheitliche Beurteilungsinstrumente mit zuvor bekannten Kriterien<br />
in Form von Items <strong>und</strong> standardisierten Beschreibungen beobachtbaren Handelns, auf regelmäßige<br />
Coaching-Gespräche, auf eine verbindliche Protokollkultur, auf einen fest institutionalisierten<br />
Informationsaustausch zwischen Lerngruppenleitern bzw. Lehrpersonen, auf zeitnahe<br />
Elterninformationen, sowie auf eine für alle zugängliche Entwicklungsdokumentation an der<br />
Schule, kann eine positive Spirale von Begleitung, Beurteilung, Beratung auf der Basis von funktionierender<br />
tragfähiger Beziehung in Gang gesetzt werden.<br />
21
BERATUNG<br />
Nach der Begleitung <strong>und</strong> Beurteilung erfolgt in einer zirkulär verb<strong>und</strong>enen Struktur die Beratung.<br />
Die Beratung zielt darauf ab, den Lernenden in Entscheidungsprozessen <strong>und</strong> in der Visualisierung<br />
von Zielperspektiven zu unterstützen.<br />
Im Beratungsprozess werden dem Lernenden Handlungs- <strong>und</strong> Veränderungsmöglichkeiten im<br />
Sinne der Qualitätssorge aufgezeigt. Ausgangspunkt des Beratungsgespräches ist die auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage der Beurteilungen erstellte Analyse. Da die Beratung auf das Anbahnen von definitivem<br />
Dazulernen abzielt, werden dem Lernenden die neu zu erwerbenden Kompetenzen verdeutlicht<br />
<strong>und</strong> die dazu führenden konkreten Entscheidungen <strong>und</strong> Handlungsschritte gemeinsam festgelegt.<br />
Verbindlich vereinbarte Protokollstandards zur Dokumentation der Beratung gewährleisten<br />
eine transparente <strong>und</strong> einheitliche Strukturierung dieser Handlungsschritte. Dem Lernenden wird<br />
so ermöglicht, selbstbestimmt auf erreichbare Ziele hinzuarbeiten.<br />
Gelingt es, im Beratungsprozess ein Spannungsfeld von Motivation durch Selbstbestimmung<br />
<strong>und</strong> kontinuierlichem Dazulernen durch Absprachen aufzubauen, hat der Lernende eine solide<br />
Ausgangsposition, um in einem weiterführenden begleiteten <strong>und</strong> selbstbestimmten Lernprozess<br />
erneut beurteilt <strong>und</strong> gegebenenfalls weiter beraten zu werden.<br />
Der Ablauf von Lernberatung besteht aus den Schritten:<br />
Analyse des Lernstandes auf der Gr<strong>und</strong>lage der Beurteilung Gemeinsame Erarbeitung von<br />
Handlungs- <strong>und</strong> Veränderungsmöglichkeiten Selbstbestimmter Entscheidungsprozess des<br />
Lernenden Dokumentation der vereinbarten Handlungsschritte.<br />
VERÄNDERUNGSFELDER (-ASPEKTE) FÜR LEHRERINNEN UND LEHRER<br />
VERÄNDERUNG DER LEHRERROLLE<br />
Die innovative Lehrkraft bleibt nicht beim Konstatieren <strong>und</strong> Beklagen von mangelnder Eigenverantwortung,<br />
zunehmender Unzuverlässigkeit, unmotivierter Arbeitshaltung, mangelnder Aufnahmefähigkeit<br />
<strong>und</strong> <strong>und</strong>iszipliniertem Verhalten der heutigen Schülergeneration stehen. Sie polt<br />
diese Spirale um, indem sie sich dem Schüler zuwendet, ihn begleitet, mit einem individuellen<br />
Lernangebot fördert <strong>und</strong> ihn herausfordert. Die Lehrperson gibt Rückmeldung, berät, beurteilt<br />
wertschätzend <strong>und</strong> hilft dem Schüler, neue Ziele zu definieren.<br />
Im Zentrum des daraus abzuleitenden Anforderungsprofils steht nicht länger das Lehren, sondern<br />
vielmehr die Fähigkeit <strong>und</strong> die Verantwortung der Lehrkräfte, durch die Gestaltung von<br />
Lernarrangements, Beratung <strong>und</strong> Begleitung eigenverantwortliches Lernen zu ermöglichen.<br />
Die neue Rolle lässt sich mit dem Begriff des Lernbegleiters oder des Lerncoachs umschreiben.<br />
Der Lerncoach findet mehr Zeit für das einzelne Kind, baut eine vertrauensvolle, angstfreie<br />
Beziehung auf <strong>und</strong> zeigt großes Interesse an den Lernerfolgen des Kindes. Der Lerncoach sucht<br />
das Gespräch mit seinen Kollegen, dies setzt ein hohes Maß an Teamfähigkeit voraus.<br />
22
Welche Ziele muss dabei eine neue Lernkultur, eine veränderte Lehrerrolle verfolgen?<br />
von einer<br />
zu einer<br />
als passiv erlebten<br />
Wissensvermittlung<br />
kognitiv aktivierenden<br />
Wissensvermittlung<br />
direkten Instruktion<br />
im Gleichschritt <strong>und</strong> in Lektionenart<br />
indirekten Instruktion<br />
durch Gestaltung individualisierender<br />
Lernumgebung<br />
als monologisch <strong>und</strong> lehrerzentriert<br />
erlebter Lehrkultur<br />
dialogischen Kultur der<br />
Lernunterstützung<br />
dominanten Fremdsteuerung<br />
verstärkten Selbststeuerung<br />
rein fachlichen Stoffvermittlung<br />
Mit-Ausbildung von<br />
Schlüsselkompetenzen<br />
(Prof. Reusser – Uni Zürich)<br />
VERÄNDERUNG DER ARBEITSZEIT<br />
Reicht in einem modernen Haus des Lernens der Vormittag, um Lernende in heterogenen<br />
Gruppen individuell zu fördern <strong>und</strong> herauszufordern, sie im rhythmisierten Lernprozess zu begleiten,<br />
zu beurteilen <strong>und</strong> zu beraten? Welche Zeitfenster öffnen wir Schülern, um ihnen Raum zum<br />
selbstbestimmten Lernen zu ermöglichen <strong>und</strong> wie wirkt sich das auf die Lehrerarbeitszeit aus?<br />
Die Arbeitszeitregelung für Lehrkräfte ist auf ein Schulsystem abgestimmt, in welchem Schüler<br />
überwiegend an Schulvormittagen zur selben Zeit denselben Unterrichtsstoff vermittelt bekommen,<br />
um diesen zu Hause zu üben <strong>und</strong> zu vertiefen. Bietet diese klassische Organisationsstruktur<br />
die erforderlichen Rahmenbedingungen, um den Herausforderungen von heterogenen Lerngruppen<br />
<strong>und</strong> individuell zu fördernden <strong>und</strong> zu fordernden Lernenden gerecht zu werden?<br />
Darf man Schule gr<strong>und</strong>legend neu denken, nämlich aus der Sicht der Lernenden?<br />
Was wäre wenn …<br />
… Schüler an den <strong>Schulen</strong> den ganzen Tag über Zeit hätten, um nach einer flexiblen Ankunftszeit<br />
in rhythmisierten Phasen von eigenverantwortlichem Lernen, Schüler- <strong>und</strong> Lehrervorträgen<br />
<strong>und</strong> Praktika ihre Handlungskompetenz weiterentwickeln zu können?<br />
… Vollzeitlehrkräfte an den <strong>Schulen</strong> den ganzen Tag Zeit hätten, um nach einer flexiblen Ankunftszeit<br />
ohne Zeitdruck den Lernenden als Coach <strong>und</strong> Referent zur Seite zu stehen?<br />
… Lehrkräfte ihre häusliche Vor- <strong>und</strong> Nachbereitungszeit an die Schule verlagern würden, um<br />
im Team Lernateliers aufzubauen <strong>und</strong> um Lernberatungen von Schülern gemeinsam vor- <strong>und</strong><br />
nachzubereiten?<br />
23
… Lehrkräfte den <strong>Teil</strong> der unterrichtsfreien Zeit, der außerhalb ihres Urlaubsanspruches liegt,<br />
an der Schule für konzeptionelle Arbeit bzw. für Fortbildungsmaßnahmen außerhalb der Schule<br />
investieren würden?<br />
Solange sich die Arbeitszeitverordnung für Lehrkräfte an einem tradierten Schulsystem orientiert<br />
<strong>und</strong> lediglich Deputatsst<strong>und</strong>en ausweist, bleibt es Schul- <strong>und</strong> Teamleitungen überlassen,<br />
Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen dazu zu motivieren, zumindest ansatzweise bestehende verkrustete<br />
Strukturen aufzubrechen, um Schule aus der Sicht der Lernenden neu zu denken.<br />
In der konkreten Umsetzung bedeutet dies, dass sich das Tätigkeitsfeld des Lehrers bzw. Lerncoachs<br />
verschiebt, weg von einer klassischen Unterrichtsplanung für Einzelst<strong>und</strong>en hin zur Entwicklung<br />
von Lernlandschaften <strong>und</strong> individuellen Lern – bzw. Förderplänen. Begleiten <strong>und</strong> beschreiben<br />
wir die Lernfortschritte der Schüler, muss dies mit allen Beteiligten abgestimmt werden.<br />
Regelmäßige Teamsitzungen sind notwendig. Dialog statt Monolog – das braucht Zeit. Dies<br />
kann durchaus auch ein Freitagmittag sein. Finden die Kollegen keine Lernlandschaft vor (z. B.<br />
Lernjobs), muss Zeit in die Erstellung dieser Lernlandschaft investiert werden. Gerade in der Aufbauphase<br />
<strong>und</strong> Implantierung einer neuen Lernkultur wird dieser Aspekt unterschätzt. Daher ist<br />
eine Vernetzung, auch über die eigene Schule hinaus, dringend notwendig <strong>und</strong> empfehlenswert.<br />
Die Anwesenheitszeit an der Schule nimmt dadurch ohne Frage zu. Gleichzeit kommt es zu<br />
unterstützenden Teamprozessen, die in Problemsituationen schneller <strong>und</strong> effektiver Lösungsansätze<br />
ermöglichen, die wiederum Zeit gewinnend sein können. Ein Denken in Deputatsst<strong>und</strong>en<br />
entspricht nicht mehr den Anforderungen einer neuen Lernkultur. Daher sind neue Arbeitszeitmodelle<br />
zu entwickeln, die dem veränderten Tätigkeitsfeld des Lehrers Rechnung tragen.<br />
24
AUFGABEN FÜR SCHULLEITERINNEN UND SCHULLEITER<br />
VERBINDLICHKEITEN IM SCHULENTWICKLUNGSPROZESS<br />
Die bisher beschriebenen Veränderungsfaktoren: die demographische Entwicklung, die Erkenntnisse<br />
zum Umgang mit Heterogenität, ebenso die Erkenntnisse zum Lernen <strong>und</strong> die aktuellen<br />
bzw. zukünftigen bildungspolitischen Vorgaben führen zu deutlich veränderten Aufgabenstellungen<br />
für Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer <strong>und</strong> damit zu einer massiv anderen Lehrerrolle.<br />
Ebenso werden die Aufgabenstellungen im Sinne von Verbindlichkeiten für Schulleiterinnen<br />
<strong>und</strong> Schulleiter starke Herausforderungen mit sich bringen. Alle Schularten – Gr<strong>und</strong>schulen,<br />
Hauptschulen/Werkrealschulen, Realschulen <strong>und</strong> Gymnasien, nicht nur die neu entstehenden<br />
Gemeinschaftsschulen – müssen sich Schritt für Schritt zu <strong>Schulen</strong> des individuellen <strong>und</strong> kooperativen<br />
Lernens entwickeln, in denen Heterogenität als Chance <strong>und</strong> nicht als Belastung verstanden<br />
wird.<br />
Peter Fratton beschreibt die anstehenden Entwicklungsaufgaben als Notwendigkeit zur Innovation.<br />
Optimierung bestehender Ausgangslagen reicht nicht mehr aus.<br />
Dies erfordert für <strong>Schulleitungen</strong> v.a.<br />
Initiieren von verbindlichen <strong>Schulen</strong>twicklungsprozessen,<br />
Planen <strong>und</strong> Steuern schulinterner Fortbildungen,<br />
Beteiligung von Eltern, Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern <strong>und</strong> außerschulischen Partnern, v.a. des<br />
Schulträgers,<br />
gestaltete Räume planen <strong>und</strong> schaffen,<br />
Neue Lernformen in den Hauptfocus der Schulorganisation stellen.<br />
Selbstverständlich müssen in alle Entwicklungsplanungen <strong>und</strong> -Umsetzungen die Kolleginnen<br />
<strong>und</strong> Kollegen - auch die anderen Partner - mit einbezogen werden.<br />
Die Fortbildungsschulrätinnen <strong>und</strong> -schulräte aller Staatlichen Schulämter <strong>und</strong> das Referat 77<br />
des Regierungspräsidiums Freiburg haben in Anlehnung an Andreas Müller (Beatenberg) drei<br />
Planungs- <strong>und</strong> Organisationsbereiche von Unterricht beschrieben:<br />
PFLICHTKURSE<br />
Lehrerinnen/Lehrer …<br />
ermöglichen Lernen in Jahrgangsklassen, Lerngruppen <strong>und</strong> Niveaugruppen<br />
stellen individuelle <strong>und</strong> kooperative Arbeitsformen bereit<br />
strukturieren Lerninhalte ziel(gruppen)orientiert<br />
fördern durch Impulsvorträge die Auseinandersetzung mit Wissen<br />
ERWEITERTE LERNARRANGEMENTS<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer …<br />
begleiten individuelles Lernen<br />
Schaffen Orientierung (Kompetenzraster, strukturierte Aufgaben, Checklisten …)<br />
25
Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler …<br />
lernen individuell <strong>und</strong> eigenverantwortlich<br />
formulieren individuelle Ziele <strong>und</strong> legen Lernwege fest<br />
geben Feedback (Schüler <strong>und</strong> Lehrer)<br />
WAHLANGEBOTE<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer …<br />
schaffen Anreize für fächerübergreifendes Arbeiten<br />
stellen Lernumgebungen bereit<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler …<br />
wenden erarbeitetes Wissen in Realsituationen an<br />
lernen projektorientiert<br />
arbeiten in Teams (Schüler <strong>und</strong> Lehrer)<br />
Die konsequente Umsetzung einer solchen Unterrichtsstruktur erfordert neue, kreative Formen<br />
der Unterrichtsorganisation, neue Lernzeiten, neue Rahmenbedingungen.<br />
ORGANISATION DER SCHULE DES INDIVIDUELLEN LERNENS<br />
45-Minuten-Takt, stündlicher Lehrer- <strong>und</strong> Lernortwechsel,<br />
zufällige Abfolge von Fächern <strong>und</strong> deren Inhalten,<br />
Häppchen-Unterricht, Hektik bei Lehrkräften <strong>und</strong> Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schülern, Stress, Versagen<br />
versus<br />
Zeitstrukturen, die ausreichend Raum geben für entschleunigtes<br />
Lernen, nachhaltiges Üben, selbstorganisiertes<br />
individuelles Arbeiten<br />
Im Klartext: „Schüler müssen häufiger <strong>und</strong> länger an<br />
einem Stück arbeiten“ (vgl. Klippert, 2010)<br />
„<strong>Schulen</strong> müssen verstärkt zu Orten des verweilenden<br />
Lernens werden“ (vgl. Klippert, 2010)<br />
Wie könnte eine Schule durch Veränderung ihrer Organisation auf diese wichtige Voraussetzung<br />
für gelingendes Lernen für alle Kinder reagieren?<br />
Da jede Schulleitung die Organisation ihrer Schule am besten kennt, weiß sie auch am besten,<br />
welche strukturellen Gegebenheiten ein Lernen in obigem Sinne verhindern.<br />
26
Zentral hierbei sind<br />
Bei alldem darf nicht vergessen werden…<br />
Die Nachhaltigkeit des Engagements der Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer hängt auch davon ab, ob<br />
die Schulleitung die geleistete Arbeit wahrnimmt <strong>und</strong> würdigt, sich selbst engagiert einbringt<br />
<strong>und</strong> die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen mit aller Kraft betreibt.<br />
ENTWICKLUNGSMODELL EINER UNTERRICHTSEINHEIT MIT INDIVIDUALISIE-<br />
RUNGSPHASE (INPUTPHASE/COACHINGPHASE)<br />
Ein Modell einer Unterrichtseinheit mit Input- <strong>und</strong> Coachingphase vorzugeben ist problematisch,<br />
da hierbei einerseits Strukturen der schulischen Organisation tangiert sind andererseits<br />
sehr spezifische Unterrichtskonzepte der Lehrkräfte mit in die Überlegungen einfließen werden.<br />
Aber um gemeinsam ein Konzept für individualisiertes Lernen zu entwickeln könnte ein Planungsgerüst<br />
hilfreich sein.<br />
27
Mögliches Handlungsgerüst für eine solche Unterrichtseinheit<br />
(Sievers, T.: Unterrichtsentwicklung im Team, in: PÄDAGOGIK 10‘2011, S. 10ff)<br />
COACHINGPHASE<br />
ZIEL DES COACHING<br />
Lerncoaching strebt Selbstwirksamkeit (A. Bandura) an. Selbstwirksamkeit bezeichnet die subjektive<br />
Überzeugung einer Person, ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Handlung mit den<br />
ihr zur Verfügung stehenden Mitteln (Können) erfolgreich ausführen zu können.<br />
„Ich bin überzeugt, ich kann...!“<br />
Wir gehen davon aus, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz<br />
größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Versagensängste<br />
<strong>und</strong> mehr Erfolge in der Ausbildung <strong>und</strong> im Berufsleben aufweisen.<br />
Nach Bandura speist sich die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person aus vier Quellen:<br />
MEISTERN VON SCHWIERIGEN, HERAUSFORDERNDEN SITUATIONEN<br />
Lerncoaching unterstützt den Schüler auf dem Weg durch gut gestaltete Lernarrangements,<br />
Inputs, Hilfestellungen...<br />
BEOBACHTUNG VON VORBILDERN (MODELLEN)<br />
Meistern andere Menschen, mit denen ich mich identifizieren kann, die Aufgaben, so<br />
traue ich sie mir auch eher zu – Lerncoaching heißt also Lernerfolge bzw. Lernnachweise der<br />
Mitschüler transparent zu machen oder auch Unterstützung durch Lernpartner/Experten zu<br />
organisieren.<br />
SOZIALE UNTERSTÜTZUNG<br />
Das Zutrauen des Lerncoachs, dass der Lernende die Situation meistert, hat positive Auswirkungen<br />
auf die Bereitschaft sich anzustrengen.<br />
28
PSYCHOLOGISCHE REAKTIONEN<br />
Auf neue Anforderungssituationen kann mit Angst/Stress reagiert werden, dies führt zu<br />
Selbstzweifeln <strong>und</strong> wirkt der Selbstwirksamkeit entgegen. Lerncoaching soll zum Abbau von<br />
Stresssituationen beitragen z.B. durch die Bewusstmachung von Lernerfolgen im Feedbackgespräch.<br />
Lerncoaching agiert somit stets stärkenorientiert. Lerncoaching wirkt über verschiedene<br />
Ebenen: die Beziehungsebene, die Ebene des ressourcenorientierten Feedbacks, über die<br />
Bereitschaft kompetenzorientierte, herausfordernde Lernarrangements zu schaffen sowie<br />
der Öffnung für eigentätige Lernnachweise (individuelle Evaluation).<br />
Ein Lerncoach muss in der Lage sein, lösungsorientierte Gespräche zu führen, indem er<br />
sich in das Gegenüber hineindenkt, Lösungen zusammen mit ihm findet, den Fokus auf das<br />
Gelungene legt <strong>und</strong> sich bewusst macht, dass die Lösung von Problemen nur durch den Lernenden<br />
selbst erfolgen kann.<br />
Wir versuchen diese Haltung während der gesamten Lernzeit einzunehmen wie auch in<br />
der Gestaltung der Lernjobs. Auch die Lernnachweise sind nur Vorschläge, wenn der Lernende<br />
selber eine Idee hat, wie er sein Können zeigen kann, hat diese stets Vorrang.<br />
Diese individuelle Art der Lernbegleitung benötigt Zeit.<br />
Da an unserer Regelschule sehr viele zu coachende Schüler auf einen Lerncoach kommen,<br />
versuchen wir Zeit zu schaffen, indem wir versuchen, Teams (Deutsch, Mathematik)zu bilden:<br />
durch Einsatz von Freist<strong>und</strong>en, um den jeweilig anderen Fachlehrer im Lernatelier zu unterstützen<br />
durch Einsatz einer pädagogischen Assistentin<br />
durch Einsatz von Lernbegleitern.<br />
Außerdem entwickelten wir so genannte Wochenrückmeldungen, in denen wir Lernschritte<br />
<strong>und</strong> Lernerfolge schriftlich festhalten können.<br />
Wir sind dazu übergegangen, diese Wochenrückmeldung gemeinsam mit dem Schüler zu<br />
erstellen. Dies wird folgendermaßen organisiert: Am Freitag ist die Klasse geteilt. Während<br />
die eine Hälfte (15 Schüler) zwei St<strong>und</strong>en im Lernatelier arbeitet, hat die andere Hälfte<br />
(ebenfalls 15 Schüler) MNT-Unterricht. In der zweistündigen Lernatelierzeit coachen zwei<br />
Lehrer (Mathe- <strong>und</strong> Deutschlehrer) je einen Schüler (ca. 15 Minuten), ein dritter unterstützt<br />
die anderen 13 Schüler bei Fragen. Nach zwei St<strong>und</strong>en findet ein Wechsel der Gruppen statt.<br />
Wir haben hier die Möglichkeit individuell auf den Lernenden einzugehen. Zwar sind 15<br />
Minuten nicht die Welt – aber doch viel mehr als normalerweise an Regelschulen den Schülern<br />
eingeräumt wird!<br />
Damit Coaching gelingt sind folgende Prinzipien zu beachten:<br />
1. Beziehungsgestaltung<br />
2. Stärkenorientierung<br />
3. Verantwortungsparadigma<br />
4. Lösungsorientierung<br />
5. Zum Erfolg verhelfen<br />
29
FEEDBACK<br />
Der Einfluss von Feedback hat einen sehr hohen Anteil am Lernerfolg der Schüler. Feedback<br />
erzeugt Selbstwirksamkeit, Stolz <strong>und</strong> Motivation. Feedback spiegelt immer eine Wahrnehmung<br />
wieder, keine Wahrheit. Es geht um konkrete, veränderbare Verhaltensweisen, indem<br />
ich die Situation beschreibe <strong>und</strong> mit Ich-Botschaften arbeite.<br />
Vorgehensweise:<br />
1. Positives konkret benennen.<br />
„Welche Richtungen habe ich erkannt?“<br />
2. Blinden Fleck aufweisen - konstruktive Kritik.<br />
„Was war im Vergleich zum Ziel noch nicht ganz okay?“<br />
3. Optimierungsperspektive<br />
PHASEN DES COACHINGS<br />
„Wo sind die Entwicklungs- <strong>und</strong> Verbesserungsansätze?“<br />
„Man kann einen Menschen nichts lehren, man<br />
kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“<br />
(Galileo Galilei)<br />
1. ERÖFFNUNG<br />
„Was sollte aus deiner Sicht während des Gesprächs zur Sprache gebracht<br />
werden?“<br />
„Was müsste in diesem Gespräch passieren, damit du sagen kannst:<br />
´Das hat sich gelohnt!´?“<br />
2. ZIRKULÄRE FRAGE<br />
„Woran würde eine bestimmte Person (Fre<strong>und</strong>, Familie, Mitschüler) merken,<br />
dass du dein Ziel erreicht hast?“<br />
„Wie würde es der Person gehen, wenn du dein Ziel erreicht hast?“<br />
3. SKALIERUNG: LÖSUNGSIDEEN<br />
„Woran würdest du merken, dass du um einen Punkt auf der Skala gestiegen<br />
bist?“<br />
„Was müsstest du konkret tun, um auf der Skala von 0-10 einen Punkt<br />
Richtung Ziel voranzukommen?“<br />
„Was würdest du auf dem nächst höheren Punkt der Skala tun, was du<br />
jetzt nicht tust?“<br />
4. DIE AUSNAHME(N)<br />
„Wann hat es schon mal besser geklappt?“<br />
„Was hast du anders gemacht?“<br />
„Was könntest du tun, um die damaligen positiven Veränderungen wieder<br />
aufleben zu lassen?<br />
30
WAHLBEREICH<br />
Pflichtkurse – Erweiterte Lernarrangements – Wahlangebote müssen ein aufeinander abgestimmtes<br />
Gesamtangebot ergeben. Insgesamt ermöglichen sie:<br />
Individuelles Lernen<br />
Lernen im eigenen Tempo<br />
Individuelle Auseinandersetzung mit selbst gewählten Lerninhalten<br />
Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden<br />
Kooperatives Lernen<br />
voneinander <strong>und</strong> miteinander Lernen<br />
Eigenverantwortliches Lernen<br />
Lerntechniken nutzen<br />
Eigene Lernstrategien entwickeln <strong>und</strong> einsetzen<br />
Lernzuwachs reflektieren<br />
„Lehrer, lehrt weniger, damit die Schüler mehr lernen<br />
können!“<br />
(Johanna Amos Comenius 1572 – 1670)<br />
INPUTPHASE<br />
Inputphasen, v.a. im Wahlbereich richten sich immer an heterogene Lerngruppen. Sie sind<br />
sowohl auf Fächer <strong>und</strong> Fächerverbünde bezogen als auch an Lernangebote die darüber hinausgehen.<br />
Inputs im Wahlbereich sollten kurz <strong>und</strong> brillant sein. Brillant Inputs erfordern auch brillante<br />
Rahmenbedingungen, auch im Sinne modernsten technologischen Standards.<br />
Im Wahlbereich müssen sowohl schulische als auch außerschulische Lernorte <strong>und</strong> damit auch<br />
außerschulische Partner verbindlich eingeplant werden. Hier dazu einige Beispiele:<br />
Fremdspracheunterricht<br />
Da wir wissen, dass der intensivste Lernerfolg in Ländern, in denen diese Sprache gesprochen<br />
wird erfolgt, sollten Schüleraustausche fest eingeplant werden.<br />
Sport<br />
Reale Wettkampfsituationen (Schulmannschaft spielt für den Verein) bringen reale Lernerfolge.<br />
Musik<br />
Der Schulchor oder das Schulorchester spielen im / für den entsprechenden Verein mit<br />
dem Schwerpunkt öffentlicher Auftritte.<br />
Berufsorientierung<br />
Bildungspartnerschaften mit Betrieben <strong>und</strong> Berufsschulen geben die Möglichkeit, Praktika<br />
qualitativ zu definieren.<br />
Schulsozialarbeit - soziales Lernen<br />
Nicht Krisenmanagement, sondern soziale Gruppenarbeit<br />
Auseinandersetzung mit Literatur bedeutet immer "Theaterarbeit", selbstverständlich mit<br />
öffentlichen Auftritten.<br />
Inputphasen im Wahlbereich bedeuten demnach immer die Einbeziehung aller Lernorte <strong>und</strong><br />
die Beteiligung außerschulischer Referenten,<br />
die Lehrkraft kann ihre persönlichen Stärken <strong>und</strong> Neigungen einbringen.<br />
31
COACHINGPHASE<br />
Coaching im Wahlbereich muss berücksichtigen, dass der Lehrer/die Lehrerin in vielen Arbeitsphasen<br />
als Partner der Schülerin/des Schüler aktiv ist, sei es als Regisseur, als Dirigent, als<br />
Mitspieler usw.<br />
Empfehlenswert ist deshalb ein Coaching-Team bzw. ein Coaching-Tandem, auch um der<br />
„Vielfalt“ der Lernorte <strong>und</strong> Lernbegleiter Rechnung tragen zu können.<br />
ERWEITERTE LERNARRANGEMENTS -<br />
EIN BEISPIEL AUS DER HEBELSCHULE SCHLIENGEN<br />
FREIRÄUME – ZWISCHEN FREIHEIT UND STRUKTUR<br />
„Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit.<br />
Das ist der Gr<strong>und</strong>, weshalb sich die meisten<br />
Menschen vor ihr fürchten.“<br />
(George Bernard Shaw)<br />
Individuelles Arbeiten <strong>und</strong> Lernen, das Beschreiten eigener Lernwege in Zeit <strong>und</strong> Inhalt, kann<br />
nur erfolgen, wenn starre Unterrichtsorganisationen des gemeinschaftlichen Lernens aufgelöst<br />
werden: wenn also die Lernenden in die Freiheit entlassen werden.<br />
Aus meiner Erfahrung heraus arbeiten wir an der Werkrealschule mit Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
zusammen, die nicht gelernt haben, diese Freiheit von sich aus produktiv nutzen, die keine<br />
Idee davon haben, wie sie eigenaktiv <strong>und</strong> zielgerichtet lernen können. Oder noch schlimmer, die<br />
jegliche Neugier <strong>und</strong> Lust am Lernen verloren haben <strong>und</strong> Freiheit nicht nutzen wollen.<br />
Insofern glaube ich daran, dass die Freiheit strukturiert werden muss, Freiheit zu Freiräumen<br />
gestaltet werden sollte, die dann Hilfestellungen für das eigenaktive Lernen geben können. Eine<br />
Möglichkeit Freiräume zu gestalten wird im Verlauf des Portfolios genauer vorgestellt: unsere<br />
Organisation des individuellen <strong>und</strong> selbstgesteuerten Lernens in den Fächern Deutsch <strong>und</strong> Mathematik.<br />
Freiheit schaffen wir auf dem Weg des Aufbrechens beider Fächer in individuelle Lernzeiten<br />
(3-4 St<strong>und</strong>en in der Woche pro Fach), der Bereitstellung von Medien, Material <strong>und</strong> Lernangeboten<br />
sowie der (teilweisen) Befreiung von vorgegebenen Arbeiten im Gleichmarsch.<br />
Zu Freiräumen gelangen wir über die Strukturierung dieser Freiheit mit Hilfe bestimmter<br />
Tools: Kompetenzraster, Lernerfolgslisten, Schüleragenda, Lernkoffer, Schülerordner mit Register,<br />
Lernjobs <strong>und</strong> die Wochenrückmeldungen.<br />
Versinnbildlicht (aber nicht unbedingt Voraussetzung) wird dieser Freiraum durch unsere zwei<br />
Lernateliers (5./6. Klasse LA1; 7.-9.Kl. LA2).<br />
Wünschenswert <strong>und</strong> langfristig angestrebt ist auch, dass es noch mehr Freiheiten auf der<br />
Ebene der Schulorganisation gibt: So muss der St<strong>und</strong>enplan noch besser abgestimmt werden auf<br />
die Lernteams, Freiräume fürs Coaching fest installiert sowie die altershomogenen Klassen aufgebrochen<br />
werden. In der Klasse 7 probieren wir in Bezug auf die Schulorganisation neue Möglichkeiten<br />
aus, die sich z.B. auswirken auf die St<strong>und</strong>enplangestaltung der Lehrer (Freist<strong>und</strong>en<br />
einplanen, um sie zum Coaching oder Teamteaching zu nutzen). Wir schafften 4 St<strong>und</strong>en<br />
Coachingzeit am Freitag, um mit dem einzelnen Schüler die Wochenrückmeldung gemeinsam zu<br />
erstellen. Zudem erproben wir das klassenübergreifende kooperative Lernen: Schülerexperten<br />
für spezielle Arbeitsbereiche stehen als Ansprechpartner für jüngere Schüler zu bestimmten Zeiten<br />
zur Verfügung.<br />
32
Auch die Strukturierung der Freiräume für die Lehrer muss noch vorangetrieben werden: So<br />
ist die Bedeutung <strong>und</strong> Wichtigkeit der Teamarbeit immens – <strong>und</strong> muss doch durch feste Teambesprechungen<br />
(Klassenteam, Lernatelierteam) nachdrücklich <strong>und</strong> verbindlich installiert werden.<br />
Auch die interne Lehrerfortbildung sollte noch mehr Bedeutung <strong>und</strong> Raum erhalten. Die Tools<br />
handwerklich richtig zu bedienen ist das Eine, das Andere <strong>und</strong> wesentlich gr<strong>und</strong>sätzlicher ist die<br />
Haltung, die dahinter steht, um das Werkzeug nicht zu missbrauchen. Hier ist das Menschenbild<br />
<strong>und</strong> Rollenverständnis des Lehrers entscheidend. Ein verändertes Bild vom Vorgang des Lernens<br />
entsteht aber nicht aus dem Nichts heraus. Benötigt wird ein vertieftes neurobiologisches Wissen<br />
um Lernvorgänge.<br />
Wenn <strong>Schulen</strong> (oder Kollegen) also „aufbrechen“ <strong>und</strong> eine Reise antreten wollen, erfordert es<br />
vor allem Eines: den Wunsch <strong>und</strong> Willen selber wieder Lernender auf dem Feld des Lernens zu<br />
werden – eine spannende Reise...<br />
LERNEN AUF DER BASIS VON KOMPETENZRASTERN<br />
Wie können wir eine positive Lernatmosphäre schaffen, in der die Schüler Erfolge feiern können,<br />
ihre Lernfortschritte bewusst als Können wahrnehmen <strong>und</strong> damit Motivation zum Weiterlernen<br />
entwickeln?<br />
Wie kann die Individualität des Lernenden, insbesondere auch seine Stärken, berücksichtigt<br />
<strong>und</strong> gefördert werden?<br />
Wie kann eine zeitliche Differenzierung ebenso wie eine Differenzierung <strong>und</strong> Individualisierung<br />
von Leistung <strong>und</strong> Förderbedarf eingelöst werden?<br />
Wie kann eine positive selbstverantwortliche Lernhaltung erzeugt werden, die dann auch Einsicht<br />
in die eigenen Lernbedürfnisse <strong>und</strong> Lernfortschritte schafft?<br />
Wie können wir erste Wege zur Selbstorganisation des Lernens <strong>und</strong> Arbeitens anbahnen (eine<br />
Gr<strong>und</strong>qualifikation auch für das Leben nach der Schule)?<br />
Die Antwort der Hebelschule Schliengen auf all diese Fragen ist das Konzept des selbstorganisierten<br />
Lernens auf der Basis von Kompetenzrastern.<br />
Das Lernen auf der Basis von Kompetenzrastern ist eine Forderung, die sich aus dem Bildungsplan<br />
2004 ableitet: An die Stelle von konkreten Inhalten sind Kompetenzen getreten, die<br />
der Schüler nach einer bestimmten Zeiteinheit (z.B. am Ende der 6. Klasse) erreichen soll.<br />
33
Eine wichtige Voraussetzung für eine positive Lernhaltung ist die Transparenz von Ziel <strong>und</strong><br />
Sinn. Diese Transparenz versuchen wir durch die Darstellung der Kompetenzen (Ziele) in Kompetenzrastern<br />
zu erreichen, die dem Schüler als „Landkarte“ ihrer Lernentwicklung dienen.<br />
In den Kompetenzrastern für die Fächer Deutsch <strong>und</strong> Mathematik haben wir die Ziele aufgefächert:<br />
in 6 verschiedenen Niveaustufen<br />
nach Arbeitsbereichen (Kompetenzen des Faches)<br />
So weist das Kompetenzraster in Mathematik 7 vertikale <strong>und</strong> in Deutsch 9 vertikale Arbeitsbereiche<br />
auf. Die horizontale Aufgliederung in 6 Niveaustufen ist in beiden Fächern die gleiche. Auf<br />
der Basis der Auffächerung der Kompetenzen wurden nun Checklisten erstellt, die die Anzahl der<br />
Einzelkompetenzen aufführen: Die Inhalte der einzelnen Raster wurden in eindeutige Einzelkompetenzen<br />
zerlegt <strong>und</strong> in Schülersprache (Ich kann…) formuliert.<br />
Die Schüler <strong>und</strong> Schülerinnen haben die Möglichkeit, sich im Lernatelier diese Kompetenzen,<br />
ausgehend von der niedrigsten Niveaustufe A1, in ihrem eigenen Lerntempo zu erarbeiten. Dabei<br />
greifen sie auf folgende Werkzeuge zurück:<br />
die Lernlandschaft – aufbereitete Lernjobs <strong>und</strong> Lernnachweise<br />
ihr Kompetenzraster, auf welches gelbe (Lernjob bearbeitet) <strong>und</strong> rote Punkte (Testat/Leistungsnachweis<br />
erfolgreich abgelegt) ihren Platz finden. Letztendlich berechtigen die<br />
roten Punkte den Schüler, zu dem höheren Niveau vorzudringen<br />
ihre Lernagenda mit Wochenplanung <strong>und</strong> Reflexion sowie Lernerfolgslisten, in denen die<br />
Schüler bearbeitete Lernjobs <strong>und</strong> Testate eintragen <strong>und</strong> so ihr Arbeit protokollieren<br />
Durch das Bepunkten des Kompetenzrasters <strong>und</strong> das dadurch erfolgte Sichtbarmachen der<br />
Lernfortschritte d.h. des Erwerbs von Kompetenzen wird eine Lernhaltung erzeugt, die den eigenen<br />
Lernfortschritt bewusst wahrnimmt <strong>und</strong> somit positiv verstärkt. Durch die wöchentliche<br />
Planung <strong>und</strong> Reflexion der Arbeit wird nicht nur das Sprechen über das Lernen geschult, sondern<br />
auch ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass das Lernen ein Prozess ist, der in ihren eigenen<br />
Händen liegt, den sie nur selbst vollziehen können.<br />
Gleichzeitig werden durch das Führen einer Agenda auch sek<strong>und</strong>äre Qualifikationen trainiert:<br />
hier wird der Umgang mit Werkzeugen der Selbstorganisation täglich eingeübt, die ihnen nicht<br />
34
nur in ihrer späteren Schullaufbahn zu Gute kommen. Selbständig erkennen zu können, welche<br />
Arbeitsschritte in welcher Reihenfolge zu gehen sind <strong>und</strong> diese selbstverantwortlich umzusetzen,<br />
sind Gr<strong>und</strong>voraussetzungen für eine erfolgreiche berufliche Zukunft!<br />
In der Realität sind auf diesem Weg auch andere „Ergebnisse“ denkbar (Lernen ist im Fluss<br />
<strong>und</strong> Haltungen im Wandel).<br />
Zwar besteht der Gr<strong>und</strong>gedanke darin, den Schüler zu stärken – doch über die Selbstverantwortung<br />
<strong>und</strong> die Individualisierung des Lernens erkennt nicht nur der Coach bzw. die Lehrkraft<br />
dessen fachliche Defizite sehr deutlich. Auch der Schüler muss sich viel stärker als im normalen<br />
Unterricht mit seinen eigenen Lernschwierigkeiten <strong>und</strong> Hindernissen auseinandersetzen. Ein<br />
Abtauchen hinter Wortbeiträgen von Mitschülern ist nicht mehr möglich. Kurz: Das Arbeiten im<br />
Lernatelier ist nicht nur Fun, sondern anstrengend <strong>und</strong> fordernd, manchmal womöglich überfordernd.<br />
Die Aufgabe der Lehrkraft, des Lernbegleiters ist es dann, diese Phasen zu erkennen, beratend<br />
zu unterstützen bzw. „Nachhilfe“ zu leisten.<br />
Förderbedürfnisse frühzeitig zu erkennen ist eine große Chance dieses Konzeptes – die Schüler<br />
mit dieser Diagnose nicht alleine zu lassen, sondern in einem Förderkonzept aufzufangen, eine<br />
Herausforderung für die Schule!<br />
DOKUMENTATIONSFORMEN<br />
Die Schule des Individuellen <strong>und</strong> kooperativen Lernens erfordert individualisierte Dokumentationsformen<br />
als Gr<strong>und</strong>lage für eine kontinuierliche Feedback-Kultur zwischen Lehrkräften <strong>und</strong><br />
Schülern, sie sind Anhaltspunkt für einen ebenfalls kontinuierlichen Beratungsprozess mit den<br />
Eltern.<br />
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Erarbeitung eines schulinternen - standardisierten<br />
Dokumentationssystems, das sich aus folgenden Bestandteilen schlüssig ergeben muss:<br />
Zielformulierung <strong>und</strong> Zielerreichung anhand der Kompetenzraster<br />
Qualität der Erarbeitung der Lernjobs<br />
Ergebnisse der an den Lernjobs orientierten Testate<br />
Klassenarbeiten<br />
Selbsteinschätzung der Schülerin / des Schüler<br />
Fremdeinschätzung der Lehrerin / des Lehrers<br />
Ergebnisse des Feedback-Gesprächs<br />
neue Zielformulierungen<br />
Rückmeldung an Eltern<br />
Beratungsgespräch mit Eltern<br />
UMGANG MIT PERSÖNLICHEN DATEN<br />
Durch die beschriebenen Dokumentationskriterien entsteht eine Vielzahl von individuellen,<br />
sensiblen Schülerdaten. Der Umgang mit diesen Daten sollte folgenden Qualitätskriterien Stand<br />
halten:<br />
Sorgfältige Aufbewahrung (abschließbar)<br />
alle individuellen Dokumente erhalten auch die Betroffenen (Schülerinnen / Schüler bzw.<br />
Eltern)<br />
Die Vielzahl der Dokumentationsnotwendigkeiten <strong>und</strong> der Umgang mit den so generierten<br />
Daten macht es erforderlich, dass den <strong>Schulen</strong> eine geeignete Software zur Verfügung steht.<br />
Geeignete Programme werden derzeit überprüft (siehe hierzu auch Unterstützungsangebote).<br />
35
NOTWENDIGE RAHMENBEDINGUNGEN - GESTALTETE RÄUME<br />
Ein Erfahrungsbericht der Hebelschule Schliengen<br />
„Form Follows Function“<br />
oder<br />
„Der Raum als 3. Lehrer“<br />
(Loris Malaguzzi)<br />
„Es ist das Gesetz aller organischen <strong>und</strong> anorganischen, aller physischen<br />
<strong>und</strong> metaphysischen, aller menschlichen <strong>und</strong> übermenschlichen<br />
Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens <strong>und</strong> der<br />
Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form<br />
immer der Funktion folgt.“<br />
(Louis Sullivan, Architekt)<br />
Lernorte nutzen, darauf kommt es an. Diese Chance bieten gut strukturierte Fachräume, außerschulische<br />
Lernorte, mit positiver Lernatmosphäre ausgestattete Klassenräume oder aber<br />
strukturierte Lernateliers.<br />
Unsere zwei Lernateliers sind im Abstand<br />
von zwei Jahren entstanden. Bei der<br />
Planung des ersten Ateliers waren wir Lehrer<br />
zwar beteiligt, hatten aber eigentlich<br />
keine genauere Vorstellung als diese:<br />
wir möchten einen großzügigen Raum,<br />
in dem jedem Schüler sein eigener Arbeitsbereich<br />
zur Verfügung steht,<br />
der Platz für einen sogenannten Baumarkt<br />
bietet (Arbeitsmaterial),<br />
<strong>und</strong> eine Lerntheke mit Medien <strong>und</strong><br />
Material hat.<br />
Den großen Raum gewannen wir, indem wir zwei nebeneinander liegende Klassenzimmer zusammenführten<br />
(wir rissen die Trennwand heraus). In die Mitte des Raumes platzierten wir eine<br />
Lerntheke mit Computern, Kopierer, Bindemaschine, Laminiergerät, Locher, Tacker etc. An der<br />
Flurseite installierten wir zwei große Regale (in dem einen früheren Klassenzimmer Mathe, in<br />
dem anderen Deutsch), in denen die Lernjobs sowie alle dazugehörigen Arbeitsmaterialien Platz<br />
fanden.<br />
Zwei Klassenzimmer grenzen je seitlich an das Lernatelier an <strong>und</strong> haben einen direkten Zugang zu<br />
diesem. Die Klassenzimmer können während der Lernatelierzeit für Gruppenarbeit oder Theaterlernjobs<br />
genutzt werden.<br />
In den zwei Jahren Nutzung sind uns folgende Punkte aufgefallen:<br />
Wir haben an keinen festen Coachingplatz bzw. Platz für den Coach gedacht – benötigen ihn<br />
jedoch.<br />
Wir haben nicht an Nischen gedacht, die Sprechen ermöglichen, ohne andere Lerner zu stören<br />
(müssen also mit Notlösungen arbeiten wie Klassenzimmer, Flur).<br />
Auch wenn nur gemurmelt wird, kann dieses den Nachbarn aus seiner Konzentration reißen,<br />
jedoch:<br />
36
einige Kompetenzen müssen in Partnerarbeit (z.B. Gespräche führen Arbeitsbereich SP1)<br />
bearbeitet werden <strong>und</strong> kooperatives Lernen ist in der Konzeption wichtig (Bedeutung von<br />
Versprachlichung).<br />
So machten wir uns in der Planung des Lernateliers in einem Planungsteam von 5 Lehrern wesentlich<br />
mehr Gedanken <strong>und</strong> dem Architekten sehr genaue Vorgaben (siehe Plan).<br />
Wesentliche Neuerungen waren:<br />
Wir legen zwei gegenüberliegende Klassenzimmer zusammen (statt nebeneinanderliegende),<br />
so gewinnen wir den „Flur“ platzmäßig hinzu.<br />
Im Bereich des früheren Flures lassen wir die Enden der Wände stehen, verglasen die Front<br />
<strong>und</strong> gewinnen so einen Raum für Gruppen- <strong>und</strong> Partnerarbeiten.<br />
Wir schaffen einen festen „Lehrerplatz“ mit Computer <strong>und</strong> Staumöglichkeiten.<br />
Wir rücken die Lerntheke aus der Mitte weg an den Rand. Auf dieser Seite des Raumes finden<br />
alle geräuschproduzierenden Tätigkeiten statt wie Kopieren, Schneiden, Lochen, Partnerarbeiten<br />
(in Nischen, die durch Paravents geschaffen werden).<br />
Die andere Seite des Raumes ist für die Einzel- <strong>und</strong> Stillarbeit vorgesehen.<br />
Dieses 2. Lernatelier wurde geschmückt durch<br />
Grünpflanzen <strong>und</strong> große Bilder an der Wand.<br />
Unser Eindruck ist, dass besonders die Mädchen<br />
von der Ästhetik des Raumes begeistert<br />
sind, die Jungen die praktischen Vorteile des<br />
Raumes (z.B. Gesprächsraum) sehen. Lieb gewonnen<br />
haben Jungen wie Mädchen die sogenannten<br />
Lümmel, die sich schnell zusammenstellen<br />
lassen zu einer kurzen Besprechung oder<br />
Gesprächsr<strong>und</strong>e.<br />
37
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir die Flure noch mehr einbeziehen, indem wir sie mit<br />
entsprechender Möblierung ausstatten. Auch die Möglichkeiten der Schülerbibliothek <strong>und</strong> des<br />
BITZ (internes Berufsinformationszentrum) sind noch nicht ausgeschöpft. Mit strukturellen Verbindungen<br />
hin zum Fachunterricht könnten diese Räume in das Konzept des selbstgesteuerten<br />
Lernens noch viel stärker eingeb<strong>und</strong>en werden.<br />
EMPFEHLUNGEN ZUR FÜHRUNG IN VERÄNDERUNGSPROZESSEN<br />
UNSERE AUSGANGSLAGE<br />
Wodurch werden Veränderungsprozesse angestoßen bzw. notwendig gemacht?<br />
Ist es die Lust auf Veränderung, das Interesse eingefahrene Gleise zu verlassen, Neues auszuprobieren?<br />
Oder gibt es einen externen Veränderungsdruck, der einen Veränderungsprozess notwendig<br />
macht?<br />
Liegt dieser Veränderungsdruck begründet in einer speziell für meine Schule spezifischen Situation?<br />
Soll sich unsere Schule zu einer anderen Schulform weiterentwickeln, zu einer Ganztagsschule<br />
oder zu einer Gemeinschaftsschule?<br />
Droht der Wegfall einer Schulart?<br />
Zwingen stark sinkende Schülerzahlen aufgr<strong>und</strong> des demografischen Wandels zur Veränderung<br />
meiner Schule?<br />
Oder stehen räumliche oder organisatorische Veränderungen an?<br />
Oder liegt die Ursache des Veränderungsdrucks in externen, alle anderen <strong>Schulen</strong> auch tangierenden<br />
Anforderungen?<br />
Kommt es zu einer Veränderung der Schulstruktur insgesamt (Wegfall der Dreigliedrigkeit)?<br />
Werden neue Bildungspläne implementiert?<br />
Gibt es Veränderungen in der St<strong>und</strong>entafel, bzgl. der Fächerverbünde?<br />
Stehen die Anforderungen bzgl. einer Veränderung im Zusammenhang mit der Selbst- <strong>und</strong><br />
Fremdevaluation?<br />
Führt die starke Zunahme der Heterogenität der Schülerschaft bzw. deren Wahrnehmung zur<br />
Notwendigkeit der Veränderung, oder<br />
sind es rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. Wegfall der Verbindlichkeit der Gr<strong>und</strong>schulempfehlung),<br />
die Veränderungsprozesse auslösen können?<br />
Mein Schulleitungshandeln hängt nicht unwesentlich von diesen Unterscheidungen bzgl. obiger<br />
Fragestellungen ab. (siehe Abschnitt Orientierung geben)<br />
Bevor die Schulleitung den Weg der Veränderung beschreitet, muss sie also wissen,<br />
worin die notwenige Veränderung eigentlich besteht oder anders ausgedrückt, was soll mit<br />
der Veränderung erreicht werden? Welche Vision haben wir?<br />
Ferner muss sich die Schulleitung darüber Gedanken machen,<br />
was an der Schule bereits vorhanden ist, was den Veränderungsprozess günstig beeinflussen<br />
könnte. Welche Stärken, Potentiale haben wir?<br />
Aber ebenso muss sich die Schulleitung darüber im Klaren sein,<br />
38
was den Einstieg in den Veränderungsprozess zum gegenwärtigen Zeitpunkt erschweren<br />
könnte. Welche Gefahren lauern?<br />
Und natürlich die nicht unwichtigen Fragen<br />
Wie lange haben wir Zeit?<br />
Welche Ressourcen sind vorhanden?<br />
EIN ZUKUNFTSBILD ENTWICKELN<br />
<strong>Schulleitungen</strong> sind nach Rolff „Türöffner“ für <strong>Schulen</strong>twicklungsprozesse – jedoch keine Antreiber.<br />
<strong>Schulen</strong>twicklung zielt unmittelbar <strong>und</strong> zentral auf die ständige Verbesserung von Unterricht<br />
ab <strong>und</strong> betrifft somit das ureigenste Handeln der Lehrkräfte.<br />
Deshalb entwickelt die Schulleitung die konkreten Ziele mit den Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen (Miller,<br />
2003).<br />
Das erhöht das Gefühl der Selbstwirksamkeit <strong>und</strong> damit der Zufriedenheit.<br />
Es trägt zur Entwicklung der Leistungsfähigkeit der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler bei.<br />
Es benötigt Zeit <strong>und</strong> Geduld.<br />
Es beansprucht Ressourcen.<br />
Die Schulleitung kann mit dem Kollegium z.B. Veränderungsprozesse zu folgenden den Unterricht<br />
beeinflussenden Feldern anstreben:<br />
(Miller, 2003)<br />
39
ORIENTIERUNG GEBEN<br />
STRATEGIEN FÜR DAS VORGEHEN ENTWICKELN<br />
Es scheint sinnvoll auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />
des eigenen Schulleitbildes Ziele für<br />
den Veränderungsprozess abzuleiten.<br />
Das Schulleitbild ist i.d.R. bewusst<br />
sprachlich relativ weit gefasst, hat einen<br />
komplizierten Meinungsbildungsprozess<br />
innerhalb der Schule hinter sich<br />
<strong>und</strong> muss auch für Nichtpädagogen les<strong>und</strong><br />
verstehbar sein.<br />
Das nebenstehende Beispiel soll<br />
verdeutlichen, wie aus einem veränderten<br />
Menschenbild bzw. Gesellschaftsbild<br />
zunächst die Leitsätze des Schulleitbildes<br />
sich verändern können <strong>und</strong> in<br />
Folge davon über die Zielsetzungen im<br />
Schulprogramm konkrete Handlungsschritte<br />
formuliert werden.<br />
HANDLUNGSBEDARF DEUTLICH MACHEN<br />
Wie eingangs schon erwähnt, hängt die Strategie der Schulleitung wesentlich davon ab, wo<br />
die Quelle für den Veränderungsprozess liegt.<br />
Sind alle Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen (zusammen mit der Schulleitung) sozusagen intrinsisch<br />
motiviert in einen Veränderungsprozess einzusteigen, z.B.<br />
Entwicklung einer Lernkultur nach M. Montessori,<br />
Entwicklung eines Konzeptes zu Project Adventure?<br />
Ist es die Aufgabe der Schulleitung dafür Sorge zu tragen, dass z.B.<br />
die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden,<br />
die st<strong>und</strong>enplantechnischen/organisatorischen Notwendigkeiten geklärt werden,<br />
Zeiträume für die Teamsitzungen vereinbart <strong>und</strong> eingehalten werden,<br />
die Entwicklungsprozesse allzeit transparent <strong>und</strong> offen bleiben?<br />
Sind die Veränderungsprozesse aber durch externen Veränderungsdruck verursacht, der nur<br />
diese eine Schule betrifft, ist es die Aufgabe der Schulleitung dem Kollegium zu verdeutlichen,<br />
worin die Ursache für die Veränderung begründet ist. Dabei ist es wichtig…<br />
mit aller Klarheit den Sachstand zu benennen (Bef<strong>und</strong>), z.B.<br />
<br />
<br />
bei den im kommenden Schuljahr einzuschulenden Kindern, sind drei mit körperlichen<br />
Behinderungen,<br />
für die kommende 5. Klasse der Hauptschule/Werkrealschule werden voraussichtlich<br />
nur noch 6 Kinder angemeldet,<br />
40
die möglichen Handlungsalternativen zu benennen, z.B.<br />
<br />
<br />
Kooperation mit außerschulischen Partnern,<br />
jahrgangsübergreifende „Klassen“,<br />
die Anpassungsschwierigkeiten der Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen ernst zu nehmen, indem<br />
<br />
realistische Veränderungsziele formuliert werden,<br />
Fortbildungsangebote gemeinsam ausgelotet <strong>und</strong> wahrgenommen werden,<br />
ein Wir-Gefühl zu entwickeln,<br />
<br />
<br />
nicht du als einzelne Kollegin hast das „Problem an der Backe“,<br />
wir wollen gemeinsam ein Konzept erarbeiten, das dann auch alle mitzutragen<br />
bereit sind,<br />
wir haben die Zuversicht, dass wir das schaffen,<br />
deutlich zu signalisieren, dass die Schulleitung <strong>Teil</strong> des Veränderungsprozesses ist <strong>und</strong><br />
dass ich als Schulleiterin/Schulleiter „Gleicher unter Gleichen“ bin!<br />
Entsteht der Veränderungsprozess hingegen durch externe Anforderungen, bedeutet dies,<br />
dass …<br />
die Schulleitung mit aller Klarheit sagt, dass die Veränderungsnotwendigkeit objektiv besteht,<br />
obgleich etliche Lehrkräfte dies subjektiv gar nicht als veränderungswürdig empfinden,<br />
Arbeitsschwerpunkte zusammen mit dem Kollegium festgelegt werden…<br />
<br />
<br />
<br />
nicht „verzetteln“,<br />
das Wesentliche erkennen <strong>und</strong> angehen<br />
evtl. andere Dinge/Projekte vorübergehend zurück stellen,<br />
realistische, kleinschrittige Zielsetzungen (evtl. mit Zwischenzielen) formuliert werden,<br />
dafür Sorge getragen wird, dass (mit Freude <strong>und</strong> Genugtuung) erkannt wird, welche Ziele<br />
jeweils erreicht wurden,<br />
Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, die von vornherein oder immer wieder mal zwischendurch an<br />
der Sinnhaftigkeit des Veränderungsprozesses zweifeln (solche gibt es!), mit „ins Boot<br />
geholt“ werden müssen,<br />
über Unterstützungsfaktoren nachgedacht <strong>und</strong> entschieden wird:<br />
<br />
<br />
<br />
externe Berater,<br />
Besuch von Best-Practice-<strong>Schulen</strong>,<br />
Einrichtung von Teamst<strong>und</strong>en (im Rahmen des Deputats).<br />
41
GEFAHREN!<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer stellen an sich <strong>und</strong> ihre Arbeit hohe Anforderungen. Zugleich besteht<br />
durch den zunehmenden Veränderungsdruck die Gefahr, dass Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen im<br />
Hinblick auf die Veränderung Vorbehalte haben <strong>und</strong> sich Widerstände entwickeln.<br />
Ständige – nicht selbst gewollte bw. selbst herbeigeführte – Veränderungen führen zu<br />
Verdruss, Ermüdungserscheinungen oder Gleichgültigkeit, deshalb darf Schule nicht Gefahr<br />
laufen,<br />
die Balance zwischen Neuem <strong>und</strong> Bewährtem zu verlieren,<br />
die Phase der Konsensfindung zwischen Schulleitung <strong>und</strong> Kollegium überhastet zu durchlaufen;<br />
lieber nochmals nachsitzen,<br />
zu wenig Zeit für den Veränderungsprozess anzuberaumen,<br />
zusätzlichen Druck durch Aufgaben zu erzeugen, die auch später (oder gar nicht!) erledigt<br />
werden könnten,<br />
alles sofort perfekt <strong>und</strong> präsentabel entwickeln zu wollen,<br />
keine Widersprüche ertragen zu wollen,<br />
keine Lücken zu dulden,<br />
die Aufgaben quantitativ im Kollegium sehr ungleich zu verteilen,<br />
zu wenig Unterstützung anzubieten, wenn Ziele schlecht erreicht werden,<br />
die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern sowie mit den Eltern zu vergessen!<br />
(Vgl. Kosiek, B. 2011)<br />
DIE BESONDERE BEDEUTUNG VON FÜHRUNG BEI VERÄNDERUNGSPROZES-<br />
SEN AUS DER PERSPEKTIVE FACHBERATUNG SCHULENTWICKLUNG<br />
GRUNDSÄTZLICHE VERÄNDERUNGSTYPEN<br />
VERÄNDERUNGEN ERSTER ORDNUNG<br />
- Veränderung < 20%<br />
- Optimierung bestehender Praktiken<br />
- keine Änderung der Kultur bzw.<br />
der inneren „Systemlogik“<br />
- Muster <strong>und</strong> Regeln der Kommunikation,<br />
Kooperation <strong>und</strong> der<br />
Entscheidungswege bleiben<br />
gleich<br />
Frage der Effizienz:<br />
„Tun wir die Dinge richtig?“<br />
42
VERÄNDERUNGEN ZWEITER ORDNUNG<br />
- Veränderung > 20%<br />
- Veränderung der Kultur <strong>und</strong> der<br />
inneren „Systemlogik“<br />
- Regeln, Werte <strong>und</strong> Normen<br />
geraten in Bewegung<br />
- Personen <strong>und</strong> Gruppen verändern<br />
ihr Verhalten, Systeme ihre<br />
Kooperations-, Reaktions<strong>und</strong><br />
Entscheidungsmuster<br />
Frage der Effektivität:<br />
„Tun wir die richtigen Dinge?“<br />
Auf das System Schule als Ganzes übertragen bedeutet eine Veränderung erster Ordnung, dass<br />
durch Erhöhung der Effizienz eine Verbesserung in einem bestimmten Bereich angestrebt wird.<br />
Liegt eine Veränderung zweiter Ordnung vor, wandelt sich hingegen die Kultur einer Schule.<br />
Die bisherigen Regeln, Normen <strong>und</strong> Werte werden in Frage gestellt, das Selbstverständnis der<br />
Schule wird diskutiert <strong>und</strong> neu definiert.<br />
Dies beinhaltet den Aufbau neuer Kommunikations- <strong>und</strong> Kooperationsstrukturen, die Arbeitsweisen<br />
verändern sich gr<strong>und</strong>legend. Schule wandelt sich als Ganzes.<br />
Die Einführung individualisierten/kooperativen Lernens stellt das bisherige Selbstverständnis<br />
von Schule in Frage, es handelt sich daher um eine Veränderung zweiter Ordnung.<br />
WAS LÖSEN VERÄNDERUNGEN AUS?<br />
Veränderungen zweiter Ordnung stören das Gleichgewicht eines Systems. Die bisherige Praxis<br />
wird in Frage gestellt, die (Macht-)Positionen in einem System geraten in Bewegung. Die persönlichen<br />
Vorstellungen <strong>und</strong> Werte, die Gewohnheiten <strong>und</strong> Arbeitsroutinen aller Beteiligten werden<br />
vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines gewandelten Selbstverständnisses neu definiert.<br />
Das bedeutet zuerst einmal für alle Beteiligten einen Verlust von Sicherheit. Das Alte muss zu<br />
Gunsten einer mehr oder weniger unbekannten Zukunft zurückgelassen werden, liebgewonnene<br />
Routinen müssen aufgegeben werden. Die alte Identität besteht so nicht mehr, die neue ist aber<br />
noch nicht gef<strong>und</strong>en.<br />
Die Bewältigung dieser Findungs- <strong>und</strong> Definitionsphase bedeutet für das System als Ganzes<br />
wie für jeden Einzelnen im System mehr Aufwand <strong>und</strong> Belastung.<br />
43
Deshalb ist es nur verständlich, dass die meisten Menschen nicht mit spontaner Begeisterung<br />
auf Veränderungen reagieren, sondern mit Unsicherheit <strong>und</strong> Zweifel, aber auch mit Befürchtungen<br />
<strong>und</strong> Ängsten.<br />
Nur wenn innerhalb eines Veränderungsprozesses diese Emotionen ernst genommen <strong>und</strong><br />
ausreichend berücksichtigt werden, kann die Veränderung gelingen.<br />
SCHLUSSFOLGERUNGEN: WIE KÖNNEN VERÄNDERUNGSPROZESSE ZWEITER<br />
ORDNUNG ERFOLGREICH GESTALTET WERDEN?<br />
Wie kann das Interesse, die Bereitschaft <strong>und</strong> das Engagement der von der Veränderung Betroffenen<br />
gewonnen <strong>und</strong> genutzt werden?<br />
Wie gelingt es, den Übergang vom Alten <strong>und</strong> Vertrauten zu Neuem <strong>und</strong> Unbekanntem so zu<br />
steuern, dass die stattfindende Veränderung nicht nur als störender Eingriff, sondern auch<br />
als erstrebenswerte Veränderung wahrgenommen wird?<br />
Wie können Probleme <strong>und</strong> Konflikte, die in jedem Veränderungsprozess auftreten, bewältigt<br />
werden?<br />
Bedarf die Veränderung erster Ordnung ein Management von Stabilität, so benötigt der Prozess<br />
des Musterwechsels ein Management von Instabilität.<br />
Die Schulleitung stellt dies vor eine völlig neue Herausforderung in Bezug auf ihr Führungsverständnis<br />
<strong>und</strong> ihre Führungsaufgaben. Sie benötigt ein Prozesswissen, das auch das Wissen um die<br />
verschiedenen emotionalen Phasen, die der Einzelne ebenso wie die Organisation durchlebt,<br />
umfasst.<br />
Dabei kommt es während des Veränderungsprozesses darauf an, eine Balance zu schaffen<br />
zwischen unterschiedlichen Spannungsfeldern: bisheriges <strong>und</strong> vages Neues, Steuern <strong>und</strong> Entstehenlassen,<br />
Querdenkenlassen <strong>und</strong> Schaffen einer tragfähigen, gemeinsamen Vision.<br />
ZENTRALE AUFGABEN VON FÜHRUNG IM VERÄNDERUNGSPROZESS<br />
in Anlehnung an Winfried Berner (www.umsetzungsberatung.de) <strong>und</strong><br />
Gabriele Schallenmüller (www.schatzsucher-beratung.de)<br />
Orientierung zu vermitteln setzt voraus, für sich selbst Orientierung zu haben:<br />
Worin besteht die Veränderung im Einzelnen <strong>und</strong> wie stehe ich als Schulleiter dazu?<br />
Wie sieht mein Zukunftsbild für die Schule aus?<br />
Was bedeutet die Veränderung für einzelne Personen, für bestehende Strukturen?<br />
Welche Kompetenzen sind im Kollegium vorhanden? Welche benötigen wir als Schule für die<br />
Umsetzung? Welche Ressourcen stehen mir zu Verfügung?<br />
Wie bin ich/sind wir als Schule bislang mit Veränderungen umgegangen - mit welchem Erfolg?<br />
Welche Stärken kann ich nutzen?<br />
Mit welcher Strategie gehe ich die Umsetzung des Vorhabens an?<br />
44
Als Schulleitung Orientierung vermitteln bedeutet, die eigene Orientierung überzeugend <strong>und</strong><br />
wirksam denen zu vermitteln, die an der Veränderung mitwirken bzw. die von ihr betroffen sind.<br />
Dazu gehört zum einen, den Handlungsbedarf deutlich zu machen <strong>und</strong> die Veränderung klar<br />
zu benennen, zum anderen immer wieder auch Überzeugungsarbeit zu leisten, in Gesprächen mit<br />
Einzelnen <strong>und</strong> Gruppen Einsichten zu ermöglichen, zu ermutigen <strong>und</strong> zu unterstützen.<br />
Zu Beginn des Veränderungsprozesses ist es bedeutsam, dass die Schulleitung den Rahmen<br />
deutlich macht, innerhalb dessen die Beteiligten Raum zur Ausgestaltung haben.<br />
Für die Umsetzung braucht es eine schlüssige Projektstruktur <strong>und</strong> sinnvolle Rollenverteilung.<br />
Auch das Gestalten eines offenen Kommunikationsprozesses <strong>und</strong> der Aufbau von förderlichen<br />
Team- /Beziehungsstrukturen sind weitere Stützpfeiler innerhalb des Veränderungsprozesses:<br />
Welche Gruppierung übernimmt die Aufgabe, den Gesamtprozess zu planen <strong>und</strong> steuern?<br />
Welche Arbeitsgruppen sind darüber hinaus notwendig, mit welchem Arbeitsauftrag, mit<br />
welchen Verantwortlichkeiten?<br />
Wie gelingen fruchtbare Diskussionen im Kollegium?<br />
Wo findet der Einzelne Stabilität in der instabilen Zeit?<br />
Wie findet das Kollegium zu einer gemeinsamen Zukunftsvision?<br />
Wie können Arbeitsergebnisse eingebracht werden, dass sich alle eingeb<strong>und</strong>en fühlen?<br />
Wie können Entscheidungsprozesse so angeleitet werden, dass die Ergebnisse von einer großen<br />
Basis getragen werden?<br />
Als Schulleiter für eine zügige <strong>und</strong> konsequente Umsetzung zu sorgen bedeutet, zu ermöglichen,<br />
dass die Beteiligten ins Handeln kommen <strong>und</strong> Erfahrungen sammeln. Es bedeutet, geschützte<br />
Räume zu schaffen, in denen Neues ausprobiert <strong>und</strong> immer wieder auch neu überdacht<br />
werden kann. Das braucht Zeit, bedarf eines frühen Wahrnehmens auch von konflikthaften Situationen,<br />
setzt klare Priorität vor den anderen Dingen, die im Schulalltag weiterhin erledigt werden<br />
müssen <strong>und</strong> erfordert eine ständige Veränderungskommunikation.<br />
45
UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE<br />
FORTBILDUNG UND SCHULENTWICKLUNG<br />
Das Fortbildungskonzept des Staatlichen Schulamtes befindet sich in einer gr<strong>und</strong>legenden<br />
Überarbeitung, die auf den Gr<strong>und</strong>lagen von individualisiertem <strong>und</strong> kooperativem Lernen beruht.<br />
Es wird von Georg Kirsch, Dr. Helios Scherer, Frank Heinrich <strong>und</strong> weiteren Fachberaterinnen <strong>und</strong><br />
Fachberatern entwickelt.<br />
Auch die Fachberaterinnen <strong>und</strong> Fachberater <strong>Schulen</strong>twicklung stehen für die Begleitung bei<br />
Veränderungs- <strong>und</strong> Entwicklungsprozessen zur Verfügung.<br />
Das Konzept wird in Kürze im <strong>Teil</strong> 2 der <strong>Orientierungshilfen</strong> für <strong>Schulleitungen</strong> folgen.<br />
ORGANISATIONSHILFEN IM INDIVIDUALISIERTEN LERNPROZESS<br />
Die tägliche Arbeit im individuellen Lernprozess der Schüler erfordert einen hohen organisatorischen<br />
Aufwand, denn alle Lernbegleiter müssen schnell <strong>und</strong> effektiv einerseits die erforderlichen<br />
Informationen einsehen können, andererseits über Formulare beispielsweise Elterninformationen<br />
generieren, Leistungsnachweise sichern oder Lernjobs erstellen <strong>und</strong> den Schülern zuweisen<br />
können.<br />
Deshalb sind die IL-<strong>Schulen</strong>, die zeitaufwändige Papierlösungen vermeiden wollen, auf Internet-<br />
oder Datenbankangebote angewiesen, die einerseits am Markt bereits – kostenpflichtig – zur<br />
Verfügung stehen (www.infomentor.de, www.schulplattform.ch) oder dezentral an <strong>Schulen</strong> entwickelt<br />
werden (Moodle-Plattform <strong>und</strong> Excel-Anwendung der Hebelschule Schliengen – Rainer<br />
Eisenkolb, ILO-Datenbank Wiesentalschule Maulburg, Mario Enderle).<br />
DOKUMENTENSERVER – DIE DOSE<br />
46
Ebenfalls wichtig sind Pools, die den Upload <strong>und</strong> Download von digitalen Materialien ermöglichen.<br />
Hierzu wurde im Auftrag des Staatlichen Schulamtes Lörrach für die Arbeitsgruppe GS an<br />
der JPHS WT-Tiengen um Dr. Helios Scherer eine Internetplattform als Pilotangebot eingerichtet,<br />
das sich in der produktiven Startphase befindet (www.gs-dose.de). Der Dokumentenserver enthält<br />
die vollständigen Kompetenzraster für Mathematik <strong>und</strong> Deutsch für die Klassen 1 bis 4<br />
(Gr<strong>und</strong>schulbildungsplan BW). Sie sind frei zugänglich. Jedes Kompetenzfeld ist auf drei Lernniveaus<br />
dargestellt.<br />
Registrierte Personen mit Zugangsberechtigung können dann über die verlinkten Kompetenzbeschreibungen<br />
auf dahinter liegenden Lernerfolgslisten (Checklisten) mit Materialangaben, auf<br />
passende Arbeitsmaterialien <strong>und</strong> auf Testformen zu den Kompetenzfeldern zugreifen.<br />
Eine Zugangsberechtigung zur Sammlung wird über die aktive Mitarbeit an der Materialerstellung<br />
<strong>und</strong> die lizenzfreie Freigabe eigener Arbeitsmaterialien zu einzelnen Kompetenzfeldern erworben.<br />
Nach Kontaktaufnahme mit dem Administrator <strong>und</strong> Angabe des Kompetenzrasterfeldes, zu<br />
dem man Materialien erstellen oder freigeben will, bekommt man die entsprechende(n) Lernerfolgsliste(n)<br />
mit den <strong>Teil</strong>kompetenzbeschreibungen zugeschickt, die dann vollständig mit Materialbeiträgen<br />
auszustatten sind.<br />
Eine allgemeine Freigabe des Zugangs für jedermann erfolgt nach vollständiger Füllung des<br />
Materialienspeichers durch die gemeinsamen Beiträge verschiedener <strong>Schulen</strong><br />
(Kontakt: hebelschule.tiengen@t-online.de).<br />
Das Kürzel Dose – für Dokumentenserver – ist somit bildlich <strong>und</strong> im übertragenen Sinn Symbol<br />
für das (Hinein-)Geben <strong>und</strong> (Heraus-)Nehmen, für Synergie <strong>und</strong> Teamarbeit.<br />
Das Angebot könnte auf andere Schularten übertragen werden (etwa www.rs-dose.de etc.)<br />
<strong>und</strong> stünde dann den entsprechenden <strong>Schulen</strong> zur Verfügung.<br />
47
FAZIT<br />
Die in diesen <strong>Orientierungshilfen</strong> beschriebenen Veränderungen sind tiefgreifend <strong>und</strong> betreffen<br />
alle Bereiche der Schule. Die notwendigen Veränderungsprozesse brauchen v.a. auch veränderte<br />
Einstellungen, Mut <strong>und</strong> Bereitschaft zum Wandel. Dazu zählt auch, die weiteren Entwicklungen<br />
positiv als Herausforderung <strong>und</strong> Chance anzugehen.<br />
Einstellungen <strong>und</strong> Haltungen werden sich bei allen Beteiligten nicht kurzfristig entwickeln.<br />
Nehmen wir beispielsweise notwendige Veränderungen hinsichtlich der Aufgabe, der Heterogenität<br />
der Kinder besser gerecht werden zu müssen. Heterogenität heißt, die Vielfalt der Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schüler in vollem Umfang zu akzeptieren. Demnach muss immer wieder dem Versuch<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in bestimmte Gruppen zu klassifizieren (z.B. Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong>,<br />
Kinder mit Behinderung, Leistungsträger der Klasse usw.) entgegengewirkt werden.<br />
Die Schulleitung trägt bei den anstehenden Entwicklungs- <strong>und</strong> damit Arbeitsprozessen eine<br />
hohe Verantwortung. Überall dort, wo schulische Entwicklungen besonders positiv gelingen, ist<br />
das Engagement, die Überzeugung <strong>und</strong> die Vorbildwirkung der Schulleitung ein wesentlicher<br />
Erfolgsfaktor.<br />
Positive <strong>Schulen</strong>twicklung ist auf folgende Leitungsfähigkeiten besonders angewiesen:<br />
Beteiligung möglichst vieler (Lehrkräfte, Eltern, Schulträger usw.) von Anfang an, also schon<br />
beim "Vordenken" - aber nicht: "Der letzte bestimmt das Tempo".<br />
Zeit geben, ja einplanen, um Widerstände <strong>und</strong> Ängste nicht nur zu bearbeiten, sondern in<br />
konstruktives Handeln zu verändern.<br />
Formulieren klarer Ziele <strong>und</strong> machbarer Schritte zum Erreichen der Ziele, d.h. Entwicklungsprozesse<br />
langfristig anlegen <strong>und</strong> damit auch nachhaltig wirksam machen.<br />
Herausfiltern der wesentlichen Entwicklungsfelder <strong>und</strong> Konzentration auf diese.<br />
Reflexions- <strong>und</strong> Evaluationsphasen bewusst einplanen.<br />
Vernetzungen mit Partnerschulen anstreben <strong>und</strong> organisieren.<br />
Immer wieder feststellen, dass Neuerung nicht heißt, dass bisher alles schlecht gemacht<br />
wurde.<br />
Das Staatliche Schulamt Lörrach <strong>und</strong> das ganze Team, das diese <strong>Orientierungshilfen</strong> erarbeitet<br />
hat, wünschen Ihnen gutes Gelingen bei der weiteren Entwicklung Ihrer Schule.<br />
Wir stehen Ihnen gerne beratend <strong>und</strong> unterstützend zur Seite.<br />
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LITERATURVERZEICHNIS<br />
Höhmann, K. (2009): Heterogenität: Eine begriffliche Klärung. In: K.Höhmann, R. Kopp, H.<br />
Schäfers & M. Demmer (Hrsg): Lernen über Grenzen. Auf dem Weg zu einer Lernkultur, die vom<br />
Individuum ausgeht. Opladen: Budrich.<br />
Boller, S., Rosowski, E. & Stroot, T. (2007): Heterogenität in der Sek<strong>und</strong>arstufe II. Einleitende<br />
Bemerkungen zum Thema. In: Boller, S., Rosowski, E. & Stroot, T.: Heterogenität in Schule <strong>und</strong><br />
Unterricht. Handlungsansätze zum pädagogischen Umgang mit Vielfalt. Weinheim: Beltz.<br />
Wenning, N. (2007): Heterogenität als Dilemma für Bildungseinrichtungen. In: Boller, S., Rosowski,<br />
E. & Stroot, T.: Heterogenität in Schule <strong>und</strong> Unterricht. Handlungsansätze zum pädagogischen<br />
Umgang mit Vielfalt. Weinheim: Beltz.<br />
Wischer, B. (2007): Heterogenität als komplexe Anforderung an das Lehrerhandeln. In: Boller,<br />
S., Rosowski, E. & Stroot, T.: Heterogenität in Schule <strong>und</strong> Unterricht. Handlungsansätze zum pädagogischen<br />
Umgang mit Vielfalt. Weinheim: Beltz.<br />
Klippert, H. (2010): Heterogenität im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte effektiv <strong>und</strong> zeitsparend<br />
damit umgehen können. Weinheim: Beltz.<br />
Heyer P., Preuss-Lausitz, U. & Sack, L. (2003): Heterogenität aus der Sicht der Schulforschung.<br />
In: Heyer P., Preuss-Lausitz, U. & Sack, L. (Hrsg.): Länger gemeinsam lernen; Positionen – Forschungsergebnisse<br />
– Beispiel. Frankfurt: Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule GGG e.V.<br />
Brügelmann, H. (2001): Heterogenität, Integration, Differenzierung. Bef<strong>und</strong>e der Forschung –<br />
Perspektiven der Pädagogik. Einführungsvortrag zur Jahrestagung der Kommission Gr<strong>und</strong>schulforschung<br />
<strong>und</strong> Pädagogik in der Primarstufe in der DGfE. Halle-Wittenberg<br />
(www.gr<strong>und</strong>schulpaedagogik.uni-bremen.de/lehre/.../bruegsfhall.rtf)<br />
Sievers, T. (2011): Unterrichtsentwicklung im Team, in: Pädagogik 10‘2011, S. 10ff<br />
Miller, R. (2003): Selbst-Coaching für <strong>Schulleitungen</strong>. Weinheim: Beltz.<br />
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