Leseprobe Das Orchester 2013/10
Leseprobe Das Orchester 2013/10
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T H E M A <<br />
Freizeit – freie Zeit?<br />
Kreativität jenseits des Kollektivs<br />
Florian Frisch<br />
Eint den Biologen mit dem<br />
<strong>Orchester</strong>musiker: Bedingungslose<br />
Hingabe an den Beruf, zu<br />
jeder Tages- und Nachtzeit<br />
<strong>10</strong> das <strong>Orchester</strong> <strong>10</strong>.13
T H E M A : F r e i z e i t <<br />
Den ganzen Tag Proben, abends Vorstellung oder Konzert.<br />
Warum tun Profimusiker es sich an, auch noch in ihrer Freizeit<br />
Musik zu machen? Oftmals in aufwendigen, selbst auf<br />
die Beine gestellten Projekten? Ist es nur der Enthusiasmus<br />
für die Musik oder steckt etwas anderes dahinter?<br />
> „Warum? Warum? Warum? – Diese Neugier ist es, die uns Wissenschaftler<br />
antreibt“, sagt Vineeth Surendranath. Der junge Inder<br />
ist eigentlich Ingenieur, kam vor zehn Jahren nach Deutschland<br />
und beschäftigte sich immer mehr mit Informatik. Am Max-<br />
Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden<br />
forscht er mit Fruchtfliegen für seine Doktorarbeit. Zurzeit interessiert<br />
ihn eine Gensequenz, die bei dem kleinen Insekt vorkommt,<br />
aber auch beim Menschen bei erblich bedingten Fällen von Brustkrebs<br />
auffällig ist. Allerdings: Viele der Experimente gehen schief.<br />
„Es macht einen wahnsinnig, aber man muss durchhalten und weitermachen,<br />
bis es klappt“, stöhnt Surendranath.<br />
Neugier, Kreativität, Mut, ein bisschen Verrücktheit, das sei die<br />
Mischung, die Forscher voranbringe. Und Durchhaltevermögen,<br />
denn die Arbeit an den Grenzen des Wissens findet jede Woche 24<br />
Stunden am Tag statt. „Viele von uns haben einen Schlafsack in der<br />
untersten Schublade. Zellen kennen keinen Feierabend, kein Wochenende,<br />
keine Weihnachten – sie wachsen einfach.“ Und egal,<br />
wann man auf diese Menschen trifft, es geht immer um Wissenschaft.<br />
Auch in der Kantine, im Kino oder beim Kaffee. „Ohne diese<br />
brennende Leidenschaft, diesen Enthusiasmus – oder auch diese<br />
manische Besessenheit – könnten wir unsere Aufgabe schlichtweg<br />
nicht tun“, sagt Surendranath achselzuckend.<br />
> Neugier, Kreativität, Mut, ein bisschen Verrücktheit,<br />
das sei die Mischung, die Forscher voranbringe. <<br />
Stefan Dietz/Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden © Imago/Momentphotos/Bonss<br />
Eine solche bedingungslose Hingabe für den Beruf auch nach<br />
Dienstschluss kennt der Jurist Markus Büch nicht. Der junge<br />
Dresdner Anwalt ist mit einer Staatsanwältin verheiratet, doch über<br />
juristische Dinge und Fälle wird zu Hause nach Dienstschluss nicht<br />
geredet: „Wir sind beide thematisch so extrem tief abgetaucht zu irgendwelchen<br />
Minidetails, wir haben gar keine Überschneidungen<br />
mehr in unseren alltäglichen Erfahrungen, obwohl wir im selben<br />
Feld arbeiten“, sagt Büch. Wenn er aber mit den Jungs seiner Band<br />
„Rated Machine“ unterwegs ist, dann haben sie sich viel zu sagen,<br />
dann geht es nur um Musik. Punkrock zu covern, das ist ihr gemeinsames<br />
Hobby. Dann plaudern sie ewig über neu entdeckte<br />
Platten, über Songs, die man covern könnte, über andere Bands.<br />
„Musik ist eben, was uns verbindet.“<br />
<strong>Das</strong> eine Thema<br />
<strong>Das</strong> ist ein wichtiger Punkt: Musiker leben oft in einer monothematischen<br />
Welt. Musik ist das eine verbindende Ding, um das es immer<br />
geht. <strong>Orchester</strong> sind wild durchmischte Gruppen: Familienmenschen<br />
mit Haus, Singles, junge Wilde und ältere auf Sicherheit<br />
bedachte Deutsche, die Welt erkundende Abenteurer. <strong>Das</strong> einzige<br />
Thema, bei dem alle sind, ist da nun mal die Musik – schnell ist<br />
man allerdings auch in diesem einen Thema gefangen. Warum aber<br />
schwärmt eine Brotverkäuferin nach Ladenschluss nicht vom Brotverkaufen?<br />
Oder tun es manche Brotverkäuferinnen sogar? Ist Musik<br />
wirklich anders?<br />
„Ich habe da eine sehr elitäre Meinung“, sagt Johannes Schranz.<br />
Bei den Jenaer Philharmonikern spielt er zweite Tutti-Violine. „Wenn<br />
man mitten in einer Bruckner-Sinfonie sitzt, gemeinsam etwas erschafft,<br />
das ist dermaßen unmittelbar – da fliegt man weg.“ Seiner<br />
das <strong>Orchester</strong> <strong>10</strong>.13<br />
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© Bruno Borralhinho<br />
Meinung nach könne das keine weitere Kunstform bieten, vielleicht<br />
erlebten höchstens Tänzer noch Ähnliches. Vor seinem Schwelgen<br />
über das Losfliegen mit Musik gibt Schranz auch zu: „Eigentlich<br />
habe ich zu wenig Vergleich.“<br />
Lust und Frust<br />
Ist es wirklich Enthusiasmus, der Musiker dazu treibt, auch nach<br />
Dienstschluss noch weiter Musik zu machen? Der Musiker, der nur<br />
von Musik schwärmt, ist sicherlich ein stereotypes Bild. Oft geht es<br />
vielleicht eher darum, etwas Eigenes zu haben, sich persönlich, losgelöst<br />
vom <strong>Orchester</strong>kollektiv, zu verwirklichen. „Als <strong>Orchester</strong>musiker<br />
wird dir vorgeschrieben, was du spielst, wann du probst,<br />
wann du auftrittst, sogar, wie leise oder laut und wie schnell du das<br />
Ganze zu spielen hast – du hast sehr wenig Gestaltungsraum, wenig<br />
Freiheit, du musst dich total zurücknehmen“, so beschreibt es Bruno<br />
Borralhinho, Cellist bei den Dresdner Philharmonikern. Er<br />
braucht Platz für eigene Kreativität und die Zusammenarbeit mit<br />
anderen Leuten auf einer anderen Ebene. Dem steuert Schranz bei:<br />
„Man will irgendwann irgendwie ein eigenes Baby, ich spürte einen<br />
riesigen Drang, etwas Eigenes anzuschieben.“ <strong>Das</strong>s viele Musiker<br />
also nach Dienstschluss sich weiter für Musik engagieren, als Multiplikator<br />
für ihr Thema wirken, muss nicht nur ein Zeichen dafür<br />
sein, dass sie für die Musik Tag und Nacht brennen. Es kann auch<br />
einfach sein, dass das, wonach sie beim Musizieren eigentlich suchen,<br />
im streng reglementierten, institutionalisierten Alltag einer<br />
<strong>Orchester</strong>maschine einfach nicht befriedigt wird. „In meinen Soloprojekten<br />
kann ich anderes ausprobieren und die Routine durchbrechen“,<br />
sagt Borralhinho und bezeichnet auch sein Ensemble Mediterrain<br />
als Anti-Routine-Maßnahme.<br />
Musiker im <strong>Orchester</strong> zu sein, ist extrem ambivalent, es geht<br />
um die kollektive Erschaffung ganz großer Momente. Doch der Beruf<br />
bedeutet eine hohe psychische – und auch körperliche – Anstrengung.<br />
Alle im Biotop <strong>Orchester</strong> sind eigentlich ausgebildet als<br />
Solisten und müssen nun ihre Belange dem einen Klang, dem kurzen<br />
Entstehen eines vergänglichen Moments unterordnen. <strong>Das</strong> ist<br />
auf Dauer keine einfache Übung. Oder aber auch ein Versuch, der<br />
einen nicht loslässt. „Es ist sehr schwer, je nachdem, wo man arbeitet“,<br />
sagt der Cellist Isang Enders. „Die Betriebe sind sehr unterschiedlich,<br />
und auch unterschiedlich motivierend oder frustrierend.“<br />
Manche <strong>Orchester</strong> seien extrem davon abhängig, mit einer<br />
Bruno Borralhinho<br />
bestimmten Programmatik überhaupt Publikum anzuziehen, worunter<br />
schnell die Qualität und der Anspruch leiden können. Andere<br />
Häuser seien so frequentiert, dass sie sich voll auf Qualität konzentrieren<br />
können. Während seiner Zeit bei der Sächsischen Staatskapelle<br />
hatte Enders besonders im Konzertbereich wegen des sehr<br />
anspruchsvollen Programms keinerlei Probleme, sich zu motivieren<br />
– im Opernbereich sieht es schon ganz anders aus: Der hohe Wiederholungsgrad<br />
unter immer wechselnden Besetzungen und Bedingungen<br />
wird schnell zur Herausforderung: „Und zwar an den Einzelnen<br />
und an das Kollektiv, sich der Sache zu widmen – dass die<br />
Musik im Vordergrund steht, nicht das eigene Bedürfnis“, räumt<br />
Enders ein.<br />
> Als <strong>Orchester</strong>musiker wird dir vorgeschrieben, was<br />
du spielst, wann du probst, wann du auftrittst, sogar,<br />
wie leise oder laut und wie schnell du das Ganze zu<br />
spielen hast – du hast sehr wenig Gestaltungsraum,<br />
wenig Freiheit, du musst dich total zurücknehmen. <<br />
Durch Musik zur Erfüllung und zur Zufriedenheit. Isang Enders’<br />
Vertrag gab ihm maximale künstlerische Freiheit. Wenn man<br />
aber unter Zwängen steht, vor künstlerische Entscheidungen gestellt<br />
wird, die man eigentlich nicht tragen oder nachvollziehen<br />
kann, dann geht es schnell um die Balance aus individuellem Ausdruckswillen<br />
und künstlerischer Professionalität „Klar, wenn man<br />
das 30 Jahre macht, kann das sicherlich sehr ermüdend sein.“ Wer<br />
unterfordert ist, sucht sich den Ausgleich. Einige bauen ein Haus,<br />
machen Sport. Oder sie machen eben auch in der Freizeit Musik –<br />
Musik von der Intensität, die sie vielleicht missen. Es ist beinahe paradox:<br />
„Sobald Musik ein Beruf wird, entfernt sie sich von dem, was<br />
sie eigentlich sein soll“, sagt Enders.<br />
Die Kunst der Fuge<br />
Isang Enders’ Eltern haben im Opernbetrieb gearbeitet: „Wenn sie<br />
nach Hause kamen, haben sie den ganzen Tag über die Probleme<br />
innerhalb dieses Betriebs geredet.“ Denn, so das Erstaunliche: „Innerhalb<br />
eines Opernhauses werden die musikalischen Dinge am<br />
wenigstens besprochen, sondern alles andere: die Interna, alle Probleme,<br />
Zwischenmenschlichkeiten – mehr als alle Musik.“<br />
So kann sich Enders gut vorstellen, dass jemand, der Musik unterrichtet,<br />
zu Hause froh sein wird, nicht mehr darüber reden zu<br />
müssen. Faszination Musik: Gibt es da etwas Magisches, das nur<br />
dieser Kunst zu eigen ist und das Musiker mit einer Energie füllt,<br />
die anders ist? Ist Enthusiasmus der Musik vorbehalten? Der Bassist<br />
Ingo Burghausen sieht die Sache viel unprätentiöser. „Ich denke,<br />
bei Musikern ist es, wie bei allen anderen Menschen auch, die<br />
einen Beruf ausüben: Manche füllen das mit Leidenschaft, andere<br />
machen ihren Job und gehen heim.“ Einige machen Dienst nach<br />
Plan, andere machen sich einen Kopf. Sowohl unter Musikern als<br />
auch unter Fliesenlegern gibt es einige, die nach der „Kunst der<br />
Fuge“ streben, und auch die, die nur pfuschen. „Neulich erlebte ich<br />
eine Fliesenverkäuferin, die hat uns Fliesen dermaßen mit Hingabe<br />
und Enthusiasmus verkauft, ich bin mir sicher, dass die abends<br />
auch vom Fliesenverkaufen schwärmt!“ <<br />
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