Musiktheater seit 1990 - Schott Music
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Inhalt<br />
Da das Festland ihrem seelischen Gleichgewicht angeblich schädlich ist, hat sich die steinreiche<br />
Marchesa Montetristo in der Lagune vor Venedig eigens eine Insel aufschütten lassen – ein<br />
künstliches Eiland, weil unter dem an sich doch reichlich vorhandenen Inselbestand partout<br />
nichts Passendes zu finden war. Nun residiert sie auf „San Amerigo“ – und zelebriert Kultur.<br />
Klangvolle Namen aus Kunst, Wissenschaft und Politik schmücken die Gästeliste. Heute wurde<br />
außerdem der nicht zu diesen erlauchten Kreisen gehörende Herr Fallersleben eingeladen,<br />
dem sich die Marchesa deshalb besonders verpflichtet fühlt, hat er ihr doch kürzlich eben jene<br />
Badewanne verkauft, in der einst der große Marat ermordet wurde. Den Höhepunkt des Festes<br />
bildet die Aufführung einer wiederentdeckten, in Wirklichkeit jedoch gefälschten Flötensonate<br />
aus dem 18. Jahrhundert. Die Marchesa begleitet den Flötisten Beranger eigenhändig<br />
am Cembalo. Während des Konzerts geht plötzlich eine Erschütterung durch den Palazzo: Die<br />
Grundfesten wurden vom Meer unterspült! Unbeirrt musiziert man weiter. „San Amerigo“, die<br />
Welt der Künstlichkeit, versinkt langsam und mit ihr die ganze illustre Gesellschaft. Nur Fallersleben<br />
rettet sich geistesgegenwärtig – in der Badewanne Marats.<br />
Das Ende einer Welt<br />
17.11.2006 Prinzregententheater München<br />
Die Welt, in der Wolfgang Hildesheimers lieblose Novelle spielt, ist seinerzeit doch nur partiell versunken.<br />
Die Zahl der künstlichen Inseln ist wohl zurückgegangen, aber Snobs gibt es noch immer.<br />
Zu Hildesheimers Lieblosigkeit gesellt sich die meine, der des Dichters nicht unähnlich. Was da<br />
untergeht, ist nicht die Welt, sondern nur eine gewisse, die genau bezeichnet, gezeichnet wird und<br />
die uns ärgert, weil sie Unbehagen, ja Entsetzen hervorruft. (Hans Werner Henze)<br />
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