Musiktheater seit 1990 - Schott Music
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Inhalt<br />
Zwischen den beiden Opern Der Sturz des Antichrist (1936) und Der Kaiser von Atlantis (1943)<br />
schuf Viktor Ullmann 1942 seine Vertonung von Kleists berühmter Schauspielkomödie. Die<br />
Partitur wurde nur wenige Wochen vor Ullmanns Deportation ins Konzentrationslage Theresienstadt<br />
abgeschlossen; erst lange nach Ullmanns Ermordung in Auschwitz fand die posthume<br />
Uraufführung statt. Gleichwohl haben diese tragischen Vorzeichen nur unterschwellig in das<br />
humorvolle, musikalisch überaus pointierte Werk hineingewirkt.<br />
Vordergründig folgt Ullmann dem Kleist-Text überwiegend wortgetreu (wenn auch mit geschickt<br />
zuspitzenden Kürzungen) und erzählt auf knappem Raum die bekannte Geschichte vom<br />
Dorfrichter Adam. Dieser muss wissentlich über sein eigenes Vergehen – den zerbrochenen<br />
Krug der Frau Marthe – urteilen und entlarvt sich dabei schließlich selbst als Täter. In der historischen<br />
Perspektive lassen sich einige Passagen der Oper freilich unschwer als Kommentare zum<br />
Unrechtssystem des „Dritten Reiches“ lesen. Namentlich die von Ullmann gedichtete Schlusssentenz<br />
ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des braunen Volksgerichtshofes und seiner<br />
Henker in Richterrobe eine zwar heiter gefärbte, doch unverhohlene Mahnung: „Fiat justitia, /<br />
damals wie ebenda: / Richter soll keiner sein, / ist nicht sein Herze rein.”<br />
Der zerbrochene Krug<br />
17.02.2008 Los Angeles Opera<br />
Ullmann verbindet Referenzen an die Buffo-Oper des 18. Jahrhunderts mit der Tonsprache seiner<br />
Zeit. Ein Cembalo verfremdet durch seine gezupften Akkorde hinterrücks eine schwüle Streicherkantilene,<br />
Solo-Blechbläser unterbrechen patzig operettelnde Melodieseligkeit. Komik entsteht<br />
hier aus der unerwarteten Überlagerung perfekt imitierter Musikmoden. Ullmann trifft mit seinem<br />
rhythmisierten Sprechgesang genau das ideale Komödien-Tempo, jenes schlagfertige Parlando in<br />
der Rossini-Nachfolge, das so vielen deutschen „komischen“ Opern abgeht.<br />
(Der Tagesspiegel, 21.05.1996)<br />
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