Musiktheater seit 1990 - Schott Music
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Inhalt<br />
Die Legende vom Rattenfänger von Hameln besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen, die<br />
verschiedenen Ursprungs sind. Die bekannte Sage vom Mann, der die Stadt von einer Rattenplage<br />
befreit, stammt aus Südfrankreich. Die Legende von dem Pfeifer, der die Kinder fortführt,<br />
beruht dagegen auf einer Inschrift am sogenannten Rattenfängerhaus in Hameln.<br />
Für den Librettisten Michael Ende wirft die Verbindung der zwei Geschichten einige unbeantwortete<br />
Fragen auf: Warum ist die Rattenplage in Hameln ausgebrochen? Was verlangt der<br />
Rattenfänger als Lohn? „Mir war klar“, erläuterte Ende, „dass das, was die Rattenplage über die<br />
Stadt gebracht hat, zugleich jenes ist, das der Rattenfänger als Lohn verlangt. Etwas, das weg<br />
muss, damit die Stadt wieder gesund<br />
werden kann. Um den Mythos sozusagen<br />
zu vervollständigen, führte ich eine<br />
Art Popanz ein, ein dämonisches Wesen,<br />
das fortwährend Geld produziert; jedes<br />
Mal, wenn er ein Geldstück produziert,<br />
geht zugleich eine Art Todesgeist, ein<br />
verkleinertes Abbild dieses „Rattenkönigs“,<br />
von ihm aus in die Welt hinaus,<br />
und irgendetwas muss sterben. Das<br />
kann ein Baum sein, ein Fluss, oder auch<br />
ein Kind…“<br />
In Endes Text ist Hameln schon zu Beginn<br />
der Oper von diesen Todesgeistern<br />
befallen. Die Natur ist zur Wüste<br />
geworden, die Weser tot, die Bäume<br />
abgestorben. Um die Kinder zu retten,<br />
führt der Rattenfänger sie aus der Stadt<br />
hinaus – in den Calvarienberg, der schon<br />
in der Legende diesen abgründigen Namen<br />
trägt. Doch einen anderen Ausweg<br />
gibt es nicht mehr.<br />
(Zitatquelle: Theater Dortmund 1993)<br />
Der Rattenfänger<br />
26.09.1993 Theater Dortmund<br />
Ich habe mich sehr intensiv mit der Musik des 13. Jahrhunderts und sogar teilweise noch davor<br />
befasst. Und so wird man Stellen in dem Stück bemerken, die eindeutig auf die Musik der Gotik<br />
zurückgehen, also Verzicht auf Terzen, keine Schlussauflösungen, vielfach in den Singstimmen,<br />
aber auch im Streichorchestersatz. Die Klangwelt des Spielmanns, also des Rattenfängers in meiner<br />
Oper, basiert stilistisch stark auf ostjüdischer Musik, wie man sie in Galizien, Bessarabien, Böhmen<br />
und Mähren findet, in einer Gegend also, aus der der historische Rattenfänger gekommen sein<br />
dürfte. (Wilfried Hiller)<br />
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