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Musiktheater seit 1990 - Schott Music

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Inhalt<br />

Dieter Schnebel · Foto: Peter Andersen<br />

Dieter Schnebel über sein Werk: „Hauptstimme der musikdramatischen Erzählung ist die<br />

Sprache Kleists, die selbst schon in ihren Klängen und ihren syntaktischen Strukturen hochmusikalisch<br />

ist. [...] Die Erzählung ,Das Erdbeben in Chili‘ läuft quasi als roter Faden durch. Der Text<br />

wird keineswegs in Musik verwandelt – beispielsweise vertont. Wohl aber wird er musikalisch<br />

präsentiert: in bestimmter Geschwindigkeit und Lautstärke, auch in bestimmter Klangfarbe. Solche<br />

Transformation geschieht einer<strong>seit</strong>s nach musikalischen Kriterien – z. B. eine serielle Ordnung<br />

der Sprechweisen, übergeordnete, motivartige Beziehungen –, anderer<strong>seit</strong>s werden durch<br />

die musikalische Rhetorik psychische Befindlichkeiten – ,Stimmungen‘ – vermittelt. [...] Jeder<br />

einzelne Abschnitt hat eine bestimmte Vortragsweise, in welcher sich eben Inneres äußert. So<br />

verläuft die Sprache im ersten Abschnitt der<br />

Erzählung (,Der Todesentschluss‘) stockend und<br />

leise, im zweiten (,Das Geheimnis‘) rasch geflüstert,<br />

im nächsten (,Der Skandal‘) volltönend,<br />

aber in höhnischer Klanglichkeit. In solchem<br />

Ausdruck kommen Untertöne hervor und werden<br />

tiefere Schichten des Textes erschlossen.<br />

[...] Die vier Teile des ,Musikgeschehens‘ setzen<br />

wesentliche Momente der Erzählung, aber auch<br />

der Kleist’schen Dichtung, musikalisch um:<br />

,Erschütterung‘, ,Nacht der Liebe‘, ,Tag des<br />

Friedens‘, ,Todesorgie‘. Sie sind Zwischenspiele<br />

und bilden Zusammenfassungen. In Vor- und<br />

Nachspiel verbinden sich Worte und Musik,<br />

und es geht um den Dichter selbst. Das Vorspiel<br />

,Kleists Ende‘ ist durchzogen von Briefstellen<br />

aus seiner letzten Zeit, und im Nachspiel sind<br />

es utopische Passagen aus dem wunderbaren<br />

Essay ,Über das Marionettentheater‘.“ (Quelle:<br />

Hamburgische Staatsoper 1991)<br />

Musikalisch hat Schnebel Kleists und seiner beiden Liebenden Reise ins Jen<strong>seit</strong>s zu einem ungemein<br />

dichten, beunruhigend schillernden Gefühls- und Stimmungsstrom gestaltet, der – akkordierend<br />

oder im spannungsvollen Wechsel mit den Sprechern der Kleist-Texte und mit den Schreien und<br />

Atem-Stößen der Sänger – eine hochaktuelle unheilschwangere Atmosphäre psychischer Bedrohung<br />

suggeriert. Doch gibt’s gottlob auch idyllische Licht-Punkte im manchmal sogar opernhaft aufrauschenden<br />

Musikgeschehen: fein verfremdete ,Re-Visionen‘ von Romantik, Motetten-, Choral- und<br />

Carmina-Burana-Kunst.(Die Welt, 14.04.1991)<br />

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