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Der stärkste Warlord - Dr. Kai Schmidt-Soltau

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Jungle World ··· 34/2003 Disko ··· <strong>Der</strong> stärkste <strong>Warlord</strong><br />

Seite 1 von 2<br />

Nummer 34 vom 13. August 2003<br />

<strong>Der</strong> stärkste <strong>Warlord</strong><br />

Deutschland will wieder direkt in die afrikanische Politik<br />

eingreifen. Doch die Strategie ist inkonsistent, und die<br />

Intervention im Kongo ändert nichts an der Realität des<br />

Krieges. von kai schmidt-soltau<br />

Wie der Zufall es will, saß ich k ürzlich im Flieger nach Brazzaville neben<br />

einem »Geschäftsmann« aus der Region Ituri. Diese Gegend, die in der<br />

Vergangenheit vor allem mit »Zwergmenschen« und »Riesenaffen« in<br />

Verbindung gebracht wurde, erfreut sich in den deutschen Gazetten zurzeit<br />

großer Aufmerksamkeit. Hätte ich mehr der dort veröffentlichen Beiträge zur<br />

Notwendigkeit einer »humanitären Intervention« gelesen, hätte ich<br />

vermutlich nicht Brot und Wein mit meinem Nachbarn geteilt, sondern nach<br />

Menschenknochen und Affenschädeln in seiner Reisetasche gefahndet.<br />

Mein Sitznachbar Dieudonné war nicht nur nett, sondern auch angetan von<br />

der neuen Berühmtheit seiner Region. Denn nun kann er dort nach eigenem<br />

Bekunden neben allerlei Waren, Dienstleistungen und Kontakten auch den<br />

»Frieden « vermarkten. Eine gute, rare Ware, nicht nur in Ituri.<br />

LeserInnenworld<br />

Die Redaktion beh<br />

Leserbriefe gek<br />

veröffentlichen.<br />

an: briefe@jungle<br />

oder per<br />

Mekka in<br />

in die presse<br />

Realer Stamokappes<br />

ich-ag der woche<br />

Alles wird<br />

Die letzte<br />

Die kongolesische Bev<br />

befürwortet eine<br />

Intervention. Doch sie<br />

mehr als einen<br />

propagandistischen Ein<br />

beatrice schlee<br />

Doch was ist eigentlich Frieden? Und worin unterscheidet er sich von jenem<br />

Zustand, der im Nordosten des Kongo herrscht? Nach Dieudonnés<br />

Auffassung macht sich der Unterschied zwischen Krieg und Frieden an der<br />

Zahl der <strong>Warlord</strong>s fest. Ist ein Potentat so dominant, dass er unangefochten<br />

ein Territorium kontrolliert, kann er es Staat nennen und in Frieden<br />

herrschen. Gibt es jedoch eine Vielzahl von Ordnungsmächten, die ein und<br />

dasselbe Territorium beherrschen wollen, nennt man dies Krieg.<br />

In diesem Sinne schafft der Einmarsch des <strong>Warlord</strong>s »Europäische Union« in<br />

Ituri Frieden, da die anderen <strong>Warlord</strong>s den fahlen Kriegern milit ärisch nicht<br />

gewachsen sind. Die anderen Potentaten – da ist sich Dieudonné sicher –<br />

werden ihre Waffen im Wald verbuddeln oder in eine andere Region<br />

weiterziehen.<br />

In der pragmatischen Sichtweise Dieudonnés sind auch Waffenlieferungen<br />

potenzieller Friedensdienst. Man sollte nur schauen, mit wem man Geschäfte<br />

macht, denn wenn der Kunde versagt, ist dies nicht nur moralisch schlecht –<br />

man wird beschuldigt, mit Terroristen etc. kooperiert zu haben –, sondern<br />

auch ökonomisch. Verlierer haben meist eine schlechte Zahlungsmoral. In<br />

diesem Sinne ist Krieg und freie Wirtschaft eins.<br />

Warum aber – und die Frage stellt Dieudonné völlig zu Recht – arbeitete die<br />

Europäische Union im Kongo nicht ähnlich wie die <strong>Warlord</strong>s aus dem<br />

südlichen und östlichen Afrika mit einem lokalen <strong>Warlord</strong> zusammen? Ein<br />

Stellvertreterkrieg wäre sicher billiger gewesen als eine direkte Intervention,<br />

hätte weniger Aufsehen erregt und man hätte mögliche Niederlagen auf den<br />

schwarzen Vasallen schieben können.<br />

Im Prinzip sind wir derzeit Zeugen eines Paradigmenwechsels. Positionierte<br />

sich die Afrikapolitik der Bundesrepublik bislang zugunsten der »indirect<br />

rule« und unterstützte den afrikanischen Staatsherren – ob Potentat oder<br />

Demokrat – zwecks Aufrechterhaltung von Ordnung, will sie nun direkt in<br />

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25.01.2005


Jungle World ··· 34/2003 Disko ··· <strong>Der</strong> stärkste <strong>Warlord</strong><br />

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das Geschehen eingreifen. Jedoch ist die Strategie der Bundesregierung,<br />

genau wie die der meisten anderen europäischen Staaten, nicht konsistent.<br />

Während sie einerseits interveniert, zieht sie sich in ihren<br />

Beratungsleistungen immer mehr zurück.<br />

Dafür bieten sich zwei Interpretationen an: Zum einen kann man die<br />

Wirkungslosigkeit der Entwicklungszusammenarbeit dadurch unsichtbar<br />

machen, dass man die Verantwortung an lokale Akteure delegiert und die zu<br />

erwartenden Misserfolge ausnutzt, um eine direkte Unterwerfung<br />

vorzubereiten. Zum anderen könnte es aber auch sein, dass zwei<br />

Interessenverbände, Militär und Entwicklungszusammenarbeit, sich selbst in<br />

der öffentlichen Diskussion legitimieren m üssen und gleichzeitig die<br />

Herrschaft über das Territorium des anderen übernehmen wollen.<br />

<strong>Der</strong> Kongo wird weiter zur Küste fließen und Dieudonné seine Waren<br />

feilbieten, während internationale und nationale <strong>Warlord</strong>s ihre Kriege führen.<br />

Sie werden mit dem ersten Regen verschwinden, wenn der Wald von Ituri zu<br />

einem Meer von Schlamm wird. Und in einem Jahr wird vielleicht sogar der<br />

Regen gehen, ohne dass sie von neuem in die Dörfer einfallen, um jene<br />

Almosen zu verteilen, die Passanten in den Einkaufszeilen der globalen<br />

Zentren gespendet haben – für den Frieden in der Welt.<br />

<strong>Kai</strong> <strong>Schmidt</strong>-<strong>Soltau</strong> ist Gutachter in der Entwicklungszusammenarbeit und<br />

lebt in Kamerun.<br />

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LeserInnenworld<br />

Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu ver öffentlichen.<br />

Zuschriften bitte an: briefe@jungle -world.com oder per Post an die<br />

Redaktion.<br />

Mekka in Bayreuth<br />

in die presse<br />

Realer Stamokappes<br />

ich-ag der woche<br />

Alles wird besser, weil …<br />

Die letzte Hoffnung<br />

Die kongolesische Bevölkerung befürwortet eine internationale<br />

Intervention. Doch sie erwartet mehr als einen propagandistischen<br />

Einsatz. von beatrice schlee<br />

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25.01.2005

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