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oder kommunistischer Widerstand im Westmünsterland

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"Der Kommunist radebrechte in seinem östlichen Akzent"<br />

<strong>oder</strong><br />

<strong>kommunistischer</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>im</strong> Westmünsterland 1<br />

von Kai Schmidt-Soltau<br />

Die Nationalsozialisten versuchten schon lange vor 1933, jeden kommunistischen Einfluß<br />

in der deutschen Arbeiterklasse mit fremdländischem und feindlichen "östlichen" Einfluß<br />

zu erklären und so zu diffamieren. Aber wo kamen die Kommunistinnen und<br />

Kommunisten des Westmünsterlandes her? Wie und warum wurden sie Kommunisten?<br />

Warum blieben sie es auch während der "tausend Jahre"? Wo stehen sie heute? Ja, gibt es<br />

sie noch?<br />

Max Re<strong>im</strong>ann, der Kommunist, der am 7.2.1931 in Stadtlohn "östlich radebrechte" - so<br />

zumindest NSDAP Kreispropagandaleiter Bockhoff aus Ahaus -, kam wirklich aus dem<br />

Osten, aus Ahlen, das zugegebenermaßen östlich des heutigen Kreises Borken liegt. Aber<br />

auch <strong>im</strong> Westen des Münsterlandes gab es und gibt es Revolutionäre. Sie haben ihre<br />

Wurzeln vor allem in den zu Beginn unseres Jahrhunderts zahlreichen Textilbetrieben.<br />

Diese Betriebe siedelten hier, weil einerseits viele Bauern durch das Erbrecht aller Söhne<br />

<strong>im</strong>mer kleinere Höfe (50% bis 0,5 ha) bewirtschaften mußten und so neben Köttern und<br />

Heuerlingen als billige Arbeitskräfte in Frage kamen, andererseits weil durch die<br />

Bahnerschließung bis 1906 der Transport der Rohstoffe und Fertigprodukte von und zu<br />

den Märkten sichergestellt war. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal, so beklagte<br />

noch 1938 der Leiter des Amtes für Volksgesundheit, daß die Arbeit zutiefst<br />

"gesundheitsschädigend" sei, da durch die "dauernde Beschäftigung in geschlossenen<br />

Räumen mit oft staubiger Luft" "Tuberkulose und chronische Bronchitis weit verbreitet"<br />

seien, durch eine "einseitige Beanspruchung der Muskulatur" es nicht selten "zu<br />

Verkümmerungen" kam und so eine "Weiterverwendung für andere Arbeiten" ausschloß,<br />

es durch die Arbeit in Wechselschicht fast <strong>im</strong>mer zu "nervösen Folgeerscheinungen" kam<br />

und schließlich der "in fast allen Textilbetrieben herrschende nervenzermürbende Lärm<br />

der Maschinen oft zu einer Schädigung des Gehörs" führen würde. Daß sich gegen diese<br />

unmenschlichen Arbeitsbedingungen nicht massenhaft Protest und <strong>Widerstand</strong> entwickelte,<br />

ist nicht zuletzt auf den großen Einfluß der Kirche zurückzuführen. So stellte der<br />

Regierungspräsident zu Münster 1909 zufrieden fest, daß "der Volksverein für das<br />

katholische Deutschland, sowie die Arbeiter-, Gesellen-, Jünglings- und Kriegervereine<br />

einen festen Damm gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie bilden". Selbst <strong>im</strong><br />

November 1918, als der erste Weltkrieg schon längst verloren war und die Menschen<br />

teilweise verhungerten, erklärte der christliche Textilarbeiterverband des Münsterlandes<br />

seine "Treue zur Monarchie" und seine "Ergebenheit zu seiner kaiserlichen Exzellenz<br />

Kaiser Wilhelm II.". Eine solche Haltung wurde von den Fabrikbesitzern honoriert. Am<br />

30.10.1919 wurde die christliche Gewerkschaft als gleichberechtigter Tarifpartner der<br />

münsterländischen Textilindustrie durch den ersten Tarifvertrag anerkannt. Offene<br />

Klassenkämpfe wie <strong>im</strong> Ruhrgebiet gab es auf dem Gebiet des heutigen Kreises Borken<br />

bis zur großen Krise 1923 nicht. Die christlichen Gewerkschaften setzten vor allem auf<br />

1<br />

in: 8.Mai 1945 Tag der Befreiung - 50 Jahre danach - Erinnerung an antifaschistische<br />

Persönlichkeiten aus dem Kreis Borken; Stadtlohn 1995; S.2-9.<br />

1<br />

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Appelle an das soziale Ehrgefühl der Unternehmer, um so schrittweise zu einer<br />

Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiterinnen und Arbeiter zu gelangen.<br />

Gegen diese Haltung regte sich 1920, anläßlich des Kapp-Putsches und dessen<br />

Niederschlagung durch die Arbeiterklasse, die in der Bildung der Roten Ruhr Armee<br />

mündete, erster <strong>Widerstand</strong>. Der revolutionäre Funke sprang zu einigen Fabriken in<br />

Bocholt, Borken und Gronau über, wurde jedoch durch das geschlossene Auftreten der<br />

Reichswehr, des Bürgertums und der katholischen Arbeiterschaft <strong>im</strong> Ansatz zerschlagen.<br />

Erst 1923, als die Mehrheit der Textilarbeiter durch die Inflation für vier Monate von<br />

Kurzarbeit betroffen war, kam es in verschiedenen Fabriken zu Protesten und Streiks.<br />

Bei den Wahlen <strong>im</strong> Mai 1924 erreichten die beiden Arbeiterparteien zusammen rund 10<br />

% der St<strong>im</strong>men, wobei die SPD mit 6% nur knapp vor der KPD lag. Deutlicher Sieger<br />

blieb aber das katholische Zentrum, das 72% der St<strong>im</strong>men auf sich vereinigen konnte.<br />

Insgesamt kann jedoch festgestellt werden, daß durch den ungebrochenen klerikalen<br />

Einfluß die Zust<strong>im</strong>mung zu Veränderungen <strong>im</strong> gesellschaftlichen Leben <strong>im</strong><br />

Westmünsterland weit hinter dem Reichsdurchschnitt lag. Dort hatte die KPD 12,6% und<br />

die SPD 22% erhalten.<br />

Seit 1922 gab es erste Ansätze nationalsozialistischer Organisationen <strong>im</strong> Münsterland.<br />

Sie setzten sich zumeist aus jungen Kaufleuten und ehemaligen Soldaten zusammen, die<br />

für eine straffe Leitung des Staates und der Gesellschaft plädierten. Während die NSDAP<br />

bei ihrer Erfolgswahl 1930 <strong>im</strong> Reichsdurchschnitt auf 18,3% der Wähler rechnen konnte,<br />

waren es <strong>im</strong> Westmünsterland gerade mal 4,3% und in Arbeiterhochburgen wie Bocholt<br />

sogar nur 3%. Man kann davon ausgehen, daß die Nationalsozialisten bis 1933 kaum<br />

Rückhalt in der Arbeiterklasse gewinnen konnten, sondern ihre St<strong>im</strong>men vor allem aus<br />

der Bürgerschaft rekrutierten.<br />

In den Textilbetrieben konnten beide politischen Flügel vor der großen Krise 1930 kaum<br />

Fuß fassen. Dort dominierte nach wie vor die kirchliche Arbeiterbewegung. In den<br />

dreizehn Textilbetrieben in Stadtlohn waren 1930 gar alle 59 Betriebsräte konfessionell<br />

gebunden und organisiert, aber auch in den anderen Kreisen sah es nicht besser aus. So<br />

waren in Bocholt 77%, in Gronau 67% und in Ahaus 87% der Betriebsräte Mitglieder<br />

des christlichen Textilarbeiterverbandes. Bevor sich die Textilindustrie noch von der<br />

tiefen Krise 1923/24 erholen konnte, stürzte sie schon in eine neue Depression. 1926<br />

wurde zeitweilig in 115 Betrieben des Münsterlandes die Produktion eingestellt und die<br />

Arbeiter wurden, natürlich ohne Lohnfortzahlung, nach Hause geschickt. In diesen<br />

Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Unternehmern griffen die Arbeiter nach<br />

und nach verstärkt auch zu Kampfmaßnahmen und stellten damit die von den christlichen<br />

Gewerkschaften praktizierte Politik der Sozialpartnerschaft in Frage und zwangen diese,<br />

selbst aktiv zu werden. Allerdings konnten die nun öfter durchgeführten Streiks der<br />

Arbeiter aufgrund der grassierenden Arbeitslosigkeit <strong>im</strong> ganzen Münsterland sich kaum<br />

zu einer wirksamen Waffe entwickeln. Insgesamt kann man aber sehen, wie sich die<br />

christlichen Gewerkschaften durch den Druck ihrer Mitglieder in der Spätphase der<br />

We<strong>im</strong>arer Republik zunehmend zu einer Arbeiterbewegung wandelten, die diesem<br />

Namen auch gerecht wird, wenn sie auch natürlich nie die Radikalität und<br />

Entschlossenheit der politischen Gewerkschaften erreichten.<br />

1933 waren, als Auswirkung der Weltwirtschaftskrise, fast 90% der Textilarbeiter ohne<br />

Arbeit. Dieses wurde auch in den Wahlen deutlich. Während die dominierende Stellung<br />

2


des Zentrums <strong>im</strong> Westmünsterland mit 65% nie in Frage gestellt wurde, bauten die<br />

Arbeiterparteien ihren St<strong>im</strong>manteil beständig bis auf 16% bei der letzten "freien" Wahl<br />

1932 aus, wobei die SPD mehr und mehr St<strong>im</strong>men an die KPD verlor, die fast 10% der<br />

St<strong>im</strong>men erhielt, damit aber <strong>im</strong>mer noch deutlich unter den 17% <strong>im</strong> Reichsdurchschnitt<br />

lag. Natürlich gab es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Wahlkreisen.<br />

Absolute Hochburg der Linken war der Stadtkreis Bocholt, wo die KPD 19% und die<br />

SPD 17% der St<strong>im</strong>men erringen konnten. Es gelang der kommunistischen Bewegung<br />

aber nicht, diese Erfolge bei den Wahlen auch in neue Mitglieder und so in eine aktivere<br />

und wirkungsvollere Politik umzuwandeln. Im Dezember 1933 hatte sie <strong>im</strong> ganzen<br />

Unterbezirk Rheine nur 576 Mitglieder, wobei dieser Unterbezirk die heutigen Kreise<br />

Borken, Steinfurt, Osnabrück, Münster und Coesfeld umfaßte. Nennenswerte Gruppen<br />

gab es neben Münster und Rheine nur in Bocholt und Gronau. In Ahaus waren es 12, in<br />

Stadtlohn 10 und in Vreden nur 9 Mitglieder. Dabei ordneten sich 90% der Mitglieder<br />

selbst der Gruppe der Erwerbslosen zu und spiegelten damit die Massenarbeitslosigkeit<br />

der Textilarbeiter in dieser Zeit wider. Betriebsgruppen des Einheitsverbandes der<br />

Textilarbeiter Deutschlands gab es nur in 12 Firmen. Es gab also <strong>im</strong> Westmünsterland bis<br />

1933 kein besonders ausgeprägtes <strong>Widerstand</strong>spotential der KPD <strong>oder</strong> anderer<br />

sozialistischer Organisationen. Die KPD konnte jedoch durch den aktiven <strong>Widerstand</strong><br />

ihrer Mitglieder <strong>im</strong> Verhältnis zu ihrer personellen Stärke einen umfangreichen und<br />

couragierten <strong>Widerstand</strong> entfesseln, der allerdings schon <strong>im</strong> Sommer 1933 fast restlos<br />

zerschlagen worden war. Die Ursachen liegen dabei weniger in einer nachlassenden<br />

Kampfbereitschaft als in der Tatsache begründet, daß die Kommunisten durch ihre<br />

konsequente Haltung weit über ihre Kreise bekannt waren. Sie konnten sich nicht wie in<br />

den Ballungszentren <strong>im</strong> Gewühl der Menschen verbergen <strong>oder</strong> auf ganze Stadtteile unter<br />

kommunistischem Einfluß zurückgreifen, in die sich lange kein Faschist wagen konnte.<br />

Während die einen von der neuen Obrigkeit verhaftet wurden, mußten andere fliehen,<br />

ohne dadurch der Gefahr wirklich zu entkommen.<br />

Das brutale Vorgehen der Nazis gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und<br />

Gewerkschaften erzeugte in der katholischen Arbeiterbewegung kein Gefühl der<br />

Solidarität <strong>oder</strong> gar des Protestes. Man schien erfreut zu sein, die lästigen Mitbewerber<br />

um die Vertretung der Textilarbeiterschaft los zu sein und widmete, wie der katholische<br />

Arbeiterverein St. Paulus aus Bocholt, 3/4 seiner Zeit der Vorbereitungen von<br />

lithurgischen Festen und organisatorischen Fragen. Auf einer Delegiertenkonferenz des<br />

Bezirks Rheine am 9.4.1933, zu dem auch der heutige Kreis Borken gehörte, wurde die<br />

"Anerkennung der gesetzlichen Autorität" beschlossen, da "Katholiken nicht revolutionär<br />

sein können". Man kam überein, verstärkt an sozialistische Arbeiterfamilien<br />

heranzutreten, um sie in die "Gemeinschaft der Katholiken" zu reintegrieren und so<br />

"langsam aber sicher die kommunistische Tendenz zu bezwingen". Während die<br />

Arbeiterparteien den Kampf gegen den Faschismus aufnahmen, wollte die katholische<br />

Arbeiterbewegung durch "religiöse Weihestunden, gemeinschaftliche Kommunionen und<br />

christliche Unterrichtskurse" die "Gemeinschaft der Gläubigen" festigen und erneuern<br />

und orientierte auf eine Koexistenz von faschistischem Staat und Kirche, was nicht<br />

zuletzt in der Zust<strong>im</strong>mung der Zentrumsabgeordneten zum Ermächtigungsgesetz seinen<br />

deutlichsten Ausdruck findet. Ansätze zu einem christlichen <strong>Widerstand</strong> gegen die neue<br />

Ordnung wurden von der Leitung der katholischen Arbeiterbewegung bewußt<br />

verschwiegen. Der Münsteraner Bischof von Galen, der heute als <strong>Widerstand</strong>skämpfer<br />

3<br />

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geehrt wird, erklärte am 28.1.1934: "Mit heißem vaterlandsliebenden Herzen stehen wir<br />

in diesem Kampf hinter dem Führer, den Gottes Vorsehung auf seinen<br />

verantwortungsvollen Posten berufen hat." Von einem kirchlichen <strong>Widerstand</strong> kann also<br />

in der Frühphase des Faschismus keine Rede sein. Die Katholiken des Münsterlandes<br />

fügten sich der neuen Ordnung, und die christlichen Gewerkschaften formierten sich zu<br />

rein kirchlichen Organisationen um und ließen die gerade erst errungenen Kampfmittel<br />

der Arbeiter wieder fallen.<br />

Sozialdemokraten und Mitglieder der "freien" unparteilichen Gewerkschaften vertraten<br />

zu Beginn des Jahres 1933 eine sehr schwankende Position. Auf der einen Seite, so geht<br />

aus dem Protokollbuch des Deutschen Textilarbeiterverbandes Gronau hervor, ging man<br />

davon aus, "daß nur der gewerkschaftliche Zusammenschluß aller Arbeitnehmer die<br />

sozialen Errungenschaften der Arbeiterschaft vor dem Faschismus und der Reaktion<br />

bewahren" kann, auf der anderen Seite debattierte man auf den Sitzungen über Themen<br />

wie "Prämienhöhe für neu geworbene Mitglieder" und "Rechtslage holländischer<br />

Arbeiter". Von einem geschlossenen <strong>Widerstand</strong> kann von Seiten der Sozialdemokraten<br />

und freien Gewerkschaften zu Beginn des Faschismus nicht gesprochen werden, auch<br />

wenn zahlreiche Mitglieder individuell aktiv wurden.<br />

Allein die KPD entfesselte in den ersten Monaten des Jahres 1933 eine Fülle von<br />

Aktionen, um die Menschen und vor allem die Arbeiter auf die Gefahren des Faschismus<br />

hinzuweisen und erste Schritte zu seiner Überwindung in die Wege zu leiten. Im<br />

Mittelpunkt standen dabei vor allem Kundgebungen und Demonstrationen. Am 15.1<br />

kamen in Gronau 800 und am 20.2. 350 Demonstraten zusammen, wovon nur "etwa ein<br />

Drittel uns bekannte Sympathisanten waren. Die Übrigen waren Freigewerkschaftliche<br />

<strong>oder</strong> kamen aus dem christlichen und bürgerlichen Lager." Es wurde ein<br />

"Einheitsfrontkomitee" gebildet, in dem neben Kommunisten und Gewerkschaftern auch<br />

Sozialdemokraten und Reichsbannerleute mitarbeiteten. Ein Fackelzug der SA, der in<br />

Epe am 18.2.33 stattfinden sollte, wurde "auf dem Markt mit Rot Front begrüßt und<br />

anschließend von den Arbeitern auseinandergejagt." Auf der anderen Seite machten sich<br />

die Kommunisten nicht zuletzt wegen dieser anfänglichen Erfolge Illusionen, die weit<br />

über ihre tatsächlichen Möglichkeiten hinausgingen. Diese große Erwartungshaltung kam<br />

unweigerlich in Konflikt mit der sich <strong>im</strong>mer stärker festigenden neuen Ordnung, und<br />

nicht wenige resignierten, wie der damalige politische Leiter der KPD in Ahaus, der die<br />

Partei <strong>im</strong> März 33 verließ, "weil die besten Genossen sich nicht auf der Liste für die<br />

Kommunalwahlen aufstellen lassen wollen". Unter den konkreten Umständen war dies<br />

zwar verständlich, aber es paßte nicht in das Bild des baldigen Sieges über die<br />

Faschisten, das die KPD damals vertrat. Am 18.3 hatte die Polizei in Emsdetten zehn<br />

führende Kommunisten verhaften können, darunter auch den Leiter der KPD des<br />

Westmünsterlandes, den Arbeiter Bernhard Alfrink aus Rheine. Zu Verhaftungen und<br />

Repressalien gegen Kommunisten kam es in fast allen Regionen des heutigen Kreises<br />

Borken, zumeist gingen sie auf Denunziationen wegen Nichtigkeiten zurück, die aber<br />

gerne zum Anlaß genommen wurden, den Widerspänstigen zu verdeutlichen, wer der<br />

neue Herr <strong>im</strong> Staate war. Spätestens <strong>im</strong> Sommer 1933 war es der neuen Staatsmacht<br />

gelungen, den kommunistischen <strong>Widerstand</strong> in seiner organisierten Form zu zerschlagen<br />

und die organisatorisch und politisch führenden Köpfe auszuschalten, die seit Anfang<br />

1933 eine Aktitvät entwickelt hatten, die dem Westmünsterland sonst eher fremd zu sein<br />

schien.<br />

4


In der Textilindustrie des Westmünsterlandes gelang es den Faschisten nicht wie in<br />

anderen Branchen, die Arbeiter durch soziale Maßnahmen auf ihre Seite zu ziehen. Die<br />

Beschränkung der Rohstoffeinfuhr ab Mitte 1934, mit der die Nazis ihre<br />

Autarkiephantasien durchsetzten wollten, traf die auf Baumwolle angewiesene<br />

Textilindustie schwer und zog Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nach sich, die neben<br />

Lohnkürzungen und Akkorddrückerei zu einer elementaren Verschlechterung der ohnehin<br />

schon katastrophalen Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter führte.<br />

1937/38 kam es zu einer neuen Textilkrise, in deren Verlauf, wie die politische Polizei<br />

mitteilte, "namentlich <strong>im</strong> Bocholter Bezirk, in dem kurzgearbeitet wird, die St<strong>im</strong>mung<br />

nicht gut ist. Drucksachen kommunistischen Inhalts werden über die Grenze gefördert".<br />

Schon bei der "Volksabst<strong>im</strong>mung" am 19.8.1934 wurde der mangelnde Rückhalt der<br />

NSDAP in der Bevölkerung des Westmünsterlandes deutlich: Der Gau Westfalen-Nord<br />

erzielt von Seiten der Nazis das "viertschlechteste Ergebnis <strong>im</strong> Reich". Im Durchschnitt<br />

st<strong>im</strong>mten 16% gegen die neue Ordnung, in Stadtlohn sogar 40%, wobei klar ist, daß dies<br />

nicht alles aktive <strong>Widerstand</strong>skämpfer waren. Erst mit Beginn der Hochrüstungsphase,<br />

<strong>im</strong> unmittelbaren Vorfeld des Überfalls auf Polen, kam es durch die Umstrukturierung<br />

auf Kriegsproduktion zu einem leichten Auffschwung der Wirtschaft <strong>im</strong><br />

Westmünsterland, allerdings brachte dies die zeitweilige Anhebung der<br />

Wochenarbeitszeit für Frauen auf 58 und für Männer auf 64 Stunden mit sich. Die<br />

großen Textilkonzerne van Delden, Laurenz und Kümpers nutzten ihre Vorteile als<br />

"Wehrwirtschaftsführer", um in den Kriegswirren eine Konzentration der Produktion<br />

durchzuführen. 1942 sollten allein in der Region Bocholt 11 Fabriken geschlossen<br />

werden, was nur mit Mühe verhindert werden konnte, aber es kam zu einer ersten<br />

Arbeitsplatzvernichtung in den Fabriken selbst. Arbeiteten 1938 noch 2500 Menschen bei<br />

Laurenz in Ochtrup, so waren es 1945 nur noch 1000. Der Einzug von <strong>im</strong>mer neuen<br />

Soldaten zwang die Konzernherren, auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen, die<br />

jedoch mit der näherrückenden Front ein stetig wachsendes <strong>Widerstand</strong>potential<br />

darstellten. 1944 wurde sogar überlegt, für die 5000 holländischen Arbeiter ein<br />

Zwangsarbeitslager einzurichten, jedoch war allen Beteiligten klar, daß dann jegliche<br />

Arbeitsmoral beseitigt sein würde.<br />

Vor diesem Hintergrund formierten sich die oppositionellen Kräfte neu und einzelne<br />

Aktionen wurden vorbereitet und durchgeführt. Die Arbeiter der Firma van Delden in<br />

Gronau fanden <strong>im</strong> Oktober 1934 <strong>im</strong> Arbeitssaal ein Flugblatt, das dazu aufforderte:<br />

"Heraus zum Kampf gegen den faschistischen Terror" und mit "Ortsgruppe der KPD<br />

Gronau" unterzeichnet worden war. Am 17.2.1935 schwebte über Burlo bei Bocholt ein<br />

an Luftballons befestigtes Transparent mit der Forderung: "Heraus mit Thälmann und<br />

allen eingekerkerten Antifaschisten - Rote Hilfe". Im gleichen Monat wurden aber auch<br />

in Vreden und Bocholt KPD-Gruppen enttarnt und zerschlagen, die, wie fast alle<br />

Gruppen des Westmünsterlandes, antifaschistisches Material aus den Niederlanden über<br />

die Grenze schmuggelten. Auch sozialdemokratische und gewerkschaftliche Flugblätter<br />

wurden gefunden, ohne daß die Verteiler ausfindig gemacht werden konnten.<br />

Anlaufstelle aller deutschen Antifaschisten war entweder das von der<br />

sozialdemokratischen Partei der Niederlande und linken Gewerkschaften getragene<br />

"Aktionszentrum in Hengelo" <strong>oder</strong> das von der kommunistischen Grenzlandleitung<br />

getragene Agitationszentrum in Enschede, von wo aus Postkarten an Arbeiterviertel wie<br />

"Klein-Moskau" in Gronau versandt wurden, die die Freilassung von Ernst Thälmann<br />

5<br />

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forderten und "Kampfesgrüße an die antifaschistischen Helden des deutschen<br />

Proletariats" von der "Roten Hilfe Holland" übermittelten. Selbst die faschistische<br />

politische Polizei mußte konstatieren, daß seit dem August 1935 "die illegale KPD sich in<br />

Bocholt und Gronau neuerdings wieder organisiert und zusammengeschlossen hat. Nach<br />

vertraulichen Mitteilungen gibt es kommunistische Zellen in einigen Textilbetrieben; man<br />

hat dort wiederholt kommunistische Parolen an den Wänden gefunden." Selbst einzelne<br />

Mitglieder der faschistischen Bewegung begannen, gegen ihre Führer zu opponieren, so<br />

wurde in Anholt ein Blockwart der deutschen Arbeitsfront wegen <strong>kommunistischer</strong><br />

Mundpropaganda verhaftet. Am 18.7.1935 traten 32 Arbeiter der Westfälischen<br />

Baumwollspinnerei in Gronau in einen Streik für höhere Löhne. Die Werksleitung ließ<br />

daraufhin 140 Arbeiter aussperren, und erst die Gauleitung der deutschen Arbeitsfront<br />

konnte den Streit schlichten. Im Januar 1936 verhaftete die Gestapo allein <strong>im</strong><br />

Westmünsterland 50 Mitglieder der KPD-Untergrundorganisation, die vor allem <strong>im</strong><br />

Verbund mit ihren holländischen Genossen Agitation unter den unzufriedenen<br />

Beschäftigten des Textilindustrie betrieben, aber auch Materialien an Sozialdemokraten<br />

und Kommunisten <strong>im</strong> Ruhrgebiet weiterleiteten. Im Laufe dieser illegalen Tätigkeit kam<br />

es <strong>im</strong>mer stärker zur Formierung einer proletarischen Einheitsfront aller Arbeiterparteien.<br />

Ab 1936 kann von einem organisierten <strong>Widerstand</strong> <strong>kommunistischer</strong>, sozialdemokratischer<br />

und gewerschaftlicher Kräfte nicht mehr gesprochen werden. Die Aktiven befanden<br />

sich entweder in Haft <strong>oder</strong> waren so isoliert, daß sie über eigene spontane Aktionen nicht<br />

mehr heraus kamen. Erst mit der nahenden Befreiung kam es zu ersten Ansätzen einer<br />

erneuten Verflechtung der einzelnen <strong>Widerstand</strong>skämpfer. Da der <strong>Widerstand</strong> zum<br />

Großteil individuell war, muß man sich ihm auch individuell nähern. Die folgenden<br />

Erinnerungen einzelner Kämpferinnen und Kämpfer aus dem Kreis Borken verdeutlicht<br />

dies. Auch wenn heute einige Namen und Taten vergessen sind - Ihr Werk wird <strong>im</strong>mer<br />

unter uns sein.<br />

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