Eine Welt zu gewinnen! - Dr. Kai Schmidt-Soltau

vernachlässigen dürfe. 222 Diese Lektüreerfahrung blieb nicht ohne Folgen. So begann er
sich schon bald von seinen ehemaligen Partnern zu trennen und bezeichnete sich selbst
als Sozialisten, obwohl sein Sozialismus zu dieser Zeit noch starke nationalistische
Züge trug. 223 Im Rahmen dieser politischen Umorientierung verwarf er auch seinen
ursprünglichen Plan der Reise nach Deutschland und reiste stattdessen, beim
Kriegseintritt der USA und der sich daraus ergebenden Verfolgung der indischen
Emigranten, nach Mexiko, wo er sich in Mexiko City ansiedelte und dabei das von ihm
früher von den Deutschen beschaffte Geld zweckentfremdete. 224
Mexiko spielte in der ideologischen Entwicklung Roys vom Nationalisten zum
Kommunisten eine große Rolle. Er bezeichnete es als das "Land seiner Wiedergeburt",
da er hier auf der einen Seite seine neue Vorstellung über die Befreiung der Völker
vertiefen konnte; auf der anderen Seite konnte er mit der recht großen revolutionären
Bewegung in Mexiko über den Marxismus diskutieren und praktische Erfahrung in der
Umsetzung dieser Theorie sammeln. 225 In dieser Zeit begann er auch, als Publizist zu
arbeiten und zwar für die der radikaldemokratischen Regierung nahestehende Zeitung
"El Pueblo" und für die englische Ausgabe der sozialistischen Zeitung "El Heraldo de
México". 226 Er wird in dieser Zeit als "todernst, intensiv nationalistisch, [und] wirklich
überhaupt nicht am Sozialismus interessiert" beschrieben. 227 Sein erstes Buch "La India:
su passado, su presente y su porvenir; Ciudad de México 1918" 228 ist inhaltlich auch
eher eine nationalistische Polemik als eine marxistische Studie, wenn auch schon eine
deutliche Veränderung zu seinen früheren Positionen zu erkennen ist. 229 Ein
einschneidender Wendepunkt im Leben von M.N.Roy war im Sommer 1919 das
Zusammentreffen mit dem russischen Abgesandten der gerade erst gegründeten
Komintern, Michail Borodin. Borodin [eigentlich Grusenberg] hatte den Auftrag
erhalten, nach Mexiko zu reisen, um die dortige sozialistische Bewegung zum Eintritt in
die Komintern zu bewegen, was ihm durch Roys Hilfe und nach einigen Mühen im
Herbst 1919 auch gelang, und zur Gründung der "Kommunistischen Partei Mexikos"
führte. 230 Als deren Vertreter begab sich Roy im Frühjahr 1920 auf die Reise nach
Sowjetrußland, um dort am zweiten Weltkongreß der KI teilzunehmen. Zuvor wurden
Roy und einige seiner Genossen jedoch von Borodin in Theorie und Praxis des
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Roy 1964; p.28.
ebd.; p.29. Zu einer Einschätzung seiner damaligen Positionen vergleiche: Overstreet and
Windmiller 1959; p.22.
Roy 1964; p.35-44; Haithcox 1971; p.8.
Roy 1964; p.217: "in a sense, Mexico was the land of my rebirth. It is true that before coming there
I had begun to feel dissatisfied with ideals of my earlier life. But it was during my stay in Mexico
that the new vision became clear and the dissatisfaction with a sterile past was replaced by a
conviction to guide me in a more promising future. It was more than a change of political ideas and
revolutionary ideals. I acquired a new outlook on life; there was a revolution in my mind - a
philosophical revolution which knew no finality".
Gomez, Manuel; Roy and Borodin in Mexico; in: The radical Humanist 6.6.1965; p. 267; in: Zink
1974; S.59.
ebd.; S.60.
In der Werksausgabe befindet sich die Übersetzung ins Englische: "India: Her Past, Present and
Future" in: Roy; Manabendra Nath; Selected Works; (Hrg.: Ray, Sibnarayan) Delhi 1987; Vol.1
p.86-153.
Overstreet and Windmiller 1959; p.24.
Roy 1964; p.140-143.
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