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Eine Welt zu gewinnen! - Dr. Kai Schmidt-Soltau

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Zu den erneuten Diskussionen über die Kolonialfrage auf dem Kongreß von Stuttgart<br />

war es nicht <strong>zu</strong>letzt deswegen gekommen, weil die SPD erst sehr spät und ohne<br />

besondere Energie auf die brutale Niederschlagung des Aufstandes der Hereros in<br />

Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, reagiert hatte. So erklärte die<br />

Reichtagsfraktion der SPD: "Die deutschen Kolonien lohnen mit ganz vereinzelter<br />

Ausnahme weder die auf sie angewendeten Opfer, noch bieten sie einer auch nur<br />

nennenswerten Zahl deutscher Auswanderer eine Existenz. [...] Zu diesen regelmäßigen<br />

Opfern für die Kolonien kommen aber die besonderen Opfer, die im Laufe der<br />

Jahrzehnte durch die Aufstände der Eingeborenen und speziell den jetzt schon nahe<strong>zu</strong><br />

drei Jahre währenden Aufstand in Südwestafrika verursacht sind." 35<br />

Hier analysierte die SPD aus einer nationalistisch <strong>zu</strong> nennenden Position die Vor- und<br />

Nachteile von Kolonien. Sie entfernte sich dabei von der marxistischen Analyse des<br />

Kolonialismus, die den Besitz von Kolonien als großen Nutzen für das Heimatland<br />

nachweist. Die SPD hingegen versuchte, die Wähler gegen den Kolonialismus <strong>zu</strong><br />

<strong>gewinnen</strong>, weil "wir, in den deutschen Kolonien keine Stärkung, sondern eine<br />

Schwächung Deutschlands [sehen]." 36<br />

Vor diesem Hintergrund ergab sich auch eine neue Interpretation des Kolonialismus<br />

überhaupt: "Wir machen einen Unterschied zwischen einer Kolonialpolitik, die <strong>zu</strong> den<br />

fremden, tieferstehenden Völkern kommt, um sie in ehrlicher Weise <strong>zu</strong> erziehen, sie <strong>zu</strong><br />

lehren, die Schätze ihres Bodens für ihren und der ganzen Menschheit Vorteil <strong>zu</strong> heben<br />

und aus<strong>zu</strong>nutzen und ihnen alle Errungenschaften der Kultur in der ihrem Wesen<br />

entsprechenden Weise <strong>zu</strong><strong>zu</strong>führen, und jener Kolonialpolitik, die auf Unterdrückung,<br />

Ausbeutung oder gar Ausrottung der Eingeborenen abzielt, in denen wir trotz ihres viel<br />

tieferen Kultur<strong>zu</strong>standes immer noch den Menschen sehen, der menschlich behandelt<br />

werden muß." 37<br />

Diese Erklärung ist von einem Geist erfüllt, der in völligem Widerspruch <strong>zu</strong> allen<br />

offiziellen Erklärungen der sozialistischen Internationale und im Widerspruch <strong>zu</strong>r<br />

Theorie des Sozialismus überhaupt steht. Die Einteilung in Menschen mit "höherem"<br />

und "tieferem" Kulturgehalt ist für eine Bewegung, die "Proletarier aller Länder<br />

vereinigt euch" auf ihre Fahnen geschrieben hat, nicht denkbar.<br />

<strong>Eine</strong> ähnliche Diskussion entwickelte sich um den sogenannten "Panthersprung nach<br />

Agadir", wo die deutsche Regierung ihre imperialistische Politik in Marokko<br />

verdeutlichte. Auch hier zögerte die SPD lange und gab dann zweifelhafte Erklärungen<br />

ab, auf die ich hier aber nicht eingehen kann. 38<br />

35<br />

36<br />

37<br />

38<br />

An die Wähler! Aufruf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom 14.Dezember 1906 <strong>zu</strong><br />

den Reichtagswahlen; in: Vorwärts Nr.293 vom 16.Dezember 1906; Zitiert nach: Dokumente und<br />

Materialien <strong>zu</strong>r Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung; Berlin/DDR 1967; Bd.4, S.199-205,<br />

hier S.202.<br />

ebd; S.203.<br />

ebd; S.203.<br />

Vgl. die Erklärungen des Parteivorstandes der SPD <strong>zu</strong>r Marokkokrise; in: Dokumente 1967; Bd.4,<br />

S.355/6; bzw. ein Flugblatt des Parteivorstandes der SPD; ebd.; S.356-361. Diese Materialien<br />

kritisierte Rosa Luxemburg in verschiedenen Artikeln, vgl.: Luxemburg Werke; Bd.3, S.5-36.

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