Eine Welt zu gewinnen! - Dr. Kai Schmidt-Soltau

- Sie analysierten den Platz der kolonialen und abhängigen Völker in der
Geschichte und entwickelten daraus die Vorstellung, daß deren Befreiung und freie
Entwicklung untrennbar mit dem Kampf und Sieg der Proletarier in den Metropolen
verbunden ist. 18
Marx und Engels haben als leidenschaftliche Internationalisten niemals in den Grenzen
eines Landes oder Kontinentes gedacht. 19 Sie gingen davon aus, daß der Kapitalismus
als internationale Erscheinung nur durch die gemeinsame Anstrengung aller Gegner von
Ausbeutung und Unterdrückung weltweit geschlagen werden könne. Deswegen
bekämpften sie zeitlebens mit aller Kraft das Aufkommen von Nationalismus in der
Arbeiterbewegung. Statt sich mit den nationalen Bourgeoisien zu verbünden, um so am
Gewinn der Kolonien zu partizipieren, sollten sich die Arbeiter mit den in den Kolonien
Unterdrückten zusammenschließen, da "eine Nation nicht frei werden und zugleich
fortfahren [kann], andere Nationen zu unterdrücken" 20 . Nach Marx und Engels war das
erste Ziel des Kampfes in den Kolonien die Errichtung der nationalen Unabhängigkeit,
worauf dann eine soziale Revolution folgen müsse. 21
Ob die zweite Internationale, an deren Gründung Engels noch regen Anteil nahm,
diesem Anspruch gerecht wurde, wird im nächsten Abschnitt untersucht.
3.2. Anspruch und Realität des proletarischen Internationalismus in der
zweiten Internationale
Am hundertsten Jahrestag der Einnahme der Bastille, also am 14.Juli 1889, kamen in
Paris Delegierte aus zwanzig Ländern zu einem Internationalen Sozialistischen Kongreß
zusammen, auf dem sich dann die zweite sozialistische Internationale konstituierte 22 .
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Vgl. z.B. MEW; Bd.4, S.416: "Der Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie ist zugleich der Sieg
über die nationalen und industriellen Konflikte, die heutzutage die verschiedenen Völker feindlich
einander gegenüberstellen. Der Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie ist darum zugleich das
Befreiungssignal aller unterdrückten Nationen."
Wenn sie auch durch ihre Zeit geprägt die Bedeutung Europas sehr hoch, vielleicht zu hoch
einschätzten: "Meiner [Engels - KSS] Ansicht nach werden die eigentlichen Kolonien, d.h. die von
europäischer Bevölkerung besetzten Länder, Kanada, Kap, Australien alle selbständig werden;
dagegen die bloß beherrschten, von Eingebornen bevölkerten Länder, Indien, Algerien, die
holländischen, portugiesischen und spanischen Besitzungen, vom Proletariat [nach der Revolution
in Europa - KSS] vorläufig übernommen werden und so rasch wie möglich der Selbständigkeit
entgegengeführt werden. Wie sich dieser Prozeß entwickeln wird, ist schwer zu sagen, Indien
macht vielleicht Revolution, sogar sehr wahrscheinlich, und da das sich befreiende Proletariat
keine Kolonialkriege führen kann, würde man es gewähren lassen müssen, wobei es natürlich nicht
ohne allerhand Zerstörung abgehn würde, aber dergleichen ist eben von allen Revolutionen
unzertrennlich. [357/358 ...] Ist Europa erst [nach der Revolution - KSS] reorganisiert und
Nordamerika, so gibt das eine so kolossale Macht und ein solches Exempel, daß die
halbzivilisierten Länder ganz von selbst ins Schlepptau kommen; [...] Nur das eine ist sicher: das
siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendwelche Beglückung aufzwingen, ohne
damit seinen eignen Sieg zu untergraben" [MEW; Bd.35, S.257/358]. Eine hochinteressante
Analyse dieses Problems liefert: Kim, Se-Yeon; Karl Marx und die nichteuropäischen
Gesellschaften; Frankfurt/Main 1993.
MEW; Bd.4, S.417.
Vgl. z.B.: MEW; Bd.31, S.400: "Was die Irländer brauchen, ist: 1.Selbstregierung und
Unabhängigkeit von England. 2.Agrarische Revolution. [...] 3.Schutzzölle gegen England."
Protokoll des Internationalen Arbeiter-Kongresses zu Paris - Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889
-; Nürnberg 1890.
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