Eine Welt zu gewinnen! - Dr. Kai Schmidt-Soltau
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Dies ist die größte Tat Lenins, auf die ich an diesem Eröffnungstage des Kongresses der<br />
Kommunistischen Internationale die Aufmerksamkeit <strong>zu</strong> lenken wünsche, und während<br />
wir uns ungeheuren Schwierigkeiten gegenübergestellt sehen, die wir überwinden<br />
müssen, um <strong>zu</strong>m endgültigen Sieg <strong>zu</strong> gelangen, werden wir eingedenk dieser Lehre<br />
Lenins vorgehen müssen." 492<br />
Auch auf diesem Kongreß fand die Kolonialdebatte erst gegen Ende der Tagung statt. In<br />
der zwanzigsten Sit<strong>zu</strong>ng [30.6.24] eröffnete der Sowjetrusse Manuilski die Debatte, die<br />
diesmal sowohl die Kolonial- als auch die Nationalfrage behandeln sollte. Mit dieser<br />
Aufgabenstellung wurden von vornherein gewisse Irritationen geschaffen und eine<br />
wenig homogene Debatte provoziert. Manuilski kam in seinem Einleitungsreferat <strong>zu</strong><br />
dem Schluß, daß sich die Thesen des II.<strong>Welt</strong>kongresses "durch den gesamten<br />
Entwicklungsgang in Europa und den Kolonien bestätigt" hatten und daß "in letzter Zeit<br />
ein gewaltiges Anwachsen der nationalen und der revolutionären Bewegung in den<br />
Kolonien" <strong>zu</strong> konstatieren sei. 493 Interessant ist hier, daß er mit keinem Wort auf die<br />
weniger euphorischen Thesen des IV.<strong>Welt</strong>kongresses <strong>zu</strong> sprechen kam, sondern nur auf<br />
die Thesen des II.<strong>Welt</strong>kongresses einging und dort auch nur auf die von Lenin<br />
entwickelten Thesen, aber nicht auf die ebenfalls vom Kongreß gebilligten<br />
Ergän<strong>zu</strong>ngsthesen Roys. Dieser Ausblendung der Theorien und des Wirkens Roys setzte<br />
er die Krone auf, als er erklärte: "Wir haben die nationale Frage auf dem 5.<strong>Welt</strong>kongreß<br />
aus drei Gründen auf die Tagesordnung gesetzt. Der erste besteht darin, daß wir auf dem<br />
2.Kongreß <strong>zu</strong>m ersten Male auf die reiche Erfahrung der russischen Lenin-Stalinschen<br />
Schule in be<strong>zu</strong>g auf die Behandlung der nationalen Frage gegründet, die Idee der<br />
revolutionären Einheitsfront zwischen dem Proletariat, den unterdrückten Völkern und<br />
den Kolonien verkündet haben." 494<br />
Hier wurde der Paradigmenwechsel in eindrucksvoller Weise vollzogen. Stalin sollte als<br />
Partner Lenins in das Bewußtsein der Kommunisten eingehen und so Stalins Autorität<br />
gesteigert werden, um gegen den realen Partner Lenins in den ersten Jahren der<br />
Sowjetmacht, Trotzki, vorgehen <strong>zu</strong> können. Denn der V.<strong>Welt</strong>kongreß fand statt,<br />
während in der russischen Partei die Entscheidungsschlacht zwischen Stalin, Bucharin<br />
und Sinowjew auf der einen und Trotzki auf der anderen Seite tobte. 495 Von einer<br />
"Lenin-Stalinschen Schule" kann in be<strong>zu</strong>g auf die Thesen <strong>zu</strong>r Kolonialfrage, wie oben<br />
gezeigt, in keinster Weise gesprochen werden. Stalin war 1920 noch ein ganz kleines<br />
Licht und nicht einmal anwesend, als die Thesen erarbeitet wurden.<br />
492<br />
493<br />
494<br />
495<br />
ebd.; S.39.<br />
ebd.; S.620.<br />
ebd.; S.622.<br />
Trotzki war zwar auf dem V.<strong>Welt</strong>kongreß <strong>zu</strong>gegen und wurde auch stürmisch begrüßt: "In diesem<br />
Augenblick erscheint Genosse Trotzki auf der Tribüne. Er wird von den Anwesenden stürmisch<br />
begrüßt. Zurufe: Es lebe die rote Armee, hurra" [InPreKorr Nr.74 24.6.24, S.908]. Das ZK der<br />
KPdSU hatte jedoch beschlossen, auf dem <strong>Welt</strong>kongreß geschlossen auf<strong>zu</strong>treten, und somit hätte<br />
Trotzki, wenn er eine Rede gehalten hätte, keine Kritik an der stalinschen Politik äußern dürfen,<br />
sondern diese feiern müssen, worauf er lieber verzichtete. Vgl.: Trotzki und die Komintern (1923-<br />
1927); in: Watlin, Alexander; Die Komintern 1919-1929; Mainz 1993; S.83-103, vor allem<br />
S.86/87. Vgl. für die Diskussionen in der KPdSU: Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-<br />
1928 (Hrg. Wolter, Ulf); Bd.1-5; Westberlin 1976.