16.3.4 Ausschluss von Gerinnungs- störungen - Schattauer
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16.3 Regionalanästhesie verfahren<br />
391<br />
<strong>16.3.4</strong> <strong>Ausschluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerinnungs</strong><strong>störungen</strong><br />
Beurteilung der <strong>Gerinnungs</strong>parameter<br />
Vor einer (rückenmarksnahen) Regionalanästhesie sind laborchemische<br />
Untersuchungen der <strong>Gerinnungs</strong>parameter<br />
nur dann zwingend notwendig, wenn sich anamnestisch<br />
oder anhand der klinischen Untersuchung bzw. der vorliegenden<br />
Unterlagen Hinweise auf eine Blutungsneigung<br />
ergeben (Wulf 1995; Thöns u. Zenz 1997; Leitlinien 2006;<br />
vgl. Kap. 2.3.1, S. 13). Zur anamnestischen Abklärung einer<br />
evtl. Blutungsneigung sollten die in Tabelle 16.2 aufgelisteten<br />
Fragen geklärt werden.<br />
Auch wenn kein Hinweis auf eine Blutungsneigung<br />
eruierbar ist, werden bisher noch in vielen Kliniken routinemäßig<br />
Quick-Wert (bzw. INR-Wert), PTT und Thrombozytenzahl<br />
ermittelt. Da der Quick-Wert je nach Labor<br />
bzw. Testkit sehr unterschiedlich ausfallen kann, wird<br />
inzwischen – wie <strong>von</strong> der WHO gefordert – anstatt des<br />
Quick-Werts zumeist die INR (»international normalized<br />
ratio«) bestimmt (Normalwert: 0,85–1,15). INR-Werte unterliegen<br />
also im Gegensatz zu den Quick-Werten keinen<br />
Schwankungen und sind in allen Labors oder Selbstmessgeräten<br />
(mit denen der Patient eigenständig die Blutgerinnung<br />
kontrollieren kann) vollkommen vergleichbar. Die<br />
INR errechnet sich folgendermaßen:<br />
INR = (Quick-Wert [Test]/Quick-Wert [normal]) ISI<br />
Test = Quick-Wert der zu testenden Probe<br />
Normal = Normalwert<br />
ISI = internationaler Sensitivitätsindex. Dieser ist für jeden<br />
Hersteller oder jede Prothrombinase im Vergleich<br />
zu einer international standardisierten Probe festgelegt<br />
(normalerweise zwischen 1 und 1,4).<br />
Eine INR <strong>von</strong> 1 entspricht einem Quick-Wert <strong>von</strong> 100 %,<br />
eine INR <strong>von</strong> 2 bzw. 3 entspricht einem Quick-Wert <strong>von</strong><br />
ca. 35 bzw. ca. 25 %.<br />
Die <strong>Gerinnungs</strong>parameter sollten bei Durchführung<br />
einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie möglichst<br />
im Normbereich liegen. Oft werden auch noch leichte Abweichungen<br />
vom Normalbereich toleriert (vgl. Tab. 16.3).<br />
Detailwissen: Blutungszeit und<br />
Plättchenfunktionsanalysator<br />
Acetylsalicylsäure (ASS) hemmt die Thrombozytenaggregation irreversibel.<br />
Die Störung wird erst durch Neubildung <strong>von</strong> Thrombozyten<br />
behoben. Die Lebensdauer der Thrombozyten beträgt ca. 7–10 Tage.<br />
(Ein gesundes Knochenmark kann innerhalb <strong>von</strong> 3 Tagen nach Absetzen<br />
<strong>von</strong> ASS ca. 30 % der irreversibel gestörten Thrombozyten<br />
durch neue, funktionstüchtige Thrombozyten ersetzen; s.o.). Eine<br />
Thrombozytenaggregationshemmung ist mit üblichen <strong>Gerinnungs</strong>tests<br />
(Bestimmung <strong>von</strong> Quick-Wert, INR, PTT-Wert, Thrombozytenzahl)<br />
nicht (!) festzustellen. Zur Beurteilung einer Thrombozytenfunktionsstörung<br />
(z.B. aufgrund einer Einnahme <strong>von</strong> ASS oder<br />
eines nicht steroidalen Antirheumatikums) wurde wiederholt die<br />
Bestimmung der In-vivo-Blutungszeit empfohlen.<br />
• Die Bestimmung der sog. subaqualen Blutungszeit wird inzwischen<br />
als obsolet betrachtet. Hierbei wurde z.B. die Fingerkuppe<br />
punktiert und der Finger anschließend in Wasser getaucht. Bestimmt<br />
wurde die Zeit, bis der unter Wasser (subaqual) abfließende<br />
Blutfaden abriss, die Blutung also zum Stillstand kam. Da<br />
der Test kaum standardisierbar ist und auch keine verbindlichen<br />
Norm- und Grenzwerte anzugeben sind, kann er nicht mehr<br />
empfohlen werden.<br />
• Die sog. Blutungszeit nach Ivy ist ein sensitiverer Test, vorausgesetzt,<br />
er wird äußerst sorgfältig nach einer standardisierten<br />
Methode (z.B. Surgycut-Set) durchgeführt (definierter Schnitt,<br />
1 mm tief, 7 mm lang, Unterarminnenseite, Blut <strong>von</strong> der Seite mit<br />
Fließpapier wegtupfen bis zum Stillstand der Blutung).<br />
Der Stellenwert der Blutungszeit ist weiterhin umstritten, da sichere<br />
Grenzwerte für eine erhöhte Blutungsneigung nicht verbindlich definiert<br />
sind. Eine Blutungszeit bis 7 Minuten wird oft als normal angegeben<br />
(dennoch zeigt die Erfahrung, dass erst ab stark verlängerten<br />
Zeiten <strong>von</strong> 15 Minuten und mehr mit einer verstärkten chirurgischen<br />
Blutung zu rechnen ist).<br />
Seit etlichen Jahren steht ein Gerät (Plättchenfunktionsanalysator;<br />
PFA-100 TM ) zur Verfügung, mit dem ein Globaltest möglich<br />
ist, der der In-vitro-Blutungszeit (s.o.) entspricht und der die Invivo-Blutungszeit<br />
ersetzen kann (Übersicht bei Kretschmer 1997;<br />
Kretschmer u. Weippert-Kretschmer 1999). In den PFA-100 TM wird<br />
eine mit Citrat versetzte Vollblutprobe gegeben. In dem PFA-100 TM<br />
fließt ein Blutstrom durch eine entweder mit Kollagen-Adrenalinbzw.<br />
Kollagen-ADP-beschichtete Membranöffnung. Es wird die Zeit<br />
gemessen, bis die Membranöffnung durch einen Thrombozytenpfropf<br />
verschlossen ist (sog. Verschlusszeit). Eine Thrombo zytenfunk<br />
tions störung (z.B. durch Acetylsalicylsäure) führt zu einer Verlängerung<br />
der Verschlusszeit in der Kollagen-Adrenalin-Messzelle.<br />
Mit dem PFA-100 TM- Gerät ist die In-vitro-Blutungszeit messbar.<br />
Diese Methode ist zuverlässiger als die herkömmliche Bestimmung<br />
der In-vivo-Blutungszeit. Ist die Verschlusszeit pathologisch, kann<br />
ein Desmopressin-Test durchgeführt werden (Latza et al. 1999; s.u.).<br />
Bei einem Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom ist die Verschlusszeit<br />
sowohl in der Kollagen-Adrenalin- als auch in der Kollagen-ADP-<br />
Messzelle verlängert.<br />
Durch perioperative Gabe <strong>von</strong> Desmopressin (1-Desamino-8-darginino-vasopressin,<br />
DDAVP; Minirin ® ; 0,3–0,4 μg/kg KG über<br />
ca. 30 Minuten; ggf. Wiederholungsdosis) kann eine durch ASS oder<br />
durch nicht steroidale Antirheumatika induzierte Thrombopathie<br />
aufgehoben werden. Eine Dosierung <strong>von</strong> 0,3 μg/kg KG alle 12 Stunden<br />
über 5 Tage wurde als hoch wirksam beschrieben (Koscielny et<br />
al. 1996). Der Wirkungsmechanismus ist jedoch nicht vollkommen<br />
geklärt (Lethagen 1997). Die Wirkung der Desmopressin-Gabe kann<br />
mittels PFA-Test (s.o.) überprüft werden.<br />
Eine durch Thienopyridine (z.B. Clopidogrel, Plavix ® ) verursachte<br />
Störung der Thrombozytenaggregation kann mittels Plättchenfunktionsanalysator<br />
nicht (!) erfasst werden.<br />
Lokal- und<br />
Regionalanästhesie
392 16 Lokal- und Regionalanästhesieverfahren sowie Durchführung einer evtl. zusätzlichen Analgosedierung<br />
Tab. 16.2 Fragebogen zur präoperativen Erhebung der Blutungsanamnese (nach Pfanner et al. 2007).<br />
Lokal- und<br />
Regionalanästhesie<br />
Bitte Zutreffendes ankreuzen, unterstreichen<br />
bzw. ergänzen:<br />
0 Ist bei Ihnen jemals eine Blutgerinnungsstörung oder<br />
Thrombose festgestellt worden?<br />
Beobachten Sie folgende Blutungsarten – auch ohne erkennbaren<br />
Grund?<br />
1a<br />
1b<br />
Nasenbluten<br />
(ohne andere Ursachen wie Schnupfen, trockene Luft,<br />
starkes Naseputzen etc.)<br />
blaue Flecken oder punktförmige Blutungen<br />
(auch am Körperstamm, auch ohne sich anzustoßen)<br />
Nein Ja Zusatzfragen und Notizen<br />
des Arztes:<br />
Wenn Ja<br />
Dia gnose erfragen 2<br />
• immer schon<br />
2<br />
• nur saisonal<br />
3<br />
• HNO-Befund vorhanden<br />
• bei Medikamenten einnahme<br />
1<br />
• arterielle Hypertonie<br />
4<br />
• unfallträchtige Tätigkeiten<br />
0<br />
• immer schon<br />
2<br />
• bei Medikamenten einnahme<br />
1<br />
1c Gelenkblutungen, Blutungen in Weichteile oder Muskeln 2<br />
2 Beobachten Sie bei Schnittwunden und/oder<br />
Schürfwunden ein längeres Nachbluten?<br />
3 Gab es in ihrer Vorgeschichte längeres und/oder<br />
verstärktes Nachbluten beim Zahnziehen?<br />
4 Gab es in ihrer Vorgeschichte verstärkte Blutungen<br />
während oder nach Operationen?<br />
• über 5 Minuten<br />
2<br />
• typische Verletzungen, Nassrasur 2<br />
• bei Medikamenten einnahme<br />
1<br />
• über 5 Minuten<br />
2<br />
• war Nachbehandlung nötig<br />
2<br />
• bei Medikamenten einnahme<br />
1<br />
• welche Operationen<br />
5<br />
• war die Blutungen tatsächlich über<br />
der Norm<br />
5 Heilen ihre Wunden schlecht ab? • lange nässend, klaffend<br />
2<br />
6 Gab oder gibt es in ihrer Familie (Blutsverwandtschaft)<br />
Fälle <strong>von</strong> Blutungsneigung?<br />
7a<br />
7b<br />
Nehmen oder nahmen Sie in letzter Zeit Medikamente<br />
zur Blutverdünnung ein? (z.B. Sintrom ® , Marcumar ® ,<br />
Plavix ® , Tiklyd ® , Thrombo-ASS ® , HerzASS-ratiopharm ® ,<br />
Colfarit ® )?<br />
Nehmen Sie Schmerz- oder Rheumamittel ein, auch frei<br />
verkäufliche (nicht vom Arzt verordnete)? (z.B. Aspirin ® ,<br />
Thomapyrin ® , Voltaren ® , Proxen ® , Seractil ® , Xefo ® )<br />
8 Zusatzfrage an Patientinnen: Sind ihre Monatsblutungen<br />
verlängert (> 7 Tage) und/oder verstärkt (häufiger<br />
Binden- oder Tamponwechsel)?<br />
• Vereitern<br />
2<br />
• Kelloidbildung<br />
2<br />
• Verwandtschaftsgrad<br />
• Dia gnose bekannt<br />
2<br />
• Blutungsneigung seit<br />
Medikamenteneinnahme<br />
<br />
<br />
• seit Menarche<br />
2<br />
5<br />
2<br />
2<br />
4<br />
6<br />
Konsequenzen: 0 = keine, 1 = Medikamentenanamnese, 2 = Konsultation: <strong>Gerinnungs</strong>team, 3 = Konsultation: Facharzt für HNO, 4 = Konsultation:<br />
Internist, 5 = Befundaushebung, 6 = Konsultation: Internist/Chirurg und evtl. Karenz und Bridging<br />
Datum: …………………………….<br />
Unterschrift des/der Untersucher/in ………………………………