Heft 3 - Sauerländer Heimatbund e.V.
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Sauerländer <strong>Heimatbund</strong><br />
SAUERLAND<br />
Pralat Josef Kayser 90 Jahre<br />
Deutsche Geschichte im Spiegel eines bewegten Lebens<br />
Dr. Erika Richter<br />
Ein deutsches Priesterleben im 20.<br />
Jahrhundert - das ist wohl in keinem Fall<br />
ein besciiauliches Seelengluck in der<br />
Gottgeborgeniieit. Seiten verdiciiten sicii<br />
aber in einer Biograplnie die untersctiiedlichen<br />
Stromungen, Konfiikte und Katastropiien<br />
unseres Sakulums so anscliaulicii,<br />
wie in der des 1895 in Sciimallenberg<br />
geborenen Geistliclien Josef Kayser, der<br />
am 22. November dieses Jalires seinen<br />
90. Geburtstag feiern kann.<br />
Als der ISjainrige Fabrikantensotin sicii<br />
Ostern 1914 mit seinen Attendorner Mitschiilern<br />
fiir das obligate Erinnerungspiioto<br />
der Abiturientia postierte, sciiien<br />
die willielminisciie Welt noch in Ordnung.<br />
Der Linse des Kleinstadt-Photographen<br />
prasentierten sich 17 gravitatisch dreinschauende<br />
Jungmanner in steifem Kragen<br />
und strammer Haltung samt dem<br />
wiirdevollen Ordinarius, einem Major der<br />
Reserve, als eine sauerlandische Elite dieser<br />
Zeit. Soil man es als symbolisch<br />
empfinden, daB Josef Kayser der diistere<br />
Links-AuBen ist? In einem kurzen, Jahrzehnte<br />
spater entworfenen Lebenslauf<br />
berichtet er, daB er schon als Gymnasiast<br />
von den religiosen und sozialen Ideen des<br />
schwungvollen und unkonventionellen<br />
Dr. Carl Sonnenschein gepackt war. Dieser<br />
katholisclie Priester schrieb und agitierte<br />
damals im Rahmen des „Volksvereins<br />
fiir das katholische Deutschland", in<br />
dessen Zentrale bekanntlich der bedeutende<br />
Sauerlander August Pieper eine<br />
entsctieidende Rolle spielte. Sonnenscheins<br />
Bemiihungen galten vor allem<br />
den der Kirche entfremdeten Arbeiterschichten<br />
und Akademikern. Schon<br />
erwog Josef Kayer einen Beruf, in dem er<br />
seine sozialen und religiosen Neigungen<br />
verwirkliclien konnte. Aber der Vater,<br />
Textilfabrikant in Schmallenberg, hatte<br />
mit dem einzigen Sohn neben vier Tochtern<br />
andere Plane.<br />
Der Kriegsausbruch verschob eine Entscheidung.<br />
Seibstverstandlich meldete<br />
sich der junge Sauerlander wie viele seiner<br />
Altersgenossen freiwillig und kampfte<br />
im Osten und in Frankreich, wurde<br />
mehrfach verwundet und erlebte als<br />
Kompaniefiihrer 1918, wie die scheinbar<br />
festgefugte Welt des Kaiserreichs zerbrach.<br />
Der junge Leutnant der Reserve<br />
wurde Bergmann im Ruhrgebiet, arbeitete<br />
aber auch in Kali-Zechen in Mitteldeutschland,<br />
im Olschacht Heide/Hoistein<br />
und in den Schwefelkiesgruben in<br />
Abiturientia Ostern 1914 / Attendorn<br />
Meggen im Sauerland. Neben der praktischen<br />
Tatigkeit studierte er Bergbauwissenschaft<br />
in Clausthal-Zellerfeld im Harz<br />
und in Berlin. 1924 machte er dort sein<br />
Examen als Diplom-Bergingenieur. Es<br />
war charakteristisch fiir ihn, daB er in<br />
Berlin zum engsten Kern des Sonnenschein-Zirkels<br />
stieB, da Dr. Sonnenschein<br />
mittlerweile unter den Katholiken der<br />
Reichshauptstadt und auch iiber ihre<br />
Kreise hinausstrahlend eine breite Wirksamkeit<br />
entfaltet hatte. So ist es nicht<br />
ganz uberraschend, daB Josef Kaysers<br />
Neigung zum geistlichen Stand die bis ins<br />
hohe Alter gebliebene Passion fiir die<br />
Geologie zuriickdrangte. 1926 entschloB<br />
er sich zum Theologiestudium in Paderborn.<br />
Hier wurde er am 15. Marz 1931 zum<br />
Priester geweiht.<br />
Der Lagerkaplan<br />
Inzwischen hatte die in Amerika ausgebrochene<br />
Weltwirtschaftskrise mit ihren<br />
verheerenden Auswirkungen Deutschland<br />
erreicht. Auftragsriickgange in der<br />
Industrie, Konkurse groBer und kleiner<br />
Firmen, Entlassungen der Arbeitnehmer,<br />
dazu der rigorose Sparkurs des Reichskanzlers<br />
Briining fiihrten bei den steil<br />
ansteigenden Arbeitslosenmassen zu<br />
heute unvorstellbarer wirtschaftlicher<br />
Not. Erbitterte Auseinandersetzungen in<br />
der immer wirrer werdenden Parteienszene<br />
wegen der Wirtschaftsmisere, dazu<br />
die wilden Kontroversen iiber die richtige<br />
deutsche AuBenpolitik nach dem<br />
verlorenen Krieg weckten in der verunsicherten,<br />
an obrigkeitliche Leitung gewohnten<br />
Bevolkerung eine tiefe Sehnsucht<br />
nach einem Ende der Zerrissenheit<br />
und neuer deutscher Harmonie. Der Begriff<br />
der „Volksgemeinschaft" - in der NS-<br />
Zeit dann vollig korrumpiert - war ein<br />
Kultwort in der Spatphase der Weimarer<br />
Republik. Aber auch andere Beschworungsformeln<br />
und Idealvorstellungen<br />
feierten zumindest verbale Triumphe:<br />
Arbeit als Ehrendienst fiir das deutsche<br />
Volk - deutsche Seele und deutsche<br />
Scholle - deutsches Bauerntum als Jungbrunnen<br />
der Nation ... die Aufzahlung<br />
lieBe sich beliebig fortsetzen.<br />
Solche gefuhlstrachtigen Formulierungen,<br />
die man nach dem MiBbrauch im<br />
Dritten Reich kaum noch unbefangen<br />
verwenden kann, finden sich zuhauf in<br />
den zeitgenossischen Broschuren, die<br />
neue Losungsformen in der volkischen<br />
Zerrissenheit propagieren: z.B. „Volkslager"<br />
unter Beteiligung aller Klassen und<br />
Stande oder „Arbeitslager" auf freiwilliger<br />
Grundlage. In den Notgebieten Schlesiens<br />
waren sie durch den Grafen Moltke<br />
aus Kreisau und seinen geistigen Mitstreiter<br />
Prof. Eugen Rosenstock bereits<br />
seit 1928 eingerichtet worden. 1931 wird<br />
die Idee eines „Feiwilligen Arbeitsdienstes"<br />
mit dem Ziel, den Erwerbslosen eine<br />
sinnvolle Tatigkeit bei der AufschlieBung<br />
von kulturfahigem Odland zu ermoglichen,<br />
auch in Ostwestfalen aufgegriffen.<br />
Der Nationalsozialismus hat mit der<br />
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