Heft 3 - SauerlÃ¤nder Heimatbund e.V.

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Sauerländer Heimatbund SAUERLAND 73 der Verlassenheit, den Hijtem der Ordnung, die in alien Landern auf denTyp des mittellosen Asoziaien gieich reagieren und iiin gem einsperren, wenn es geiit. Aus einschlagigen Erfahrungen schrieb Helwig spater dariiber einen „Knigge fur Knast". Dennoch fiat er die Herkunft aus burgerlichem iVIiiieu - sein Vater war Kunstmaier in Beriin (dort wurde er 1905 geboren) - nie verieugnen konnen, so seiir sein Dasein auch den Protest gegen ailes BiidungsbCirgertum ausdriickte. Vieles aus diesen f ruhen Jahren deutet noch auf den Wandervogei iiin, auf einen heftigjugendbewegten Absclinitt seiner Vergangenheit Er spracti gerne von der Burg im Hunsriick, der Waldeck, wo er iange lebte. Und die jungen Nerotiier spreclien noch iieute mit Bewunderung von ihrem Burgpoeten. Viele Lieder liat er fur sie geschrieben und komponiert. Sie werden gesungen, niclit nur von Nerothern. Die Gitarre gehorte zu ihm. Er konnte auf ihir seltsame und markige Tone anschlagen, wenn er russisclie, tunesisclie, bosnisclie Volkslieder und Gassenliauer sang und unter Anschlag sclirilier MiStone aus Brechts ..Hauspostille" psalmodierte. Manche nannten ihn deshalb gem einen Vaganten. Doch sclimeckt das zu seiir nach Mittelalter und Spielmann. Er aber war ein iVIenscli dieses Jahrhunderts. War er ein Tramp? Dann aber mu6 man wissen, daS er jaiirelang Daublers „Nordliciit" im Brotbeutel mit sicin trug und gern uber die dunkelsten Ausspruche Heraklits meditierte. Gerade hiat er in Capri ein Haus gefunden, dort Japanverse iibertragen und war den iViythen der Hopi-indianer naciigegangen, da reiste er sciion wieder, fuhr uber Bornholm, wo er den Dicliter-Freund Hans Henny Jahnn besuctite. nach Island, kehrte iiber London, Paris und Rom zuruck und schrieb das ..Islandische Kajutenbuch", schrieb es wie eine mannliche Fee. Jetzt konnte er beides: Norden und Suden verkoppeln. Goring kam zu Besuch nach Capri. Axel Munthe wollte ihm San Michele verkaufen. Werner Helwig hatte den guten Instinkt zu verschwinden. Und dann kam der Krieg. Ich vermute, daS Helwig, der viel mehr Anstrengungen, Gefahrnisse und Exi- Mit der Scharfe sines Kristalls sich in den Raum einschneiden darin das eigene Sein verwirklichen mit Handen, ieicht wie eines Vogels Schwinge das Schwerste leisten: den Plug. In den prazisen Formen der Unbestimmtheit, wie ein Gedicht, das sein eigenes Ende noch nicht kennt. Denn unser Zeichnen gilt vom friihesten bis zum spatesten Zug immer nur der einen Gestaltung, wieviel Blatter das auch sein mogen und wir kennen ihr letztes Ansehen nicht, da es sich voilzog mit unserem letzten AtemstoB. Wir sterben nicht, nur die Widerstande fallen weg sie, die dem Ich Profil gaben. Danach stimmen wir wieder mit dem Raum uberein: das Erbe, aus dem wir kamen. Werner Helwig stenzbedrohungen hinter sich gebracht hatte als die meisten, fur sich personlich den Krieg weniger fijrchtete als den Kommi6. Den aber furchtete er uber die MaBen. Die Phobie, die ihn schon beim Anblick eines Gendarmen oderZollbeamten ergriff, ist mir oft aufgefallen, und der Gedanke an erzwungene Einordnung kam fur ihn der Vorstellung vom Zuchthaus gieich. Er blieb also drauBen, setzte sich in der Schweiz, dann in Liechtenstein fest Es war, als wenn ein Seeadler sich auf einer Wascheleine niederlassen wollte. Und damit die Drehung um 180 Grad voll werde, heiratete er, eine Frau sehr franzosischen Wesens. Sie machte ihn seBhaft. Von 1950 an lebte er mit ihr in Genf. Zwar verlor er nicht die Reiselust, aber der Hang zum abenteuerlichen Schweifen verlagerte sich auf die Leidenschaft zu ausschweifender LektiJre. Eine monstrose Belesenheit begann ihn auszuzeichnen und schlug sich jahrzehntelang in zahlreichen Buchrezensionen nieder. DaB Werner Helwig zu den exemplarischen Gestalten unseres Jahrhunderts gehort, darf man heute sagen. Er war einer der letzten Uberlebenden der Vaga- bunden- und Wikinger-Generation und mit seinem universellen Wissen einer der letzten hommes de lettres. Damit gehorte er einer aussterbenden Basse an. „lch bin einer der letzten von etwas, was es nie wieder geben wird", schrieb er. Helwig hat es nie verstanden, sich gebuhrend in Szene zu setzen. Prominenz hat ihn nicht iiberzeugt. So stand er, selbstverstandlich, nie im Mittelpunkt der Offentlichkeit, nie dort, wo man seine Kollegen, die Romanciers, die Lyriker oder Literaturkritiker antreffen konnte. Er blieb fur sich - souveran im Abseits. KompromiBlos. Konsequent Unbestechiich. Freiheit und die Selbstbestimmung seines Lebensraumes galten ihm mehr als der Ruhm. Als er 73 Jahre alt geworden war, starb seine Frau Yvonne, deren kleines Aschesackchen ich zu ihm in den Sarg legte. Sie war nicht gem getrennt von ihm. Fiir sie schrieb er sein letztes Buch: „Totenklage". Er schrieb es aus der Hohe eines denkend und schreibend verbrachten Lebens. Es ist das Bekenntnis eines Liebenden, ist die Reflexion uber das Weiterleben nach dem Tod, ist die genau beobachtete Selbsterfahrung eines Trauemden. „Totenklage" ist nicht nur ein Unikum im Lebenswerk von Werner Helwig, sondern in der deutschen Literatur uberhaupt Das Buch gewinnt dem Tod negativ Leben ab, wie es so sensibel, so schuldbewuBt, so voller Zartheit und Subtilitat des Denkens und Fuhlens, dabei so genau im Ausdruck der unmittelbaren, meistens nur ins Innerste gewendeten Wirklichkeit keinen Vorlaufer hat, keine literarischen Beispiele. Ob es die Kronung seines dichterischen Schaffens war, weiB ich nicht. Manche meinen es. Er selber sagte, als das Buch vor einem Jahr erschien: „Das ist meine Todesanzeige". Er hatte Krebs. Aber er schrieb welter. Ein Gedicht folgte dem anderen. Im Winter erscheinen sie unter dem Titel: „Wann bin ich es mit verloschendem Gesicht". „Was ich zu sagen hatte, steht in meinen Buchern", hat Werner Helwig einmal geschrieben, aber auch: „Was wir, als Gedachtes, in Buchstaben fassen, ist weniger als eine Ritzspur auf dem ungeheuerlichen Block des fur immer Unbegreiflichen. Und auch, was wir als unsere Sprache erfassen und zur Anwendung brin- © Copyright Sauerlander Heimatbund SHB Meschede Sauerlaender Heimatbund
Sauerländer Heimatbund 74 SAUERLAND 300 Jahre Fachwerkhauser in Oberhundem gen, ist dann noch sehr schwankend in seiner Ausdrucksgenauigkeit". Einmal, im frOhen Sommer, war ich in Schmallenberg im Elternhaus, lief unter einem blauen Kinderiiimmei uber den Berg zu iiim, braciite ihm Farn, den er liebte. Icii kniete an seinem Grab, fuiiite die Erde, pflanzte Blumen. icii tat es sciieu, doch lachelte man mir zu. Es war ein wenig schwer zuruckzuiacineln, denn mit diesem Grab teiie icii eine Liebe. die hierher fuiirte, zu einem Platz, zu dem man seit uralten Zeiten die Toten brachte, damals, als man noch wuBte, da6 die Toten starker sind als die Lebenden. Sie alle schauen nach Osten, dorthin, wo die Sonne aufgeht. Es ist nicht Untergang, wohin sie schauen. Kein Stein, kein Kreuz lastet auf ihrem Kopf. Sie schauen auf ihren Namen, in dem sich ihr Wesen verdichtete. Langsam mit den Jahren wird Efeu das Grab uberwachsen, das damals so nackt war, als wir Werner Helwig begruben, mit Blumen, mit Schnee - ihn, den groSen Zauberer der Sprache, den VerfXihrer zu den Abenteuern des Herzens und des Geistes, der aus den Phantasien. den Marchen und Sagen, den groBen Mythen der Volker die Wirklichkeit des Lebens gewann. Gerda Helwig-Heimes Das Golddorf Oberhundem feierte eine Woche den Geburtstag zweier Fachwerkhauser, die vor 300 Jahren gebaut und bezogen wurden. Es sind der Finkenhof in Schwartmecke der Familie des Kirchhundemer Bugermeisters Luster-Haggeney und die „Alte Pastorat", das heutige Stickmuseum der Familie Steinacker. Die Dorfbevolkerung hatte sich mit Hingabe und Freude an diesem Jubilaum beteiligt, wobei sie an einem derFesttage dorfliches Leben vergangener Jahrhunderte mit vielen agierenden Gruppen den staunenden Gasten zeigte. So waren am Gasthof ,.Zu den Linden" drei hessendarmstadtische Soldaten postiert, um die hessische Okkupationsurkunde zu verlesen. Ein Imker, eine Topferin an der Topferscheibe, ein Korbflechter und ein Dorfschmied stellten sich und ihre Arbeit sicherlich ein Ereignis, uber das man nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung iibergehen sollte. Sind sie doch baugeschichtliche Zeugen, die auf ihre Weise iiber das Leben und Wirken langst vergangener Tage zu berichten wissen, Menschengesichtern gleich, in denen sich die Weisheit und Erfahrung eines langen Lebens widerspiegelt Gerade angesichts der Tatsache, daB in unserer so schnellebigen und fortschrittstrunkenen Zeit so manches Fachwerkhaus von historischem Wert ohne sonderliche Kenntnisnahme der Offentlichkeit „wegsaniert" wurde, ist es um so erfreulicher festzustellen, da6 es auch noch positive Beispiele kulturgesellschaftlichen BewuBtseins gibt. Konkret sind damit nicht nur alte Bauten gemeint. die wegen Baufalligkeit abgerissen wurden und in den BQcher von Werner Helwig: Im Buchhandel .Totenklage" / Insel Verlag / 1984 / 24- DM Jsiandisches Kajutenbuch" / Limes Verlaq / 1983 / 24.80 DM .Klange und Schatten" / Nachdichtungenjapanischer Texte / Claassen Verlag / 1972 / ca. 24- DM .Die Parabel vom gestarten Kristall" / Erinnerungen an Hans Henny Jahnn / v. Hase a Koehler Verlaq / 1974 / 12.80 DM ..Raubfischer in Hellas" / Moewig Verlag / 1981 / 7,80 DM Direkt zu beziehen durch Sudmarkverlag Fritsch KG, Goethestr. 3S, 7920 Heidenheim: .Ich Dickicht des Pelion" / 7,80 DM .Die Blaue Blume des Wandervogels" / Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung / 29.- DM .Lapplandstory" / 6,90 DM .Carmina Nerothana" / Lieder von Werner Helwig, mit Noten / 29,80 DM Zu beziehen durch Aldus-Presse Reicheneck, Eifelstr, 22, 7410 Reutlingen: .Grottenspruche" / 198S / Handdruck / 20.- DM Der Finkenhof In Schwartmecke vor. PreuBische Soldaten zogen auf Wache, und ein Nachtwachter sagte die Stunden an. Die bilsteinische Miliz verweiite sich am Lagerfeuer usw. usw. Das ganze Dorf war voller Leben. Bel einem festlichen Abend in der Alten Pastorat trug Ortsvorsteher Karl NOcker seine Forschungen zum Alter und fruheren Aussehen der beiden „Geburtstagshauser" vor. Dabei sagte er: „Wenn zwei alte Fachwerkhauser gemeinsam Geburtstag feiern, ist das Freilichtmuseen in strahlender Schonheit wieder erstanden, sondern auch gerade solche, die heute noch mitten im pulsierenden Leben ihre Aufgabe erfullen und sich der fursorglichen Pflege ihrer Besitzer erfreuen. Der kleine Luftkurort Oberhundem weiB sich glucklich zu schatzen, daB er neben der altehrwurdigen Pfarrkirche und der weithin bekannten historischen Adolfsburg weitere Kleinode beherbergen darf, die sich trotz verheerender SHB Meschede Sauerlaender Heimatbund © Copyright Sauerlander Heimatbund
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