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Heft 3 - Sauerländer Heimatbund e.V.

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Sauerländer <strong>Heimatbund</strong><br />

78<br />

SAUERLAND<br />

Vorstellungen vom Fuhrertum im F.A.D.<br />

Nach Ablehnung des militarischen und<br />

des beamteten Fiihrers kennzeichnete er<br />

den „mutterlichen" Fiihrer als Leitfigur:<br />

Mutterlichkeit mu6 heute das Charakteristikum<br />

des Fuhrers sein und dazu<br />

gehort:<br />

1. Der Fuhrer muS stets das groSte Kreuz<br />

tragen wollen, also nichts fordern. was<br />

er nicht selbst zu leben bereit ist, und<br />

nicht nur im Rausch der ersten Begeisterung.<br />

sondern fort und fort.<br />

2. Der Fuhrer muS bereit sein. seine stets<br />

wechselnde Gefoigschaft freudig als<br />

sein groBtes Kreuz zu tragen."<br />

Spitzbubisch lachelt der fast Neunzigjahrige<br />

noch heute, wenn er das unmittelbare<br />

Ergebnis der Ansprache nennt: 28<br />

Antrage von heiratslustigen jungen Damen.<br />

Die spatere Folge einer derartigen<br />

Interpretation von Fuhrertum und Gefoigschaft<br />

war leicht auszudenken. Als<br />

die Nationalsozialisten die Macht ergriffen<br />

und in wenigen Jahren den Arbeitsdienst<br />

zu einer straff soidatischen<br />

Zwangsorganisation umformten, war<br />

der Kaplan mit den sonderbaren Vorstellungen<br />

von Fuhrertugenden ..untragbar".<br />

Ihm wurde eroffnet, da6 er kein deutsches<br />

Arbeitsdienstlager mehr betreten<br />

diirfe. Heinrich Marx, der das Ende des<br />

konfessionell gepragten Arbeitsdienstes<br />

als unausweichlich ansah, loste das Lager<br />

Staumuhle auf. Die Einrichtung wurde<br />

vom Militar des Truppenubungsplatzes<br />

ubernommen, die von den Mannern<br />

erbauten Sennedorfer Ziele fur Artillerieijbungen.<br />

Josef Kayser kam als Vikar<br />

nach Hoxter.<br />

Fast ist es unnotig zu berichten, daB er<br />

auch dort heimlich eine katholische Jungschar<br />

weiterfuhrte, sich um „rassisch<br />

Verfolgte" kummerte und wegen „organisierter<br />

Zersetzungsarbeit gegen den<br />

Staat" mit der SA immer wieder aneinandergeriet<br />

Als der Wagen fur das KZ<br />

Oranienburg schon bestellt war, wShlte<br />

er nach eigener Darstellung eine andere<br />

Losung. Er meldete sich als Militarseelsorger.<br />

Der Divisionspfarrer<br />

Seine soldatische Vergangenheit hatte<br />

Kayser immer wieder eingeholt. In durren<br />

Worten vermerken es die Personalnotizen<br />

des Generalvikariats: 1935 mit der<br />

Seelsorge im Pionierbataillon Hoxter<br />

beauftragt, seit Juli 1939 zur Disposition<br />

gestellt fiir die Wehrmachtseelsorge, am<br />

1.1.1940 Wehrmachtpfarrer in Brandenburg,<br />

anschlieBend Kriegsdienst und Gefangenschaft.<br />

Kriegsdienst, das bedeutete Pfarrer in<br />

der 76. Infanterie-Division, Durchquerung<br />

der Ukraine, VorstoB bis zur Wolga. Die<br />

Weite der russischen Landschaft und die<br />

Menschen der Ukraine waren ein bewegendes<br />

Eriebnis fur ihn, dem er - wie er es<br />

auch schon vorher bei besonders starken<br />

Eindrucken getan hatte - im Gedicht<br />

Ausdruck verlieh. Nach Gestaltung in Gebet<br />

und Gedicht drangte spater auch die<br />

Erfahrung des Furchtbaren, das im<br />

Herbst 1942 auf ihn wartete: der Kessel<br />

von Stalingrad. Das Inferno der gewaltigen<br />

Schlacht eriebte er bis zum Ende: Kellerlocher<br />

voll Hungernder, Verstiimmelter,<br />

Erfrorener. Eine Kalte, so morderisch,<br />

da3 sich zwischen Wandlung und Kommunion<br />

im MeBwein Eiskliimpchen bildeten.<br />

Massenhaftes Sterben, so auf dem<br />

Hauptverbandsplatz von Bolsche-Rossoschka,<br />

wo er im November 1056 Tote<br />

„beerdigte". Gebete an von den Sanitatern<br />

herangeschafften Bahren, auf denen<br />

vermeintlich Tote plotzlich seine Gebete<br />

fortsetzten. Aufwachen nach einem<br />

Erschopfungsschlaf zwischen 19 Toten in<br />

der als Hauptverbandsplatz eingerichteten<br />

Schweinekolchose. Immer wieder<br />

sagt er, wenn er nach diesen Stalingrad-<br />

Erfahrungen gefragt wird: „Das eigentliche<br />

Stalingrad kann man nicht aussprechen<br />

und nicht beschreiben. Es kann nur<br />

gebetet werden." Immerhin hat er dem<br />

Schriftsteller Heinz Schroter fur sein Stalingrad-Buch<br />

berichtet, was sich im Januar<br />

1943 zutrug, als die Russen auftauchten.<br />

Er rief dem kleinen Trupp, der<br />

sich dem Bunker naherte, auf russisch zu:<br />

„lch bin der Priester, Christus ist im Krieg<br />

auferstanden." Da lieSen die Sibiriaken<br />

die Maschinenpistolen sinken, bekreuzigten<br />

sich: „Wahrhaftig, er ist auferstanden",<br />

und gaben ihm den OsterkuB.<br />

In der Gefangenschaft begann das,<br />

was ein spateres Buch ijber diese Vorgange<br />

„Krieg hinterm Stacheldraht" genannt<br />

hat. Sollten die Deutschen auf das<br />

Angebot der Russen eingehen und sich<br />

im Widerstand gegen Hitler mit ihnen zusammentun?<br />

War das Verrat an der<br />

deutschen Sache oder der Anfang fur ein<br />

besseres Deutschland? Die Offiziere in<br />

den Gefangenenlagern waren tief zer-<br />

stritten in dieser Situation. Kayser entschied<br />

sich schlieSlich dafur, dem Bund<br />

Deutscher Offiziere, der Seydlitzbewegung,<br />

beizutreten. Er uberwand seine nationalen<br />

Bedenken mit der Erklarung:<br />

Ich will einen Anfang machen, daS sich<br />

finde Mensch zu Mensch und Volk zu<br />

Volk. Es lebe die Liebe und die gegenseitige<br />

Hingabe. Es sterbe der HaS und<br />

der Stolz.<br />

Von Lunowo bei Moskau aus, dem Sitz<br />

des Nationalkomitees Freies Deutschland,<br />

mit dem Manner des Bundes zusammenarbeiteten,<br />

wurde der antifaschistische<br />

Widerstand in alien Medien<br />

propagiert. Hier konnte Kayser im Rundfunk<br />

Gottesdienste feiern, hier wurden<br />

auch Flugblatter mit Appellen zum<br />

Kampf gegen Hitler verfaBt.<br />

Im Januar 1944 entdeckte in der Ukraine<br />

ein junger Funker aus der Umgebung<br />

Meschedes ein solches Flugblatt. Kayser<br />

hatte es gut sichtbar an drei Gruppen in<br />

der Heimat adressiert:<br />

Meine Kumpels im Ruhrgebiet!<br />

Meine Sauerlander Landsleute in Schmallenberg!<br />

Meine liebe Gemeinde in Hoxter!<br />

Es ist verstandlich, daB derjunge Deutsche<br />

im russischen Kampfgebiet von der<br />

Anrede „Sauerlander" wie elektrisiert<br />

war und trotz des strengen Verbots,<br />

feindliche Propaganda anzuruhren, das<br />

Flugblatt heimlich an seine Eltern gelangen<br />

lieB. Die Odyssee dieses Blattes und<br />

seine Auswertung durch Mescheder<br />

Gymnasiasten aniaBlich eines Wettbewerbs<br />

zum Thema „Nationalsozialismus"<br />

ist im Jahrbuch 1984 des Gymnasiums<br />

der Stadt Meschede nachzulesen. Dort ist<br />

auch das auf seinem abenteuerlichen<br />

Weg etwas bruchig gewordene Flugblatt<br />

abgebildet, das Kayser in einer Runde neben<br />

Walther v. Seydlitz zeigt. Er appelliert<br />

in dem Text:<br />

als Deutscher:<br />

Macht SchluS mit dem Krieg und<br />

mit Hitler!<br />

als Soldat:<br />

Seid tapfer und kampft fiir die Freiheit<br />

gegen den inneren Feind des deutschen<br />

Volkes, den Nationalsozialismus!<br />

als Priester;<br />

Alles was gegen Eure Uberzeugung ist.<br />

ist Siinde. Nur keine Unterlassungssiinden!<br />

Es gibt heute nur eine Siinde: die<br />

Feigheit! Ihr wiSt, das habe ich immer gepredigt<br />

und tue es auch heute.<br />

SHB Meschede Sauerlaender <strong>Heimatbund</strong><br />

© Copyright Sauerlander <strong>Heimatbund</strong>

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