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Leitthema<br />

Notfall Rettungsmed 2010 · 13:349–356<br />

DOI 10.1007/s10049-009-1271-5<br />

Online publiziert: 22. Juli 2010<br />

© Springer-Verlag 2010<br />

Redaktion<br />

C.K. Lackner, München<br />

M. Rall 1 · C.K. Lackner 2, 3<br />

1<br />

Tübinger Patienten-Sicherheits- und Simulationszentrum (TüPASS), Universitätsklinik<br />

für Anaesthesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Tübingen<br />

2<br />

Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM),<br />

Klinikum der Universität München<br />

3<br />

Human-Simulation-Center, Klinikum der Universität München<br />

Crisis Resource<br />

Management (CRM)<br />

Der Faktor Mensch in der Akutmedizin<br />

Obwohl die akutmedizinische Versorgung<br />

in den deutschsprachigen Ländern<br />

zu den besten der Welt zählt,<br />

kommt es noch viel zu oft zu vermeidbaren<br />

Patientenschäden. Obwohl seit<br />

Langem wissenschaftlich gut belegt<br />

ist, wo die Probleme und Gefahren in<br />

komplexen Organisationen liegen [1],<br />

haben sich diese Erkenntnisse immer<br />

noch nicht bis ans Krankenbett bzw.<br />

die Patiententrage durchgesetzt.<br />

Immer noch liegen etwa 70% der<br />

Ursachen von Zwischenfällen im<br />

Bereich der sog. „Human Factors“<br />

(. Infobox 1) und immer noch werden<br />

Mediziner, Pflegekräfte und<br />

Rettungsassistenten in diesen Dingen<br />

viel zu selten oder überhaupt nicht<br />

ausgebildet [1].<br />

Das Verhalten von Menschen in komplexen<br />

und risikobehafteten Situationen ist<br />

unabhängig vom beruflichen Umfeld immer<br />

ähnlich. So spielt es nur eine untergeordnete<br />

Rolle, ob Zwischenfälle in der<br />

Kernenergie, der Luftfahrt, im Bereich<br />

von Ölbohrinseln oder eben der Akutmedizin<br />

untersucht werden [2, 3]. Das oft bemühte<br />

„menschliche Versagen“ ist in diesem<br />

Kontext eigentlich in keiner Weise<br />

zielführend, denn es beschreibt inhaltlich<br />

nichts, was tatsächlich relevant wäre: Alle<br />

Zwischenfälle sind letztlich durch Menschen<br />

bedingt und auch das oft als Alternative<br />

angeführte „technische Versagen“<br />

ist eigentlich nichts anderes als menschliches<br />

Versagen (hier Fehler in der Konstruktion,<br />

Bau, Wartung oder Anwendung<br />

von Geräten). Außer Naturkatastrophen<br />

sind also alle Unfälle immer letztendlich<br />

„menschliches Versagen“ – das Wort sagt<br />

also nichts aus, beinhaltet lediglich eine<br />

inhärente Anschuldigung von beteiligten<br />

Personen, die oft ihrerseits Opfer des Systems<br />

sind (. Infobox 1).<br />

Außerhalb der Medizin gibt es<br />

viele bewährte Lösungen<br />

Im Bereich der Hochrisiko-Hochsicherheitsindustriebereiche<br />

haben sich seit vielen<br />

Jahrzehnten Programme zur Reduzierung<br />

des Schadenspotenzials durch „Human<br />

Factor“-bedingte Zwischenfälle etabliert<br />

und beständig weiterentwickelt. Ausbildung<br />

und Training in sog. „Crisis Resource<br />

Management“ (CRM)-Programmen<br />

(. Infobox 2) sind dabei ebenso obligater<br />

und regelmäßig wiederholter Bestandteil<br />

der Ausbildung, wie das Simulations-Team-Training<br />

unter realitätsnahen<br />

Bedingungen. Viele dieser Programme gelten<br />

bei Betreibern und Mitarbeitern über<br />

alle Hierarchestufen hinweg als unverzichtbar<br />

für die Sicherheit [4–11]. Zudem gibt es<br />

zahlreiche gesetzliche Vorschriften dazu<br />

(z. B. müssen alle Piloten in Deutschland<br />

mindestens zweimal im Jahr im Simulator<br />

trainieren). Auch die Ausnutzung effektiver<br />

Incident-Reporting-Systeme zählt<br />

hierbei zu den zentralen Bausteinen einer<br />

Sicherheitskultur [1, 12–19] (. Infobox 2).<br />

Umso mehr erstaunt es, dass dort, wo<br />

es direkt um Menschenleben geht, solche<br />

Programme und Trainingskonzepte auch<br />

2010 noch in den Anfängen stecken oder<br />

wenig verbreitet sind, obwohl inzwischen<br />

auch für die (Akut-)Medizin nachgewiesen<br />

wurde, dass die Mehrzahl der Zwischenfälle<br />

ihre Ursache in „Human Factors“<br />

findet.<br />

Defizite in der Akutmedizin<br />

F Immer noch gibt es im Rahmen der<br />

Ausbildung (Medizinstudium, Pflegeausbildung,<br />

etc.) sehr selten Elemente<br />

aus dem Bereich der „Human Factors“<br />

und kaum verpflichtende CRM-<br />

Kurse (undenkbar in der Luftfahrt;<br />

. Infobox 1 und 2).<br />

F Immer noch führen die wenigsten<br />

Kliniken und Rettungsdienstorganisationen<br />

realitätsnahes Simulations-<br />

Team-Training für typische Komplikationen<br />

und Zwischenfälle durch.<br />

Regelmäßig und für alle Mitarbeiter<br />

gibt es solche Programme fast gar<br />

nicht.<br />

F Dediziertes CRM-Training (Lernen<br />

von Entscheidungsfindung in komplexen<br />

Situationen und unter Unsicherheit,<br />

Transfer kritischer Informationen<br />

und effektive Kommunikation,<br />

Umgang mit Fixierungsfehlern, opti-<br />

Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010 |<br />

349


Leitthema<br />

Tab. 1 Kennzeichen einer modernen Sicherheitskultur. (Nach [1])<br />

Werte<br />

Sicherheit ist das wichtigste Ziel<br />

Sicherheit vor Produktion<br />

Permanente Suche nach neuen Fehlermöglichkeiten – kein Ausruhen auf Sicherheit („Never forget<br />

to be afraid!“)<br />

Notwendige Ressourcen, Anregungen und Belohnungen für Sicherheit stehen bereit<br />

Vorstellungen (Modelle)<br />

Sicherheit muss aktiv erreicht werden<br />

Sichere Prozesse und Routineabläufe sind ebenso wichtig wie Begeisterung, Können und Anstrengung<br />

Offene Atmosphäre für Sicherheitsbedenken und Fehler<br />

Das Lernen aus normalen und negativen Ereignissen ist fundiert<br />

Normen<br />

Auch hierarisch untere Ebenen können Sicherheitsbedenken äußern und Entscheidungen höherer<br />

Ebenen in Frage stellen.<br />

„Hilfe holen“ wird stark unterstützt und häufig gemacht, auch oder speziell von Erfahrenen.<br />

Explizite Kommunikation ist verbreitet.<br />

Die Hierarchie ist flach – Führungspersonal hört auch auf Anfänger – Neue trauen sich, auch etwas<br />

zu sagen.<br />

Angestellte werden für im Zweifel auf der sicheren Seite bleiben belohnt, auch wenn sie sich geirrt haben.<br />

Infobox 1<br />

Definition von „Human Factors”<br />

– „the Good and the Bad”<br />

„Human Factors“, also menschliche Faktoren,<br />

umfassen all jene Faktoren, welche die Sicherheit<br />

und Leistungsfähigkeit von Menschen<br />

vor allem in komplexen Situationen oder<br />

Systemen bestimmen. Grundsätzlich können<br />

dies positive (der Sicherheit förderliche) oder<br />

negative (die Sicherheit limitierende) Eigenschaften<br />

sein. Man kann zwischen individuell-kognitiven<br />

Faktoren (Entscheidungsfindung,<br />

Situationsbewusstsein, eingeschränkte<br />

Fähigkeit zum „multi tasking“ usw.) und mehr<br />

interagierenden, kooperativen Teamfaktoren<br />

(Kommunikation, geteilte mentale Modelle<br />

usw.) unterscheiden. Direkt leistungsbeeinflussende<br />

Faktoren (Müdigkeit, Krankheit,<br />

Lärm, etc.) werden oft als „Human Factors“ im<br />

engeren Sinne bezeichnet. Der Faktor Mensch<br />

spielt bei über 70% aller Zwischenfälle innerund<br />

außerhalb der Medizin eine wesentliche<br />

oder beitragende Rolle und steht deshalb im<br />

Zentrum bei den Bemühungen, die Handlungssicherheit<br />

von Menschen in komplexen<br />

Arbeitswelten zu erhöhen. Die Hauptbereiche<br />

teilen sich in individuell-kognitive Aspekte<br />

von Entscheidungen, der Mensch-Maschine-<br />

Schnittstelle (Bedienung von Geräten im weitesten<br />

Sinne) und der Interaktion zwischen<br />

Menschen (im Team).<br />

miertes Teamwork, etc.) findet in der<br />

Medizin bisher nur an ganz wenigen<br />

Zentren statt.<br />

F Immer noch gibt es nur wenige effektive<br />

Incident-Reporting-Systeme, um<br />

aus eigenen und aus den Fehlern der<br />

Anderen zu lernen.<br />

Forderungen für die (Akut-)Medizin<br />

Es ist höchste Zeit, dass wir uns um die<br />

bisher vernachlässigten 70% der Fehlerursachen<br />

kümmern („the missing 70%“, [1]).<br />

Hierbei gilt es insbesondere:<br />

F anzuerkennen, dass nur 30% der Zwischenfälle<br />

ihre tatsächliche Ursache in<br />

mangelndem medizinischen Fachwissen<br />

oder Fertigkeitsdefiziten haben,<br />

F Ausbildung und Training in den bisher<br />

kaum geschulten 70% der Ursachen<br />

(Teamwork, Kommunikation<br />

in kritischen Situationen, Entscheidungsfindung,<br />

etc.), also Entstehung<br />

von Fehlern und Systemsicherheit zu<br />

intensivieren,<br />

F Schulung und Training in „Human<br />

Factors“ und CRM obligat einzuführen,<br />

F regelmäßiges Simulations-Team-Training<br />

für alle Mitarbeiter zu etablieren,<br />

F effektive Incident-Reporting-Systeme<br />

mit hohem Stellenwert für die Geschäftsleitung<br />

und entsprechend leistungsfähiger<br />

Effektschiene einzuführen<br />

(dabei absolute Wahrung der<br />

Sanktionsfreiheit für alle Mitarbeiter),<br />

F Patientensicherheit wieder als oberste<br />

Priorität zu etablieren – Leben und<br />

Vorleben einer proaktiven Sicherheitskultur<br />

(. Tab. 1).<br />

Für alle oben genannten Punkte stehen<br />

inzwischen effektive und nachhaltige Trainingsmethoden<br />

und wissenschaftliche Expertise<br />

zur Verfügung. Die Mehrzahl der<br />

Defizite wäre also relativ unschwer vermeidbar.<br />

So führte z. B. die Einführung<br />

einer Checkliste im Operationssaal in einer<br />

Studie der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) zur Senkung der Gesamtmortalität<br />

von fast 50% [20].<br />

Welche methodische/strukturelle Intervention<br />

hat je eine solch signifikante<br />

Erhöhung der Patientensicherheit erbracht?<br />

Sicherheitskultur ist Voraussetzung<br />

und Ziel gleichermaßen<br />

Die Optimierung der Patientensicherheit<br />

im Bereich der „Human Factors“ und die<br />

Anwendung der CRM-Prinzipien erfordern<br />

als Basis eine gute und breit akzeptierte<br />

Sicherheitskultur (. Tab. 1, [1]).<br />

Hierbei können Aktivitäten wie ein regelmäßiges<br />

realitätsnahes Simulations-<br />

Team-Training [1, 18] und gut etablierte<br />

nichtpunitive Incident-Reporting-Systeme<br />

[12, 13, 21–28] zu einer messbaren Verbesserung<br />

der Sicherheitskultur beitragen.<br />

Es wird also erforderlich sein, parallel in<br />

einem iterativen Prozess voranzugehen.<br />

Beispielsweise zeugt die Durchführung<br />

eines CRM-basierten Simulations-Team-<br />

Trainings für die ganze Abteilung vom<br />

Engagement der Klinikleitung für Verbesserungen<br />

in den Bereichen „Human<br />

Factors“ und CRM. Es macht allen Mitarbeitern<br />

gleichzeitig die Bedeutung der<br />

„Human Factors“ für die Behandlungssicherheit<br />

im Team und damit für das Outcome<br />

der Patienten sichtbar und persönlich<br />

erlebbar.<br />

Zudem ist das Training auch eine Teamintervention,<br />

die den Mitarbeitern verschiedener<br />

Erfahrungsstufen zeigt, dass<br />

a) alle auch mal Fehler machen,<br />

b) Erfahrung keine Garantie für Fehlerfreiheit<br />

ist und<br />

c) auch relativ Unerfahrene, sehr gute<br />

Teammitglieder sein können.<br />

Man ist nach solchen Trainingsmaßnahmen<br />

innerhalb des Teams wieder näher<br />

zusammengerückt, hat deutlich mehr<br />

Verständnis für die Bedürfnisse der anderen<br />

Teammitglieder und hat sich noch<br />

einmal auf das gemeinsame Ziel „sichere<br />

Patientenbehandlung“ fokussiert.<br />

350 | Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010


Zusammenfassung · Abstract<br />

Sicherlich bleibt jede einzelne Maßnahme<br />

zur Erhöhung der Patientensicherheit<br />

relativ wirkungslos, wenn nicht parallel<br />

durch verschiedene Schritte die Sicherheitskultur<br />

insgesamt verbessert wird. Andererseits<br />

kann man nicht die Sicherheitskultur<br />

als solche en bloc verbessern, sondern<br />

muss einzelne wirksame Maßnahmen<br />

sukzessive Schritt um Schritt, Stein<br />

auf Stein aufbauen.<br />

„Human Factors“ sind harte<br />

Prädiktoren des Patientenoutcome<br />

Gefährdungen der Patientensicherheit<br />

durch Defizite im Bereich „Human Factors“<br />

sind deshalb besonders tragisch, da<br />

sie meist vermeidbar sind und in sehr<br />

vielen Fällen das notwendige Wissen zur<br />

Vermeidung eines Zwischenfalls aktuell<br />

im Raum der Patientenbehandlung verfügbar<br />

gewesen ist (. Infobox 3).<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen<br />

„Human Factors“ und CRM sind<br />

in der Akutmedizin nicht optional – sie<br />

bestimmen wesentlich das Outcome von<br />

Patienten! Daher gehören der Unterricht<br />

und das Training in diesen Bereichen auch<br />

nicht an das Ende der Ausbildung, sondern<br />

direkt an den Anfang und ab diesem Punkt<br />

kontinuierlich in das Trainingsportfolio.<br />

> Kenntnisse in „Human<br />

Factors“ und CRM<br />

bestimmen wesentlich das<br />

Outcome von Patienten<br />

Zwischenfälle mit Patientenschaden belasten<br />

neben dem Patienten und seinen<br />

Angehörigen auch die Mitarbeiter im Gesundheitswesen<br />

(sog. „second victims“)<br />

und können, vielleicht auch durch die<br />

häufig vorhandene Vermeidbarkeit, bei<br />

unmittelbar und mittelbar Beteiligten<br />

zu posttraumatischen Belastungseffekten<br />

führen (u. a. schlechtes Gewissen, Substanzabhängigkeit,<br />

Berufsaufgabe und Depressionen).<br />

Dies ist ein wenig beachtetes,<br />

oft verschwiegenes und tabuisiertes Feld.<br />

Fixierungsfehler („dies und nur dies“,<br />

. Infobox 4). Man greift eine Diagnose<br />

ohne weitere Reflektion auf [9] und verfolgt<br />

diese als Arbeitshypothese weiter.<br />

Wichtige Umstände/Befunde werden<br />

F angenommen/unterstellt [10],<br />

F innerlich abgehakt [12],<br />

Notfall Rettungsmed 2010 · 13:349–356<br />

© Springer-Verlag 2010<br />

M. Rall · C.K. Lackner<br />

Crisis Resource Management (CRM). Der<br />

Faktor Mensch in der Akutmedizin<br />

Zusammenfassung<br />

Immer noch werden Mediziner, Pflegekräfte<br />

und Rettungsassistenten viel zu selten oder<br />

gar nicht im Bereich der sog. „Human Factors“<br />

ausgebildet, obwohl etwa 70% der Ursachen<br />

von Zwischenfällen auf Defizite in diesem<br />

Sektor zurückzuführen sind. Inzwischen<br />

existieren bewährte Konzepte zu Ausbildung<br />

und Training in „Human Factors“ und „Crisis<br />

Resource Management“ (CRM), insbesondere<br />

ein CRM-basiertes Simulations-Team-Training<br />

mit videogestützten Nachbesprechungen erweist<br />

sich als sehr effektiv und nachhaltig.<br />

Aber auch Konzepte, wie die Erhöhung der<br />

Sicherheitskultur und die Einführung nichtpunitiver<br />

Incident-Reporting-Systeme sind<br />

wichtiger Bestandteil für die nachhaltige Erhöhung<br />

der Patientensicherheit in der Zukunft.<br />

Dieser Artikel gibt einen Überblick<br />

Crisis resource management (CRM). The<br />

human factor in acute medicine<br />

DOI 10.1007/s10049-009-1271-5<br />

über Ursachen und Konzepte, vor allem im<br />

Bereich des CRM-Trainings. Solche Trainingsmaßnahmen<br />

werden noch nicht für alle Mitarbeiter<br />

und auch nicht regelmäßig angeboten.<br />

Es gibt also viel zu tun! Aber es ergeben<br />

sich dadurch auch große Chancen, zu den Pionieren<br />

zu gehören. Es gilt, sich dafür einzusetzen,<br />

dass das CRM-Simulations-Team-Training<br />

so selbstverständlich zur regelmäßigen<br />

Ausbildung in der Akutmedizin gehört, wie<br />

es in anderen Hochrisikobereichen wie der<br />

Luftfahrt schon seit Jahrzehnten der Fall ist.<br />

Schlüsselwörter<br />

Simulationsteamtraining · Crisis<br />

Resource Management · Human Factors ·<br />

Fehler · Instruktor<br />

Abstract<br />

Even though it is well known that about 70%<br />

of accidents with patient are due to deficiencies<br />

in the area of human factors and crisis resource<br />

management (CRM), health care professionals<br />

(i.e. physicians, nurses, paramedics)<br />

are still not educated in this aspect. This<br />

is in contrast to the fact that there are proven<br />

methods and tools available in education and<br />

training of human factors and CRM and CRMbased<br />

simulation team training using videobased<br />

self-reflective debriefing methods is<br />

particularly effective. Other important steps<br />

to enhance patient safety in the future include<br />

concepts to promote a safety culture or<br />

the introduction of effective non-punitive incident<br />

reporting systems. This article provides<br />

an overview of needs and instruments especially<br />

for CRM training. Even today such training<br />

programs are still relatively rare and not<br />

systematically implemented in the German<br />

speaking countries. Therefore, there is still a<br />

lot to do and achieve. At the same time this<br />

offers a great opportunity to be a part of the<br />

future – to be among the pioneers who write<br />

history and take on the responsibility to integrate<br />

CRM-based training concepts into medical<br />

education in all fields of acute care in order<br />

to make it as common and irreplaceable<br />

as is the case in most other high-risk high-reliability<br />

industries.<br />

Keywords<br />

Simulation team training · Crisis resource management<br />

· Human factors · Error · Instructor<br />

Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010 |<br />

351


Leitthema<br />

Tab. 2 „Anesthesia non-technical skills” (ANTS). (Nach [52, 53])<br />

Kategorisierung von „non-technical skills“ nach dem ANTS-Schema<br />

Kategorien<br />

Elemente<br />

Management der Arbeitsaufgaben<br />

(„Task management“)<br />

Situationswahrnehmung/Aufmerksamkeit<br />

(„Situation awareness“)<br />

Entscheidungsfindung und Durchführung<br />

(„Decision making“)<br />

Teamarbeit<br />

(„Teamwork“)<br />

F nicht verbalisiert [7] und<br />

F Bedenken werden nicht geäußert [7].<br />

Häufig sind, wie hier im Beispiel, mehrere<br />

dieser Faktoren beteiligt.<br />

Das Gute am Fixierungsfehler ist:<br />

Durch Aufmerksamkeit und offene, nichtpunitive<br />

Atmosphäre im Team und regelmäßige<br />

Anwendung der CRM-Leitsätze,<br />

kann der Fixierungsfehler leicht erkannt<br />

und aufgelöst werden.<br />

Planung und Vorbereitung<br />

Priorisierung<br />

Aufstellen und Einhalten von Standards<br />

Ressourcen erkennen und ausnutzen<br />

Informationssammlung<br />

Erkennen und Verstehen der Umgebung<br />

Antizipieren<br />

Erkennen von verschiedenen Optionen<br />

Abwägen von Risiken und Auswahl der Optionen<br />

Reevaluation (erneute Einschätzung der Situation)<br />

Koordinierung der Aktivitäten im Team<br />

Austausch von Informationen<br />

Anwenden von Autorität, aber auch beharrliches<br />

Äußern von Bedenken<br />

Einschätzung der Fähigkeiten im Team<br />

Unterstützung anderer<br />

Tab. 3 Prinzipien des „Crisis Resource Management“ (CRM). (Nach [1])<br />

Die 15 CRM-Leitsätze (nach Rall/Gaba)<br />

1. Kenne Deine Arbeitsumgebung.<br />

2. Antizipiere und plane voraus.<br />

3. Hilfe anfordern, lieber früh als spät.<br />

4. Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit.<br />

5. Verteile die Arbeitsbelastung (10 Sekunden für10 Minuten).<br />

6. Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen (Personen und Technik).<br />

7. Kommuniziere sicher und effektiv – sag was Dich bewegt.<br />

8. Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen.<br />

9. Verhindere und erkenne Fixierungsfehler.<br />

10. Habe Zweifel und überprüfe genau („double check“, nie etwas annehmen).<br />

11. Verwende Merkhilfen und schlage nach.<br />

12. Reevaluiere die Situation immer wieder (wende das 10-Sekunden-für-10-Minuten-Prinzip an).<br />

13. Achte auf gute Teamarbeit – andere unterstützen und sich koordinieren.<br />

14. Lenke Deine Aufmerksamkeit bewusst.<br />

15. Setze Prioritäten dynamisch.<br />

„Non-technical skills”<br />

(„Human Factors”)<br />

Die wirksamen Komponenten im Bereich<br />

der „Human Factors“ wurden von Autoren<br />

verschiedene klassifiziert. Ein sehr<br />

etabliertes Verfahren ist die von Helmreich<br />

et al. [11] abgeleitete NOTECH-Einteilung,<br />

die wiederum von Fletcher et al.<br />

[52] als „anesthesia non-technical skills“<br />

(ANTS) für die Medizin adaptiert wurde.<br />

. Tab. 2 zeigt die Einteilung nach Hauptund<br />

Unterkategorien.<br />

Mithilfe solcher Systeme lassen sich<br />

(beobachtbare) Verhaltensweisen innerhalb<br />

eines Teams erfassen und diskutieren.<br />

Der Vorteil ist die Systematik und<br />

klare Zuordnung zu einzelnen Kategorien.<br />

Die Kommunikation wurde in diesem<br />

System bewusst nicht explizit aufgeführt,<br />

sondern wird als wichtiges Element<br />

bei der Umsetzung von vielen der Unterkategorien<br />

angesehen (Kommunikation<br />

steckt also implizit im ANTS mit drin).<br />

Das weltweit bewährte<br />

CRM-Konzept<br />

„Menschen machen zwar Fehler – aber sie<br />

sind auch die Besten, um Zwischenfälle zu<br />

verhindern und Komplikationen effektiv zu<br />

beherrschen“.<br />

CRM-Training<br />

CRM beinhaltet Techniken und Verfahren,<br />

die Einflüsse des „human error“ erkennen<br />

und diesen entgehen zu können.<br />

Es beinhaltet Verhaltensprinzipien, welche<br />

die Sicherheit durch Prävention und<br />

Bewältigung von kritischen Situationen<br />

(Notfall, Zwischenfall) erhöhen sollen<br />

(. Infobox 2).<br />

E Prävention und Management<br />

von Zwischenfällen kann man<br />

lernen (und muss es auch).<br />

CRM wurde von Gaba et al. [29] und<br />

Howard et al. [30] erstmals in Form des<br />

„Anesthesia Crisis Resource Management“<br />

(ACRM) in die Medizin eingeführt.<br />

ACRM ist aus bewährten Schulungskonzepten<br />

der Luft- und Raumfahrt abgeleitet<br />

[31, 32, 33] und an die speziellen Belange<br />

der Medizin adaptiert.<br />

In . Tab. 3 sind die 15 CRM-Leitsätze<br />

widergegeben. Die ursprünglichen<br />

7 CRM-„key points“ wurden von Gaba/<br />

Howard begonnen und dann von Rall und<br />

Gaba [1] weiterentwickelt.<br />

Das von Gaba und Howard etablierte<br />

ACRM-Training am Simulator und die<br />

hieraus in . Tab. 3 dargestellten CRM-<br />

Prinzipien haben sich mittlerweile, mit<br />

gewissen Varianten, weltweit als de facto<br />

Goldstandard beim Training mit Simulatoren<br />

etabliert. Es wird angenommen,<br />

dass, bei konsequenter Umsetzung<br />

der CRM-Leitsätze, die überwiegende<br />

Mehrzahl der Fehler oder Zwischenfälle,<br />

deren Ursachen im Bereich „Human<br />

352 | Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010


Situation<br />

Awareness<br />

Das " 10 Sekunden für 10 Minuten" - Prinzip<br />

Diagnose !<br />

Problem ?<br />

Aufgabenmanagement<br />

Kommunikation<br />

verbal &<br />

non-verbal<br />

Teamwork<br />

10 sec!<br />

Entscheidungsfindung<br />

Problem?, Team,<br />

Fakten?, Planen,<br />

Verteilen,<br />

Rückfragen?,<br />

Handeln!<br />

Abb. 1 8 Das CRM-Molekül: Kommunikation ist das Bindeglied (der Klebstoff)<br />

zwischen den anderen Komponenten der „Human Factors“ im Kontext<br />

von Handlungssicherheit in komplexen Situationen. Jedes einzelne<br />

Atom des CRM-Moleküls ist notwendig, aber alleine nicht wirksam; ohne<br />

suffiziente Kommunikation zerfällt das Molekül in seine Einzelelemente<br />

Abb. 2 8 Das 10-Sekunden für-10-Minuten-Prinzip: Beim Auftreten von<br />

Problemen (beginnendem Chaos) oder beim Stellen einer neuen Diagnose<br />

sollte das ganze Team zu einer kurzen Unterbrechung fast aller Tätigkeiten<br />

aufgefordert werden (10-für-10); alle hören kurz zu, alle Informationen werden<br />

zusammengetragen, Ideen vorgebracht und etwaige Bedenken geäußert.<br />

Dann wird ein Plan aufgestellt und die Ressourcen verteilt. Dann geht<br />

es (symbolisch nach 10 s) mit dem Handeln weiter (was dann mindestens<br />

die nächsten 10 min besser und koordinierter abläuft)<br />

Abb. 3 8 Simulator-Team-Training im realen Krankenhaus-Operationssaal<br />

(in-situ-Trainings-Konzept). Trainiert wird in Teams im eigenen Umfeld. Das<br />

erhöht den Trainingseffekt des Individuums über einen Systemcheck bis<br />

zur Teamintervention. (Foto M. Rall, TüPASS, mit freundl. Genehmigung des<br />

Klinikums Reutlingen)<br />

Abb. 4 9 Simulation schwieriger Atemweg im realen Umfeld. Klassische Anwendung<br />

für das Team-Training: Hier muss es Hand-in-Hand gehen, Konzentration<br />

ist gefragt, auch in der Simulation. (Foto TüPASS, mit freundl.<br />

Genehmigung des Klinikums Reutlingen)<br />

Factors“ liegen (und das sind immerhin<br />

bis zu 70%) vermieden oder zumindest<br />

in der Auswirkung abgeschwächt werden<br />

könnte.<br />

Wie in . Abb. 1 dargestellt, sind sämtliche<br />

Kategorien und Elemente der NO-<br />

TECH- oder ANTS-Klassifikation inklusive<br />

dem Element Kommunikation explizit<br />

in den CRM-Leitsätzen nach Rall/Gaba<br />

berücksichtigt [1, 5, 17, 34].<br />

Um diese CRM-Leitsätze mit Leben<br />

(und damit Sinn) zu füllen, sind intensive<br />

Beschäftigung, praktische Übung und<br />

Anwendung notwendig. Fast alle CRM-<br />

Prinzipien können am effektivsten während<br />

realitätsnaher „full scale“-Patientensimulationen<br />

aufgezeigt und trainiert<br />

werden. Denn speziell in kritischen Situationen<br />

wird das Management der eigenen<br />

Fähigkeiten und des Teams besonders<br />

wichtig und damit für das Erkennen<br />

und Üben zugänglich.<br />

Das 10-Sekunden-für-<br />

10-Minuten-Prinzip<br />

Ein neu zu den CRM-Leitsätzen hinzugekommenes<br />

Element [1] ist das sog. 10-<br />

Sekunden-für-10-Minuten-Prinzip ([35],<br />

. Abb. 2).<br />

Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010 |<br />

353


Leitthema<br />

Infobox 2<br />

Definition des „Crisis Resource<br />

Management“ (CRM)<br />

„Die Fähigkeit, das Wissen, was getan werden<br />

muss, auch unter den ungünstigen und unübersichtlichen<br />

Bedingungen der Realität<br />

eines medizinischen Notfalls in effektive Maßnahmen<br />

im Team umzusetzen“ (nach David<br />

Gaba, Stanford).<br />

CRM dient zur Prävention und Management<br />

von kritischen Ereignissen bei Individuen<br />

wie Teams und hat sich weltweit in vielen<br />

Industrien über Jahrzehnte bewährt. Es hält<br />

jetzt mehr und mehr Einzug in die Medizin,<br />

insbesondere in die Akutmedizin.<br />

Infobox 3<br />

Der Fall Elaine Bromiley<br />

Ein tragischer und außerordentlich gut aufgearbeiteter<br />

Zwischenfall ist eine Fehlerkette,<br />

die bei der Narkoseeinleitung für eine kleine<br />

Routine-Operation zum Tod einer Patientin,<br />

Elaine Bromiley, führte.<br />

Der Ehemann, Martin Bromiley, hat als Berufspilot<br />

auf den klar vermeidbaren Tod seiner<br />

Frau hin eine extensive, interdisziplinäre Analyse<br />

des Zwischenfalls durchführen lassen und<br />

zeigt in einem Video detailliert die Ergebnisse<br />

und tragischen Verquickungen auf.<br />

Charakteristisch ist dabei, wie im Beispiel<br />

„Fixierungsfehler“ (Infobox 4), dass mehrere<br />

der vorhandenen Personen den Zwischenfall<br />

hätten vermeiden oder abmildern können<br />

und dass das Wissen und Können zur Beherrschung<br />

des Problems am Behandlungsort<br />

vorhanden war!<br />

Es beruht auf der Erkenntnis aus Tausenden<br />

von „full scale“-Simulationsszenarien<br />

am TüPASS, wo viele eigentlich kompetente<br />

Teams trotzdem Fehler machen,<br />

welche ihnen z. T. schon direkt nach dem<br />

Trainingsszenario bewusst sind.<br />

E Die Ursache für die Nichtanwendung<br />

von vorhandenem Wissen liegt<br />

häufig im subjektiv zu stark<br />

empfundenen Zeit-, Entscheidungsund<br />

Handlungsdruck.<br />

Bedingt durch die Notfallsituation entsteht<br />

der Eindruck, man müsse sofort reagieren<br />

und intuitiv das Richtige tun. Dabei kommt<br />

es dann zu Versäumnissen, Anwendung<br />

in falscher Reihenfolge, Nichtabfragen des<br />

Teamwissens etc.<br />

Aus der Sicht unserer Arbeitsgruppe<br />

am TüPASS (http://www.tupass.de) und<br />

der Ko-Autoren Flin und Glavin im Bulletin<br />

[35] besteht aber auch in der perakuten<br />

Medizin kaum ein Zeitdruck in der<br />

Dimension von Sekunden. Man hat also<br />

fast immer Zeit, um sich einige Sekunden<br />

zu sammeln, Gedanken zu machen, zu<br />

sortieren und im Team das Vorgehen abzustimmen.<br />

Danach ist die Arbeit wesentlich<br />

effektiver und für den Patienten sicherer.<br />

Daher der Name 10-Sekunden-für-<br />

10-Minuten. Beide Zeiträume sind natürlich<br />

symbolisch zu verstehen. Inzwischen<br />

wird bei manchen Teams schon innerhalb<br />

eines Behandlungsablaufs die Abkürzung<br />

10-für-10 verwendet, im Sinne von:<br />

„Moment bitte! Lasst uns kurz 10-für-10<br />

machen.“<br />

Wann? – Einsatz des<br />

10-für-10-Prinzips<br />

a) Zu Beginn einer Behandlung oder<br />

beim Stellen einer Arbeitsdiagnose.<br />

b) Immer wenn man das Gefühl hat, im<br />

Ablauf festzustecken oder die Behandlung<br />

nicht den erwarteten Erfolg zeigt.<br />

c) Wenn man das Gefühl hat, Chaos ist<br />

ausgebrochen (zunehmender Lärm<br />

und Hektik im Raum).<br />

Wie? – Anwendung des<br />

10-für-10-Prinzips<br />

In den oben genannten Situationen:<br />

F Nicht innerhalb eines Sekundenbruchteils<br />

mit der Behandlung oder Anweisungen<br />

beginnen, spontane Ideen und<br />

Optionen klar von durchdachten Entscheidungen/Strategien<br />

trennen.<br />

F Um Ruhe bitten, einen tiefen Atemzug<br />

nehmen und dann das formale „team<br />

time out“ (10-für-10, . Abb. 2) durchführen.<br />

Alle sollen kurz zuhören, mitdenken<br />

und ihre Vorschläge oder Bedenken<br />

einbringen.<br />

F Wichtig ist, dass während des 10-für-10<br />

alle Teammitglieder zuhören und ihre<br />

Aktivitäten unterbrechen!<br />

Training von CRM-Fähigkeiten<br />

bei Simulations-Team-<br />

Trainings mittels moderner<br />

Patienten-Simulator-Systemen<br />

Die Literatur, welche die Effektivität von Simulations-Team-Trainings<br />

belegt, ist mittlerweile<br />

umfangreich [17, 36–51]. Da es sich<br />

beim CRM-Training um die Veranschaulichung<br />

und das Training kognitiver Prozesse<br />

(und entsprechender Verhaltensweisen)<br />

handelt, ist eine gewisse Trainingsintensität<br />

und Regelmäßigkeit unabdingbar<br />

(. Infobox 5). So kann eine neue Intubationstechnik<br />

(„skills“) unter Umständen<br />

innerhalb 1 h geübt werden, Verhaltensweisen<br />

(„behaviours“, „non-technical skills“)<br />

aber bedürfen für eine sinnvolle Reflektion<br />

und Veränderung längerer Einwirkzeiten.<br />

Daher werden für ein effektives CRM-Training<br />

stets ein hohes Instruktoren-/Teilnehmerverhältnis<br />

und eine Kursdauer von etwa<br />

einem Tag empfohlen. Außerdem sollten<br />

die Kurse für einen anhaltenden Lerneffekt<br />

mindestens jährlich wiederholt und<br />

initial idealerweise für das ganze Team en<br />

bloc angeboten werden.<br />

Die Medizin ist, was „deliberate practice“<br />

angeht (. Infobox 5), erst ganz am<br />

Anfang, hat aber mit dem realitätsnahen<br />

Simulations-Team-Training, wenn sie<br />

sinnvoll gestaltet und eine hohe Selbstreflektion<br />

garantieren (z. B. durch videogestütztes<br />

„debriefing“), eine sehr effektive<br />

und nachhaltige Möglichkeit, hochgradig<br />

relevante Trainingsmaßnahmen<br />

durchzuführen (. Abb. 3, 4, 5). Die Breite<br />

und Durchsetzung von Sim-Training in<br />

der Akutmedizin ist niedrig und hat noch<br />

sehr großes Potenzial. Neben einigen Vorreitern,<br />

welche z. B. seit 5 Jahren regelmäßiges<br />

CRM-orientiertes Simulationstraining<br />

für ihre Luftrettungszentren durchführen,<br />

gibt es nur wenige Institutionen,<br />

welche CRM-Team-Training als obligaten<br />

Bestandteil und für alle Mitarbeiter anbieten.<br />

Da die Kenntnisse im Bereich der „Human<br />

Factors“ und insbesondere im Bereich<br />

CRM in der Anwendung beim videogestützten<br />

Simulationstraining essenziell<br />

für den Trainingserfolg sind, ist die<br />

Qualifikation der CRM-Instruktoren entscheidend.<br />

International werden verschiedene<br />

Formate von Instruktorenkursen mit<br />

unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten.<br />

Der Autor selbst hat am TüPASS<br />

auf Basis der Stanford-Kurse (Gaba) über<br />

1.000 CRM-Instruktoren für die Akutmedizin<br />

ausgebildet.<br />

Ausblick und Zukunft<br />

Die (Akut-)Medizin sieht sich zu Recht<br />

der Feststellung gegenüber, dass dort lan-<br />

354 | Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010


ge Zeit die aktive Beschäftigung mit modernen<br />

Prinzipien der Systemsicherheit<br />

verpasst wurde. In diesem Zusammenhang<br />

wurden auch moderne und hier vor<br />

allem kompetenzbasierte Ausbildungskonzepte<br />

vernachlässigt. Die Bedeutung<br />

von „Human Factors“ und CRM wurden<br />

bis vor kurzem nahezu vollständig ignoriert.<br />

Immer noch herrscht in Teilen der<br />

Medizin die ethisch nicht haltbare „Ausbildung<br />

und Üben am lebenden Patienten“<br />

vor. Aus diesem Grund haben es<br />

sich die Autoren im Rahmen der eigens<br />

gegründeten Arbeitsgemeinschaft Bildung<br />

& Training des Aktionsbündnisses<br />

Patientensicherheit zur Aufgabe gemacht,<br />

mit vielen Partnern, die Aktivitäten in diesem<br />

Bereich weiter zu intensivieren und<br />

die Bedingungen zu optimieren (Umsetzung<br />

der WHO-Empfehlungen für Ausbildung<br />

in Patientensicherheit und „Human<br />

Factors“/CRM, etc.).<br />

Die (Akut-)Medizin hat die Patientensicherheit<br />

als zentral wichtiges Feld für die<br />

Zukunft erkannt und bereits erhebliche<br />

und wichtige Fortschritte erzielt. Für Pioniere<br />

im Feld erfreulich und viele Chancen<br />

eröffnend, andererseits für die aktiv<br />

Beteiligten stets noch zu langsam und<br />

deutlich hinter dem aktuellen Stand der<br />

Wissenschaft (in Training und Patientensicherheit).<br />

Geld, Kostendruck und fehlende personelle<br />

Ressourcen sind heute die Hauptargumente<br />

gegen entsprechend moderne<br />

Ausbildungs- und Trainingskonzepte. Dies<br />

ist insofern ein Fortschritt, als vor 10 Jahren<br />

noch die Notwendigkeit und Effektivität<br />

solcher Maßnahmen ganz generell in<br />

Zweifel gezogen wurde. Wir sind heute einen<br />

wichtigen Schritt weiter: Die Notwendigkeit<br />

und der Bedarf für das CRM-basierte<br />

Simulations-Team-Training in allen<br />

Bereichen der Akutmedizin ist mittlerweile<br />

akzeptiert und auch die Effektivität<br />

von methodisch korrekt etablierten und<br />

qualitätgestützten Trainingsmaßnahmen<br />

durch geschulte CRM-Instruktoren wird<br />

kaum noch angezweifelt. Die Mitarbeiter<br />

im Gesundheitswesen, insbesondere aus<br />

der Akutmedizin sind schon lange begeistert<br />

und überzeugte Teilnehmer dieser Simulations-Team-Trainingsformate.<br />

> Es muss noch viel<br />

besser werden<br />

Abb. 5 9 Videomitschnitt<br />

mit eingeblendeten Vitaldaten<br />

zur Nachbesprechung<br />

und Selbstreflektion<br />

der Simulationsszenarien.<br />

Hier geht es nicht darum,<br />

jemanden schlecht zu<br />

machen, sondern konstruktiv<br />

am gerade erlebten Fall<br />

gemeinsam zu lernen – sowohl<br />

aus optimierbaren<br />

Handlungen, als auch aus<br />

besonders gut gelösten<br />

Problemsituationen<br />

Es wird nun gelten, die Entscheidungsträger<br />

auch von der langfristigen und damit<br />

letztendlichen Kosteneffektivität der notwendigen<br />

Trainingsmaßnahmen zu überzeugen<br />

und diese auch in bestehende<br />

Aus‐, Fort- und Weiterbildungskonzepte<br />

aller Disziplinen und berufsgruppenübergreifend<br />

zu integrieren. Es ist ein Stück<br />

weit beschämend, wenn noch 2010 ein<br />

junger Arzt/eine junge Ärztin das Medizinstudium<br />

erfolgreich abgeschlossen hat<br />

und nur an ganz wenigen Fakultäten über<br />

den Einfluss der „Human Factors“ erfahren<br />

hat, welche dann, in der täglichen<br />

Praxis der Berufsausübung, fast 70% der<br />

Ursachen aller Zwischenfälle ausmachen<br />

(CRM, Entscheidungsfindung, Teamarbeit,<br />

etc.).<br />

Machen Sie mit, die Patientensicherheit<br />

schon morgen nachhaltig zu verbessern.<br />

Ausbildung, Forschung und Training<br />

im Bereich „Human Factors“ und<br />

Systemsicherheit haben eine enorme Expansion<br />

vor sich. Die Welle ist nicht mehr<br />

zu stoppen. Jedes Training, jede interdisziplinäre<br />

Zwischenfallanalyse ist ein Stück<br />

vom Mosaik der Patientensicherheit. Wir<br />

können und müssen die Patientensicherheit<br />

in den nächsten 10 Jahren um ein<br />

Mehrfaches erhöhen. Machen Sie mit.<br />

Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010 |<br />

355


Infobox 4<br />

Ein Beispiel für Fixierungsfehler<br />

aus der Praxis/„incident<br />

reporting“-Patienten-Sicherheits-<br />

Informations-System (PaSIS)<br />

Das bodengebundene Rettungsteam (Rettungsassistent<br />

und Notarzt) versorgt einen Patienten<br />

mit Zustand nach Sturz vom Fahrrad<br />

und Verdacht auf intraabdominelle Blutung<br />

(Milzruptur o. Ä.). Bei Eintreffen des Hubschrauberteams<br />

übernimmt die Besatzung<br />

des Rettungshubschraubers die bisherige Arbeitsdiagnose<br />

des bodengebundenen Teams<br />

und arbeitet an der zielführenden Versorgung<br />

des Patienten im Sinne einer abdominellen<br />

Blutung mit (mehrere großlumige Zugänge,<br />

Volumengabe, Katecholaminperfusor im<br />

„stand by“, etc.). Eine vorhandene Bronchospastik<br />

wird vom intialen Notarzt mit einer zu<br />

flachen Narkose erklärt.<br />

Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass der<br />

Patient eine anaphylaktische Reaktion auf einen<br />

Wespenstich hatte und durch konsekutive<br />

Kreislaufschwäche noch auf dem Fahrrad kollabiert<br />

war. Bei dem Sturz hatte er sich keine<br />

wesentlichen Verletzungen zugezogen.<br />

In der Nachbesprechung führt der Rettungsassistent<br />

aus, es sei ihm komisch vorgekommen,<br />

dass der Patient eine so teigige Haut<br />

gehabt hatte. Er hätte aber seine Zweifel nicht<br />

geäußert, seine Beobachtung nicht mitgeteilt.<br />

Die bestehende Bronchospastik war dem<br />

zweiten Notarzt gar nicht bekannt geworden.<br />

Infobox 5<br />

„Dream teams are<br />

made – not born!”<br />

Leitthema<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. M. Rall<br />

Tübinger Patienten-Sicherheitsund<br />

Simulationszentrum (TüPASS),<br />

Universitätsklinik für Anaesthesiologie<br />

und Intensivmedizin,<br />

Universitätsklinikum Tübingen<br />

Silcher-Str. 7, 72076 Tübingen<br />

Marcus.Rall@med.uni-tuebingen.de<br />

Interessenkonflikt. TüPASS führt Instruktorenkurse<br />

für Laerdal Medical GmbH, München, durch.<br />

Literatur<br />

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3. Reason JT (1990) Human error. Cambridge, Cambridge<br />

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13. Rall M, Zieger J, Stricker E et al (2007) Pharmakovigilanz:<br />

Das anonyme Incident Reporting System „Pa-<br />

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25:222–224<br />

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22. Rall M (2009) Ursachen und Prävention von Zwischenfällen<br />

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Reporting Systemen am Beispiel von PaSOS. In:<br />

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24. Rall SR M, Zieger J, Schädle B et al (2008) PaSOS-<br />

Depesche – Risiken und Gefahren durch unzureichendes<br />

Monitoring von beatmeten Patienten bei<br />

innerklinischen Transporten. Patienten-Sicherheits-<br />

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der Patientensicherheit. URL: http://www.<br />

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25. Rall M, Reddersen S, Zieger J et al (2008) Incident Reporting<br />

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Non-Technical Skills (ANTS): evaluation of a behavioural<br />

marker system. Br J Anaesth 90:580–588<br />

Professionelle Leistungen auf höchstem Niveau<br />

können nur von Teams erwartet werden,<br />

welche regelmäßig kritische Situationen im<br />

Team trainieren. Alles andere ist Glück und<br />

Zufall. Keine andere Disziplin oder Industrie<br />

würde ihre Teams so unvorbereitet in eigentlich<br />

vorhersehbare Zwischenfälle laufen lassen<br />

wie die Medizin. Menschliche Höchstleistungen<br />

kommen, egal in welchem Feld, ob Sport,<br />

Schach, Fliegerei oder Kunst, von jahrelangem<br />

intensivem Training. Trainiert werden dabei<br />

immer wieder die Dinge, die am wichtigsten<br />

sind und die am wenigsten gut klappen („deliberate<br />

practice“). Die besten unter den Experten<br />

sind die, welche am meisten Stunden<br />

mit hartem Training von denjenigen Dingen<br />

zugebracht haben, die am schwierigsten sind<br />

(immer wieder das trainieren, was am schlechtesten<br />

funktioniert). Das vollständige Literaturverzeichnis ...<br />

... finden Sie in der html-Version<br />

dieses Beitrags im Online-Archiv<br />

auf der Zeitschriftenhomepage<br />

www.NotfallundRettungsmedizin.de<br />

356 | Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2010

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