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S 71<br />
<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />
Rilkes Brief vom Vortag hatte der Hoffnung Ausdruck gegeben, ihr aus seinen<br />
<strong>Christus</strong>- <strong>Visionen</strong> vorlesen zu dürfen.<br />
Sollte es ihm am nächsten Abend möglich sein, zur Vorstellung ins Gärtnertheater zu<br />
kommen, so hoffe er, "Sie, gnädige Frau", dort zu finden.<br />
Natürlich war es ihm möglich. Und natürlich fand er sie.<br />
Ich bin dir wie ein Vorbereiten<br />
und lächle leise, wenn du irrst.<br />
Ich weiß, daß du aus Einsamkeiten<br />
dem großen Glück entgenschreiten<br />
und meine Hände finden wirst.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
an Lou am 31.5.1897<br />
Am Teetisch bei Wassermann war Rilke in seinem Element. Er machte höflich<br />
Konversation und pries seine neue Bekannte mit schönen, herzlich bewundernden.<br />
Worten. Doch damit nicht genug. In einem Brief, den er ihr gleich am nächsten<br />
Morgen durch einen Boten schickte, schrieb er:<br />
"Es, war nicht die erste Dämmerstunde gestern, die ich mit Ihnen verbringen durfte.<br />
Da gibts in meiner Erinnerung eine, die mich arg verlangen machte, Ihnen ins Auge<br />
zu sehen." Im vergangenen Winter habe ihm sein Freund Michael Conrad, der die<br />
<strong>Christus</strong>- <strong>Visionen</strong> kannte, ein Exemplar von Lous Essay in der Annahme geschickt,<br />
er werde ihn interessieren. Das Ergebnis aber sei weit mehr als bloßes Interesse<br />
gewesen, schon damals habe er gespürt, daß ihm eine Offenbarung widerfahre.<br />
Das, was seine Traumepen "in <strong>Visionen</strong> geben", habe er in ihren Worten meisterhaft<br />
klar ausgesprochen" gefunden. Jene "Dämmerstunde" mit ihr sei für ihn nicht die<br />
erste gewesen. In dem Winter, als er seine <strong>Christus</strong> <strong>Visionen</strong> schuf, habe ihm Conrad<br />
ihren Essay " Jesus der Jude" geschickt, den er als Offenbarung empfunden hatte. ....<br />
Die Geschichte nahm ihren Verlauf und René Rilke erlag wie viele vor und viele nach<br />
ihm sofort ihrem Zauber.<br />
Lou war eine imponierende Frau.<br />
Fotografien aus dieser Zeit zeigen sie in den unterschiedlichsten Aufmachungen - den<br />
Kleidern, der Persönlichkeit und sogar dem Aussehen nach. Sie konnte einfach und<br />
doch elegant gekleidet in einem gepflegten Garten erscheinen, sportlich und<br />
klaräugig.