Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

23.06.2014 Aufrufe

S 26 Christus Elf Visionen Die irren Hände wuchten schwer wie Blei, als wollt er aus dem Leib sich neu gestalten ein Götterbild, das seiner würdig sei. Um ihre Glieder brandet Raserei. So stürmt der Sturzbach, den das Eis gehalten, aus seiner dumpfen Dämmerschlucht herbei und springt und ringt und greift in alle Spalten und seine Liebe tötet fast den Mai. Mit wildem Griff zerrt er den Vorhang zu, und in der Luft sind nur die süßen Klagen, die wie ein Jubel klingen aus den Tagen, da keiner noch in schäumigem Getu der Glieder Kraft in Fetzen eingeschlagen, und jeder Wunsch war damals noch ein Wagen.- Da fährt der blasse Mann aus schlaffer Ruh und raunt dem müden Weibe glühend: "Du," er lauscht umher -, "ich muß dir etwas sagen. Sie kamen einst mich bei Gericht verklagen. Der Richter rief. Das war ein seltsam Fragen: Ich hörs noch immer: Bist du Gottes Sohn? Ich kann nicht mehr begreifen dieses Sinns, doch damals ließ ich schelten mich und schlagen und dachte, aufgehetzt durch ihren Hohn, es muß mein Stolz bis an die Sterne ragen. Ich schrie sie an: Was wollt ihr? Ja, ich bins. Zu meines Vaters Rechten ist mein Thron! Was lachst du, Weib? So spei mir ins Gesicht, ich weiß es, ich verdiene deinen Spott.

S 27 Christus Elf Visionen Und meine Reue. Nein, ich bin es nicht, ich bin kein Gott!..." "Du kannst nicht viel vertragen, mein Lieber. Welch ein drolliges Gegirr. Kaum wirbelt noch ein Glas dir aus dem Magen zu Herz und Hirn, schon sprichst du wahn und wirr.- Nein, nein, du bist nicht Gott, mach dir nicht Sorgen, und niemand wird dich so verklagen. Nein. Doch wart du Blasser, bis zum nächsten Morgen sollst du ein wenig König sein. Ja, willst du? Wart, ich werde wenn mirs glückt aus diesen Rosen dir die Krone schmieden. Und sind sie nicht mehr frisch, gieb dich zufrieden, mein hoher Herr, du hast sie selbst zerdrückt.."- Und ihre Finger fügen jetzt geschickt zu krausem Kranze Rose an um Rose, auch welke Blätter sind hineingestickt. Sie legt ihn auf das Haupt, das regungslose aus leeren Augen ihr entgegenblickt, dann klatscht sie in die Hände, lacht und nickt: "Bravissimo, die echte Königspose!" Schon kommt der Morgen nach den Scheiben zielen; die ersten Speere stecken in den Dielen hell, wie sie just durchs fahle Fenster fielen. Und gegenüber schmilzt schon auf dem Dach die Dämmerung.

S 26<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />

Die irren Hände wuchten schwer wie Blei,<br />

als wollt er aus dem Leib sich neu gestalten<br />

ein Götterbild, das seiner würdig sei.<br />

Um ihre Glieder brandet Raserei.<br />

So stürmt der Sturzbach, den das Eis gehalten,<br />

aus seiner dumpfen Dämmerschlucht herbei<br />

und springt und ringt und greift in alle Spalten<br />

und seine Liebe tötet fast den Mai.<br />

Mit wildem Griff zerrt er den Vorhang zu,<br />

und in der Luft sind nur die süßen Klagen,<br />

die wie ein Jubel klingen aus den Tagen,<br />

da keiner noch in schäumigem Getu<br />

der Glieder Kraft in Fetzen eingeschlagen,<br />

und jeder Wunsch war damals noch ein Wagen.-<br />

Da fährt der blasse Mann aus schlaffer Ruh<br />

und raunt dem müden Weibe glühend: "Du,"<br />

er lauscht umher -, "ich muß dir etwas sagen.<br />

Sie kamen einst mich bei Gericht verklagen.<br />

Der Richter rief. Das war ein seltsam Fragen:<br />

Ich hörs noch immer: Bist du Gottes Sohn?<br />

Ich kann nicht mehr begreifen dieses Sinns,<br />

doch damals ließ ich schelten mich und schlagen<br />

und dachte, aufgehetzt durch ihren Hohn,<br />

es muß mein Stolz bis an die Sterne ragen.<br />

Ich schrie sie an: Was wollt ihr? Ja, ich bins.<br />

Zu meines Vaters Rechten ist mein Thron!<br />

Was lachst du, Weib? So spei mir ins Gesicht,<br />

ich weiß es, ich verdiene deinen Spott.

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